„Die Himmelsleiter ist eine Lichtinstallation, die die Verbindung zwischen der Erde auf der einen Seite und dem Himmel und dem Göttlichen auf der anderen Seite darstellt und sich als Symbol des Friedens versteht.“[1]
So die offizielle Erläuterung zu dem Projekt, das im Rahmen der Olympiade culturelle am 16. Juni 2024 in der Pariser Kirche Saint-Eustache eingeweiht wurde. Es ist -sozusagen- die dritte kirchliche „Etappe“ der Himmelsleiter.

2021 war sie für anderthalb Jahre am Stephansdom in Wien installiert: Ausgehend von der Taufkapelle hatte sie das Gewölbe „durchstoßen“ und dann außen ihren Aufstieg bis an die Spitze des Südturms fortgesetzt.[2]


Von 2022 bis Anfang 2024 hatte die Kunstinstallation dann in der Lambertikirche von Münster Station gemacht. [3]

Inzwischen ist in Münster -mit Hilfe österreichischer Kletterer- die Himmelsleiter am Turm wieder abgebaut, die Leiter im Inneren bleibt aber erhalten.
Jetzt also Saint-Eustache.

Foto: Wolf Jöckel
Dass die Himmelsleiter (vor allem [4] ) in Kirchen installiert wurde und wird, beruht auf ihrem alttestamenarischen biblischem Hintergrund, der Jacobsleiter. Sie ist danach die Verbindung zwischen Erde und Himmel, zwischen den Menschen und Gott. Und im Mittealter wurde sie auch als eine Tugendleiter verstanden, über deren Stufen der Mensch zu Gott aufsteigt.[5]
Als die Leiter mitten im Ukraine-Krieg in Münster, der Stadt des Westfälischen Friedens (Ende des 30-jährigen Krieges 1648) installiert war, lag es für den Münsteraner Oberbürgermeister nahe, die Himmelleiter als eine Friedensleiter zu deuten. [6] Diese Definition wurde nun auch ganz offiziell bei dem Pariser Projekt aufgenommen. Und das bietet sich ja auch -gerade im laizistischen Frankreich- an. Zumal die neongelb leuchtende Leiter im nördlichen Querschiff der Kirche installiert wurde, direkt über der Inschrift: pax hominibus bonae voluntatis, Friede auf Erden den Menschen guten Willlens.

Insofern versteht sich die Himmelsleiter (échelle céleste) zugleich als Friedensleiter (échelle de la paix). Sie „soll auch in Paris ein Zeichen für den Frieden in der Welt setzen.“[7] Und in den Reden bei der Einweihung wurde dementsprechend mehrfach auf die aktuelle Situation hingewiesen: Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten und die immense Schwierigkeit, einen derzeit nicht absehbaren Frieden (wieder)herzustellen.

Die 21 Stufen der Friedensleiter können als symbolischer Ausdruck dieser schwierigen Perspektive verstanden werden. Auch während der Olympischen Spiele wird es -im Gegensatz zur olympischen Idee- keinen Frieden geben. Insofern passt die Friedensleiter mit ihrem erst in beträchtlichem Abstand zum Boden beginnenden Anfang und ihren in schwindelerregende Höhe führenden Stufen gut zu der aktuellen Weltlage und zu der Pariser Kulturolympiade, zu deren Projekten sie gehört.
Getragen wird die Kunstinstallation von dem österreichischen Kulturforum und der Botschaft Österreichs in Paris: Die „Erfinderin“ der Himmels- und Friedensleiter, Billi Thanner, ist nämlich Österreicherin.[8]

Billi Thanner mit Mitgliedern der Tanz-Compagnie CUBe, die bei der Eröffnungsveranstaltung auftrat. Foto: Wolf Jöckel
Dass die Pariser Himmels-/Friedensleiter gerade in Saint-Eustache installiert wurde, kommt nicht von ungefähr. St. Eustache ist eine der größten und bedeutendsten Kirchen von Paris. Sie liegt zentral im 1. Arrondissement zwischen dem Centre Pompidou und der Bourse de Commerce in Nachbarschaft zu den ehemaligen Hallen und dem heutigen Verkehrs- und Einkaufszentrum (Canopé). Der 1532 begonnene heutige Bau geht auf König François I. zurück, der im Zentrum der Stadt eine repräsentative Kirche im Stil der Renaissance errichten wollte.

