Zeichnungen der Razzia des Vel d’Hiv von Cabu : Eine Ausstellung im Mémorial de la Shoah in Paris

Von dem, was am 16./17. Juli 1942 in Paris geschah, gibt es -mit Ausnahme eines erst 1990 von Serge Klarsfeld entdeckten Fotos- keine Bilder, nur Augenzeugenberichte. [1] Sowohl den deutschen Initiatoren als auch den französischen Exekutoren dieser größten Verhaftungsaktion von Juden in Westeuropa während des Zweiten Weltkriegs war daran gelegen, das Geschehen möglichst wenig publik zu machen. Umso bedeutsamer sind gerade deshalb die 16 Illustrationen, die der Zeichner Jean Cabut 1967 anfertigte. Jean Cabut,  eher bekannt als Karikaturist unter dem Pseudonym Cabu, war eines der 12 Opfer des islamistischen Anschlags auf die Zeitschrift Charlie Hebdo, deren Mitarbeiter er war:  So wurde er, dem es so eindrucksvoll mit seinen Zeichnungen gelang, die Barbarei anschaulich zu machen, schließlich selbst Opfer der Barbarei…  

Anlass der Zeichnungen war 1967 die Veröffentlichung des Buches von Claude Lévy und Paul Tillard „La grande rafle du Vel d’Hiv“. Beide Autoren hatten sich im kommunistischen Widerstand engagiert: Lévys Eltern wurden 1944 deportiert und in Auschwitz ermordet, Tillard war Häftling im Konzentrationslager Mauthausen. Dort entging er dem fast sicheren Tod ebenso knapp wie Lévy der Deportation. [2]  Lévy und Tillard, beide keine Historiker, waren mutig genug, das damals eher in Vergessenheit geratene bzw. verdrängte Geschehen von 1942 einem breiten Publikum bekannt zu machen. Da die meisten Archive noch nicht zugänglich waren, stützten sie sich vor allem auf Berichte von Zeitzeugen.

Das Buch schlug damals nach den Worten Claude Lévys wie eine Bombe ein, weil hier zum ersten Mal in großer Breite und Eindringlichkeit die Mitverantwortung der Regierung von Vichy und die Beteiligung der französischen Polizei an der großen Razzia dargestellt wurden. Auch die spektakuläre rote Banderole (Die Bartholomäusnacht der Juden von Paris) und das Vorwort des berühmten Reporters Joseph Kessel trugen zur öffentlichen Wahrnehmung des Buches bei.  De Gaulle sprach nach der Lektüre von einer „bouleversant témoignage“ und er bezeichnete die Razzia des Wintervelodroms als „une des pages les plus sinistres de l’histoire, de l’occupation et de la ‚collaboration‘“. [3]

Die Rechte, Teile des Buches vorab zu veröffentlichen, hatte sich die Wochenzeitschrift Le Nouveau Candide gesichert. Die stand politisch rechts, unterstützte General  de Gaulle und engagierte sich gegen „die Gefahren  der Homosexualität“ oder gegen „die Invasion der Schamlosigkeit“ (so in einem Aufmacher über den Minirock), verbunden allerdings mit -für  damalige Zeiten- durchaus  offenherzigen Titelbildern. Die Redaktion erkannte das publizistische Potential des Textes von Lévy und Tillard und veröffentlichte Auszüge des Buches in mehreren Folgen.

Hier das Titelblatt der ersten Folge vom 24. April 1967 mit einem Foto des 9-jährigen Alain Cohen, dem Helden des damals gerade anlaufenden Films Le Vieil Homme et l’Enfant – der Geschichte eines jüdischen Kindes, das während der Occupation auf dem Land versteckt und so gerettet wurde. Der Text kündigt einen Bericht an, der den Franzosen 25 Jahre lang vorenthalten worden sei – auch dies eine publikumswirksame, aber doch auch etwas problematische Feststellung: Einen Bericht, der der Öffentlichkeit hätte vorenthalten werden können, gab es damals ja nicht….

„Die Juden von Paris in der Falle“.

Das reißerische Bild mit Hakenkreuz und Schäferhund entsprach zwar sicherlich den Erwartungen der Leserschaft, aber nicht der Realität und auch nicht dem Text von Lévy und Tillard. Denn bei der großen Razzia waren keine Deutschen (mit oder ohne Hakenkreuzbinde) beteiligt und auch keine Schäferhunde…. Aber selbstverständlich waren es die deutschen „Endlösungs“- Fanatiker, die die Razzia „bestellten“ und für die nachfolgenden Deportationen und Morde verantwortlich sind. Das antisemitische Collaborations-Regime von Vichy hätte sich wohl von sich aus mit einer Ausweisung von ausländischen Juden und einer Ausgrenzung französischer Juden „begnügt“, ließ sich aber bereitwillig als Helfershelfer der deutschen Besatzungsmacht instrumentalisieren. [4] 

Cabu war seit 1964 regelmäßiger Mitarbeiter des Nouvel Candide – auch wenn er dessen Konzeption kaum teilte. Aber, wie seine zweite Frau Véronique Cabu feststellte: Er hatte eine Familie, „il fallait bien faire bouillir la marmite“.[5]

Cabu setzte sein ganzes außerordentliches Talent ein, um das Geschehen vom Juli 1942 anschaulich zu machen: Seine Illustrationen orientieren sich aufs Genaueste an den Szenen, die von Lévy und Tillard geschildert wurden. Und sie sind zentriert auf die Opfer, ihren Schmerz, ihre Angst, aber auch ihre Würde gegenüber der Unerbittlichkeit des Staats- und Vernichtungsapparats.

Nachfolgend werden einige der Zeichnungen Cabus präsentiert. Sie sind aufgenommen im Mémorial  de la Shoah. Allerdings handelt es sich nicht um Fotos der in Vitrinen ausgestellten Originale. Es wurde ausdrücklich darum gebeten, sie nicht zu fotografieren, was ich natürlich respektiert habe. Es handelt sich also um Fotos von an den Wänden des Ausstellungsraums präsentierten vergrößerten und mit Erläuterungen versehenen Kopien. Die jeweiligen Titel der Fotos sind dem Ausstellungskatalog entnommen, die Erläuterungen orientieren sich an den Erläuterungen Laurent Jolys in dem hervorragenden Katalog.

Aux portes des victimes/An den Türen der Opfer

Diese in der ersten Folge der Serie im Nouveau Candide vom 24. April 1967 veröffentlichte Zeichnung zeigt eine Szene vom Beginn der Razzia: Seit dem frühen Morgen des 16. Juli 1942 werden die zur Deportation bestimmten Juden aus ihren Betten geholt. Manchmal kehren die Verhaftungsteams unverrichteter Dinge wieder um, manchmal wird ein Schlosser geholt, um die Türen zu öffnen, manchmal werden sie auch eingetreten. Zahlreiche von der Verhaftung bedrohte Menschen waren vorgewarnt und nicht zu Hause, anderen gelingt in letzter Minute die Flucht wie dieser Familie, die sich mit dem kleinen Mädchen an der Hand des Vaters und dem Säugling in den Armen der Mutter auf das Dach retten konnte. Sie sind nun „Illegale“, werden gesucht wie Verbrecher, müssen sich verstecken. Viele von ihnen werden in den folgenden Wochen und Monaten gefasst und deportiert. Die imposante schwarze Fläche symbolisiert eindrucksvoll die Angst der Flüchtlinge und die Ungewissheit ihrer Zukunft.

Le Nouveau Candide Nr. 313 vom 24. April 1967

In einem Spalier von Polizisten werden die verhafteten Menschen abgeführt. Auffällig ist, dass hier -wie auch in allen anderen Illustrationen Cabus- mit einer einzigen Ausnahme-  nur die jüdischen  Opfer und die französischen Helfershelfer der Nazi-Verantwortlichen gezeigt werden. Kein Zuschauer oder zufälliger Passant ist da, der sich empört oder Empathie zeigt – allerdings auch niemand, der Beifall klatscht. Das Geschehen findet gewissermaßen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Verhafteten und dann Deportierten sind einsam, allein gelassen. Aber Cabu unterstreicht damit auch die  kollektive Amnesie, die bis zur Publikation von Lévy und Tillard den Umgang mit diesem Staatsverbrechen prägte.

La petite fille/Das kleine Mädchen. Le Nouveau Candide Nr. 313 vom 24. April 1967

Mit dieser Zeichnung, die auch als Motiv für das Ausstellungsplakat dient, wollte Cabu sicherlich das Drama der Kinder anschaulich machen, deren Eltern bei der großen Razzia verhaftet wurden.

Konkret bezog sich Cabu dabei auf das Bild und das Schicksal der kleinen Lisa Fajnzylberg, die als 6-Jährige schon den Judenstern tragen musste. Ihre Mutter Ita wurde am 16. Juli 1942 verhaftet. Wigdor, der Vater, war Soldat im Krieg 1939/1940 gewesen, hatte dort ein Bein verloren und war mit mehreren Orden ausgezeichnet worden. Deshalb wurde er zunächst ausgespart. Kurz nach der großen Razzia ließ er sich mit seinen Orden und mit seinen beiden Kindern fotografieren und schickte das Foto an Marschall Pétain mit der Bitte, seine Frau freizugeben.

