Ganz unbekannt war uns die Malerin Anna – Eva Bergman nicht, seit wir im letzten Jahr das wunderbare Haus und Atelier besuchten, das Hans Hartung und sie sich gemeinsam in einem alten Olivenhain auf der Höhe über Antibes gebaut hatten, wo sie ihre letzten Lebensjahre verbrachten.
Das Musée d’Art Moderne in Paris bietet nun aber eine Gesamtschau des Werks von Bergman, die über die begrenzten Ausstellungsmöglichkeiten von Antibes weit hinausgeht. Sie zeigt nicht nur eher unbekannte Seiten der Künstlerin, sondern insgesamt ein „grandioses Werk“, wie Bettina Wohlfahrt in ihrem FAZ-Beitrag über die Ausstellung schreibt.[1] Und man fragt sich mit anderen Ausstellungsbesuchern und Kunstkritikern, wieso Bergman „heute leider etwas in Vergessenheit geraten ist.“[2]
Aufschlussreich finde ich in diesem Zusammenhang die Gegenüberstellung des Bildes Carboneras von Bergman und eines Bildes aus der Serie Black on grey von Mark Rothko, des bekannten Vertreters des abstrakten Expressionismus, die sich im Begleitheft von Beaux Arts zur Ausstellung findet.[3]
Mark Rothko, ohne Titel[4]
Anna-Eva Bergman, Carboneras[5]
Die Ähnlichkeit beider Werke ist deutlich, aber auch nicht erstaunlich, bewunderte Bergman doch Rothko sehr. Sie kannten sich gut, waren 1959 auf der zweiten Kasseler Dokumenta vertreten, ja es gab zwischen den beiden „eine Seelenverwandtschaft“.[6] Erstaunlich war für mich allerdings, dass -anders als zunächst unwillkürlich unterstellt- das Bild von Bergman aus dem Jahr 1963 stammt, das von Rothko aus den Jahren 1969/1970…
Bemerkenswert finde ich dann aber auch den Unterschied: Bei dem unter Depressionen leidenden Rothko, der 1970 selbst sein Leben beendete, lastet das Dunkle auf dem Hellen, bei Bergman nimmt das Dunkle zwar den größeren Raum ein, aber es dominiert die alles überstrahlende Helligkeit: Das verweist auf die Bedeutung, die die Natur des hohen Nordens in dem Werk der gebürtigen Norwegerin spielt. Ich sehe darin aber auch den Ausdruck ihrer kämpferischen optimistischen Lebenseinstellung, die sie trotz ihrer schweren chronischen Erkrankung mit und in ihrer Kunst bewahrte.
Im Folgenden werden einige Bilder gezeigt, die wir in der Ausstellung fotografiert haben. Es soll damit ein Eindruck von der Entwicklung Bergmans vermittelt werden und von ihrem Gesamtwerk. Ich bin, wie schon öfters auf diesem Blog vermerkt, kein Kunsthistoriker: Die Auswahl folgt also allein persönlichem Interesse und persönlichen Vorlieben. Vielleicht regt der Beitrag auch dazu an, die Ausstellung zu besuchen: Fotos -und noch dazu die eines Hobby-Fotografen- können nur einen sehr unvollkommenen Eindruck der Bilder Bergmans und ihrer Ästhetik vermitteln: Gerade die Verwendung von Metallfolien (Gold, Silber, Kupfer…) verleiht ihren Bildern ein inneres Leben, verlangen die direkte Betrachtung. Die Möglichkeit dazu besteht noch bis zum 16. Juli.
Selbstportrait (ca 1946). Alle Fotos dieses Beitrags, wenn nicht anders angegeben, von F. und W. Jöckel
Bevor Bergman sich der Malerei und der abstrakten Kunst zuwandte, hat sie 25 Jahre lang als Zeichnerin und Karikaturistin gearbeitet. Auch politische Themen interessierten sie.
Thema dieser vermutlich aus dem Jahr 1933 stammenden Zeichnung sind die nationalsozialistische Gleichschaltung und die Bereitwilligkeit der meisten Deutschen zur Anpassung.
Hier eine Karikatur General Francos aus dem Jahr 1935. Dass sie ihn zeichnet, zeigt nicht nur ihr politisches Interesse, sondern hat auch persönliche Gründe: 1932/1934 hatte sie mit Hans Hartung auf den Balearen (Menorca) gelebt, wo General Franco damals Militärkommandeur war, bevor er zum Generalstabschef, Putschisten und Diktator wurde.
