Monumentalität und Poesie: „Anselm Kiefer: pour Paul Celan“ im Pariser Grand Palais Éphémère

Das Grand Palais Éphémère in Paris ist ein Übergangsbau, der während der Renovierung  des eigentlichen Grand Palais als Ort für Veranstaltungen wie Messen, Kongresse und Ausstellungen dient. Es steht auf dem Marsfeld zwischen dem Eiffelturm und der École Militaire.

Blick auf die École militaire. Wenn nicht anders angegeben: Alle Fotos von Wolf Jöckel

Dort stand einmal die Mauer für den Frieden. Die musste aber für das provisorische Grand Palais weichen – im Gegensatz zu dem Standbild des Marschalls Joffre, der im Ersten Weltkrieg mit seiner Strategie der offensive à outrance und des coûte que coûte Hunderttausende Menschenleben opferte.[1] 

Die Reiterstatue Joffres wurde in den Bau integriert und steht -jetzt vollständig restauriert- im Foyer der Ausstellungshalle.

Die gewaltige provisorische Holzkonstruktion des Grand Palais Éphémère soll 2024 unter dem Namen Arena de Champ-de-Mars als Austragungsstätte für die Judo- und Ringwettkämpfe der Olympischen Spiele dienen und danach ab­getragen und verkauft werden. Geplant wurde der Bau von dem Pariser Architekten Jean-Michel Wilmotte. Der hat auch eine neue mur pour la paix an einem neuen Standort entworfen, deren Realisierung aber noch auf sich warten lässt…. [2]

Der Eiffelturm ist aus Anlass der französischen EU-Ratspräsidentschaft blau angestrahlt – auf der anderen, dem Trocadero zugewandten Seite leuchten außerdem bis Ende Januar die 12 Sterne der Europaflagge. Zu Beginn jeder vollen Stunde glitzern wie immer auch noch am ganzen Eiffelturm die Lichter. Rechts ein Stück der hölzernen Konstruktion des Grand Palais Éphémère. Foto: F. Jöckel

Alles wirkt hier überwältigend: die Grundfläche von 10 000 Quadratmetern unter den bis zu zwanzig Meter hohen gewölbten Dächern über kreuzbasilikaartigem Grundriss, die zwei gewaltigen Glasflächen an den Stirnseiten mit Aus­blicken auf Eiffelturm und Militärschule, das diffuse Zwielicht: ein angemessener Raum für die monumentalen Arbeiten Anselm Kiefers.  

Überwältigend sind auch die insgesamt mehr als 860 Quadratmeter Leinwandfläche, die in der Ausstellung „Anselm Kiefer – für Paul Celan“ vom 16. Dezember 2021 bis zum 11. Januar 2022 gezeigt wurden.[3]

Das größte Bild war im Zentrum des Gebäudes platziert: „Als Arche verließ es die Straße“ (2020-2021)

Es ist nach den auf der Rückseite eingezeichneten Angaben fast 128 m2 groß.

Selbst für Kiefer sind solche Ausmaße von Gemälden ungewöhnlich; man kennt sie indes von seinen Bühnenbildern. Und in der Tat war das Ensemble dieser Bilder für Paul Celan im Pariser Riesenraum arrangiert wie auf einer Bühne: mit scheinbar beweglichen Akteuren, denn alle Leinwände waren auf Rollwagen befestigt. Das war nach Kiefers Angaben eine Idee von Chris Dercon, dem Theater-affinen Chef des Grand Palais. Kiefer selbst pflegt seine Bilder im Atelier aber auch auf Rollen aufzustellen, um die teilweise jahrelange Arbeit daran zu erleichtern.[4]

Anselm Kiefer, der französische „Staatskünstler“

Es war der persönliches Wunsch des französischen Präsidenten Macron, dass Anselm Kiefer zu Beginn der französischen EU-Ratspräsidentschaft im Pariser Grand Palais Éphémère  Monumentalwerke zur Dichtung Paul Celans ausstellt. Dies ist der (vorläufige) Höhepunkt der besonderen Wertschätzung durch die französische Republik, der sich Anselm Kiefer wie kein anderer bildender Künstler erfreut.

Seit 1992 lebt Kiefer in Frankreich. Es war der damalige Kulturminister François Mitterands,  der ihm eine frühere Fabrik in Barjac (Südfrankreich) als erstes Atelier zur Verfügung stellte.  2007 hatte Kiefer die Ehre, die Ausstellungsserie „Monumenta“ im Grand Palais zu eröffnen, wo jeweils ein Künstler den ganzen Glaskuppelbau gestaltete. 2011 wurde er mit dem „Ordre des arts et lettres“ (deutsch: Orden für Künste und Literatur) ausgezeichnet. 2015/2016 widmete das Centre Pompidou dem Deutschen eine bedeutende Retrospektive, und am 11. November 2020 weihte Staatspräsident Macron anlässlich der Pantheonisierung von Maurice Genevoix[5] im Pantheon, der Gedenkstätte für Frankreichs große Männer und Frauen, seine Auftragsarbeit an Anselm Kiefer ein.

Anselm Kiefer, Qu’est-ce que nous sommes… (2020) Panthéon. © Didier Plowy / CMN[6]

Seit 1924 hatte es keinen staatlichen Künstlerauftrag für den Panthéon gegeben. Sechs große Glasvitrinen mit Kiefers Kunst zum Gedächtnis stehen permanent im säkularen Tempelbau. Seither bezeichnet man Anselm Kiefer in deutschen wie französischen Medien gerne als Staatskünstler.[7] Chris Dercon, der Generalsekretär der die aktuelle Ausstellung organisierenden Vereinigung der Nationalmuseen RMN, geht sogar so weit zu behaupten, die deutsch-französische Freundschaft zwischen Macron und Kiefer sei der zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle zu vergleichen.[8]

Eine besondere Ehrung wurde Kiefer auch 2013 in der Ausstellung „De l’Allemagne, 1800- 1939. De Friedrich à Beckmann“ zuteil. Es war die größte Ausstellung deutscher Malerei, die jemals in Frankreich gezeigt wurde; (vielleicht abgesehen von der großen napoleonischen Raubkunstausstellung von 1806/07[9]).  Und als einziger Künstler der Nachkriegszeit war auch Kiefer vertreten- und das auch noch höchst prominent.

Foto: Wolf Jöckel (2013)

Dazu aus einer damaligen Ausstellungskritik:

„Als düster-raunendes Präludium hat Anselm Kiefer den Ein- und Ausgangsbereich der Ausstellung mit zehn großformatigen (fast vier Meter hoch, drei Meter breit), collagierten Holzschnitten versehen, die eine Art Privatmythologie des Rheins formulieren (De l’Allemagne, 1982-2013). Schwarze senkrechte Strukturen im Vordergrund der Collagen mögen einen, durch Wälder verstellten Blick auf den Fluss vorstellen, oder den, durch einen Grenzzaun gebrochenen Blick auf den Anderen symbolisieren…“[10]  

Foto: Wolf Jöckel (2013)

Die Louvre-Ausstellung war Anlass zu heftigen Polemiken. Die FAZ beispielsweise überschrieb ihre Ausstellungskritik lautmalerisch: Aus tiefem Tal zu Riefenstahl. In der Ausstellung werde das Bild eines Landes entworfen, das „mehr oder weniger geradlinig auf den Nationalsozialismus zusteuerte.“[11] Die einleitenden Bilder von zerstörten Landschaften, Bunkern und Nazi-Architektur haben sicherlich solchen Interpretationen Vorschub geleistet.  Insofern fand ich damals die Präsentation dieser Arbeiten Kiefers in diesem Kontext ziemlich befremdlich. Aber für Kiefer selbst hatte sie wohl eine gewisse Logik. Denn die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, ihren Nachwirkungen und ihrer Instrumentalisierung vor allem durch den Nationalsozialismus sind Konstante seiner Arbeiten.[12] Wie kein anderer bildender Künstler der Nachkriegszeit hat Kiefer die „Erinnerungsarbeit“ zum Kern seines Werkes gemacht.

