Das Palais Beauharnais in Paris: Ein bedeutender Ort der deutsch-französischen Beziehungen und ein Juwel des Empire-Stils. Teil 1: Bau und Geschichte 

Das Palais Beauharnais in Paris hat eine mehr als 300-jährige Geschichte. Erbaut im Stil eines klassischen Pariser Stadtpalais (hôtel particulier) zu Beginn des 18. Jahrhunderts, erlitt es die Verwerfungen der Französischen Revolution,  erlebte aber in der napoleonischen Ära seine Blütezeit. Benannt ist es nach Eugène de Beauharnais, dem von Napoleon adoptierten Sohn seiner Frau Josephine, der zeitweise als sein Nachfolger galt, Vizekönig von Italien wurde, mit einer Wittelsbacher Prinzessin verheiratet war und nach dem Sturz Napoleons nach München übersiedelte, wo er auch begraben ist.  Sein Palais verkaufte er an Preußen. Als Sitz der Gesandtschaft/Botschaft Preußens und später Deutschlands wurde das Palais ein bedeutender Ort der deutsch-französischen Beziehungen. Die Brüder Humboldt gingen ein und aus, Bismarck residierte hier 1862 als Botschafter, Herschel Grynspan erschoss 1938  im Palais Beauharnais den Botschaftssekretär vom Rath, was den Nazis als Anlass bzw. Vorwand für das Judenpogrom in der sogenannten Kristallnacht diente. Das nach der Befreiung von Paris 1944 von der französischen Regirung beschlagnahmte Gebäude wurde 1961, im Vorfeld des Elysée-Vertrags, an die Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben. Es ist jetzt die Residenz des deutschen Botschafters und dient repräsentativen Zwecken.

          Im Foyer des Palais Beauharnais:  neben den Fahnen die Büste Wilhelm von Humboldts

In den letzten Jahren wurde das Palais Beauharnais äußerst aufwändig wissenschaftlich dokumentiert und restauriert. Vor allem aufgrund seiner einzigartigen Innenreinrichtung gilt es als Meisterwerk des Empire, des Stils der napoleonischen Ära.

Palais Beauharnais: Salon der vier Jahreszeiten. Foto: F. Jöckel

Um diesem in mehrfacher Hinsicht so bedeutsamen Bau wenigstens einigermaßen gerecht zu werden, werde ich ihm zwei Berichte auf diesem Blog widmen. Dieser erste Teil beschäftigt sich mit dem Bau und der Geschichte des Palais, der zweite, nachfolgende, soll exemplarisch die künstlerische Bedeutung und Schönheit des Baus, aber auch die durch ihn vermittelte politische Botschaft anschaulich machen: Das Palais war in seiner Blütezeit für den potentiellen Thronerben Napoleons bestimmt und das kommt auch in seiner Gestaltung deutlich zum Ausdruck.

Der Bau: ein hôtel particulier in bester Lage als Spekulationsobjekt

Architekt und Bauherr des Palais war Germain Boffrand, einer der erfolgreichsten Architekten seiner Zeit. Zunächst zeichnete er sich als Schüler von Jules Hardouin-Mansard, dem „premier architecte“ Ludwigs XIV. aus.  Für Mansard war er u.a. am Entwurf der place Louis-le-Grand, der späteren place Vendôme,  beteiligt und war dort als Bauleiter tätig.  Er machte sich dann selbstständig und war bei einer hochadligen Klientel äußerst gefragt. Sogar in Deutschland verbreitete sich sein Ruhm: 1724  reiste Germain Boffrand nach Würzburg, um -zusammen  mit Balthasar Neuman, den er ein Jahr vorher bei dessen Studienreise in Paris kennengelernt hatte- am Bau der Residenz mitzuwirken.[1]

Als sich die Herrschaft von Ludwig XIV. zum Ende neigte, betätigte sich Boffrand auch als Bodenspekulant. „In weisem Vorausblick auf die Verlegung von Hof und Regierung nach Paris nach dem Tode Ludwigs XIV. im September 1715 entschied er sich für ein Grundstück am linken Seineufer gegenüber dem Garten der Tuilerien. Das Viertel nannte sich La Grenoullière, wohl deshalb, weil damals an dieser Stelle noch Frösche quakten….“[2]

„Ansicht der Tuilerien in Paris“, um 1830. Kolorierter Kupferstich mit Blick aus dem Garten des Palais Beauharnais über die Seine auf Tuilerien und Pont Royal (Ausschnitt).[3] M

Mit der Fertigstellung der Brücke Pont Royal im Jahr 1689 (teilweise hinten rechts im Bild) und der dadurch entstandenen direkten Verbindung zum Tuilerien-Palast (Hintergrund Bildmitte)  stieg die Bedeutung des Viertels erheblich an. Ab 1701 wurde auf Befehl des Vorstehers der Kaufmannsgilde Boucher d’Orsay eine zunächst nach ihm benannte Uferstraße errichtet.   

Im August 1713 kaufte Boffrand ein weitläufiges Grundstück auf diesem Terrain, das er in drei Parzellen für drei Stadtpalais aufteilte. Zwei Palais baute er selbst. Das größere verkaufte er kurz nach seiner Fertigstellung im November 1715 schlüsselfertig an Jean-Baptiste Colbert de Torcy, Neffe  und Patenkind des großen Colbert. Das Palais trug deshalb zunächst auch seinen Namen: Hôtel de Torcy. Es lag, typisch für die damaligen Pariser Stadtpaläste, zwischen dem Ehrenhof auf der einen und dem Garten auf der anderen Seite.

Plan du Palais de S.A. Le Prince Eugène, 1817. Grundriss Erdgeschoss mit Gartenanlagen[4]

Um den Hof waren zwei kleine Eingangspavillons, Remisen und zwei abgetrennte Höfe für Küchen und Stallungen gruppiert. Wie damals üblich, schirmte eine Mauer mit einem schlicht gehaltenen Portal die Anlage zur Straßenseite hin ab.

Das Hauptgebäude (Corps de logis) erreichte man über eine Freitreppe mit 13 Stufen: Das Erdgeschoss war zum Schutz gegen das Hochwasser der Seine leicht erhöht.

Das Hôtel de Torcy vor den Umbauten des 19. Jahrhunderts.  Dokumentation von C. Prévotel. Abbildungen der Bauzeichnungen befinden sich im Foyer des Hôtel de  Beauharnais[5]

Die Fassade verlieh dem Bau eine „hoheitsvolle Würde“. Sie war klar dreiteilig gegliedert nach dem Rhythmus drei – zwei- drei- zwei- drei. Die Räume im ersten und zweiten Stock waren für die herrschaftliche Familie bestimmt und dienten der Repräsentation und dem Wohnen, im Dachgeschoss war die Dienerschaft untergebracht.Monumentalität trotz Einfachheit oder Monumentalität durch Einfachheit zu erreichen, war ein Grundprinzip Boffrands, das in diesem Bau in besonderer Weise zum Ausdruck kommt.“[6]

Der Garten war mit Sand aufgeschüttet, so dass er terrassenartigen Charakter hatte und einen freien Blick auf die Seine und den gegenüberliegenden Tuilerien-Garten ermöglichte.

Foto: F. Jöckel

Insgesamt ein Bauwerk, das, auch aufgrund seiner kostbaren Ausstattung, von zeitgenössischen Beobachtern als eines der hervorragendsten Bauwerke ihrer Zeit angesehen wurde.

Die Wirren der Revolution: Absturz

Mitte des 18. Jahrhunderts ging das Palais in den Besitz des  Herzogs von Villeroy über. Damit änderte es seinen Namen und wurde zum hôtel de Villeroy. Mit der Revolution änderte sich auch die Adresse: Das Stadtpalais lag nun nicht mehr in der rue de Bourbon, sondern in der rue de Lille, so benannt 1792 in Erinnerung an die erfolgreiche Verteidigung dieser Stadt gegen die Österreicher.  Villeroy versuchte zwar, sich den neuen Umständen anzupassen und zeigte demonstrativ patriotische Gesinnung, aber vergeblich: 1794 fiel er der Schreckensherrschaft Robespierres zum Opfer und wurde nach einem Urteil des Revolutionstribunals hingerichtet. Nicht viel besser erging es dem hôtel des Herzogs: die bewegliche Habe wurde verkauft, auch weite Teile der festen  Einrichtung verschwanden:  Die hölzernen Wandverkleidungen wurden ausgebaut, die Wandbespannungen abgerissen, Türen und Fenster fehlten, ebenso große Teile des Parketts.  Kamine, Öfen waren einfach nicht mehr vorhanden, das Dach weitgehend abgedeckt. Was blieb, war im Grunde eine Ruine.[7]  Nach dem Ende der Schreckensherrschaft verkauften die Erbinnen des Herzogs  1796 das Haus an zwei Spekulanten, die „Bau- , Reparatur-, Verbesserungs- und Verschönungsarbeiten“ vornahmen und das entsprechend aufgeteilte Anwesen vermieteten.

Der neue Besitzer, Eugène von Beauharnais, „ein europäischer Prinz“

Am 20. Mai 1803 kaufte der zweiundzwanzigjährige Eugène de Beauharnais das heruntergekommene Palais, das seitdem hôtel de Beauharnais oder Palais Beauharnais heißt. Eugène war der Sohn von Joséphine de Beauharnais und Alexandre de Beauharnais. Dieser gehörte zu den ersten adligen Abgeordneten der Nationalversammlung, die zum Dritten Stand übertraten, und er war zeitweise Präsident der Nationalversammlung. Dessen ungeachtet wurde er 1794 von einem Revolutionstribunal zum Tode verurteilt. Die Mutter, Joséphine, heiratete 1796 den jungen General Bonaparte, der 1799 zum Ersten Konsul aufstieg und 1804 sich zum Kaiser krönte.  Als Frau des Ersten Konsuls suchte Joséphine für ihren Sohn eine standesgemäße Wohnung. Der wohnte damals nämlich noch zur Miete im hôtel de Salm, seit 1804 Sitz der Ehrenlegion.  Dieses Stadtpalais war von einem deutschen Prinzen erbaut worden, der mit Alexandre de Beauharnais eng befreundet war und mit dem zusammen er 1794 hingerichtet und auf dem  Friedhof von Picpus in einem Massengrab verscharrt wurde.

Eugène war ein gut aussehender, charmanter junger Mann, der die Offizierslaufbahn einschlug. Als Adjudant Napoleons nahm er am Italienfeldzug und dann auch am Ägyptenfeldzug 1798-1801 teil und zeichnete sich schon damals -wie auch im späteren Russlandfeldzug- durch große Tapferkeit aus.  