Bild aus: http://menschmaus.eu/anna-eva-bergman-retrospective-unique/
Zu diesem „Ich will!“, das Anna – Eva Bergman 1938 in ihrer norwegischen Muttersprache in ein Notizbuch schreibt, Bettina Wohlfahrth am 24.4.2023 in der FAZ:
„Es ist ein entschlossener Ausruf, mit dem sie sich wie in einen Kampf stürzt und
selbst Kraft zuruft, um die innere Suche nach ihrem künstlerischen Ausdruck ernsthafter denn
je aufzunehmen. Ein Jahr zuvor hatte sie sich von Hans Hartung getrennt. Sie hatte den
angehenden Maler 1929 in Paris kennengelernt, gerade zwanzig Jahre alt. Die beiden heirateten
nur drei Monate später. Dass Bergman der Beziehung ein Ende setzte, hatte vor allem mit
diesem „Ich will“ zu tun. Im Trennungsbrief, den sie aus Italien nach Paris schickt, schreibt sie in
einem fast perfekten Deutsch, dass sie frei sein müsse und Zeit brauche, um allein ihrer Arbeit
nachgehen zu können. Der Brief ist in der Ausstellung zu sehen, es ist ein bewegendes
Dokument. Bergman war klar geworden, dass sie im Schatten von Hartung nicht zu ihrer Kunst
kommen würde, dass sie von „Hauspflichten und anderen Sorgen“ aufgerieben würde. Nach der
Trennung führte sie energisch ihre, den Ausstellungstitel gebende „Voyage vers l’intérieur“ fort:
Die Reise einer tief erstrebten, existenziellen Suche nach der Essenz dessen, was sie ausdrücken
wollte. In den Fünfzigerjahren trafen sich die beiden Künstler in Paris wieder. Bergman hatte
unterdessen ihren Weg gefunden und den künstlerischen Durchbruch erreicht. Sie heirateten
zum zweiten Mal.“
Solitude- das Haus (1947)
Bergman auf dem Weg zur abstrakten Kunst: „Blaue Träume“ von 1951. Die Nähe zu Klee und Kandinsky ist unverkennbar. Dazu Bergman: „Das Zick-Zack symbolisiert das Leben, die Energie (…) Der Rhythmus in einem Bild spielt dieselbe Rolle wie in der Musik“.[7]
Dieses 1950 entstandene Bild ist das erste, bei dem Bergman ein Metallblatt verwendet. Die Technik, mit Blättern aus Gold, Silber, Kupfer und weiteren Metallen zu arbeiten, wurde von ihr systematisch entwickelt und zu einem Kennzeichen ihres abstrakten Werkes. In dessen Zentrum stehen die Natur und der Kosmos. Menschen kommen darin nicht vor -höchstens einmal, wie im nachfolgenden Bild, ein von Menschen gemachtes Produkt: eine Mauer.
No 18-1964 Die Mauer. Anders als Hartung gibt sie ihren Bildern aber neben der Nummerierung und der Jahreszahl auch einen Titel.
Zur Verwendung von Metallblättern, und vor allem des Goldes, wurde Bergman angeregt durch die mittelalterlichen Altäre in norwegischen Kirchen und durch die byzantinische Kunst, die sie in Italien kennenlernte. (Begleittext der Ausstellung). Bei Bergman dient das Gold aber nicht religiösen Zwecken oder -wie später- der Überhöhung absoluter Herrschaft, sondern bei ihr sind es Natur und Kosmos, deren Schönheit mit Hilfe von Metallen und Licht gefeiert werden.
No 26 – 1962 Le Feu (Das Feuer)
Anna – Eva Bergman: „Durch die Verwendung von Metallen erzielen meine Leinwände, ohne auf den Einsatz perspektivischer Kunstgriffe zurückzugreifen, völlig neue visuelle Effekte: Die verschiedenen Raumebenen werden entweder nebeneinander angeordnet oder sie überlagern sich. Die sich stufenweise überlagernden Ebenen erzeugen manchmal Spiegelungen. Dies ist ein Effekt, den der Betrachter selbst dadurch hervorrufen kann, dass er sich vor der Leinwand bewegt und dabei sogar den Rhythmus seiner Bewegungen verändert.“ [8]
Silberkrebs 1955
Crête de montagne. 1971
Dieses Bild wurde auch für die Ausstellungs-Werbung verwendet.