Anselm Kiefer und Paul Celan: eine imaginäre Beziehung

Und dazu gehört vor allem auch die Erinnerung an den Holocaust. Seit Anselm Kiefer Paul Celans „Todesfuge“ in der Schule gelesen hatte,[13] ließ ihn der Dichter nicht mehr los. Ab 1980 versah er viele seiner Kunstwerke, in denen er sich mit der deutschen Nachkriegsidentität auseinandersetzte, mit Gedicht-Zitaten vor allem Celans, der ihm eine unendliche Quelle der Inspiration war.[14] Celan, dessen Eltern Opfer der nationalsozialistischen „Endlösung“ wurden, schrieb die Todesfuge im Mai 1945 nach seiner Befreiung aus einem rumänischen Arbeitslager. Das Gedicht ist denen geweiht, die ihr Grab in den Lüften haben. Ebenfalls im Mai 1945 wurde Anselm Kiefer im Keller eines noch kurz vor Ende des Krieges von Fliegerbomben zerstörten Krankenhauses in Donaueschingen geboren. Celan und Kiefer waren deutsch-französische Grenzgänger, beide fanden in Frankreich eine zweite Heimat und beide eint die lebenslange Auseinandersetzung mit den Gräueltaten des Dritten Reichs: Celan angetrieben von der conscience malheureuse des Überlebenden, Kiefer von der conscience du mal,  der von Deutschen begangenen Verbrechen.[15] In dem Bild „Für Paul Celan – das Bett Gedächtnis“, das 2022 von der Galerie Thaddaeus Ropac in Paris/Pantin ausgestellt wurde, hat Anselm Kiefer die Last des Gedächtnisses gestaltet.

Ausstellung „Anselm Kiefer. Hommage à un poète“: Für Paul Celan – das Bett Gedächtnis (2020-2021)  Bild: Wolf Jöckel (2022)

Celan erfindet für seine Gedichte eine neue Sprache: Sie entsteht aus der Verbindung zwischen seinen frühen lyrischen Vorbildern wie Georg Trakl und Stefan George „und der historischen Katastrophe, dem Terror der deutschen Nationalsozialisten ausgesetzt zu sein, die sich nicht zuletzt auch darauf beriefen. In dieser Spannung zwischen Kultur und Barbarei findet Celan zu seinem einzigartigen deutschsprachigen Ton. Celan arbeitet … äußerst konsequent allem entgegen, was mit einer vordergründigen Verständlichkeit, Eindeutigkeit und Harmonie zu tun hat. Es geht um Vieldeutiges, um Ambivalenzen, um etwas Unauslotbares, es geht um die Leerstellen und Zwischenräume, um Assoziationsflächen und Wortvalenzen.“[16] Es war unter dem Eindruck der Lyrik Paul Celans, dass Theodor W. Adorno sein apodiktisches Urteil von 1949, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben sei barbarisch, relativierte. [17]

Auch Anselm Kiefer betritt mit seinen Arbeiten Neuland. Er verlässt die klassische Tradition der Malerei und integriert zusätzliche Materialien wie Stroh, Asche, Sand, Haare und Blei. Und dazu integriert er die Sprache, die Poesie.  Manchmal sind das nur wenige Worte  wie in den frühen Arbeiten zur „Todesfuge“: Da übernimmt er aus dem Gedicht Celans die  Überschriften seiner Bilder wie „dein goldenes Haar Margarete“ oder „dein aschenes Haar Sulamith“. In den monumentalen Werken, die in dem Grand Palais Éphémère ausgestellt sind, hat Kiefer dann ganze Passagen von Gedichten Celans mit Kreide eingearbeitet oder sie auch vollständig übernommen. Sie sind meist  auf die obere Hälfte der monumentalen Bilder geschrieben, deshalb oft auch insofern kaum entzifferbar, während unten die „klassische“ Kiefer’sche Bildsprache herrscht: apokalytische Landschaften, Bunker, Explosionen, Blut, meist in dick aufgetragenen Grautönen und oft plastisch gestaltet mit Materialien, die sich auf die Gedichte Celans beziehen: Farne, wenn es um Celans Gedicht „Das Geheimnis der Farne“ geht, Beile und Sensen für „Die Beilschwärme“, Steine für „Die hellen Steine“; und natürlich der Mohn, den Titel von Celans Gedichtsammlung „Mohn und Gedächtnis“ aufgreifend.

In sein Tagebuch, das er während der Vorbereitung für die Ausstellung im Grand Palais Éphémère führte, schrieb Anselm Kiefer: „Celan betrachtet nicht nur einfach die Leere, er hat sie erfahren, erlebt, durchdrungen. (…) Die Sprache von Paul Celan kommt von so weit her, aus einer ganz anderen Welt, die wir bis jetzt noch nicht betreten haben, sie wirkt auf uns wie die eines Außerirdischen. Es fällt uns schwer, sie zu verstehen, wir verstehen nur hier und da mal einen Bruchteil. Wir versuchen es, ohne je das große Ganze erfassen zu können. Ich habe es in aller Demut sechzig Jahre lang versucht. Nun schreibe ich sie auf meine Bilder, ein Unterfangen, dem ich mich widme wie einem Ritual.“[18]

Während die monumentalen Bilder extra für diese Ausstellung erarbeitet oder fertiggestellt wurden, sind die beiden großen „Mohn und Gedächtnis“-Objekte schon älter: Ein mit Mohn gespickter ehemaliger Bunker des sogenannten Westwalls, den Kiefer aus seiner Jugend kannte und kaufte,  und ein riesiges Flugzeug: Schwer beladen mit bleiernen Büchern wird es aber nicht abheben und Zerstörung verbreiten können: Vielleicht Ausdruck der Hoffnung -trotz alledem- auf die zivilisierende Kraft der Kultur….

Eindrücke der Ausstellung

Am 8. Januar 2022 las die Schauspielerin Anne Cosigny vor dem zentalen Gemälde der Ausstellung, Als Arche verließ es die Straße Auszüge aus der Dankesrede Anselm Kiefers anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche 2008: „J’ai grandi au bord du Rhin“.   

Ich nehme das zum Anlass, zwischen den nachfolgenden Bildern kleinere  Passagen aus dieser Dankesrede wiederzugeben.[19]

Auf der Klippe- für Paul Celan (2020-2021) Ausschnitt
Auf der Klippe- für Paul Celan (2020-2021) Ausschnitt

„Ich denke in Bildern. Dabei helfen mir Gedichte. Sie sind wie Bojen im Meer. Ich schwimme zu ihnen, von einer zur anderen; dazwischen, ohne sie, bin ich verloren.“

Auf der Klippe- für Paul Celan (2020-2021) Ausschnitt
An die Haltlosigkeiten (2021)

„Ich bin aufgewachsen am Rhein, dem Grenzfluss. Aber schon damals war es nicht nur eine geographische Grenze. Man hörte das Klatschen des Wassers gegen das mit Steinen befestigte Ufer, man sah die Lichter am anderen Ufer und die gefährlichen Wirbel im Fluss selbst. Das am anderen Ufer gelegene Land war nicht ein Land unter anderen, es war für das Kind, da da nicht hinüber konnte, ein Versprechen in die Zukunft, eine Hoffnung, es war das Gelobte Land.“

Beilschwämme (2020-2021) Ausschnitt
Beilschwämme (2020-2021) Ausschnitt
Die Asche vom Brunnen von Akra (2020-2021) Ausschnitt

Nach dem Naturgesetz von der Erhaltung der Materie geht kein Atom verloren. Wissenschaftler behaupten, dass  jeder von uns eine unerhört hohe Anzahl von Atomen in sich trägt, die schon Jahrmillionen in sehr unterschiedlichen Materialien anwesend waren und nun in uns sind. Wir tragen in uns die Atome vom Strand  von Ostia, Ateome der Steine von der Wüste Gobi, Atome  von Knochen von Dinosauriern- aber auch von Shakespeare, von Martin Luther, von Einstein, den Opfern und Tätern der vergangenen Jahrhunderte.“

Denk dir- die Moorsoldaten  (2018-2021)  Ausschnitt
Denk dir- die Moorsoldaten „2018-2021 Ausschnitt

