Die Fontänen von Versailles (2): Ausdruck absolutistischen Größenwahns

Im ersten Teil des Beitrags über die Fontänen  und Brunnen des Parks von Versailles wurde ihre Funktion als Machtdemonstration und Instrument der Einschüchterung erläutert: Sie sollten durch ihre Menge und Größe und durch ihr bildhauerisches Programm die Macht des Sonnenkönigs veranschaulichen:

Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Vorhabens waren allerdings ganz erheblich, denn die Lage des Schlosses und des Parks hätten kaum ungünstiger sein können. Das Gelände war sumpfig und  es gab (und gibt) in der Region keine natürlichen Wasserläufe, die man für die Versorgung mit Wasser hätte nutzen können[1] . Die Seine lag mehrere Kilometer entfernt und dazu auch noch 142 tiefer als das Schloss.[2]  Es gab in der Nähe lediglich den kleinen étang de Clagny, der von einigen Bächlein gespeist wurde. Mit Wasser versorgt werden mussten aber  nicht nur die am Ende der Herrschaft Ludwigs XIV.  1400 Fontänen im Park, sondern auch das riesige Schloss mit seinem Hofstaat,  die weitläufigen Parkanlagen, die Stadt,  die Kasernen mit Soldaten und etwa 2000 Pferden und nicht zuletzt der  Obst- und Gemüsegarten Ludwigs XIV.[3] Allein bei dieser groben Übersicht kann man ahnen, wie  immens der  Bedarf an Wasser für Versailles war, spätestens  1682,  als der Hof offiziell dorthin verlegt wurde. Und es ging dabei ja nicht nur um die  Menge, sondern auch um die Qualität, die für den menschlichen und tierischen Gebrauch gesichert  sein musste, um Seuchen zu verhindern.

Warum also unter diesen völlig ungeeigneten Voraussetzungen gerade Versailles?  Eine Antwort darauf kann wohl die Entwicklung des Ortes geben: Das erste Schloss von Versailles wurde  vom Vater des Sonnenkönigs 1623 gebaut und 1631 erweitert. Der Sohn fand dann auch Gefallen daran, denn dort war er abseits von Paris, aber doch auch wieder nahe an der Hauptstadt, es gab in Versailles  ein ausgiebiges Jagdrevier und das Schloss bot eine Rückzugsmöglichkeit – zum Beispiel für seine Beziehung mit Mlle de Valière, für die er die Thetis-Grotte  bauen ließ. 1660 nahm dann der junge König selbst das Heft in die Hand und das hufeisenförmige Zentrum des neuen  Schlosses entstand, das bis heute den cour d’honneur umschließt.

Einen neuen, entscheidenden Impuls erhielt der Schlossbau von Versailles am 17. August 1661.  An diesem Tag war Ludwig XIV. in Vaux-le-Vicomte,  im Schloss seines Finanzministers Fouquet, zu Gast. Die Beziehung des jungen Königs zu Fouquet war damals angespannt, und da sollten der König und sein Hofstaat  ehrenvoll empfangen und ein barockes Fest mit allen Schikanen präsentiert werden. [4] Verantwortlich dafür waren der Haushofmeister François Vatel[5]  und der Maler Charles Le Brun.[6] Molière schrieb extra für dieses Fest ein Stück, das er mit seiner Truppe aufführte, es gab ein musikalisch umrahmtes Bankett,  ein grandioses Feuerwerk und natürlich auch eine Gartenbesichtigung für den als Gartenfreund bekannten König. Und immerhin hatte Le Nôtre hier seine erste im französischen Stil gehaltene Gartenanlage geplant, zu der auch grandiose Fontänen gehörten.

Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt: Ludwig XIV. erblasste  gewissermaßen vor Neid. Dass sein Minister es wagte, ihn und sein Versailles in den Schatten zu stellen, konnte er nicht dulden. Fouquet wurde entmachtet und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens als Gefangener, aber Ludwig übernahm dessen hochkarätiges Personal. Also auch Le Nôtre, der ihm jetzt einen Park mit Wasserspielen bauen sollte, wie es sie noch nie und nirgends gegeben hatte. Der 17. August ist damit nicht, wie man manchmal lesen kann, „der Beginn von Versailles“[7], aber eine entscheidende Wende.

Hätte es damals einen Rechnungshof, also eine strenge  Kontrolle der königlichen Finanzen gegeben, wäre vielleicht ein geeigneterer Ort für das königliche „Versailles“ gesucht und  gefunden worden.  Denn –und das war absehbar:  die Kosten für die hydraulischen Arbeiten waren astronomisch. Von den Gesamtkosten für den Schlossbau entfielen schätzungsweise 57%  allein auf die Wasserversorgung und –nicht zu vergessen: die Wasserentsorgung- die Kosten für die wunderbaren Brunnenanlagen sind darin gar nicht einbezogen. [8] Aber Ludwig XIV. wäre nicht der Sonnenkönig gewesen, wenn ihn das beeindruckt hätte- ganz im Gegenteil.  Denn sein größtes Vergnügen war es, wie Saint-Simon kritisch bemerkte, die Natur zu beherrschen. („de forcer la nature“). Und die Souveränität des Herrschers war nach damaliger Auffassung ebenso wenig teilbar „wie der Punkt in der Geometrie“ („La souveraineté n’est non plus divisible que le point en géométrie“, wie es Cardin Le Bret formulierte)- eine Auffassung, die ja auch heute noch – in Zeiten der Globalisierung und des Vereinten Europas-  in Frankreich (und anderswo) sehr verbreitet ist.

Dass die Versailler Wasserproblematik nicht nur viel Geld, sondern auch Menschenleben kostete, kümmerte Ludwig XIV. wenig, auch wenn ihm das nicht entgehen konnte.  Man erzählte, dass eines Tages eine Frau zu ihm gekommen sei, außer sich,  weil ihr Sohn tags zuvor beim Bau des Großen Kanals,  „ce canal putassier“,  ums Leben gekommen sei. Die Antwort des Sonnenkönigs: Er ließ die Frau mit Stockschlägen traktieren.  Und Opfer gab es viele.   Madame de Sévigné schrieb 1678 in einem Brief, die Sterblichkeit der Arbeiter beim Bau des Großen Kanals sei außerordentlich hoch. Jede Nacht würden Wagen voller Leichen beladen und weggefahren.  Geschätzt wird, dass etwa 10 000 Menschen allein bei den Bauten für die Alimentierung der Fontänen ums Leben gekommen sind.[9]

Aller finanziellen  und menschlichen  Opfer zum Trotz war und blieb die Wasserversorgung von  Versailles eine Herkules-Aufgabe und ein Dauerproblem, an dem der Herrschaftswille des absoluten Königs scheiterte.  Die Natur zeigte ihm hier seine Grenzen auf. Wenn der König  durch den Park spazierte und sich an den sprudelnden Brunnen und emporsteigenden Fontänen erfreuen wollte, wurde er von Brunnenmeistern begleitet, die die Anlagen vor ihm an- und hinter ihm wieder ausstellten. Zu mehr reichte das Wasser nicht.  Und dabei war doch der Anspruch gewesen, dass die Fontänen „ni jour ni nuit“ (weder Tag noch Nacht) schweigen  sollten.[10]  Wenn wir heute dank eines elektrisch betriebenen Pumpsystems  die Grands Eaux in Versailles bewundern:  Ludwig XIV. jedenfalls hat sie so nie erleben können….   Und die  Neptun-Fontaine, die größte im Schlosspark von Versailles, die zum krönenden Abschluss der Grands Eaux  in den Himmel steigt,  kann bei weitem nicht mithalten mit der in  Kassel, dem nordhessischen Versailles. Die war nämlich aufgrund der günstigen natürlichen Voraussetzungen fast doppelt so hoch, nämlich 52 Meter – während die höchste Fontäne im Reich des Sonnenkönigs  gar nicht in Versailles war, sondern in seinem Schloss in Marly, die aber auch „nur“ 40 Meter erreichte.  Eine Demütigung, die mitzuerleben Ludwig XIV. allerdings erspart blieb…

Trotz alledem:  Es ist faszinierend zu erfahren, welcher Erfindungsgeist, welche   Handwerkskunst und welche gewaltigen Anstrengungen damals am Werke waren, um Versailles und die Fontänen des Parks  mit Wasser zu versorgen.  Bezüge zu Herkules und den Pharaonen findet man in entsprechenden Publikationen immer wieder, und sie  sind  wohl auch kaum übertrieben.  Die Wasserversorgung von Versailles ist das größte Projekt, das im Frankreich des ancien régime je unternommen wurde. Insgesamt wurde ein etwa 200 Kilometer langes System von Gräben, unter- und oberirdischen Aquädukten, Dükern (Siphonen) und  Rohrleitungen aus Eisen und Blei  errichtet.

Wenn man heute die Grandes Eaux bewundert, sieht man davon nichts.- so wie man auch zu Zeiten Ludwigs XIV. nichts davon gesehen hat und auch nicht sehen sollte.  Aber natürlich gibt es genaue, beeindruckende  Pläne des Leitungssystems aus Eisen und Blei wie die von 1718, die 2017 auf einer Garten-Ausstellung im Grand Palais ausgestellt wurden.

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Hier das Leitungssystem unter dem Latone-Brunnen und dem entsprechenden Parterre. Es vermittelt den Eindruck eines höchst komplizierten, ausgeklügelten Systems – ganz im Gegensatz zu der spielerischen Leichtigkeit der Fontänen, die damit alimentiert werden.

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Der nachfolgende  Ausschnitt zeigt das  Leitungssystem, das das Parterre du Nord mit der Allée d’eau und den daneben gelegenen bosquets, das Bassin de Dragon  und den Neptun-Brunnen auf der Nordseite des Schlosses mit Wasser versorgte.

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Dieses Leitungssystem ist heute immer noch in Betrieb,  und die Brunnen werden wie zu Zeiten Ludwigs XIV. per Hand in Gang gesetzt.[11]

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Gespeist wurde es  aus den noch existierenden Reservoirs in der heutigen – und danach benannten- rue des reservoirs.

Hier ein Blick aus der Schlossoper von Versailles auf die beiden großen Reservoirs.

Sie hatten ein Fassungsvermögen von 5000 m³. Um wenigstens einigermaßen den großen Wasserbedarf für die unter Ludwig XIV. immer aufwändigeren Grandes Eaux sicherzustellen, benötigte man zahlreiche weitere Reservoirs. So wurden zum Beispiel 1671 unter dem heutigen Parterre d’eau, also der obersten Gartenterrasse (oberhalb des Latone-Brunnens) große Zisternen mit einem Fassungsvermögen von 3400m³ angelegt, von denen zwei noch heute in Betrieb sind, die aber leider nicht besichtigt werden können.[12]

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Wenn man aber bedenkt, dass allein für einen weniger als dreistündigen  Betrieb der Fontänen  9500 m³ Wasser benötigt wurden, kann man erahnen, wie  groß die hydraulischen Herausforderungen waren.  Und mit der Bereitstellung von genügend großen Reservoiren war es  nicht getan. Sie mussten ja auch gefüllt werden. Das unterhalb des Schlosses vorhandene Wasser, zum Beispiel aus dem nahe gelegenen étang de Clagny, musste also hochgepumpt werden- und das in einer Zeit, in der es noch keine Dampfmaschinen gab. Also bedurfte es eines Systems von Windmühlen und mit Pferdekraft angetriebenen Pumpen, die für die Nachfüllung der Reservoirs sorgten. Das benötigte natürlich viel Zeit und konterkarierte den Traum Ludwigs XIV., die Fontänen seines Parks dauerhaft ohne jede Unterbrechung betreiben zu können.

Die größte Herausforderung bestand allerdings darin, überhaupt genügend Wasser zur Verfügung zu haben. Der Teich von Clagny, das einzige natürliche Reservoir, war zu klein und hatte zu geringen natürlichen Zulauf, so dass er den an ihn gestellten Anforderungen bei weitem nicht gewachsen. Es musste also aus der Ferne Wasser herangeschafft werden- eine dauernde und im Verweis auf Herkules treffend bezeichnete Aufgabe. Eine der ersten Maßnahmen war die Umleitung des Wassers der Bièvre, eines kleinen Nebenflüsschens der Seine. Aber auch das reichte nicht, den Wasserbedarf der vom Sonnenkönig  gewünschten immer zahlreicheren Fontänen zu befriedigen. Warum also nicht gleich das Wasser der Loire nutzen?  Es war kein Geringerer als Pierre-Paul Riquet, der Schöpfer des Canal de Midi  (damals canal royal de Languedoc), der diesen Vorschlag Ludwig XIV. unterbreitete. Und der war davon sehr angetan und auch gleich bereit, die dafür erforderliche immense Geldsumme zur Verfügung zu stellen. Ludwigs Finanzminister Colbert hatte allerdings Zweifel an der Machbarkeit und beauftragte  den Abbé Picard, Mitglied der Akademie des Science, mit einem Gutachten. Die Überprüfung ergab, dass die Loire an der geplanten Wasserentnahmestelle tiefer lag als das Schloss von Versailles…. Das Projekt wurde also aufgegeben und andere traten an seine Stelle.

Drei  davon sollen auf diesem Blog  vorgestellt werden. Sie wurden nicht nur wegen ihrer Bedeutung ausgewählt, sondern auch, weil sie noch heute sichtbare Spuren hinterlassen haben: Die Drainagen und das Teichsystem  auf der Hochebene von Saclay/Palaiseau,  die Maschine von Marly und das Projekt der Umleitung des Flusses Eure.   Dem ersten Projekt verdankt man heute ein wertvolles Biotop, das zweite ist eine technische Meisterleistung, aber auch –wie vor allem die aufgegebene Umleitung der Eure,  Zeuge absolutistischen Größenwahns.  Die drei Projekte können/sollen zu Ausflügen in die Umgebung von Paris/Versailles anregen. Und sie können den bewundernden Blick auf die Fontänen im Schlosspark von Versailles sicherlich erweitern. In diesem Beitrag werden die Rigoles de Saclay und das Aquädukt von Buc vorgestellt, die beiden anderen Projekten werden in späteren Beiträgen folgen. 

1. Die Rigoles von Saclay und das Aquädukt von Buc (1680-1686)

Die Hochebene von Saclay liegt im Süden von Versailles/im Südwesten von Paris  zwischen den Flüsschen Bièvre und Yvette. Heute ist sie vor allem bekannt durch die dort schon angesiedelten und noch geplanten  Lehr- und Forschungseinrichtungen,  das „Silicon Valley à la française“.[13]  Zu Zeiten Ludwigs XIV. war die Hochebene von Saclay Ort eines kaum weniger anspruchsvollen Projekts:  Sie sollte nämlich dazu beitragen, den immer größer werdenden Wasserbedarf der Fontänen von Versailles zu decken.  Die Probleme, die sich dabei stellten, waren allerdings erheblich. Es gab auf dem Plateau zwar einen größeren Teich, den Étang Vieux de Saclay, der aber nur von Regenwasser gespeist wurde, also keine natürlichen Zuflüsse hatte. Außerdem lag, wie der wieder herangezogene Abbé Picard feststellte, sein Grund  nur 10 Fuß (3,25 Meter)  über dem unteren Teil des Schlossparks. Die Herausforderung bestand nun darin,  das nutzbare Wasseraufkommen auf dem Plateau zu steigern und es dann allein über das (geringe) natürliche Gefälle für die Alimentierung  wenigstens der – allerdings immer zahlreicheren- Brunnen und Fontänen in den unteren Partien des Schlossparks zu nutzen. (Deshalb auch die Bezeichnung lacs inférieures für die schon bestehenden und neu geschaffenen Teiche auf der Hochebene von Saclay).   Mit der Ausführung dieses Projekts wurde der Ingenieur Thomas Gobert beauftragt, der sich schon bei der Versorgung von Versailles mit Trinkwasser verdient gemacht hatte.  Er forderte 3000 Mann und 2000 Schubkarren an, die 6 Jahre lang damit beschäftigt waren, neue Teiche anzulegen und ein System von Drainagen (rigoles), d.h. kleinen Gräben, die alles anfallende Regenwasser in den Étang  Vieux de Saclay und den neu geschaffenen Étang Neuf de Saclay als zentraler Sammelstelle leiten sollten.

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Rigoles auf dem Plateau de Saclay

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Der alte Damm zwischen dem Étang Vieux  (heute ein Vogelschutzgebiet[14]) und dem Étang Neuf de Saclay (heute Wasserreservoir für eine Forschungseinrichtung für Antriebe)

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Ausschnitt aus einer Informationstafel am Pavillion du Roi auf dem Damm zwischen den beiden Teichen von Saclay

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Die alte Treppe des  „Pavillon du Roi“  auf dem Damm. In seinem Keller befand sich der Schieber zur Regulierung der  Wasserhöhe in beiden Teichen.

Die schwierigste und wichtigste Aufgabe stand allerdings noch bevor: Jetzt musste das in den Teichen von Saclay angesammelte Wasser ja noch in den Schlosspark von Versailles überführt werden. Dazu bedurfte es einer Leitung von 20 Kilometern mit gleichmäßiger sanfter Neigung, die wegen mehrerer dazwischen liegender Hügel zum Teil unterirdisch – bis zu 32 Meter unter dem Erdboden- verlaufen musste.  Und vor allem: Das breite Tal der Bièvre musste überwunden werden. Hier sah Gobert zunächst einen Düker vor, also eine unter dem Flüsschen verlaufende Druckleitung.  Allerdings war die ersten Versuche damit nicht ermutigend: Das Rohrsystem war dem erheblichen Wasserdruck nicht gewachsen, so dass man den Plan aufgeben musste: Die Alternative war ein Aquädukt, dass er in einem Memorandum vom 2. November 1682 dem Sonnenkönig schmackhaft machte:

On pourrait faire un acqueduc de massonnerie, que de seroit sujet à aucun entretien, sans besoin de fer, cuivre ny plomb, plus solide et à durer autant que le monde, dont la magnificence marqueroit à la postérité, autant qu’aucun autre esdifice la grandeur du Règne du Roi.“[15]

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Man könne, so schlug also Gobert vor, ein Aquädukt aus Stein bauen, wofür man kein Metall benötige. Dazu werde es bis ans Ende der Welt bestehen und wie kein anderes Bauwerk der Nachwelt die Größe des Königs vor Augen führen. Kein Wunder also, dass der König dem Plan zustimmte.  Sicherlich hat Gobert den Mund etwas zu voll genommen, aber eindrucksvoll ist das Bauwerk auf jeden Fall, und zwar von unten gesehen, wenn man auf einem Spaziergang entlang der Bièvre dort vorbeikommt, oder aus der Vogelperspektive.

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Hier ein Blick auf eine der 19 Arkaden. Sie bestehen vor allem aus Bruchsteinen (pierres meulières), die Kanten aus behauenen Kalksteinen[16]

Und jetzt aus der Vogelperspektive:

(Bild aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Aqu%C3%A4dukt_von_Buc)

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Die Bauarbeiter dieses Aquädukts waren übrigens Soldaten aus der Normandie, die dafür abgestellt wurden. Solche gigantischen Baumaßnehmen waren ja generell nur möglich, wenn Ludwig XIV- einmal nicht Krieg führte, wenn Soldaten (und Geld)  also nicht zum Erobern und Töten eingesetzt  wurden.

1686 wurde das gesamte Leitungssystem eingeweiht – „zur Zufriedenheit der Fontänen“, wie Ludwig XIV. huldvoll  festzustellen geruhte.  Und offenbar auch zur Zufriedenheit von Wanderern, die sich an diesem für die Ewigkeit geplanten Bauwerk aufwändig „verewigten“.

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Und immerhin:  Bis 1950 tat dieses Aquädukt seinen Dienst und danach wurde es unter Denkmalschutz gestellt- Es wird uns also wohl noch etwas erhalten bleiben.

Der Wasserbedarf der Fontänen im Park von Versailles war aber – und das war von vornherein absehbar- mit der Inbetriebnahme des Systems von Teichen und Rigoles auf dem Plateau de Saclay – und eines weiteren bis nach Rambouillet reichenden Wassergewinnungssystems (den lacs supérieurs) immer noch nicht gestillt. Die gesamte  maximale/optimale tägliche Kapazität  dieser Systeme waren12 000 m³. Das reichte aber bei weitem immer noch nicht aus, um die Wasserspiele des Sonnenkönigs wenigstens mehr als stundenweise zu betreiben.

Es mussten also weitere Wasserquellen erschlossen werden, was natürlich immer schwieriger wurde. Entweder es mussten technische Lösungen gefunden werden, die bisher nicht machbar erschienen, oder es  musste das Wasser aus  immer größeren Entfernungen herangeführt werden,  beziehungsweise – es geht ja um die Fontänen des Sonnenkönigs- beides:  Das eine ist das Heraufpumpen von Wasser aus der Seine durch die Maschine von Marly, ein parallel mit „Saclay“ betriebenes Projekt, das andere  die Umleitung des Flusses Eure über 80 Kilometer,  die zwar nie verwirklicht werden konnte, an die allerdings noch das grandiose Aquädukt von Maintenon erinnert. Darüber mehr in einem weiteren dritten Blog-Beitrag über die Fontänen von Versailles. Der Maschine von Marly wird dann der vierte Teil dieser kleinen Reihe gewidmet sein. (17)

Literatur/Benutzte Materialien

Association ADPP, À la Découverte du Plateau de Palaiseau. 2015

Alain Baraton, Le jardinier de Versailles. Paris: Grasset 2006

Eric Soullard, Les eaux de Versailles sous Louis XIV. In: Hypothèses 1998,1, S. 105-112 https://www.cairn.info/revue-hypotheses-1998-1-page-105.htm?contenu=resume

Serge Fiorese, Le système hydraulique du plateau de Saclay : un patrimoine unique à découvrir et mettre en valeurhttp://www.s-y-b.fr/index.php?option=com_content&view=article&id=29:le-systeme-hydraulique-du-plateau-de-saclay&catid=16

Léo Pajon, L’aménagement de l’eau à tout prix.  In: Versailles. Les grandes heures d’un château au cœur de l’histoire de France. GEOHISTOIRE 29, Oct/Nov 2016, S. 44f

Jean Siaud, Ils ont donné l’eau à Versailles.  Edition de l’onde 2012

Jean Siaud, Trois siècles dèau à Versailles pour le château et pour la ville. 1663-1964. Hrsg von der Société des amis de Versailles.

https://www.youtube.com/watch?v=u0VYY2iK3Lo (Video der Verwaltung der Schlösser von Versailles über die einzelnen Etappen der Konstruktionen zur –Wasserversorgung von Versailles. Anschaulich, aber ohne Ton.

https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserversorgung_des_Schlossparks_von_Versailles

Chronologie der hydraulischen Arbeiten: http://ressources.chateauversailles.fr/IMG/pdf/le_systeme_hydraulique_chronologie_des_travaux_d_adduction.pdf  (Aus der Website des Château de Versailles)

Anmerkungen:

[1] A la  découverte du Plateau de Palaiseau, S. 20

[2] Nach Soullard sind es sogar 160 Meter. Siehe: http://www.theses.fr/2011GRENH032

[3]Siehe den Blog-Beitrag: Der potager du roi, der Obst- und Gemüsegarten Ludwigs XIV. in Versailles. https://paris-blog.org/2016/04/12/le-potager-du-roi-in-versailles-der-obst-und-gemuesegarten-ludwigs-xiv/

[4] Dazu im Einzelnen: Die letzte Chance.  Das Fest vom 17. August 1661 https://www.degruyter.com/downloadpdf/books/9783486719390/9783486719390.173/9783486719390.173.pdf

[5] Vatel stand danach in Diensten des „Großen Condé“ im Schloss Chantilly und gilt als Erfinder der crème Chantilly. Siehe dazu den Blog-Beitrag über Chantilly: https://paris-blog.org/2016/04/09/schloss-und-park-von-chantilly-eine-alternative-zu-versailles/

[6] Zu Charles Le Brun siehe den Blog-Beitrag über die Manufacture des Gobelins, deren Chef er war: https://paris-blog.org/2018/08/01/die-manufacture-des-gobelins-politik-und-kunst/

[7] http://kunstundkosmos.de/Regionen-Staedte-Architektur/Versailles-Garten.html

[8] siehe : A la découverte du Plateau de Palaiseau, S. 24

[9] Baraton, S. 89 und 92; die Zahl von 10 000 wird von Pajon, S. 44 genannt.

