Die Fontänen im Park von Versailles sind ein unerschöpfliches Thema. Immerhin gab es zu Zeiten des Sonnenkönigs über 1200 davon. Auch wenn es heute nicht mehr so viele sind, werde ich mich hier auf einige Aspekte beschränken (müssen). Im ersten Teil des nachfolgenden Textes möchte ich an einigen Beispielen zeigen, auf welche Weise Fontänen und Brunnen des Parks dazu dienten, den Ruhm des Sonnenkönigs zu mehren und eine Mahnung an seine Untertanen –vor allem natürlich an den am Hof von Versailles versammelten Adel – und die nach Versailles pilgernden Repräsentanten fremder Mächte zu Wohlverhalten waren. Dazu wird es einige konkrete Informationen über die heutigen regelmäßigen Wasserspiele (les grands eaux) geben, bei denen man die Brunnen und Fontänen im „Betrieb“ bewundern kann.
In drei späteren Teilen möchte ich zeigen, inwiefern die Fontänen von Versailles Ausdruck absolutistischen Größenwahns waren. Denn –anders als beispielsweise bei den spektakulären Wasserspielen von Kassel, dem „hessischen Versailles“[1]– waren in dem französischen Vorbild Versailles die topographischen Verhältnisse in keiner Weise für eine einigermaßen kontinuierliche Versorgung der Fontänen geeignet. Für den absolutistischen Herrscher, der nicht nur seine Untertanen und Europa beherrschen wollte, sondern auch die Natur, war das eine Herkules- Aufgabe, an der er aber trotz grandioser und geradezu pharaonischer Bemühungen ebenso grandios scheiterte. Wenn Ludwig XIV. durch seinen geliebten Park wandelte und sich an den sprudelnden Brunnen und emporsteigenden Fontänen erfreuen wollte, wurde er von Brunnenmeistern begleitet, die die Anlagen vor ihm rechtzeitig in Betrieb nahmen und die Anlagen hinter ihm ausschalteten. Darüber im zweiten und dritten Teil des Berichts mehr.
Der zweite Teil ist im April 2019 in den Blog eingestellt worden: Die Fontänen von Versailles (2): Ausdruck absolutistischen Größenwahns
https://paris-blog.org/2019/04/01/die-fontaenen-von-versailles-2-ausdruck-absolutistischen-groessenwahns/
Im dritten Teil wird es um die gescheiterte Umleitung des Flusses Eure gehen, an die noch das grandiose Aquädukt von Maintenon erinnert. Den Abschluss wird dann die Maschine von Marly bilden, die grandiose Pumpstation an der Seine, die ebenfalls dazu dienen sollte, die Brunnen von Versailles mit Wasser zu versorgen. Dieser Teil wird allerdings noch etwas auf sich warten lassen, weil ich darin auch das Museum von Marly einbeziehen möchte, das immer noch auf seine Neueröffnung wartet. (Stand April 2020; eigentlich war die Neueröffnung für Herbst 2019 angekündigt). http://www.musee-promenade.fr/
Die Fontänen von Versailles: Verherrlichung des Sonnenkönigs und seiner Macht
„Das ganze riesige Gesamtkunstwerk von Versailles“ ist, wie Hans Sedlmayr erläutert hat, „einer einzigen übergreifenden Allegorie unterstellt. Versailles ist „der Ruheort der Sonne“, des Helios/Apollo, der hier von seinen Taten ausruht. Und die Sonne ist nach der dem barocken Menschen durchaus geläufigen Devise ‚Quod sol in coelis id rex in terra‘ (Was die Sonne im Himmel ist, ist der König auf der Erde. W.J.) allegorisches Sinnbild des Königs, hier in Versailles ganz konkret des „roi-soleil“ , des Sonnenkönigs.[2] Diese allegorische Verbindung von Sonne und König ist nicht erst in Versailles allgegenwärtig, sondern prägte von früh an das Leben des jungen Königs.
Ein schönes Beispiel dafür ist das „Ballet de la nuit“ von 1653, in dem der Auftritt des tanzbegeisterten jungen Louis von seinem Bruder so angekündigt wurde:
Le Soleil qui me suit c’est le jeune Louis.
La troupe des astres s’enfuit,
Dès que ce grand Roi s’avance.
