Die Cité internationale universitaire in Paris ist in mehrfacher Hinsicht ein einzigartiger Ort:
- Sie ist mit 34 Hektar der größte französische Campus
- Sie ist damit auch die viertgrößte Grünfläche von Paris (nach dem Bois de Boulogne, dem Bois de Vincennes und dem Parc de la Villette)
- Studenten aus 140 Nationen sind hier untergebracht, davon 20% aus Frankreich
- 40 Nationen, Mäzene oder Hochschulen haben hier Häuser errichtet, eines davon ist das deutsche Haus, la Maison Heinrich Heine
- Die Cité internationale ist auch ein außerordentliches architektonisches Ensemble
- In der Cité werden eine Fülle von kulturellen und politischen Veranstaltungen angeboten
- Insgesamt kann man sie also „le monde en miniature“ nennen[1], ein Miniaturformat der Welt- und sicherlich einer besseren Welt als der real existierenden.
Denn gleich wenn man von der RER-Station Cité universitaire kommend die Cité durch den Haupteingang betritt, wird unübersehbar ihr Anspruch deutlich, ein Ort des Friedens und der Völkerverständigung zu sein.
Nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs sollte hier „un laboratoire pour une société en quête de paix et de coopération internationale“ entstehen, [2] also ein Laboratorium auf der Suche nach Frieden und internationaler Verständigung. Und das ausgerechnet an einem Platz, der bis dahin militärischen Zwecken gedient hatte. Die Cité liegt nämlich auf dem Gelände des ehemaligen Festungsgürtels von Paris (siehe die Einrahmung im Süden des Plans).
Dieses Paris umgebende und einschnürende Korsett war seit 1840 auf Veranlassung des damaligen Ministerpräsidenten Thiers angelegt worden. Thiers betrieb ja in seiner Zeit als Ministerpräsident unter dem „Bürgerkönig“ Louis Philippe eine ziemlich aggressive Außenpolitik und wollte den französischen Einfluss im Mittelmeer (Ägypten) und bis zum Rhein (Rheinkrise) ausweiten. [3] Die sogenannten „fortifs“ sollten da gewissermaßen als Rückversicherung dienen.
Im Grunde waren sie aber eine überholte Einrichtung. Andere europäische Städte -wie zum Beispiel Frankfurt- hatten damals ihre Festungsanlagen längst geschleift. Und so gab es auch durchaus prominente Kritiker des Thiers’schen Vorhabens. So der Dichter Alphonse de Lamartine, der damals auch Abgeordneter der Nationalversammlung war und der in einer Rede die immensen Ausgaben für dieses unsinnige Unternehmen kritisierte. 500 Millionen Francs seien zu viel für eine Lüge. (3a) Und in der Tat: Die Einnahme von Paris durch preußische Truppen 1871 konnten die Festungswerke nicht verhindern- die erhöhte Reichweite der Artillerie hatte solche Bauwerke obsolet gemacht. Frankfurt zum Beispiel hatte seine Wallanlagen schon längst (1806-1812) geschleift und daraus einen Grüngürtel gemacht. Übrigens war es ausgerechnet dem Gesandten der damaligen französischen Besatzungsmacht zu verdanken, dass der bekannteste der etwa 60 Türme der Frankfurter Stadtbefestigung, der Eschenheimer Turm, erhalten blieb- eine hübsche Fußnote der deutsch-französischen Geschichte. In Paris wurden die fortifs erst hundert Jahre später -nach dem Ersten Weltkrieg – beseitigt. Und in einem kleinen Ausschnitt dieser ehemaligen Wallanlagen wurde die Cité universitaire eingerichtet.
Die Bastionen waren auf der der Stadt zugewandten Seite von einer parallel verlaufenden Ringstraße des Militärs begrenzt, die unter dem zweiten Kaiserreich Napoleons III. zu öffentlich zugänglichen Boulevards erweitert wurde. Die Straßen erhielten allesamt die Namen napoleonischer Marschälle (deshalb auch die zusammenfassende Bezeichnung Boulevards des Maréchaux ), womit Napoleon III. an die Tradition des „großen“ Napoleon anknüpfen und seine Legitimität verstärken wollte.