[10] S. M. de duc de Noailles, Histoire de Madame de Maintenan et des principaux événements  du règne de Louis XIV tome deuxième, Paris 1848, S. 58 https://books.google.de/books?id=sK1P5hdagUsC&printsec&pg=PA58#v=onepage&q&f=false

[11] Bild aus: http://www.versaillespourtous.fr/fr/popup_clelyre.html

[12] Bild aus: http://ressources.chateauversailles.fr/documents/2/animation_jardin/eau/reservoirst.html

[13] https://www.capital.fr/votre-carriere/paris-saclay-la-silicon-valley-a-la-francaise-1315895

[14] Über die étangs und rigoles heute und ihren ökologischen Wert: https://www.youtube.com/watch?v=OHzjiUfK1BM

[15] Zit. À la découverte du Plateau de Palaiseau, S. 23

[16] Zu Gewinnung der Steine in und um Paris im Allgemeinen und dabei auch zu den meulière-Steinen im Besonderen siehe den Blog-Beitrag über die Bergwerke und Steinbrüche von Paris: https://paris-blog.org/2017/04/20/die-bergwerke-und-steinbrueche-von-paris/

(17) Allerdings wird der wohl noch etwas auf sich warten lassen: Die zunächst für 2018 geplante, dann auf Frühjahr 2019 verschobene Wiedereröffnung des Museums von Marly, das ich in den 3. Beitrag einbeziehen möchte,  ist inzwischen für den Herbst 2019 avisiert, lässt allerdings immer noch auf sich warten. (Stand April 2020).

Der nachfolgende Beitrag zur Wasserversorgung von Versailles behandelt die begonnene, aber nicht vollendete Umleitung der Eure durch den canal Louis XIV und das Aquädukt von Maintenon:   https://paris-blog.org/2020/05/19/der-canal-louis-xiv-und-das-aquaedukt-von-maintenon-die-fontaenen-von-versailles-teil-3/

Little India, das indische Viertel von Paris

In Paris gibt es mehrere Viertel, die sehr sichtbar von Menschen mit außereuropäischen Wurzeln geprägt sind: La Goutte  d’Or, das afrikanische Viertel im 18. Arrondissement (siehe Blog-Beitrag: La Goutte d’or oder Klein-Afrika in Paris),  das chinesische Viertel im 13. Arrondissement  (siehe Blog-Beitrag: Chinatown in Paris) oder das  multikulturelle Belleville im 20. Arrondissement (siehe Blog-Beitrag: Das multikulturelle, aufsässige und kreative Belleville). Gegenstand dieses Beitrags ist Little India, also das Viertel von Paris, das geprägt ist von der Einwanderung aus dem indischen Subkontinent,  „un des quartiers ethniques les plus visibles de Paris.“ (Jones)

Es gibt für dieses Viertel verschiedene Bezeichnungen, was zwei Gründe hat:

  • Seine genaue Lage, Ausdehnung und Grenzen sind nicht so (einigermaßen) klar umrissen wie bei dem afrikanischen oder dem chinesischen  Viertel. Es gibt das stark tamilisch geprägte Viertel rund um die Métro-Station  La Chapelle und rund um den nördlichen Teil der rue du Faubourg Saint-Denis zwischen dem gare de l’Est und gare  du Nord,  es gibt aber auch die etwas südlich gelegene und eher pakistanisch geprägte Passage Brady (10. Arrondissement) und –wenn auch extra muros- das indische Viertel von Courneuve in der nördlichen banlieue von Paris.
  • Die verschiedenen Bezeichnungen für das „quartier indien“ haben ihren Grund aber auch darin, dass es dabei um Menschen mit vielfältigen ethnischen, religiösen und geographischen Wurzeln geht: Um Menschen aus Indien, aus  Pakistan, aus Bangla-desh und vor allem aus Sri Lanka,  und da wiederum vor allem aus dem tamilischen Norden der Insel rund um die Stadt Jaffna.  Also findet man eher allgemeinere Bezeichnungen für das Viertel wie Little India oder La Petite Asie, aber auch konkretere wie Little Islamabad, Little Sri Lanka oder Little Jaffna. Ich verwende hier den Ausdruck Little India, womit der indische Subkontinent insgesamt angesprochen ist.[1]

Little India ist aufgrund seiner Vielfalt, Buntheit und Exotik unübersehbar. Aber auch darüber hinaus ist die Einwanderung aus dem indischen Subkontinent präsent: In vielen Supermärkten sitzen Frauen aus Sri Lanka an den Kassen, in den Gängen oder an den Eingängen großer Metro-Stationen verkaufen Männer aus Indien oder Pakistan Obst, Musikkassetten oder geröstete Maronen oder sie bieten abends im Quartier Latin oder anderen touristischen Vierteln in den Restaurants Rosen zum Verkauf an.

Am  buntesten und lautesten stellt sich Little India am alljährlich im September veranstalteten Ganesha-Fest dar, insofern gewissermaßen dem Pendant zu dem ebenso populären chinesischen Neujahrsfest.

Der Ganesha-Tempel in der rue Pajol und das  Ganesha- Fest

Das Ganesha-Fest wird an einem Sonntag im Spätsommer jeden Jahres (meist im September) zu Ehren des Gottes Ganesha gefeiert. Ganesha, der Gott mit dem Elefantenkopf, ist eine der beliebtesten Formen des Göttlichen im Hinduismus und von allen hinduistischen Göttern der mit der größten Präsenz und Popularität außerhalb Indiens. Immerhin schützt er alle  neuen Unternehmungen: Heiraten, Reisen oder Geschäfte. Jeder hinduistische Gottesdienst (Puja)  beginnt mit einem Gebet an Ganesha.  Im indischen Viertel von Paris, (rue Pajol, 18. Arrondissement, métro La  Chapelle) gibt es seit 1984 einen dem Ganesha geweihten Tempel, den ältesten Hindu-Tempel in Frankreich.

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Man ist dort, nachdem man seine Schuhe ausgezogen und abgestellt hat, jederzeit willkommen. Man darf sogar – wie i.a. überall in litte India- Fotos machen, auch wenn man das natürlich mit der gebotenen Zurückhaltung tun sollte.

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Selbstverständlich hat der Gott Ganesha einen Ehrenplatz in dem Tempel.

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Der Tempel ist ziemlich klein – beim Ganesha-Fest gibt es sogar lange Schlangen vor der Tür und innen viel Gedränge. Aber an einem „normalen“ Tag  kann man sich ganz in Ruhe auf den Boden setzen, den Raum und die Menschen darin beobachten  und, zum Beispiel  nach einem Besuch von „little India“,  zur Ruhe kommen.

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Der Tempel organisiert seit 1996 das Ganesha-Fest in Paris.  Es ist ein Volksfest, das Hindus aus Paris und der näheren und weiteren Umgebung anzieht.[2]

Als ich mit der Metro zum Ganesha- Fest 2017 fuhr, stand neben mir dichtgedrängt eine ganze Reihe von Menschen, die ganz offensichtlich ebenfalls dieses Ziel hatten. Es waren vor allem Familien mit festlich gekleideten Frauen und Mädchen. Mit einer Familie aus einem östlichen Vorort von Paris kam ich –soweit das unter diesen Umständen möglich war- ins Gespräch und das kleine Mädchen durfte ich, als wir in der Station La Chapelle ausgestiegen waren, mit Zustimmung der stolzen Eltern fotografieren.

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In der Nähe der Métro-Station La Chapelle, in der rue Pajol,  liegt der Ganesha Tempel  bzw.  le temple de Sri Manicka Vinayakar Alayam –so seine offizielle Bezeichnung. Dort beginnt  die große bunte Prozession mit zahlreichen Motivwagen und  vielen Teilnehmer/innen in traditionellen Gewändern, die sich nur schwer einen Weg durch die Masse der Besucher bahnen können.

Von einem Wagen herab werden große Mengen von Opfergaben verkauft, mit denen die Gläubigen  den Schutz Ganeshas  erbitten.

Eine besondere Rolle spielen offenbar auch die am Rand des Zuges gestapelten Kokosnüsse.  Man konnte beobachten, dass mit der gelben Farbe Mädchen ein Punkt zwischen die Augenbrauen getupft wurde.

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Es gibt nicht nur viel zu sehen, sondern auch zu hören: In dem Zug wird  kräftig Musik gemacht, vor allem mit Trommeln und dem traditionellen  Blasinstrument nagaswaram.[3]

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Und natürlich darf bei dem Umzug für den elefantenköpfigen Gott  ein bunt  geschmückter    lebensgroßer  Plastik- Elefant  nicht fehlen.

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Auch wenn man als  Beobachter, der mit den Ritualen und der Symbolik des Hinduismus nicht vertraut ist, Vieles nicht versteht:  Beeindruckend sind  die Buntheit und Vielfalt der Prozession. Und unübersehbar ist auch, welche außerordentliche Bedeutung sie für die vielen Teilnehmer und Besucher hat.  Es ist auch eine Demonstration der kulturellen Selbstbehauptung der  Hindus in  der neuen Heimat.

Zur  Geschichte der indischen Einwanderung

1674 gründete die Compagnie royale des Indes orientales einen Handelsstützpuunkt (comptoir) in Pondichéry (heute offiziell Puducherry).  Aus einem kleinen Fischerdorf wurde allmählich eine blühende Kolonie und der wichtigste französische Stützpunkt in Indien.

Die ersten Menschen aus dem indischen Subkontinent, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Frankreich niederließen, waren denn auch Händler und Verwaltungsbeamte aus Pondichéry. Allerdings fielen sie kaum auf  und integrierten sich –begünstigt durch ihre französischen Sprachkenntnisse- schnell in das neue Heimatland.

Weitere Zuwanderer aus Pondichéry waren Studenten, Kriegsfreiwillige, die dem Aufruf de Gaullles zum Widerstand gegen Nazideutschland folgten, und Auswanderer, die nach der sehr geräuschlosen und einvernehmlichen Übergabe der französischen Stützpunkte an Indien für eine Übersiedlung nach Frankreich optierten.  Die Übersiedlung verlief problemlos, weil die Einwohner von Pondichéry seit der Februarrevolution von 1848 die französische Staatsbürgerschaft besaßen. Es waren oft Verwaltungsbeamte oder Militärs, die ihre Karriere in Frankreich fortsetzten. Anderen Ankömmlingen aus Pondichéry erleichterte der französische Staat die Integration, indem er ihnen beispielsweise Posten als Aufsicht in staatlichen Museen oder Schlössern anbot. Es handelte sich hier um die erste bedeutende Präsenz von (südindischen) Tamilen[4], die allerdings in Paris wenig sichtbar waren. Sie wohnten eher extra muros und unterschieden sich ja auch weder durch Sprache noch durch Religion (die meisten waren Katholiken) von den eingesessenen Franzosen.

Zahlenmäßig bedeutender und deutlich sichtbarer wurde die Einwanderung aus dem indischen Subkontinent vor allem ab den 1970-er Jahren. Das waren zunächst Pakistaner,  junge wenig qualifizierte  Männer aus armen ländlichen Regionen, die im Ausland Geld verdienen wollten, um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen. Viele von ihnen fanden Arbeit in den Konfektions-Betrieben des multikulturell geprägten „Sentier“-Viertels im 2. Arrondissement rund um  die Place du Caire, einem beliebten Treffpunkt der Pakistani.  Traditionelles Ziel dieser Menschen war ja eigentlich Großbritannien, aber die Verschärfung der britischen Einwanderungsgesetzgebung zwischen 1968 und 1971 machte Frankreich zu einer Alternative – vielleicht ja auch –wie in der Gegenwart bei den Flüchtlingen von Calais- in der Hoffnung, von dort aus doch noch einmal  zu ihrem eigentlichen Ziel zu gelangen. Die Einreise nach Frankreich war für Pakistani damals ohne Visum möglich, 1982 erhielten sie einen offiziellen Aufenthaltsstatus und konnten ihre Familien nachkommen lassen. Die fest installierten und arrivierten Pakistani findet man im südlichen Bereich des 10. Arrondissement rund um die rue du Faubourg St. Denis, besonders in der Passage Brady, deren Restaurants und Boutiquen überwiegend im Besitz  von Pakistani sind. Im Sentier-Viertel arbeiten auch viele Menschen indischer Abstammung aus Mauritius, die auch einen Teil der indischen Einwanderung in der Stadt ausmachen.

In den 1980-er Jahren wurde aber gleichzeitig die weitere Zuwanderung eingeschränkt. Deshalb versuchten  viele Pakistani, unter Berufung auf das in ihrem Heimatland herrschende Kriegsrecht, über das Asylrecht in Frankreich Fuß zu fassen. Da allerdings die meisten Asylanträge abgelehnt wurden, gibt es unter den in Frankreich lebenden Pakistani einen hohen Anteil an Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsgenehmigung. Das sind die in Frankreich ganz unbefangen als „Illegale“, bezeichnete Menschen,  die sich mit prekären Beschäftigungsverhältnissen durchs Leben schlagen:  zum Beispiel als Kassetten-, Spielzeug-,  Maronen-  und  Obstverkäufer, die man auch als Tourist an und in Métro-Stationen sieht, oder es sind die Rosenverkäufer, die abends in den touristischen Restaurants ihre Kunden suchen. Aber es kann sich dabei auch um Inder handeln, die als  Touristen eingereist sind und sich dann meist illegal in Frankreich aufhalten. Ihre  Zahl wird von der indischen Botschaft in Paris auf etwa 100 000 geschätzt.[5] Offenbar geht die Polizei mit den illegalen fliegenden Händlern ziemlich nachsichtig um:  Oft sieht sie  einfach über sie  hinweg oder sie fordert sie nur dazu auf, die Sachen einzupacken. Selbst wenn sie einmal  von der Polizei aufgegriffen und festgenommen  werden, können aber die illegal in Frankreich lebenden Menschen aus dem indischen Subkontinent nur selten abgeschoben werden: Da sie meistens keine Papiere haben, ist schwer nachweisbar, aus welchem Land sie nun kommen: aus  Indien, Pakistan, Sri Lanka oder Bangla-Desh.

Den größten Anteil an der Einwanderung aus dem indischen Subkontinent haben aber Tamilen aus Sri Lanka, die seit den 1980-Jahren vor dem Bürgerkrieg zwischen Singalesen und Tamilen flohen.[6]   Dieser Bürgerkrieg wurde mit größter Brutalität geführt: von Seiten der tamilischen Unabhängigkeitsbewegung (LTTE), den sogenannten „Tigern“, die auch mit terroristischen Mitteln die Unabhängigkeit des tamilischen Nordens von Sri Lanka erzwingen wollten.  Umgekehrt ging aber auch die singalesische Armee mit großer Brutalität nicht nur gegen die „Befreiungstiger“, sondern auch gegen die tamilische Bevölkerung im Norden vor. Außerdem kam  es in dem  mehrheitlich von Singalesen bewohnten Teil des Landes  zu anti-tamilischen Pogromen mit mehreren tausend Opfern.[7]

Es gibt Schätzungen, nach denen etwa 100 000 tamilische Flüchtlinge nach Frankreich gekommen sind und sich vor allem in Paris und den anliegenden Départements niedergelassen haben.[8] Deren Präsenz ist –nicht nur anlässlich des Ganesha-Festes- unübersehbar, weil das Viertel, das von den Tamilen bevorzugt bewohnt wird,  relativ klar umrissen  ist und weil dort selbst für einen  flüchtigen Passanten  ganz klar erkennbar ist, dass er sich hier in „Little India“ bzw. „Little Jaffna“ befindet.[9]

Wenn man allgemein von „Little India“ und damit von der Einwanderung aus dem  indischen Subkontinent spricht, so verbirgt sich dahinter eine große ethnische,  nationale und kulturelle Vielfalt: Eingeschlossen sind darin (muslimische) Einwanderer aus Pakistan, christliche Tamilen aus Pondichéry/Südindien, hinduistische Tamilen aus Sri Lanka, Einwanderer aus Bangla-Desh, aber auch indisch- stämmige Einwanderer aus Mauritius und Madagaskar. Übereinstimmend wird in der von mir konsultierten  Literatur festgestellt, dass die verschiedenen ethnischen  Gruppen relativ getrennt sind und es wenig Verbindungen zwischen ihnen gibt.

Gemeinsam scheint aber allen Gruppen der Wunsch zu sein, ihre kulturelle Identität in der neuen Heimat nicht ganz aufzugeben und selbst an  solchen Traditionen festzuhalten, die konträr sind zu den französisch-republikanischen Gepflogenheiten. Das betrifft zum Beispiel –so Thiney Duvoy-  die von Eltern arrangierten Heiraten innerhalb des eigenen sozialen Kontextes oder den Umgang mit Verstorbenen: Deren Asche werde von den Hindus üblicherweise nach Indien gebracht – und das gelte sogar auch für die christlichen Inder aus Pondichéry.[10]

Little Jaffna, das tamilische Viertel von La Chapelle

Die Konzentration der tamilischen Einwanderung auf das Gebiet von La Chapelle kommt nicht von ungefähr:  Als in den 1980-er Jahren die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Sri Lanka in Paris ankamen, gab es dort –in der Nähe des Gare de l’Est und des gare du Nord-  billige Hotels, wo sie eine Weile unterkommen konnten.  Es gab auch billigen und freien Wohnraum in diesem früheren Arbeiterviertel aufgrund des fortschreitenden Verlusts  städtischer  Arbeitsplätze in Industrie und Handwerk. Außerdem grenzte das Gebiet an die  traditionellen Einwanderungsviertel Barbès und la Goutte d’Or, die so  gewissermaßen  nur nach Süden ausgeweitet wurden.

Und es hat außerdem selbst eine lange Tradition , was die Aufnahme von Einwanderern angeht: Im 19. Jahrhundert waren das vor allem Menschen aus dem armen Nordhessen (dem Gebiet um Kassel), die in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Paris kamen und dort überwiegend als Straßenkehrer arbeiteten. Ihre Zahl wurde von einem zeitgenössischen Beobachter auf mindestens 3000 geschätzt. Sie lebten auf engstem Raum zusammengedrängt in sogenannten deutschen Höfen. (10a)

Die gibt es heute nicht mehr, dafür aber das tamilische Viertel der Stadt, auch little Jaffna genannt.  Da die Neuankömmlinge aus  Sri Lanka  – anders als die tamilischen Zuwanderer  aus Pondichéry- nicht  Französisch sprachen und sich in eine für sie völlig neue und  fremde Umgebung versetzt sahen, suchten  sie- wie 100 Jahre zuvor die Nordhessen-  die gegenseitige Nähe und Vertrautheit.  Little Jaffna ist  das Zentrum einer weitgespannten solidarischen Organisationsstruktur, es  hat wirtschaftliche, soziale und kulturelle Funktionen: Hier kann man  Arbeit und Unterkunft finden, sich informieren; es gibt Zeitungen in tamilischer Sprache, einschließlich lokaler Ausgaben mit nützlichen Anzeigen, und man findet hier Geschäfte mit den vertrauten Produkten, also einen sogenannten „commerce ethnique.“   Diese Geschäfte dienten also dazu, sich eine neue Lebensgrundlage zu schaffen und waren zuerst und vor allem für die eigenen Landsleute bestimmt.[11]

Das waren natürlich vor allem épiceries, also Lebensmittelgeschäfte, in denen sie die vertrauten Produkte kaufen konnten und dabei  auch solche, die sonst eher nicht zu finden waren.

Bemerkenswert sind bei manchen Beschilderungen  übrigens die sprachlichen Mixturen wie bei „Flower de Banana“. Und befremdend ist –jedenfalls für mich als Freund der Unterwasserwelt- dass manchmal   die Exotik doch etwas zu weit geht: Etwa wenn im Fischgeschäft nicht nur Krebse aus Sri Lanka angeboten werden, sondern dazu auch noch die farbenfrohen Papageien-Fische, deren Fang zur Verarmung der Riffe beiträgt.

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Aber der freundliche Fischhändler war ganz stolz, dass er Papageienfische (natürlich auch aus  Sri Lanka)  im Angebot hatte und ließ es sich nicht nehmen, sie für ein Foto auch noch wirkungsvoll in Szene zu setzen….

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Unbedingt erforderlich waren -und sind offenbar immer noch- Übersetzungsbüros.

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Und nicht fehlen dürfen natürlich – „La Chapelle ist auch das Paradies von Bollywood“[12] – entsprechende Videotheken und Kassettenläden, Handy- und Internet-Boutiquen und alles rund ums Geld.

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Und dann gibt es auch noch viele Geschäfte, in denen man Dinge kaufen kann, um sich und sein neues Zuhause heimatlich auszustatten;  etwas respektlos könnte man sagen:  mit  „Nippes“.  Dazu gehört natürlich der sympathische Gott Ganesha,  der hier ähnlich präsent ist wie in den entsprechenden Geschäften im chinesischen Viertel die Winkekatze.

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Für festliche Anlässe wie Heiraten ist selbstverständlich auch gesorgt:

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Und dazu gehört auch der glänzende Goldschmuck, der in großen Mengen und großer Vielfalt angeboten wird: Armreifen, Ohrringe und vor allem Colliers. Gold spielt ja  in der indischen Kultur eine ganz wichtige Rolle. „No gold, no wedding“  lautet ein  indisches Sprichwort.  Der hier angebotene goldene Schmuck soll übrigens aus Singapur stammen, wo es eine große indische Gemeinde und eine entsprechende Produktion von Schmuck gibt.[13]

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Der commerce ethnique  ist für die  Tamilen  ein Stück Heimat und für die alteingesessenen Pariser und  Touristen vermittelt er ein in dieser Form einzigartiges exotisches Flair inmitten der vertrauten Stadt.  „Little Jaffna“ schließt sich nicht ab gegenüber der Außenwelt und  diese zeigt sich auch ihrerseits offen. Diese Offenheit gegenüber alteingesessenen Einheimischen und Touristen, die nicht nur anlässlich des Ganesha- Fests überall  und immer in „little Jaffna“ erfahrbar ist, macht den Charme dieses Viertels aus: Es bewahrt sein  Eigenleben, aber es ist auch integriert in das Stadtgefüge und bereichert es.[14]

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Dringend gesucht wird eine Verkäuferin, die französisch und tamilisch spricht:                Zeichen für die Offenheit des Viertels nach außen

Eine Institution in Little Jaffna ist die épicerie VT Cash & Carry  in der rue du Faubourg St. Denis Nr. 157.  Der Laden ist sehr eng,  so vollgeräumt wie nur möglich, dazu offensichtlich ein bevorzugter Ort der Tamilen nicht nur  für ihre Einkäufe, sondern auch ein Treffpunkt. Auch als „Auswärtiger“ wird man freundlich behandelt und findet immer einen aufmerksamen Verkäufer, der einem mit einem scharfen kleinen Messer einige der leckeren kleinen asiatischen Bananen abschneidet oder einem weiterhilft, wenn man etwas Bestimmtes sucht.

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Ebenfalls eine Institution  ist die pakistanische „Konditorei“ Bhai-Bhai-Sweets in der  Rue des Deux Gares, einer wenig einladenden Seitenstraße der rue du Faubourg St.-Denis. Auch dieser Laden ist sehr klein, er wird nach meiner Erfahrung meist von Männern bevölkert, die dort teilweise große Mengen von Süßigkeiten einkaufen. An den Wänden gibt es auch einige  sehr rustikale Sitzmöglichkeiten, wo man direkt etwas probieren kann, zum Beispiel das typisch indische Dessert Rasmalai. Das Ambiente ist wenig einladend, aber man wird sehr freundlich aufgenommen und immerhin gilt der Laden als   „best asian sweet shop I ever seen in Paris“.[15]

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Es ist aber allein schon lohnend, durch „little Jaffna“ mit offenen Augen zu streifen. Und beispielsweise zu beobachten und zu bewundern, wie das indische Fladenbrot paratha hergestellt wird:

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Die Nachwehen des Bürgerkriegs

Als ich Ende des Jahres 2017 in Vorbereitung dieses Beitrags öfters durch das tamilische Viertel  von Paris gegangen bin, fielen mir die vielen an  Schaufenstern befestigten Plakate auf, mit denen zu einer „journée des héros“ , einem „Tag der Helden“ aufgerufen wurde.  Ähnliche Plakate hatte ich schon bei  Besuchen des Viertels  in früheren Jahren gesehen.