Und die Rolle, die der junge Ludwig XIV. hier spielte, war -wie hätte es auch anders sein können- die des Sonnengottes Apoll.[3]
Im Schloss von Versailles war denn auch der Salon des Apoll der eigentliche Thronsaal, dessen großartige Ausstattung die der anderen Salons noch übertraf. Kostbare Marmorstatuen und Gemälde von Rubens und van Dyck schmückten den Salon. Und auf einem silbernen Thron empfing Ludwig XIV. dort ausländische Botschafter oder nahm zu feierlichen Anlässen Platz. (3a)
Natürlich ist Apoll auch im Park des Schlosses allgegenwärtig. Eine Nachbildung des berühmten Apoll von Belvedere hat natürlich einen Ehrenplatz vor der dem Park zugewandten Seite des Schlosses unterhalb des Spiegelsaals. Die „göttliche Schönheit“ dieses Apoll war für Winckelmann „das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums“.[6]Das war dem „Sonnenkönig“ angemessen.
Im Park beziehen sich zahlreiche Brunnen auf Apoll und dienen der Verherrlichung des Sonnengottes und damit auch des Sonnenkönigs. Es sind dies vor allem der zentrale Apollo-Brunnen und die aus der Thetis-Grotte hervorgegangenen Bäder des Apoll. In ihnen wird der seinen täglichen Lauf um die Erde beginnende und sich schließlich am Abend ausruhende Apoll thematisiert.
Hier ein Link zum offiziellen Plan des Parks:
http://www.chateauversailles.fr/sites/default/files/domaine_2011.pdf
Den Plan gibt es in aktueller Form auch kostenlos im Tourismusbüro der Stadt Versailles. Es liegt auf der linken Seite der Avenue de Paris, die direkt auf das Schloss hinführt.
Die bei den nachfolgenden Darstellungen genannten Nummern beziehen sich auf diesen Plan.
a. Der Apollo-Brunnen
Es ist nur konsequent, dass sich im Zentrum der gesamten Parkanlage der Apollo-Brunnen befindet. (Plan des Parks Nummer 9). Er liegt genau auf der durch die „königliche Allee“ betonten Achse zwischen dem Zentrum des Schlosses und dem Großen Kanal (Grand Canal). Zentrum des Schlosses ist auf der Gartenseite der Spiegelsaal, aus dem heraus das nachfolgende Foto aufgenommen ist.[4]
Zur Zeit Ludwigs XIII. gab es hier schon ein Wasserbecken, das aber unter dem Sonnenkönig zu einer repräsentativen Anlage umgestaltet wurde: Geschmückt mit den vergoldeten Figuren des Apoll auf seinem Wagen.
Die Verklärung des Königs erreicht hier ihren Höhepunkt. Der Sonnengott Apoll ist gerade dabei, sich dem Schloss von Westen triumphal zu nähern und zu seiner täglichen Weltumrundung aus dem Wasser zu steigen, womit auch der Anspruch auf Weltherrschaft allegorisch ausgedrückt sein könnte.[5] Und natürlich wird das Ganze durch eine Fülle spektakulärer Fontänen effektvoll in Szene gesetzt.
b. Les Bains- d’Apollon
Kaum weniger spektakulär ist der bosquet des Bains-d’Apollon (Plan des Parks Nummer 21). Auch sein Zentrum ist Apollo. Nach seinem Lauf um die Welt ruht der Sonnengott in der Grotte der schönen Thetis und wird von ihren fünf Nymphen verwöhnt.
Ursprünglich hatte die Figurengruppe ihren Platz in der auf der Nordseite des Schlosses gelegenen Thetis-Grotte, während in den Seitenteilen Skulpturen der Sonnenpferde des Apoll platziert waren. (7)
Das Äußere der Thetis-Grotte nahm –passend zu dem siegreichen Apoll und dem siegreichen Sonnenkönig- das Motiv der römischen Triumphbögen auf, gleichzeitig hatte das Bauwerk eine ganz praktische Funktion: Auf seinem Dach war nämlich ein Wasserreservoir für Schloss und Park installiert. (Darüber im zweiten Teil dieses Beitrags mehr). Die Thetis-Grotte musste allerdings der Erweiterung des Schlosses weichen, und 1781 erhielten Apoll und seine Sonnenpferde den heutigen Platz in dem von Hubert Robert gestalteten Bosquet des Bains-d’Apollon.[8]
Fotos: Wolf Jöckel, aufgenommen anlässlich der grands eaux musicales, während derer die bains d’Apollon zu besichtigen sind.
Robert, der eigentlich im „Hauptberuf“ Maler war, fertigte auch gleich ein Gemälde des von ihm entworfenen bosquets an, das heute im musée Carnavalet zu sehen ist.