„Es gibt eine besondere Grenze, die Grenze zwischen Kunst und Leben, eine Grenze, die sich oft irrlichternd verschieb. Aber ohne diese Grenze gibt es keine Kunst. Im Verlauf der Herstellung leiht sich die Kunst das Material vom Leben; und noch im vollendeten Kunstwerk scheinen die Spuren von Leben durch. Die Distanz zum Leben ist aber zugleich das Wesentliche, die Substanz der Kunst. Dennoch hat das Leben seine Spuren hinterlassen. Und das Kunstwerk ist umso interessanter, je mehr es gezeichnet ist vom Kampf um die Grenzen zwischen Kunst und Leben.“

 Geheimnis der Farne (2018-2021)
Geheimnis der Farne (2018-2021) Ausschnitt
Gesang der fremden Brüder (2017-2021) Ausschnitt
Für Paul Celan- Mohn und Gedächtnis (2019)

„Die Reste  des Westwalls wurden geschleift. … Die Wunden wurden nicht verbunden, sondern schamhaft verdeckt.“

Für Paul Celan- Mohn und Gedächtnis (2019)

„Trümmer sind  nicht nur Ende, sondern auch Anfang. Eine sogenannte Stunde Null gab es in Wirklichkeit nie.“

Mohn und Gedächtnis (2016)

Der Mensch, sagt Rabbi Eleasar, ist ein Stück, an dessen Enden Gott und Satan ziehen und am Schluss ist dann freilich Gott der Stärkere. Ich dagegen denke, dass der Ausgang offen bleibt.“ (Ende der Dankesrede Anselm Kiefers)

Arsenal (2021)

Im hinteren Bereich der Halle, vor der Fensterfront mit Blick auf den Eiffelturm, sind drei riesige Regale aufgestellt, in denen gesammelte Objekte für Kiefers Kunst lagern.

Es sind Arbeitsmaterialien aus dem Atelier Kiefers in Croissy-Beaubourg (Seine et Marne), einer ehemaligen riesigen Lagerhalle des  Kaufhauses Samaritaine.  Hier in der Ausstellung sind sie  veredelt zum autonomen Kunstwerk „Arsenal“: Es ist die „Munition“ für die Arbeit des Künstlers – getrocknete oder galvanisierte Farne, Strohhalme und Mohnblumen, Glasscherben, Asche oder andere Fundstücke, die auf eine neue Verwendung warten.

Aus dem Gedicht von Paul Celan Die Krüge (1949)[20]

Aus dem Gedicht Stille von Paul Celan. In den Zeilen davor gibt es eine Anspielung auf die sogenannte Kristallnacht/Pogromnacht vom 9. November 1938: …. ein Glas, das vom Tisch sprang, erklirrte: es läutete ein eine Nacht, die finsterte länger als wir.

Viele der im „Arsenal“ versammelten Materialien haben eine symbolische Bedeutung wie die in der jüdischen Mythologie, aber auch in der Alltagskultur bedeutsamen Scherben oder die zusammengeworfenen Handschuhe und die Koffer, bei denen Assoziationen an Auschwitz und die Shoah sich aufdrängen.

Allerdings beschriftet Anselm Kiefer die Koffer mit dem Begriff „Schechina“, der alttestamentarischen Bezeichnung für die Gegenwart Gottes: Zerstörung und Vernichtung sind also nicht das letzte Wort…

Aus der Kiefer-Retrospektive im Centre  Pompidou. Foto: Wolf Jöckel (2015)

Wie für Celan ist auch für Kiefer die Vergangenheit omnipräsent. Für beide war bzw. ist sie bedrückend, und Celan wurde schließlich von ihr erdrückt. Auch auf Kiefer lastet das Gedächtnis. Aber die überwältigende Monumentalität seiner im Grand Palais Éphémère ausgestellten Werke und die Beschwörung der Poesie Paul Celans verstehe ich als Versuch, der Monstrosität des Grauens zu trotzen – und dazu beizutragen, dass bei dem Ringen Gottes und des Satans um den Menschen, von dem Kiefer am Ende seiner Frankfurter Dankesrede sprach, am Ende doch die Humanität siegen möge.


Anmerkungen

[1]https://paris-blog.org/2016/07/01/die-mauer-fuer-den-frieden-le-mur-pour-la-paix-auf-dem-marsfeld/  

[2] Siehe https://www.lagazettedupatrimoine.fr/blog/files/4de67321ed549cd8a745a7b8b777cf11-187.html  https://www.nouvelobs.com/societe/20210106.OBS38468/tribune-le-mur-pour-la-paix-une-histoire-francaise-par-marek-halter.html

[3] Kritisch dazu die Zeitung La Croix: „Difficile pourtant de ne pas se sentir un peu écrasé par cette démonstration de puissance, où la démesure des formats rivalise avec la débauche des matières, les perspectives centrées, presque martiales, l’abondance des citations et des références. D’autant que face aux longs poèmes en allemand inscrits dans les peintures, le visiteur non germanophone est laissé seul, sans qu’aucune traduction ne lui soit proposée. On en ressort impressionné. Pas forcément touché.“ https://www.la-croix.com/Culture/A-Paris-pesanteur-dAnselm-Kiefer-grace-Paul-Celan-2021-12-25-1201191862  Laurent Wolf sprach 2016 in einer ausführlichen Besprechung der Kiefer-Retrospektive im Centre Pompidou von einem „oeuvre assez intimidante“.  https://www.revue-etudes.com/article/anselm-kiefer-et-le-deuil-infini-de-l-allemagne-17419. Anlässlich der Ausstellung im Grand Palais Éphémère hätte  er sicherlich noch mehr Anlass zu einer solchen Einschätzung gehabt.

[4] Der Text dieses Abschnitts folgt in großen Teilen der Rezension von Andreas Platthaus: Kiefer-Ausstellung in Paris: Olympier unter sich. FAZ vom 18.12.2021

[5] Zur Pantheonisierung von Genevoix siehe den  Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2020/11/02/die-aufnahme-des-schriftstellers-maurice-genevoix-und-der-franzosischen-teilnehmer-des-1-weltkriegs-ceux-de-14-ins-pantheon/

[6] https://www.lejournaldesarts.fr/patrimoine/retour-historique-de-lart-contemporain-au-pantheon-152019

[7] So Philippe Dagen in  Le Monde vom 21. Dezember 2021 „Ainsi Kiefer fait-il aujourd’hui figure d’artiste officiel de la République.“  Und -wenig freundlich- danach:  „L’histoire apprend que, prestigieuse du vivant de celui qui en bénéficie, cette position se révèle souvent moins flatteuse au regard de la postérité.“ An wen Dagen da wohl gedacht haben mag?

Zum hervorgehobenen Status von Kiefer siehe auch: https://www.weltkunst.de/ausstellungen/2021/12/anselm-kiefer-paris-grand-palais-ephemere-staatskuenstler und  https://www.welt.de/kultur/kunst/plus235825304/Anselm-Kiefer-Staatskuenstler-von-Macrons-Gnaden.html

[8] Bild aus: Anselm Kiefer-Schau in Paris: „Für Paul Celan“.Auf persönlichen Wunsch des französischen Präsidenten Macron zeigt Anselm Kiefer im Pariser Grand Palais Ephémère Monumentalwerke zur Dichtung Paul Celans. Anselm Kiefer-Schau in Paris: ″Für Paul Celan″ | Kunst | DW | 21.12.2021

[9] Siehe den Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2021/05/01/vivant-denon-der-kunstrauber-napoleons-und-sein-musee-napoleon-louvre-teil-1-die-grose-ausstellung-deutscher-raubkunst-1806-1807/

[10] https://www.kulturraum.nrw/ausstellung/de-l-allemagne-ueber-deutschland-ausstellung-paris-louvre.html

[11] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/de-l-allemagne-im-louvre-aus-tiefem-tal-zu-riefenstahl-12141764.html

Siehe dazu auch: https://www.lemonde.fr/culture/article/2013/04/18/de-l-allemagne-le-grand-malentendu_3162455_3246.html

[12] In diesem Zusammenhang sind auch zwei Ausstellungsobjekte im Grand Palais Éphémère  zu sehen, die nicht zum Paul-Celan-Kompex gehören: Das monumentale Bild Mme de Staël, de l’Allemagne (2015-2021) und die  Installation Occupations (1969-2021). Auf beide näher einzugehen würde hier zu weit führen.