Das Gesuch wurde abgelehnt. Ita wurde am 23. September 1942 deportiert, Wigdor 18 Monate später. Die Kinder hatte er aber noch vorher auf dem Land unterbringen können. Was allerdings aus der kleinen Lisa geworden ist, weiß man nicht…

La petite fille/Das kleine Mädchen (Detail): Wie Schwerverbrecher werden verhaftete Juden aus dem Haus geholt.
Les centres  de rassemblement/Die Sammelstellen. Le Nouveau Candide Nr. 313 vom 24. April 1967

Diese Zeichnung veranschaulicht eine Szene in einer der Sammelstellen, in die die verhafteten Juden zunächst gebracht wurden. Solche Stellen gab es in jedem Arrondissement. Im 11. Arrondissement war das zum Beispiel die Sporthalle gymnase Japy. Sehr oft dienten aber auch die Polizeistationen, die es im Rathaus jedes Arrondissements gab, als Sammelstelle- so wie auf dieser Zeichnung Cabus. Der Polizist hat sich mit den Insignien seiner Macht vor den verhafteten Juden aufgebaut, die resigniert erwarten, was nun mit ihnen geschehen wird. Es sind „unerwünschte Ausländer“, die so schnell wie möglich entweder nach Drancy oder ins Vel d’Hiver überstellt werden sollen. Verständnis können sie in dieser Situation nicht erwarten: Über dem Tisch des hinter seinem Schreibtisch verschanzten Sekretärs hängt das Portrait des Marschalls Pétain, der der großen Razzia seinen politischen und moralischen „Segen“ gegeben hatte.

L’autobus/Der Bus Le Nouveau Candide Nr. 313 vom 24. April 1967

An den Sammelstellen warteten Busse der Compagnie du métropolitain, der Vorgängerin der heutigen RATP, auf die zur Internierung und Deportation bestimmten Menschen. Männer und Frauen ohne Kinder wurden nach Drancy  gefahren, der letzten Etappe vor der Deportation, Frauen und Familien mit Kindern ins Vel d’Hiv. Als Cabu diese Zeichnung anfertigte, konnte er noch nicht wissen, dass die „Busse der Schande“[6] einmal zum Symbol der großen Razzia werden würden. Denn erst 1990 entdeckte Serge Klarsfeld das einzige authentische Foto der Razzia, das aber 1942 der deutschen Zensur zum Opfer fiel. Da ist eine Reihe von Bussen vor dem Eingang des Vel d’Hiv geparkt und auf dem Gehsteig sind undeutlich einige der Verhafteten zu erkennen. Die Fenster der Busse sind offensichtlich zugehangen. Bei Cabu dagegen kann man -und soll man- ganz deutlich in das Innere des Busses sehen: Die dort zusammengepferchten Menschen sind individuell gezeichnet und ihre Gesichter drücken aus, was sie fühlen: Angst, Niedergeschlagenheit, Unverständnis, Resignation.

Cabus Kollege Riss, der den Anschlag auf Charlie Hebdo überlebte, hat in der Ausgabe der Zeitschrift vom 22. Juni 2022 die große Bedeutung der individuellen Zeichnung der Opfer durch Cabu herausgestellt: „Dessiner un épisode aussi violent impose au dessinateur de détailler chaque visage, chaque vêtement, chaque homme, chaque femme et chaque enfant. Un dessinateur paresseux se serait contenté de croquer une masse de silhouettes informes et, en le faisant, il ne se serait pas aperçu qu’il aurait poursuivi l’action des bourreaux en niant comme eux la singularité de chaque personne raflée. Cabu a parfaitement compris qu’il fallait au contraire dessiner chaque victime dans sa spécificité, avec son visage unique, sa robe, sa redingote et ses chaussures, chacune différente les unes des autres. Car ce jour-là, ce n’est pas une masse qui a été déportée pour être assassinée, mais un individu plus un individu plus un individu plus un individu plus un individu plus un individu plus un individu… Et à chaque fois, c’est une histoire unique au monde qui était détruite. Le soin pris par Cabu pour dessiner les visages de chaque victime était le seul moyen à sa disposition pour leur redonner leur place dans l’humanité. Celle-là même dont les bourreaux avaient voulu les déposséder.

Hier ein Detail des großen Panoramas der „Hölle des Wintervelodroms“, das im Nouveau Candide Nr. 314 vom 1. Mai 1967 veröffentlicht wurde. Mit wenigen Strichen hat Cabu die Situation im Vel d’Hiv getroffen, so wie sie von Lévy und Tillard beschrieben wurde. Alle Dabei -Gewesenen hätten übereinstimmend berichtet, dass die auf engstem Raum zusammengedrängten Opfer sich kaum hätten bewegen können. Da ist von hysterischen Schreien, von Ohnmachtsanfällen und Nervenzusammenbrüchen die Rede: Bei Cabu wird gerade ein schreiender, wild gestikulierender Mann von Polizisten mit Gewalt auf einer Bahre festgeschnallt.

Dies ist ein weiteres Detail der „Hölle des Wintervelodroms“ aus der Zeichnung Sur la piste/Auf der Rennbahn in Le Nouveau Candide Nr.315 vom 8. Mai 1967

L’épicerie en face du Vel d’Hiv/Der Lebensmittelladen gegenüber dem Wintervelodrom Le Nouveau Candide Nr. 314 vom 1. Mai 1967

Cabu veranschaulicht hier eine Szene vom Nachmittag des 16. Juli: Frauen drängen sich am Ausgang des Velodroms, weil sie keine Milch für ihre Kinder haben und kein Wasser. Die überforderten Polizisten wagen es nicht, ihre Waffen einzusetzen und geben schließlich dem Druck nach. In dem allgemeinen Tohuwabohu gelingt dem damals 14 – jährigen Lazare Pytkowicz die Flucht. Im Gegensatz zu seinen Eltern, seiner Schwester und den Frauen, die wieder zu ihren Kindern im Vel d’Hiv zurückkommen, überlebt er.  

L’évacuation du Vel d’Hiv: de la gare d’Austerlitz vers les camps du Loiret (19-22 juillet 1942)/ Die Räumung des Wintervelodroms: Vom gare d’Austerlitz zu den Lagern im Loiret (19.-22. Juli 1942) Le Nouveau Candide Nr. 314 vom 1. Mai 1967

Am Morgen des 19. Juli beginnt unter der Aufsicht der Gendarmerie und der städtischen Polizei der Abtransport der Opfer aus dem Vel d’Hiv in die Internierungslager Beaune-la-Rolande und Pithiviers im Loiret. Ein erster Konvoi mit etwa 1000 Opfern, überwiegend Frauen und Kindern, verlässt den Bahnhof  fahrplanmäßig um 8.15, der nächste um 11.05 Uhr. Die eigentlich für Tiere vorgesehenen Viehwagen müssen schnell und mit Nachdruck gefüllt werden.

Ein Bahnbediensteter blickt auf seine Uhr: Sein Interesse gilt ganz offensichtlich allein der pünktlichen Abfertigung der „Fracht“…

Le convoi parti de Drancy le 19 juillet 1942/Der Zugkonvoi aus Drancy vom 19. Juli 1942. Le Nouveau Candide Nr. 316 vom15. Mai 1967

Zur gleichen Zeit wird in Drancy, in das die Erwachsenen ohne Kinder eingeliefert worden waren, der erste Konvoi nach Auschwitz organisiert: Auch hier drängte die Zeit, weil auch Drancy von der Masse der zur Deportation bestimmten Menschen völlig überfordert war. Am Morgen des 19. Juli werden 879 Männer und 121 Frauen vom Bahnhof Le  Bourget-Drancy in den Tod gefahren.

Frauen aus dem Frauenblock des Lagers werfen den abgeführten Opfern noch ihre Brotrationen zu, wie Georges Wellers, ein Überlebender des Lagers, in seinem 1946 erschienenen Buch „De Drancy à Auschwitz“ berichtet. Der begleitende Polizist tut mit starrem Blick nur seine Pflicht, ist ungerührt und zeigt keinerlei Anteilnahme.

Le „convoi des femmes“: Pithiviers, le 3 août 1942/Der „Konvoi der Frauen“: Pithiviers, 3. August 1942. Le Nouveau Candide Nr. 316 vom15. Mai 1967

Mit dieser Zeichnung schließt Cabu seine Illustration des Textes von Lévy  und Tillard ab. In dem Lager von Pithiviers (und dem von Beaune-la-Rolande) waren die in der Razzia vom 16./17. Juli verhafteten Familien interniert: In Pithiviers Ende Juli 4700 Menschen, davon 2000 Kinder. In einem ersten Konvoi vom 31. Juli wurden vor allem Männer nach Auschwitz deportiert – die erste Trennung der Familien. Dann die allerschlimmste Trennung, die von Müttern und Kindern: Die Krematorien in Auschwitz sind noch nicht fertig, also fordern die Nazis zunächst nur erwachsene, arbeitsfähige Männer und Frauen an.

Die Kinder klammern sich an ihre Mütter, weinende und schreiende Kinder, auch gerade erst zweijährige sind darunter, werden von den Polizisten gewaltsam von ihren verzweifelten Müttern gerissen und zum Bahnhof von Pithiviers´gebracht. [7] 974 Frauen und Mädchen und 60 Männer werden in Viehwagen verladen. Dort stehen sie, im Schock über das Unfassbare. Nur vier Frauen und ein Mann dieses Konvois überleben die Fahrt und die Hölle von Auschwitz.