Diese Zeichnung des jungen Théodore Gericault zeigt Eugène, wie er in Russland einen seiner Offiziere befreit, der in die Hände von Kosaken gefallen war.[8] 

Eugène stand hoch in der Gunst seines Stiefvaters. Das kam auch in dem Kauf des Palais in der rue de Lille und seiner Renovierung zum Ausdruck.  Renovierung und Inneneinrichtung erwiesen sich allerdings als sehr kostspielig, was den Zorn Napoleons erregte. Es sei unsinnig, enorme Summen „für ein so kleines Haus“ auszugeben. Eine daraufhin eingesetzte Kommission anerkannte aber die hohe Qualität der Arbeiten und befand die entsprechenden Kosten als angemessen. Kritisiert wurde allerdings der „Luxus der Ornamente, der Malereien und der Vergoldungen“[9]. Die widersprachen zwar dem revolutionären Dogma der Einfachheit, das Bonaparte damals noch vertrat, trugen allerdings -und tragen heute wieder-   wesentlich zum Glanz des Palais bei.

Eugène konnte allerdings aufgrund seines weiteren Aufstiegs diesen Glanz kaum genießen:  Im Juni 1805 wurde er zum Vizekönig von Italien ernannt, wo er auch die nächsten Jahre verbrachte. Das  Palais wurde nun als Gästehaus genutzt, dessen von Joséphine weiter betriebene noble Ausstattung auch als Schaufenster der -schon damals- blühenden und stilbildenden französischen Luxusindustrie diente.

1806 adoptierte Napoleon seinen Stiefsohn und verheiratete ihn mit der Prinzessin Auguste Amalia von Bayern, der Tochter des bayerischen Königs. Der folgsame Stiefsohn und jetzt auch potentielle Nachfolger des Kaisers konnte sich immerhin vorab durch eine ihm übersandte Tasse von der Schönheit der ihm zugewiesenen Gattin überzeugen.

   Tasse der Nymphenburger Manufaktur[10] 

Aber auch die junge Dame konnte mit dem ihr zugewiesenen Ehemann zufrieden sein. Mit der Eheschließung beendete Eugène sein zeitgemäß freizügiges Junggesellendasein und wurde, gemäß seinem familiären Wahlspruch „Ehre und Treue“,  ein treuer und liebevoller Ehemann und Vater. Die Hochzeit fand nicht, wie eigentlich vorgesehen, in Paris, statt, sondern angesichts der Bedeutung der Verbindung mit dem Haus Wittelsbach in München. Für die in Paris gebliebenen Hochzeitsgäste veranstaltete aber Eugènes Schwester Hortense im Palais Beauharnais einen Ball, über den sie ihrem Bruder schrieb: „Alle waren gerührt, sich in der schönen Galerie, in der wir uns so sehr amüsiert haben, einzufinden, und dich nur im Gemälde zu sehen. Dein Portrait von Gérard machte es möglich. Es ist dir so ähnlich! Es wurde mit Myrten gekrönt …“[11] Das von François Gérard gemalte Portrait, das Eugène in der Uniform eines Obersten der Konsulargarde zeigt, ist auch heute noch im Palais zu sehen.

Foto: F. Jöckel

Auch wenn sich Eugène nun überwiegend  in Italien (Mailand und Monza) aufhielt,  blieb er -über seine verwandtschaftlichen Beziehungen hinaus- auch Deutschland  verbunden. 1810 wurde er von Napoleon zum Kronprätendenten des damals geschaffenen Großherzogtums Frankfurt bestimmt [12], 1813 befehligte er die in Deutschland  stationierten französischen Truppen.

Nach dem Sturz Napoleons siedelte Eugène mit Frau und Kindern zu seinen Schwiegereltern nach Bayern über, wo er als Herzog von Leuchtenberg und Fürst von  Eichstätt „eingebürgert“ wurde. In München ließ er sich von Hofbaumeister Leo von Klenze das Palais Leuchtenberg, ein Pracht-Domizil mit 253 Zimmern, errichten, das allerdings im Zweiten Weltkrieg den alliierten Bomben zum Opfer fiel.[13]

1824 starb Eugène in München. In der Tat: „Ein europäischer Prinz“ – so der Name einer ihm 2022/2023 in Malmaison gewidmeten Ausstellung.[14]  Bestattet wurde er in der Münchener Michaelskirche, der Grabkirche der Wittelsbacher.

Auf dem Grabdenkmal ließ Auguste Amalia seinen Wahlspruch „Honneur et Fidélité“ (Ehre und Treue) anbringen.[15]

 Goethe sagte über ihn: „Er war einer von den großen Charakteren, die immer seltener werden, und die Welt ist abermals um einen bedeutenden Menschen ärmer. Ich kannte ihn persönlich; noch vorigen Sommer war ich mit ihm in Marienbad zusammen. Er war ein schöner Mann von zweiundvierzig Jahren, aber er schien älter zu sein, und das war kein Wunder, wenn man bedenkt, was er ausgestanden und wie in seinem Leben ein Feldzug und eine große Tat auf die andere drängte. Er teilte mir in Marienbad einen Plan mit, über dessen Ausführung er viel mit mir verhandelte. Er ging nämlich damit um, den Rhein mit der Donau durch einen Kanal zu vereinigen. Ein riesenhaftes Unternehmen, wenn man die widerstrebende Lokalität bedenkt. Aber jemandem, der unter Napoleon gedient und mit ihm die Welt erschüttert hat, erscheint nichts unmöglich.“

Das Palais als Sitz der preußischen und der deutschen Gesandtschaft/Botschaft

Als nach der endgültigen Niederlage Napoleons Eugène de Beauharnais Paris verließ und nach Bayern übersiedelte, stand auch die Zukunft seines Pariser Wohnsitzes auf der Tagesordnung. 1818 verkaufte er das Palais, zu dem er ja keine engere persönliche Beziehung hatte, dem preußischen König Friedrich Wilhelm III., dessen Portrait vor dem Hintergrund des Charlottenburger Schlosses im Palais Beauharnais zu sehen ist.

Paul Ernst Gebauer:  Friedrich Wilhelm III.  (1833) Ausschnitt. Foto: F. Jöckel

Friedrich Wilhelm kannte das Palais gut, weil er dort schon 1814 nach der Niederlage Napoleons gewohnt hatte und danach noch öfters anlässlich der Inspektion der preußischen Besatzungstruppen. Mit dem Kauf musste die preußische Gesandtschaft nicht mehr an wechselnden Orten Räume anmieten, sondern erhielt ein dauerhaftes repräsentatives Domizil.

Kaufvertrag zwischen dem Prinzen Eugène und dem König von Preußen. Foto: F. Jöckel

Die Zeit der preußischen Gesandtschaft hat im Palais deutliche Spuren hinterlassen: Da sind die das Hauptportal flankierenden Adler ….

…. und die königlichen Wappen über dem Hauptporal und im Foyer:

Fotos: F. Jöckel

An  die preußische Vergangenheit  des Baus erinnern auch die Büsten von Wilhelm und Alexander von Humboldt, die beide Paris eng verbunden waren. Alexander lebte mit wenigen Unterbrechungen von 1804 bis 1827 in Paris, das damals das bedeutendste künstlerische und wissenschaftliche Zentrum der Welt war, sozusagen  der „Nabel der Geisteswelt“. Dort fand Alexander von Humboldt alles, was er für seine wissenschaftlichen Arbeiten benötigte. Einen bedeutenden Teil seiner Werke schrieb er auf Französisch. Im Jahre 1818 stellte Wilhelm von Humboldt sogar fest, sein Bruder habe „aufgehört […], deutsch zu sein“ und sei „bis in alle Kleinigkeiten pariserisch geworden“.[16] 1815 wurde Alexander angeboten, preußischer Gesandter in Paris zu werden, was er aber ablehnte: Die Wissenschaft war ihm wichtiger. Allerdings galt Humboldt manchen wegen seiner engen Beziehungen bis in die höchsten politischen Kreise als „graue Eminenz der preußisch-französischen Diplomatie.“[17]

Büste Alexander von Humboldts im Vestibül des Palais Beauharnais. (Kopie eines Originals von Christian Daniel Rauch) Foto: F.Jöckel

Alexanders  Bruder Wilhelm hatte allerdings 1814 die Gelegenheit, als Diplomat nach Paris zurückzukehren, wo er zuvor mehrere Jahre verbracht und wichtige Anregungen für seine sprachwissenschaftlichen Arbeiten erhalten hatte. Als Vertreter Preußens war er nach der Niederlage Napoleons an den Friedensverhandlungen beteiligt. Gesandter Preußens wollte aber auch er ebenso wenig  wie sein Bruder werden.

Wilhelm von Humboldt. Kopie eines Originals von Bertel Thorwaldsen (1808) Foto: Frauke Jöckel

 Alexander und Wilhelm von Humboldt: Zwei Persönlichkeiten, die in ganz besonderer Weise die enge Verbundenheit Frankreichs und Deutschlands über alle politischen Trennlinien und historischen Veränderungen hinweg verkörpern.[18]

Und dann gibt es noch eine Kopie der Schadow‘schen Büste der preußischen Königin Luise:  sicherlich -aber nicht nur-  zur Freude von Anhänger/Innen einer „feministischen  Außenpoltik“.

Foto: Frauke Jöckel

Denn Königin Luise war nicht nur eine außerordentlich schöne Frau, sondern auch eine grandiose Diplomatin. Nach der preußischen Niederlage von Jena und Auerstedt kam es in Tilsit zu einer schicksalhaften Begegnung zwischen Napoleon und der 30-jährigen Luise.  Für sie war Napoleon „ein Ungeheuer“, für ihn war sie eine „schwertfuchtelnde Amazone“, die den Preußen „so verderblich ist, wie es Helena für die Trojaner war“. Jetzt kam es aber darauf an, von Preußen zu retten, was noch zu retten war. Und tatsächlich war Napoleon tief beeindruckt von der jungen Königin. Man möchte versuccht sein, so meinte er, „anstatt ihr eine Krone zu nehmen … ihr eine andere zu  Füßen zu legen.“ Das irritierte Frankreichs Außenminister Talleyrand so sehr, dass er den Kaiser mahnte, „nicht um ein paar schöner Augen willen Ihre größte Eroberung aufs Spiel zu setzen“. Luises Verhandlungsgeschick und natürlich auch der Einfluss des russischen Zaren bewahrten Preußen vor dem Untergang. Zwar erlitt das Land große territoriale Einbußen, behielt aber soviel Substanz, dass der Weg zu entscheidenden gesellschaftlichen Reformen beschritten werden konnte, an denen dann ja auch Wilhelm von Humboldt erheblichen Anteil hatte. [18a]

Hier eine Ansicht der Hofseite des Hôtel de Beauharnais aus dem Jahr 1816 von J. Thibault.[19] Die Figuren der preußischen Soldaten/Ordonanzen im Hof wurden auf Wunsch Alexander von Humboldts von Carle Vernet hinzugefügt. Der war damals der berühmteste Pferdemaler, der auch die auf diesem Blog schon vorgestellte Wandtapete La Chasse de Compiegne entworfen hatte. Die Ansicht schickte Alexander von Humboldt auch dem preußischen König als Souvenir nach Berlin.

Auf dieser Ansicht von 1816 hat das Palais noch zwei Stockwerke und ein Dachgeschoss. Heute gibt es eine zusätzliche Etage, die Teil der umfangreichen Sanierungs- und Umbauarbeiten war, die im Verlauf des 19. Jahrhundert vorgenommen werden mussten. Nachdem die preußische Gesandtschaft das Hôtel Beauharnais bezogen hatte, stellte sich nämlich bald heraus, dass der Bau ganz erhebliche Mängel aufwies: Es handelte sich um ein auf unsicherem Grund errichtetes Spekulationsobjekt, und die Architekten von Eugène hatten sich um das glanzvolle Innere und nicht um die Bausubstanz gekümmert.