[13] So Kiefer in einem Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks anlässlich der großen Retrospektive im Centre Pompidou. https://www.kunstforum.de/artikel/anselm-kiefer-6/

Insofern trifft gerade im Falle Anselm Kiefers nicht die pauschale Feststellung von Marie Minissieux-Chamonard in ihrem Aufsatz  Anselm Kiefer, la fabrique de la mémoire von 2015 zu: Anselm Kiefer (…) fait partie des artistes allemands dits « de la seconde génération », qui n’ont connu ni la guerre ni la Shoah – un véritable trou noir que ni la famille, ni l’école, ni les parents ne permettent de combler. https://www.cairn.info/revue-de-la-bibliotheque-nationale-de-france-2015-3-page-14.htm Immerhin fand 1961 der Eichmann-Prozess statt, da war Kiefer 16 Jahre alt, also wohl am Beginn seiner Zeit als Obertufenschüler. Und damals gab es durchaus schon Lehrer, die im Unterricht die Todesfuge zum Thema machten. Sie gehörte schließlich sogar zum Unterrichtskanon der Oberstufe, was Celan zu der kritischen Anmerkung veranlasste, das Gedicht sei „Lesebuchreif abgedroschen“….

Den Begriff der „imaginären Beziehung“ habe ich von Robert Fleck übernommen. https://journals.openedition.org/critiquedart/871 )

[14] Linda Schildbach:  Blut, Krieg, Heimat: Monumentale Ausstellung von Anselm Kiefer im Grand Palais in Paris

17.12.2021. https://www.swr.de/swr2/kunst-und-ausstellung/blut-krieg-heimat-monumentale-ausstellung-von-anselm-kiefer-oeffnet-im-grand-palais-in-paris-100.html

Grundlegend zum Verhältnis von Kiefer und Celan:  Andrea Lauterwein, Anselm Kiefer et la poésie de Paul Celan, Paris : Ed. du Regard, 2006

[15] Robert Fleck:  Andrea Lauterwein. Anselm Kiefer et la poésie de Paul Celan. https://journals.openedition.org/critiquedart/871

[16] https://www.sueddeutsche.de/kultur/paul-celan-todesfuge-holocaust-czernowitz-biografie-1.5123449

[17] Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft. In: Gesammelte Schriften, Band 10.1 Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S. 30. Siehe dazu: Klaus Laermann, Gedichte schreiben nach Auschwitz: Die Stimme bleibt. Theodor W. Adornos Diktum- Überlegungen zu einem Darstellungsverbot. DIE ZEIT vom 27. März 1992

[18] Zit.  https://www.dw.com/de/anselm-kiefer-schau-paris-f%C3%BCr-paul-celan/a-60200281

[19] Dankesrede Anselm Kiefers. Aus: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2008 Anselm Kiefer. FFM:  Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2008, S. 59-72

[20] https://www.deutschelyrik.de/die-kruege.html

Weitere geplante Blog-Beiträge:

Die Schatzkammer der Scheichs: Die Sammlung Al Thani im Hôtel de la Marine in Paris

Das Pantheon der großen (und der weniger großen) Männer und der wenigen großen Frauen, Teil 2: Der Kult der großen Männer

Der Elefant der Bastille

Das Reiterstandbild Heinrichs IV. auf dem Pont Neuf

Die Tiere des Königs (Les animaux du roi): Eine Ausstellung im Schloss von Versailles

Die Marseillaise: Vom Straßburger Kriegslied zur Nationalhymne. Eine Ausstellung im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Straßburg

Die Ausstellung „La Marseillaise“ ist eine Koproduktion dreier Museen: Des Musée de la Révolution française in Vizille , des Musée d’histoire de Marseille und des Musée Historique de la Ville de Strasbourg.

Blick von dem MAMCS über die Ponts Couverts und La Petite France auf das Münster

Vom 5. November 2021 bis zum 20. Februar 2022 wird die Ausstellung im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst (MAMCS)  in Straßburg gezeigt, danach vom 18. März bis zum 3. Juli 2022 in Marseille.

Ausstellungsplakat am Pont du Corbeau/Rabenbrücke in Straßburg

Auf dem Plakat und auch am Eingang zur Ausstellung im MAMCS ist der Genius des Vaterlandes abgebildet. Es ist das Bild einer wild entschlossenen, kämpferischen Frau mit zum Schrei aufgerissenem Mund, revolutionärer phrygischer Mütze und einem angriffslustigen Hahn als Kopfschmuck: Eine Allegorie des von seinen Feinden bedrohten und siegreichen Vaterlandes. Es handelt sich um die Abbildung einer Gipsreplik, die 1898 von Jean Pouzadoux für die Pariser Cité de l’Architecture hergestellt wurde.

Das der Gipsreplik zugrunde liegende Original ist François Rudes monumentale Skulptur „Auszug der Freiwilligen von 1792“, auch „La Marseillaise“ genannt.[1] Es befindet sich auf der den Champs – Elysées zugewandten Ostseite des Arc de triomphe de l’Étoile in Paris.

Foto: Wolf Jöckel

Dieser von Napoleon projektierte und im Empire begonnene gewaltige Triumphbogen, der größte weltweit, wurde 1836 während der Herrschaft des „Bürgerkönigs“ Louis Philippe fertiggestellt. Er sollte die Legitimität des Königs manifestieren durch den doppelten Bezug auf das Reich Napoleons und die Französische Revolution. In diesem Kontext ist der hervorgehobene Platz der „Marseillaise“ auf dem Triumphbogen zu erklären.[2]

Gipsmodell des Arc de triomphe de l’Étoile von Georges-Paul Chedanne. (um 1938/1939) Foto: Wolf Jöckel, Ausstellung Marseillaise. Auf dem rechten Pfeiler die „Marseillaise“ Rudes, links der „Triumph Napoleons“.

Entstanden ist die Marseillaise im April 1792. Am 20. April hatte das revolutionäre Frankreich dem „König von Böhmen und Ungarn“, also dem österreichischen Kaiser, den Krieg erklärt. Die Kriegserklärung wurde am 24. April in Straßburg, einer wichtigen Garnisonsstadt, verkündet.  An diesem Tag hatte es zu den Klängen des Ça ira und der Carmagnole einen offiziellen Umzug durch die Stadt gegeben.  Der Straßburger Bürgermeister, der liberale Baron de Dietrich,  und seine Freunde aus der wohlhabenden Bourgeoisie der Stadt, alles revolutionsfreundliche  gemäßigte Patrioten, fanden diese populären Gesänge reichlich vulgär. So erließen sie am 25. April im Namen der „Gesellschaft der Straßburger Verfassungsfreunde“ einen Aufruf in „weit noblerem Ton“ an alle Mitbürger:

„Zu den Waffen, Bürger! Wir haben die Fahne des Krieges entrollt. …. Es gilt zu kämpfen, zu siegen oder zu sterben. … Wie sehr erzittern schon diese gekrönten Despoten … Eilt zum Sieg … Voran, voran! Wir wollen frei bleiben bis zum letzten Atemzug…“

Gleichzeitig beauftragte Dietrich den musikalisch ambitionierten Pionierhauptmann  Rouget de Lisle, wie er ein Gegner der radikalen Straßburger Jacobiner, ein Lied zu komponieren, das den besonderen Umständen der Zeit besser entsprechen sollte als das Ça ira und die Carmagnole . So entstand in der Nacht vom 25. auf den 26. April, als die Losungen der Marseillaise bereits in aller Munde waren, das für die Rheinarmee bestimmte Kriegslied.[3]

Stefan Zweig fasst das  in seinen „Sternstunden der Menschheit in diese Worte:

„Eine Nacht ist es dem Kapitänleutnant Rouget de Lisle gegönnt, Bruder der Unsterblichen zu sein: aus den übernommenen, der Straße, den Journalen abgeborgten Rufen des Anfangs formt sich ihm schöpferisches Wort und steigt empor zu einer Strophe, die in ihrer dichterischen Formulierung so unvergänglich ist wie die Melodie unsterblich.