Eingestellt am 17. Juli 2022, dem 80. Jahrestag der rafle du Vel d’Hiv

Wolf Jöckel

Zum Weiterlesen:

Cabu, La Rafle du Vel d’Hiv. Dessins présentés par Laurent Joly. Katalog der Ausstellung. Éditions Tallandier 2022

Laurent Joly, La Rafle du Vel d’Hiv. Paris juillet 1942.  Paris: Éditions Grasset 2022. (Eine umfassende, auf intensiver Quellenarbeit beruhende Darstellung.

Claude Lévy/ PaulTillard, La Grande Rafle du Vel d’Hiv. Paris: Éditions Tallandier 2020

Wolf Jöckel,  Vor 80 Jahren: Die große Razzia des Wintervelodroms (Vel d’Hiv), die „Bartholomäusnacht der Pariser Juden“  https://paris-blog.org/2022/07/09/vor-80-jahren-die-grose-razzia-des-wintervelodroms-vel-dhiv/


Anmerkungen:

[1] Bei dem Foto auf dem Umschlag der Originalausgabe des Buches von Lévy und Tillard handelt es sich nicht um eine Aufnahme aus dem Wintervelodrom vom 16./17. Juli 1942, sondern um ein Foto vom August 1944, als Personen, die der Kollaboration mit den Nazis beschuldigt wurden, im Wintervelodrom interniert waren.

[2] Über seine  Erfahrungen berichtete Paul Tillard 1945 in „Mauthausen“. Zugänglich in: Paul Tillard, Le pain des temps maudits suivie de Mauthausen. Paris: Harmattan 1966

[3] zit. Joly, La Rafle du Vel d’Hiv,  S. 308

[4] Siehe Robert O. Paxton, La France de Vichy 1940-1944. Éditions du Seuil 1973, S. 172

[5]  Zitiert in: Frédéric Potet, La rafle du Vel d’Hiv vue à travers la plume de Cabu. Le Monde, 3./4. Juli 22, S. 27

[6] Siehe: Jean-Marie Dubois und Malka Marcovich,  Les bus de la honte. Éditions Tallandier, 2016

[7] Aus Anlass des 80. Jahrestages der Razzia des Wintervelodroms wurde der Bahnhof von Pithiviers am 17.Juli 2022 als Erinnerungsstätte eingeweiht. https://www.francetvinfo.fr/culture/patrimoine/histoire/l-ancienne-gare-de-pithiviers-devient-un-lieu-de-memoire-de-la-shoah_5251936.html Anwesend war auch Präsident Macron, der eine engagierte Rede gegen den Antisemitismus in Vergangenheit und Gegenwart hielt: https://www.leparisien.fr/politique/80-ans-de-la-rafle-du-vel-dhiv-a-pithiviers-macron-veut-poursuivre-le-combat-contre-lantisemitisme-15-07-2022- 

Vor 80 Jahren:  Die große Razzia des Wintervelodroms (Vel d’Hiv), die „Bartholomäusnacht der Pariser Juden“

Am 16./17. Juli 1942 wurden in Paris etwa 13 000 Juden – Männer, Frauen und Kinder-  in einer Nacht- und Nebelaktion in ihren Wohnungen verhaftet. Alleinstehende wurden in das Internierungslager Drancy nördlich von Paris gebracht.  Die Familien, insgesamt etwa 8000 Personen, davon über 4000 Kinder, wurden in einer Radrennbahn in der Nähe des Eiffelturms (dem Vel d’Hiv) interniert und dort mehrere Tage unter unsäglichen Bedingungen festgehalten. Danach wurden sie in zwei Internierungslager südlich von Paris verbracht, schließlich nach Auschwitz deportiert und -mit wenigen Ausnahmen- ermordet.[1]  

Diese groß angelegte Razzia, für die sich in Frankreich das Kürzel „Vel d‘ Hiv“ eingebürgert hat, ist ein schmerzhaftes Datum für Frankreich, „eine der dunkelsten Seiten unserer Geschichte“, wie es in einer Stellungnahme des Pariser Mémorial de la Shoah heißt.[2]

Dies aus mehreren Gründen:

  • Nirgendwo wurden zwischen 1941 und 1943 so viele Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns in so kurzer Zeit verhaftet wie im Juli 1942 in Paris.[3]
  • Die Initiative für diese Razzia kam von den Nazis. Durchgeführt wurde sie aber von französischen Behörden. Etwa 4500 französische Polizisten waren dabei im Einsatz. Kein einziger deutscher Soldat wurde dafür benötigt[4] , auch kein Gestapo- oder SS-Mann.   
  • Die Initiative allerdings, auch Kinder von 2 bis 16 Jahren zu verhaften und zu deportieren, kam von französischer Seite – ungeachtet dessen, dass fast alle dieser Kinder dank des droit de sol, des Geburtsortsprinzips, die französische Staatsbürgerschaft besaßen.
  • Bei der Durchführung der Razzia spielte das damalige Pariser Transportunternehmen STCRP eine wesentliche Rolle. Es stellte etwa 50 „Busse der Schande“ zur Verfügung – ein wesentlicher Grund dafür, dass nach dem Krieg der Name des öffentlichen Unternehmens in RATP verändert wurde.[5]
  • Eine unheilvolle Rolle bei der Deportation spielte auch die französische Staatsbahn. Sie transportierte die verhafteten Juden in die Internierungslager Beaune-la-Rolande und Pithiviers und von dort -auf dem Weg in die Todeslager- nach Drancy.[6]  

Anlässlich des 80. Jahrestages wird in Frankreich mit einer Fülle von Veranstaltungen, politischen Kundgebungen, Ausstellungen und Berichten an diese große Razzia, „ein französisches Verbrechen“,[7] erinnert.

Gegenstand dieses Beitrags ist die Vorstellung von zwei Orten, die bei der Razzia des Vel d‘Hiv eine wesentliche Rolle gespielt haben:

  • Das Gymnase Japy im 11. Arrondissement, als Beispiel für eines der „centres de rassemblement“,  in die die verhafteten Juden zunächst verbracht wurden.
  • Dann selbstverständlich das Wintervelodrom, das der Razzia vom 16./17. Juli 1942 seinen Namen gegeben hat.  

Zwei weitere Orte sollen in einem späteren Beitrag folgen:

  • Das Internierungslager Drancy, in das ein Teil der damals Verhafteten eingeliefert wurde und das als letzter Sammelpunkt für die Deportationen diente
  • Der Bahnhof von Bobigny, wo die Fahrt der Zugkonvois nach Auschwitz begann. Allein während des Jahres 1942 transportierten 42 Zugkonvois die meisten der im Juli in Paris verhafteten 13 000 Juden in die Vernichtungslager. Dazu kamen weitere 10 500 aus dem noch nicht von der Wehrmacht besetzten Südfrankreich, die den Nazis von der Kollaborationsregierung des Marschalls Pétain ausgeliefert wurden.[8]

  1. Das Gymnase Japy

Das Gymnase Japy ist eine Sporthalle im 11. Arrondissement. Gebaut wurde sie 1870 zunächst als Markthalle, diente aber auch als Versammlungsort.

Foto: Wolf Jöckel

Im Dezember 1899 trafen sich dort 800 Delegierte der verschiedenen sozialistischen Richtungen, um eine einheitliche sozialistische Partei zu gründen. Teilnehmer des Kongresses von Japy waren unter anderem Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx, Jean Jaurès, der am Vorabend des 1. Weltkriegs ermordete Pazifist und charismatische Führer der französischen Sozialisten, und  Aristide Briand, der spätere Ministerpräsident, Außenminister und -zusammen mit Gustav Stresemann- Motor der deutsch-französischen Verständigung in den 1920-er Jahren. Der Kongress von Japy war eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Gründung einer einheitlichen sozialistischen Partei in Frankreich (SFIO).

Ausgerechnet dieser vom Geist des Humanismus und der Menschenrechte geprägte Ort spielte eine große Rolle im Prozess der Verfolgung und Vernichtung Pariser Juden.

Daran erinnern zwei große Tafeln, die neben dem Eingang angebracht sind.

Foto: Wolf Jöckel

Auf ihnen wird an drei Razzien erinnert: An die Razzia vom 14. Mai 1941 auf der einen Tafel, an die Razzien vom 20. August 1941 und vom 16. Juli 1942 auf der anderen, nachfolgend abgebildeten.

Zur Erinnerung an die Kinder, Frauen und Männer des 11. Arrondissements, die am 20. August 1941 sowie am 16. Juli 1942 hier zu Tausenden versammelt wurden. Ihr Bestimmungsort war das Vernichtungslager Auschwitz, weil sie Juden waren.[9] Foto: Wolf Jöckel

Die Razzia des Vel d’Hiv war also nicht die erste Razzia in Paris. Den Anfang machte die sogenannte Razzia „du billet vert“ vom 14. Mai 1941: Da wurden 6494 aus Österreich, der Tschechoslowakei, vor allem aber aus Polen stammende männliche Juden im Alter zwischen 18 und 40 Jahren, die in Frankreich Zuflucht gesucht hatten, „eingeladen“, sich zur Überprüfung ihrer Situation an  einem  angegebenen Ort, unter anderem dem Gymnase Japy, einzufinden.

Herr Pinkus Eizenberg wird aufgefordert, persönlich in Begleitung eines Mitglieds der Familie oder eines Freundes am 14. Mai 1941 um 7 Uhr vormittags im Gymnase 2, rue Japy zur Überprüfung seiner Situation zu erscheinen. Sie werden gebeten, ein Ausweispapier mitzubringen. Wer nicht zur angegebenen Zeit erscheint, hat mit strengsten Sanktionen zu rechnen.