Vor den Bastionen gab es ein Glacis von 250 Metern, also ein unbebautes Gelände, das zu Bastionszeiten als freies Schussfeld diente. Natürlich erweckte die Schleifung der Bastionen den Appetit von Immobilienspekulanten. Es war dem Engagement des Abgeordneten André Honorat zu verdanken, der im Parlament durchsetzte, dass die Stadt Paris den Zuschlag für die Freiflächen erhielt unter der Bedingung, dort Gärten, Parks und Sportanlagen einzurichten. Honorat wurde nach dem Krieg Erziehungsminister und war eine treibende Kraft bei der Errichtung der Cité universitaire.
Die ehemaligen Bastionen 81,82 und 83 im Süden des Parks Monsouris erschienen für eine Cité universitaire besonders geeignet: Sie lagen relativ nahe am quartier latin, dem Universitätsviertel von Paris, es gab eine Zugverbindung in die Innenstadt, die heutige RER-Linie B, und die Gegend galt wegen der Windverhältnisse und der industriefreien Umgebung als eine der gesündesten von Paris. Den finanziellen Grundstock für die Cité legte ein reicher elsässischer Industrieller, Emile Deutsch de la Meurthe. Die von seiner Stiftung finanzierten ersten Häuser der Cité tragen bis heute seinen Namen und den seiner Frau Louise. In der Grünanlage zwischen den Häusern erinnert übrigens noch ein Steinblock an die militärische Vergangenheit des Terrains.
Die Fondation Emile und Louise Deutsch de la Meurthe
Modell für die Stiftungshäuser waren die großen amerikanischen und englischen Campus-Universitäten und die zuerst in England entwickelte Konzeption der Gartenstadt. Um eine rechteckige Grünfläche wurden in symmetrischer Anordnung sechs dreistöckige Pavillons gruppiert. Jede Wohngruppe von 18 bis 24 Einheiten hatte einen eigenen Eingang, um ein soziales Zusammenleben zu erleichtern – eine Konzeption, die aber wegen des großen Bedarfs an Grund und Boden bei den weiteren Projekten der Cité nicht mehr aufgegriffen wurde.
Zentrum der Anlage ist das Hauptgebäude. Dort sind die Verwaltung der Stiftung untergebracht und die Gemeinschaftseinrichtungen: Ein Musikzimmer, Sportanlagen, ein großer Versammlungsraum, in dem übrigens 2018 auch die Generalprobe für ein Konzert in der UNESCO stattfand, an dem ich teilgenommen habe.
Der Turm –mit Uhr- unterstreicht die Bedeutung des Baus, ist aber nicht mit einem Kirchturm zu verwechseln. Die Cité universitaire ist im Geist des französischen Laïzismus errichtet, da kann es keinen Platz für eine Kirche geben. Eine Tafel mit einem programmatischen Text zur Grundsteinlegung der Anlage befindet sich am Fuß des Turms neben dem Haupteingang.
Das zentrale Gebäude kann man im Rahmen von regelmäßig angebotenen Führungen auch im Innern besichtigen.
Bemerkenswert sind die beiden Supraporten im Salon des Hauptgebäudes: ein aufgeschlagenes Buch wird aus den Wolken (des Geistes?) den Menschen –hier also den Studenten der Stiftung- heruntergereicht. Unter dem Buch gibt es eine lateinische Inschrift, zu der allerdings bei meinem Besuch die Führerin von l’Oblique keine Auskunft geben konnte. Immerhin lassen sich die Worte auf der rechten Seite der Banderole gut lesen: SCOL. PA – wobei es sich bei dem Pa offensichtlich nur um einen Wortteil handelt – der Rest befindet sich gewissermaßen auf der Rückseite der Banderole. Vermutlich ist das die lateinische Bezeichnung für die Universität von Paris (scola Parisi), vielleicht darf man es aber auch als eine Anspielung auf den Zusammenhang von Bildung (scola) und Frieden (pax) verstehen. Passen würde das immerhin.