Amour sacré de la patrie,
Conduis, soutiens nos bras vengeurs,
Liberté, liberté chérie,
Combats avec tes défenseurs.“

Isidore Pils, Rouget de Lisle chantant la Marseillaise pour la première fois. 1849 (Historisches Museum Straßburg)

Dieses 57 Jahre später entstandene Gemälde, das im Mittelpunkt der Ausstellung steht, zeigt  Rouget de Lisle, der im Salon des Bürgermeisters  sein Kriegslied zum ersten Mal vorträgt.  De Lisle ist in die Farben der Tricolore gekleidet und effektvoll vor einem weißen Paravent postiert.

Bürgermeister Dietrich, im Sessel sitzend, hört aufmerksam zu, eine junge Dame -vielleicht Dietrichs Tochter- begleitet am Piano, eine andere wischt sich mit einem Tuch Tränen der Rührung ab. Das entspricht der Darstellung Lamartines aus in seiner „Geschichte der Girondisten“ von 1847, in der er schrieb: „Eines der jungen Mädchen begleitete. Rouget sang. Bei der ersten Strophe erbleichten die Gesichter, bei der zweiten flossen die Tränen.“[4]

Das Bild wurde vielfach kopiert und reproduziert und hat die populäre Vorstellung der Entstehung der Marseillaise nachhaltig geprägt. Die historischen Fakten waren allerdings etwas anders. Denn das Lied wurde zum ersten Mal von Dietrich selbst angestimmt, der sich sofort dafür begeisterte und -zusammen mit seiner Frau-  seine Verbreitung beförderte. Das half ihm allerdings nicht: Zu Zeiten des jacobinischen Terrors wurde er, Anhänger einer konstitutionellen Monarchie,  auf Betreiben Robespierres verhaftet und am 29. Dezember 1793 in Paris guillotiniert.[5]  

Le Génie de la Patrie mit gezücktem Schwert vor Speeren und römischen Feldzeichen à la française

Die sechs Strophen des Liedes sind zuerst ein „Kriegslied, das mit einer Schärfe und Heftigkeit, die manchmal sogar als blutrünstig bezeichnet wurden, den Patriotismus einer Nation im Kampf auszudrücken vermag“. Das wird vor allem im Refrain deutlich:

Aux armes, citoyens,
Formez vos bataillons,
Marchons, marchons !
Qu’un sang impur
Abreuve nos sillons !

Unser Feld! [6]

Bestimmt war das Lied für die in der Pfalz und dem Elsass stationierte Rheinarmee, die damals von Nicolas Luckner kommandiert wurde. Luckner stammte aus Bayern, hatte im 7-jährigen Krieg unter dem Preußenkönig Friedrich II. gedient und war danach in französische Dienste getreten. Als letzter General war er unter dem Ancien Régime in den Rang eines Marschalls erhoben worden, hatte aber die Ideen der Revolution begrüßt.  Ihm widmete de Lisle sein Kriegslied.

Partitur des Chant de Guerre für die Rheinarmee. 1792. Der Name Luckner ist hier falsch geschrieben.

Dass das Kriegslied für die Rheinarmee, also eigentlich eine „Strasbourgeoise“, zur Marseillaise wurde, ist einem Bataillon von Freiwilligen aus Marseille zu verdanken, die im Juli 1792 nach Paris marschierten, um das Vaterland gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen.

Jean Julien, Départ du bataillon des Marseillais en 1792. (1923)

Auf allen Stationen ihres Weges nach Norden gehörte das gemeinsame Singen des Liedes von Rouget de Lisle zum Programm der Truppe. In Paris wurden sie am 30. Juli zunächst im revolutionären Faubourg Saint-Antoine empfangen und dann im Triumphzug zum Rathaus begleitet. An den  nachfolgenden Tagen traten Angehörige des Bataillons mehrfach in Paris auf, forderten die Absetzung des Königs und sangen immer wieder als „neue Barden“, wie sie genannt wurden, ihr Marschlied. Auch an dem Sturm auf das Königsschloss der Tuilerien am 10. August, der zur Absetzung und Gefangennahme Ludwigs XVI. führte, waren sie beteiligt.

Jacques Bertaux, La prise des Tuileries, 1793[7]

Der Sturm auf die von Schweizer Garden verteidigten Tuilerien endete in einem von den Klängen der Marseillaise begleiteten blutigen Gemetzel, dem „massacre des gardes suisses“.  Gefangene oder sich ergebende Schweizer wurden brutal ermordet. „Ich habe an diesem Tag gesehen, was Barbaren sind“, wird sich später Napoleon erinnern, der damals Augenzeuge war und daraus die Konsequenz ableitete, den revolutionären Furor gewissermaßen zu bändigen.[8]

Mit dieser zweiten Revolution (Albert Soboul) wurde aus dem Kriegslied der Rheinarmee ein Revolutionslied, die „Hymne der Marseillais“.  Das war jetzt nicht mehr das Lied der gemäßigten Revolutionäre und Vertreter der konstitutionellen Monarchie um Rouget de Lisle und Dietrich, sondern die Hymne der Nation und der kämpferischen Republik.

Diese Hymne wurde auf Vorschlag des Kriegsministers von den Truppen des Generals Kellermann statt des traditionellen „Te Deum“ gesungen, um den Sieg der Revolutionsarmee bei Valmy am 20. September 1792 zu feiern. Und bei der Eroberung Belgiens im November 1792 ersetzte die Marseillaise, wie Michelet später schrieb, den Schnaps- was ihn allerdings nicht daran hinderte, die Marseillaise auch „ein Lied der Brüderlichkeit“ zu nennen, das im Krieg den Geist des Friedens bewahre.[9]  Die Marseillaise war, wie Vovelle schreibt, „der Gesang des tief gestaffelten Massenangriffs von Soldaten, die ihre mangelnde Erfahrung durch Begeisterung ersetzten.“[10]

Auch in der Heimat erfreute sich die Marseillaise größter Verbreitung und Beliebtheit.  Am 4. September 1792 schrieb André Gréty an Rouget de Lisle: „Ihre Verse des Marseillais, Allons, enfants de la patrie werden bei allen Veranstaltungen und in allen Ecken von Paris gesungen. Die Melodie wird von jedermann gut aufgenommen, weil man sie jeden Tag von guten Sängern hört“.[11]

Dominique Doncre, Chanteurs patriotes. 1794  (Musée Carnavalet, Paris)

Und auch im intimen häuslichen Kreis wurden patriotische Lieder -und darunter sicherlich auch die Marseillaise- angestimmt, wie dieses Bild der „patriotischen Sänger“ zeigt. Es wird aus voller Kehle gesungen, die Frau hat ihre Hand aufs Herz gelegt, der Sänger rechts trägt die zum Himmel  weisende Partitur fest umschlossen in seiner Rechten.  

Wie populär die Marseillaise damals auch in Kreisen der „besseren Gesellschaft“ war, zeigt auch dieser Fächer von 1793, der revolutionäres und freimaurerisches Gedankengut verbindet.[12] Links ist Der Jehova der Franzosen zu sehen, die Anbetung eines freimaurerischen Symbols – ursprünglich ein Druck von Benoît-Louis Prévost; rechts Der Albtraum der Aristokraten, eine zusammengebrochene Frau als Personifizierung der beseitigten Aristokratie.