Detail
Foto von Bergman in ihrem Atelier
Gleichzeitig entwickelte Bergman ein „Vokabular“ von Grundformen wie hier eine Pyramide (No 73 – 1958 Pyramide)
„Der große Berg“ von 1957 in Gestalt eines Kegels
Und vor allem ist es der Kreis, den sie immer wieder in ihren Werken thematisiert wie im Grand rond/großer Kreis von 1968
Der Kreis ist ein Symbol der Vollkommenheit, der Harmonie. Er verweist auf den Kosmos und kann auch eine metaphysische Bedeutung haben wie in den großen Fensterrosen mittelalterlicher Kathedralen.
In dem Bild von 1969 Eine andere Erde, ein anderer Mond lässt Bergman bewusst offen, ob der glänzende Kreis die Erde oder den Mond meint, ob die Erde vom Mond oder der Mond von der Erde aus gesehen wird. Es ist, wie es in dem Livret contempler heißt, eine makellos weiße Scheibe, seidig und weich. In der Tat Stoff zur Meditation.
Wandteppich Demi-terre (1974-1975): Einer von mehreren Wandteppichen, die von der Manufacture des Gobelins in Paris und der von Beauvais nach Entwürfen von Bergman hergestellt wurde: Hier ein Blick von einem anderen Stern auf die untergehende Erde….
Anna-Eva Bergman: „Man kann keine große Kunst schaffen, wenn sie nicht im Einklang ist mit dem Universum, das uns umgibt.“[9]
No 57 – 1978 Montagne en une ligne/Berg in einer Linie
Zu diesem minimalistischen Bild einer „abstrakten Landschaft“ Eva-Maria Bergman: „Gibt es etwas Schöneres als eine reine und sensible Linie? Die Linie ist das unabdingbare Skelett der Malerei“.[10]
Die Natur des Nordens …
Der hohe Norden, seine Natur und Geologie, haben die 1909 in Schweden geborene Anna – Eva Bergman immer fasziniert.
No 32 – 1951 Fragmente einer Insel in Norwegen
1949, 1950 und 1951 verbringt sie ihre Sommer im Süden Norwegens, wo sie die Serie der Fragmente einer Insel Norwegens malt, wo das oben abgebildete erste Bild entsteht, bei dem sie ein goldenes Metallblatt verwendet, und wo sie ihren ersten größeren Auftrag erhält, die Dekoration eines Hotels in Südnorwegen.
Foto (Wandbild der Ausstellung)
Aus der Steinesammlung Bergmans: Alles Mineralische faszinierte sie.
G 12 – 1953 Vier Steine (Lithographie)
No 2 -1966 Winter-Horizont des Nordens (Ausschnitt)
No 1 – 1967 Fjord (Ausschnitt)
No 21 – 1981 Berggipfel II
Über eine Reise zu den Lofoten schreibt Anna- Eva Bergman: „Inseln, auf denen sich Granitfelsen erhoben, die aussahen wie auf dem Wasser errichtete Skulpturen. Es war zauberhaft.“[11]
links: No 13- 1976 Zwei Nunataks; rechts: No 25- 1981 See II
Nachfolgend zwei weitere Aufnahmen der beiden Nunataks (Felsformationen auf dem Eis) – unserem Lieblingsbild der Ausstellung. Daran wird vielleicht auch ein wenig deutlich, wie unterschiedlich die Wahrnehmung je nach Standort des Betrachters ist.
No 13- 1976 Zwei Nunataks
No 13- 1976 Zwei Nunataks (Ausschnitt)
„Ich träume von der Finmark und vom nördlichen Norwegen. La lumière ici-bas me rend extatique.“ 12]
… und die Natur des Südens
Cap d’Antibes 1974 (Acrylfarbe mit einem Blatt oxydierten Kupfers)
1973 bezogen Bergman und Hartung das selbst entworfene Haus und Atelier in dem Olivenhain über Antibes. Nachdem Bergman ihren eigenen Weg gefunden hatte, näherten sich die beiden wieder an, trennten sich von ihren jeweiligen zweiten Ehepartnern und heirateten 1957 erneut, 28 Jahre nach ihrer ersten Hochzeit.