Als Architekt für die Sanierung wurde durch Vermittlung Alexander von Humboldts Jakob Ignaz Hittorff engagiert, „ein wahrer Glücksgriff“. Hittorff wuchs in dem 1794 von Revolutionstruppen annektierten Köln als französischer Staatsbürger auf, wurde nach dem Wiener Kongress wieder Preuße, machte aber gleichwohl in Frankreich Karriere und war -vor dem Baron Haussmann- einer der großen Stadtbaumeister von Paris: Die Place de la Concorde, die Place de l’Étoile, die Champs-Elysées und der Pariser Nordbahnhof -um nur einige Beispiele zu nennen- sind dafür eindrucksvolle Belege. Beim Palais de Beauharnais war Hittorff bis zu seinem Tod 1867 „gleichermaßen für die großen Baumaßnahmen wie auch für sämtliche Arbeiten an der Innendekoration verantwortlich. Dazu gehören die von ihm 1843 neu eingeführten Deckengestaltungen aus vergoldetem Pappmaschee in den großen Festräumen des Palais in der ersten Etage.“[19a]

Dabei passte sich Hittorff dem historischen Rahmen des Haues an. Allerdings vergaß er dabei auch nicht seinen Auftraggeber und die neue Funktion des Palais, wie die Decke des roten Salons (Salon Cerise) mit der preußischen Krone und den Initialien des preußischen Königs zeigt.

Hittorffs einschneidendste Änderung war die Aufstockung des Gebäudes.

Historisches Foto der Gartenfront nach der Hittorff’schen Aufstockung [20]

Da die repräsentativen Räume bisher den meisten Platz beanspruchten, fehlte es der immer größer werdenden Gesandtschaft an Büros und an Wohnraum für die Beschäftigten. Insofern war die Aufstockung ein Segen für die 1862 zur Botschaft erhobene Vertretung in Paris. Dass zum Teil sehr radikale weitere Veränderungsvorschläge Hittorffs – wie die Neugestaltung des Portikus oder die komplette Neueinrichtung der meisten Räume- vor allem an der preußischen Knauserigkeit scheiterten, kann man wohl auch als Segen bezeichnen: Sonst wäre das Palais Beauharnais heute kaum noch das Gesamtkunstwerk des Empire-Stils, dessen künstlerische Bedeutung erst nach Hittorffs Tod, Ende des 19. Jahrhunderts, voll erkannt wurde.

Das Bismarcksche Intermezzo

Otto von Bismarck übernahm im Mai 1862 die Pariser Gesandtschaft. Gern ist er nicht nach Paris gegangen, zumal er wusste, dass sein Aufenthalt in der französischen Hauptstadt nur von kurzer Dauer sein würde.  Die Mitteilungen über seine Residenz an die Angehörigen in der Heimat waren nicht gerade schmeichelhaft: „Das Haus liegt sehr schön, ist aber dunkel, feucht und kalt. …  alles liegt nach Norden, riecht dumpfig und kloakig . Kein einziges Möbel auf, kein Winkel, in dem man gern sitzen möchte (…)  So haben Hatzfelds und Pourtalès [21] (frühere deutsche Gesandte W.J.) die ganze Zeit existiert, sind aber auch dabei gestorben, in der Blüte ihrer Jahre, und bleibe ich in dem Hause, so sterbe ich früher als ich wünsche.“  Als einziger Lichtpunkt in solchem Elend erschien ihm der Garten, von dem er seiner Frau mit Wärme berichtete: »Rasen , Rosen und Seine , zwischen den hohen Bäumen Blick auf die Tuilerien; Blätter , Spatzen und lauer Wind , fernes Stadtgeräusch, man ist wie auf dem Lande“ [22]

Fotos: F. Jöckel

Heute hängt im Palais Beauharnais ein Portrait Bismarcks, das allerdings– aus Rücksichtnahme auf französische Befindlichkeiten- erst spät (nach 1968) dort seinen Platz fand, galt Bismarck doch weithin in Frankreich als Verkörperung des Feindbildes Deutschland.[23] Und vielleicht wird das Bild ja demnächst -diesmal aus Rücksichtnahme auf neue deutsche Befindlichkeiten [24]– in ein Hinterzimmer verbannt….

Unter dem Gemälde Bismarcks – gewissermaßen als Ausgleich?- die Büste des Schriftstellers, Kunstkritikers und entschiedenen Nazi-Gegners Wilhelm Hausenstein, der von 1950 bis 1955 zunächst Generalkonsul, dann Geschäftsträger und schließlich erster Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Paris war. Er repräsentierte -in der Tradition der Humboldts- das „andere“ freiheitliche Deutschland, ebenso wie Carlo Schmid, dessen Büste (zu meiner großen Freude) ebenfalls in diesem Raum aufgestellt ist.

Carlo Schmid hatte engste Beziehungen zu Frankreich, er war dort geboren, seine Mutter war Französin, er zeichnete sich -auch- als Übersetzer u.a. von Baudelaire und Malraux aus. Nach dem Krieg setzte er sich entschieden für die deutsch-französische Aussöhnung ein. Dazu war er einer der Väter des Grundgesetzes und an der Universität Frankfurt Professor… Als junger Student besuchte ich -auch wenn ich damals noch gar nicht Politik studierte- immer gerne seine beeindruckenden Vorlesungen im großen alten Hörsaal der Universität….

Das Palais Beauharnais zwischen Krieg und Frieden

Aber zurück ins 19. Jahrhundert… Dreimal in den darauffolgenden Jahrzehnten standen sich Deutschland und Frankreich in Kriegen gegenüber: Im deutsch-französischen Krieg von 1870/1871, im Ersten und im Zweiten Weltkrieg. Der Krieg von 1870/1871 hat gewissermaßen indirekt seine Spuren im Palais Beauharnais hinterlassen: Bei den Kämpfen der Commune mit den nach Paris  eindringenden Versaillais in der semaine sanglante traf ein Schuss den Spiegel im Schlafzimmer: Das Einschussloch und der Sprung im Spiegel sind heute noch zu sehen.

Foto: F. Jöckel

Eine tragische Geschichte, die in den Jahren zwischen dem deutsch-französischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg ihren Anfang im Palais Beauharnais nahm, war die Dreyfus-Affaire.  In einem Papierkorb des Militärattachés fand Madame Bastian, eine für den französischen Geheimdienst arbeitende elsässische Reinmachefrau der Botschaft, Papierschnipsel. Das war der berüchtigte „bordereau“, der Grundlage der Spionagevorwürfe gegen den capitaine Dreyfus war.[25]

Nach dem Ersten Weltkrieg, der demonstrativen Demütigung der jungen Weimarer Republik durch den Versailler Vertrag und der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen, war das Palais Beauharnais -wie schon in den Jahren nach 1871-  ein Ort der Vertrauensbildung. Empfänge, Kammermusik- und Tanzabende für eine kosmopolitische Gesellschaft fanden hier statt, „die zu den herausragenden und schönen Momenten im deutsch-französischen Verhältnis gehören.“ [26] Max Beckmanns Gemälde „Gesellschaft Paris“ (Guggenheim-Museum New York) aus den 1920-er Jahren wird gemeinhin mit einer solchen Abendveranstaltung im Palais Beauharnais in Verbindung gebracht. [27]

In den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft geriet das Palais Beauharnais vor allem 1938 durch die Ermordung des Botschaftsrates Ernst Eduard vom Rath durch Herschel Grynszpan in den Blickpunkt. Grynszpan wollte die Deportation seiner Eltern und Geschwister in das deutsch-polnische Niemandsland in der sogenannten „Polenaktion“ rächen. Die Tat  diente den Nazis als Anlass und Vorwand für das Judenpogrom in der sogenannten „Kristallnacht“ am 9. November 1938. Während der Zeit der Besatzung residierte in dem Palais der Botschafter Otto Abetz, der von einem frankophilen Demokraten und Pazifisten zu einem entschiedenen Nationalsozialisten mutierte. Abetz bemühte sich nach Kräften, das Palais Beauharnais mit geraubten Kunstobjekten aus jüdischem Besitz auszustatten wie dem Prunkschreibtisch des Grafen Metternich aus der Sammlung Edmond de Rothschilds. Als Depots für den Nazi-Kunstraub wurden auch die benachbarten Stadtpalais genutzt.

Nach der Befreiung von Paris wurde das Palais de Beauharnais vom französischen Staat konfisziert, aber 1961 im Zuge der deutsch-französischen Verständigung an die Bundesrepublik zurückgegeben – „sehr gegen den Widerstand des Bundesfinanzministers, der darauf verwies, dass man inzwischen ein von den Meistern der Bundesbaudirektion entworfenes Bürogebäude besitze und für die kostspielige Antiquität keine Verwendung habe. Konrad Adenauer war anderer Meinung.“  Die als Geste Frankreichs gedachte Übergabe des Hauses konnte trotz der absehbaren Kosten aus politischen Gründen ja kaum zurückgewiesen werden.[28]

Das Palais de Beauharnais als Botschaftsresidenz

In der Tat dauerte es bis 1968, bis die nötigsten Renovierungen abgeschlossen waren und das Palais offiziell von den Präsidenten de Gaulle und Lübcke als Residenz des deutschen Botschafters eröffnet werden konnte.

Hier sieht man die beiden am napoleonischen Trommeltisch des Palais.[29]

Fotos: F. Jöckel

De Gaulle zeigt offenbar seinem deutschen Amtskollegen das eingelegte Bildnis Napoleons im Zentrum der Tischplatte. Und Herr Lübcke lächelt wohlgefällig dazu….

Danach allerdings ging die Renovierung -auf der Grundlage penibler kunsthistorischer Forschungen durch das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris- erst richtig los [30].  

Renovierungsarbeiten im Salon de musique [31]

Das Ergebnis ist grandios, wie Michael Moenninger 2006 in der ZEIT rühmte:

Ältere Franzosen verspürten beim ersten Anblick eher einen psychedelischen Farbschock. Lange Zeit hatten die ausgeblichenen Seidentapeten in anderen Schlössern als Vorbild für Renovierungen gedient, weshalb das Palais zuletzt die Anmutung eines pastellfarbenen Kurhauses der fünfziger Jahre hatte. Nun aber knallen wieder Pompeji-Rot und Olivgrün durch die Enfiladen, altrömische Goldreliefs rieseln von den Wänden, und viele der fast vollständig erhaltenen Originalmöbel mit ihren Schwanenhalslehnen, Löwentatzenbeinen und Sphinx-Gestellen gibt es in dieser Qualität nicht einmal im Louvre. Auch Themenräume wie das türkische Boudoir und Badezimmer sind selten zu sehen. Der renovierte Portikus im Ehrenhof, ein Replikat des ägyptischen Tempels von Dendera, zählt zu den wenigen erhaltenen Erinnerungen an Napoleons Orientexpedition. [32]

Foto: F. Jöckel

Dazu dann mehr  -und vor allem viele Fotos!- in dem nachfolgenden zweiten Teil des Berichts:

„Deutschlands schönstes Haus steht an der Seine“:  Das Palais Beauharnais in Paris (Teil 2)

Dank

Wir danken Herrn Achim Holzenberger, dem früheren Leiter der Abteilung Presse/Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Botschaft, dass er uns die Möglichkeit für Fotoaufnahmen gegeben hat und uns dabei geduldig begleitete.