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Abgebildet ist Velipullai  Prabhakaran, der Führer der tamilischen Befreiungsbewegung LTTE  (Liberation Tigers of Tamil Eelam), der gerade eine Flamme entzündet.   Die LTTE versuchte in einem blutigen Bürgerkrieg, die Unabhängigkeit der von Tamilen bewohnten  Gebiete im Norden Sri Lankas zu erzwingen.  Die Umrisse des beanspruchten tamilischen Staates  sieht man auf dem Plakat über der Flamme. Über Prabhakaran weht die Fahne der LTTE, ein Tigerkopf mit gekreuzten Gewehren und umgeben von einem Kranz von 32  Patronen.[16]

Der Bürgerkrieg endete im Mai 2009 in einem Blutbad und mit der militärischen Niederlage der LTTE. Prabhakaran und seine Familie kamen im gleichen Monat ums Leben, möglicherweise durch Selbstmord, um nicht in die Hände der Regierungstruppen zu fallen. Die vielen Plakate, die zur Feier der „Helden“ aufrufen, bestätigen wohl die Einschätzung von Kennern der Lage, dass es zwar eine Waffenruhe, aber keinen Prozess der Versöhnung gibt. Und gerade in der Diaspora scheint der Traum von einem unabhängigen tamilischen Staat noch nicht ausgeträumt zu sein und wohl auch als  Bestandteil der Gruppenidentität zu fungieren.[17]

In einem kleinen Lebensmittelgeschäft in der rue du faubourg St. Denis war sogar nicht nur das aktuelle „Helden-Plakat“ befestigt, sondern  offenbar dauerhaft  auch noch ein Portrait des ehemaligen LTTE-Chefs.

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Ich versuchte, mit einem dort beschäftigten Tamilen ins Gespräch zu kommen, was aber an sprachlichen Problemen scheiterte: Der junge Mann sprach kaum Französisch und ebenso wenig Englisch. Offensichtlich war aber sein Stolz auf den lächelnden Helden- trotz allen Leids des Bürgerkriegs, für das auch er Verantwortung trägt:  eine selbst gegenüber der eigenen Bevölkerung rücksichtslose Kriegsführung, die Verwendung von Kindersoldaten und menschlichen Schutzschilden, dazu Terroranschläge gegen die singalesische Zivilbevölkerung….

In dem 2015 mit der goldenen Palme von Cannes ausgezeichneten Film Dheepan  (deutscher Titel: Dämonen und Wunder- Dheepan) wird gezeigt, wie die tamilischen Tiger auch noch viele Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs in der Diaspora aktiv sind: Ein junger Mann, der in führender Position auf Seiten der Tiger im Bürgerkrieg gekämpft hat, jetzt aber in Paris ein neues Leben in Frieden anfangen will, wird massiv unter Druck gesetzt, den Kampf weiterzuführen, und als Feigling und Verräter beschimpft, weil er das ablehnt. (Dass der Krieg ihn dann doch einholt – im Banden- und Rauschgiftmilieu des banlieue, wo er als Hausmeister mit Frau und Kind in Frieden leben will, aber nicht kann, ist eine andere –französische- Geschichte).

Beim bunten und fröhlichen  Ganesha-Fest 2017 in Little Jaffna wurden neben vielen anderen aufgeblasenen luftigen Figuren auch Tiger und Panzer angeboten. Ein kleiner Junge begleitete mit einem solchen unmissverständlich beschrifteten Panzer (Tiger 01) den friedlichen Zug des Gottes Ganesha. Ich kann mir nicht vorstellen, dass zu den neuen Unternehmungen, die der Gott unter seine Fittiche nimmt, auch ein neuer Bürgerkrieg gehören könnte….

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Passage Brady, the little Islamabad

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Die Passage Brady zwischen dem boulevard de Strasbourg und der rue du Faubourg Saint Denis im 10. Arrondissement wird gerne „little Islamabad“ genannt. Die meisten Besitzer und Angestellte der dort ansässigen Restaurants und Geschäfte stammen nämlich aus Pakistan.  So auch Antoine Ponnoussamy, der 1972 ein Lebensmittelgeschäft mit exotischen Produkten in der Passage eröffnete und danach das erste indische Restaurant der Passage, womit er  deren allmähliche Transformation in ein weiteres indisches Viertel von Paris einleitete.

Das Restaurant heißt Passage de Pondichéry, womit die Beziehung zu dem alten französischen Handelsstützpunkt ausgedrückt wird. Es liegt in dem  überdachten Teil der Passage,  wo man meistens draußen sitzen kann –der andere, offene, ist ziemlich heruntergekommen. Sicherlich wird in der Passage  keine Spitzenküche angeboten, aber man ist mitten in „little India“ oder „little Islamabad“ und besonders mittags kann man dort sehr preiswert essen.

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Antoine Ponnoussamy, der Besitzer des Pondichéry, kam Ende der 1960-er Jahre  als Koch des französischen Botschafters nach Paris.  Er erzählt:

„In Pondichéry arbeitete ich als Koch bei französischen Familien. Ich war 17 Jahre alt, als eine dieser Familien mich nach Paris mitnehmen wollte. Mein Vater war aber dagegen, weil ich noch zu jung war. Danach arbeitete ich 10 Jahre lang in Bombay und heiratete. Danach ging ich nach Neu-Dehli, wo ich Koch der französischen Botschaft wurde. Eines Tages rief der Botschafter mich zu sich und kündigte mir an, dass ich nach Frankreich wechseln würde. Das war eine Chance für mich. Ich hatte kein Geld um eine solche Reise zu machen. Er bezahlte mir alles, sogar den Anzug. Ich hätte niemals geglaubt, dass ich eines Tages einmal ein „patron“ werden würde. 1974 eröffnete ich das erste indische Restaurant, ‚Le Pondichéry‘. Ich bot Speisen aus Pondichéry an… Das lief sehr gut. Man sagt, man würde hier ein Stück Indien finden. In einer Zeitschrift war einmal zu lesen: ‚Mit einem Metro-Fahrschein kann man nach Indien fahren – in die Passage Brady‘“.[18]

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In der Tat: In der Passage Brady sind – wie sonst nirgendwo in Paris- alle Ingredienzien versammelt, die nach gängigem Verständnis ein  exotisch- indisches Ambiente ausmachen:  Bunte Auslagen mit exotischen Früchten und Blütenketten, die duftenden Speisen auf den draußen aufgestellten Tischen, die Gewürze, die Frisöre und Schönheitssalons, die Rufe der Kellner, die versuchen, Kunden anzulocken, die Musik, das Tohuwabohu…  Little Islamabad auf den 200 Metern der überdachten Passage.

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Ende Oktober 2017 ist Antoine Ponnoussamy gestorben. Die Todesanzeigen waren überall in der Passage Brady ausgehängt. Er war ganz offensichtlich „die Seele“ der Passage. Aber er hat 16 Enkelkinder hinterlassen, von denen einige sicherlich sein Erbe fortführen werden.

Praktische Information

Eingang in die Passage am besten  rue du Faubourg Saint-Denis. 75010 Paris  métro Château d’eau (Linie 4) oder Strasbourg-Saint Denis (Linien 4, 8 und 9)

Tamilen in der banlieue: Courneuve und sein Shiva-Tempel

Beim kurzen Abriss der Geschichte der indischen Einwanderung  wurde schon angesprochen, dass es jenseits von  „Little India“ auch eine deutliche indische Präsenz extra muros gibt, vor allem in den nord-östlichen  Vorstädten von Paris. Während das Gebiet von La Chapelle als erste Anlaufstation für Neuankömmlinge fungierte, war es weniger geeignet für die Aufnahme ganzer Familien, die sich allmählich auch im Zuge der Familienzusammenführung in Paris einfanden. Die Pariser nordöstlichen  Vorstädte boten sich da als Alternative an. Ein Beispiel dafür ist Courneuve, das mit der métro gut zu erreichen ist. Dort hat sich allmählich auch ein indisches Viertel herausgebildet. Es handelt sich um ein Viertel, in dem aus Sri Lanka stammende hinduistische Tamilen und aus Pakistan stammende Muslime offenbar friedlich nebeneinander leben. Es gibt hier viele Geschäfte für den alltäglichen Bedarf, auch einen großen  indischen Supermarkt, – aber  Paris bleibt  dann doch für alle der soziale Bezugspunkt, wo man die Wochenendeinkäufe erledigt und sich trifft; ähnlich wie La Goutte d’Or für die afrikanisch-stämmigen Menschen).  [19]

Immerhin  besitzt aber Courneuve einen der größten hinduistischen Tempel Frankreichs, der durchaus einen Besuch lohnt. Er ist Shiva geweiht, einer der drei großen Götter des Hinduismus.[20]  Die Umgebung ist ziemlich vorstädtisch-trist, woran auch die gemeinsamen  längst verblassten Bemühungen der Street-Artisten Nemo und Jerôme Mesnager nichts ändern konnten.

Umso auffälliger ist dann der bunte Eingang zum Tempel.

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Hier ist das Pantheon der hinduistischen Gottheiten farbenfroh abgebildet.

In der Mitte sieht man Shiva,  erkennbar an der Mondsichel, dem dritten Auge auf der Stirn, der Kobra, die sich um seinen Hals windet,  und den vier Armen. Neben Shiva sitzt seine göttliche Gemahlin Parvathi, die Mutter Ganeshas.

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Bei der Figur des Ganesha kann man übrigens erkennen, dass einer seiner Stoßzähne abgebrochen ist. Das ist kein renovierungsbedürftiger Mangel, sondern Bestandteil der hinduistischen Mythologie: In einem wichtigen Moment seines Lebens benötigte er dringend ein Schreibgerät. Also brach er ein Stück eines Stoßzahns ab…

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Im Innern des Tempels kann man –wie ja auch im Ganesha-Tempel in der rue Pajol- sich hinsetzen und in Ruhe das Geschehen beobachten.  Ein Erlebnis nicht nur für die Augen, sondern für alle Sinne.

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In der Tat: Für die Reise nach Indien benötigt man nur ein métro-ticket!

Praktische Information:

Temple in der  Avenue Paul Vaillant Couturier Nummer 159 in  93120 La Courneuve

Métro- Linie 7  Station La Courneuve –  8  Mai 1945

Poojas:  10 Uhr, 12 Uhr  und 18,30 Uhr.

Spaziergänge durch little India von der passage Brady bis zum quartier de la Chapelle und durch  das indische Viertel von Courneuve (etwa einmal im Monat und in französischer Sprache) werden  angeboten von:

https://www.tourisme93.com/balade-indienne-a-paris-et-la-courneuve.html

 En savoir plus:

Graham Jones, Le trésor caché du Quartier indien: esquisse ethnographique d’une centralité minoritaire parisienne. In: Revue Européenne des migrations internationales. 19/2003, S. 233-243

http://remi.revues.org/3005?lang=en  

Raphaël lo Duca, mondes urbains indiens/la diaspora tamoule: de la migration internationale à l’ancrage commercial en île de France. (April 2015)  http://www.revue-urbanites.fr/chroniques-la-diaspora-tamoule-de-la-migration-internationale-a-lancrage-commercial-en-ile-de-france

Aude Mary, En territoire tamoul à Paris: un quartier ethnique au métro La Chapelle. Paris 2008

Christine Moliner,  Invisible et modèle ? Première approche de l’immigration sud-asiatique en France, 2009. Disponible sur le site du ministère de l’immigration. https://www.immigration.interieur.gouv.fr/content/

Sophie Royer, Les Indes à Paris: histoire, culture, arts, gastronomie, sorties

2002 Parigramme

Solange Thiney-Duvoy, L’inde en France. Paris 2007

Immigration clandestine : « des marrons chauds ? » Publié dans INDES magazine janvier-février 2015 https://actuinde.com/2015/02/05/immigration-clandestine-des-marrons-chauds/

Anthony Goreau-Ponceaud,  L’immigration sri lankaise en France. Trajectoires, contours et perspectives. In: hommes &migrations 2011, S. 26-39  https://hommesmigrations.revues.org/671?lang=en

Musée de l’histoire de l’immigration,  Le sous-continent indien et ses diasporas à Paris. (kommentierte Literaturliste der Médiathek Abdelmalek Sayad) Oktober 2014

Anmerkungen:

[1] So z.B. auch Thiney-Duvoy in „L’inde en France“

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Ganesha  und   https://www.templeganesh.fr/fetegan.htm

[3] https://fr.wikipedia.org/wiki/Ganesh_Chaturthi

[4] Royer gibt ihre Zahl mit etwa 30 000 an. (S.26)

[5] https://actuinde.com/2015/02/05/immigration-clandestine-des-marrons-chauds/

[6] Thiney-Duvoy, S. 45,  46 und 50

[7] Als wir in den frühen 1980-er Jahren als Rucksacktouristen in Sri Lanka unterwegs waren und im Herrenhauseiner Teeplantage übernachteten, wurden wir Ohrenzeugen  eines solchen Pogroms: Heftige Schreie, Hilferufe- offensichtlich von tamilischen Familien, die, in eher Schweineställen ähnelnden Behausungen untergebracht, auf der Plantage arbeiteten. Unsere Interventionen und Nachfragen bei unseren singalesischen Ansprechpartnern in der Plantage stießen aber auf eine Mauer des Schweigens.

[8] https://www.tripsavvy.com/la-chapelle-little-sri-lanka-1618685 Royer spricht noch von 30-40000, aber das sind sicherlich längst überholte Zahlen aus dem Jahr 2002.

[9]  Von einer  „immigration invisible“ zu sprechen, wie Vassoodeven Vuddamalay  in einem 1989 veröffentlichten Aufsatz, ist heute also kaum mehr möglich.  (V.V., Pésence indienne en France. Les facettes multiformes d’une immigration invisible. In:  Revue européenne des migrations internationales. 5, 1998, No 3, S. 65-77

[10] Siehe zum Beispiel:  Thiney-Duvoy, S. 60 und Royer, S. 31

(10a) Ludwig Bamberger, Hessische Straßenkehrer (1867). Aus: Karsten Witte (Hrsg), Paris. Deutsche Republikaner reisen. insel taschenbuch 389, FFM 1980, S. 183-188

[11] Siehe dazu:  Graham Jones  http://remi.revues.org/3005?lang=en und http://www.revue-urbanites.fr/chroniques-la-diaspora-tamoule-de-la-migration-internationale-a-lancrage-commercial-en-ile-de-france

[12] https://www.azurever.com/paris/le-quartier-indien

[13]  http://remi.revues.org/3005?lang=en

[14] Bien qu’il apparaisse à première vue un espace d’exclusion, il s’agit plutôt d’un espace liminal où s’effectue une transition adaptatrice. Les immigrés peuvent y participer à la vie « profane » de la ville tout en exprimant le « sacré » de leur particularité culturelle. http://remi.revues.org/3005?lang=en

Siehe auch: http://www.revue-urbanites.fr/chroniques-la-diaspora-tamoule-de-la-migration-internationale-a-lancrage-commercial-en-ile-de-france

[15] https://www.facebook.com/Bhai-Bhai-Sweets-642016652604098/ 

[16] Bemerkenswert finde ich übrigens, dass im Vergleich zu ähnlichen früheren Plakaten zur „journée des héros“, die ich gesehen habe, diesmal die Tiger-Fahne der LTTE ganz offensiv präsentiert wird. Und während der Kampf um Unabhängigkeit auf dem  Plakat von 2015 –in französischer Sprache-  in die Tradition der Französischen Revolution eingeordnet wurde, bleibt man jetzt gewissermaßen unter sich: Hier also statt Öffnung eher ein nostalgischer Rückzug.

[17] In einem 2011 veröffentlichten Interview äußerte sich der damalige Botschafter Sri  Lankas in Paris zum Verhältnis der Pariser Tamilen zur LTTE:  „it seems to me that the politically active and preponderant element of the Tamil diaspora – the more mobilised and active element – seems comfortable demonstrating under the flag of the LTTE. But I am not sure if they represent the bulk of the Tamil community in Parir only an active minority. What’s missing is an opposition movement from within Paris’s Tamil community. “Something that says, ‘No we don’t feel comfortable with the flag of the LTTE with its 32 bullets and its crossed rifles’“.  Vielleicht könnte diese Einschätzung ja noch nicht ganz veraltet sein. http://en.rfi.fr/visiting-france/20110203-sdgvsdg  

[18] Zitiert bei Thiney-Duvoy, S. 63 und 65. Übersetzung von mir

[19] http://remi.revues.org/3005?lang=en

[20] http://www.leparisien.fr/espace-premium/seine-et-marne-77/un-temple-hindou-a-la-courneuve-20-07-2015-4956667.php

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Die Fontänen im Park von Versailles (1): Feier des Sonnenkönigs und Machtdemonstration

Die Fontänen im Park von Versailles sind ein unerschöpfliches Thema. Immerhin gab es zu Zeiten des Sonnenkönigs über 1200 davon. Auch wenn es heute nicht mehr so viele sind, werde ich  mich hier auf einige Aspekte beschränken (müssen). Im ersten Teil des nachfolgenden Textes möchte ich an einigen Beispielen zeigen, auf welche Weise  Fontänen  und Brunnen des Parks dazu dienten, den Ruhm des Sonnenkönigs zu mehren und eine Mahnung an seine Untertanen –vor allem natürlich an den am Hof von Versailles versammelten Adel – und die nach Versailles pilgernden  Repräsentanten fremder Mächte zu Wohlverhalten waren.  Dazu wird es einige konkrete Informationen über die heutigen regelmäßigen Wasserspiele (les grands eaux) geben,  bei denen man  die Brunnen und Fontänen im „Betrieb“ bewundern kann.

In drei späteren Teilen möchte ich zeigen, inwiefern die Fontänen von Versailles Ausdruck absolutistischen Größenwahns waren. Denn –anders als beispielsweise bei den spektakulären Wasserspielen von Kassel, dem „hessischen Versailles“[1]– waren in dem französischen Vorbild Versailles die topographischen Verhältnisse in keiner Weise für eine einigermaßen kontinuierliche Versorgung der Fontänen geeignet. Für den absolutistischen Herrscher,  der nicht nur seine Untertanen und Europa beherrschen  wollte, sondern auch die Natur, war das eine Herkules- Aufgabe, an der er aber trotz grandioser und geradezu pharaonischer Bemühungen ebenso grandios scheiterte.  Wenn Ludwig XIV. durch seinen geliebten Park wandelte und sich an den sprudelnden Brunnen und emporsteigenden Fontänen erfreuen wollte, wurde er von Brunnenmeistern begleitet, die die Anlagen vor ihm rechtzeitig in Betrieb nahmen und die Anlagen hinter ihm ausschalteten.  Darüber im zweiten und dritten Teil des Berichts mehr. 

Der zweite Teil ist im April 2019 in den Blog eingestellt worden: Die Fontänen von Versailles (2): Ausdruck absolutistischen Größenwahns

https://paris-blog.org/2019/04/01/die-fontaenen-von-versailles-2-ausdruck-absolutistischen-groessenwahns/ 

Im  dritten Teil wird es um die  gescheiterte Umleitung des Flusses Eure gehen, an die noch das grandiose Aquädukt von Maintenon erinnert. Den Abschluss wird dann die Maschine von Marly bilden, die grandiose Pumpstation an der Seine, die ebenfalls dazu dienen sollte, die Brunnen von Versailles mit Wasser zu versorgen. Dieser Teil  wird allerdings noch etwas auf sich warten lassen, weil ich darin auch das Museum von Marly einbeziehen möchte, das immer noch auf seine Neueröffnung wartet. (Stand April 2020; eigentlich war die Neueröffnung für Herbst 2019 angekündigt).  http://www.musee-promenade.fr/

Die Fontänen von Versailles: Verherrlichung des Sonnenkönigs und seiner Macht

„Das ganze riesige Gesamtkunstwerk von Versailles“ ist, wie Hans Sedlmayr erläutert hat, „einer einzigen übergreifenden Allegorie unterstellt. Versailles ist „der Ruheort der Sonne“, des Helios/Apollo, der hier  von seinen Taten ausruht. Und die Sonne ist nach der dem barocken Menschen durchaus geläufigen Devise ‚Quod sol in coelis id rex in terra‘  (Was die Sonne im Himmel ist, ist der König auf der Erde. W.J.) allegorisches Sinnbild des Königs, hier in Versailles ganz konkret  des „roi-soleil“ ,  des Sonnenkönigs.[2] Diese allegorische Verbindung von Sonne und König ist nicht erst in Versailles allgegenwärtig, sondern prägte von früh an das Leben des jungen Königs.

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Ein schönes Beispiel dafür ist das „Ballet de la  nuit“ von 1653, in dem der  Auftritt  des tanzbegeisterten jungen Louis von seinem Bruder so angekündigt wurde:

Le Soleil qui me suit c’est le jeune Louis.

La troupe des astres s’enfuit,

Dès que ce grand Roi s’avance. 

Und die Rolle, die der junge Ludwig XIV. hier spielte, war -wie hätte es auch anders sein können-  die des Sonnengottes Apoll.[3]

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Im Schloss von Versailles war denn auch der Salon des Apoll der eigentliche Thronsaal, dessen großartige Ausstattung die der anderen Salons noch übertraf. Kostbare Marmorstatuen und Gemälde von Rubens und van Dyck schmückten den Salon. Und auf einem silbernen Thron empfing Ludwig XIV. dort ausländische Botschafter oder nahm zu feierlichen Anlässen Platz. (3a)

Natürlich ist Apoll auch im Park des Schlosses allgegenwärtig. Eine Nachbildung des berühmten Apoll von Belvedere hat natürlich einen Ehrenplatz vor der dem Park zugewandten Seite des Schlosses unterhalb des Spiegelsaals. Die  „göttliche Schönheit“ dieses Apoll war für Winckelmann „das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums“.[6]Das war dem „Sonnenkönig“ angemessen.

Im Park beziehen sich zahlreiche Brunnen auf Apoll und dienen der Verherrlichung des Sonnengottes und damit auch des Sonnenkönigs. Es sind dies vor allem der zentrale Apollo-Brunnen und die aus der Thetis-Grotte hervorgegangenen Bäder des Apoll. In ihnen wird der seinen täglichen Lauf um die Erde beginnende und sich schließlich am Abend ausruhende Apoll thematisiert.

Hier ein Link zum offiziellen Plan des Parks:

http://www.chateauversailles.fr/sites/default/files/domaine_2011.pdf

Den Plan gibt es in aktueller Form auch kostenlos  im Tourismusbüro der Stadt Versailles. Es liegt auf der linken Seite der Avenue de Paris, die direkt auf das Schloss hinführt.

Die bei den nachfolgenden Darstellungen genannten Nummern beziehen sich auf diesen Plan.

a. Der Apollo-Brunnen

Es ist nur konsequent, dass sich im Zentrum der gesamten Parkanlage der Apollo-Brunnen befindet.  (Plan des Parks Nummer 9). Er liegt genau auf der durch die  „königliche Allee“ betonten  Achse zwischen dem Zentrum des Schlosses und dem  Großen Kanal (Grand Canal).  Zentrum des Schlosses ist auf der Gartenseite der  Spiegelsaal, aus dem heraus das nachfolgende Foto aufgenommen ist.[4]

Versailles Blick aus Spiegelsaal Febr. 10 (52)

Zur Zeit Ludwigs XIII. gab es hier schon ein Wasserbecken, das aber unter dem Sonnenkönig zu einer repräsentativen Anlage umgestaltet wurde: Geschmückt mit den vergoldeten Figuren des Apoll auf seinem Wagen.