Die Anlehnung an ein klassisches christliches Motiv – Moses empfängt die 10 Gebote- ist für mich offenkundig: Wir befinden uns im aufklärerischen, laizistischen Frankreich. Das Buch –also Wissenschaft und Bildung- sind dazu bestimmt, die Rolle der Religion zu übernehmen[4].
Etwas erstaunlich sind – in einer republikanischen Institution- die drei (bourbonischen) Lilien auf den Supraporten, für die ich bisher -und auch nicht die französischen Freunde, die ich befragt habe- noch keine wirklich befriedigende Erklärung gefunden habe. Vielleicht soll damit eine Verbindung zur langen universitären Tradition der Stadt Paris hergestellt werden, die ja die Lilien in ihrem Wappen trägt- vielleicht sind sie ein Hinweis darauf, dass die Cité universitaire auch eine nationale Bestimmung hatte: Frankreich sollte nämlich nach dem Krieg wieder zur „intellektuellen Hauptstadt der Welt“ gemacht werden[5] und eine führende Rolle in der internationalen Universitätsszene spielen. Auch dies hat übrigens durchaus eine aktuelle Dimension: Die jeweiligen Universitäts-Rankings werden in Frankreich mit größter Aufmerksamkeit registriert und es gibt intensive Überlegungen und Anstrengungen, die eher nicht so grandiosen internationalen Rangplätze der französischen Hochschulen zu verbessern und damit im Wettbewerb um die besten Studenten aus aller Welt an Attraktivität zu gewinnen.
Anders als heute, wo es eher um nationales Prestige und wirtschaftliche Interessen geht, waren bei der Konzeption der Cité universitaire aber Frieden und Völkerverständigung die Leitmotive. Wobei den Eliten bei der Völkerverständigung eine Schlüsselfunktion zuerkannt wurde. In einer damaligen programmatischen Schrift hieß es:
„Es werden die nationalen Eliten sein, die Jahr für Jahr von neuem die Cité Universitaire bevölkern werden. Von ihrem Geist beseelt werden sie, wenn sie in ihre Heimatländer zurückkehren, nicht nur Botschafter Frankreichs und seiner Ideen sein, sondern auch Teil einer Ritterschaft des Friedens.“[6]
Und in einem Bericht über die Cité aus dem Jahr 1928, der u.a. von Honnorat verfasst wurde, heißt es:
„Die Cité ist nicht nur dafür gemacht, die materiellen Schwierigkeiten der Probleme der Studenten zu erleichtern, die von unseren alten Bildungsstätten angezogen werden; vor allem ist sie dafür gemacht, einen gemeinsamen Rahmen für einen geistigen Austausch zur Verfügung zu stellen und so eine moralische Annäherung der Eliten aus aller Welt zu befördern.“
La maison internationale
Ein wichtiges Instrument dieser Annäherung war und ist die sogenannte „brassage“: Jedes von einer bestimmten Nation getragene Haus in der Cité nahm und nimmt nicht nur Studenten des eigenen Landes auf, sondern auch Studenten aus anderen Ländern. So sollte –schon auf der Ebene der einzelnen Häuser- der internationale Austausch gewährleistet sein, der zusätzlich dann auch durch das 1936 eingeweihte Maison internationale befördert wurde. Dieser repräsentative Bau (Plan Nr. 22) wurde von John D. Rockefeller finanziert. Rockefeller war ein großer Freund der französischen Architektur und er hatte vorher schon erhebliche Geldmittel zur Restaurierung der Kathedrale von Reims und der Schlösser von Fontainebleau und Versailles zur Verfügung gestellt. Der schlossartige Charakter des Maison internationale ist denn auch unverkennbar: Eine klassische Dreiflügelanlage mit einem repräsentativen Foyer…
… und einem ebenso repräsentativen Festsaal, dem Salon Honorat, in dem zum Beispiel Anfang Februar 2013 der 90. Geburtstag von Alfred Grosser gefeiert wurde – organisiert vom deutschen Haus der Cité und der Hochschule Science Po, wo Grosser Professor war.