Tronc d’olivier I 1977
Vague I 1974
No 67 – 1966 Großer Ozean
Der Horizont
Der Horizont spielt im Werk Bergmans eine große Rolle. In ihren eigenen Worten: „Jenseits der Grenze des Horizonts befindet sich ein Bereich, der, auch wenn er für Menschen physisch nicht erreichbar ist, doch existiert und erfahren werden kann. Vielleicht muss man ihn sich aneignen wie eine ‚pure expérience de la Nature‘, etwas Atmosphärisches, Irrationales wie die Metaphysik oder das Absolute.“[13]
Finmark, Winter-Horizont des Nordens (1966) ist ein monumentales Werk (150 mal 300 cm). Der Titel bezieht sich auf die langen, dunklen Winternächte des hohen Nordens, der untere Teil des Bildes, aus goldenen und silbernen Metallblättern, weckt Assoziationen an eine gefrorene, vereiste Winterlandschaft. Manon Lancelot weist im Sonderheft Beaux Arts (S. 54) auf die leichte Biegung des Horizonts hin. „Diese leichte Biegung kann auch den Eindruck des Flugs eines Raumschiffs über einen entfernten Himmelskörper vermitteln. Das Werk ist drei Jahre vor der Expedition von Apollo X entstanden, der die Künstlerin begeisterte. Mit Finmark hat sie fast die Bilder der ersten Schritte auf dem Mond vorweggenommen.“
No 16 – 1986
No 8- 1969 Großer blauer Horizont
Abschließend noch einmal Anna-Eva Bergman zu dem, was ihr der Horizont bedeutete: „Ewigkeit, das Unendliche, Übergang zum Unbekannten. Der Horizont ist die Grenze der menschlichen Erfahrung … Jenseits der Grenze des Horizonts befindet sich ein Bereich, der, auch wenn er für den Menschen unerreichbar ist, existiert und erfahren werden kann.“ (Begleittext der Ausstellung)
1987 starb Anna-Eva Bergman. In ihrem Todesjahr thematisierte sie noch einmal den „Übergang zum Unbekannten“:
No 20- 1987 (Acryl, Modellierpaste und Metallblatt)
Anna-Eva Bergman – Voyage vers l’intérieur: Musée d’Art Moderne de Paris 31. März – 16. Juli 2023
11 avenue du Président Wilson
75116 Paris
Métro: 9 – Alma-Marceau oder Iéna
https://www.mam.paris.fr/fr/expositions/exposition-anna-eva-bergman
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10h – 18h, Donnerstag bis 21h30
In der Ausstellung gibt es/gab es die Möglichkeit, auf einem Bildschirm mit Hilfe eines entsprechenden Programms selbst kleine Bilder im Stile Bergmans zu entwerfen. In der Tat sind ihre Bilder dazu angetan, die eigene Phantasie und Kreativität anzuregen.
Eine Möglichkeit dazu sind auch Fotos, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen. Bergman und Hartung haben übrigens eine ungeheure Menge an Fotos gemacht und von ihnen Anregungen für ihre Bilder erhalten.
Meer im Abendlicht. F. Jöckel
Anmerkungen
[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/ausstellung-der-malerin-anna-eva-bergman-im-pariser-petit-palais-18842731.html
[2] https://arcimboldisworld.com/2023/05/01/anna-eva-bergmann-voyage-vers-linterieur-musee-dart-moderne-de-paris/
Catherine Gonnard spricht im Bergman-Sonderheft von Beaux Arts von einer reconnaissance tardive. (S. 61)
[3] Beaux Arts, Anna-Eva Bergman. Voyage vers l’intérieur. 2023, S.36/37
[4] https://www.moma.org/collection/works/79611?installation_image_index=1
[5] https://www.arteinformado.com/galeria/anna-eva-bergman/n-6-1963-carboneras-28426
[6] Emmanuelle Lequeux, Une parenté d’âme. In: Beaux Arts, S.36
[7] Livret contemler zur Ausstellung, S.5
[8] Livret contempler, S.9 „Par l’utilisation de métaux, mes toiles, sans user cependant du recours à des artifices de perspective, bénéficent d’effets visuels parfaitement inédits: les différents niveaux spatiaux tantôt se juxtaposent ou se superposent, formant des structures que s’échelonnent en gradins, tantôt se reflètent. Effet que le spectateur est en mesure de provoquer en bougeant devant la toile en changeant même le rythme de ses mouvements.„
[9] Zit. im Sonderheft Beaux Arts, S. 35
[10] Livret contempler, S.23
[11] Zit. von Emmanuelle Lequeux, Les paysages norvégiens pour inspiration. Un monde solaire et minéral. In Beaux Arts, Bergman, S. 30
[12] Zit. Beaux Arts, Bergman, S. 45
[13] Zit. Sonderheft Beaux Arts S. 54