Fächer aus dem Musée de la Révolution française in Vizille

Auf der anderen Seite des Fächers ist der Marche des Marseillais mit Noten und seinen sechs Strophen abgebildet.[13]

Am 26. Messiodor des Revolutionsjahres III, dem 14. Juli 1795, dekretierte der Nationalkonvent, dass die „Hymne der Marseillais“, jetzt auch „Hymne der Republik“ genannt,  bei der täglichen Wachablösung im Palais-National gespielt werden sollte. Es war dies die Vorstufe zur offiziell am 14. Februar 1879 vollzogenen Bestimmung der Marseillaise als „chant national français.“[14]

Bis dahin war es allerdings noch eine weiter Weg. Napoleon liebte die Hymne nicht. Sie erinnerte ihn zu sehr an das beim Sturm auf die Tuilerien vom 10. August 1792 verübte Massaker an den Schweizer Garden. Verboten war das Singen der Marseillaise aber während seiner Herrschaft nicht[15] und Napoleon soll sogar beim tragischen Übergang über die Beresina das Lied selbst angestimmt haben, um den Truppen Mut zu machen.

In der Zeit der Restauration, der Bourbonen-Herrschaft, war die Marseillaise aber schlicht und einfach verboten und man versuchte, sie in Vergessenheit geraten zu lassen. Für Rouget de Lisle waren Empire und Restauration, zu denen er in Opposition stand, schlimme Zeiten, geprägt von Krankheit, Armut und Verzweiflung. So war es auch eine philanthropische Geste, dass der ebenfalls Bourbonen-kritische Bildhauer David d’Angers 1827 ein großformatiges Medaillon und eine Büste von Rouget de Lisle anfertigte – beide in Subskription mit einem Verkaufstermin im Juni 1830.[16]   

David d’Angers, Entwurf für das Medaillon Rouget de Lisles. 1827

Nur einen Monat später wurde dann an den „Drei Glorreichen Tagen“ der Julirevolution von 1830 die Marseillaise auf den Barrikaden gesungen und die Herrschaft der Bourbonen endgültig beendet.

Druck zur Feier der drei Tage der Julirevolution. La Marseillaise, 27., 28. und 29. Juli 1830 (Bildausschnitt)

Und der verarmte Rouget de Lisle erhielt nun von dem neuen „Bürgerkönig“ eine-wenn auch bescheidene- Pension, die er allerdings nicht mehr lange genießen konnte: 1836 starb de Lisle. Die revolutionäre Renaissance seiner inzwischen von dem Komponisten Charles Gounot instrumentierten Marseillaise war damals allerdings  schon beendet. Seit 1835 galt die Hymne der Marseiller wieder als aufrührerischer Gesang. Immerhin konnte Rude seine Skulpturengruppe des Aufbruchs der Freiwilligen von 1792 am Arc de Triomphe fertigstellen, die sich eindeutig auf die Marseillaise bezieht.

Das weitere Schicksal der Marseillaise ist ein Auf und Ab: Da wurde sie wieder in Zeiten nationalistischer und chauvinistischer Aufwallungen wie 1840 als aggressives Kriegslied zelebriert, dann wieder als Hymne der Freiheit gesungen wie in der Revolution von 1848 oder zum Schweigen verurteilt wie im 2. Kaiserreich Napoleons III. von 1852 bis 1870.  Während der Pariser Commune  von 1871 erklang sie dann erneut als Freiheitslied und während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 kriegerisch-imperial auf den Schlachtfeldern von Gravelotte, Rezonville und Mars-la-Tour[17]. Beim Abzug der geschlagenen Garnison von Sedan wurde sie sogar von der preußischen Militärmusik intoniert: höhnischer Ausdruck des Triumphs und der Erniedrigung des Gegners, die ja dann in der Kaiserkrönung im Spiegelsaal von Versailles kulminierten.

In der Dritten Republik, aber erst nach der Niederlage der reaktionären Kräfte, kam dann die große Stunde der Marseillaise: Am 14. Februar 1879 wurde ihr von der Abgeordnetenkammer offiziell der Status der Nationalhymne zuerkannt. Damit wurde sie in der Hochzeit des Nationalismus und Imperialismus vom Bürgertum der Dritten Republik beschlagnahmt, aber auch als offizielles Lied für alle Gelegenheiten banalisiert.

Damit einher ging eine weit verbreitete Verehrung Rouget de Lisles. Hier sieht man ihn, wie er „seine“ Marseillaise mit Soldaten der Republik singt.

Henri Gervex/Alfred Stevens, Rouget de Lisle et soldats de la République. Etwa 1887/1888 Musée de la Révolution française, Vizille

Diese Darstellung ist Teil eines großen Panoramas, das für die Pariser Weltausstellung von 1889 angefertigt wurde. Diese Weltausstellung, der ja auch der Eiffelturm seine Entstehung verdankt, markierte den 100. Jahrestag der Französischen Revolution. Aus diesem Anlass wurde im Jardin des Tuileries ein großer Rundbau errichtet, an dessen Wänden 100 Jahre französischer Geschichte seit 1789 präsentiert wurden. Und selbstverständlich wurde Rouget de Lisle hier wie auch sonst  als Republikaner vereinnahmt. Das Panorama war von 1889 bis 1896 zu sehen, danach wurde es in Einzelteile zerlegt und zugunsten der Aktionäre verkauft, die dieses kommerzielle Projekt finanziert hatten.  

An mehreren Beispielen wird in der Ausstellung demonstriert, wie die Marseillaise im weiteren Verlauf der Geschichte verwendet und auch vereinnahmt wurde. Hier ein Plakat des Films von Jean Renoir, der zu Zeiten der französischen Volksfront im Auftrag der kommunistischen Gewerkschaft CGT gedreht wurde. Erstaufführung war am 10. Februar 1938.

War für den Sozialistenführer Jean Jaures noch 1903 die Internationale „die proletarische Nachfolgerin der Marseillaise“[18] so stimmten im Zeichen der Volksfront die Kommunisten Marseillaise und Internationale gleichberechtigt an.[19] Eine der internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg trug den Namen „La Marseillaise“.

Auch im État Français von Vichy, der französischen Regierung von Hitlers Gnaden, wurde die Marseillaise regelmäßig und intensiv bei offiziellen Anlässen neben bzw. vor dem Maréchal, nous voilà  angestimmt. Schon als am 17. Juni 1940 Pétain in einer Radioansprache den Waffenstillstand verkündete, also die Kapitulation gegenüber dem Dritten Reich, endete die Rede mit dem Abspielen der Marseillaise; für manche Zuhörer ein Sakrileg- eine „Marseillaise boche“. [20]

Dies ist ein Aufruf der Regierung von Vichy zur Bildung einer französischen Legion zum Kampf auf Seiten  des Dritten Reichs „gegen den Bolschewismus, für Frankreich, für Europa“. (Juni- Dezember 1942) Bemerkenswert, dass für diesen kurzzeitigen Versuch nicht nur die Marseillaise vom Arc de triomphe, sondern auch der napoleonische Adler und die Bourbonen-Lilie mitsamt Krone eingespannt wurden.

Aber selbstverständlich bezog sich auch das Freie Frankreich de Gaulles auf die Marseillaise.

Hier ein Flugblatt der Forces françaises libres (FFL): Aux armes citoyens (Ausschnitt).  Das 1942 in London gedruckte Flugblatt rief zum Kampf gegen die deutschen Besatzer auf.[21]
Deckblatt einer von la France libre 1943 herausgegebenen Broschüre mit einem Zitat aus der Marseillaise. Sie war dazu bestimmt, über Frankreich abgeworfen zu werden.

