Gegen die von Präsident Macron und Ministerpräsidentin Elisabeth Borne geplante Rentenreform fanden am 31. 2. 2023 erneut in ganz Frankreich Demonstrationen statt, die von allen großen Gewerkschaften unterstützt wurden. Laut TV France 2 handelte es sich sogar um die größten Demonstrationen seit 1995. Nach Schätzungen der Préfecture de Police nahmen 87.000 Menschen an der Pariser Demonstration teil, nach Angaben der Gewerkschaft CGT waren es 500.000. Kernpunkt der geplanten Reform ist die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 64 Jahre. Präsident Macron hatte in seinem Programm für die Präsidentschaftswahl ein Eintrittsalter von 65 Jahren vorgesehen. Die 64 waren eine Konzession an Skeptiker in den eigenen Reihen und bei den konservativen Republikanern, deren Unterstützung er benötigt, um in der Assemblée Nationale eine Mehrheit für das Reformgesetz zu erreichen. Diese Altersgrenze ist, so kürzlich die Ministerpräsidentin, jetzt nicht mehr verhandelbar.
Ich möchte hier nicht auf die Geschichte und Beweggründe der französischen Rentenreform eingehen und auch nicht auf die heftigen Auseinandersetzungen, die dazu geführt wurden und werden. Nachfolgend sollen lediglich – unkommentiert- einige Eindrücke von der Pariser Demonstration vermittelt werden. Alle Fotos der Demonstration von Wolf Jöckel

Karikatur in Le Monde vom 31.1.2023

Banderole am Hôtel de Ville: Das Rathaus hat aus Solidarität mit der Streikbewegung am 31. 1. geschlossen

Das Personal „unseres“ Schwimmbads im 11. Arrondissement beteiligt sich an der Demonstration: Schon oft standen wir hier vor dieser Informationstafel und verschlossenen Türen…

Straßenreinigung und Polizei stehen bereit.

4000 Polizisten waren allein in Paris im Einsatz.


Die Demonstration verlief aber diesmal – anders als die Maidemonstration 2022– weitgehend friedlich: Der vorsorgliche Schutz wäre also nicht notwendig gewesen.
Glücklicherweise wurde die zeitnah an einem Haus an der Metro-Station Philippe Auguste (11. Arrondissement) angebrachte Aufforderung zur Gewalt nicht befolgt.


Auf dem Weg zur Demonstration
Beginn der Demonstration war an der Place d’Italie. Diesmal wurde nicht die „klassische“ Demonstrationsroute mit den republikanischen Fixpunkten place de la République, place de la Bastille und place de la Nation gewählt, sondern eine Route im Süden von Paris zwischen der place d’Italie und der place Vauban

An der place d’Italie sieht man noch Reste des Schucks für das chinesische Neujahrsfest. Das chinesische Viertel im 13. Arrondissement befindet sich ganz in der Nähe

Fassade des Rathauses des 13. Arrondissements an der place d’Italie

Stadtverordnete des Arrondissements mit Zeichen ihrer Würde





Das Théâtre du Soleil ist auch dabei

Die Adressaten der Demonstration: vor allem Präsident Macron und Ministerpräsidentin Elisabeth Borne







Wenn du uns die 64 aufdrückst, bescheren wir dir einen neuen Mai 68….



Tod den Schweinen…

Gebt uns eine anständige Rente oder wir schlagen Euch die Zähne ein…

Rente mit 64: zwei Jahre Gefängnis für alle: Für FO (die Gewerkschaft Force Ouvrière): Nein!


Blick auf den Demonstrationszug: Im Hintergrund die Kuppel des Pantheons


Es lebe die Commune!


Die Lebenszeit ist unbezahlbar! (zorniger Lehrer!)



Im Vollzeit-Streik

1995 haben wir gewonnen; 2019/2020 haben wir nach 64 Streiktagen gewonnen; 2023 werden wir gewinnen

Titelseite Libération vom 31.1.2023: Ganz Gallien leistet Widerstand

Statt der „potion magique“, des Zaubertranks von Asterix und Obelix, gibt es hier die „potion manif“, den Demonstrationstrunk.