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Die Verklärung  des Königs erreicht hier ihren Höhepunkt. Der Sonnengott Apoll  ist gerade dabei, sich dem Schloss von Westen  triumphal zu nähern und zu seiner täglichen Weltumrundung aus dem Wasser zu steigen, womit auch der Anspruch auf Weltherrschaft allegorisch ausgedrückt sein könnte.[5] Und natürlich wird das Ganze durch eine Fülle spektakulärer Fontänen effektvoll  in Szene gesetzt.

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 b. Les Bains- d’Apollon

Kaum weniger spektakulär ist der bosquet des Bains-d’Apollon (Plan des Parks Nummer 21). Auch sein Zentrum ist Apollo.  Nach seinem Lauf um die Welt ruht der  Sonnengott in der Grotte der schönen Thetis und wird von  ihren fünf Nymphen verwöhnt.

Ursprünglich hatte die Figurengruppe ihren  Platz in der  auf der Nordseite  des Schlosses gelegenen Thetis-Grotte, während in den Seitenteilen Skulpturen der Sonnenpferde des Apoll platziert waren. (7)

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Das Äußere der Thetis-Grotte nahm –passend zu dem siegreichen Apoll und dem  siegreichen Sonnenkönig-  das Motiv der römischen Triumphbögen auf, gleichzeitig hatte das Bauwerk eine ganz praktische Funktion: Auf seinem Dach war nämlich ein Wasserreservoir für Schloss und Park installiert.  (Darüber im zweiten Teil dieses Beitrags mehr).  Die Thetis-Grotte musste allerdings der Erweiterung des Schlosses weichen, und 1781 erhielten Apoll und seine Sonnenpferde den heutigen Platz in dem von Hubert Robert gestalteten  Bosquet des Bains-d’Apollon.[8]

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                        Fotos: Wolf Jöckel, aufgenommen anlässlich der grands eaux musicales, während derer die bains d’Apollon zu besichtigen sind.

Robert, der eigentlich im „Hauptberuf“ Maler war, fertigte auch gleich ein Gemälde des von ihm entworfenen bosquets an, das heute im musée Carnavalet zu sehen ist.

hubert Bosquet Apollo

Die restaurierte Marmorplastik von Apoll und den Nymphen, die als Meisterwerk des Parks von Versailles gilt, war 2010 Höhepunkt einer Ausstellung im Schloss von Versailles, wird seitdem aber wieder in einem Depot gehütet.[9] Die Plastik im Park ist eine  Kopie.

Versailles L XIV Thetis Grotte

Charles Perrault, der Märchensammler und Inspirator des –nicht mehr existierenden- Labyrinths im Park von Versailles, schrieb zu dem von Ludwig XIV. selbst angeordneten Bau der Thetis-Grotte:

„Lorsque le roi eut ordonné qu’on battit la grotte de Versailles, je songeai que, Sa Majesté ayant pris le soleil pour sa  devise, (…) il seroit bon de mettre Apollon qui  va se coucher chez Thétis après avoir fait le tour de la terre, pour représenter que le Roi vient se reposer à Versailles après avoir travaillé à faire le bien du monde.“[10]

Auch diese Beschreibung ist natürlich Teil der Verklärung des Sonnenkönigs und ein ideologisches Produkt par excellence. Denn gerade aus deutscher Sicht wird man kaum zustimmen können, dass Ludwig XIV. für das  „Wohl der Welt“ gearbeitet habe. Seine Politik der verbrannten Erde in der Pfalz beispielsweise spricht da eine andere Sprache. Die Truppen des Sonnenkönigs hinterließen dort eine Spur der Verwüstung. Mainz, Mannheim, Worms, Speyer  und viele andere Städte wurden zerstört, das Schloss von Heidelberg, ein Juwel der Renaissance-Baukunst, gesprengt und  wie viele der linksrheinischen Burgen, die auch dieses Schicksal erlitten, zu einer –heute als romantisch verklärten-  Ruine gemacht.  Die Zerstörungswut  des Sonnenkönigs machte auch vor den Kaiserdomen nicht halt: Ihre  Kaisergräber wurden geschändet, der Dom von Speyer (mit glücklicherweise nur teilweisem „Erfolg“)  gesprengt, der Wormser Dom in Brand gesteckt und völlig verwüstet.  Der zeitgenössische Chronist Johann Friedrich Seidenbender verwünschte den Urheber dieses Unglücks, Ludwig XIV.,  als „den allerbarbarischsten Unmenschen, grausamsten Wüterich und Mordbrenner, der jemals gelebt haben mag oder noch ins Leben wird kommen können“.[11]

Aber eine düstere Kehrseite der glänzenden Medaille gibt es ja nicht nur beim Sonnenkönig, sondern auch bei seinem Sinnbild, dem Sonnengott Apoll, wie man aus der griechischen  Mythologie weiß: Dort wird nämlich berichtet, dass der Satyr Marsyas die Doppelflöte (Aulos) der Athena findet, die diese weggeworfen hatte, weil sie beim Spiel ihr schönes Gesicht entstellen würde. (Der griechische Bildhauer Phidias hat diese Szene in einer Plastik gestaltet, die nicht erhalten ist. Es gibt aber eine wunderschöne römische Kopie der Athena, die gerade  die Flöte weggeworfen hat,  in der Skulpturensammlung des Liebieg-Hauses in Frankfurt.)

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Marsyas bringt es zu einiger Meisterschaft im Flötenspiel und fordert im Übermut den die Laute (Kithara) spielenden Apoll  zu einem Wettkampf heraus.  Zunächst geht er daraus als Sieger hervor, aber dann gewinnt doch noch Apoll, als er zu seinem Spiel auch noch singt. Zur Strafe verfügt Apoll,  dass Marsyas bei lebendigem Leib gehäutet wird.

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Ovid beschreibt  in seinen Metarmorphoseni in aller Drastik, was dem Satyrn widerfahren ist, „der, auf tritonischem Rohr (also der Doppelflöte W.J.) dem Spross  der Latona (also Apoll) erlegen, Züchtigung litt.“[12]

„Warum entziehst du mich“, schrie er „mir selber?

Ach, mich gereut’s. Soviel ist ja nicht an der Flöte  gelegen.“

Während er schreit, ist die Haut ihm über die Glieder gezogen.

Wunden bedecken ihn ganz, und das Blut strömt über und über.

Offen und bloß sind die Nerven zu sehn; die zuckenden Adern

Schlagen, der Hülle beraubt, und die wallend bewegten Geweide

Konnte man  zählen genau und der Brust durchscheinende Fasern.

Tränen vergossen des Hains Gottheiten, die ländlichen Faune,

Satyrn, die Brüder, um ihn und der schon ruhmreiche Olympos

Samt dem Nymphengeschlecht, und wer nur dort im Gebirge

Weidete wolliges Vieh und hörnergewaffnete Rinder.

Aber die Reue des Marsyas, den Sonnengott herausgefordert zu haben, und auch die Tränen der Nymphen können Apoll nicht erweichen; ebenso wenig wie  die ja doch wohl etwas  unlauteren Umstände seines Siegs sein grausames Rachebedürfnis mildern können.  Das passt zwar wenig zu einem „Gott der sittlichen Reinheit und  Mäßigung“[13], aber auch das ist Apoll! Und auch insofern  passen  Ludwig XIV. und Apoll gut zusammen.

 

Brunnen als Machtdemonstration und als Warnung

Der in Versailles abgebildete Apoll ist natürlich der schöne Jüngling von Belvedere, der Gott des Lichts, der morgens  zum Lauf um die Welt  aufbricht und abends im Kreis ihn umsorgender Nymphen von dem Guten, das er –nach Perrault- der Welt getan, ausruht. Auch wenn es im Park keine  Statue des gehäuteten Marsyas gibt: Der Besucher sollte wissen, dass Apoll auch eine andere Seite hat. Und es gibt dementsprechend  Brunnen, die zeigen, was Widersachern des Apoll/des Sonnenkönigs  widerfährt, die also als Machtdemonstration und als Warnung dienen.

a. Der Brunnen der Latona

Das prominenteste Beispiel dafür ist  der  wunderbare  Brunnen der Latona, der auf der zentralen Achse zwischen Schloss und Grand Canal liegt (Plan Nummer 10).  Bezogen auf die  Konzeption des Parks ist er also das Pendant zum Apollo-Brunnen und kaum weniger spektakulär gestaltet.

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Der Brunnen veranschaulicht die in den Metamorphosen des Ovid wiedergegebene Legende der Göttin Latona, die, wie wir schon in der Marsyas-Geschichte  erfahren haben, die Mutter des Apoll ist.[14]   Latona/Leto war eine Geliebte des Zeus, der mit ihr Zwillinge zeugte. Sie wurde deshalb von Hera,  der eifersüchtigen Gattin des Zeus/Jupiter, auf eine Insel verbannt, wo sie die Zwillinge gebären musste. Mit den Neugeborenen  flüchtet sie nach Lykien, wo sie  völlig erschöpft die fremde Umgebung erkundet. Dabei trifft sie an einem kleinen See auf Bauern, die Binsen und Schilf sammeln. Wegen der Sommerhitze dem Verdursten nahe, bittet Latona für sich und ihre Kinder höflich und mit vielen guten Gründen um Wasser. Doch nicht nur, dass die Bauern Latona verbieten zu trinken, sie wirbeln sogar den Schlamm vom Grunde des Sees auf, um das Wasser untrinkbar zu machen. Daraufhin bittet sie Jupiter, sie zu rächen, was denn auch geschieht: Er verwandelt die lykischen Bauern in Frösche und Eidechsen, und genau dieser Prozess der Verwandlung ist in der Brunnenanlage gestaltet.

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Einige der Figuren sind noch eher Menschen, andere schon eher Frösche.

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Die meisten Brunnenfiguren sind aber schon zu Amphibien verwandelt: in Frösche, Schildkröten und Alligatoren.

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Die unmenschlich handelnden Bauern müssen von nun an immer als Tiere im schlammigen Wasser leben (auf Schildern am Brunnenrand wird ausdrücklich davor vor der Wasserqualität gewarnt), während sich Latona mit ihren Zwillingen in der Fontäne an  reichlich  (frischem) Wasser erfreuen kann.[15]

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                                                                Fotos: Wolf Jöckel

b. Le Bassin du dragon/das Drachen-Bassin

In engem mythologischen Zusammenhang mit dem Latona-Brunnen steht  der Drachenbrunnen (Plan des Parks Nummer 26).  Der Brunnen zeigt die Schlange/den Drachen Python, die gerade von einem Pfeil des jungen Apoll  getroffen wurde.

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Python sollte im Auftrag der  Göttin Hera/Juno die Geburt der Zwillinge Apoll und Diana/Artemis verhindern. Weil sie gegenüber den zahlreichen Abenteuern ihres Mannes machtlos  war, wollte sie eben seine Geliebte treffen.  Apoll tötet aber den Drachen und damit die Mächte des Bösen.  Wie wichtig dem Sonnenkönig  dieser Brunnen war, zeigen  seine Lage am Ende der parallel zum Schloss verlaufenden Nord-Süd-Achse und die Höhe der Fontäne: Mit 27 Metern ist sie die höchste aller Fontainen im Park von Versailles. [16] Ludwig XIV. zeigt hier mit großer Drastik, was denen widerfährt, die ihm schaden wollten  oder wollen: Die Zeitgenossen verstanden das offenbar als deutlichen Hinweis auf den Sieg des jungen Königs über die gegen ihn rebellierende Fronde.[17]

 c. Le bosquet de l’encelade

Dieses Boskett (im Plan des Parks die Nummer 10) geht zurück auf einen Entwurf von Ludwig XIV. selbst, während die Ausführung  dem Gartenarchitekten Le Nôtre übertragen wurde. Dass der Sonnenkönig das Schicksal des Giganten  Enceladus zum Thema einer Brunnenanlage macht, ist natürlich eine sehr bewusste Entscheidung. Enceladus gehörte nämlich zu einer Gruppe von Giganten, die nach der Überlieferung der griechischen Mythologie versuchten, den Olymp zu stürmen und die Herrschaft der Götter zu beseitigen.

Dieses Unternehmen  scheitert allerdings, die Giganten werden getötet. Enceladus kann zwar entkommen, wird aber unter einem Steinehagel begraben, den die Göttin Athena auf ihn schleudert. Im Park von Versailles sieht man ihn schreiend vor Schmerzen, die eine Hand krampfhaft geöffnet, in der anderen hält er noch einen Stein, den er wohl mit letzter Kraft zurückwerfen möchte. Aber gegen die  Macht der Götter kann er nichts ausrichten und so ist er dem Untergang geweiht.

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Offenbar handelt es sich auch  hier  nach dem Willen des Sonnenkönigs um eine allegorische Darstellung, die auf seinen Sieg gegen die Fronde anspielt. Wie wichtig Ludwig XIV. auch  diese Brunnenanlage war, zeigt sich wieder an der Höhe  ihrer Fontäne:  Mit 78 Fuß/25,75 Metern ist sie nach der des Drachenbrunnens die zweithöchste des Parks von Versailles. Die beiden Fontänen sind also gewissermaßen zwei unübersehbare Ausrufungszeichen und Warnsignale: Ein Aufbegehren gegen göttliche Autorität und entsprechend auch gegen die des Sonnenkönigs wird mit aller Härte bestraft.[18]

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d. Bosquet de l’arc de triomphe oder Bosquet de la France Triomphante

Diese  Brunnenanlage hat zwar keinen Bezug zu Apoll und auch keinen anderen mythologischen Hintergrund, verherrlicht dafür aber ganz direkt den Sonnenkönig und seinen militärischen Ruhm. Der Name des Bosketts, im Plan des Parks die Nummer 30, bezieht sich auf einen Triumphbogen, den es hier zu Zeiten Ludwigs XIV. gab. Von der damaligen Anlage ist nur noch ein Brunnen  erhalten, dessen Mittel- und Höhepunkt die Personifizierung des über seine Feinde triumphierenden Frankreich bildet. Deshalb wird der Bosquet auch  Bosquet de la France Triomphante genannt. [19]

Download la France Triomphante

Gefeiert werden hier im Park noch einmal die Siege Ludwigs XIV. über Spanien und das Reich/Habsburg, die ja schon an der Grille d’honneur, rechts und linkes des Eingang in den Ehrenhof  des Schlosses, in Stein gemeißelt sind.[20]

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Die  Besiegten unterhalb des triumphierenden Frankreich  sind durch ihre Attribute, Löwe und Adler,  als Spanien und das Reich/Österreich bezeichnet.[21]

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Sie erinnern an die Gestalten der vier  besiegten  und gefangenen Feinde – Holland, Brandenburg, das Reich und Spanien- vom Fuß des Standbilds Ludwigs XIV. auf der Place des Victoires in Paris, die sich heute im Louvre befinden.[22]

Auf der untersten Stufe des Brunnens liegt  hinter einem Vorhang aus Wasser ein hingestrecktes, mehrköpfiges Ungeheuer, das gewissermaßen kurz davor ist, vom Wagen des triumphierenden Frankreich zermalmt zu werden. Es ereilt damit  –so die Botschaft der Anlage- das Schicksal aller Feinde des triumphierenden Sonnekönigs.

Weitere Fontänen in den Bosquets

Natürlich gibt es noch viele andere und ganz vielfältige Fontänen im Schlosspark  von Versailles. Es lohnt sich also, in Ruhe herumzugehen und das Gesamtkunstwerk dieses Parks zu betrachten und zu genießen.

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Versailles 010

Fotos: Wolf Jöckel

Dabei sollte man auch die Anlagen beachten, die neu gestaltet sind – der Park von Versailles soll sich ja –wenn auch sehr behutsam- der neuen Zeit öffnen.  Zwei schöne Beispiele für neu  gestaltete Brunnenanlagen sind das Bassin du Miroir (Plan Nummer 15)  mit seinen computergesteuerten Fontänen….

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… und le bosquet de théâtre d’eau, ein spektakuläres Wassertheater, das Ludwig XIV. besonders liebte, das aber solche hydraulischen Anforderungen stellte, dass es unter seinen Nachfolgern wesentlich zurückgestutzt  und als  eher unscheinbarer bosquet du Rond-Vert weiterbetrieben wurde.  2014 wurde er in neuer Form und mit dem alten  Namen wiedereröffnet. (Plan Nr. 42)

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Grands Eaux musicales und Grands Eaux nocturnes

Bewundern kann man die Fontänen bei den Grands Eaux musicales. Hier der Ausschnitt eines Werbeplakats – natürlich mit einem Motiv des Apollo-Brunnens.

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An den entsprechenden Tagen sind  einige Stunden lang die Brunnen und Fontänen in Betrieb und einige der sonst geschlossenen Bosquets sind geöffnet. Dazu gibt es aus Lautsprechern  Musik „des plus grands compositeurs baroques, de Lully à Charpentier ou Rameau“, wie es passend zu Versailles auf der offiziellen Website heißt.

Den krönenden Abschluss der grands eaux bilden (allerdings nicht dienstags)  die Fontänen des Neptun-Brunnens. Sie werden um 17.20 Uhr 10 Minuten lang in Betrieb genommen.

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Die Besucher haben also, wenn die anderen Fontänen um 17 Uhr enden, genügend Zeit, zum Neptun-Brunnen zu gehen und  dort gewissermaßen wie in einem Amphitheater erwartungsvoll  auf das zehnminütige grandiose Schaupiel zu warten.

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Es lohnt sich ganz bestimmt!

An Samstag-Abenden im Sommer werden zusätzlich die grands eaux nocturnes veranstaltet.

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Da sind die Fontänen oft farbig illuminiert und den Abschluss bildet ein Feuerwerk über dem Grand Canal hinter dem angestrahlten Apollo-Brunnen.[23]

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Wir haben das einmal miterlebt, aber das hat uns auch gereicht, während die grands eaux musicales immer wieder ein Erlebnis sind.

 

 Praktische Informationen:

Die grands eaux musicales  finden im Allgemeinen zwischen April und Oktober statt. Die genauen Daten (an Wochenenden und Feiertagen, z.T. auch dienstags),  Öffnungszeiten (i.A. 11-12 und 15.30 bis 17 Uhr)  und Eintrittspreise (2017: 9,50 Euro) findet man unter:

http://www.chateauversailles-spectacles.fr/les-grandes-eaux-musicales

Eine Vorbestellung von Eintrittskarten ist nicht unbedingt notwendig, weil  für die grands  eaux spezielle Kassen eingerichtet werden, so dass man sich nicht  in die Schlangen der Schlossbesucher einreihen muss.

Sehr empfehlenswert ist es allerdings, wenn man mit Metro/RER aus  Paris kommt (RER C Paris – Versailles Château  Rive Gauche), schon gleich zwei Tickets pro Person zu kaufen. So vermeidet man bei der Rückfahrt die oft langen Warteschlangen vor den Kassenautomaten bzw. Schaltern im Bahnhof von Versailles.

Wenn man übrigens zum Bassin de Miroir oder zum Bosquet du Théâtre d’Eau kommt, muss man nicht enttäuscht sein, wenn die Fontänen nicht in Betrieb sind: Sie werden während der Öffnungszeiten alle 10 bzw.  15 Minuten für kurze Zeit aktiviert.

Weitere Beiträge mit Bezug zu Ludwig XIV.:

Anmerkungen:

[1] http://www.n-tv.de/panorama/Kassel-will-Welterbe-sein-article596745.html

[2] Hans Sedlmayr: Allegorie und Architektur. In: Martin Warnke (Hrsg.): Politische Architektur in Europa vom Mittelalter bis heute. Repräsentation und Gemeinschaft. Köln: DuMont 1984. S. 157-174

Wiedergeben bei: http://www.thomasgransow.de/Paris/Versailles.htm

[3] Zitat und Bild aus: http://plume-dhistoire.fr/louis-xiv-et-la-danse-expression-du-regne/

(3a) Jacques Levron, La cour de Versailles aux XVIIe et XVIIIe siècles. Paris: Hachette 1999, S. 40

[4] Der Baulehre entsprechend müsste im Zentrum des Schlosses auf der stilleren Parkseite eigentlich das Schlafzimmer des Königs liegen. In Versailles befindet es sich aber zwar ebenfalls im Zentrum, aber auf der Hofseite. Es muss, wie Sedlmayr a.a.O. erläutert, wie die Apsis einer christlichen Kirche nach Osten ausgerichtet sein. „um die Beziehung zur aufgehenden Sonne architektonisch darzustellen.“

[5] Siehe: Uwe Schultz, Der Herrscher von Versailles: Ludwig XIV. und seine Zeit. München: C.H.Beck,  S. 197

[6] Siehe den Artikel über Winckelmann als Begründer der Klassischen Archeologie in Monumente 8/2017, S. 8ff. Am Rande sei außerdem vermerkt, dass es –man kann schon sagen: natürlich- auch mehrere Apollo-Statuen in Versailles gibt, darunter zwei Nachbildungen des Apoll von Belvedere. Siehe: https://andrelenotre.com/statues-dapollon-jardins-de-versailles/

[7] http://www.louvre.fr/oeuvre-notices/les-chevaux-d-apollon-panses-par-les-tritons

[8] http://www.chateauversailles.fr/decouvrir/domaine/jardins/bosquets#bosquets-nord

Über Robert siehe: http://www.tagesspiegel.de/kultur/retrospektive-von-hubert-robert-im-louvre-sehen-und-traeumen/13566056.html

[9] Ein Video über die Restaurierung: https://www.youtube.com/watch?v=0sYBH3RZ0L8

[10] https://andrelenotre.com/10062-2/

[11] Zit in Jan von Flocken, Als Frankreichs Armeen Deutschland verwüsteten. Die Welt, 24.7.2015 https://www.welt.de/geschichte/article144374056/Als-Frankreichs-Armeen-Deutschland-verwuesteten.html

[12] Ovid, Metamorphosen, 382-400  http://www.gottwein.de/Lat/ov/met06de.php

[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Apollon

[14] http://www.gottwein.de/Lat/ov/met06de.php

[15] https://de.wikipedia.org/wiki/Lykische_Bauern

http://www.chateauversailles.fr/decouvrir/domaine/jardins/bassins-fontaines#le-bassin-de-latone

[16] http://www.chateauversailles.fr/decouvrir/domaine/jardins/bassins-fontaines#le-bassin-du-dragon

http://www.lankaart.org/article-versailles-bassin-du-dragon-86685949.html

[17] http://720plan.ovh.net/~jardinsd/Statues/Dragon/Pages/Dragon-00.htm

[18] https://fr.wikipedia.org/wiki/Bosquet_de_l%27Encelade

https://andrelenotre.com/bosquet-de-lencelade-jardins-de-versailles/

[19] Bild aus: http://ghislaine-photos.com/blog/2014/09/10/2014-02-versailles

[20] http://www.sculpturesversailles.fr/html/5b/selection/page_notice-ok.php?Ident=E&myPos=1&idEns=1576

https://fr.wikipedia.org/wiki/Grille_d%27honneur_(Versailles)

[21] Bild aus: http://www.chateauversailles.fr/decouvrir/domaine/jardins/bosquets#bosquets-sud

[22] http://www.louvre.fr/oeuvre-notices/quatre-captifs-dits-aussi-quatre-nations-vaincues-l-espagne-l-empire-le-brandebourg-e

[23] http://www.chateauversailles-spectacles.fr/les-grandes-eaux-nocturnes

Bei dem Bild handelt es sich um ein Werbeplakat für die Veranstaltung

Sommer in Paris: Schwimmen im Bassin de la Villette, in der Marne und auf/in der Seine (2017, ergänzt 2023)

Paris im Sommer ist nicht jedermanns Sache: Es ist oft  heiß, manchmal auch drückend heiß und stickig, mit entsprechenden ungesunden Begleiterscheinungen: hohen Ozon- und Feinstaub-Werten; das wirtschaftliche und kulturelle Leben verläuft auf Sparflamme. Oper und Theater machen Sommerpause.  Bei vielen Geschäften sind die Rollgitter heruntergezogen und ein Schild informiert über die –meist mehrwöchige- Dauer des „congé annuelle“.  Wer es sich leisten kann, fährt in Urlaub, viele Pariser  in das  Sommerhaus auf dem Land oder am Meer.