Ein Rundgang durch die Cité universitaire
Ausgangspunkt für einen Rundgang ist die Station Cité universitaire der RER-Linie B. Am besten sieht man sich danach etwas im Maison internationale um (Plan Nr.22), bevor man dann über die große Grünfläche, sich halb rechts haltend, zur Fondation Avicenne weitergeht (Plan Nr. 37). Hier handelt es sich um einen ziemlich avantgardistischen Bau, zumindest für die Zeit seiner Entstehung (1969)- damals war das noch das Haus des Irans. Allerdings ist das Bauwerk wegen der verwendeten Materialien und der aktuellen Sicherheitsbestimmungen widersprechenden Außentreppe nicht bewohnbar. Aber im Erdgeschoss gibt es eine Ausstellung zur Cité universitaire des Centre du Patrimoine/L’oblique: Ein guter erster Überblick über die Geschichte der Cité und einzelne Häuser.
Neben der Fondation Avicenne liegt das deutsche Haus der Cité, das Maison Heinrich Heine (Plan Nr.36).
Das Maison Heinrich Heine feierte im November 2016 sein 60-jähriges Bestehen: Es wurde also erst 1956 eingeweiht – offenbar gab es in der Zeit nach dem Ersten Weltkriegs noch keinen Platz in der Cité internationale für ein deutsches Haus – ein gewisser Widerspruch zu dem Anspruch der Einrichtung, den Frieden und die Verständigung der Völker zu befördern. Das MHH bietet seit Jahren ein außerordentlich intensives und hochkarätiges politisches und kulturelles Programm an. Es hat eine weit über die Cité internationale reichende Ausstrahlung und war und ist in unseren Pariser Jahren ein wichtiger Anlaufpunkt. Deshalb möchte ich es hier bei diesen Bemerkungen belassen und in einem weiteren nachfolgenden Blog-Beitrag näher auf das MHH eingehen. (Seit November 2017 auf diesem Blog: La Maison Heinrich Heine, das deutsche Haus in der Cité Internationale Universitaire). Auf die Cafeteria im Untergeschoss des Hauses, die für jedermann zugänglich ist, soll aber schon einmal hingewiesen werden: Öffnungszeiten montags bis freitags 8.00-14.30 Uhr, samstags 10-14.30 Uhr.
Die Architektur der Cité universitaire: Heimatverbundenheit und Universalismus
Die Internationalität der Cité universitaire sollte auch in ihrer Architektur zum Ausdruck kommen: Die Studenten sollten einerseits immer den universalistischen Anspruch und den internationalen Charakter der Einrichtung vor Augen haben, sich aber andererseits auch heimisch fühlen: Die jeweiligen Pavillons sollten also so gebaut sein, dass sie die Studenten an ihre Heimat erinnerten.
Nachfolgend werden zunächst einige der landestypischen Häuser aus der Anfangszeit der Cité universitaire vorgestellt, die sich im Westteil der Anlage befinden, – danach ein weiteres im Ostteil der Cité aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als die internationale Architektursprache nationale Bezüge verdrängte.
Die Fondation Deutsch de la Meurthe ist ja schon weiter oben vorgestellt worden. (Plan Nr.14). Auf dem Weg dorthin kommt man am griechischen Haus (fondation hellénique) vorbei, das 1932 eingeweiht wurde.
Dass es sich um das griechische Haus handelt, ist ganz unverkennbar: Wegen der Verwendung der Landesfarben blau und weiß bei der Bemalung der Seitenwände, des Mäandermusters und wegen der Namen –in griechischer Schrift- bedeutender Griechen an den Außenwänden- hier der Staatsmann und Feldherr Perikles.
Und der Eindruck bestätigt sich, wenn man vor dem Eingang des Hauses steht, einem mächtigen Portikus mit ionischen Säulen und dem eingemeißelten Namen des Hauses.