Diese „Einladung“ bzw. Aufforderung war ein raffiniertes Täuschungsmanöver. Denn es ging nicht um Überprüfung, sondern Verhaftung.  Und die Begleiter waren dazu bestimmt, Koffer mit Habseligkeiten für die im Gymnase Japy Festgehaltenen herbeizuschaffen. Schwerpunkt der Aktion waren das 11. und das  20. Arrondissement  mit ca. 600 bzw. 550 verhafteten ausländischen oder staatenlosen Juden, während das Viertel der alteingesessenen französischen Juden im Marais mit unter 300 verhafteten Juden eher weniger betroffen war.[10] Die insgesamt etwa 3700 verhafteten Juden wurden in den Lagern Pithiviers oder Beaune-la-Rolande in der sogenannten  „freien  Zone“ Frankreichs interniert, die meisten ein Jahr später deportiert und ermordet. 

Der Protest gegen diese erste Judenrazzia war selbst von Seiten der jüdischen Gemeinde eher verhalten: Sie betraf ja „nur“ „indésirables“, unerwünschte Personen, wie es in der damaligen Terminologie hieß. Und es ging offiziell um einen „Arbeitseinsatz“ der Verhafteten.   In der Bevölkerung wurde, jedenfalls nach einem Stimmungsbericht der Pariser Préfecture de Police, höchstens kritisiert, dass jetzt Frankreich für die Frauen und Kinder der internierten Juden aufkommen müsse. Da hätte man doch besser gleich alle internieren sollen „ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht.“ [11]

Die Razzia vom 20. August 1941 betraf ausschließlich das 11. Arrondissement, wo besonders viele nach Frankreich emigrierte Juden lebten. Das Viertel wurde mitsamt seiner Metrostationen abgeriegelt, die Passanten wurden kontrolliert, Polizisten suchten Juden in ihren Wohnungen. 3000 der 5800 gesuchten Juden wurden aufgespürt,  zunächst in das neu eingerichtete Lager Drancy im nördlichen Umland von Paris gebracht und später ebenfalls deportiert und ermordet. Etwa 1500 von ihnen waren zwar „naturalisiert“, hatten also die französische Staatsangehörigkeit erhalten. Ihre Verhaftung und Deportation verstieß damit gegen den mit Hitler-Deutschland abgeschlossenen Waffenstillstandsvertrag, aber das kümmerte das Regime von Vichy nicht.[12]

Am 16./17. Juli 1942 folgte dann „la rafle monstre“, die Vel d’Hiv-Razzia,  die größte aller Razzien. Auch hier wieder spielte das Gymnase Japy eine entscheidende Rolle als ein erster Sammelpunkt (centre de rassemblement). Bevor nämlich die festgenommenen Juden -diesmal Männer, Frauen und Kinder- entweder nach Drancy oder ins Vel d’Hiv transportiert wurden, fand hier eine Selektion (tri) statt: Grundlage der Razzia war eine Volkszählung von 1940, bei der Informationen über die Juden erfasst wurden. Die auf dieser Grundlage erstellte Liste der zu verhaftenden Juden enthielt allerdings keine speziellen Angaben, die mögliche Ausnahmen von einer Verhaftung betrafen. Dazu gehörten beispielsweise Personen mit nichtjüdischem Ehepartner oder einer offiziellen Anerkennung als Mitglied des französischen Judentums durch die „Union générale des Israélites de France“. Ebenso wurden Frauen mit Kindern unter zwei Jahren oder am Ende ihrer Schwangerschaft  -zunächst- von weiterer Verfolgung verschont. Dies galt auch für Frauen, deren Mann Kriegsgefangener war.[13]

Entsprechende Angaben mussten natürlich oft aufwändig überprüft werden, sodass die Prozedur in den centres de rassemblement wie dem Gymnase Japy sich entsprechend hinzog und eine chaotische, explosive Atmosphäre herrschte. Zumal es hier ganz offensichtlich noch eine letzte Möglichkeit gab, dem zu erwartenden schlimmen Schicksal zu entgehen oder es zumindest den Kindern zu ersparen. So entschied beispielsweise der Verantwortliche im Gymnase Japy, drei kleine Kinder gehen zu lassen, die von der nicht verhafteten Großmutter betreut werden konnten. Der 17-jährige Bruder allerdings musste bleiben, obwohl er französischer Staatsbürger war…  Viele Kinder weinten, Mütter rissen sich die an sie klammernden Kinder vom Leib, um sie wenigstens zu retten. Und dann warteten draußen die Busse, die die Familien bzw. Frauen mit Kindern ins Vel d’Hiv brachten, die anderen in das Lager Drancy. Und schließlich wartete auf alle der Tod in den Gaskammern von Auschwitz.

Bilder davon gibt es nicht. Immerhin hat aber ein deutscher Soldat, Mitglied der Propaganda-Kompanie der Wehrmacht, Fotos von der Razzia des billet vert gemacht, die kürzlich entdeckt wurden und Grundlage einer Ausstellung an den Wänden des Gymnase Japy zum 80. Jahrestag dieser Razzia waren.

Fotos: Wolf Jöckel
Le Gymnase Japy: Ort der Verhaftung          Die Trennung der Familien
Transport der Verhafteten zum Gare d’Austerlitz. Foto: Wolf Jöckel
Am gare d’Austerlitz:  rechts Theodor Dannecker, Leiter des Judenreferats der SD-Dienststelle in Paris,  der Initiator der Razzia. ©Mémorial de la Shoah

Am Tag danach: Die verhafteten Juden wurden in den Lagern Pithiviers oder Beaune-la-Rolande von französischen Gendarmen bewacht.

©Mémorial de la Shoah

Solche Bilder waren in Frankreich lange tabu, wofür der Umgang mit Alain Resnais 1956 entstandenem dokumentarischen Kurzfilm „Nuit et Brouillard“ (Nacht und Nebel) über die Schrecken der Judenvernichtung ein anschauliches Beispiel ist. Der Film wurde für das Festival von Cannes 1956 ausgewählt, fiel dann aber der Zensur zum Opfer: Die Mütze eines französischen Gendarmen in einem der von Vichy eingerichteten Internierungslager musste wegretuschiert werden, was allerdings nicht ausreichte: Auf Druck der deutschen Botschaft in Paris und des französischen Außenministeriums wurde der Film aus dem offiziellen Programm der Filmfestspiele entfernt und konnte nur inoffiziell am Rande gezeigt werden– selbst dort übrigens ohne képi.  Die Originalversion ist erst seit den 1990-er Jahren wieder zu sehen.[14]

2. Das Wintervelodrom/ Vel d’Hiv, der zentrale Ort der „rafle monstre“

Das Wintervelodrom wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut für Radrennen, vor allem die populären 6-Tage-Rennen von Paris, danach umgebaut zu einem Palais des Sports. 1959 wurde es abgerissen. Auf dem Platz, wo es einmal stand, erinnert heute ein Mahnmal an die „Opfer der rassistischen und antisemitischen Verfolgungen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die unter der De-facto-Autorität der sogenannten ‚Regierung des État français‘ von 1940-1944 begangen wurden.“  

Das Denkmal auf der Place des Martyrs Juifs du Vélodrome d’Hiver, Quai de Grenelle, 15. Arrondissement. Die gewölbte Bodenplatte erinnert an die Piste der Radrennbahn. Fotos: Wolf Jöckel

Die große Razzia des Vel d’Hiv wurde minutiös vorbereitet. Vorgegeben wurde von dem Vertreter Himmlers in Paris, dem SS-General Carl Oberg, das Ziel von 40 000 zu verhaftenden Juden im arbeitsfähigen Alter. Der französische Regierungschef hatte dagegen keine Einwendungen. Wenn Frankreich von unerwünschten ausländischen Juden befreit werde, habe das nur Vorteile.[15] Außerdem war Vichy gerade damals an einer engen Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland interessiert: Im Sommer 1942 feierte die Wehrmacht in Nordafrika und an der Ostfront ihre letzten großen Siege und die Regierung des État français wollte sich mit dem voraussichtlichen Sieger zum eigenen Vorteil arrangieren. So war es ganz in ihrem Sinne, die volle Verantwortung für die konkrete Vorbereitung und Durchführung der Razzia  zu übernehmen und ebenso für  die Auswahl der zu Verhaftenden: Juden aus Polen, der Sowjetunion, Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei, für Laval „Abfall“ (déchets), den die Deutschen selbst in Frankreich abgeladen hätten. Federführend waren dabei René Bousquet, Chef der französischen Polizei, und Louis Darquier de Pellepoix, Vorsitzender des Generalkommissariats für Judenfragen unter dem Vichy-Regime. Auch von deutscher Seite war das französische Engagement höchst willkommen, weil die deutsche militärische und administrative Präsenz in Frankreich  damals aufgrund der Anforderungen des Krieges im Osten relativ gering war.