Für die zu Hause Gebliebenen und die Touristen gibt es immerhin ein spezielles Sommerprogramm mit vielen kulturellen Angeboten zum; Beispiel musikalischen Festivals wie dem Jazz-Festival im Parc Floral in Vincennes, gefolgt von dem Festival Classique Au Vert am gleichen Ort, dem Jazz-Festival auf der Esplanade de La Défense, dem Festival Rock  en Seine in der Domaine National du Parc de Saint-Cloud, dem Festival Chopin im Park La Bagatelle und, und, und…. Besonders schön ist, dass hochkarätige Gruppen, die zu sehen bzw. zu hören im Allgemeinen einiges Geld kostet,  teilweise auch kostenlos in Pariser Parks auftreten; beispielsweise im Jardin du Luxembourg  oder im Parc de Belleville im 20. Arrondissement, den wir besonders lieben, weil man von dort aus einen wunderbaren Blick über Paris hat. Man kann sich eigentlich jeden Tag aussuchen, worauf man Lust hat.  Und dann gibt es ja auch noch Paris-Plages!  Zentrum dieser schon traditionellen Einrichtung waren die beiden für die Zeit dieser Veranstaltung für den Autoverkehr gesperrten Stadtautobahnen nördlich und südlich der Seine.

Mit Hilfe von 3000 Tonnen Sand erhielten sie ein entsprechendes Strand-Ambiente mit Liegen, Sonnenschirmen, Bars und Freizeitangeboten. Inzwischen sind die beiden  Schnellstraßen dauerhaft geschlossen, was die Außergewöhnlichkeit von Paris-Plages an diesen Stellen etwas mindert.  Und, „grand choc!“, den Sand gibt es nicht mehr. Aber in gewissser Weise herrscht jetzt während der gesamten schönen Jahreszeit etwas Paris-Plage-Atmosphäre. [1]

Paris Plages August 2012 und Baustelle Voie Pompidou 007

Er  ist  in Verruf geraten, weil er von der Firma Lafargue  geliefert wurde, von der man inzwischen weiß, dass sie dem IS Schutzgelder bezahlte, um ihr in dessen Aktionsradius liegendes syrisches Zementwerke ungestört weiterbetreiben zu können. Die Pariser Stadtverwaltung hat daraufhin die Zusammenarbeit mit  LafargueHolzim, dem „leader mondial du matériel de construction“, abgebrochen. Das Fass zum Überlaufen brachte, dass  dieser weltgrößte Zementproduzent auch noch mit einer Beteiligung an dem Mauerbauprojekt Trumps liebäugelte.[2]

Und es gibt noch einen speziellen neuen Paris-Plage-Standort, nämlich das Bassin de la Villette.

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Schwimmen im Bassin de la Villette

Dort wurde nämlich als absolute Neuheit für Paris-Plages 2017 ein Schwimmbad installiert, das La Baignade,  das vom 15. Juli bis zum 15. September täglich von 11 bis 21 Uhr geöffnet ist.  (2a)

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Jedenfalls soll das so sein, wenn nicht….  Zwar wurden nämlich, wie der Pariser Sportbürgermeister Jean-Francois Martins beteuerte, die Grenzwerte für die bakterielle Belastung des Bassins seit zwei Jahren eingehalten, aber dann musste es doch nach einigen Tagen schon wieder  für den Badebetrieb geschlossen werden…. (Le Parisien, 25.7.) Aber das war immerhin nur vorübergehend und soll, falls es nicht erneut starke Regenfälle gibt, auch so bleiben. Und es soll wohl auch eine Dauereinrichtung für die Sommerzeit der nächsten Jahre werden.

DSC00105 Baignade La Villette August 2017 (6)

Insgesamt hat das Schwimmbecken eine Länge von 100 Metern und ist dreigeteilt je nach Tiefe: Ein Planschbecken von 40 cm Tiefe (siehe Foto), ein weiteres von 1,20 Metern Tiefe und für die Schwimmer gibt es ein 50-Meter-Becken, das  2 Meter tief ist und das  selbst bei schönstem Wetter eher mäßig frequentiert ist.

DSC00105 Baignade La Villette August 2017 (11)

Bei schönem Wetter ist allerdings der Andrang der Schwimmbadgäste groß, da muss man eventuell am Eingang etwas warten, weil eine Gesamtzahl von jeweils 500 Besuchern nicht überschritten werden soll.

DSC00627 Baignade Bassin de la Villette (1)

Dafür wird es abends ruhig, allerdings kann es dann passieren, dass man nicht mehr eingelassen  wird, wenn die Gesamtzahl der Besucher an diesem Tag schon die 2000 erreicht hat. Wenn man aber schon drinnen ist, kann es sein, dass man das große Schwimmbecken ganz  für sich alleine hat….

Es gibt am Rand Duschen, Umkleidekabinen und Toiletten. Und wenn man Glück hat, findet man auch noch einen freien Liegestuhl.

DSC00105 Baignade La Villette August 2017 (8)

Insgesamt eine echte Bereicherung des Bade-Angebots der Stadt Paris – und das auch noch kostenlos.

Zum Abschluss von Paris Plages am 3. September 2017 gibt es übrigens noch einmal eine größere Schwimmveranstaltung im Bassin de la Villlette: La fluctuat – eine Anspielung an den Wappenspruch von Paris: Fluctuat nec mergitur. Leider sind wir an diesem Tag nicht in Paris, sonst hätte ich an dem für jedermann offenen Rundkurs über 1,25 km sicherlich teilgenommen.

DSC00468 Bassin de la Villette La Fluctuat (2)

An diesem Ort zu baden bzw. zu schwimmen, hat für mich einen besonderen Reiz, denn man befindet sich hier an einem historisch ganz herausragenden Ort: Das Bassin de la Villette geht immerhin zurück auf Napoleon Bonaparte, der am 28. Mai 1802 folgendes Gesetz proklamierte:

«Il sera ouvert un canal de dérivation de la rivière d’Ourcq ; elle sera amenée à Paris, à un bassin près de la Villette.[…]»  (Es wird ein Kanal eröffnet, der Wasser vom Fluss Ourcq abzweigt und Paris zuführt, in ein Bassin bei La Villette.)[3]  Im Invalidendom, der Grabstätte Napoleons, wird der Kanal ausdrücklich unter den Infrastrukturmaßnahmen aufgeführt, die initiiert zu haben sich Napoleon gerühmt hat.[4] Für den Bau des Kanals benötigte man natürlich eine große Zahl von Arbeitskräften – und das ausgerechnet in Kriegszeiten.  Aber nach den Siegen von Austerlitz und Jena/Auerstedt über Österreicher und Preußen gab es ja genug Kriegsgefangene.[5]  Insofern  ist das Bassin de la Villette gewissermaßen ein deutsch-französisches Gemeinschaftswerk der besonderen Art….

Ziel des Kanalbaus war eine Verbesserung der (Trink-)Wasserversorgung der Stadt. Das 700 mal 70 Meter große und zwei Meter tiefe Bassin diente also als Frischwasserreservoir für die Bevölkerung von Paris. Am 2. Dezember 1808 wurde das Bassin eingeweiht „und galt bald  als kleines Venedig von Paris.“[5] Seine mit Alleen  geschmückten  Ufer wurden zu einem bevorzugten Ort der Pariser zum Spazierengehen und zum Ausgehen: In der Umgebung eröffneten einige Guinguettes, also Landgasthöfe, in denen man preiswerten Wein trinken konnte. Denn das Bassin lag bis 1860 außerhalb der Zollmauern von Paris, an denen für die nach Paris eingeführten Grundnahrungsmittel wie Salz und – wir sind in Frankreich- natürlich auch Wein Zoll erhoben wurde.

Ein Rest dieser Paris umgebenden Zollmauer, der mur des fermiers généraux, ist die klassizistische Rotonde  de la Villette, an deren Achse das Bassin ausgerichtet wurde, wie der historische Stich zeigt. Von dieser bei den Parisern verhassten Zollmauer ist nur wenig erhalten. Ein Glück, dass immerhin die Rotonde de la Villette nicht dem Zorn der Bevölkerung und der Spitzhacke zum Opfer gefallen ist. Ihr Aussehen entspricht ja immerhin auch ganz und gar nicht dem, was man von einer Zollstation erwartet, sie bildet mit dem Bassin eine harmonische Einheit und ihr Schöpfer ist der Architekt Claude-Nicolas Ledoux, einer der herausragenden  und einflussreichsten Architekten seiner Zeit.[6]

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Im Zuge der Industriellen Revolution  entwickelte sich das über den Canal St. Martin und den Canal St. Denis an die Seine angeschlossene  Bassin de la Villette zu einem der größten Häfen Frankreichs.[7]

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Der Hafen von La Villette, aufgenommen zwischen 1905 und 1910. Aus einer Informationstafel am Zaun von La Baignade

Ein zweites großes Hafenbecken wurde gebaut, Lagerhallen entstanden, der große Schlachthof von La Villette versorgte die ständig zunehmende Pariser Bevölkerung mit Fleisch. An diese Vergangenheit erinnert heute nur noch wenig: Stattdessen ist das Bassin de la Villette wieder ein Ausflugsziel wie früher einmal: Die Rotonde ist nicht mehr Zollstation, sondern ein Bistro, eine der alten Lagerhallen ist ein Haus für Pop-Konzerte, unter den Baumreihen kann man Boule spielen, am Rand des Kanals picknicken, es gibt rechts und links des Bassins große Kinos, am oberen Rand –am Wasser gelegen- Restaurants…  Und jetzt kann man im Sommer sogar im Bassin schwimmen!

Praktische Informationen:

Métro Stationen Jaurès oder Stalingrad auf den Linien 2, 5 oder 7.   Das Schwimmbecken befindet sich Quai  de la Loire, auf der östlichen Seite des Bassin de la Villette.

 

Schwimmen in der Marne  

Eine –zumal zeitlich nicht auf einen Monat begrenzte- Alternative zum Bad im Bassin de la Villette ist die Marne. Die Marne war ja für bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein beliebter Badeort für Anwohner und Pariser Ausflügler. Auf den letzten 25 Kilometern der Marne bis zu ihrer Mündung in die Seine, also im Einzugsbereich von Paris, gab es bis 1970, als das Baden im Fluss verboten wurde, nicht weniger als 24 offizielle Badegelegenheiten. Das Strandbad in Gournay hieß sogar wegen seiner berühmten blau-weißen Badekabinen „Le Petit Deauville“ oder „Deauville parisien“- immerhin ist es Luftlinie nur 18 Kilometer von Notre Dame entfernt. (7a) Joinville mit seinem Bad war ein besonders beliebtes und sogar in einem populären Lied besungenes Ausflugsziel für die Pariser.  Eine Zeile des Liedes bezieht sich ausdrücklich auf die Schwimmer in der Marne:

„Et dans la Marn‘ y’a des baigneurs“[8]

Joinville Marne Okt 09 004

Auch das Plakat einer Ausstellung im Museum von Nogent-sur-Marne zeigt, wie populär das Baden in der Marne einmal gewesen war:

_tous_a_la_plage Musee Nogent-sur-Marne exp.2002 - Kopie

Offiziell ist das Baden in der Marne zwar immer noch verboten, es wird aber inzwischen geduldet. Das hängt damit zusammen, dass die Qualität des Wassers  sich seit 1970 deutlich verbessert hat und meistens gesundheitlich unbedenklich ist. Lediglich nach starken Regenfällen, wenn die Kanalisation überfordert ist,  sollte man für einige Tage  auf ein Bad im Fluss verzichten.[9]

Die Marne als Bademöglichkeit haben  wir gleich in unserem ersten Pariser Sommer eher durch Zufall entdeckt: Es war ein heißer Tag, wir lagen in einem Café bei der Bibliothèque  Nationale in einem Liegestuhl an der Seine und betrachteten die Schiffe, die vorüber fuhren. Darunter auch kleine Elektro-betriebene Boote  namens Voguéo, die in regelmäßigen Abständen anhielten und Passagiere mitnahmen. (Leider gibt es sie heute nicht mehr,  aber ihre Wiedereinführung wird wohl erwogen). Wohin sie fuhren, wussten wir nicht, aber wir waren neugierig und hatten Zeit. Also ins nächste Boot eingestiegen! Es fuhr die Seine aufwärts- vorbei an Kaianlagen, Betonmischern, Lagerhallen- dann kam die Mündung der Marne mit dem –auch wenig animierend aussehenden- chinesischen Handelszentrum Chinagora- viel Beton mit ein paar aufgesetzten und angeklebten Chinoiserien. Unser Boot fuhr nun in die Marne ein und hielt kurz vor einer Schleuse an: Maisons-Alfort, Endstation.

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Von dort aus gab –und gibt es noch- einen schönen Fußweg entlang der Marne, zum Teil auf Bohlen über dem Wasser angelegt. Und dort sahen wir am gegenüber liegenden Ufer auf ein paar betonierten Stufen, die ins Wasser führten, mehrere Leute in der Abendsonne liegen. Und ein Mann plantschte sogar im Wasser herum! Die Aufregung war groß, die Lust, es ihm nachzutun, riesig. Aber ohne Badezeug konnten wir nur neidisch zusehen und enttäuscht zurückfahren, allerdings mit dem festen Vorsatz, am nächsten Tag mit entsprechender Ausrüstung wiederzukommen. Was dann auch geschah. Auf den Betonstufen hatte es sich eine kleine Truppe von Rentnern gemütlich gemacht, die sich offenbar gut kannten. Einige unterhielten sich –möglicherweise wegen Schwerhörigkeit- ziemlich lautstark, einer las Zeitung, eine alte Dame –oben ohne- strickte, andere dösten in der Sonne. Wir wurden interessiert begutachtet und unsere Begrüßung wurde freundlich entgegengenommen. Nun gab es für uns kein Halten mehr: Ab ins Wasser!  Es dauerte nicht lange, bis einer der Männer aufstand, sich kerzengerade und demonstrativ auf einem ins Wasser ragenden Holzbrett aufbaute und mit dem Ruf „Et maintenant la France!“ kopfüber ins Wasser sprang.

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Damit waren wir in die Gemeinde der Marne-Rentner aufgenommen. Fast jeden Tag kamen wir nun zum Sonnen und Baden dorthin zurück gewöhnten uns auch an den allerdings durch eine hohe Lärmschutzmauer abgemilderten Verkehrslärm der parallel verlaufenden Autobahn nach Reims, Metz und Saarbrücken und gehörten nun, ohne dass viel geredet wurde, dazu- spätestens, als die immer strickende alte Dame es nicht mehr für nötig hielt, schnell ein Hemdchen überzuziehen, wenn wir kamen.

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Wir erfuhren allmählich auch, dass die Stufen zu dem ehemaligen Strandbad der Gemeinde Maisons-Alfort gehörten. Der Platz sei ideal, aufgrund der benachbarten Schleuse sei die Strömung gering, man könne hier nach Herzenslust baden und schwimmen. Inzwischen sei das Schwimmen in der Marne  wegen des Schiffsverkehrs und des (angeblich!) dreckigen Wassers verboten- ein entsprechendes großes Verbotsschild am Ufer hatten wir zunächst gar nicht bemerkt- aber sie würden hier seit ihrer Jugend baden und würden es auch weiter tun, selbst wenn ab und zu mal die „Flics“ kämen. Diese Erfahrung machten wir dann auch selbst nach einem Ausflug auf die andere Seite des Flusses: Heftige Ermahnungen: Schild! Gefahr! Nie wieder! Und dann der Trost unserer Schwimmfreunde: Wir sollten das nicht so ernst nehmen! Die tun ja nur ihre Pflicht! Ist uns auch schon passiert …

Inzwischen ist das Verbotsschild übrigens beseitigt worden, die Betonstufen wurden erneuert und mit einem Plastikbelag überzogen.  Die Marne wird ganz offensichtlich darauf vorbereitet, wieder offiziell autorisiertes Badegewässer zu werden. Risiken gibt es allerdings dennoch und weiter: Im letzten Jahr wurde ich einmal –mit Schwimmbrille stromaufwärts kraulend- von einem größeren, von hinten kommenden Frachtschiff fast „überfahren“. Im letzten Moment hörte ich dann doch die lauten Schreie von allen Seiten und kam mit dem Schrecken davon….

Zu erreichen ist das Strandbad an der Marne übrigens ganz einfach mit der Metro-Linie 8, Station École Vétérinaire de Maisons-Alfort. (Sortie Carrefour de la Résistance). Man passiert die Art-Déco- Kolonaden der früheren Destillerie Suze und ist dann in wenigen Schritten an der Marne, der Schleuse und der Fußgängerbrücke.

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Die überquert man und geht den Uferweg entlang bis zum (früheren) Strandbad.  Auf beiden Seiten des Flusses gibt es übrigens  Pontons zum Anlegen von kleinen Schiffen: Wenn die nicht schon belegt sind, kann man sie auch  nutzen: Zum Baden –zumal es hier einen bequemen Einstieg ins Wassser gibt…

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… und natürlich auch zum Picknick

Picknick an der Marne

Schade ist allerdings, dass die Autobahn A 4 direkt an der Marne und dem „Strandbad“ von Maison Alfort entlangführt. Aber dazwischen gibt es immerhin eine hohe Schallschutzmauer, so dass man den Verkehrslärm nur gedämpft wahrnimmt. Und außerdem dürfen wir uns schon gar nicht darüber beklagen. Immerhin ist das die Autobahn nach Deutschland, auf der wir ab und zu auch unterwegs sind.

Schwimmen auf/ in der Seine

Das Baden in der Seine hat eine lange Tradition, auch wenn es immer wieder Einschränkungen gab: Im 18. Jahrhundert ging es dabei um die Sittlichkeit: 1716 ordnete der prévot de Paris an, dass Baden in der Seine nur mit entsprechend  züchtiger Bekleidung erlaubt sei. 1783 wurde das freie Baden in der Seine „pour des raisons de décence“ ganz verboten. Im 19. Jahrhundert war es dann die  zunehmende Verschmutzung des Seine-Wassers, die das freie Baden in der Seine zum Problem machte. Eine Alternative war zunächst die Installation von „piscines flottantes“, die zumindest eine Begegnung mit den ärgsten auf der Seine treibenden Abfällen verhindern konnten:   1889 hatte ein Journalist einmal eine Liste entsprechender Fundstücke zusammengestellt:

«2.021 chiens, 977 chats, 2.257 rats, 507 poulets et canards, 3.066 kilogrammes d’abats de viande, 210 lapins ou lièvres, 10 moutons, 2 poulains, 66 cochons de lait, 5 porcs adultes, 27 oies, 27 dindons, 609 oiseaux divers, 3 renards, 2 veaux, 3 singes, 8 chèvres, 1 serpent, 2 écureuils, 3 porcs épics, 1 perroquet, 130 pigeons ou perdreaux, 3 hérissons, 2 paons, 1 phoque!!!». (9a)

Eine dieser schwimmenden Badeanstalten, in denen man eine unliebsame Begegnung mit solchen Treibgütern nicht fürchten musste, war die am noblen hôtel Lambert auf der Ile de Saint-Louis festgemachte „École de Natation de l’Hôtel Lambert“.

DSC02664 Baden in der Seine Damenbad Lambert

In einem Artikel aus der „Gazette des bains“ von 1845 werden die Vorzüge dieses Bades ausführlich beschrieben: Man könne hier nicht nur baden und von erprobten Meistern Schwimmunterricht erhalten; angeboten würden auch Erfrischungen und ausgesuchte  Speisen; und natürlich stehe  für die Damen, wenn sie das Wasser verlassen  hätten, eine Frisöse bereit, die auch über ein „dépôt de  parfumerie et de ganterie“ verfüge. Die Damen  könnten auch in Begleitung ihres Zimmermädchens kommen. Eine große Rolle spielt in diesem Artikel die Wasserqualität: Das Wasser der Seine habe hier eine hervorragende Qualität, die den Ansprüchen der Hygiene in vollstem Maße gerecht werde: „L’eau de la Seine jouit de ces précieuses qualités à un degré remarquable tant qu’elle n’a  pas reçu le tribut des immondices de la grande ville„. Und die werden danach aufgezählt:  die Abwässerkanäle der Stadt, die Schiffe der Waschfrauen, die Abwässer der Färbereien und der Krankenhäuser und vieles mehr. Das flussaufwärts festgemachte École  de Natation de l’Hôtel Lambert sei aber von alldem nicht betroffen und verfüge unbestreitbar über „la plus belle eau de Paris.“  (9b)

Die Wasserqualität der Seine verschlechterte sich allerdings so sehr,  dass  im gesamten Stadtgebiet das Baden in der Seine aus hygienischen Gründen immer problematischer wurde. 1931 empfahlen die Forscher des Laboratoriums von Val-de-Grâce nicht nur, möglichst mit geschlossenem Mund zu schwimmen und sich nach dem Bad gründlich mit sauberem Wasser zu waschen, sondern sie hielten auch eine Impfung gegen Typhus für angebracht. Kein Wunder also, dass 1923 das Baden im Fluss und in Badeschiffen verboten wurde. 1929 fanden allerdings noch offizielle Schwimmwettkämpfe in der Seine statt – ein nettes Beispiel für einen großzügigen Umgang mit Regeln, auch wenn man sie selbst aufgestellt hat.(9c)

DSC01301 Baden in der Seine 1928 29 (2)

Dass ein solches Verbot aber nur eine gesundheitlich erforderliche Notmaßnahme und nicht das letzte Wort sein kann, war auch allgemein klar.  Schon 1988 hatte Jacques Chirac, damals Bürgermeister von Paris, angekündigt, man werde in fünf Jahren in der Seine baden können: «Dans cinq ans, on pourra à nouveau se baigner dans la Seine. Et je serai le premier à le faire». Aber daraus wurde nichts, die Wasserqualität war nicht danach.[10] Im Juli 2012 durften im Rahmen des Pariser Triathlons 4500 Teilnehmer am Eiffelturm in die Seine springen, aber das blieb eine Ausnahme: Neben der nicht dauerhaft akzeptablen Wasserqualität war es vor allem die Beeinträchtigung des Schiffsverkehrs, die die zuständigen Behörden veranlassten, weitere Events dieser Art zu verbieten. (10a)

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Die Bemühungen der Association Swim Paris, die mythische „traversée de Paris à la nage“ wiederzubeleben, sind also bisher gescheitert: Geplant waren zwei Parcours zwischen dem Schwimmbad Joséphine Baker im 13. Arrondissements und dem Parc André-Citroën im 15. Arrondissement, wobei gegen eine Teilnehmergebühr jedermann zugelassen wäre.[11] Jetzt hat die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo versprochen, die 1,5 km Schwimmen des  Triatholon-Wettbewerbs  und das 10 km Freiwasserschwimmen der Olympischen Spiele 2024 würden in der Seine stattfinden,  und danach werde auch die Öffentlichkeit in der Seine baden können: „On pourra se baigner dans la Seine après 2024 […] Ce n’est pas une promesse, c’est vraiment un engagement“. Sie werde dann –wenn es ihr Gesundheitszustand erlaube- auch dabei sein; und wir –hoffentlich!- auch….[12]

Im März 2023 habe ich das folgende Plakat an einer Baustelle an  der Seine gefunden: „2024 wird man in der Seine baden können.“ … Man darf gespannt sein…

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Allerdings muss Paris bis zur Eröffnung  eines offiziellen und öffentlichen Schwimmbads in der Seine noch einiges tun, Le Monde spricht von einer wahren Herkules-Arbeit. [13] Die  Kanalisation muss modernisiert werden, die bei heftigem Regen immer noch überläuft und Schmutz in die Seine spült, ebenso die Kläranlagen stromaufwärts. Die zwischen 2010 und 2015 vorgenommenen Untersuchungen des Seine-Wassers ergaben, dass 92% aller Proben nicht den gesundheitlichen Normen entsprachen. Und es gibt eine europäische Direktive, nach der erst dann ein Gewässer zum Baden freigegeben werden darf, wenn in vier aufeinander folgenden Jahren die Wasserqualität unbedenklich war. Das heißt, dass schon ab 2020 hätte das Seine-Wasser Badequalität erreicht haben müssen. Das war allerdings nicht der Fall. 2022, so berichtet die Wochenzeitschrift Marianne,  ist die Wassserqualität der Seine immer noch nicht ausreichend – aufgrund der langen Trockenheit in diesem Jahr eher besonders problematisch…  Die Stadt Paris hofft allerdings auf eine Ausnahmegenehmigung für die Olympischen Spiele …   [14]

(Was mir übrigens, aber das nur in Klammern, nicht klar ist: Wie lassen sich diese olympischen Schwimmwettbewerbe in der Seine mit der starken Strömung vereinbaren? Gegen die werden selbst die Sport-Profis nur schwer ankommen und mit ihr würden wohl die olympischen Rekorde nur so  purzeln. Aber vielleicht ist das ja ein durchaus einkalkulierter Effekt….)

