„Ganz Paris träumt von der Liebe, denn dort ist sie ja zu Haus“, sang einmal Catharina Valente: Paris galt schon immer als Stadt der Liebe, ja als „capitale de l’amour“, was einen wesentlichen Teil ihrer Anziehungskraft ausmacht. Das ist nicht nur heute so, wo reiche Chinesen gerne in Paris den Bund fürs Leben schließen, sondern seit Heloise und Abelard, „den ersten Liebenden von Paris.“[1] Es war aber nicht nur das Ambiente der „ville lumière“, das den erotischen Ruf der Stadt begründete. Paris war ja nicht nur die Stadt der romantischen, sondern auch die Stadt der käuflichen Liebe, und sie galt auch in dieser Hinsicht als Hauptstadt. Im 19. Jahrhundert war Paris ein beliebtes Reiseziel von Sextouristen. Berühmt waren zu Beginn des Jahrhunderts vor allem die Arkaden des Palais Royal, die an den Abenden gewissermaßen als Kontakthof für ganze „Bataillone von Mädchen“ dienten.[2] Später waren es die großen Boulevards de la Madelaine, des Capucines und des Italiens, wo sich die „asphalteuses“ ihre Kunden suchten.[3] Auch die Bordelle (maisons closes oder maisons de tolérance) hatten einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der erotischen Attraktivität der Stadt. Dazu trug wohl auch bei, dass die Prostitution seit Napoleon staatlich geregelt wurde, um die Ansteckungsgefahren ungeregelter Prostitution zu verhindern. Die hätten nämlich die Kampfkraft seiner Truppen beeinträchtigen können….. Antragsteller für die Eröffnung eines Bordells durften nur Frauen von mindestens 30 Jahren sein. Verbunden mit der staatlichen Zulassung war die Verpflichtung regelmäßiger medizinischer Kontrollen.
Es gab spezielle Reiseführer, die den interessierten Touristen entsprechende Informationen – natürlich auch zu den Belles Poules– vermittelten.
Ein breites Angebot reichte von billigen Absteigen (abattoirs) bis zu luxuriösen Etablissements.
Das wohl berühmteste und exquisiteste Bordell war das Chabanais, das zu frequentieren zu Zeiten der Belle Epoque für den damaligen internationalen „Jet-set“ geradezu fester Bestandteil eines Paris-Besuchs war. Anlässlich der Eröffnung der Weltausstellung, am 6. Mai 1889, wurde sogar ein Besuch von Botschaftern und Ministern aus aller Welt im Chabanais organisiert, offiziell deklariert als Besuch beim Präsidenten des Senats, was vielleicht sogar der Wirklichkeit entsprach. Zu den Stammkunden gehörte der künftige englische König Edward VII., für den dort ein eigenes Appartement reserviert war mit zwei besonderen Ausstattungsstücken: einer kupfernen Badewanne in Form eines Schwans, die vor Gebrauch mit Champagner gefüllt wurde, und ein –im Faubourg Saint-Antoine hergestelltes- einem Geburtsstuhl ähnelndes Möbelstück, auf dem sich der beleibte Kronprinz niederlassen und von den Damen des Hauses verwöhnen lassen konnte. Das japanische Themenzimmer des Hauses erhielt auf der Pariser Weltausstellung von 1900 sogar einen Preis![4] Die „Hauptstadt der Prostitution“ (France culture) wusste sich zu vermarkten und ihren Ruhm zu mehren.
Mit Nobelbordellen wie dem Chabanais, dem One Two Two oder dem Sphinx konnten die Belles Poules nicht mithalten. Dieses Bordell lag gewissermaßen im Mittelfeld des Angebotsspektrums. Und es lag räumlich im Zentrum der Prostitution, nämlich dem Quartier Saint Denis. Neben den Belles Poules gab es in der rue Blondel, einer kleinen Seitenstraße der rue Saint Denis, noch drei weitere Bordelle- für Eingeweihte erkennbar an den extra großen Hausnummern…
Heute gibt es neben der 32 rue Blondel nur noch eine weitere solche Hausnummer in Paris, nämlich die noble, festlich eingerahmte 36 in der rue Saint Sulpice.
Dort befand sich das Bordell „l’Abbaye“, ein mit Bedacht gewählter Name, handelte es sich doch um ein vorwiegend von Kirchenmännern („hommes d’Église“) frequentiertes Etablissement …. Immerhin lagen die Kirche Saint Sulpice und das dazu gehörende Priesterseminar gleich nebenan. Und das geistliche Personal schätzte es wohl besonders, auf Wunsch von jungen Damen in der Gestalt von Nonnen oder Teufeln bedient zu werden – natürlich in entsprechend thematisch gestalteten Räumen. Neben dem Kloster gab es also auch die Hölle , natürlich mit einschlägigen Folterwerkzeugen. Und eine sogenannte „Sakristei“, die mit einem „Beichtstuhl“ ausgestattet war. So konnten die Kirchenmänner anschließend wieder unbeschwert ihren geistlichen Ämtern nachgehen. (5)
Aber zurück zu den „Belles Poules“: Der „Empfangsraum“ (salle de réception) des 1921 gegründeten Bordells wurde mit Spiegeln, bunten Keramiken und bemalten Kacheln ausgestattet, die –inzwischen restauriert- heute die Attraktivität des Ortes ausmachen.
Natürlich sind da vor allem leicht oder gar nicht bekleidete Damen zu sehen.