Entschieden wurde, die zu Verhaftenden nicht mehr zu einer angeblichen Überprüfung der Personalien „einzuladen“ wie bei der Razzia des billet vert.  Auf ein solches Täuschungsmanöver wäre 1942 wohl kaum noch jemand hereingefallen. Stattdessen wurden die zur Deportation bestimmten Menschen bei „Nacht und Nebel“ in ihren Wohnungen aufgesucht und festgenommen, und zwar von jeweils 2 Polizeibeamten, einem in Uniform und einem in Zivilkleidung. Die beiden sollten sich nicht kennen, um so zu verhindern, dass unter Umständen die Aktion im stillschweigenden Einverständnis miteinander vertrauter Kollegen unterlaufen werden könnte. Denn dass die Mission nicht einfach werden würde, war auch der Polizeiführung klar: Diesmal sollten ja nicht nur Männer verhaftet werden -von denen viele schon längst seit den Razzien das Jahres 1941 interniert waren-  sondern auch Frauen und Kinder. Jedes Polizei-Tandem erhielt eine Liste mit Adressen, die sie aufzusuchen, und mit den entsprechenden Namen von Juden, die sie zu verhaften und zu einem ersten Sammelpunkt zu bringen hatten, zum Beispiel wieder das Gymnase Japy.  Zur Deportation bestimmte Einzelpersonen wurden dort eingeteilt für einen Weitertransport mit Bussen in das Lager Drancy, Frauen bzw. Familien mit Kindern ins Wintervelodrom.

So bürokratisch penibel die Aktion vorbereitet worden war, die Unterbringung von mehreren tausend Menschen im Wintervelodrom über einen Zeitraum von sechs Tagen war völlig unorganisiert.  Im Inneren des Vel d’Hiv war die Glasabdeckung abgedichtet und blau gestrichen worden, um den Verdunkelungsvorschriften zu entsprechen, wodurch die Temperaturen in der Sommerhitze rasch anstiegen. Tausende von Menschen waren dicht gedrängt in der Halle zusammengepfercht, saßen auf den Tribünenplätzen oder eng an eng auf den Betonstufen.  Für Verpflegung und Schlafmöglichkeiten war nicht gesorgt.  Am schlimmsten waren aber nach übereinstimmenden Angaben von Überlebenden die sanitären Einrichtungen. Ein großer Teil der Toiletten war abgeriegelt, weil sie Fenster zur Straße hin hatten. Die Wartezeit für eine der viel zu wenigen Toiletten betrug eine bis über zwei Stunden. Nach kurzer Zeit aber funktionierten sie überhaupt nicht mehr, die Wasserversorgung brach zusammen. Da den Gefangenen außer dem Roten Kreuz und den Quäkern niemand Nahrung und Wasser zur Verfügung stellte, verschlechterten sich die Lebensbedingungen im Inneren rasch. Die Gefahr von Seuchen war erheblich, zumal auch viele Menschen mit ansteckenden Krankheiten eingeliefert waren und eine medizinische Versorgung ebenfalls völlig unzureichend war: „Ein Schauspiel menschlichen Elends“, wie Robert O. Paxton in seinem Buch über das Frankreich von Vichy schrieb.[16]

© Mémorial de la Shoah / coll. BHVP[17]

Bilder dieses „Hölle der Pariser Juden“[18] gibt es nicht. Weder die deutschen Initiatoren noch die französischen Exekutoren der Razzia hatten ein Interesse daran, entsprechende Bilder zu verbreiten.

Es existiert nur dieses eine, 1990 zufällig von Serge Klarsfeld entdeckte Foto. Es zeigt, vermutlich am Nachmittag des 16. Juli 1942 aufgenommen, mehrere Busse mit abgedeckten Fenstern, die gerade Juden zum Vel d’Hiv gebracht haben. Der Name Vel d’Hiv ist auf der Glasfront über dem Eingang zu erkennen. Das Foto war bestimmt für eine Veröffentlichung in der Collaborations-Zeitung Paris-Midi, mit folgender Erläuterung:

Gestern wurden am frühen Vormittag ausländische Juden aufgefordert, in bereitstehende Autobusse zu steigen, die sie zu einem neuen Bestimmungsort brachten: der Arbeit zweifellos…..

Auf der Rückseite ist von der deutschen Zensur vermerkt , dass das Foto nicht veröffentlicht werden darf: Gesperrt/interdiction

Es gibt aber Bilder, die der 2015 bei dem islamistischen Terroranschlag auf die Zeitschrift Charlie Hebdo ermordete Zeichner Cabu 1967 zur Illustration des Textes von Claude Lévy und Paul Tillard angefertigt hat. Sie werden derzeit (bis zum 7. November 2022) im Mémorial  de la Shoah in Paris  gezeigt.[19]

Ausschnitt einer Zeichnung von Cabu. Foto Wolf Jöckel

Und es gibt Augenzeugenberichte der wenigen Überlebenden und Briefe und Nachrichten, die aus dem Vel d’Hiv oder den Lagern an die Außenwelt gelangten.[20]

Nachfolgend möchte ich Annette Muller, „la petite fille du Vel d’Hiv“,  zu Wort kommen lassen, die nach dem Krieg ihre Lebensgeschichte veröffentlicht hat.  Ihre Eltern stammten aus Galizien und waren auf der Suche  nach einem besseren Leben 1929 nach Frankreich emigriert. Vier Kinder wurden dort geboren, Henri, Jean, Annette und Michel, alle französische Staatsbürger. Die Mutter und die Kinder werden am 16. Juli verhaftet. Da es Gerüchte von einem bevorstehenden „grande rafle“ gab, hatte sich der Vater in Sicherheit gebracht. Rachel, die Mutter, hatte versucht,  auch die Kinder in Sicherheit zu bringen, aber vergeblich. Auch die Concierge lehnte es ab, die Kinder für eine Nacht bei sich aufzunehmen. Am Tag nach der Razzia plünderte sie die Wohnung der Mullers und ließ nichts übrig; außer einem Foto, aufgenommen 1940 von einem deutschen Soldaten, der sich damals mit der Familie, vor allem dem kleinen Michel, angefreundet hatte.[21]

© Radio France – Archive familiale[22]

In der Nacht vom 16. auf den 17. Juli werden Mutter und Kinder verhaftet.

„Plötzlich hörte ich fürchterliche Schläge gegen die Tür. Mit klopfendem Herzen standen wir auf. Das Hämmern erschütterte die Tür und hallte durch das Haus. Es traf mich hart in meinem Herzen, in meinem Kopf. Ich zitterte am ganzen Körper. Zwei Männer traten in das Zimmer, groß, mit beigen Mänteln. ‚Beeilt Euch, zieht Euch an‘, befahlen sie. ‚Wir nehmen Euch mit‘. Plötzlich sah ich, wie meine Mutter sich auf die Knie warf, die Beine der beigen Männer umklammerte, schluchzte, flehte. ‚Nehmen Sie mich mit, aber ich bitte Sie, nehmen Sie nicht meine Kinder.‘  Sie stießen sie mit den Füßen weg. Ich betrachtete meine Mutter. Ich schämte mich. Meine Mutter! So schön, so groß, so stark. Meine Mutter, die sang und lachte, und nun lag sie auf dem Boden, weinend und die beigen Männer anflehend….“

Für Annette tut sich dann ganz unerwartet eine Möglichkeit zur Flucht auf: Die Mutter besteht darauf, sie noch zu kämmen. Aber es findet sich kein Kamm. Da bietet einer der Polizisten an, Annette könne ja nebenan im Kurzwarenladen einen Kamm kaufen. „Er sah mir fest in die Augen: ‚Du kommst aber sofort wieder zurück‘“. Annette geht auf die Straße, sieht die Juden,  die abgeführt werden. „Leute an den Fenstern sahen zu, einige klatschten laut Beifall. Die alte Ladenbesitzerin forderte mich auf, mich zu retten. ‚Geh nicht zurück nach Hause.‘ Aber wohin sollte ich gehen. Ich bezahlte, nahm meinen Kamm und rannte zurück zu meiner Mutter und meinen Brüdern.“

Im „centre de tri“ des Viertels, dem Bellevilloise, gelingt es der Mutter, die beiden älteren Söhne einer Nachbarin anzuvertrauen, die als Frau eines Kriegsgefangenen unter die Ausnahmeregelung fällt und die die beiden Buben als ihre Kinder ausgibt.[23]

Danach werden Rachel, Annette und Michel  mit einem Autobus in das Vel d’Hiv gebracht. Die ersten Eindrücke der Kinder: Michel ist beeindruckt von dem Eiffelturm, den er bisher nur von Ménilmontant aus ganz klein gesehen hatte. „Je l’avais jamais vue aussi grande, c’était immense“. Und Annette findet, dass der Eingang zum Vel d’Hiv dem des Cirque d’Hiver ähnelt, wo sie ein Jahr zuvor mit ihrer Mutter Schneewittchen und die sieben Zwerge gesehen hatte…

Dann innen:

„Wir waren auf den Stufen untergekommen, dicht an dicht mit anderen Leuten, den Kopf auf die Kleiderbündel oder Koffer gestützt. Unten, bei den Kabinen, sah man wild gestikulierende Menschen. Man hörte ein Stimmengewirr … und sah das ununterbrochene,  chaotische Hin und Her der Menschenmassen auf den Stufen. Und mitten in diesem Lärm wurden den ganzen Tag mit Lautsprechern Namen gerufen. Man sagte, das würde die bevorstehende Freilassung bedeuten. ‚Wir sind Franzosen, man kann uns nicht hier behalten‘, und sie waren voller Hoffnung, den Hals zu den ohrenbetäubenden Lautsprechern gereckt.“ …

 „Michel und ich wollten zu den Toiletten gehen. Aber es war unmöglich hinzukommen und wir mussten uns, wie die anderen auch, da erleichtern, wo wir waren. Alles war voll mit Pisse und Scheiße. Ich hatte Kopfweh, alles drehte sich, die Schreie, die grellen herunterhängenden Lampen, die Lautsprecher, der Gestank, die erdrückende Hitze.“ ….