Besichtigung

Zweimal monatlich (außer Juli und August) gibt es ganz hervorragende, engagierte Führungen durch das Palais, die im Allgemeinen von Madame Françoise de Guilhermier-Jacquot, conférencière des Musées Nationaux, durchgeführt werden.

Reservierung unter:  https://service2.diplo.de/rktermin/extern/choose_category.do?locationCode=pari&realmId=425&categoryId=680&request_locale=fr  

Verwendete Literatur

Jörg Ebeling, Ulrich Leben (Hg.), Ein Meisterwerk des Empire. Das Palais Beauharnais in Paris, Residenz des deutschen Botschafters. Tübingen: Wasmuth Verlag 2016  (Siehe dazu: Ein Meisterwerk des Empire. Das Palais Beauharnais | DFK Paris (dfk-paris.org)

Jörg Ebeling und Ulrich Leben, Das Palais Beauharnais, die Residenz des deutschen Botschafters. Les Éditions du Palais. 2022

Jörg Ebeling, Die vier Jahreszeiten. https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/6289/1/Ebeling_Die_Vier_Jahreszeiten_2016.pdf  Originalveröffentlichung in: Bachtler, Monika ; Lindhorst, Susanne (Hrsgg.): Förderprojekte der Rudolf-August Oetker Stiftung 2013 bis 2015, München 2016, S. 150-151

Jörg Ebeling, Zur Restaurierungsgeschichte  des Palais Beauharnais. (= Kapitel aus Ebeling/Leben, Ein Meisterwerk des Empire) https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/6334/1/Ebeling_Zur_Restaurierungsgeschichte_des_Palais_Beauharnais_2016.pdf

Caroline van Eck/Miguel John Versluys, The Hôtel de Beauharnais in Paris: Egypt, Greece, Rome, and the Dynamics of Stylistic Transformation. In:  Katharine T. von Stackelberg (ed.)Elizabeth Macaulay-Lewis (ed.)  Housing the New Romans: Architectural Reception and Classical Style in the Modern World. Oxford University Press 2017 (https://www.academia.edu/35255162/The_H%C3%B4tel_de_Beauharnais_in_Paris_Egypt_Greece_Rome_and_the_Dynamics_of_Stylistic_Transformation )

Thomas W. Gaethgens, Ulrich Leben und Jörg Ebeling, Palais Beauharnais in Paris- zur historischen Ausstattung. In: Bau und Raum Jahrbuch 2004. Herausgegeben vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S. 82-91

Karl Hammer: Hôtel Beauharnais Paris. (Beihefte der Francia 13). München und Zürich:  Artemis  1983,  (Online: Hôtel Beauharnais Paris (perspectivia.net)

Claus von Kameke,  Palais Beauharnais. Die Residenz des deutschen Botschafters in Paris. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1968

Klaus-Henning von Krosigk, Der Garten des Palais Beauharnais. In: Bau und Raum Jahrbuch 2004. Herausgegeben vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S. 92- 95

Michael Moenninger,  Imperiale Wehmut.  Botschaften renovieren, Plätze ausgraben: Warum die Franzosen das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris so schätzen. DIE ZEIT, 10/2006 vom 2. März 2006

David Peyrat, A Paris, dans les secrets de l‘hôtel de Beauharnais, joyau unique du style Empire. Geo,  27/04/2022  https://www.geo.fr/histoire/a-paris-dans-les-secrets-de-lhotel-de-beauharnais-joyau-unique-du-style-empire-209533

Es gibt auch eine schöne Karambolage-Sendung über die Geschichte des Palais Beauharnais auf youtube:  https://www.youtube.com/watch?v=M21uywo4k80


Anmerkungen

[1] https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Meister/a-g/Boffrand_Germain.html

[2]  Ebeling/Leben, Ein Meisterwerk des Empire, S. 25

[3] Aus:  Krosigh, Der Garten des Palais Beauharnais, S. 93

[4] Aus: Gaehtgens u.a., Palais Beauharnais in Paris, S. 86

[5] Siehe auch: Ebeling/Leben, Ein Meisterwerk des Empire, S. 28 und Hammes, S. 19, 21 und 22

[6] Beide Zitate aus Hammes, S. 20

[7] Hammer, S. 39-41

[8] https://art.rmngp.fr/en/library/artworks/theodore-gericault_combat-de-cavaliers-la-bataille-du-prince-eugene_rehauts-de-blanc_papier-brun_crayon-noir_lavis-gris und https://www.napoleon.org/en/history-of-the-two-empires/images/the-prince-viceroy-of-the-russian-army-rescuing-one-of-his-polish-officers-surprised-by-some-cossacks/

[9] (Empire, S.47)

[10] Bild aus: https://presse.rmngp.fr/eugene-de-beauharnais-un-prince-europeen/

[11] Zitiert in: Ebeling/Leben, Das Palais Beauharnais, S. 10

[12] https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/F%C3%BCrstentum_Aschaffenburg_/_Gro%C3%9Fherzogtum_Frankfurt

[13] Elfi Haller, Hans Lehmbruch, Palais Leuchtenberg. Die Geschichte eines Münchner Adelspalais und seines Bauherrn, München 1987

[14] https://musees-nationaux-malmaison.fr/chateau-malmaison/agenda/evenement/eugene-de-beauharnais-un-prince-europeen

[15] Bilder aus: http://www.hansgruener.de/docs_d/kanal/geschichte_leuchtenberg.htm und https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Michael_-_M%C3%BCnchen_-_Grabmal_Eug%C3%A8ne_de_Beauharnais.JPG

[16] Zit von Christian Helmreich:  https://www.hsozkult.de/searching/id/reb-13743

[17] Jörg Ebeling, Die preußische Legation und Botschaft. Hittorf und das Palais Beauharnais (1818-1867). In: Ein Meisterwerk des Empire, S. 104

[18] Siehe zum Beispiel: Heinz Balmer, Alexander von Humboldt und Frankreich  1976 ;

Ulrich Päßler,  Ein „Diplomat aus den Wäldern des Orinoko“. Alexander von Humboldt als Mittler zwischen Preußen und Frankreich. Stuttgart 2009

Jörg Ebeling,  Jacob Ignaz Hittorff und die preußische Gesandtschaft. In:  Isabelle Jansen,  Friederike Kitschen und Gitta Ho (Hrsgg.), Dialog und Differenzen : 1789-1870 Deutsch-französische Kunstbeziehungen, Berlin 2010, S. 43-56 

 Günther Kronenbitter, Wilhelm von Humboldt (1767-1835): https://www.degruyter.com/document/doi/10.1524/9783050080277.313/pdf  und

 Denis Thouard, Paris. In: Cord-Friedrich Berghahn (Hrsg), Wilhelm von Humboldt. Handbuch. Stuttgart: J.B. Metzler 2022

[18a] Text und Zitate aus: Jan von Flocken, Schicksalhafte Begegnung –  Luise und Napoleon. 21.5.2008 Ihttps://www.welt.de/wissenschaft/article2015066/Schicksalhafte-Begegnung-Luise-und-Napoleon.html#:~:text=Luise%20sollte%20Napoleon%20in%20der,er%20an%20seine%20Gemahlin%20Jos%C3%A9phine

[19] https://www.researchgate.net/figure/J-Thibault-View-of-the-Court-of-the-Hotel-de-Beauharnais-watercolour-1816-the_fig5_329496547

[19a] Jörg Ebeling,  Jacob Ignaz Hittorff und die preußische Gesandtschaft, S. 44/45 Nachfolgendes Bild aus facebook @ericsanderphoto

[20] Bild aus: https://www.marcmaison.com/architectural-antiques-resources/hotel-de-beauharnais

[21] Die Vorfahren des Grafen Pourtalès gehörten übrigens zu den französischen Glaubensflüchtlingen, die in Preußen aufgenommen worden waren und von denen viele in staatlichen Diensten Karriere machten.  

[22] Zitiert bei Hammes, S. 144, dem ich in diesem Abschnitt folge.

[23] Jörg Ebeling, Das Palais Beauharnais zwischen 1933 und 1945. In: Ein Meisterwerk des Empire, S. 150. Siehe dazu z.B. auch: Emmanuelle Gaillard, Bismarck, Le chancellier de fer:  L’Allemagne représente plus que jamais l’ennemi, le « barbare ». Bismarck et l’empereur Guillaume en sont les symboles.  In: L’histoire par l’image , Mars 2016 https://histoire-image.org/etudes/bismarck-chancelier-fer.  Diese französische Haltung zu Bismarck wirkt noch bis heute nach. Siehe: Jean-Luc Mélenchon, Le Hareng de Bismarck (Le Poison Allemand), Paris: Plon 2015 

Unter dem Portrait Bismarcks eine Büste von Wilhelm Hausenstein, dem ersten Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg.

[24] Das Bismarck-Zimmer im Berliner Auswärtigen Amt (der Name geht übrigens auf Bismarck zurück) wurde ja kürzlich umbenannt, weil Bismarcks Machtpolitik nicht mehr in unsere Zeit passe…. Siehe den -m.E. sehr tendenziösen- Beitrag von Eckart Conze in der FAZ vom 3.1.2023  Ist Bismarck noch ein Vorbild für deutsche Außenpolitik? (faz.net)

[25] Siehe z.B.  Mareike König, „Bitte leeren Sie den Papierkorb, Madame!“ – nochmal zur Dreyfusaffäre

   https://19jhdhip.hypotheses.org/1510  und Louis Begley,  Der Fall Dreyfus.  Suhrkamp, 2o11

[26] Ulrich Leben, Das Ende eines Jahrhunderts. In: Ein Meisterwerk des Empire, S. 138

[27] Bild: https://beckmann-gemaelde.org/346-gesellschaft-paris

[28] Jörg von Uthmann, Völkerverbindende Zärtlichkeit: Das Palais Beauharnais in Paris. In: DIE WELT vom 21.1.2003  https://www.welt.de/print-welt/article346408/Voelkerverbindende-Zaertlichkeit-Das-Palais-Beauharnais-in-Paris.html  und Ebeling, Zur Restaurierungsgeschichte des Palais Beauharnais, S.141

[29] https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B4tel_Beauharnais#/media/Datei:Bundesarchiv_B_145_Bild-F026331-0023,_Paris,_Bankett_Einweihung_Deutsche_Botschaft.jpg

[30] Siehe: Jörg Ebeling,  Recherches scientifiques sur l’hôtel de Beauharnais  Hôtel de Beauharnais | DFK Paris (dfk-paris.org)

[31]   https://ateliercamuset.fr/wp-content/uploads/2017/10/hotel-beauharnais-recarde%CC%81.jpg

[32] Michael Moenninger,  Imperiale Wehmut.  Botschaften renovieren, Plätze ausgraben: Warum die Franzosen das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris so schätzen. DIE ZEIT, 10/2006 vom 2. März 2006

Hans Hartung und die Fondation Hartung-Bergman in Antibes: Das südfranzösische Idyll eines außerordentlichen Künstlerpaares

Auf den Maler Hans Hartung wurden wir aufmerksam anlässlich der ihm gewidmeten großen Ausstellung 2019/2020 im Musée d’Art Moderne de Paris.[1]

Alle Ausstellungsfotos: Wolf Jöckel

Aufgefallen ist uns vor allem, welche Bedeutung die Farbe Schwarz im Werk Hartungs hat. In seinem Selbstportrait schreibt er, er möge das Schwarz: „Es ist zweifellos meine Lieblingsfarbe. Ein absolutes, kaltes, tiefes, intensives Schwarz.“ (S. 186).