Résidence Lucien Paye (Plan Nr. 26)
Vom griechischen Haus sollte man auch einen Blick auf die nebenan gelegene Résidence Lucien Paye werfen. Dieses 1951 eingeweihte Haus war ursprünglich das „Maison de la France d’outre-mer“, also das Haus des überseeischen Frankreich. Es war in der ursprünglichen, noch in die 1920-er Jahre zurückreichenden ersten Planung bestimmt für (weiße) Studenten aus den französischen Kolonien, deren Eltern dort als Siedler oder Beamte tätig waren. Als die Planung dann nach dem Krieg verwirklicht wurde, war das Haus für die schwarzafrikanische und madegassische studentische Elite bestimmt. Nachdem die Kolonien unabhängig wurden, erhielt das Haus den Namen eines ehemaligen Erziehungsministers und Repräsentanten Frankreichs im Senegal. Einer der Architekten des Hauses war Albert Laprade, der in der Zwischenkriegszeit das Palais des colonies an der Porte Dorée entworfen hatte. Dieses Palais war für die Kolonialausstellung von 1931 gebaut worden – heute ist es Immigrationsmuseum.[7]
Bemerkenswert sind vor allem die Reliefs an der Eingangsseite des Gebäudes.
Sie entsprechen in frappierender Weise den Reliefs auf den Wänden des Palais des colonies. Dort werden die Segnungen des französischen Kolonialismus und der menschliche und ökonomische Reichtum des Kolonialreichs angepriesen. Zwischen beiden Bauwerken und Reliefs liegen 20 Jahre, der Zweite Weltkrieg und der Beginn der Unabhängigkeitsbewegungen. Aber, das scheint jedenfalls die Botschaft der Reliefs von 1951 zu sein: Die Welt des französischen Kolonialismus ist noch in bester Ordnung![8] | ![]() |
Im März 2017 hatte ich Gelegenheit, das Haus auch etwas von innen kennzulernen. Anlass war die Generalprobe meines Chors für ein Konzert in der UNESCO. Auch innen ist das Bemühen deutlich, die afrikanische Tradition zu vermitteln. Beispielsweise durch die Fußbodenbeläge:
Das Parkett mit afrikanischen Edelhölzern im Salon
Die Wandteppiche im Salon zeigen traditionelle afrikanische Motive
Jedenfalls ein wunderbarer Ort für eine Generalprobe
(Hier der Chef des Orchesters Espoir sans frontières mit den vier Solisten des Stabat mater von Rossini)
Maison des étudiants de l‘Asie Sud-Est (Plan Nr 7)
Dieses Haus, früher La Maison d’Indochine, gehört noch ganz zur kolonialen Epoche, als Frankreich „an seine zivilisatorische Mission“ glaubte und an seine „Aufgabe, die Traditionen der ‚Eingeborenen‘ zu schützen, die es beherrschte.“ (1), S. 18
Der Grundstein für das Gebäude wurde 1928 gelegt, im Beisein des französischen Kolonialministers und des Kaisers von Annam Bao Daï. Die französischen Architekten des Hauses stellten mit einer Reihe von architektonischen Zitaten den Bezug zu dieser Tradition her (z.B. Dachform, Drachenrelief über dem Eingang).
Gerade auch bei der Dekoration im Innern ist der Bezug zur ostasiatischen Tradition unverkennbar.
Hier fühlt man sich in den eleganten Salon eines herrschaftlichen Hauses in Vietnam oder Kambodscha versetzt. Kürzlich diente er als Schauplatz für eine Nummer der französischen Fernsehreihe mit dem schönen Titel „La France a un incroyable talent“. In dem Begleitmaterial wird der Raum so beschrieben:
D’une superficie de 120 m2, le Grand Salon se place parmi les chefs d’œuvres du patrimoine de la Cité internationale, tirant ses influences des temples et palais du Sud-Est de l’Asie. L’aspect résolument asiatique du salon transparaît dans six grandes peintures décoratives qui ornent ses murs : de grands dragons sino-vietnamiens se faisant face deux par deux, flottant au milieu des nuées et surplombant l’écume, tenant entre leurs griffes un symbole d’éternité doré.[9]
Allerdings ist der Zugang nur über eine Führung von l’Oblisque oder anlässlich einer Veranstaltung möglich. Und in diesem Rahmen an einem Konzert teilzunehmen ist schon ein besonderes Erlebnis.