„Es gab nichts mehr zu essen und zu trinken. Eines Tages kamen Frauen mit einem blauen Schleier um den Kopf und verteilten Essen. Inmitten von Schreien und de la bousculade gab man uns eine Madeleine und eine Sardine in Tomatensoße. Ich knabberte an der gewölbten Spitze der Madeleine und ließ die zuckerhaltigen Krümel langsam in meinem Mund zergehen. Ich aß die Sardine, indem ich zuerst die Tomatensoße ableckte. Das war wunderbar. Ich kann mich nicht daran erinnern, etwas anderes im Vel d’Hiv gegessen zu haben. Nichts anderes. Danach hatten wir großen Durst. Die Lippen und die Zunge waren ausgetrocknet, aber es gab nichts zu trinken.“

Immerhin gab es einige Feuerwehrleute, die Mitleid mit den Eingeschlossenen hatten, und sie mit ihren Spritzen abkühlten und mit Wasser versorgten.

Schließlich wird Annette Muller mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in das Internierungslager Beaune-la-Rolande gebracht. Ihrem Vater gelingt es, mit Geld und guten Beziehungen die Befreiung Annettes und ihres Bruders zu erwirken, die dann von Ordensschwestern in Sicherheit gebracht und geschützt werden. Sie gehören zu den wenigen Kindern, die die Hölle des Vel d’Hiv und der Lager überlebt haben.

Heute erinnert eine Gedenktafel am Haus rue de l’avenir Nummer 3 im 20. Arrondissement an Rachel Muller und ihre vier Kinder, die am 16. Juli 1942 von der französischen Polizei verhaftet wurden. Für Rachel Muller führte die „Straße der Zukunft“ in den Tod: Sie wurde von ihren Kindern getrennt, deportiert und in Auschwitz ermordet.[24]

Trotz der intensiven Vorbereitung und engmaschigen  Durchführung war die Razzia des Veld d’Hiv nicht so „erfolgreich“, wie es die deutschen Initiatoren und ihre französischen Handlanger erwartet hatten.[25] Insgesamt wurden nach offiziellen Angaben 12 884 Personen verhaftet: 8 833 Personen über 16 Jahre (5 802 männlich, 3031 weiblich), dazu 4051 Kinder. Die „Erfolgsquote“ der Operation betrug damit etwa ein Drittel bezogen auf die Ziele.[26] (Kaum vorstellbar, wie die ohnehin schon katastrophalen Bedingungen im Vel d’Hiv gewesen wären, hätte man so viele Menschen wie geplant verhaftet und dort eingeschlossen!).  Dass immerhin etwa zwei Drittel der zur Verhaftung vorgesehenen Juden ihrem vorgesehenen Schicksal (jedenfalls vorerst) entgehen konnten, hat wohl ganz vielfältige Gründe: Vor allem führte die große Zahl der bei der Aktion involvierten Personen dazu, dass da und dort auch gezielt Informationen weitergegeben wurden [26a] oder Gerüchte durchsickerten. Das kann auch eine Erklärung dafür sein, dass weniger Männer gefasst wurden als Frauen -abgesehen davon, dass viele Männer ja schon bei den Razzien von 1941 verhaftet worden waren: Dass diesmal auch Frauen  und Kinder betroffen sein könnten, konnten sich die meisten wohl nicht vorstellen. Eine wichtige Rolle spielte auch das unterschiedliche Engagement der Polizei-Tandems. Da gab es besonders ehrgeizige und von ihrer Mission überzeugte, aber auch andere, die mal „ein Auge zudrückten“.  Die konnten zwar auch nicht am Ende „mit leeren Händen“ vor ihren Vorgesetzten erscheinen; wenn sie aber schon einige Verhaftungen vorgenommen hatten, gab es einen gewissen Spielraum für Menschlichkeit.

Die fanatischen Agenten der „Endlösung“ konnten sich mit dem für sie enttäuschenden Ergebnis natürlich nicht zufriedengeben: Nach dem 16. Juli gab es deshalb noch 15 weitere Verhaftungsaktionen der Pariser Polizei, die letzte am 3./4. Februar 1944. Da wurden dann auch in kriegswichtigen Betrieben arbeitende Juden nicht mehr ausgespart. Am 31. Juli 1944, fast 8 Wochen nach der Landung der Alliierten in der Normandie, verließ der letzte große Konvoi nach Auschwitz, der 77., den Bahnhof von Bobigny: Da hatte die Exekution der „Endlösung“  Vorrang vor dem schon längst illusionären Glauben an den „Endsieg“.

Die Razzia des Vel d’Hiv und der schwierige Umgang mit der französischen Verantwortung

Frankreich hat sich allerdings sehr schwer getan mit diesem „Symbol des Dramas der Juden während der Besatzung“. „Il a pendant longtemps été tenu à l’écart du récit national“, wie die Zeitung La Croix anlässlich des 80. Jahrestages schreibt.[27]. Vor allem wegen der entscheidenden Rolle der französischen Polizei und wegen der auf französische Initiative zurückgehenden Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen, gewissermaßen einem  Akt vorauseilenden Gehorsams. Die Nazis hatten ja  zunächst gefordert, dass Männer und Frauen im arbeitsfähigen Alter verhaftet werden  sollten. Die französische Regierung war aber daran interessiert, dass auch die Kinder der zu Verhaftenden einbezogen  werden sollten. Der Pariser Juden-Jäger Theodor Dannecker fasste die Position des Vichy-Regierungschefs Laval in den schrecklichen Worten „Les enfants aussi“ (Auch die Kinder!) zusammen. Auf dieser Linie lag auch der berüchtigte Satz des Schriftstellers Robert Brasillach vom Juli 1942: «Débarrassez-nous des juifs en bloc, et surtout n’oubliez pas les petits». (Schafft uns die Juden vom Hals, ausnahmslos, und vor allem vergesst nicht die Kleinen).

Die französische Regierung und auch die Polizei als die Exekutanten der Razzia sahen viele Vorteile in der Einbeziehung von Kindern:

  • Auf diese Weise erhöhten sich die Chancen, die Bilanz der Razzia zu „verbessern“ und den deutschen Vorgaben von 40 000 zu verhaftenden Juden näher zu kommen.
  • Der Chef der Vichy-Polizei, René Bousquet, wollte unbedingt einen kirchlichen Protest vermeiden. Er versprach deshalb dem Pariser Erzbischof und Vichy-Sympathisanten Suhard, die Familien gemeinsam zu verhaften und zu deportieren.
  • Die Trennung der Familien sollte besser nicht unter den Augen der Pariser Öffentlichkeit stattfinden. Die Razzia sollte so den zynischen Anschein einer „déportation familiale“ erhalten. Für die Kinder war damit allerdings ein sonst vielleicht noch möglicher Ausweg versperrt.

Heute erinnert ein Garten auf dem Gelände des ehemaligen Wintervelodroms ( 7 rue Nélaton) an die Kinder des Vel d’Hiv.

 Er wurde 2017 aus Anlass des 75. Jahrestags der Razzia auf Initiative von Serge Klarsfeld und der jüdischen Gemeinde geschaffen.

Auf einer Mauer der Erinnerung sind die Namen und das Alter der damals verhafteten und dann deportierten Kinder verzeichnet. Nur sechs dieser Kinder und Jugendlichen haben überlebt.[28]

Für das nach dem Krieg gepflegte Idealbild eines weitgehend im Widerstand geeinten Frankreich waren der originäre Antisemitismus des Vichy-Regimes und die bereitwillige Beteiligung französischer Behörden und vor allem der Polizei an den Judenpogromen eine schwer erträgliche Provokation. In Geschichtsdarstellungen und Schulbüchern der Nachkriegszeit wurde deshalb gerne die Razzia des Vel d’Hiv als eine Aktion der „autorités nazis“ dargestellt und die Rolle der französischen Polizei  verschwiegen.[29]

1946 war am Vélodrome d’Hiver eine Gedenktafel angebracht worden zur Erinnerung an die jüdischen Männer,  Frauen und Kinder, die am 16. Juli 1942 hier „auf Befehl der Nazi-Besatzer“ (sur l’ordre  de l’occupant nazi) versammelt und festgehalten wurden, bevor sie „voneinander getrennt nach Deutschland in die Vernichtungslager deportiert wurden.“

Die Stunde war noch nicht gekommen, so dazu Laurent Joly (S. 305), öffentlich die französischen Komplizen der großen Razzia anzuprangern. Da wären unweigerlich die Pariser Polizisten ins Blickfeld geraten, die doch als „Helden“ der Befreiung gefeiert wurden.

1967 erschien das Buch über „La Grande Rafle du Vel d’Hiv“ von Claude Lévy und Paul Tillard, das nach den Worten von Laurent Joly wie eine Bombe einschlug.

Die Bartholomäusnacht der Pariser Juden. Banderole der Originalausgabe des Buches von Lévy und Tillard

Das Buch spielte eine herausragende Rolle bei der öffentlichen Wahrnehmung der historischen Verantwortung von Vichy für die Deportation von Juden, wurde dann aber bald von der Revolte von 1968 in den Hintergrund gedrängt.

Als Anette Muller 1976 eine erste Kurzfassung ihrer Erinnerungen an verschiedene Verlage schickte, erhielt sie nur Absagen. Tenor: „Ça n’intéresse personne“- das interessiert doch niemanden.  Man habe damals, wie sie 2010 bei der Vorstellung ihres nun endlich publizierten Buches im Mémorial de la Shoah bitter bemerkte, nur von der Résistance gesprochen.  („On ne parlait que de la résistance“.)   Davon, dass sie am 16. Juli 1942 von französischen Gendarmen verhaftet wurde, habe man eher nicht sprechen wollen….