Das Badeschiff Joséphine Baker

Aber  immerhin gibt es ja seit 2006 das dauerhaft installierte Badeschiff Joséphine Baker auf der Seine.

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Das ist festgemacht am Fuß der Bibliothèque François Mitterand im 13. Arrondissement, gegenüber dem Parc Bercy und im Blick auf das wuchtige Finanzministerium

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… und die elegante Passerelle Simone de Beauvoir.

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Ein Besuch ist besonders im Sommer angeraten, wenn die Überdachung geöffnet ist und man von der erhöhten Terrasse aus den Blick auf die Seine genießen kann.   Allerdings ist dann auch hier der Andrang erheblich, so dass das Schwimmbecken (10 mal 25 m) eher zum Plantschen geeignet ist und weniger zum sportlichen Schwimmen.

In einem vom Figaro publizierten Ranking der Pariser Schwimmbäder, auf dem das Joséphine Baker immerhin auf dem zweiten Platz rangiert, ist das schön und treffend so formuliert:

„Plouf! Fabuleuse verrière et nage  en musique. La taille du bassin, elle, n’empêche malheureusement pas la proximité.  Mais la vue sur la Seine, magique, rattrape tout.“[18]

Im Vergleich mit dem berühmten Berliner Badeschiff auf der Spree in Treptow ist die „Joséphine Baker“ eine eher familienfreundliche Einrichtung.

Also: Für schwimmfreudige Besucher/innen von Paris – alt und jung- als wenigstens einmalige Erfahrung durchaus zu empfehlen!

Praktische Informationen (Stand August 2022): 

Quai François-Mauriac (XIIIe). Tél.: 01 56 61 96 50

Nächste Métro-Stationen: Quai de la Gare und Bibliothèque François Mitterand

Eintrittspreise  (http://www.piscine-baker.fr/fr/tarifs ):

Einzelkarten 4 Euro, reduziert 2,20 Euro

Im Sommer: 6,50 Euro, reduziert 3,20 Euro.

Öffungszeiten: http://www.piscine-baker.fr/horaires.html

Reservierung: https://moncentreaquatique.com/module-inscriptions/activites/

 

Das Badeschiff Annette K 

Inzwischen (2023) gibt es auch noch ein zweites Badeschiff auf der Seine, die Annette K. Benannt ist es nach der australischen Schwimmerin Annette Kellermann  (1886-1975). Sie war von Geburt an behindert: es gelang ihr allerdings mit Hilfe des Schwimmens ihr Leben zu meisterrn. Und sie war auch eine Feministin, die dazu beitrug, den Frauen einen gleichberechtigten Zugang zum Schwimmsport zu eröffnen.

Das Badeschiff verfügt über ein beheiztes 50 Meter-Becken mit Blick auf den Eiffelturm. Es liegt am Port de Javel im 15. Arrondissement von Paris auf der Höhe des Parks André Citroën

Métro ligne 8 – station Balard
Métro ligne 10 – station Javel
RER C – station Pont du Garigliano

Preise und Öffnungszeiten siehe Website:   https://www.annettek.fr/

Im Preis für das Schwimmbad ist offenbar auch die Benutzung von Sauna und Solarium eingeschlossen. Für Kinder unter 12 Jahren und Senioren über 60 gibt es Ermäßigung,.

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Ich war bisher noch nicht dort,  insofern alle Angaben ohne Gewähr.

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Im Hintergrund kann man sogar den  Eiffelturm erkennen. Wenn das nichts ist….

Anmerkungen

[1] https://www.sortiraparis.com/arts-culture/balades/articles/53926-paris-plages-2017-baignade-et-animations-sur-les-berges-sans-sable

[2] http://www.lemonde.fr/proche-orient/article/2016/06/21/comment-le-cimentier-lafarge-a-travaille-avec-l-etat-islamique-en-syrie_4955039_3218.html

http://www.lefigaro.fr/societes/2017/03/29/20005-20170329ARTFIG00152-paris-plages-la-mairie-ne-veut-plus-du-sable-de-lafarge.php

(2a) Weitere Informationen: https://www.sortiraparis.com/images/400/1462/274505–bassin-de-baignade-a-la-villette.jpg  und   https://www.paris.fr/baignadevillette

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Bassin_de_la_Villette

[4] Siehe den Blog-Beitrag: Napoleon in den Invalides. Es lebe der Kaiser (3)

[5] http://www.pbase.com/cpaaulnay/canal_de_lourcq_themes

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Bassin_de_la_Villette

Bild aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Bassin_de_la_Villette

In geplanten weiteren Blogbeiträgen möchte ich hier angeschnittene Themen weiter vertiefen: Die Geschichte und Bedeutung der Guinguettes, die Zollmauer von Paris und ihr Architekt Ledoux, der Canal de l’Ourcq – eine stadtgeographische Fahrradtour…

[7] http://www.histoires-de-paris.fr/bassin-de-villette/

http://www.cargos-paquebots.net/Navigation_fluviale/Canal-Saint_Martin_09-2012/Canal_Saint-Martin-01.htm

Antoine Léger, Le bassin de la Vilette, deux siècles de transformation urbaiane.  http://de.calameo.com/read/004245471850d9b01b0cc

(7a) Jean-Paul Kauffmann, Remonter la Marne. Paris  2013, S. 38

[8] http://www.paroles.net/pierre-roger/paroles-a-joinville-le-pont

[9] http://www.marne-vive.com/se-baigner-en-marne

Jean-Paul Kauffmann berichtete in seinem 2013 erschienenen Buch „Remonter la Marne“, nach Regenfällen würden von der Brücke von Joinville „toutes sortes d’infections“  in die  Marne gespült. „Après l’orage apparaissent à la surface des nappes huileuses sur lesquelles flottent des centaines de poissons morts.“ (S. 28).  Dergleichen haben wir noch nicht beobachten müssen, aber wir meiden auch vorsichtshalber die Marne nach starken Regenfällen.

(9a) Zitiert in: http://www.lefigaro.fr/histoire/archives/2017/08/18/26010-20170818ARTFIG00211-quand-les-parisiens-se-baignaient-dans-la-seine.php

(9b) Bild und Text aus: Paris. Vie et histoire du 4e Arrondissement. Paris 2001, S. 126/127

(9c) Bild aus: Années folles. 100 photos de légende. Paris: Parigramme 2014

[10] http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2016/05/08/01016-20160508ARTFIG00092-nager-dans-la-seine-un-vieux-reve-qui-perdure.php  Dort auch das nachfolgend wiedergegebene Bild des Paris-Triathlons von 2012.  

(10a) http://proregisseur.com/la-seine-et-le-triathlon-de-paris/

[11] http://www.leparisien.fr/hauts-de-seine-92/la-traversee-de-paris-a-la-nage-tombe-a-l-eau-08-08-2012-2117624.php

[12] http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2016/05/08/01016-20160508ARTFIG00092-nager-dans-la-seine-un-vieux-reve-qui-perdure.php

Das Engagement Hidalgos für das Schwimmen in der Seine 2024 hat natürlich auch die Funktion, die Pariser Bevölkerung vom Nutzen der Olympischen Spiele zu überzeugen. Allerdings  gibt es auch kritische Stimmen, die fragen, ob das Seine-Wasser tatsächlich bis 2024 Badequalität erhalten soll, wenn es der Stadt Paris noch nicht einmal gelinge der schlimmen Ratten-Plage Herr zu werden. (http://www.liberation.fr/debats/2017/05/10/il-faut-retirer-paris-de-la-course-folle-aux-jeux-olympiques_1568563)

[13] „ce travail digne d’Hercule“ Aus: Se beigner dans la Seine à Paris, promesse risquée. (Le Monde 16. Mai 2017,  S. 15)

[14] Nager dans la Seine en 2024, un pari osé. In: Le Monde 15./16. August 2017. Sonderbeilage zu Paris 2024: Jeux olympique, le plus dur commence. Zur Situation 2022 siehe:  Marianne  vom 2. August 2022: La mauvaise qualité de la Seine aura-t-elle raison des épreuves aquatiques aux J.O. 2024 ?

[15] In: À Paris. Le magazine de la ville de Paris. printemps 2018, S. 6

[16]  https://www.paris.fr/baignadedaumesnil

[17] http://www.leparisien.fr/paris-75/paris-le-projet-de-baignade-au-lac-daumesnil-tombe-a-l-eau-08-03-2018-7597443.php

[18] http://www.lefigaro.fr/sortir-paris/2015/05/20/30004-20150520ARTFIG00048-les-meilleures-piscines-de-paris.php

Musik und Tanz an der Marne: Au pays des Guinguettes

In dem nachfolgenden Beitrag geht es um die Guinguettes, Tanzlokale im Umland von Paris, und dabei vor allem um die Guinguette auf der Ile du Martin Pêcheur, einer kleinen Insel in der Marne. Sie ist von Paris aus schnell und leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar und lädt an warmen und sonnigen Sonntagnachmittagen zu einem Ausflug ein. Man wird da, neben einer schönen Flusslandschaft,  ein ursprüngliches Stück Frankreich kennenlernen, wie es sonst kaum zu finden ist.

Guinguettes haben eine lange Tradition. Berühmt waren im 18. und 19. Jahrhundert vor allem  die Guinguettes  in Belleville[1], Ménilmontant und Montmartre, die so schöne Namen hatten wie  Au rat goutteux (zur gichtkranken Ratte),  Aux noces de Cana, A la satisfaction, Ile d’amour, La Puce qui saute, Le bal sauvage…. Dort wurde ein ziemlich herber lokaler Weißwein ausgeschenkt, „qu’on ne pourrait vraisemblablement pas tenir pour le meilleur témoignage du génie viticole français!“[2] Dieser Wein , den es heute (sieht man mal von dem kleinen Weinberg in Montmatre und dem noch kleineren im Parc de Belleville ab) nicht mehr gibt, hieß guinget,  und von ihm ist der Name der Weinlokale abgeleitet. Ihre Blüte  verdanken sie  der Zollmauer um Paris, der zwischen 1785 und 1788 errichteten mur des Fermiers généraux: Um die klammen  Finanzen des ancien régime etwas aufzubessern, wurden die nach Paris eingeführten Waren, also auch der Wein,  mit einem Zoll belegt. Das gab den von diesem Zoll verschonten Guinguettes außerhalb der Zollmauern großen Auftrieb, aber auch der vorrevolutionären Stimmung der Pariser Bevölkerung. Ein berühmt gewordener Alexandriner von Beaumarchais brachte das sehr schön zum Ausdruck: « Le mur murant Paris, rend Paris murmurant ».  In den Guinguettes vor den Toren der Stadt versammelten sich am Wochenende die kleinen Leute- es wurde getrunken, gesungen, getanzt,  man erholte sich von den Anstrengungen der Woche, und politisiert wurde natürlich auch, wie entsprechende Polizeiprotokolle zeigen. 1860 wurden im Zuge der Vergrößerung von Paris auch Belleville,  Ménilmontant und Montmartre eingemeindet und gehörten nun zu den von Baron Haussmann neu zugeschnittenen 20 Arrondissements. . Die Guinguettes dort verschwanden allerdings nicht ganz, wie Van Goghs 1886 gemaltes und im Musée d’Orsay ausgestelltes Bild „La Guinguette de Montmartre“ zeigt; (3)

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Aber das eher bedrückend-triste Bild van Goghs macht deutlich, dass die beste Zeit der innerstädtischen Guinguettes nun vorbei war. Dafür begann aber, begünstigt durch neue schnelle Eisenbahn-Verbindungen von und nach Paris, die große Zeit der Guinguettes an Seine und  Marne.

Die Guinguettes an der Seine, angrenzend an den noblen Westen von Paris, zogen vor allem ein bourgeoises Publikum an. Das wird  in Monets Bild  „La Grenoullière“ anschaulich.[4] Monet malte mehrere Versionen dieser bekannte Guinguette mit ihren schwimmenden Pontons, und auch Renoir wählte dieses Motiv aus, vielleicht auch in der Hoffnung, bei einem finanzkräftigen Publikum Abnehmer für die Bilder zu finden.

26658587925_3401894f40 La Grenouilliere

Berühmt war auch das maison Fournaise, auf der „Île des Impressionistes“ 10 km westlich von Paris in der Seine gelegen. Sie wird auch „die Guinguette der Impressionisten“ genannt.[5] Immerhin verkehrten hier Maler/innen wie Claude Monet, Alfred Sisley, Berthe Morisot, Edouard Manet und Camille Pissaro.

Rueil Malmaison003

Jean Renoir malte hier 1881 sein berühmtes Bild  „déjeuner des Canotiers“, worauf  eine große Tafel an der inzwischen teilweise Museum gewordenen „Maison de Fournaise“ mit einer Reproduktion des Bildes hinweist- Teil eines „chemin des Impressionistes“.[6]

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Die Canotiers sind die Ruderer, die nach ihrem von Renoir gemalten Mittagessen sicherlich die feinen Herren mit Zylinder, die man im Hintergrund sieht, und deren Damenbegleitung über die Seine rudern werden. Denn zu einem  unverzichtbaren Teil des Wochenend-Vergnügens in den Guinguettes wurden die Bootsfahrten. Im Gegensatz zu dem aus England stammenden Rudersport ging es dabei aber nicht um sportliche Höchstleistungen. Eine „partie de canot“ war eher eine gesellige Veranstaltung, die auch gute Gelegenheiten für die beiden Geschlechter bot, sich etwas näher zu kommen. Und danach gehörte der Besuch einer guinguette dazu, wo gegessen, getrunken, gesungen und getanzt wurde.

Deutlich volkstümlicher, ja proletarischer ging es in den Guinguettes an  der östlich von Paris in die Seine  mündenden  Marne zu, die ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. 1859 wurde nämlich der Bahnhof Bastille eingeweiht.  Von hier aus führte eine strategische Bahnstrecke nach Osten, die der schnellen Verlagerung von Truppen an die Ostgrenze dienen sollte.[7] In Friedenszeiten wurde das erste Teilstück der Eisenbahnlinie von Arbeitern aus den Vorstädten in Richtung Paris benutzt, am Wochenende von erholungssuchenden Bewohnern des Pariser Ostens. Das waren, wie Jean-Paul Kauffmann in seinem schönen Marne-Buch schreibt, die classes populaires“, für die das Meer ein unerreichbarer Luxus war“. (7a)   Die fuhren  zu den Guinguettes an die Marne – von daher auch der Name der Züge: „trains de plaisir“.

Ihre Blütezeit hatten diese guinguettes in den 1930-er Jahren, als die Volksfront den bezahlten Urlaub einführte. Da sang  Jean Gabin in dem Film La Belle Équipe von Julien Duvivier (1936) das populäre Lied „Quand on se promène au bord de l’eau“ (7b), das nach den Worten unserer Freundin Marie-Christine „tout le monde en France“ auswendig kennt „ou presque“:

pour gagner des radis
Quand on fait sans entrain
son boulot quotidien
Subi le propriétaire
Le percepteur, la boulangère
et trimbalé sa vie de chien
Le dimanche vivement
qu’on file à Nogent
Alors brusquement
Tout parait charmant

Quand on s’promène au bord de l’eau
Comme tout est beau
Quel renouveau
…….

Ein Stück  der inzwischen längst stillgelegten Bahnstrecke an die Marne wurde übrigens in den 1990-er Jahren  in einen Fußgänger- und Fahrradweg umgewandelt, nachdem der Bahnhof Bastille abgerissen und an seiner Stelle die Opéra Bastille errichtet worden war- eines der prestigeträchtigen Projekte des damaligen französischen Präsidenten François Mitterand.  Es ist die Coulée verte René-Dumont, bis 2014 promenade plantée[8] , über die wir  fast täglich mit dem Fahrrad in „unser“ Schwimmbad am Boulevard periphérique fahren.

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DSC01251 Ausstellung Willy Ronis August 2018 (24)

Erste Station der „trains de plaisir“ an der Marne war Joinville-le-Pont, wo es mehrere Guiguettes gab, zum Beispiel die chez Maxe, wo Willy Ronis 1947 den „Ball unter freiem Himmel“  (un bal en plein air) fotografierte. (8a)

Und dann gab es die  berühmte Guinguette „che Gégène“, die auch in einem ebenso berühmten Lied besungen wurde:

J’suis un p’tit gars plombier zingueur 
J’fais des s’mains de quarant’huit heur’s
Et j’attends qu’les dimanch’s s’amèn’nt
Pour sortir ma jolie Maimain‘ ….

Au bord de l’eau, y’a des pêcheurs 
Et dans la Marn‘ y’a des baigneurs
On voit des gens qui mang’nt pas des moul’s
Ou des frit’s s’ils aimem’nt pas les moul’s
On mange avec les doigts c’est mieux
Y’a qu’les bell’s fill’s qu’on mang‘ des yeux
sous les tonnell’s on mang‘ des glac’s
Et dans la Marne on boit la tass‘

Und der Refrain:

A Joinvill‘ le Pont 
Pon ! Pon !
Tous deux nous irons
Ron ! Ron !
Regarder guincher
Chez chez chez Gégène [9]

 Die Guinguette „chez Gégène“ gibt es  immer noch.  Es ist aber inzwischen  eine Einrichtung, die von ihrer Vergangenheit zehrt – für Nostalgiker der Generation 65 + oder für ahnungslose Touristen, die mit einem Schiff vom Arsenal-Hafen nach Joinville-le-Pont transportiert und bei dem berühmten, traditionsreichen, aber –wie wir meinen- völlig auf Massenbetrieb eingestellten Schuppen abgesetzt werden. In verbreiteten Guinguette-Rankings ist allerdings chez Gégène immer dabei.[10]

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Das an der Allée des Guinguettes gelegene „Chez Gégène“ ist vom RER – Bahnhof Joinville zu Fuß gut zu erreichen.

Joinville Marne Okt 09 003

Man kann  vom Bahnhof  aus aber auch  entlang der Marne zu unserer Lieblings- Guinguette auf der „Île du Martin Pêcheur“ gehen. Der Weg führt am kleinen Hafen von Joinville-le-Pont vorbei, wo man in einem der kleinen Restaurants mit Blick auf die vor Anker liegenden Boote und den Fluss eine schöne Pause machen kann, bevor es zur Eisvogelinsel geht.  (Ihren Namen trägt sie übrigens zu Recht, denn Eisvögel gibt es an der Marne tatsächlich- wir haben jedenfalls schon selbst welche gesehen).

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Die auf der kleinen Marneinsel gelegene Guinguette verdankt ihre Existenz der Renaissance dieser Lokale in den  letzten Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg sah es ja so aus, als habe das letzte Stündlein der Guinguettes geschlagen:  Aufgrund der Wasserverschmutzung und des Schiffsverkehrs war (und ist auch heute  noch) das Baden in Seine und Marne verboten. Und  Tanzen kann man auch mitten in Paris am Ufer der Seine am Quai Saint-Bernard im 13. Arrondissement.

Gleichwohl erlebten in den letzten Jahren die Guinguettes  eine neue Blüte. Besonders rührig ist da die Guinguette auf der Île du Martin Pêcheur. Sonntag nachmittags kann man dort  echte Guinguette-Atmosphäre erleben. Es ist viel Betrieb, es gibt populäre life-Musik, bei dem das von den italienischen Einwanderern im 19. Jahrhundert eingeführte Akkordeon nicht fehlen darf.

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Nach dem Mittagessen werden die Tische beiseite geräumt und es wird  kräftig getanzt: Musette-Walzer, Fox, Tango  und Blues. Das Sympathische dabei ist, dass jeder und jede mitmachen kann:  Es sind zwar meistens gemischte Paare, aber es tanzen auch Damen zusammen oder eine Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm, und vor allem: es tanzen Menschen jeden Alters, auch und vor allem ziemlich alte: Einmal haben wir dort einen Herren auf der Tanzfläche getroffen und bewundert: Er war, wie er uns in einer Tanzpause stolz  erklärte, 89 Jahre alt und tanzte sehr beeindruckend und schwungvoll gleich mit zwei Damen. Die waren allerdings deutlich jünger  – so um die siebzig herum…. Fast könnten es ja  die selben Personen -jetzt im fortgeschrittenen  Alter- sein, die Willy Ronis 1947 in der guingette Beau-Rivage in Champigy-sur-Marne aufgenommen hat…

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Die meisten Menschen hier kommen in ihrer Alltagskleidung, aber es gibt auch einige, die sich  etwas herausgeputzt haben: zum Beispiel die Dame mit den  langen, an der Seite aufgeschlitzten Hosen, die  nicht nur chic aussahen, sondern auch gut für das Motorrad geeignet waren, auf dem sie dann mit ihrem Partner nach Hause brauste. Oder die ziemlich alte Dame, auf deren Schultern  die knallroten Träger ihres BH zu sehen waren.  Zum Abschluss (kurz vor 18 Uhr) wird von allen  ein Madison getanzt, ein  ziemlich komplizierter Gemeinschaftstanz, bei dem sich die Tänzer wohlgeordnet neben- und hintereinander aufstellen und dann im Takt die gleichen Schritte machen.  Man merkt dabei, dass die meisten hier heimisch sind, aber auch als unbeholfener Fremder wird man freundlich dazu genommen.

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Auch die Lieder, die gesungen werden, sind den meisten offenbar sehr vertraut und viele werden  laut mitgesungen oder geradezu mitgeschmettert: So bei einem unserer Besuche der Refrain eines Liedes, der mit den Worten „sans chemise et sans pantalon“ endete (ohne Hemd und Hose). Den Kontext habe ich leider nicht verstanden, aber die Begeisterung beim Singen war unverkennbar. (https://www.youtube.com/watch?v=c3UcCTTQyAE)

Zum neuen Erfolg der Guinguettes tragen auch besondere Veranstaltungen bei wie das jährliche Festival des Guinguettes  Anfang Mai oder die Wahl der Miss Guinguette auf der Ile du Martin Pêcheur am 14. Juli jeden Jahres! Eine echte Alternative zur Militärparade auf den Champs Elysées!

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Es gibt  dort auch  „canotiers“,  die flachen, mit einem Band verzierten Strohhüte der Ruderer, die man von den Bildern der Impressionisten kennt.  Heute werden diese Hüte als Souvenirs verkauft und manchmal wohl auch getragen. Die Ruderer und ihre Boote gibt es allerdings hier leider nicht mehr. Aber das kann ja nochc kommen, genau wie das (wieder offiziell erlaubte) Baden in der Marne….

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Dass man allerdings so viele Damen mit Strohhüten sieht wie auf dem nachfolgenden Foto, ist eher  untypisch: Sie hatten sich offensichtlich extra herausgeputzt für ein deutsches Journalisten-Team, das an einem Bericht über die Guinguettes arbeitete.

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Praktische Hinweise:

Die Guinguette auf der Ile du Martin Pêcheur erreicht man am besten mit dem RER der Linie A Richtung Boissy-Saint-Léger.  Man kann direkt nach Champigny-sur-Marne fahren.  (Fahrkarten dorthin gibt es  in jeder Metro-Station von Paris, am besten gleich zweifach für die Rückfahrt). Vom Bahnhof aus  geht es zur Seine, man überquert die Brücke, und von dort sind es  linkerhand der Marne folgend  nur wenige Schritte zur Guinguette.  Empfehlenswert ist es aber,  schon eine Station vorher in Joinville-le-Pont auszusteigen und dann  entlang der Marne bis zur Guinguette zu wandern. (ca  1 Stunde). In Joinville gibt es einen kleinen Hafen mit einigen sympathischen Restaurants/Bars direkt an der Marne. Dort kann man schön in der Sonne sitzen, etwas essen  oder einen Kaffee trinken).