Für eine Pause oder den Abschluss des Rundgangs bietet sich bei schönem Wetter ein Picknick auf der großen Wiese hinter dem Maison internationale an. Dort gibt es auch eine Cafeteria mit einer schönen Terrasse, von der aus man einen Blick über den mittleren Teil der Cité internationale hat.
Reichen Zeit und Energie sollte man noch einen kleinen Spaziergang zum östlichen Teil der Cité unternehmen. Auch dort gibt es eine Reihe bemerkenswerter Häuser (u.a. Schweiz, Marokko, Brasilien, Mexiko), von denen eines, das Maison du Brésil, abschließend vorgestellt werden soll- einmal wegen seiner architektonischen Prominenz, zum anderen aus einem ganz praktischen Grund: Es ist – zumindest sein Erdgeschoss- eines der wenigen Häuser der Cité internationale, das auch unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes und der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen zugänglich ist. ( 1 Euro Gebühr)
La Maison de Brésil (Plan Nr. 33)
Das Maison du Brésil ist –nach der Einschätzung eines Architekturführers- nicht weniger als „eines der markantesten Bauwerke des 20. Jahrhunderts“ (1, S. 44). Gebaut wurde es von zwei bedeutenden Architekten: dem Brasilianer Lucio Costa, dem Planer der neuen Hauptstadt Brasiliens, Brasilia, und dem französischen Architekten Le Corbusier. Typisch für Le Corbusier sind unter anderem die farbigen Loggien, die es auch in dem von ihm geplanten Wohnblock (Corbusierhaus) in Berlin-Willmersdorf gibt. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Architekten war allerdings nicht konfliktfrei: Le Corbusier veränderte die Konzeption Costas „et donna à l’ensemble un caractère ‚brutaliste‘, à l’image de ses réalisations de l’époque.“ (a.a.O.) Sogar die Tische im Foyer sind aus Rohbeton gefertigt.
Der „Brutalismus“ wird allerdings gemildert durch die lebhafte Farbgebung.
Im Foyer gibt es auch eine kleine Ausstellung über die Geschichte des Baus und die beiden beteiligten Architekten.
Und gleich in der Nähe gibt es die Fondation Suisse, deren Gebäude schon zu Beginn der 1930-er Jahre von Le Corbusier errichtet wurde -das erste „moderne“ Gebäude auf dem Campus der Cité internationale. Man kann hier beobachten, wie Le Corbusier versuchte, seine berühmten 5 Punkte der Architektur umzusetzen. Und dies an einem großen, aber überschaubaren Wohnblock- einer avant-gardistischen „machine à habiter“ – einer „Wohnmaschine“ nach den Worten Le Corbusiers. (10)
Das Wandgemälde im Salon stammt auch von Le Corbusier.
Ein Zimmer des Hauses mit dem Mobiliar von Charlotte Periard kann von Besuchern besichtigt werden. (10-12 und 14-17 Uhr).
Ein Abstecher zum Maison du Brésil und zur Fondation Suisse lohnt sich also.
Und das gilt auch für das in der östlichen Ecke am boulevard Jourdan gelegene Maison du Maroc (Plan Nr. 28): eine schöne Etappe der architektonischen Reise um die Welt in der Cité internationale universitaire de Paris.