Erst 1995, am 53. Jahrestag der Razzia des Wintervelodroms, erkannte der damalige Präsident Jacques Chirac die Beteiligung Frankreichs an der Deportation der Juden an, und zwar in einer außerordentlichen –und wie man sagen muss: mutigen-  Rede,  vergleichbar vielleicht am ehesten mit dem historischen Kniefall Willy Brandts in Warschau.[30]

Die Wahrheit sei, so Chirac damals, dass das  Verbrechen in Frankreich von Frankreich begangen worden sei („le crime fut commis en France par la France“[31]), auch gegen die Werte und Ideale, für die Frankreich stehe.  Chirac brach damit ein Tabu, das noch in der Tradition de Gaulles von seinem sozialistischen Vorgänger François Mitterrand gepflegt wurde. Mitterrand hatte es stets vermieden,  eine Mitverantwortung Frankreichs anzuerkennen, das er durch das mit den Nationalsozialisten kollaborierende Vichy-Regime  nicht repräsentiert sah, sondern allein durch die in  London ansässige Exil-Regierung des Generals de Gaulle. Noch 1992, anlässlich des  50. Jahrestags der Razzia des Vel d‘Hiv, hatte Mitterrand in seiner Rede betont, man könne „von der Republik keine Rechenschaft verlangen, sie hat getan, was sie musste.“ Die Republik, so die damals gängige Überzeugung, sei das erste Opfer von Vichy gewesen, trage deshalb keinerlei Verantwortung.[32]

Die gegensätzlichen Positionen zur Vel d’Hiv-Razzia bestehen bis heute weiter. Präsident Macron hat sich dabei sehr eindeutig in die Reihe seiner Vorgänger Chirac und Hollande gestellt, die ohne wenn und aber die Verantwortung Frankreichs betont haben. In seiner ersten Rede als neu gewählter Präsident zum Jahrestag der Razzia stellte er 2017 fest, es sei Frankreich gewesen, das die Razzia und die nachfolgenden Deportationen organisiert habe und damit Verantwortung trage für den Tod der meisten damals aus ihrem Leben gerissenen Menschen.[33]

Emmanuel Macron am 16. Juli 2017 vor der Erinnerungstafel für die Opfer der Razzia.  10, boulevard de Grenelle. ©Sipa[34]  
Am 16. und 17. Juli 1942 wurden 13152 Juden in Paris und Umgebung verhaftet, deportiert und in Auschwitz ermordet. In dem Wintervelodrom, das hier stand, wurden 4115 Kinder, 2916 Frauen und 1129 Männer auf Befehl der Nazi-Besatzer von der Polizei der Vichy-Regierung unter unmenschlichen Bedingungen zusammengepfercht. Dank denen, die versucht haben, ihnen zu helfen.
Foto: Wolf Jöckel

Die extreme Rechte beharrt aber darauf, dass Frankreich keine Verantwortung für die Razzia habe. Zemmour,  rechtsradikaler Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2022, stellte im Dezember 2021 fest, Frankreich habe „keinerlei Verantwortung für die Razzia des Vel d’Hiv“. Und er vertrat die alte These der Pétainisten von der angeblichen Schutzschildrolle des État français von Vichy[35]:  Ihm sei es zu verdanken, dass die überwiegende Mehrheit der französischen Juden gerettet worden sei – im Gegensatz zu anderen besetzten Ländern wie Belgien, Holland, Polen, Jugoslawien, der Tschechoslowakei und Deutschland. Für Zemmour ist die Rede von Jacques Chirac ein Fehler gewesen.[36]  Und Marine Le Pen beruft sich süffisant auf François Mitterrand und andere Politiker von links und rechts, die wie sie keinen Anlass sehen, dass sich Frankreich zu entschuldigen habe. In diese Kerbe hieb übrigens 2017 auch Jean-Luc Mélenchon in seiner Kritik an der Rede Macrons: Mit seiner Anerkennung der Verantwortlichkeit Frankreichs für die Razzia des Vel d’Hiv habe dieser in einer „maximalen Intensität“ eine Schwelle überschritten. „Vichy ce n’est pas la France“ und Frankreich sei nichts anderes als seine Republik. Die Jerusalem Post titelte damals, Extremisten von rechts und links würden gemeinsam die Geschichte deformieren…[37]

Laurent Jolys große, aktuelle und überaus empfehlenswerte Monographie über „La Rafle du Vel d’Hiv“ endet mit den Worten:

„Quatre-vingts ans après, la grande rafle résonne toujours douloureusement comme l’un des événements les plus terribles et les plus difficiles à apréhender de notre  histoire contemporaine.“ (S. 311) [38]

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Benutzte/Weiterführende Literatur:

Philippe Burrin,  La France à l’heure allemande (1940-1944). Paris: Seuil

Jacques Semelin,  Das Überleben von Juden in Frankreich 1940-1944. Mit einem Vorwort von Serge Klarsfeld. Aus dem Französischen übersetzt von  Susanne Witteck. (Siehe dazu das Interview mit Jacques Semelin: https://www.sciencespo.fr/research/cogito/home/la-survie-des-juifs-en-france-1940-1944/ )

Serge Klarsfeld, Vichy- Auschwitz. Le rôle de Vichy dans la solution finale de la question juive en France, Band 1: 1942; Band 2: 1943-1944. Paris 1983 und 1985  (Diese Bücher sind eine nach wie vor grundlegende Pionierarbeit über „die Rolle von Vichy bei der Endlösung der Judenfrage in Frankreich“.)

Kersten Knipp, Tortur im Vel d’Hiv. Die große Pariser Razzia vom Juli 1942. In: ders, Paris unterm Hakenkreuz. wbg 2020, S. 222ff

Robert O. Paxton, La France de Vichy 1940-1945. Paris: Édition du Seuil 1973 (Es war ein amerikanischer Historiker, der es zum ersten Mal den originären Antisemitismus von Vichy  ins Blickfeld rückte).

Annette Müller, La petite fille du Vel d’Hiv. Paris: Hachette 2012. Livre de Poche Jeunesse

Laurent Joly, La Rafle du Vel d’Hiv. Paris juillet 1942.  Paris: Éditions Grasset 2022. (Eine umfassende, auf intensiver Quellenarbeit beruhende Darstellung.  Siehe dazu auch: « La Rafle du Vel d’Hiv. Paris, juillet 1942 », de Laurent Joly : une magistrale lecture des événements (lemonde.fr) und: Marc Zitzmann, Gefordert waren Erwachsene, doch auch Kinder wurden deportiert. Judenverfolgung im besetzten Paris: Laurent Jolys umfassende Darstellung der Refle du Vel d’Hiv ergänzt und korrigiert ältere Beschreibungen. In: FAZ vom 16. Juli 2022, S. 10

Claude Lévy/ PaulTillard, La Grande Rafle du Vel d’Hiv. Paris: Éditions Tallandier 2020. Siehe dazu: Joly S. 16/17 und 308

Zur französischen Judenpolitik Vichys siehe: https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2012_3_3_bruttmann.pdf


Anmerkungen

[1]  Bei Laurent Joly, La Rafle du Vel d’Hiv, S. 11 finden sich folgende genaue Angaben: Danach wurden 12 884 Personen am 16./17. Juli verhaftet. 4900 wurden direkt in das Internierungslager Drancy gebracht, 8000 ins Wintervelodrom. Entsprechende Zahlenangaben in einer Information des Mémorial de la Shoah (Rundmail vom  18.5.2022)  Der im Titel verwendete Ausdruck ist übernommen von: https://www.deutschlandfunk.de/ein-dunkles-kapitel-franzoesischer-geschichte-100.html Dort ist allerdings fälschlicherweise nur von „über 1200“ verhafteten Juden die Rede.

Der Ausdruck „Bartholomäusnacht der Pariser Juden“ stammt von dem Umschlag der Originalausgabe des Buches von Lévy/Tillard, „La grande rafle du Vel d’Hiv“ von 1967. Die entsprechende Abbildung unten im Text.

[2] Rundmail des Mémorial de la Shoah vom 18.5.2022; entsprechend Serge Klarsfeld im Vorwort zu Anette Muller, La petite fille du Vel d’Hiv, Éditions Cercil 2009:  „La page la plus noire de  l’histoire de France“

[3] Siehe Laurent Joly S. 13

[4] So u.a.  1997 der damalige französische Ministerpräsident Lionel Jospin. https://information.tv5monde.com/info/vel-d-hiv-le-temoignage-d-une-enfant-rescapee-3612

[5] Jean-Marie Dubois und Malka Marcovich,  Les bus de la honte. Éditions Tallandier, 2016

[6] Siehe dazu z.B. Jochen Guckes, Le rôle des chemins de fer dans la déportation des Juifs de France

In:  Revue d’Histoire de la Shoah 1999/1 (N° 165), S. 29 bis 110  https://www.cairn.info/revue-revue-d-histoire-de-la-shoah1-1999-1-page-29.htm

[7] Als „un crime français“ wird die Razzia im Titel einer 8-teiligen Serie von France culture bezeichnet. https://www.radiofrance.fr/franceculture/podcasts/serie-la-rafle-du-vel-d-hiv-recits-d-un-crime-francais

https://www.la-croix.com/France/rafle-vel-dhiv-programme-commemorations-80e-anniversaire-juifs-shoah-2022-07-15-1201225008

[8] In Bobigny wird derzeit daran gearbeitet, das weitgehend noch im ursprünglichen Zustand erhaltene Gelände des Bahnhofs zu einem lieu de  mémoire zu gestalten, das seinem historischen und symbolischen Wert entspricht.