Foto: Wolf Jöckel. Aufgenommen 2021 vom Café der Bourse de Commerce/Pinault Collection
Die Kirche hatte einerseits königlichen Rang (paroisse royale), was nicht nur an ihren Ausmaßen, sondern auch an der Beziehung vieler bedeutender Persönlichkeiten der französischen Geschichte und Kultur zu der Kirche ablesbar ist. So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, der bedeutendste Minister des Sonnenkönigs, Colbert, dort bestattet.

Detail des monumentalen, von Ludwigs Hofmaler Le Brun entworfenen Grabmals für Colbert. Foto: Wolf Jöckel
Andererseits war Saint-Eustache aber auch die Kirche der einfachen Menschen im geschäftigen Herzen von Paris. Und so ist auch die verarmte und vereinsamte Mutter Mozarts, die ihren Sohn 1778 auf dessen gescheiterter Reise nach Paris begleitet hatte, in Saint-Eustache bestattet worden. Ein Grabmal hat sie dort natürlich nicht erhalten, aber immerhin eine neuere Erinnerungsplakette in der chapelle Sainte-Cécile.[9]

In diesem Jahr feiert die Kirche ihr 800-jähriges Jubiläum.[10] Und in diesem Jahr wurde auch die Restaurierung der an antiken Vorbildern orientierten monumentalen Westfassade der Kirche abgeschlossen. (Auf dem obigen Foto sind die Säulen noch mit Gerüsten gestützt.)
Schon dies sind Gründe genug, die Himmelsleiter gerade in dieser Kirche zu installieren. Es gibt aber noch einen weiteren ganz wichtigen Aspekt, nämlich das Engagement von Yves Trocheris, des Curé von Saint-Eustache, für zeitgenössische Kunst.[11]

So steht in einer Seitenkapelle der Kirche ein Triptychon des amerikanischen Künstlers Keith Haring. Foto: Wolf Jöckel
Aber auch ganz aktuelle und durchaus umstrittene Werke haben in der Kirche ihren Platz, wie derzeit ein von der Collection Pinault ausgeliehenes Gemälde des aus Guadeloupe stammenden Künstlers Pol Tabouret, das neben einer Beweinung Christi aus dem 17. Jahrhundert in der Kapelle der heiligen Agnes zu sehen ist.

Und ein frühes Meisterwerk von Peter Paul Rubens gehört auch zur kirchlichen Ausstattung… Desgleichen finden regelmäßige Orgelkonzerte hier statt. Und natürlich steht dort auch öfters Mozarts Requiem auf dem Programm. Immerhin soll Mozart Anregungen zu diesem Werk von einer französischen Totenmesse erhalten haben, die anlässlich der Beerdigung seiner Mutter in Saint-Eustache aufgeführt wurde…[12]
Es gibt also viele Gründe, der Kirche Saint-Eustache einen Besuch abzustatten…
Praktische Informationen
Die Himmel-/Friedensleiter ist bis zum 15. September 2024 17 Uhr in Saint-Eustache zu sehen.
Adresse: 2 Impasse Saint-Eustache, 75001 Paris
Freier Eintritt
Anmerkungen
[1] https://olympiade-culturelle.paris2024.org/evenement/echelle-celeste-a7f2o000000DPqOAAW
Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben, von Wolf Jöckel
[2] Bild aus: https://www.dersonntag.at/artikel/himmelsleiter-auf-dem-stephansdom/ Siehe auch: https://www.erzdioezese-wien.at/site/home/nachrichten/article/92936.html
[3] Vorausgehendes Bild aus: https://www.die-tagespost.de/leben/aus-aller-welt/ein-oesterliches-hoffnungssymbol-art-237394 Nachfolgendes Bild aus: https://www.bistum-muenster.de/startseite_aktuelles/newsuebersicht/news_detail/himmelsleiter_verlaesst_muenster
[4] Es gibt allerdings auch eine Himmelsleiter-Version am Luxushotel Schloss Seefels am Wörther See. Als dauerhafte Installation dient sie als „Landmark“ und soll das Hotel „zu einem ganz besonderen energetischen und spirituellen Ort magischer Augenblicke und unvergesslicher Momente“ machen. https://www.seefels.at/kunst-design/himmelsleiter/