Während sich Marokko hier eher im traditionellen Stil präsentiert, hat Tunesien eine moderne Form der Präsentation gewählt, die aber die kulturelle Identität des Landes deutlich macht: Der Erweiterungsbau der Fondation de la Maison de Tunisie, der Pavillon Habib Bourgiba, der 2019 eröffnet werden soll, ist mit einer metallischen Außenhaut mit calligraphischem Muster überzogen- sicherlich ein neuer „Hingucker“ des CIUP, auf den man sich schon freuen kann. (11)
Fotos: Wolf Jöckel, Februar 2023
Das Maison de la Tunisie ist Teil einer „Verjüngungskur“ (Le Monde), die derzeit im Gange ist. Nachdem es seit 1969 (Eröffnung des Hauses des Iran) in der Cité Universitaire lange Jahre keine weiteren Bauten gab, hat seit 2017 eine rege Bautätigkeit eingesetzt. Im September 2917 wurde als erster neuer Bau das Haus der Île de France eingeweiht, das sich, so der Bauherr, als Pionierbau versteht: . „La Maison de l’Île-de-France est le premier bâtiment d’habitation collective à énergie positive de source 100% solaire avec un système de stockage thermique inter-saisonnier d’une telle dimension réalisée en France“. (12)
Bis 2025 sollen acht weitere Bauten folgen, so dass die Unterbringungskapazität um 30% gesteigert wird. Dabei geht es aber nicht einfach nur um eine Vergrößerung: Der Anspruch ist, dass das außergewöhnliche Ensemble der Cité universitaire durch die neuen Bauten auch bereichert wird. Das neue Maison de la Tunisie und das Maison de l’Île de France sind dafür hervorragende Beispiele.
Nachwort
Als ich Sommer dieses Jahres begann, in Vorbereitung der Dresdener Tagung (s. Blog-Beitrag über die Friedensmauer auf dem Marsfeld) nach Orten des Friedens in Paris zu suchen, fragte ich auch unseren alten Pariser Freund Remi Dreyfus, welche Ideen er vielleicht dazu habe. Er schrieb mir:
„Je pense qu’on devrait montrer une réalisation exemplaire de la Troisième République, celle de la Cité Universitaire internationale Bvd Jourdan au sud du Parc de Montsouris. Cela concerne l’éducation mais c’est par elle qu’on peut approcher la Paix de la plus belle manière. Et en outre c’est un lieu charmant et une promenade magnifique (par beau temps) entre les pavillons des divers pays qui y ont construit leur maison à commencer par l’Allemagne“.
Was für ein schöner Hinweis, für den ich sehr dankbar bin! Die besondere Hervorhebung des Heinrich Heine- Hauses am Schluss trifft zwar – was die zeitliche Dimension angeht- nicht zu, denn das deutsche Haus ist ja gewissermaßen ein Nachzügler in der Cité Internationale; aber herausragend sind sicherlich seine besondere Rolle und Ausstrahlung. Die sind gerade wieder (im November 2016) bei der Feier des 60. Geburtstages des Hauses eindrucksvoll deutlich geworden. Und die Hervorhebung des MHH im Brief eines Widerstandskämpfers gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg darf vielleicht auch als ein kleiner schöner Hinweis darauf verstanden werden, wie fest das gesellschaftliche Fundament der deutsch-französischen Beziehungen inzwischen ist. Das stimmt zuversichtlich gerade am Beginn eines neuen Jahres, in dem die deutsch- französischen Beziehungen wieder großen Herausforderungen und vielleicht auch immensen Belastungsproben ausgesetzt sein werden.
Literatur:
La Cité internationale universitaire de Paris. Architectures paysagées. Paris : L’oeil d’or 2010 (1)
La Cité internationale. Connaissance des Arts. Paris 2010 (2)
La Cité U ou comment cultiver la Paix. In: Vivre Côté Paris 46, août/sept. 2016, S. 118-129 (3)
La Cité internationale universitaire de Paris. Préface Étienne Dalmasso. Paris: Éditions Hervas 2010 (4)
Parcours du patrimoine Région Île de France, 354: La fondation Emile et Louise Deutsch de la Meurthe. 2010
Parcours du patrimoine Région Île de France, 383: La Cité internationale universitaire de Paris. 2013
Kévonian, Dzovinar und Tronchet, Guillaume: La Babel étudiante. La Cité internationale universitaire de Paris (1920-1950). Rennes 2013
Praktische Informationen
Die CIUP ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen: Station Cité Universitaire der Linie B des RER oder der Linie 3a der Tram
Es werden regelmäßige Führungen angeboten zur Architektur, zum Park, zum Leben in der Cité Universitaire. Näheres unter: http://www.ciup.fr/oblique/visites-guidees/
Ein Zugang zu den Häusern ist auch möglich bei Veranstaltungen. Eine entsprechende Übersicht findet man unter: http://www.ciup.fr/citescope/
Das Erdgeschoss des Maison de Brésil kann gegen eine Gebühr von 1 Euro besichtigt werden.