[9] Zu den Erinnerungstafeln zur Zeit von 1939 -1945 im Allgemeinen und denen im 11. Arrondissement im Besonderen siehe  den Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2019/08/25/erinnerungstafeln-zu-der-zeit-von-1939-bis-1945-in-paris-enfants-de-paris-1939-1945/

[10] Die Regierung Daladier hatte 1938 die gesetzliche Voraussetzung dafür geschaffen, dass eingebürgerten Juden die französische Staatsangehörigkeit entzogen werden konnte, wovon Vichy dann ausgiebig Gebrauch machte.

[11] Siehe dazu: Serge Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 19 etc  

[12] Zu beiden Razzien siehe Joly, La Rafle du Vel d’Hiv, S. 40ff

Dazu kam dann noch die sogenannte „rafle des notables“ vom 12. Dezember 1941, als 743 jüdische Unternehmer, Ärzte, Rechtsanwälte, Intellektuelle in einer Aktion von Gestapo und französischer Polizei verhaftet wurden. Die meisten wurden 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

[13] Das offizielle Rundschreiben der Préfecture de Police vom 13. Juli 1942  mit der Angabe aller zu verhaftenden Personen und allen Ausnahmen: https://www.maitre-eolas.fr/public/Circulaire_rafle.PDF

[14] Henry Rousso, Le syndrome de Vichy Paris: Éditions du Seuil 1987, S.244/245

[15] Zur Vorbereitung der Razzia siehe Laurent Joly, La Rafle du Vel d’Hiv, S. 53f

[16]Ce spectacle de la misère humaine“  – verbunden mit folgendem Zusatz: „ contre quoi s’insurge formellement la hiérarchie catholique“. La France de Vichy, S. 178. Auf die Rolle der katholischen Kirche einzugehen würde hier allerdings zu weit führen.

[17] Bildquelle und Interpretation: Alexandre Sumpf, « Le Vel d’Hiv, invisible et inoubliable », Histoire par l’image.  Februar 2022 https://histoire-image.org/etudes/vel-hiv-invisible-inoubliable  

[18] Schlagzeile der Zeitschrift Le Nouveau Candide, die 1967 Auszüge des Buches von Levy und Tillard veröffentlichte.

[19] https://1942.memorialdelashoah.org/exposition-cabu-dessins-de-la-rafle-du-vel-dhiv.html?

Siehe dazu auch: Frédéric Potet, La rafle du Vél d’Hiv vue à travers la plume de Cabu. In: Le Monde, 3./4. Juli 2022

[20] Sie die aktuelle Ausstellung in der Außenstelle Drancy des Mémorial de la Shoah: C’est demain que nous partons. Lettres d’internés, du Vel d’Hiv à Auschwitz. (27. März bis 22. Dezember 2022). https://expo-lettresdinternes-veldhiv-auschwitz.memorialdelashoah.org/

Siehe auch die Serie von France culture: La rafle du Vel d’Hiv, récits d’un crime français

https://www.radiofrance.fr/franceculture/podcasts/serie-la-rafle-du-vel-d-hiv-recits-d-un-crime-francais

[21] Annette Muller, La petite-fille du Vel d’Hiv, S. 65ff  und: https://www.radiofrance.fr/franceculture/podcasts/les-nuits-de-france-culture/annette-muller-j-ai-vu-ma-mere-se-jeter-aux-pieds-des-policiers-pleurer-supplier-qu-on-laisse-ses-enfants-1948380

[22] Bild aus:  https://www.radiofrance.fr/franceculture/la-rafle-du-vel-d-hiv-racontee-par-annette-muller-deportee-a-9-ans-4443255

[23] Siehe den Bericht von Michel Muller, dem Bruder Annettes https://www.challenges.fr/ap/la-rafle-du-vel-d-hiv-dans-les-yeux-d-un-enfant-juif_276113

[24] Les Enfants de Paris, S. 1048 http://a06.apps.paris.fr/a06/jsp/site/plugins/odjcp/DoDownload.jsp?id_entite=22335&id_type_entite=6

[25] Siehe dazu den Abschnitt „Résultat médiocre“ bei Lévy/Tillard, S. 99ff

[26] Daten und ihre Interpretation bei Joly, La Rafle du Vel d’Hiv, S. 153 ff

[26a] Siehe zum Beispiele: Benoît Hopquin, Le policier a dit à ma mère: „Ne dormez pas chez vous, il y aura une rafle demain.“ Le Monde 9. Juli 2022

[27] Laurent Joly, La Rafle du Vel d’Hiv, S. 17; Margot Barberousse, Rafle du Vel d’Hiv, les chemins de la mémoire. In: La Croix vom 15.7.2022

[28] https://www.paris.fr/lieux/jardin-memorial-des-enfants-du-vel-d-hiv-19791

Derzeit gibt es im Mémorial de la Shoah Paris und im Marais-Viertel eine Ausstellung des Straßenkünstlers C 215 mit Portraits ermordeter jüdischer Kinder: https://www.memorialdelashoah.org/evenements-expositions/expositions/expositions-temporaires/exposition-11-400-enfants-portraits-par-c215.html/c215

[29] Siehe dazu auch das von Claude Lévy nach dem Tod von Paul Tillard geschriebene Kapitel „du Vel d’Hiv à la Shoah“, S. 214 ff. Lévy nennt dort als Beispiel die Gedenktafel an einer Schule in Saint-Ouen, wo an die 600 Einwohner der Stadt erinnert wird, die am 16. Juli 1942 „par les troupes allemandes d’occupation“ verhaftet worden seien. (S.219)

[30] Bild aus: https://www.europe1.fr/politique/discours-du-veldhiv-de-jacques-chirac-ce-jour-la-les-vannes-se-sont-ouvertes-temoigne-une-rescapee-3921937

[31]  Wortlaut der Rede: https://www.lefigaro.fr/politique/le-scan/2014/03/27/25001-20140327ARTFIG00092-le-discours-de-jacques-chirac-au-vel-d-hiv-en-1995.php

Bilddokument: https://www.youtube.com/watch?v=uzyW53KsZF4

[32]https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article108367331/Ein-Verbrechen-in-und-von-Frankreich.html

Laurent Joly zitiert folgende Aussage von Mitterand: „Non, non. La République n’a rien à voir avec cela. Et j’estime moi, en mon âme et conscience, que la France non plus n’en est pas responsable, que ce sont des minorités activistes qui on saisi l’occasion de la  défaite pour s’emparer du pouvoir et qui sont  comptables de ces crimes-là, pas la République, pas la France. Et donc, je ne ferai pas d’excuses au nom de la France.“ (S. 309)

Siehe dazu auch:  https://www.franceculture.fr/emissions/robert-badinter-se-raconte-dans-memorables/robert-badinter-1315

[33] Vél‘ d’Hiv‘ : Macron dans les pas de Chirac (lefigaro.fr)

[34] Le discours de Macron au Vel d’Hiv critiqué par Mélenchon et par l’extrême droite (lejdd.fr)

[35] siehe Paxton, La France de Vichy, S. 338/9

[36] Zitate aus:  Le Parisien vom 10. Dezember 2021 und aus: https://twitter.com/franceinter/status/1490594446114709514?lang=de  (7.2.2022) Zu Zemmours Umdeutung der Geschichte siehe:  Laurent Joly, La falsification de l’Histoire: Eric Zemmour, l’extrême droite, Vichy et les juifs Paris: Grasset 2022 und: Zemmour contre  l’histoire. Paris: Gallimard 2022

[37] Le discours de Macron au Vel d’Hiv critiqué par Mélenchon et par l’extrême droite (lejdd.fr)

https://www.jpost.com/edition-francaise/politique/quand-les-deux-extr%C3%AAmes-de-droite-comme-de-gauche-d%C3%A9forment-lhistoire-509802 Kurz davor allerdings hatte Melenchon noch eine andere Position vertreten, indem er -in seiner Kritik an Marine Le Pen- kurz und bündig festgestellt hatte, Frankreich habe sich schuldig gemacht, nicht aber die Republik…. („La République française n’est pas coupable mais la France l’est“)    Siehe u.a.: https://www.lefigaro.fr/politique/le-scan/2017/07/18/25001-20170718ARTFIG00260-sur-la-rafle-du-vel-d-hiv-les-contradictions-de-jean-luc-melenchon.php  

[38] Ein trauriges Beispiel für die Debattenkultur aus Anlass des 80. Jahrestags der Vel d’Hiv Razzia ist ein Tweet der LFI-Fraktionsvorsitzenden in der Assemblée Nationale:

« Il y a 80 ans, les collaborationnistes du régime de Vichy ont organisé la rafle du Vél‘ d’Hiv. Ne pas oublier ces crimes, aujourd’hui plus que jamais, avec un président de la République qui rend honneur à Pétain et 89 députés RN », a écrit Mathilde Panot sur Twitter, samedi 16 juillet. En 2018, Emmanuel Macron avait qualifié le maréchal Pétain de ‚grand soldat‘ durant la Première Guerre mondiale, avant qu’il de ‚conduise des choix funestes‘.“ Le Point vom 17.7.2022