T 1963- E 45

Das erinnerte uns an Pierre Soulages, in dessen Werk ja die Farbe Schwarz in unterschiedlichen Facetten dominiert und dessen großformatige Arbeiten wir in den Museen von Rodez und Montpellier bewundert haben.[2] Und auch Hartung hat die großen Formate geliebt und genutzt. In seinem Selbstportrait spricht er von dem „Bedürfnis, große Bilder zu malen.“

„Ich bin davon überzeugt, dass in der abstrakten Kunst den Dimensionen eines Bildes eine außerordentliche Bedeutung zukommt. … Ein Strich, der quer über eine zwei Meter hohe Leinwand verläuft, drückt Gewalt, Energie und Stärke aus. Ist er nur zehn Zentimeter lang, ist er bedeutungslos. Eine Wut, ein Aufbegehren, eine Begeisterung, eine Leidenschaft von zwanzig Zentimetern, das erscheint lächerlich“. (S. 191)

Und wie bei Soulages gibt es auch bei Hartung keine Titel für seine Werke, sondern nur Nummern. Auch dazu Hartung:
„Von Anfang an habe ich meinen Bildern niemals Titel gegeben, sondern Nummern. Denn ich möchte den Betrachter nicht beeinflussen. … Man muss ihnen (den Leuten W.J.) ihre Freiheit lassen. Völlige Freiheit.“ (S. 79)

In der Tat verband Hartung seit 1947 nicht nur eine künstlerische Nähe, sondern auch eine bis zu seinem Tod fortdauernde Freundschaft mit dem 15 Jahre jüngeren Pierre Soulages.[3] 

Hartungs Werk ist von einer großen Experimentierfreude und Variabilität geprägt. Immer wieder erschloss er sich neue Gestaltungsmöglichkeiten. Man hat sogar von einer „kopernikanischen Wende“ seines Schaffensprozesses gesprochen, in der die Farbe „zur Triebkraft seines grandiosen Spätwerks wird.“[4]

Es waren aber nicht nur die Bilder, die für uns Anlass waren, uns näher mit Hartung zu beschäftigen, sondern auch seine ganz besondere deutsch- französische Lebensgeschichte, die sicherlich auch eine Grundlage für die Freundschaft mit Soulages war.

Geboren wurde Hartung 1904 in Leipzig. Sein Selbstportrait von 1922, das seinen festen Platz in Antibes hat, zeigt einen jungen Mann, der selbstbewusst, fast von höherer Warte aus, auf den Betrachter und die Welt blickt.

Schon als Kind schien ihm klar zu sein, dass er sich mit der Malerei ausdrücken konnte, dass er Ängste damit in etwas anderes verwandeln konnte. Als Sechsjähriger habe er sich mit dem Malen „von der Angst befreit“. Vor Gewittern zum Beispiel. Ans offene Fenster sei er gelaufen, um „die zuckenden Blitze im Fluge“ einzufangen.  „Noch vor dem Donnerschlag mussten sie auf dem Blatt sein, so beschwor ich den Blitz. Mir konnte nichts geschehen, wenn mein Strich so schnell wie der Blitz war.“  Er füllte ganze Schulhefte mit den Zeichnungen von Gewitterblitzen. “Blitzbücher” nannte sie sein Vater.[5]

1955 Tusche auf Papier 19 x 12,5 cm

Und schon seit 1926 hatte er eine enge Beziehung zu Frankreich. Damals fand eine internationale Ausstellung in Dresden statt, bei der er die französische Malerei kennenlernte:

Daraufhin unternahm ich mehrere Reisen durch Frankreich, und die Vielfalt der Landschaften, die Schönheit und das Klima Südfrankreichs haben mich überwältigt. Es war nicht allein die Malerei, sondern auch die Architektur -die romanische, gotische, die der Loire-Schlösser, der kleinen Dorfkirchen und der Festungen von Vauban- und eine gewisse Art zu leben, die mich faszinierten, ganz zu schweigen von der Küche und den Weinen aus Bordeaux. Hinzu kam die ungeheure Anziehung, die Paris als kulturelles Zentrum auf mich ausübte, mit seinem internationalen Leben, mit Montmartre -Josephine Baker nicht zu vergessen!- und dem außergewöhnlichen Leben, das sich damals zu seiner großen Zeit am Montparnasse abspielte“.[6]

 1926 setzte er seine künstlerische Ausbildung in Paris fort, 1935 ging er dorthin ins Exil, weil das Leben im Nazideutschland für ihn unerträglich und als Maler unmöglich war. Die Nazis entzogen ihm denn auch die deutsche Staatsbürgerschaft und machten ihn zum Staatenlosen.  Nach Ausbruch des Krieges meldete sich Hartung zur Fremdenlegion, die einzige Möglichkeit, seiner Internierung als „feindlicher Ausländer“ ein Ende zu machen. Als Legionär war Hartung -zusammen mit anderen Nazigegnern und Juden, die in der Legion dienten, in Nordafrika stationiert. Die Stimmung war sehr gut, wie er später berichtete, zumal er als Maler zur Ausgestaltung des Speisesaals abgestellt wurde.   Nach dem Waffenstillstand 1940 wurde er entlassen, ohne je einen Feind gesehen zu haben.[7]

Hartung als Fremdenlegionär in Nordafrika

Danach wurde Hartung demobilisiert und kam im unbesetzten Teil Frankreichs unter. Aber im November 1942 besetzte die Wehrmacht auch diesen Teil Frankreichs. Zunächst versuchte Hartung noch, heimlich dort weiterzuleben, doch dann erschien es ihm ratsam, sich in Nordafrika in Sicherheit zu bringen. Das gelang aber nicht, und wieder war die erneute Verpflichtung zur Fremdenlegion die einzige Möglichkeit, Internierung und Gefängnis zu verhindern und stattdessen gegen das faschistische Deutschland zu kämpfen, für das er Scham empfand: Das sei für ihn „eine moralische Frage“ gewesen.  „Ich fühlte mich ein wenig verantwortlich. ‚Verantwortlich‘ ist nicht genau das richtige Wort, aber auf jeden Fall sehr betroffen.“[8] Unter dem Namen Pierre Berton nahm Hartung im November 1944 als Sanitäter an den Kämpfen im Elsass teil. In seinem Lebensbericht schreibt er: „Die Kämpfe waren (…) sehr hart, und wie immer stand die Legion in vorderster Linie. Man schickte die Legion voraus, sobald es offensichtlich war, dass es große Verluste geben würde.“  Bei einem solchen -und dazu auch noch sinnlosen- Einsatz wurde Hartung verwundet: Ein Bein musste amputiert werden. Immerhin entging er, wie er lakonisch bemerkt, auf diese Weise einem vielleicht sogar lebenslangen Dienst in der Fremdenlegion und konnte wieder seiner Bestimmung als Maler folgen.[9] Allerdings verlor er bei dem Transport in das Krankenhaus von Toulouse sein Gepäck mit allen Zeichnungen, die seit Spanien entstanden waren. Das traf ihn fast noch mehr als der Verlust des Beins. 1946 erhielt er die französische Staatsbürgerschaft und wurde in die Ehrenlegion aufgenommen. 1947 präsentierte die Pariser Galerie Lydia Conti Hans Hartung in ihrer Eröffnungs- Ausstellung, der junge Alain Resnais drehte dazu einen Kurzfilm über den Maler: Beginn eines grandiosen Aufstiegs, markiert von internationalen Ausstellungen und Preisen.

Zu der Ausstellung des Musée d’Art Moderne gehörte auch ein Foto mit entsprechender Erläuterung von Haus und Atelier in Antibes, in dem Hans Hartung zusammen mit seiner Frau Anna-Eva Bergman von 1973 bis zu seinem Tod 1989 lebte und arbeitete. Inzwischen ist es für die Öffentlichkeit zugänglich. Grund genug also für einen Besuch.

Das Anwesen liegt oberhalb von Antibes an einer langen Einbahnstraße. Da wir unserem Navi nicht recht vertrauten, baten wir mehrere Anwohner um Auskunft, die aber nur ratlos mit dem Kopf schüttelten:  Erstaunlicher Weise hatte keiner von ihnen etwas von der Fondation Hartung-Bergman  gehört…  Offenbar also ein echter „Geheimtipp“….

Die Fondation Hartung-Bergman in Antibes

In seinem Selbstportrait beschreibt Hans Hartung das Haus in Antibes so:

„Es ist weiß und umschließt zwei Patios, die mich an das Atrium Romanum erinnern, das mir seit meiner Schulzeit nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist, und dem ich in Italien und Südspanien wieder begegnet bin. Ein Patio mit freiem Himmel, aber rundum geschlossen, der andere nach Süden hin geöffnet; die Mauern des Gebäudes sind von einfachen Öffnungen durchbrochen; das ganze liegt inmitten eines Olivenhains. Zusammen mit Anna-Eva habe ich dafür die Pläne bis ins kleinste Detail gezeichnet.“ (S. 173)

Das Haus ist auch eine Reminiszenz an die frühe Ehezeit des Paares Hartung-Bergman auf Menorca Anfang der 1930-er Jahre. Dort hatte sich das junge Paar ein Haus auf den Felsen gebaut: „Es war ein großer, weißer Block, sehr schlicht, an der Höhe eines Hügels gebaut, mit weiter Sicht über Meer und Insel.“ (S. 71). Damit erinnerte es an die Häuser der spanischen Fischer:  schlichte weiße Würfel mit in die Breite gezogenen Fenstern. … Es war purer Minimalismus und wilde Romantik. Aber das Idyll währte nur kurz: Hartung und Bergman wurden von den spanischen Behörden der Spionage verdächtigt und mussten Fornells verlassen. Das Haus wurde im spanischen Bürgerkrieg zerstört.[10]

Das Haus auf Menorca[11]

Der Bau der Anlage in dem Olivenhain oberhalb von Antibes dauerte insgesamt sechs Jahre – eine Kraftprobe für Hartung und Bergman, bis endlich das Haus so geworden war, „wie wir es uns erträumt hatten.“ (Selbstportrait, S. 175).  Von 1973 bis zu ihrem Tod (Bergman 1987, Hartung 1989) lebten und arbeiteten die beiden Künstler hier.