Zur Seefelser Himmelsleiter siehe den anschließenden Beitrag von Ulrich Schläger.
[5] https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/himmelsleiter
[6] https://www.allesmuenster.de/billi-thanner-himmelsleiter-ein-symbol-des-friedens/
[7] https://www.sanktlamberti.de/himmelsleiter-in-paris/
[9] Ein Blog-Beitrag über Mozarts Aufenthalte in Paris ist in Vorbereitung.
[10] https://soupesainteustache.fr/accueil/saint-eustache/histoire/
[11] Siehe: https://www.challenges.fr/luxe/saint-eustache-sanctuaire-de-l-art-contemporain_876669
[12] s. Paul Bardon, L’origine française du Requiem de Mozart. Delatour 2021
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Ulrich Schläger, Autor mehrerer Artikel zum deutsch-französischen Pariser Stadtbaumeister Hittorff, hat zu diesem Blog-Beitrag die nachfolgende „Anmerkung“ geschrieben, die ich den Leserinnen und Lesern dieses Blogs nicht vorenthalten möchte. W.J.
Anmerkung zur „Himmelsleiter“ am Hotel Schloss Seefeld
Mit dem Décor, Accessoire, meinetwegen Kunstobjekt „Himmelsleiter“ soll dem Luxus-5-Sterne-Hotel Schloss Seefeld (siehe dessen Web-site) eine höhere Weihe, eine besondere Aura verliehen werden, ganz so wie es Rüdiger Safranski für das Romantisieren in seinem Buch Romantik. Eine deutsche Affäre (München, Hanser-Verlag, 2007) beschrieben hat: »Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“ Nach Novalis bedeutet Romantisieren die qualitative Potenzierung des Tatsächlichen, die Verbesserung eines ursprünglichen Zustandes mit den Mitteln der Imagination und der Poesie.«
In diesem Sinn wird die „Himmelleiter“ in der Hotelwerbung zum Mittel des Zwecks: „Mit der HIMMELSLEITER von Billi Thanner wird das Hotel Schloss Seefels zu einem ganz besonderen energetischen und spirituellen Ort magischer Augenblicke und unvergesslicher Momente.“ Aus dem ursprünglichen Sinnzusammenhang herausgerissen und vereinnahmt, wird die Himmelsleiter zum bloßen Werbeobjekt und auf die gleiche Ebene gestellt wie das „Interieur-Design und die Bilder aus der Familiensammlung Haselsteiner bis zum Augarten-Porzellan und die Kunst am Teller aus der Haubenküche“.
Diese Vereinnahmung kann Billi Thanner nicht verborgen geblieben sein bzw. sie hat daran bewusst teilgehabt. Das wirft ein fragwürdiges Bild auf die ganze Aktion „Himmelsleiter“.
Die eigentliche Bedeutung der Jakobsleiter oder Himmelsleiter
»Die Jakobsleiter oder Himmelsleiter ist ein Auf- und Abstieg zwischen Erde und Himmel, den Jakob laut der biblischen Erzählung in Genesis 28,11 während seiner Flucht vor Esau in einer Traumvision erblickt. Sie stand auf der Erde und ihre Spitze reichte in den Himmel. Auf ihr sieht er Engel Gottes, die auf- und niedersteigen, oben aber steht der Herr (JHWH) selbst, der sich ihm als Gott Abrahams und Isaaks vorstellt und die Land- und Nachkommen-Verheißung erneuert. (…) Im Johannesevangelium wird das Bild der Jakobsleiter typologisch auf Jesus Christus übertragen. Das Johannesevangelium bezieht die Jakobsleiter auf die Christusoffenbarung mit dem Höhepunkt am Kreuz: „Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn“ (Joh 1,51 ). Im Markusevangelium wird gleich im 3. Vers Isaias 40,3 zitiert: „Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, machet gerade seine Steige!“ Der christliche Choral Näher, mein Gott, zu dir bezieht sich auf die biblische Geschichte von Jakobs Traum und der Leiter. Auch in Spirituals wird das Motiv verwendet, zum Beispiel in den Liedern We are climbing Jacob’s ladder und Climb up (Jacob dreamed, he saw a ladder).
Die Kirchenväter deuteten das Kreuz als die Leiter zum Himmel oder zum Paradies (scala paradisi). Dieses spirituelle Verständnis der Kirchenväter greift die Äbtissin der Benediktinerinnenabtei Mariendonk, Christiana Reemts, auf: „Das Kreuz ist aufgerichtet als eine wundervolle Leiter, auf welcher wir zum Himmel hinaufgeleitet werden. Durch die Geburt des Sohnes Gottes stiegen die Engel zu den Menschen herab und konnten zugleich die Menschen aufsteigen aus der Tiefe zum Himmel. Durch das Kreuz wurden Himmel und Erde wieder vereinigt, die zuvor verfeindet waren, und es herrschte wieder Friede zwischen beiden Teilen, die zuvor getrennt waren. (…) Wie eine Leiter aus zwei Holmen besteht, so das Kreuz Christi aufgrund der beiden Testamente. (…)Im Kreuz hat Christus alle Mysterien zur Vollendung und zur Zusammenfassung gebracht, hat auch Adam zum Vater zurückgeführt und den Weg zum Himmel erschlossen. « (Text aus Wikipedia)
»In der christlichen Theologie wiederum steht Jakob mit seiner Leiter als Vorbote Christi, als Vermittler zwischen Mensch und Gott. Die einzelnen Stufen können aber auch als moralische Besserung der Seele auf ihrem Weg zu Gott gedeutet werden (Stefanie Oswalt: „Wohin die Himmelsleiter führt“, Deutschlandfunk, 09.10.2019).«
Diesen Sinn hat die Himmelsleiter an der Westfassade der Bath Abbey:

Jakobsleiter Bath Abbey West front (https://www.uksouthwest.net/somerset/bath-abbey/bath-abbey-west-front.html#google_vignette)
In diesem Sinn finden wir das Bild der Himmel- oder Jakobsleiter auch in den Handschriften und späteren Drucken der Heilsspiegel, eine seit dem Spätmittelalter verbreitete Art christlicher Erbauungsbücher: Die ursprüngliche, in lateinischer Reimprosa gedichtete Version Speculum humanae salvationis (lat. „Spiegel des menschlichen Heils“ bzw. der deutschen Übersetzung: Spiegel menschlicher behaltnis ) verfasste mutmaßlich ein Mönch in Italien am Anfang des 14. Jahrhunderts.

Jakobsleiter – Spiegel menschlicher Behaltnis – Provinzialbibliothek Amberg 2 Ms. 46 (Ausschnitt)
Grundgedanke ist die schon im Evangelium vertretene Vorstellung, dass das Neue Testament im Alten vorgezeichnet sei und die alttestamentlichen Heilsversprechen erfüllt. Der Zweck des Buches wird in der lateinischen Version genannt, nämlich die „eruditio indoctorum“, d.h. die religiöse Unterweisung eines theologisch nicht vorgebildeten Laienpublikums.

Jakobsleiter – Speculum humanae salvationis – Universitätsbibliothek Augsburg, Cod.I.2.2.24 (Ausschnitt)
Wir sehen hier schon in dieser Vielfalt der Deutungen – die Jakobsleiter als Tugendleiter, als Aufstieg in den Wissenschaften, als kosmologischer Aufstieg, aber auch als politischer Aufstieg der verschiedenen Weltreiche –, dass die Leiter, von der Jakob träumt, als Denkmodell in ganz verschiedenen Bereichen Anwendung findet.
Die Judaistin [Hanna Zoe Trauer] sieht hierbei auch eine enge Verknüpfung mit der Frage nach Krise und Hoffnung. „Jakob auf der Flucht, der von Gott wieder Versicherung erhält, spiegelt sich in der politischen Deutung von den unterdrückten Juden, die anhand der Jakobsleiter die Versicherung erhalten, wieder zur Herrschaft aufzusteigen, wieder in Sicherheit zu kommen.“
Selbstverständlich taucht die Jakobsleiter auch in den Krisensituationen des 20. Jahrhunderts immer wieder auf – besonders prominent etwa in Arnold Schönbergs unvollendet gebliebenem, gleichnamigem Oratorium, das er während des ersten Weltkriegs schrieb. Doch zurück zu Michael Willmanns Gemälde:

Das Motiv stammt aus dem alten Testament: Michael Willmanns „Landschaft mit dem Traum Jakobs“ (vermutlich 1691). © Kristiane Hasselmann
Auch Ende des 17. Jahrhunderts stand es für die Hoffnung nach der Krise: Es zierte das Refektorium des niederschlesischen Klosters Leubus, das nach den Zerstörungen im 30-jährigen Krieg wieder aufgebaut worden war (Stefanie Oswalt: „Wohin die Himmelsleiter führt“, Deutschlandfunk, 09.10.2019).
„Hoffnung nach der Krise“ – das gibt Sinn für die Installation der Himmelsleiter in Wien, Münster und Paris, aber nicht beim Hotel Schloss Seefeld. Hier ist die Installation der Himmelsleiter eine (leider keine ungewollte) Profanierung und bloße Effekthascherei, verbrämt mit modischem Blablabla!
Ulrich Schläger (September 2024)









































