Das Thema Rentenreform beherrscht ja schon seit Jahren die politische Debatte in Frankreich und sie gab wiederholt Anlass zu Demonstrationen und Streiks. Zur Demonstration in Paris am 6.2. 2020, dem damaligen 9. Aktionstag, gibt es eine Bilderserie mit Aufklebern, mit denen die Fenster der Mac Donald-Filiale an der place Voltaire im 11. Arrondissement beklebt wurden. Sie vermitteln einen anschaulichen Eindruck von den damaligen Forderungen:
https://paris-blog.org/2020/02/10/aktionskunst-im-rentenstreik-mcdo-paris-place-voltaire-6-2-2020/
Weniger als 14 Tag nach der Rentendemonstration vom 31.1. gab es in Paris eiine erneute große Demonstration, die teils den Charakter eines Straßenfestes hatte, dann aber auch von Ausbrüchen massiver Gewalt geprägt war, die ich -unfreiwillig- aus nächster Nähe miterleben musste….
Reste des Schmucks zum chinesischen Neujahrsfest. Das chinesische Viertel im 13. Arrondissement liegt in der Nähe.
Tja so ist es : Frankreich wie es leibt und lebt, bzw randaliert. Dem Fotoreporter herzlichen Dank
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Bernd Schmid
Früher betrug das Renteneintrittsalter in Frankreich 65 Jahre.
Erst Mitterand hat es auf 62 Jahre abgesenkt – ein Wahlgeschenk in der egoistischen Absicht, selbst gewählt zu werden und alle damit verbundenen Vorteile für die eigene Person zu erlangen. Ein derart gewissenloses Verhalten, das die persönlichen Vorteile (Macht über Andere und Geldmittel für sich selbst) über die rational begründbaren und objektiven Interessen der Staatsbürger stellt, ist verantwortungslos im höchsten Maße.
Man trifft dieses Verhalten bei Politikern nur allzu oft an und diese brauchen sich nicht zu wundern, wenn ihre Person und ihr Beruf von einer Mehrheit der Bevölkerung verachtet wird.
Die breite Masse der hier Protestierenden versteht leider die Notwendigkeit der Reform nicht bzw. will diese nicht verstehen, weil sie davon betroffen ist. Das sind die kleinen Gehirne, die leider auch in Deutschland die größten Mäuler haben, hier aber nichts für ihre Überzeugung unternehmen.
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Welch beeindruckende Fotodokumentation ! Ich hab’s aufgegeben – was ich selten tue – mit meinen Freundinnen und Freunden darüber zu diskutieren. Alles Gute !
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Ja, die Franzosen denken ganz anders über ihren Renteneintritt und die mögliche Finanzierung als wir Deutschen. Während hier die Erhöhung des Renteneintrittsalters ohne grossen Widerstand erfolgt ist, wehren sich in Frankreich fast alle sozialen Gruppen gegen eine Verlängerung der Arbeitszeit.
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Es ist wohl das in Frankreich weit verbreitete Gefühl genereller Injustice gepaart mit der republikanischen Erfahrung politische Weichen mitunter auf den Straßen stellen zu können, was zur aktiven Ablehnung der Rentenreform durch große teile der Bevölkerung führt.
Warum soziale Besitzstände aufgeben, wenn „die Politik“ im Allgemeinen „die Reichen“ bevorteilt? Alles hängt mit allem zusammen. Soll doch der Staat leere Rentenkassen füllen.
Das verhindert einen – für sich genommen – vernünftigen Umbau eines inkonsistenten, teils ungerechten und hoch gefährdeten Rentensystems. Wie abgebildete Plakate zeigen, geraten die Arbeits- und Lebensbedingungen, als Ursache vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben durchaus nicht nicht aus dem Blickfeld der Beteiligten. Jedoch vermag das Rentensystem als soziale Sicherung belastende Arbeits- und Lebensbedingungen nicht beseitigen.
Christoph-M. Stegers
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Vielen Dank für Ihren Kommentar. In der Tat gibt es in Frankreich ein verbreitetes Gefühl ungerechter Verhältnisse. In der aktuellen Ausgabe des Canard enchainé gibt es z.B. einen Artikel über Bernard Arnault, den Besitzer von LVHM und derzeit reichsten Mann der Welt, der prächtig Gewinne mache, aber sehr gering besteuert werde. Und in der gleichen Ausgabe fragt in einer Karikatur ein Arbeitgeber bei einem Einstellungsgespräch: den 50-jährigen Bewerber: Warum soll ich Sie einstellen, wenn Sie doch nur noch 14 Jahre bis zur Rente haben?
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Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ja, es gibt in Frankreich ein weit verbreitetes Gefühl der Ungerechtigkeit. In der heutigen Ausgabe des Canard enchainé geht es beispielsweise um die großen Gewinne von Bernard Arnault, dem Besitzer von LVHM und reichstem Mann der Welt, der aber nur wenig Steuern bezahle. Und was die Lebens- und Arbeitsbedingungen angeht: Da gibt es europäische Vergleiche, die deutlich machen, dass die Arbeitszufriedenheit in Frankreich deutlich unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Und auch was die Bezahlung angeht: Nur 45% der Franzosen finden, dass sie angemessen bezahlt werden. In Deutschland sind das 68%, der europäische Durchschnitt liegt bei 58%… (Le Monde vom 29./30.1.2023). Und dann ist der Arbeitskräftemangel in Frankreich nicht so massiv wie in Deutschland, was sich auf die Beschäftigung von „Senioren“ auswirkt. Dazu im aktuellen Canard enchainé auch eine Karikatur: In einem Einstellungsgespräch wird der 50-jährige Bewerber gefragt: Warum soll ich Sie denn einstellen, wo Sie doch nur noch höchstens 14 Jahre bei uns arbeiten werden…. Das Argument, dass ältere Arbeitnehmer gerne durch jüngere billigere ersetzt werden, hören wir hier sehr oft… Da kommt also so einiges zusammen, was dem breiten Widerstand Bewegung gegen eine Rentenreform erklärt. Auch wenn die -auch in Frankreich- sicherlich notwendig ist: Die Geburtenrate sinkt selbst in Frankreich, die Lebenserwartung ist höher als in Deutschland., die immer längeren Rentenjahre müssen also von immer weniger Jungen finanziert werden – die auch deshalb auf die Straße gehen… Wolf Jöckel
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