„1994 gingen die Gebäude an die Fondation Hartung-Bergman über. Sie wurde zum Erhalt des Werks beider Künstler gegründet. Die Stiftung verfügt nicht nur über den größten Bestand an Originalwerken von Hans Hartung und Anna-Eva Bergman, sondern ebenso über ein bedeutendes Archiv in Form von Werkkatalogen, Skizzen, Fotografien und Notizbüchern, sowie der beachtlichen Privatbibliothek der Künstler. Bisher war es jedoch nur Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern oder auf Anfrage auch kleinen Gruppen von Privatpersonen gewährt, diesen Schatz sowie die Original-Ateliers der Künstler in Augenschein zu nehmen.“[12]  Seit 2022 sind nun auch individuelle Besuche möglich.  

Bilder und Texte zu den wichtigsten Lebensstationen der Künstler sind in dem neuen turmähnlichen Eingangsgebäude angebracht, das sich nahtlos in die Ursprungsarchitektur einfügt und als erste Station auf dem Rundgang dient.

Danach gelangt man in den Olivenhain mit den teilweise zweihundert Jahre alten Bäumen. Die Fotos von der Fondation: F. und W. Jöckel

Im Schatten der alten Bäume gibt es Sitzgelegenheiten und einen kleinen Stand mit Getränken und mittags auch mit landestypischen Spezialitäten. Ein wunderbarer Ort der Ruhe und der Einstimmung in den genius loci.

Und dann geht es zum Herzstück der Fondation: den ehemaligen Ateliers der Künstler, die teilweise zu Ausstellungsräumen umgestaltet wurden.

Immer wieder gibt es dort Ausblicke nach draußen: „Die Fenster sind meine Bilder“, schreibt Hartung. „Durch sie zeichnet sich eine unbewegliche Landschaft ab, doch mit einem ständig sich wandelnden Himmel, der durch die silbernen Blätter der Olivenbäume schimmert.“ (Selbstportrait, S. 176)

Im ersten Gebäude befinden sich die ehemaligen Arbeitsräume von Anna-Eva Bergman. Hartung hatte die junge Norwegerin 1929 in Paris auf einem Fest der Skandinavier kennengelernt.

„Auf diesem Ball habe ich mich heftig gelangweilt, weil ich die Sprache der Tänzerinnen nicht verstand. Bis ein zierliches jungen Mädchen mit großen, blauen Augen auftauchte. Sie war zwanzig Jahre alt, hieß Anna-Eva Bergman und sprach fließend deutsch. Ich wich den ganzen Abend nicht mehr von der Seite. Das war am 9. Mai 1929. Am 11. Mai, als wir uns zum zweiten Mal sahen, gestanden wir es uns gegenseitig: wir hatten uns ineinander verliebt. Am 25. Mai bei einem Ausflug nach Versailles kam es durch die Sonne, die zarten Kräuter, den Duft der Liebesgeschichten von einst, der immer noch in dieser Welt der Spiegelgläser und des Reichtums des Palastes schwebt, zu dem, was kommen musste: wir beschlossen, zu heiraten!“ (S.63)

Allerdings wurde die Ehe 1938 wieder geschieden. Einer der Gründe für Bergmans Trennung von Hartung war die Erkenntnis, dass sie sich nur allein, in völliger Unabhängigkeit künstlerisch entwickeln könnte.[13]  1939 heiratete Hartung die Tochter des spanischen Künstlers Julio Gonzáles, in dessen Haus und Atelier bei Paris er damals lebte und arbeitete. 1952 nahmen aber Hans Hartung und Eva-Maria Bergman ihre Beziehung wieder auf. Sie trennten sich von ihren jeweiligen Ehepartnern, vermählten sich 1957 erneut und blieben bis zu ihrem Tod zusammen.

Im ehemaligen Atelier von Anna-Eva Bergman kann man einige ihrer eindrucksvollen Bilder betrachten und bewundern.

 Die teils mehrere Meter oder nur handgroßen Gemälde im minimalistisch abstrakten Stil bestechen durch ihre ungeheure Leuchtkraft, die etwas Sakrales hat. Von Horizonten erzählen sie, von den Felsen und vom Licht der norwegischen Landschaften, von den Himmelskörpern und dem Universum.  Die norwegische Malerin – immer auf der Suche nach Licht – entwickelte eine ganz eigene Technik, indem sie Blattsilber oder Blattgold auf mit Acrylfarbe bearbeitete Leinwände auftrug und dann die metallisierte Fläche mit Ritzungen und Übermalungen bearbeitete.[14]

Anna-Eva Bergman, Cap d’Antibes 1974  (Acrylfarbe und oxydiertes Kupferblatt auf Leinwand)

Anna-Eva Bergman, La nuit 1959 (Ölfarbe und Metallblatt auf Leinwand)

Anna-Eva Bergman N°42A-1966 Oxydation A (1966)  32×49,5 cm

Von 31. März bis 16. Juli 2023 wird im Musée d’Art moderne de Paris die erste große Retrospektive präsentiert, die Anna-Eva Bergmann gewidmet ist. In der Ankündigung der Ausstellung wird sie als eine „Schlüsselfigur der Nachkriegsmalerei“ bezeichnet, als „freie und visionäre Künstlerin“, und ihr Werk als eine eindrucksvolle Hommage an die Schönheit der Natur, an die Landschaften des Nordens und des Mittelmeers.[15]  Zu dieser Ausstellung ist auch ein Blog-Bericht geplant.

Ausstellungsplakat in einer Pariser Metro-Station

Im „Heiligtum der Fondation“

Neben den Ausstellungsräumen Bergmans befindet sich das Atelier Hartungs mit seinen Nebenräumen, die jetzt für Ausstellungen genutzt werden. Anhand selten gezeigter Werke, wie dem Selbstporträt von 1922, lässt sich dort der Weg des Künstlers von der Gegenständlichkeit zur Abstraktion nachvollziehen.

T 1956-26 (1956) 122 x 180 cm

Hier sind natürlich auch „die ausgefächerten, aus der Ferne an Palmenblätter erinnernden dunklen Formkonstellationen“ zu sehen, „die seine Arbeiten der 1950-er Jahre beherrschen und die zu einer ikonischen Formel für sein Werk wurden.“[16]

T1958-3 (1958)  92 x 73 cm (Ölfarbe auf Leinwand)

Diese großen Gemälde haben unverkennbar ihren Ursprung in kleineren Tuschezeichnungen. Diese Skizzen waren in den langen Jahren großer Armut für Hartung die einzige Möglichkeit künstlerischer Arbeit. In seinem Selbstportrait berichtet er von dem Besuch im Atelier eines englischen oder amerikanischen Malers in Paris, der ihm von Freunden empfohlen worden war:

„Er besaß ein riesiges Atelier mit ausgezeichneten Lichtverhältnissen. Der ganze Boden war übersät mit angefangenen, halbfertigen und sogar fertigen Bildern; überall verstreut lagen Farbtuben – vertrocknet, aufgeplatzt, zerquetscht, eine unglaubliche Vergeudung. Und ich, er ich nach dem letzten kleinsten Tropfen Farbe in meinen Tuben suchte, stand fassungslos, mit einem  Würgen im Hals, vor solcher Verschwendung. Ich stammelte schnell ein paar höfliche Worte und sah zu, dass ich von dort fortkam, damit man mir meine Entrüstung und Verzweiflung nicht anmerkte.“ (S.92)

Als Hans Hartung dann genug Geld für den Kauf von Leinwänden und Farben hatte, folgte er dem Rat eines Freundes, seinen Skizzen treu zu bleiben und sie -auch das Zufällige und Unvorhergesehene- auf die Leinwand zu übertragen. „Ihm habe ich zu verdanken, dass ich trotz meiner Armut über die ganze Zeit meiner düsteren Jahre hinweg eine gewisse Anzahl von Bildern ausführen konnte, ohne Gefahr zu laufen, die Hälfte davon zu verderben.“ Das, was so spontan und „gestisch“ erscheint, ist also oft – und oft auch zum Missfallen eines Teils der internationalen Kunstkritik-  das Ergebnis einer peniblen maßstabsgetreuen Übertragungstechnik.[17] Die große Bedeutung der Skizzen für sein Schaffen macht insofern auch verständlich, warum ihn der kriegsbedingte Verlust von in mehreren Jahren entstandenen Skizzen so sehr traf.

Direkt-spontan waren aber sicherlich diese Kieselsteine bemalt, die in der Stiftung ausgestellt sind.  In den 1950-er Jahren hatte Hartung an der Côte d’Azur „die unbekannte Welt der verzauberten Kieselsteine“ entdeckt, die er sammelte und im Stil dieser Jahre verzierte.  (Selbstportrait, S. 176).

Und „schließlich steht man im Heiligtum der Fondation: das vollkommen intakte Atelier, in dem Hartung bis zu seinem Tod arbeitete. Sein Rollstuhl steht vor einem Gemälde, daneben, fein säuberlich geordnet, für ihn angefertigte Pinsel, Bürsten, und die Sprühflasche, mit der er seine großformatigen Bilder direkt auf die Leinwand spritzte. Durch die Boxen tönt Bach, die Wände sind mit mehreren Schichten Farbspritzern bedeckt: Das Atelier wird sie (sic!) Teil eines Gesamtkunstwerks. Es fühlt sich so authentisch an, als würde Hartung gleich selbst erscheinen, um dem Gemälde auf der Leinwand noch schnell den letzten Schliff zu verleihen. Nirgends kann man dem Schaffensprozess von Hartung so nahe kommen, wie in diesem Raum, in dem absolut alles von der ungebrochenen Inspiration des Künstlers zeugt.“ [18]

Fotos des Ateliers: F. und W. Jöckel

Besonders auffällig und beeindruckend ist das gewaltige Arsenal an ungewöhnlichen Malerutensilien- Stahlbürsten, Gummipeitschen, Reisigbesen und Farbwalzen.

Dazu experimentierte Hartung auch mit Druckluftaggregaten: Zunächst mit einem umgebauten Staubsauger, dann mit einer Spritzpumpe, wie man sie auch im Garten verwendet, und schließlich einer Farbspritzpistole.