In den RER- und meistens auch den Métro-Stationen gibt es kostenlos eine brauchbare Karte der Gegend: Aus der Serie der detaillierten Ile-de-France- Karten „par secteur“ die Nummer 12: Val-de-Marne.

Öffnungszeit der Guinguette de l’Île du Martin-pêcheur – abgesehen von den Abendveranstaltungen- ist sonntags zwischen 12 und 18.30 Uhr. Am besten kommt man ab etwa 15 Uhr, dann ist das Mittagessen vorbei und es wird getanzt.

Infos: www.guinguette.fr

 Pour en savoir plus: Francis Bauby u.a.: Mémoire de guingettes. Paris 2003.

Anmerkungen

[1] Siehe dazu den Blogbeitrag über Belleville

[2] Guide du Promeneur 20e. Parigramme 1993, S. 30

(3) Bild aus: https://de.wikipedia.org

[4] Bild aus: https://de.wikipedia.org/

[5] http://www.restaurant-fournaise.fr/le-dejeuner-des-canotiers/9-histoire.html

[6] http://www.musee-fournaise.com/

[7] http://www.wikiwand.com/fr/Ligne_de_Paris-Bastille_%C3%A0_Marles-en-Brie

(7a)  Jean-Paul Kauffmann, Remonter la Marne. Paris 2013, S.25

(7b) http://www.parisfaitsoncinema.com/les-classiques/gabin-se-promene-au-bord-de-l-eau-dans-la-belle-equipe.html

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Coul%C3%A9e_verte_Ren%C3%A9-Dumont

(8a)  Bildausschnitt fotografiert auf einer Willy Ronis-Ausstellung in Ménilmontant im August 2018

[9] En savoir plus sur http://www.paroles.net/pierre-roger/paroles-a-joinville-le-pont#lGWX2WiO2EwAR6gS.99

[10][ Z.B. https://www.one-week-in-paris.com/top-guinguettes

https://www.lebonbon.fr/paris/les-tops-spots/guinguette-paris/

http://www.cnewsmatin.fr/loisirs/2014-06-14/paris-le-top-5-des-guinguettes-681638

http://www.lexpress.fr/tendances/voyage/trois-adresses-de-guinguette-sur-les-bords-de-marne_1564762.html

eingestellt August 2017

Weitere geplante Beiträge:

  • Street-Art in Paris (1): Mosko, Jef Aérosol und Jerôme Mesnager
  • Street-Art in Paris (2): Der Invader
  • Sommer in Paris: Baden im Bassin de la Villette, in der Marne und auf/in der Seine
  • Das deutsche Haus, „la maison Heinrich Heine“, in der Cité internationale universitaire in Paris
  • Die Fontänen von Versailles (1): Die Feier des Sonnenkönigs 

Le potager du roi in Versailles, der Obst- und Gemüsegarten Ludwigs XIV.

Versailles: Das ist natürlich das Schloss Ludwigs XIV. mit seinem geschichtsträchtigen Spiegelsaal und natürlich der Park mit seinem grand canal und den grandes eaux, seinen wunderbaren Springbrunnen und Bosquets, dem großen und kleinen Trianon…. Ein grandioser Ort, der aber, wie ich finde, etwas unter seinen Superlativen leidet: zu groß, zu prächtig und vor allem auch: zu viele Besucher. Darüber darf man sich eigentlich nicht beklagen, weil man ja selbst dazu gehört. Aber es ist doch ein sehr begrenztes Vergnügen, sich eng gedrängt durch die Räume des Schlosses zu schieben. Einmal habe ich allerdings im Spiegelsaal gewartet bis zum Ende der Besuchszeit. Und bevor ich schließlich auch eindringlich  herauskomplimentiert wurde, konnte ich den grandiosen Raum ohne Touristen fotografieren! Aber das sind außergewöhnliche, eher  illusionäre Momente.

Spiegelsaal  (59)

Natürlich sollte man Versailles –trotz alledem-  wenigstens einmal auch von innen gesehen haben. Aber  in diesem Bericht kann ich es getrost auslassen. Denn Bücher und Reiseführer zu Versailles gibt es in Hülle und Fülle. Da braucht man keinen Jöckel‘schen Aufguss.  (Sehr empfehlen kann ich übrigens das Buch von William Ritchey Newton: Hinter den Fassaden von Versailles. Mätressen, Flöhe und Intrigen am Hof des Sonnenkönigs. Berlin 2010).

Lassen wir hier also das Schloss und den Park beiseite. Denn Versailles hat ja noch mehr zu bieten als das. Zum Beispiel den königlichen Obst- und Gemüsegarten, den  potager du roi. Und der ist immerhin –neben Schloss und Park- auch Teil des Weltkulturerbes Versailles- und in einem neueren Paris-Reiseführer, den Freunde kürzlich dabei hatten, war er sogar als „Geheimtipp“ vermerkt. Schert man allerdings –mit dem RER in Versailles angekommen- aus der Masse der zum Schloss strömenden Besucher aus, um  –in entgegengesetzter Richtung- zum  Potager du Roi zu gehen, muss man damit rechnen, von freundlich-besorgten Einheimischen angesprochen zu werden, die einem zu verstehen geben, dass man sich doch offensichtlich in der Richtung geirrt habe. Wenn man dann aber zu verstehen gibt, dass man doch wohl genau auf dem richtigen Weg sei, nämlich zum Potager du Roi, dann wird das mit freudigem Erstaunen zur Kenntnis genommen. So ist es uns jedenfalls einmal passiert.

Von Ludwig XIV. weiß man, etwa durch die Briefe der Lieselotte von der Pfalz, der Frau des jüngeren Bruders des Königs, dass dieser –vorsichtig ausgedrückt- ein guter Esser war. „J’ai vu souvent le roi manger quatre pleines assiettes de soupes diverses, un faisan entier, une perdrix, une grande assiette de salade, deux grandes tranches de jambon, du mouton au jus et à l’ail, une assiette des pâtisserie et puis encore du fruit et des oeufs durs.“ Besonders beliebt waren bei Ludwig XIV. Erbsen, Artischocken, Spargel und Salate und beim Obst Birnen, Erdbeeren, und schließlich vor allem Feigen.  Damit das alles immer frisch auf seinen Tisch kommt, beauftragte er den Direktor der königlichen Früchte- und Gemüsegärten, Jean-Baptiste La Quintinie, einen neuen Garten anzulegen. Das dafür vorgesehene Gebiet –außerhalb, aber in der Nähe des Schlossparks- war, wie ja auch das gesamte Parkgelände- für eine solche Verwendung eigentlich überhaupt nicht geeignet: Es war ein sumpfiges, übel riechendes und deshalb „étang puant“ genanntes Gelände. Gewaltige und kostspielige Arbeiten, die sich über fünf Jahre von 1678 bis 1683 hinzogen, waren deshalb notwendig: Das Gelände musste entwässert werden, wofür das große Wasserbecken „des Suisses“ im Süden der Orangerie angelegt wurde. Zuständig dafür war –ebenso wie für die Bauten des Gartens- der Schlossarchitekt Jules Hardouin-Mansart. Die künftige Gartenfläche  wurde  zunächst mit einem jeweils leicht geneigten Geflecht von Steindrainagen überzogen, um Staunässe zu verhindern. Darüber kam dann der Aushub des pièce d’eau des Suisses. Weil das aber kein geeigneter Boden für einen königlichen Obst- und Gemüsegarten war, wurde tonnenweise einigermaßen fruchtbare Erde von den  Hügeln von Satory herangeschafft: Dort wurde nämlich gleichzeitig ein großes Wasserreservoir gegraben –  ein kleiner Teil der gewaltigen hydraulischen Arbeiten („travaux pharaoniques“), um den notwendigen Wasserdruck und die notwendige Wassermenge für die Unterhaltung der Brunnen und Fontänen im Park von Versailles sicherzustellen (1871 wurden dort übrigens tausende von Communarden,  u.a. Louise Michel,  monatelang unter freiem Himmel interniert, von denen viele starben). Für die Bodenverbesserung sorgten schließlich auch die etwa 5000 Arbeitspferde, die für den gleichzeitigen Bau des Schlosses eingesetzt wurden, und danach lieferten die 2000 Pferde in den königlichen Ställen von Versailles immer  Dünger im Überfluss. Dass Ludwig XIV. ausgerechnet an dieser Stelle seinen Park und seinen Gemüsegarten anlegen ließ – und wie er bis in die Einzelheiten gestaltet war- ist Ausdruck der Souveränität des Sonnenkönigs, dessen größtes Vergnügen es war, wie Saint-Simon kritisch bemerkte, die Natur zu beherrschen. („de forcer la nature“). Und die Souveränität des Herrschers war nach damaliger Auffassung ebenso wenig teilbar „wie der Punkt in der Geometrie“ („La souveraineté n’est non plus divisible que le point en géométrie“, wie es Cardin Le Bret formulierte)- eine Auffassung, die ja auch heute noch in Frankreich sehr verbreitet ist, wie der breite Widerstand gegen jede Abgabe von Souveränität an europäische Instanzen zeigt.

Der Garten ist in barocker geometrischer Strenge um ein kreisrundes grand bassin  gruppiert, das mit seinem hohen Springbrunnen die Mitte des Gartens markiert und gleichzeitig auch als Reservoir für die Bewässerung fungierte.

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Um den inneren Garten herum waren 29 weitere, von hohen Mauern umschlossene Obstgärten angelegt. Schätzungen gehen davon aus, dass es zwischen 1800 und 2500 Obstbäume zur Zeit von La Quintinie gab –  vor allem Birn- und Apfelbäume.

LE POTAGER DU ROI (VERSAILLES) FRANCE

Vue perspective du potager royal de Versailles. Dessin de P. Aveline l’Ancien, extrait des Vues des belles maisons des environs de Paris édité par Langlois, 1685.

12 dieser Obstgärten gibt es heute noch. Und darinnen 160 Apfel-  und  140 Birnensorten! Dazu kommen noch andere Obstsorten wie Quitten oder Pfirsiche.  Und wie im Schlosspark wurde auch hier die Macht des Königs über die Natur demonstriert:  Fast alle Bäume waren in höchst kunstvoller, aber auch höchst unnatürlicher Weise beschnitten, mussten sich also dem menschlichen/königlichen Willen fügen. Ziel war aber vor allem ein doppelter Genuss: Ein Genuss für die Augen beim Betrachten des Gartens und ein Genuss für den Geschmack beim Verzehr seiner Produkte. Die mögliche Quantität des Ertrags wurde also – trotz der erheblichen vom Hof erwarteten Mengen- durch das radikale Beschneiden der Bäume und die Entfernung von Fruchtständen  ganz  erheblich reduziert. (Und immerhin blieben auf diese Weise waghalsige Klettertouren auf Leitern und Bäumen den königlichen Gärtnern –anders als uns normalen Hobbygärtnern- erspart).  Großen Wert legte La Quintinie auch darauf, das in Reih und Glied angepflanzte Spalierobst so anzuordnen, dass die Bäume jeweils optimaler, aber doch auch unterschiedlicher Sonneneinstrahlung ausgesetzt waren. Auf diese Weise wurde die Erntephase erheblich ausgedehnt, wozu natürlich auch die Sortenvielfalt beitrug. Wichtig war dabei vor allem,  schon „vor der Zeit“  Obst und Gemüse ernten zu können. Dies galt besonders für die von Ludwig XIV. geliebten und in Massen vertilgten Feigen. Eigentlich waren ja Erdbeeren die Lieblingsfrüchte des Sonnenkönigs gewesen. Das waren allerdings nicht die heutigen Gartenerdbeeren., die  erst im 18.Jahrhundert u.a. auf der Grundlage der von französischen Siedlern in Kanada entdeckten Scharlach-Erdbeere gezüchtet wurden. Die Erdbeeren auf der Tafel des Sonnenkönigs waren dagegen Abkömmlinge der Walderdbeeren, die zwar sehr süß, aber ziemlich klein waren. Im Garten La Quintinies gab es davon 6 verschiedene  Sorten, die man auch heute noch im Potager du Roi finden kann. In der Corrèze werden sie übrigens, worauf mich unsere Freundin Marie-Christine hingewiesen hat, unter dem Namen „mara des bois“ verkauft.

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Allerdings entwickelte Ludwig  XIV. plötzlich eine heftige Allergie gegen Erdbeeren, so dass ihm sein Leibarzt Fagon 1709 deren Verzehr  untersagte.  Die Alternative auf der königlichen Tafel waren Feigen, an denen der König immer mehr Gefallen fand.  Also wurde nach dem Muster der „Orangerien“ auch eine „Figuerie“ im Potager du Roi eingerichtet, in der die in großen Kübeln gepflanzten Feigenbäume überwintern konnten.  Insgesamt waren es dann mehr als  700 Feigenbäume, die dem König und seiner Tafel pro Tag  4000 (!) Feigen mit so schönen Namen wie Grosse-Jaune, Grosse-Blanche, Gross-Violette, Verte oder Angélique lieferten. In seinem bis auf den heutigen Tag grundlegenden Gartenbuch, das La Quintinie hinterlassen hat, schreibt er über die Feige:

La bonne figue est donc celui de tous les fruits qui parmi nous mérite d’avoir la meilleure place en espalier (dans les pays chauds, elle en  pourrait être incommodée), mais pour juger de son extérieur et de son mérite, et par conséquent de l’estime qui lui est due, il n’y a qu’à voir le mouvement des épaules et des sourcils de ceux qui en mangent, et voir aussi la quantité qu’on en peut manger sans aucun péril à l’égard de la santé.“ (Instruction pour les jardins fruitiers et potagers, Arles 1999, S.432, zit. bei Baraton, S. 173)

Von den Feigen konnte der Sonnenkönig also so viele essen wie er wollte, ohne gesundheitliche Beschwerden fürchten zu müssen. Heute gibt es nur noch wenige Feigenbäume im Potager du Roi. Aber auf dem Gelände der ehemaligen Figuerie ist derzeit ein schönes künstlerisch gestaltetes Feld mit Getreide und Wildblumen angelegt.

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Gegessen wurde ja, wir hörten das schon von Liselotte von der Pfalz, reichlich an der königlichen Tafel. Ludwig XIV. verschlang die Feigen, und Obst spielte ganz allgemein eine bedeutende Rolle: Frankreich war damals noch nicht das Land der kunstvollen desserts, und jede Mahlzeit, auch jede noch so festliche, wurde mit einem Angebot an Früchten abgeschlossen. Deren Qualität hat La Quintinie ständig zu verbessern versucht- durch Veredelung natürlich, aber auch durch spezielle, den jeweiligen Obstsorten und ihrem Standort im Garten angepasste Spalier- und Schnitttechniken. Noch heute gibt es über 60 verschiedene Spalierformen im potager du roi, der  nicht nur Übungs- und Experimentierfeld für die angeschlossene angesehene Gartenbauschule ist (École nationale supérieure du paysage), sondern auch ein Ort, an dem die große Tradition französischer Nutzgartenkunst weiter gepflegt wird.

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Pfirsichspalier in der Form „cordon vertical ondulé double“

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Spalier in Fächerform (eventail)

Bevorzugtes Spalierobst waren übrigens bei Ludwig XIV. die Birnen. Die hatten nämlich gegenüber den Äpfeln den Vorteil, dass sie als edler galten und vor allem: dass sie weicher waren. Denn das Gebiss des Königs ließ mit zunehmendem Alter zu wünschen übrig, da waren reife, weiche Birnen gerade das Richtige für ihn.

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Das klassische Spalier für die Birnbäume war die „palmette horizontale Legendre à cinq branches“, also ein Birnbaum, von dem nach beiden Seiten jeweils fünf horizontale Äste abzweigen. Diese Spalierform fasst bis heute noch zahlreiche Gemüsebeete ein. Und fters gibt es auch die palmette  mit jeweils drei horizontalen Armen, und zwar vor allem bei Spalieräpfeln.

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Die Birnbäume stammen zwar nicht mehr aus der Zeit Ludwigs XIV., aber 100 Jahre alt sind sicherlich einige von ihnen.

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Das Gemüse wurde und wird in den um das „grand bassin“ gruppierten Gärten, dem Grand Carré, angebaut. Sie sind  z.T. mit Blumen- z.T. auch mit Sauerampfer-Rabatten und niedrig gehaltenem Spalierobst umrahmt. Die meisten Beete werden jährlich neu bepflanzt, u.a. mit den zu Zeiten des Sonnenkönigs  besonders modischen Erbsen.

Erbsen gibt es derzeit gleich unterhalb der Statue La Quintinies – und zwar eine  besonders schöne Sorte mit violetten Schoten. Ein verdienter Ehrenplatz!  1660 präsentierte nämlich der Mundschenk der comtesse de Soissons dem  gerade frisch vermählten Ludwig XIV.  grüne Erbsen, die er aus Italien mitgebracht hatte. Der König, seine junge Gemahlin und Kardinal Mazzarin probierten die Neuheit und Kostbarkeit, die  à la française, also mit weißer Soße, zubereitet war. Ludwig geruhte entzückt zu sein. Sobald danach die Saison der Erbsen begann, ließ sich der König einen ganzen Teller davon servieren, den er verschlang. Zwar war er die Nacht danach krank, aber das hielt ihn nicht davon ab, im nächsten Jahr sich wieder über die grünen Erbsen herzumachen.  Das war der Beginn der Erbsenmode, die am ganzen Versailler Hof Furore machte, und zwar ziemlich nachhaltig, wie aus einem Bericht der Madame de Sévigné von 1696 hervorgeht:

« Le chapitre des pois dure toujours: l’impatience d’en manger, le plaisir d’en avoir mangé, et la joie d’en manger encore, sont les trois points que nos princes traitent depuis quatre jours. Il y a des dames qui après avoir soupé avec le roi, et bien soupé, trouvent des pois chez elles pour manger avant de se coucher, au risque d’une indigestion : c’est une mode, une fureur, et l’une suit l’autre »

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Wer also etwas auf sich hielt am Hof des Sonnenkönigs, der verzehrte selbst nach einem ausgiebigen Mahl –gewissermaßen als „Betthupferl“-  noch einige Erbsen – drohenden Verdauungsstörungen zum Trotz…. Dass Erbsen etwas für feine Leute sind, hat sich übrigens anscheinend noch lange im kollektiven Bewusstsein erhalten. Denn noch 1841 geben Balzac und Arnould Frémy in ihrer „Physiologie du Rentier de Paris et de Province“ als eines der „Axiome“ des typischen Rentiers wieder, man müsse die Erbsen mit den Reichen und die Kirschen mit den Armen essen (“Il faut manger les petits pois avec les riches, et les cerises avec les pauvres“).

Neben Erbsen hatten es auch die damals ebenfalls exotischen Artischocken und dann vor allem der Spargel dem König angetan. Speziell für ihn  wurde der Potager du roi  nachträglich  noch erweitert: Ein zusätzlicher, spezieller Spargel-Garten wurde angelegt, ein „clos aux asperges“, der heutige Jardin Duhamel de Monceau.,  etwas versteckt im hinteren südlichen Teil des Potager du Roi neben dem Parc Balbi gelegen.  La Quintinie ließ die Spargelfelder – wie auch die Gemüsebeete- teilweise mit Frühbeetfenstern und Glasglocken abdecken, um die Sonne zu verstärken- so wie man das auf dem zwischen 1875 und 1890 entstandenen Gartenbild von Gustave Caillebotte sieht.

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Zum Schutz vor der Winterkälte wurden auf den Spargelfeldern Strohteppiche und warmer Pferdemist verwendet, der mehrmals am Tag erneuert wurde!  Und der Erfolg war überwältigend: Wie vom König gewünscht gab es pünktlich zu Weihnachten auf der königlichen Tafel Spargel, und  La Quintinie konnte in seinem Gartenbuch stolz feststellen, es sei ihm auf diese Weise als Erstem gelungen, „pour donner au plus grand roi du monde un plaisir qui lui était inconnu.“ Und damit nicht genug der Freuden: War doch der Spargel eine „Einladung zur Liebe“, wie Madame de Maintenon feststellte. Und die musste es ja wissen. Allerdings nur mittelbar. Denn Frauen war wegen der ihm zugeschriebenen aphrodisierenden Wirkung der Genuss des Spargels verwehrt!

Um den zentralen Garten herum wurde schließlich noch eine breite  Terrasse gebaut, damit der Sonnenkönig mit Wohlgefallen  seinen Garten und die Arbeit seiner emsigen Gärtner überblicken konnte; wenn  die Sonne einmal nicht schien,  sogar von der Kutsche aus. Den nicht standesgemäßen Gärtnern war der Zugang zur Terrasse allerdings verwehrt.  Heute steht dort auf einem Podest verdientermaßen La Quintinie mit den Attributen seines Metiers. Aber der war ja auch kein ordinärer Gärtner.

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La Quintinie war von Hause aus nämlich Rechtsanwalt. Wegen seiner umfassenden Bildung wurde er von dem Präsidenten des noblen „Cour des comptes“ mit der Erziehung seines Sohnes beauftragt, mit dem er eine Bildungsreise nach Italien unternahm. Dabei entdeckte La Quintinie die italienische Gartenkunst, die ihn so begeisterte, dass er hier seine eigentliche Berufung sah. Und da in dieser Zeit  in Paris Stadtpaläste (hôtel particulier) und im Umkreis der Stadt Schlösser für den Adel in Hülle und Fülle gebaut wurden, gab es Aufträge genug. Der „Finanzminister“ Ludwigs XIV., Nicolas Fouquet, holte La Quintinie zusammen mit den „drei großen Ls“,  Le Nôtre, Le Vau et Le Brun nach Vaux le Vicomte. Als Fouquet dann 1661 in Ungnade fiel, requirierte Ludwig XIV. das gesamte „team“ für sich. La Quintinie wurde zum Verwalter des königlichen Obst- und Gemüsegartens in Versailles und schließlich sogar zum   « directeur des jardins fruitiers et potagers de toutes les maisons royales » ernannt und geadelt: Zeichen für den hohen Stellenwert, den die Gartenkunst bei dem Sonnenkönig hatte. Als La Quintinie 1688 starb, bekannte Ludwig XIV. der Witwe:  « Madame, nous avons fait une grande perte que nous ne pourrons jamais réparer. »

Ludwig XIV. liebte es denn durchaus auch,  seinen Garten auf Augenhöhe zu betrachten oder ihn stolz exquisiten Gästen wie dem Dogen von Venedig oder dem Botschafter von Siam von der umgebenden Terrasse aus zu zeigen.

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Für den königlichen Besucher gab es einen ganz speziellen  Seiteneingang:  Ludwig XIV. konnte  von seinem Schloss über die  Treppen der 100 Stufen (Escaliers des 100 marches) zur Orangerie heruntergehen und von dort aus über die Allée de la Piece d’eau des Suisses direkt durch die vergoldete und mit den Insignien des Königs versehene „Grille du Roi“  den Garten betreten:  Es ist übrigens das einzige noch erhaltene ursprüngliche Tor des gesamten Schlosskomplexes von Versailles.

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Ein weiteres –im Moment ja gerade „aktuelles“-  Beispiel für das große hochherrschaftliche Wohlwollen, dessen sich Gemüse  und –besonders exotisches- Obst in diesen Zeiten erfreute, ist ja auch Friedrich der Große – dem es besonders die Melonen angetan hatten, so dass er eigens eine „Melonerie“ errichten ließ. Und eine Orangerie gehörte gewissermaßen zur Grundausstattung eines absolutistischen Hofes und manchmal sogar eines Klosters, wofür das auf die Zeit Karls des Großen zurückgehende Kloster Seligenstadt am Main ein schönes Beispiel ist: In der dortigen Orangerie wurden vor allem Ananas gezüchtet, mit denen die Äbte des 17. und 18. Jahrhunderts ihren Rang kulinarisch zum Ausdruck brachten und sich und  ihre Gäste verwöhnten.

Sehr lohnend ist in diesem Zusammenhang auch ein Besuch im Louvre: Dort hängen die vier wunderbaren Jahreszeiten-Portraits, die  Archimboldo 1573 für Kaiser Maximilian II. malte. Der besaß schon eine solche Serie und war so angetan davon, dass er als Geschenk für den sächsischen Kurfürsten eine weitere in Auftrag gab, die seit 1969 als einzige vollständig erhaltene Jahreszeiten-Serie Archimboldos im Louvre ausgestellt ist.