Anmerkungen
[1] Cité universitaire, Le monde en miniature. In: Histoire et patrimoine 2005, no 1 p 129-137
siehe auch: http://www.leparisien.fr/culture-loisirs/sortir-region-parisienne/patrimoine-a-paris-la-cite-u-sans-frontiere-14-04-2017-6854343.php
[2] (4) siehe dazu: http://www.ciup.fr/paix/
[3] Siehe die Informationen zur sog. Rheinkrise im Blog-Beitrag über den Arc de Triomphe (November 2016)
(3a) siehe Nicolas Chaudin, Le promeneur de la Petite Ceinture. 2003, S.10
[4] In einem aktuellen Grundsatzartikel zur Laïzität habe ich kürzlich in der Zeitschrift „Marianne“ sogar die Gegenüberstelllung von „culture ou religion“ gefunden. (7.-13. Okt 2016, S.11). Die Rolle der Religion im republikanischen Frankreich ist –gerade im Blick auf den Islam- aktueller und kontroverser denn je.
[5] (4) Interessant übrigens, dass in der Fondation Deutsch de la Meurthe zunächst nur französische Studenten aufgenommen wurden.
[6] Georges Bourdon, Au service de la paix. Zitiert in (4)
[7] Eine Broschüre über die Résidence Lucien Paye ist am Empfang des Hauses und in der Fondation Avicenne erhältlich.
[8] Dies war ja auch die Botschaft der Konferenz von Brazzaville vom Jan./Febr. 1944, wo auf Einladung de Gaulles über die Zukunft der französischen Kolonien beraten wurde. Zwar wurden da im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich Verbesserungen für die „Eingeborenen“ ins Auge gefasst, aber jede Idee einer Selbstbestimmung und einer Entwicklung außerhalb „du bloc français de l’Empire“ abgelehnt: „la constitution éventuelle, même lointaine, de self-governments dans les colonies est à écarter.“ https://fr.wikipedia.org/wiki/Conf%C3%A9rence_de_Brazzaville
[9] http://www.ciup.fr/accueil/la-france-a-un-incroyable-talent-sinvite-dans-le-decor-asiatique-de-la-cite-66229/
(10) http://www.ciup.fr/fondation-suisse/histoire-de-la-maison/ https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BCnf_Punkte_zu_einer_neuen_Architektur
(11) http://tunisie.co/article/8523/actus/actus/calligraphie-471111
(12) Le Monde vom 7.2. 2019 https://www.lemonde.fr/culture/article/2019/02/07/la-cite-universitaire-internationale-s-offre-une-nouvelle-jeunesse_5420280_3246.html
De nouvelles maisons ouvriront à la Cité Internationale Universitaire !
Zitat und nachfolgendes Bild aus: https://www.iledefrance.fr/toutes-les-actualites/la-maison-de-l-ile-de-france-a-la-cite-internationale-universitaire-primee
Lieber Wolf,
Ich wünsche Dir viel Gutes für das Neue Jahr!
Ich lese mit starkem Interesse und grosser Lust Deine erstaunlichen Berichte. Eine richtige Schatzgrube .
Vielleicht sehen wir uns nächsten Montag. Wenn Du “Führungen” vorschlägst und ich mich daran anschliessen “darf”, bin ich jederzeit gerne dabei.
Herzliche Grüsse Angelika
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Liebe Angelika, vielen Dank für den Kommentar. Wir sehen uns am nächsten Montag im Chor. Und die nächste Führung ist am 9. Februar. A bientôt Wolf
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