Die Wirksamkeit dieser technischen Hilfsmittel lässt sich an den zahllosen, nie übermalten Farbspritzern ablesen. „Als Zeichen eines ziemlichen Streuverlustes bedecken sie Boden und Wände, und man kann sich gut vorstellen, wie die Produktion seiner Arbeiten in dieser Alchimistenküche vonstattenging.“[19]

…. „Augenzeugen berichten von den Farbkaskaden, die auf die Bildern herabregneten, und von der Schnelligkeit, in der sich die Gestaltungsprozesse gerade in seinen letzten Lebensjahren vollzogen. 1988 entstehen in kurzer Taktung 216 Gemälde, 1989 (in Hartungs Todesjahr, W.J.) gar 360.“  Malen war also für Hartung nicht nur Experiment, sondern, wie Bettina Wohlfahrt ihren Bericht über die Ausstellung im Musée d’Art Moderne überschrieb, „das beste Mittel, um den Tod zu besiegen“.[20] Natürlich wird Hartung letztendlich dem Tod nicht entgehen, aber es ist doch eindrucksvoll, wie er nach den künstlerischen und körperlichen Verlusten der Kriegszeit mit großer Energie, Neugier und  Kreativität weiterarbeitet, ja sich in seinem Alter neu erfindet – ähnlich wie der Matisse der Scherenschnitte oder der späte Monet.[21]  Mit  den neuen Techniken gibt es keinen direkten Kontakt mehr zwischen der Hand des Künstlers und der Leinwand: Dies bedeutet auch ein Loslassen, eine Vorbereitung auf den Tod:  „Peindre pour apprendre, pour nous apprendre à mourir.“[22]  

Hartungs neue und experimentelle Mal- und Arbeitsweise bedeutete auch den radikalen „Abschied von jener ‚zeichnerischen‘ Geste, die lange ein Markenzeichen seiner Kunst war, ihn künstlerisch aber auch festgelegt hatte.“[23] Dieses Markenzeichen verlor Mitte der 1960-er Jahre auf dem Kunstmarkt immer mehr an Wert zugunsten der konsum- und medienfreundlichen Pop-Art eines Warhol und Lichtenstein. Nach und nach büßte Hartung den Nimbus des Avantgardisten ein und wurde in den Augen der Kunstkritik und der informierten Öffentlichkeit zum ‚Klassiker‘, zu einer nicht mehr künstlerischen, sondern nur noch kunsthistorischen Größe.

Insofern ist der Wechsel an die Côte d’Azur „auch als eine Art Rückzug zu werten. Er bot allerdings die Chance, sich künstlerisch neu zu definieren, eine Chance, die Hartung eindrucksvoll zu nutzen wusste.“ In seinen letzten Lebensjahrzehnten gelang es sich, sich „vom Mythos der eigenen Person zu lösen und in seinem selbst gewählten Exil eine neue Freiheit zu erlangen.“

T 1989-N10, 73 x 92 cm:  Das letzte Bild Hartungs (Fondation Hartung-Bergman)

Das Spätwerk Hartungs ist von einem Paradox geprägt: sein Leben wird immer mühseliger, seit dem Sommer 1987 ist er Witwer, seine Gesundheit ist angegriffen – „und dennoch bringt er eruptive Werke hervor.“[24] Seine letzte Arbeitssitzung fand am 16. November 1989 statt, 3 Wochen später, am 7. Dezember starb er.

Das Schwimmbad

Die Wohnräume des Künstlerpaares sind nicht zugänglich. Es ist aber möglich, bei einem Besuch der Fondation auch einen Blick auf den Swimmingpool Hartungs zu werfen, der im Herzen der weitläufigen Anlage liegt.

Zu Lebzeiten Hartungs war das Wasser sommers wie winters auf 35 Grad aufgeheizt und Hartung zog dort allmorgendlich seine Bahnen. „Umgeben von der blockhaften Architektur seines Anwesens ermöglichte es dem durch eine Kriegsverletzung behinderten Künstler das Eintauchen in eine amorphe Welt, die ihre Analogie in der dampfenden und sprühenden Bildsprache seines informellen Spätwerks findet.“[25]

Hans Hartung: Schwimmbad (Foto, Ausschnitt)

Bettina Wohlfarth schreibt in ihrem Artikel über die Hartung-Ausstellung im Musée d’Art Moderne (FAZ vom 20.10.2019): “Hans Hartungs intensives Schaffen mit fünfzehntausend Werken hat seinem Nachleben nicht nur gutgetan. (…) Es ist an der Zeit, dem deutsch-französischen Maler einer expressiven, lyrischen Abstraktion auf den Grund zu gehen, und seine wie besessene Suche nach der Emotion von Licht, Farbe und der malerischen Geste in den kunsthistorischen Kontext des zwanzigsten Jahrhunderts zu stellen.”

Verwendete Literatur:

Hans Hartung, Selbstportrait. Zusammengestellt und bearbeitet von Monique Lefebvre. Schriftenreihe der Akademie der Künste Band 14. Berlin 1981k

Hans Hartung. La fabrique du geste. Musée d’Art Moderne de Paris. Beaux Arts 2019

Hans Hartung. Malerei als Experiment. Werke 1962-1989. Ausstellungskatalog Kunstmuseum Bonn 2018

Simone Hoffmann, Eine langersehnte Eröffnung.  Fondation Hartung-Bergman in Antibes.. 17.5.2022  https://www.monopol-magazin.de/eine-langersehnte-eroeffnung-fondation-hartung-bergman-antibes

Beau Geste. Hans Hartung. Peintre et légionnaire. Paris: Gallimard/Fondation Hartung-Bergman  2016

Christoph Schreier, Das Bild als Ereignis- Hans Hartungs späte Gemälde. In: Hans Hartung. Malerei als Experiment. Werke 1962-1989. Katalog der Ausstellung im Kunstmuseum Bonn 2018

Bettina Wohlfahrth, Künstler-Ehepaar in Antibes: Mit Malpistole und Spritzgerät. FAZ 7.8. 2022https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/villa-der-kuenstler-hans-hartung-und-anna-eva-bergman-in-antibes-18224290.html

Bettina Wohlfahrth, Hans Hartung in Paris: Das beste Mittel, um den Tod zu besiegen. FAZ 20.110.2019  Hans-Hartung-Retrospektive im Pariser Museum für moderne Kunst (faz.net)


Anmerkungen

[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/hans-hartung-retrospektive-im-pariser-museum-fuer-moderne-kunst-16439874.html

[2] Siehe dazu die Blog-Beiträge: https://paris-blog.org/2021/04/01/der-maler-pierre-soulages-in-rodez-und-in-conques/ und https://paris-blog.org/2021/06/24/das-musee-fabre-in-montpellier-soulages-courbet-houdon-und/

[3] https://fresques.ina.fr/soulages/fiche-media/Soulag00044/pierre-soulages-et-hans-hartung.html In seinem Selbstportrait spricht auch umgekehrt Hartung von Pierre Soulages als seinem Freund. (S. 163)

[4] Schreier, S. 13

[5] Petruschkis Fahrt ins Blaue – Kapitel 7 – Hans Hartung, vom Kind zum Mann Blitze bannend — PETRUSCHKI .

[6] Selbstportrait S. 161. Zur Faszination, die Josephine Baker ausübte, siehe den Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2021/12/26/sie-passte-in-kein-schema-die-republikanische-heiligsprechung-josephine-bakers/

[7] Siehe dazu:  C’était un peu une question morale…. 18 février 1981. Entretien de Hans Hartung avec Laurence Bertrand Dorléac. In: Hans Hartung, peintre et légionnaire, S. 98ff.  Nachfolgendes Foto aus: https://www.legion-etrangere.com/mdl/page.php?id=507&titre=Hartung-de-tous-les-combats

[8] Hans Hartung im Gespräch mit Laurence Bertrand Dorléac. a.a.O., S. 106. In dem Gespräch spricht Hartung sogar vor einer Wahl, die er gehabt habe: nämlich einer Einladung nach New York zu folgen oder in der Legion gegen die Nazis zu kämpfen. Allerdings scheint es so zu sein, dass es diese Alternative für ihn gar nicht gab, sondern dass er erst nach dem Krieg davon erfuhr, dass es die hätte geben können. A.a.O., S. 106, Anm. 10

[9] Lebensbericht, S. 126/7.  Siehe dazu auch: Alexis Neviaski, Le légionnaire Hans Hartung …. dit Pierre Berton. In: Hans Hartung, peintre et légionnaire, S. 34 ff. Dort wird Hartung eher als heroisches Mitglied der Fremdenlegion präsentiert und seine Kritik an der Legion heruntergespielt. 1989 wurde Hartung sogar von der Legion als „un légionnaire exemplaire et représentatif“ herausgestellt. (a.a.O., S. 47)

[10]  Selbstportrait S. 173 und  https://www.monopol-magazin.de/eine-langersehnte-eroeffnung-fondation-hartung-bergman-antibes

[11] http://www.c-bentocompany.es/215844931?i=101634420

[12] https://www.monopol-magazin.de/eine-langersehnte-eroeffnung-fondation-hartung-bergman-antibes

[13]Bettina Wohlfahrt, Mit Malpistole und Bürste. FAZ 6. August 2022 https://www.maxhetzler.com/files/8616/6144/2895/08062022_Hartung_Frankfurter_Allgemeine_Zeitung.pdf

[14] https://www.monopol-magazin.de/eine-langersehnte-eroeffnung-fondation-hartung-bergman-antibes

und Bettina Wohlfahrt, Mit Malpistole und Bürste, FAZ 6.8.2022 https://www.maxhetzler.com/files/8616/6144/2895/08062022_Hartung_Frankfurter_Allgemeine_Zeitung.pdf

[15] https://www.mam.paris.fr/fr/expositions/exposition-anna-eva-bergman Siehe auch:  https://www.lemonde.fr/culture/article/2023/04/02/au-musee-d-art-moderne-de-paris-anna-eva-bergman-celebre-la-nature-brute_6167983_3246.html

[17] Selbstportrait, S. 86. Siehe dazu auch Judicaël Lavrador, Geste libre et pure expressivité? In: Hans Hartung, La fabrique du geste, S. 21

[18] https://www.monopol-magazin.de/eine-langersehnte-eroeffnung-fondation-hartung-bergman-antibes

[19] Schreier, S. 13/14, auch nachfolgendes Zitat.

[20] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/hans-hartung-retrospektive-im-pariser-museum-fuer-moderne-kunst-16439874-p2.html

[21] Zum „neuen“ späten Monet siehe den Bericht über die Monet/Mitchell-Ausstellung in der Fondation Louis Vuitton: https://paris-blog.org/2022/11/01/frank-gehrys-fondation-louis-vuitton-und-eine-ausstellung-mit-uberraschenden-bezugen-der-spate-monet-und-der-abstrakte-expressionismus-der-amerikanerin-joan-mitchell/

[22] Pierre Wat, Vaporisation du moi. In: Hans Hartung, peintre et légionnaire, S. 112

[23] Schreier, S. 13, auch die nachfolgenden Passagen sind wörtlich bzw. sinngemäß von dort übernommen.

[24] Hans Hartung, Malerei als Experiment, S. 107

[25] Schreier, S. 12

Pablo Picasso, von Paul Smith poppig präsentiert: Die Jubiläumsausstellung im Pariser Picasso-Museum

Aus Anlass des 50. Jahrestages von Picassos Tod am 8. April 1973 hat sich das Picasso-Museum in Paris etwas Besonderes, Extravagantes ausgedacht: Es hat dem englischen Designer Paul Smith freie Hand, „carte blanche“, gegeben, die Werke Picassos in neuem Gewand zu präsentieren.

Smith, der für seine farbenfrohe Mode bekannt ist, hat weltweit Geschäfte eröffnet und seine Kollektionen in über 70 Ländern vertrieben, auch Motorrädern und Fahrradtrikots verlieh er sein Design.  Für seine Verdienste um die britische Modewelt schlug ihn die Queen im Jahr 2000 zum Ritter. Jetzt hat er zum ersten  Mal  auch eine Kunstschau gestaltet. 