Hier wird auch sehr anschaulich, dass ein Obst- und Gemüsegarten in jeder Jahreszeit seine Reize hat. Den Potager du Roi kann man von April bis Oktober besuchen, und das lohnt sich immer. Natürlich im Frühjahr, wenn die Obstbäume blühen und man die Gärtner bei den Pflanzarbeiten auf den Gemüsebeeten beobachten kann; aber auch im Sommer, wenn die Wildblumen auf der ehemaligen Figuerie und die Blumen auf den Rabatten blühen.

Dann zeigen sich auch die Gemüsebeete in ihrer ganzen Pracht und Vielfalt. Da gibt es das Carrée für verschiedene alte und neue Erdbeer-Sorten, ein Carrée für alte aromatische Pflanzen, ein Carrée für Artischocken und Spargel usw.  Und  natürlich lohnt ein Besuch  im Herbst, wenn die Äpfel und Birnen an den Spalieren leuchten

In dem früheren Spargel-Garten werden heute keine Spargel mehr angebaut. Es gibt dort kleine Parzellen, die z.T. von Studenten der Gartenbauschule unterhalten werden, z.T. auch von Schulen und anderen pädagogischen und nachbarschaftlichen Einrichtungen. Das ist ein völlig anderes Gelände als der geometrisch strenge Barockgarten. La Quintinie würde wohl die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er seinen „clos aux asperges“ in seinem heutigen Zustand sähe, entsprechend aber auch deutsche Schrebergarten-Funktionäre. Es ist aber ein wunderbarer ruhiger Ort.

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Man hat von dort aus einen schönen Blick auf die direkt vor dem Garten gelegene Cathédrale St-Louis, in der am Vorabend der Französischen Revolution (4.5.1789) die feierliche Eröffnung der Generalstände stattfand. Ab und zu blökt mal eines der Schafe, die im hinteren Teil des Geländes weiden, oder man hört einen Specht aus dem benachbarten –aber leider geschlossenen- Parc Balbi. Unter alten Aprikosen-Bäumen gibt es ein paar alte Plastik-Tische und Stühle. Sie sehen zwar wenig einladend aus –deshalb das vorsorglich mitgebrachte Tischtuch-  aber man kann sich  ungestört hinsetzen, in Ruhe sein mitgebrachtes Picknick verzehren und es sich gut gehen lassen. Das ist ein wunderbarer Abschluss eines Besuchs im Potager du Roi.

Bevor man den Garten verlässt, sollte man sich noch etwas in der kleinen Boutique am Eingang bzw. Ausgang des Gartens umsehen. Dort gibt es nämlich Kostproben von den jeweils 400 verschiedenen Obst- und Gemüsesorten, die noch heute im Potager du Roi angebaut werden.

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Praktische Hinweise:

10, rue du Maréchal-Joffre    Ab Paris RER C Richtung Versailles-Rive Gauche/Château; .Zugbezeichnung VICK

Die Fahrkarten kann man  an jeder Metro-Station in den Automaten kaufen und sie gelten für Metro und RER. Unbedingt empfehlenswert ist es, in Paris schon Rückfahrkarten zu kaufen- es gibt keine speziellen Hin- und Rückfahrkarten- denn nachmittags gibt es im Bahnhof von Versailles oft riesige Schlangen vor den  Fahrkartenautomaten oder Schaltern.

Vom Bahnhof ca 10 Minuten Fußweg zum Potager: Aus dem Bahnhof links die Avenue du Général -de-Gaulle bis zur Rue des Tournelles- rechts ab. Voilà!

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Öffnungszeiten: April bis Oktober dienstags bis sonntags von 10 – 18 Uhr.  Eintrittspreis unter der Woche 4.50 €, an Wochenenden 7 €. Beim Kauf der Eintrittskarten sollte man sich den Flyer mit Informationen zum Garten und einem Plan geben lassen.  An Wochenenden und Feiertagen sind auch kommentierte Führungen um 11, 14.30 und 16.00 Uhr im Eintrittspreis eingeschlossen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, man findet sich einfach zum entsprechenden Zeitpunkt an der Statue La Quintinies ein.

Aktuelle Informationen über die Geschichte und die künftige Entwicklung des Gartens findet man in dem Pressedossier der Ecole nationale supérieure de paysage, zu der der Potager du Roi gehört: Actions et investissement pour la conservation et la valorisation du Potager du Roi. 16. Oktober 2019. http://www.ecole-paysage.fr/media//ensp_fr/UPL1652196911725588501_DPactionsENSPpourPDR161019web.pdf   Kurzfassung:  http://www.potager-du-roi.fr/site/potager/Conservation-du-Potager-du-Roi-un-etat-des-actions-et-investissements-en-octobre-2019.htm

Anlass dieses Dossiers ist eine am 4. Oktober 2019 im Figaro erschienene  enquête mit dem bezeichnenden Titel: À Versailles, la lente agonie du Potager du roi  –  eine massive Kritik am derzeitigen Zustand des Gartens. Zur weiteren Diskussion siehe: Marc Menessier,  le Potager du roi est bel et bien en péril. Le Figaro répond aux dénégations des responsables de ce site historique «mal mené et malmené». Le Figaro vom 30.10.2019 https://www.lefigaro.fr/jardin/versailles-le-potager-du-roi-est-bel-et-bienen-peril-20191030 und eine Gegenposition eines Kollektivs französischer und italienischer Landschaftsgärtner: Les défis de la restauration du Potager du roi à Versailles. Un collectif craint que les critiques dont fait l’objet le jardin royal n’aient pour objectif d’en dénaturer la Mission afin d’en faire un lieu touristique. In: Le Monde vom 19./20. Januar 2020

Weitere Blog-Beiträge mit Bezug zu  Ludwig XIV.:

Die Fontänen im Park von Versailles (1): Feier des Sonnenkönigs und Machtdemonstration  https://paris-blog.org/2017/09/01/die-fontaenen-von-versailles-1-die-feier-des-sonnenkoenigs/

Die Fontänen im Park von Versailles (2): Ausdruck absolutistischen Größenwahns https://paris-blog.org/2019/04/01/die-fontaenen-von-versailles-2-ausdruck-absolutistischen-groessenwahns/

Die Fontänen im Park von Versailles (3): Der Kanal Louis XIV und das Aquädukt von Maintenon   https://paris-blog.org/2020/05/19/der-canal-louis-xiv-und-das-aquaedukt-von-maintenon-die-fontaenen-von-versailles-teil-3/

Die Manufacture des Gobelins: Politik und Kunst  (August 2018)  https://paris-blog.org/2018/08/01/die-manufacture-des-gobelins-politik-und-kunst/

Napoleon in den Invalides https://paris-blog.org/2017/03/12/napoleon-in-den-invalides-es-lebe-der-kaiser-vive-lempereur-3/

Die Place des Victoires. Der Platz der Siege Ludwigs XIV  https://paris-blog.org/2020/03/12/la-place-des-victoires-der-platz-der-siege-ludwigs-xiv-in-paris-das-modell-eines-koeniglichen-platzes/

Schloss und Park von Chantilly- eine Alternative zu Versailles

Natürlich reichen Schloss und Park von Chantilly bei weitem nicht an Versailles heran. Es gibt dort weder einen Spiegelsaal noch die grandiosen Wasserspiele im Park. Aber immerhin: Auch der Park von Chantilly mit seinem großen Kanal wurde, und zwar noch vor dem von Versailles,  vom großen Le Nôtre entworfen und Chantilly war sogar von den vielen Parks, die er entwarf, ihm der liebste. Das kleine Dörfchen im Park diente sogar als Vorbild für den hameau Marie Antoinettes in Versailles. Wenn man also den Besucherschlangen und dem Gedränge von Versailles entgehen und in Ruhe ein prächtiges französisches Schloss mit seinem Park und seinen Kunstschätzen bewundern will, dann ist man in Chantilly richtig. Auch wenn der Ort weiter von Paris entfernt ist als Versailles: Die Fahrtzeiten sind ganz ähnlich, und vom Bahnhof aus gibt es einen  schönen Fußweg direkt zum Schloss.

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Außerdem hat Chantilly auch einiges zu bieten, was Versailles nicht hat: beispielsweise die riesigen Reitställe (Ecuries), an denen man auf dem Weg vom Bahnhof zum Schloss vorbeikommt und die ich zunächst –wegen ihrer Größe und Pracht-  für das eigentliche Schloss gehalten habe.

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Oder das Musée Condé, eine außerordentliche Sammlung klassischer Kunst, die die Schlossherren, zunächst der „Große Condé“ im 18. und danach der Duc d’Aumale im 19. Jahrhundert,  zusammengetragen haben: Es ist die zweitgrößte Sammlung klassischer Malerei in Frankreich nach dem Louvre, das allerdings mit den drei Raphaels von Chantilly nicht konkurrieren kann.

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Zu den drei Raphaels des Musée Condé gehören neben zwei Gemälden der Madonna mit Kind auch die drei Grazien, ein Motiv, das auf Lucas Cranach zurückgeht. Und immerhin hat das Louvre kürzlich dieses Cranach-Bild mit Hilfe einer groß angelegten Spendenkampagne erworben. Wir konnten es allerdings immer noch nicht sehen, weil dieser Teil des Louvres oft wegen der Personaleinsparungen geschlossen ist…  Es gibt auch eine Reihe schöner Portraits im Musée Condé, unter anderem von der Reine Margot, der ersten Frau Henri Quatres.

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Das ist insofern etwas delikat, weil ja die letzte Liebe des Königs, die blutjunge Charlotte de Montmorency, ausgerechnet in Chantilly zu Hause war- und von der gibt es natürlich auch ein Portrait.

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Die Ausstellungstücke sind zwar –unverändert seit dem 19. Jahrhundert- etwas chaotisch und überbordend angeordnet, aber das hat auch seinen Reiz und strahlt Authentizität aus.

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Das Schloss selbst ist zwar viel bescheidener als das von Versailles und stammt –aufgrund der Zerstörungen während der Französischen Revolution- in wesentlichen Teilen erst aus dem 19. Jahrhundert. Aber die alte Schlosskapelle, die Bibliothek, die das allerdings nur in Faksimile ausgestellte wunderbare Stundenbuch des Duc du Berry zu ihren Schätzen zählt,  und die Galerie der Psyche mit einer Serie von 42 exquisiten Glasfenstern aus der Renaissance lohnen alleine schon einen Besuch.

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Der Park mit seinem großen Kanal und dem „Philosophenweg“, auf dem zur Blütezeit Chantillys La Fontaine, La Bruyère, Mme de Sévigné, Molière und viele andere wandelten, lädt zu einem Spaziergang ein. Den spektakulären, von einer unterirdischen Quelle gespeisten Wasserfall gibt es allerdings nicht mehr.Der ist, wie so vieles in Schloss und Park Chantilly, den Zerstörungen während der Französischen Revolution zum Opfer gefallen.

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Dafür aber die echte Crème Chantilly, die im hameau serviert wird, einem idealisierten Bauerndörfchen, das  zum ersten Mal in einem französischen Schlosspark  aufgebaut wurde.  Dort konnte sich die adlige Gesellschaft ungezwungen verlustieren. Heute gibt es dort ein kleines Café und bei schönem Wetter kann man auch draußen sitzen.

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Die Crème Chantilly soll  von Francois Vatel erfunden worden sein: Geschlagene Sahne, die mit Puderzucker gesüßt und mit Vanille aromatisiert wird.  Ursprünglich hieß der Erfinder mal als biederer Schweizer Fritz-Karl Watel. In Frankreich hat er dann aber eine steile Karriere als Prominenten-Koch und Maître de Plaisir gemacht (was bei Wikipedia sehr schön mit: Event-Manager übersetzt wird):  zunächst bei Nicolas Fouquet, dem reichsten Mann Frankreichs, in Vaux-le-Vicomte (was ein anderes grandioses Schloss bei Paris und  eine andere schöne Geschichte ist- das vielleicht in einem späteren Bericht), dann beim großen Condé in Chantilly. Mit Vatel nahm es allerdings ein trauriges Ende: Am 23. April 1671 erschien Ludwig XIV. mit einem großen 3000 Mann und Frau-starken Gefolge in Chantilly. Es sollte feierlich die Versöhnung mit dem Großen Condé besiegelt werden, der an der Adelsfronde gegen den jungen Ludwig teilgenommen hatte. Außerdem hoffte der hoch verschuldete Condé auf ein einträgliches Militär-Kommando. Nach einer gemeinsamen Jagd gab es ein festliches Souper mit Feuerwerk. Und das war auch schon der Beginn des Dramas, über das wir durch einen Brief von Madame de Sévigné an ihre Tochter anschaulich informiert werden (26. April 1671): Das Feuerwerk funktionierte wegen schlechten Wetters nicht recht, und beim Abendessen fehlte an zwei Tischen der Braten, weil das Gefolge des Sonnenkönigs größer war als erwartet. Vatel sah sich in seiner Ehre beschädigt, auch wenn ihn sein Herr wiederholt beruhigte und tröstete. Am nächsten Tag sollte dann wenigstens alles perfekt sein. Da es Karfreitag war, stand auf dem Speiseplan –vor der Créme Chantilly – Fisch. Doch welche Tragik: Als Vatel am frühen Vormittag die Vorräte inspizierte, stellte er fest, dass die bestellten Fisch-Lieferungen nicht eingetroffen waren! Das war zu viel! Vatel  stürzte sich voller Scham in seinen Degen  und machte so seinem Leben ein Ende. Kurze Zeit später trafen aus allen Häfen Frankreichs die Fische in riesigen Mengen ein! Madame de Sévigné soll jedenfalls in einem Gespräch Vatel als ein Vorbild für Verantwortungsbewusstsein gerühmt haben.

Es erscheint selbstverständlich, dass das Schlossrestaurant den Namen Vatels trägt. Und vielleicht sind auch die vielen Karpfen, die  sich in den Schlossgewässern tummeln, eine Hommage an Vatel: Mit ihnen könnte man jedenfalls sicherlich ohne Mühe ein 3000-köpfiges Gefolge verköstigen.

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Es gibt im Schlosspark von Chantilly –hinter dem hameau- übrigens auch ein Labyrinth- ein grünes, aus Hainbuchen-Hecken. Kunstvoll angelegt, ohne jeden metaphysischen Anspruch, aber eines, in dem man sich wirklich verirren kann!

Die Menagerie, die nach dem Vorbild von Versailles eingerichtet wurde, gibt es allerdings nicht mehr.

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Exposition “La ménagerie de Chantilly”

Und es gibt auch einen Film über Vatel, der sogar 2000 als Eröffnungsveranstaltung der Filmfestspiele von Cannes gezeigt wurde. Die Hauptrolle spielt natürlich….. Gerard Dépardieux, was auch –wenn ich mir die respektlose Bemerkung gestatten darf- plausibel macht, dass es –wie Madame Sévigné berichtet- dreier Versuche bedurfte, bis sich Vatel „erfolgreich“ den Degen in die Brust gerammt hatte. Vorher darf  Dépardieu aber seinen Finger in alle Töpfe stecken, und eine schöne Frau (Uma Thurman) für ihn gibt es natürlich auch … Von 3sat, das den Film am 23.12.10 ausstrahlte, wurde der Film als „opulentes Historiendrama“ angekündigt. Selten habe ein Film „das Übermaß an Prunk und Pracht im Umfeld Ludwigs XIV. so sinnlich ansprechend in Szene gesetzt“. Jedenfalls der passende Film zum Schloss!

Praktische Information: Fahrt mit dem TER Picardi vom Gare du Nord Richtung Creil bis Chantilly-Gouvieux

25 Minuten Fahrzeit. Die Fahrkarten kann man an jeder Metro-Station kaufen und damit auch gleich zum Gare du Nord fahren. Fahrplan im Internet. (SNCF, Gare du Nord – Creil).  Vom Bahnhof Chantilly-Gouvieux aus noch ein Fußweg zum Schloss (beschildert) durch den Wald, dann entlang der Pferderennbahn bis zu den Ställen und von dort zum Schloss.

Täglich außer dienstags geöffnet.

Das Labyrinth von Chartres

Einen Ausflug nach Chartres zu empfehlen, ist sicherlich nicht sehr originell. Die Bedeutung und Schönheit der Kathedrale sind hinlänglich bekannt: Das Königsportal im Westen ist „l’une des merveilles de l’art roman“ (eines der Wunderwerke der Romanik; Michelin, Ile de France 1998, S. 81), und die Glasfenster mit ihrem unnachahmlichen Blau und insgesamt 5000 Abbildungen sind selbst im Land der Kathedralen einmalig. Rodin nannte Chartres „l’acropole de la France“, und als vor Jahren einmal Pepsi Cola ein begehrliches Auge auf den französischen Lebensmittelkonzern Danone geworfen hatte, machte dessen Vorstandsvorsitzender unmissverständlich klar: „Danone, c’est la cathédrale de Chartres. On n’achète pas la cathédrale de Chartres“.  (Le Monde, 26.10.2010. Danone ist die Kathedrale von Chartres. Man kauft nicht  Chartres). Damit war die Unantastbarkeit seiner Firma gewissermaßen in Stein gemeißelt.

Dass ich trotzdem Chartres in die kleine Sammlung meiner Ausflugsempfehlungen aufnehme, hängt mit einer Entdeckung zusammen, die wir gemacht haben, als wir auf der Rückfahrt von ein paar Tagen am Meer (St. Malo)  in Chartres Station machten. Es war ein Freitag  Nachmittag, die Stühle im vorderen Teil des Kirchenschiffes waren weggeräumt. Einige Besucher –manche mit einer Kerze in der Hand- gingen langsam herum, manchmal nebeneinander, manchmal in entgegengesetzter Richtung, aber ohne sich zu berühren,  manchmal drehten sie sich, aber es waren immer kreisförmige Bahnen, eine eigentümliche ruhige Choreographie.

Als wir näher kamen, sahen wir auf dem Boden die kreisrunden schwarzen und hellen Bänder, denen die Besucher vorsichtig folgten und entdeckten das Labyrinth von Chartres.

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Ich war schon mehrfach in Chartres gewesen,  zuerst vor  50 Jahren mit meinem Schulkameraden Winfried – (Paris per Anhalter!) – aber das Labyrinth war mir nie aufgefallen. Wohl nicht nur, weil man in der Kirche eher nach oben zu den Fenstern blickt: Außer freitags ist das Labyrinth immer mit Kirchenbänken zugestellt, so dass man es kaum sehen kann- und diesmal hatten wir –zufällig- gerade einen Freitagnachmittag erwischt. Auch in dem großen Bildband über französische Kathedralen, den ich mir nach meiner ersten Frankreich-Fahrt von meinen Eltern zu Weihnachten gewünscht hatte, ist kein Bild eines Labyrinths enthalten. Und selbst in meinem Reiseführer, der auf mehreren Seiten die Kathedrale beschreibt und rühmt, ist das Labyrinth mit keiner Zeile erwähnt.

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Das Labyrinth von Chartres: Aus dem  Skizzenbuch des Villard de Honnecourt (um 1232)

Das ist nur allzu bedauerlich, denn das Labyrinth von Chartres ist –wie die Kathedrale insgesamt- ganz einzigartig. Es ist mit einem Durchmesser von fast 13 Metern das größte und älteste französische Labyrinth, um 1200 entstanden, Vorbild für viele nachfolgende. Dass  das Labyrinth von Chartres ein architektonisches Vorbild war, wird auch daran  deutlich, dass es von dem mittelalterlichen Archtekten Villard de Honnecourt in sein Skizzenbuch aufgenommen wurde.

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Das Labyrinth in der Kathedrale von Amiens – in der Nachfolge des Labyrinths von Chartres

Das Labyrinth von Chartres  befindet sich im Langhaus direkt hinter dem großen Eingang im Westen. Die kreisrunden Wege des Labyrinths bestehen aus 20-30 cm großen grauen Steinen, die Trennlinien –Mauern- dazwischen aus dunkleren. Insgesamt ist der Weg, den die Gläubigen in dem Labyrinth zurücklegen müssen, 294 Meter lang. Um ihn, wie es im Mittelalter üblich war, knieend und betend zurückzulegen, brauchte man etwa eine Stunde, soviel wie man zu Fuß für eine Meile (lieue) brauchte, deshalb auch der Name La Lieue für das Labyrinth von Chartres. In der Mitte des Labyrinths befand sich eine Kupferplatte, auf der der Kampf des Theseus mit dem Minotaurus abgebildet war.

Der Anklang an den antiken Mythos ist also deutlich, allerdings verändert das Labyrinth von Chartres –wie die anderen christlichen Labyrinthe- die antike Bedeutung völlig: Folgt man in der Kirche dem vorgezeichneten Weg kann man sich nicht verirren. Der Weg ist zwar verschlungen, manchmal erscheint das Zentrum schon ganz nahe, dann entfernt man sich wieder: Der Weg zum Heil ist verschlungen, auf ihm sind Reue und Buße für die begangenen Sünden gefordert. Nicht von ungefähr umfasst der Weg insgesamt 11 Kreise- und 11 ist die Zahl des Irrtums: 10 Gebote plus 1 oder 12 Apostel weniger 1.  Schließlich gelangt man aber doch zum Ziel.  Der Ariadne-Faden ist hier der Glaube, der einen, wenn man nur geduldig genug ist, unweigerlich ins „himmlische Jerusalem“ führt. Danach geht man den Weg zurück und kann als neuer, geläuterter Mensch vor den Altar treten.

Die spirituelle Bedeutung dieses irdischen Wegs zum Heil wird noch dadurch unterstrichen, dass das Labyrinth die gleiche Größe hat wie die große Fensterrose im Westen, die das Jüngste Gericht zum Thema hat. Und das ist kein Zufall: Der Architekt Villard de Honnecourt hat 1230 den Plan der Rosette und den des Labyrinths gleichzeitig gezeichnet. Und nicht nur das: Würde man die Westfassade ins Kirchenschiff absenken, so würde die Rosette des Jüngsten Gerichts genau das Labyrinth bedecken. Aber der Gläubige ist auf dem Weg zum

Heil/zum Licht nicht alleine: Am 15. August jeden Jahres, dem Fest der Jungfrau Maria, strahlt die Sonne genau durch das Marienbild im großen mittleren Fenster der Westfassade und erleuchtet die Kupferplatte in der Mitte des Labyrinths!

Ich muss gestehen, dass ich mich  schon beim Weg durch das Labyrinth von Chartres und danach bei der weiteren Beschäftigung mit ihm seiner Faszination nicht entziehen konnte. Und was für ein Glück, dass es –bis auf die zentrale Platte- unverändert durch die Jahrhunderte erhalten geblieben ist. Andernorts war das nicht so: In der Kathedrale von Reims beispielsweise wurde das große Labyrinth kurz vor der Französischen Revolution zerstört. Man hatte die religiöse Bedeutung der Labyrinthe vergessen, sie wurden als Orte des Aberglaubens verstanden, auch für Tanzvergnügungen und dergleichen zweckentfremdet, so dass  sie vielfach auf Veranlassung des Klerus beseitigt wurden.

Übrigens gibt es in der Kathedrale von Chartres auch noch weitere geometrische (und sicherlich auch arithmetische) Besonderheiten. Beispielsweise lässt sich der Grundriss auf drei flächengleiche geometrische Figuren zurückführen: ein Rechteck mit dem Seitenverhältnis 2:1, das die Größe des Chores bestimmt; ein Quadrat, das mit seinen Ecken die Breite des Langhauses festlegt; und ein Kreis, der am Hauptportal endet und damit die Länge des Langhauses bestimmt. Zufall? Symbol der Dreieinigkeit? Es gibt sicherlich noch viel zu entdecken! Und noch viele offene Fragen!

Praktische Information: Nach Chartres gelangt man mit dem Auto, aber auch gut in ca. einer Stunde vom Bahnhof Montparnasse aus. Das Labyrinth ist zugänglich jeden Freitag, beginnend vom ersten Freitag der Fastenzeit bis zum letzten Freitag im Oktober.