Deportierte singen die Marseillaise bei ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager Dachau. (Ende April/Anfang Mai 1945)

Dies ist ein Propagandaplakat der OAS (Organisation de l’Armée Secrète) von 1961. Die rechtsextreme OAS versuchte mit militärischen Mitteln die Ablösung Algeriens vom Mutterland zu verhindern.  Der Aufruf, zu den Waffen zu greifen, war die Reaktion auf die Verhandlungen zwischen Frankreich und der algerischen Unabhängigkeitsbewegung FLN in Evian, die 1962 zur Unabhängigkeit führten. Von der OAS wurde die Marseillaise für die Perpetuierung des Kolonialismus in Anspruch genommen. Den hatte übrigens -heftigen Widerspruch provozierend- Emmanuel Macron 2017, kurz vor seiner Wahl zum französischen Präsidenten,  bei einem Besuch in Algerien als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilt…

Heute gehört die Nationalhymne mit ihrer bewegten Geschichte und ihren vielfältigen Dimensionen und ihrem unterschiedlichen Gebrauch und Missbrauch zu dem, was die französische Identität ausmacht.  So hat die Marseillaise auch ihren legitimen Platz in Pierre Noras Sammlung der „Erinnerungsorte Frankreichs“. Bei den Demonstrationen nach dem islamistischen Anschlag auf die Zeitschrift Charlie Hebdo in Paris hat sie ihre identitätsstiftende Bedeutung auch wieder nachdrücklich bestätigt. Wir waren damals von dem spontanen Anstimmen der Marseillaise durch die Demonstrierenden sehr beeindruckt. In Deutschland sind solche Manifestationen kaum vorstellbar…. [22]

Kritische Stimmen zur französischen Nationalhymne gibt es aber nach wie vor. Am deutlichsten und prominentesten wohl die des ehemaligen Präsidenten Giscard d’Estaing. Der ließ während seiner Präsidentschaft das Tempo, mit dem die Marseillaise damals gespielt wurde, verlangsamen, um so etwas ihren militärisch-marschmäßigen Charakter abzumildern.[23] Und nach seiner Amtszeit schreckte er sogar nicht davor zurück, den Text der Marseillaise als lächerlich zu qualifizieren. Während sein Nachfolger Nicolas Sarkozy und Angela Merkel sich unter dem Arc de triomphe träfen, „tränken wir unsere Felder mit unreinem Blut…“[24] Das ist schon fast ein Sakrileg!

Ein wirkliches Sakrileg war dann allerdings die Erstürmung des Arc de triomphe durch die Gelbwesten am 1. Dezember 2018, die Verwüstung seiner Inneneinrichtung und dabei auch die Beschädigung eines Abgusses der Marseillaise, der Skulptur von Rude – eine der letzten Abbildungen der Ausstellung.

Zu der Ausstellung gehören auch zwei Kabinette: In dem einen werden Ausschnitte verschiedener Filme gezeigt, in denen die Marseillaise eine Rolle spielt, z.B. die Szene in Casablanca, wo in einem Café mit der Marseillaise eine Gruppe grölender deutscher Offiziere übertönt wird. In dem anderen Kabinett gibt es Hörproben von Musikstücken mit Marseillaise- Zitaten. Angeboten werden dabei auch die Vertonungen von Heinrich Heines Ballade Die beiden Grenadiere von Richard Wagner und Robert Schumann. In dem Gedicht des Napoleon-Verehrers Heine aus dem Jahr 1822  geht es um zwei geschlagen aus Russland zurückkehrende Soldaten der Grande Armee, die die Nachricht von der Gefangennahme ihres Kaisers erhalten und betrauern. Schumann teilte als junger Mann Heines Begeisterung für Napoleon: Der herrliche Napoleon sei der größte Mann aller Jahrhunderte.[25] Schumanns Vertonung entstand 1838 als Reaktion auf die Nachricht von der Rückführung der sterblichen Überreste Napoleons von Sankt Helena nach Frankreich, Wagner schrieb sein Lied zwei Jahre später in französischer Übersetzung während seines Paris-Aufenthalts und seinem Versuch, dort musikalisch Fuß zu fassen. Die Marseillaise-Zitate boten sich da geradezu an, werden aber bei beiden in unterschiedlicher Weise in die Komposition eingebettet.[26]  

Aus deutscher Sicht ist allerdings schade, dass nicht auch Ferdinand Freiligraths Lied „Frisch auf zur Weise von Marseille“ in die Beispielsammlung aufgenommen wurde. Freiligrath war einer der Dichter des deutschen Vormärz und war tief enttäuscht von der Niederschlagung der 1848-er Revolution.  „Am 19. März 1849 fand in Köln ein Bankett zur Erinnerung an die Berliner Barrikadenkämpfe vom März 1848 statt. Veranstaltet vom Kölner Demokratischen und Arbeiter-Verein, nahmen über 5.000 Menschen an dieser Feier im Gürzenich teil. Bei Reden, Bier und Musik wurde dort – wie Der Wächter am Rhein berichtete – das Verlangen für eine zweite Volkserhebung zum Ausdruck gebracht. Für diese Feier hatte Ferdinand Freiligrath (1810–1876) einen neuen Text zur Marseillaise verfasst, der dem revolutionären Geist der Veranstaltung entsprach und von den Teilnehmern mit donnerndem Beifall begrüßt wurde (Neue Rheinische Zeitung). Die demonstrative Verwendung von Symbolen der Französischen Revolution ist bei diesem Festakt auch auf anderen Ebenen praktiziert worden: die Saalordner trugen beispielsweise Phrygiermützen und diese Jakobinertracht zierte neben einer großen roten Fahne auch die Bühne (Neue Kölnische Zeitung). In diesem Rahmen fand die erste Aufführung von Freiligraths Lied mit großem Publikum statt und kurz danach erschien es in Zeitschriften der oppositionellen Kreise im Rheinland.“[27] 

Zu der Ausstellung gibt es einen ausführlichen Katalog, der neben der Entstehungsgeschichte der Marseillaise und ihrer Entwicklung zur französischen Nationalhymne auch ihre internationale Ausstrahlung ausführlich behandelt (Belgien, Polen, Großbritannien, Spanien, Indochina, Lateinamerika, China etc ) 

Im Katalog der Ausstellung wird auch ein vergleichender Blick auf andere Nationalhymnen geworfen[28], vor allem auf die englische (God save the King), die kaiserliche österreichische Hymne (Gott erhalte Franz den Kaiser) und die amerikanische (Star-Spangled Banner). Dabei wird eher beiläufig auf das Deutschlandlied hingewiesen, das nach dem Ersten Weltkrieg das Heil dir im Siegerkranz als Nationalhymne  ersetzt habe. Dazu gibt es noch den Hinweis, dass  das Deutschlandlied unter seiner ersten Zeile Deutschland über alles bekannt sei und der Text 1841 von dem „poète nationaliste Hoffmann von Fallersleben“ geschrieben worden sei. Diese Darstellung finde ich ausgesprochen verkürzt und missverständlich. Hoffmann von Fallersleben war ja ein Demokrat, und seine Forderung nach Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche  Vaterland war zu seiner Zeit des Vormärz, also der Zeit vor 1848,  revolutionär.   Fallersleben erhielt deshalb auch Berufsverbot und wurde ins Exil getrieben. Auch wenn das Deutschlandlied später nationalistisch missbraucht wurde: Es ist eine Liebeserklärung an das eigene Land und braucht sich hinter der blutgetränkten -und wie oft doch auch missbrauchten-  Marseillaise nicht zu verstecken.

Erinnerungsorte an Rouget de  Lisle und die Marseillaise in Straßburg

In der Grande Rue in Straßburg gibt es eine Plakette an dem Haus, in dem Rouget de  Lisle in der Nacht vom 25. auf den 26. April 1792 das Kriegslied für die Rheinarmee, die spätere  Marseillaise komponierte.

Eine weitere Plakette gibt es am Gebäude der Banque de France (Place Brogie Nummer 3). Dort stand früher das Stadtpalais des Bürgermeisters Dietrich, in dem -nach der traditionellen Überlieferung- Rouget de Lisle am 26. April 1792 zum ersten Mal die Marseillaise anstimmte.

An der Hauswand sind auch Medaillons von Bürgermeister Dietrich und Rouget de Lisle  angebracht. Dietrich wurde immerhin 1795 vom Nationalkonvent posthum rehabilitiert.[29]

Die Medaillons stammen von einem Straßburger Denkmal für die Marseillaise, das zum 130. Geburtsjahr des Chant der guerre pour l’armée du Rhin am 14. Juli 1922 unter großer öffentlicher Anteilnahme vor dem Eingang des Rathauses an der Place Broglie eingeweiht wurde.