Man wolle Picasso in einem neuen Licht zeigen und ein anderes, jüngeres Publikum anlocken, sagte der 76-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Ausstellungen in weißen Räumen zu präsentieren sei streng und seriös. Die junge Generation sei visuell..[1]  In sein buntes Universum hat er nun über 150 Werke des Künstlers getaucht:

Da hängt Picassos „Frühstück im Grünen nach Manet“ (Le Déjeuner sur l’herbe d’après Manet) passend in einem grün ausgemalten Raum. Und die Ziegen werden sich auf dem Grün sicherlich auch wohl fühlen….

Beim sitzenden Akt aus dem Jahr 1906/07, einer Studie für die Demoiselles d’Avignon, nimmt Smith als Wandfarbe die Farbe des Sofas auf.

Und selbstverständlich hängen das Selbstportrait (1901) und La Célestine (1903/04) aus der blauen  Phase Picassos vor einem tiefblauen Hintergrund….

Die Wände des dem Stierkampf-Thema gewidmeten Raums sind -wie könnte es anders sein- rot gestrichen. Es handelt sich um eine Lackfarbe, rot „wie frisches Blut“.[2]

Aber natürlich begnügt sich Smith nicht mit monochrom-farbigen Hintergründen, die inzwischen ja in vielen Museen üblich geworden sind.

Es sind vor allem die bunten Streifen, die in Picassos  Werken der 1930-er Jahre eine große Rolle spielen und die Paul Smith  in seinen  Hintergründen aufnimmt.  Hier die gelben Streifen im Bild der von Marie-Thérèse Walther inspirierten Lesenden.  (La Lecture, 1932)   

Die blauen Streifen haben  es Picasso  und Paul Smith besonders angetan. Sie  finden sich nicht nur in den Werken Picassos und an Ausstellungswänden. Picasso posierte  auch gerne mit einem blau-weiß gestreiften Pullover, wie in der Ausstellung gezeigte Fotografien von Robert Doisenau zeigen.

Robert Doiseneau, Portrait de  Pablo Picasso in seinem Atelier in Vallauris, 1952

Dazu passen dann die darüber aufgehängten Marine-Pullover. Die Verbindung der Farbe Weiß mit etwas Blau ist für Paul Smith Ausdruck der Ruhe: „Es ist die Ruhe des Meeres, der frischen Luft und des Strands.“[3]

Alte Eichenbalken und Smith’sche Streifen im Dachgeschoss des  Museums

Streifen  sind nicht nur ein wesentliches Moment im Werk Picassos, sondern auch ein Markenzeichen von Paul Smith. Die enge Beziehung zwischen beiden zeigt sich gerade hier und im spielerischen Umgang damit, wie  Paul Smith sagt: „Als ich an dem Projekt arbeitete, habe ich gelernt, wie sehr sich Picasso für alles interessierte, dass er spielerisch war wie  ein  Kind. Das hat man oft auch von mir gesagt, und das hat mich sehr ihm nähergebracht.“

Besonders auffällig präsentiert wird in der Ausstellung Picassos Gemälde seines Sohnes Paul, der die  typische Tracht mit dem buntem Rautenmuster eines Harlekins trägt.  (Paul en Arlequin, 1924). Nach den Worten von Paul Smith habe er gerade an dem Rautenmuster der Wand besonders intensiv gearbeitet, damit es „nicht perfekt und mechanisch“ werde.

1925 malte Picasso den kleinen Paul im Pierrot-Kostüm (Paul en Pierrot), und auch hier überträgt Paul Smith ein Motiv des Kostüms, die großen Knöpfe, auf die Wand.

Das Zusammenfügen von Alltagsgegenständen oder das Zusammenkleben von Papierausschnitten (papiers collés) sind typische Techniken Picassos. Smith nimmt das hier auf durch die nebeneinander geklebten unterschiedlichen Tapetenbahnen, die gleichzeitig in ihrer zurückhaltenden Farbigkeit zu dem Bild an  der Wand passen. Es handelt sich um das 1917/18 entstandene Portrait von Olga, mit der Picasso seit 1918 verheiratet war, der Mutter des kleinen Paul.

Dies ist kein Picasso, sondern ein Paul Smith: Ausschnitt eines im Stil Picassos bemalten großen hölzernen Kubus, der in dem Raum mit  Gemälden Picassos und Braques aus der kubistischen Phase aufgestellt ist. Die Straße soll wohl veranschaulichen, dass der Kubismus nur eine Phase in der langen und vielfältigen Entwicklung Picassos ist…  

Picasso, Homme à la guitare, 1911 (Ausschnitt)

Georges Braques, Nature morte à la bouteille, 1910 (Ausschnitt)

An den heimischen Wald der Eule erinnert das Sperrholz der Vitrine, in der sie ausgestellt ist. (Chouette, Vallauris, 30. Dezember 1949)

In dem Raum, in dem Werke Picassos aus den 1950-er Jahren ausgestellt sind, hat Smith große 50-er auf die Wand gemalt. Hier rahmen sie „Jacqueline aux mains croiseées“ aus dem Jahr 1954 ein. Es ist ein Portrait von Jacqueline Roque, der letzten Lebensgefährtin Picassos, die er 1961 heiratete.

Bei den bemalten Tellern, die Picasso in den Jahren 1947 bis 1949 in Vallauris herstellte, hat sich Smith als Umrahmung etwas Besonderes einfallen lassen, nämlich einfache industriell hergestellte Teller- eine durchaus reizvolle Gegenüberstellung.  

Drei mit Faunsköpfen bemalte Teller Picassos und drei industriell hergestellte Gebrauchsteller

Dieses Werk Picassos aus dem Jahr 1942 ist seine wohl bekannteste Schöpfung, bei der er Gebrauchsgegenstände verwendete, um daraus ein Kunstwerk zu schaffen. Hier handelt es sich um einen Fahrradsattel und einen Lenker, die Picasso auf einer Müllkippe gefunden haben soll. Und entstanden ist daraus ein Stierkopf (tête de taureau) ….

Und was macht Paul Smith- selbst ein begeisterter Radfahrer- damit? Er stellt dem Picasso’schen Stierkopf eine Serie von Lenkern und Sätteln gegenüber, einer davon durch Form und Farbe besonders hervorgehoben…  Das surrealistische Meisterwerk Picassos wird dadurch umso mehr ins rechte Licht gerückt.

Dies alles findet statt in einem klassischen Bauwerk im Marais, dem Hôtel Salé, einem Stadtpalais (hôtel particulier) aus dem 17. Jahrhundert.

Gartenseite des Hôtel Salé/Picasso-Museums © Fabien Campoverde

Nach den auf der Website des Museums zitierten Worten des Kunsthistorikers Bruno Foucart handelt es sich um „das größte, außergewöhnlichste, um nicht zu sagen extravaganteste der große Pariser Stadtpalais des 17. Jahrhunderts“.[4]  Sphingen rahmen die Fassade ein. Im oberen Stockwerk mit den repräsentativen  Räumen sind die Bewohner und Besucher des Palais fast auf Augenhöhe mit Zeus – ausgewiesen durch Adler und Herrscherstab…  

Zentrum und Meisterwerk des Palais ist die große Treppenanlage, die nach dem Vorbild der von Michelangelo entworfenen Treppe der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz errichtet wurde: Durch die vielfältigen Perspektiven und reiche Ornamentik ein „salle de spectacle“.[5] Der breite Aufgang wird von einem hochherrschaftlichen Balkon überragt.

Auf der Rückwand nimmt Picassos Akrobat von 1930 zwischen korinthischen Pilastern einen Ehrenplatz ein. Hier hat Paul Smith auf Eingriffe verzichtet. Seitliche, allein funktionale Treppenaufgänge hat er allerdings etwas farbig eingerahmt….

… und eine Rampe sogar mit einem buntgestreiften Teppichboden belegt.

Auf die Fenster dort sind kleine Figuren gemalt, die vielleicht als Suchspiel für Kinder dienen können.

Ich könnte mir vorstellen, dass Picasso mit der neuen poppigen und auch humorvollen Präsentation seiner Arbeiten durchaus einverstanden gewesen wäre, ja, dass er seine Freude daran gehabt hätte.  Denn Humor hatte Picasso, wie in einem Raum mit Blättern aus der Modezeitschrift Vogue vom Mai 1951 gezeigt wird.

Picasso machte sich einen Spaß daraus, Fotos der Zeitschrift mit der Tuschfeder etwas zu verändern.  So werden aus Modefotos teilweise groteske Bilder.

Die von der Modezeitschrift vermittelte bourgeoise „heile Welt“ wird so konterkariert.

Sehr gerne fügt Picasso kleine phantastische Figuren hinzu, eine Mischung aus Teufelchen und Faun.

Dieser nähert sich aufdringlich und handgreiflich der jungen Dame im Hochzeitskleid an heiligem Ort…

Hier zeigt Picasso -natürlich wieder im blau-weißen Pullover-  im September 1952 in Vallauris dem  Fotografen Robert Doisneau die Seite 33 der Ausgabe Mai 1951 von Vogue. Das war für ihn ganz offensichtlich eine wichtige Facette seines Werks.

Insgesamt eine völlig unfeierliche Ausstellung „voll Humor und Frische“ (Le Figaro), wie man sie zum 50. Jahrestag des Todes von Picasso nicht unbedingt an diesem Ort hätte erwarten können. Unbedingt empfehlenswert!


[1] https://www.derstandard.de/story/2000144250988/designer-paul-smith-gestaltet-picasso-schau-in-paris

[2] Valérie Duponchelle und Anne-Sophie von Claer, Le coup d’éclat de Paul Smith au  musée  Picasso. In: Le Figaro,3. März 2023

[3] Interview mit Le Figaro: „Ich suis par natureun optimiste“. Le Figaro vom 3. März 2023

Alle Zitate von Paul Smith  in diesem Beitrag sind diesem Interview  entnommen,

[4] https://www.museepicassoparis.fr/fr/lhotel-sale

[5] a.a.O.

Praktische Informationen

Die Ausstellung Célébration Picasso ist bis 27. August 2023 zu sehen.

Musée National Picasso-Paris

5 rue de Thorigny, Paris 3. Arrondissement

Von 10:30 bis 18 Uhr.   Samstag und Sonntag und während der Schulferien von 9.30 bis 18 Uhr. Montag geschlossen.

https://de.parisinfo.com/wo-ausgehen-in-paris/info/fuhrer/ausstellung-des-nationalmuseums-picasso-paris

Reservierunghttps://parisjetaime.com/billets/musee-national-picasso-paris-visite-libre-m9000596

Im Jubiläumsjahr gibt es eine Vielzahl internationaler Picasso- Ausstellungen.. Darunter auch auch eine im Centre Pompidou in Paris:

Picasso. 2023 Zeichnungen (18.10.2023–22.1.2024)

Nach Einschätzung der Süddeutschen Zeitung wird diese Ausstellung sogar wohl „wichtigstes Ereignis im Jubiläumsjahr“ sein.

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