Interessant ist dabei der Kontext dieser Abbildungen:
Es ist die griechische Mythologie…
… wobei natürlich in diesem Raum das Urteil des Paris nicht fehlen darf, der die Qual der Wahl zwischen drei schönen Frauen hat.
Hier sind es allerdings nur zwei, was, wie ich vermute, weniger mit fehlendem mythologischem Wissen, sondern eher mit dem doch begrenzten künstlerischen Potential des Malers zu erklären ist.
Ein zweiter historischer Bezugspunkt der Kachelmalereien ist das exotische Ideal des Harems, das ja schon im 19. Jahrhundert romantische Phantasien beflügelte.
Das Bordell ordnet sich damit in einen dem einigermaßen gebildeten Bordell-Besucher bekannten und respektablen kulturellen Zusammenhang ein: Hier befindet man/Mann sich in allerbester Gesellschaft.
Der Besucher ist aber nicht nur der wählerische Paris oder der Haremsherr, sondern auch der stolze Hahn, der die Auswahl unter den „schönen Hühnern“ des Etablissements hat.
Auch das wird auf den Kacheln des Empfangsraums veranschaulicht.
Auf diesem Foto aus den zwanziger Jahren bemühen sich gleich mehrere Damen um die Gunst eines Gastes. Insgesamt gab es 31 Frauen in dem Haus, deren Arbeitszeit von 16 Uhr bis 4 Uhr morgens dauerte. Geld war bei den Belles Poules übrigens verpönt- dafür gab es hauseigene Jetons, die man am Eingang erwerben konnte.
Im Erdgeschoss des Bordells gab es auch eine Bar und eine Toilette. Der zu ihr führende Gang war mit einem Mosaik geschmückt – einer schönen Dame mit Fächer- …
… und der Boden der Toilette mit einer weiteren schönen Dame, einer „belle poule“…
Eine Treppe führte dann, wenn man zusammengefunden hatte und handelseinig geworden war, zu den oben gelegenen Zimmern.
Heute ist das Vergangenheit. Denn 1946 wurden die maisons closes in Frankreich verboten- unter anderem auch deshalb, weil viele von ihnen- auch Aux belles poules – während der occupation von den Besatzern requiriert und für deutsche Offiziere reserviert waren. Und die Etablissements konnten dabei wohl nicht unbedingt einen „malgré-nous- Status“ für sich reklamieren. (6) Das Haus in der rue Blondel Nummer 32 fand nach dem Krieg eine alternative Verwendung, unter anderem als Studentenwohnheim. Die Ausstattung des Empfangsraums passte zu dieser neuen Verwendung eher nicht. Also verschwand sie hinter einer neutralen Verkleidung. Als das Haus vor einigen Jahren den Besitzer wechselte und renoviert wurde, entdeckte man die versteckte Bemalung. Sie wurde aufwändig restauriert und das Haus unter Denkmalschutz gestellt. Jetzt kann man die Räume für private Veranstaltungen mieten und Caroline, die engagierte Besitzerin, zeigt auch gelegentlich mit berechtigtem Stolz, was mit viel Liebe und Geld aus diesem Ort der bezahlten Liebe gemacht wurde.
Praktische Informationen
31, rue de Blondel 75002 Paris
http://www.auxbellespoules.fr/fr/presse/
Führungen durch:
https://exploreparis.com/fr/2253-aux-belles-poules-histoire-d-une-ancienne-maison-close.html
Dabei wird im Sinne der political correctness ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Besichtigung des ehemaligen Bordells weder die Prostitution entschuldigt werde noch die durch sie verursachten Leiden verniedlicht würden. Das ist ja wohl auch selbstverständlich und entspricht voll unseren Erfahrungen.
Anmerkungen:
[1] https://www.deslettres.fr/lettre-dheloise-abelard-ces-plaisirs-lamour-avons-goutes-mont-trop-doucement-fascinee/
[2] Berthier de Sauvigny, Nouvelle histoire de Paris, La Restauration, Paris: Hachette 1977, S. 380
[3] https://www.franceculture.fr/emissions/la-fabrique-de-lhistoire/prostitutions-au-xixe-siecle-24-paris-capitale-de-la-prostitution Dort auch die Bezeichnungen „capitale de l’amour“ und „capitale de la prostitution“
[4] http://www.lefigaro.fr/arts-expositions/2014/02/13/03015-20140213ARTFIG00007-edouard-vii-bien-remis-en-selle.php
Eine Übersicht über die Pariser Bordelle in Paristoric: Les maisons closes. https://www.paristoric.com/index.php/paris/inclassables/358-les-maisons-closes
(5) Philippe Poisson, 36 rue Saint-Sulpice, 75006 Paris. In: Crimino Corpus, 26. Juni 2017. https://criminocorpus.hypotheses.org/29850
Merci, Inès, pour ce tuyau!
(6) siehe dazu den Abschnitt ‚Détente‘ et frivolité in
..ist es nicht eher so, dass das Bordell Chabanais heißt und nicht Chabanel – benannt nach der Straße, in der es sich befand: Rue Chabanais 12. Zumindest finden sich die von Ihnen beschrieben Räume und Ausstattung in diesem Etablissement.
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Hallo Catarina, vielen Dank für den Hinweis! Natürlich muss es Chabanais heißen – ich habe das inzwischen entsprechend korrigiert. Merci!!! Wolf
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