Allerdings zerstörten die deutschen Besatzer am französischen Nationalfeiertag 1940 das Denkmal. Lediglich die beiden am Sockel angebrachten Medaillons mit den Konterfeis von Rouget de Lisle und dem ehemaligen Bürgermeister de Dietrich konnten gerettet werden und haben heute ihren Platz am Gebäude der Banque de France.[30] Das jetzige Denkmal wurde von den Steinmetzen der Straßburger Dombauhütte hergestellt und 1980 eingeweiht.

Literaturangaben:

La Marseillaise. Ausstellungskatalog. Hrsg von den éditions des Musées de Strasbourg. 2021

Jean-Louis Panné, Marseillaises. Paris 2018

Michel Vovelle, Die Marseillaise. Krieg oder Frieden. In: Pierre Nora (Hrsg), Erinnerungsorte Frankreichs. Mit einem Vorwort von Etienne François. München: Beck 2005, S. 63-112

Stefan Zweig, Das Genie einer Nacht. Die Marseillaise, 25. April 1792. In: Sternstunden der Menschheit. Projekt Gutenberg https://www.projekt-gutenberg.org/zweig/sternstu/chap005.html


Anmerkungen

[1] Nach David d’Angers war es Rude selbst, der seinem Auszug der Freiwilligen diesen Beinamen  gab. Ausstellungskatalog, S. 118

[2] Mehr dazu im Blog-Beitrag über den Arc de triomphe: https://paris-blog.org/2016/11/01/der-arc-de-triomphe-die-verherrlichung-napoleons/

[3] Vovelle, S. 67/68

[4] Ausstellung Marseillaise. Aus dem Begleitmaterial zum Bild

[5] https://www.wikiwand.com/en/Philippe_Friedrich_Dietrich und https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_von_Dietrich

[6] Text aus: https://www.mayenne.gouv.fr/content/download/24162/186396/file/PAROLES%20DE%20LA%20MARSEILLAISE.pdf

Übersetzung:  Vovelle, S. 68: Die Waffen in die Hand! Auf Bürger, aufgestellt! Marschiert, marschiert, Und böses Blut soll tränken Unser Feld (Eigentlich: unreines Blut… W.J.)

Deutsche Version aller Strophen: https://www.frankreich-info.de/themen/politik/marseillaise

Die Charakterisierung „blutrünstig“ findet sich beispielsweise auch in einem Artikel des Tagesspiegels vom 18.11.2015, in dem der Frage nach der anhaltenden Popularität der Nationalhymne nachgegangen wird:  „Eigentlich ist sie ein blutrünstiger Gesang“. https://www.tagesspiegel.de/kultur/warum-jetzt-alle-die-marseillaise-singen-herzschlag-der-nation/12607936.html

[7] Bild aus:  https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Jacques_Bertaux_-_Prise_du_palais_des_Tuileries_-_1793.jpg

Siehe auch Bildanalyse in L’histoire par l’image:  https://histoire-image.org/de/etudes/chute-royaute  

[8] Zit.: https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag6824.html; Xavier Mauduit, l’homme qui  voulait tout. Flammarion 2921. siehe auch: https://www.parismuseescollections.paris.fr/fr/musee-carnavalet/oeuvres/revolution-francaise-journee-du-10-aout-1792-bonaparte-assistant-a-la-prise#infos-principales

[9] „C’est un chant de fraternité. … C’est un chant qui, dans la guerre, conserve un esprit de paix.“ Zitiert im Ausstellungskatalog, S. 146

[10] Zu Valmy siehe den  Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2018/06/19/auf-dem-weg-nach-paris-die-muehle-von-valmy-das-fanal-einer-neuen-epoche/ ; Vovelle, S. 73/74

[11] Wandaufschrift der Ausstellung. Übersetzung W.J.  

[12] Bild aus: https://www.fandeventails.fr/fr/eventails-historiques/2393-le-geova-des-francais-eventail-franc-macon-vers-1793.html

[13] Siehe dazu: https://www.coutaubegarie.com/lot/77847/6498074

[14] Katalog Marseillaise, S. 70f

[15] So Thierry Lentz, Napoléon et la Marseillaise. April 2020  https://www.napoleon.org/histoire-des-2-empires/articles/napoleon-et-la-marseillaise/  Die These vom Verbot der Marseillaise unter Napoleon ist aber weit verbreitet.  So z.B. in einem Artikel von La Tribune über den chant national:  „le Consulat et l’Empire l’interdisent purement et simplement.“  https://www.latribune.fr/economie/france/la-marseillaise-un-hymne-a-l-histoire-tourmentee-524332.html

[16] Vovelle, S. 85; Ausstellungskatalog, S. 117; siehe auch: https://actualites.musee-armee.fr/expositions/rouget-de-lisle-la-marseillaise-episode-7/

[17] Zu der Schlacht, die von den Franzosen zwar nicht gewonnen wurde, in der sie sich aber doch bravourös geschlagen haben, siehe: https://paris-blog.org/2021/01/01/gravelotte-bei-metz-ein-einzigartiger-erinnerungsort-des-deutsch-franzosischen-kriegs-1870-1871/

[18] Vovelle, S. 94f

[19] Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf die programmatische Rede des Parteivorsitzendden Maurice Thorez in Choisy-le-Roi, anlässlich des Jahrestages des Todes von Rouget le Lisle: „La Marseillaise a exprimé et exprimera toujours, comme L’Internationale, la grande cause de l’emanzipation humaine.“ Zit. bei Panné, S. 74

[20] Dazu: Nathalie Dompnier, Le succès de La Marseillaise, une ruse de l’histoire?. In: Vichy à travers chants. 1996  https://www.cairn.info/vichy-a-travers-chants–9782091778334-page-55.htm  und https://www.charles-de-gaulle.org/blog/2020/09/02/la-marseillaise-entre-occupation-resistance-et-liberation-1940-1945-par-bernard-richard/  

[21] Nachfolgende Abbildung aus: Marseillaises

Zur Rolle der Marseillaise bei der Kollaboration und dem Widerstand siehe:   https://www.charles-de-gaulle.org/blog/2020/09/02/la-marseillaise-entre-occupation-resistance-et-liberation-1940-1945-par-bernard-richard/; Robert Mencherini, La Marseillaise, Vicha Résistance et les Marseillais pendant la Seconde Guerre mondiale. In: Ausstellungskatalgo, S. 100 ff

[22] Siehe/höre z.B. https://www.youtube.com/watch?v=fC92nzeKW7w

[23] Der langsamere Rhythmus entsprach  auch der ursprünglichen Konzeption, weil zu Zeiten des Rouget de Lisles  auch das Marschtempo langsamer war.  Siehe: https://www.ladepeche.fr/2020/12/12/quand-vge-remaniait-la-marseillaise-9253369.php

[24] https://www.lexpress.fr/actualite/indiscret/giscard-d-estaing-critique-la-marseillaise_836450.html

[25]  In einem Brief an Clara von 9. Juni 1828. Zit. bei: Andreas Lüning, „Ein Katzenfrühling der Poesie“. Heine-Vertonungen im Romantiker-Streit. 2005, S. 41   https://eldorado.tu-dortmund.de/bitstream/2003/34376/1/MA_Luening_143499.pdf  

[26] Siehe dazu:  Lüning a.a.O. ; Ausstellungskatalog, S. 156/157; https://eldorado.tu-dortmund.de/bitstream/2003/34376/1/MA_Luening_143499.pdf S. 33 ff und Markus Winkler, Die Grenadiere. Heine und Schumann. In: Henriette Herwig, Übergänge. Zwischen Künsten und Kulturen. Dokumentation des Heine-Schumann-Kongresses 2006, S. 275 – 288

[27] David Robb/Eckhard John, Frisch auf zur Weise von Marseille (Reveille). In: Populäre und traditionelle Lieder- Historisch-kritisches Liederlexikon. Juni 2013   http://www.liederlexikon.de/lieder/frisch_auf_zur_weise_von_marseille

[28] Esteban Buch, L’hymne national: un genre musical et son histoire. In: Ausstellungskatalog, S. 182ff

[29] Bilder aus: https://www.kuriocity.fr/la-marseillaise-est-strasbourgeoise/

[30] https://www.inreiselaune.de/strasbourg-marseillaise-rouget-de-lisle/

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