Die restaurierte Marmorplastik von Apoll und den Nymphen, die als Meisterwerk des Parks von Versailles gilt, war 2010 Höhepunkt einer Ausstellung im Schloss von Versailles, wird seitdem aber wieder in einem Depot gehütet.[9] Die Plastik im Park ist eine Kopie.
Charles Perrault, der Märchensammler und Inspirator des –nicht mehr existierenden- Labyrinths im Park von Versailles, schrieb zu dem von Ludwig XIV. selbst angeordneten Bau der Thetis-Grotte:
„Lorsque le roi eut ordonné qu’on battit la grotte de Versailles, je songeai que, Sa Majesté ayant pris le soleil pour sa devise, (…) il seroit bon de mettre Apollon qui va se coucher chez Thétis après avoir fait le tour de la terre, pour représenter que le Roi vient se reposer à Versailles après avoir travaillé à faire le bien du monde.“[10]
Auch diese Beschreibung ist natürlich Teil der Verklärung des Sonnenkönigs und ein ideologisches Produkt par excellence. Denn gerade aus deutscher Sicht wird man kaum zustimmen können, dass Ludwig XIV. für das „Wohl der Welt“ gearbeitet habe. Seine Politik der verbrannten Erde in der Pfalz beispielsweise spricht da eine andere Sprache. Die Truppen des Sonnenkönigs hinterließen dort eine Spur der Verwüstung. Mainz, Mannheim, Worms, Speyer und viele andere Städte wurden zerstört, das Schloss von Heidelberg, ein Juwel der Renaissance-Baukunst, gesprengt und wie viele der linksrheinischen Burgen, die auch dieses Schicksal erlitten, zu einer –heute als romantisch verklärten- Ruine gemacht. Die Zerstörungswut des Sonnenkönigs machte auch vor den Kaiserdomen nicht halt: Ihre Kaisergräber wurden geschändet, der Dom von Speyer (mit glücklicherweise nur teilweisem „Erfolg“) gesprengt, der Wormser Dom in Brand gesteckt und völlig verwüstet. Der zeitgenössische Chronist Johann Friedrich Seidenbender verwünschte den Urheber dieses Unglücks, Ludwig XIV., als „den allerbarbarischsten Unmenschen, grausamsten Wüterich und Mordbrenner, der jemals gelebt haben mag oder noch ins Leben wird kommen können“.[11]
Aber eine düstere Kehrseite der glänzenden Medaille gibt es ja nicht nur beim Sonnenkönig, sondern auch bei seinem Sinnbild, dem Sonnengott Apoll, wie man aus der griechischen Mythologie weiß: Dort wird nämlich berichtet, dass der Satyr Marsyas die Doppelflöte (Aulos) der Athena findet, die diese weggeworfen hatte, weil sie beim Spiel ihr schönes Gesicht entstellen würde. (Der griechische Bildhauer Phidias hat diese Szene in einer Plastik gestaltet, die nicht erhalten ist. Es gibt aber eine wunderschöne römische Kopie der Athena, die gerade die Flöte weggeworfen hat, in der Skulpturensammlung des Liebieg-Hauses in Frankfurt.)
Marsyas bringt es zu einiger Meisterschaft im Flötenspiel und fordert im Übermut den die Laute (Kithara) spielenden Apoll zu einem Wettkampf heraus. Zunächst geht er daraus als Sieger hervor, aber dann gewinnt doch noch Apoll, als er zu seinem Spiel auch noch singt. Zur Strafe verfügt Apoll, dass Marsyas bei lebendigem Leib gehäutet wird.
Ovid beschreibt in seinen Metarmorphoseni in aller Drastik, was dem Satyrn widerfahren ist, „der, auf tritonischem Rohr (also der Doppelflöte W.J.) dem Spross der Latona (also Apoll) erlegen, Züchtigung litt.“[12]
„Warum entziehst du mich“, schrie er „mir selber?
Ach, mich gereut’s. Soviel ist ja nicht an der Flöte gelegen.“
Während er schreit, ist die Haut ihm über die Glieder gezogen.
Wunden bedecken ihn ganz, und das Blut strömt über und über.
Offen und bloß sind die Nerven zu sehn; die zuckenden Adern
Schlagen, der Hülle beraubt, und die wallend bewegten Geweide
Konnte man zählen genau und der Brust durchscheinende Fasern.
Tränen vergossen des Hains Gottheiten, die ländlichen Faune,
Satyrn, die Brüder, um ihn und der schon ruhmreiche Olympos
Samt dem Nymphengeschlecht, und wer nur dort im Gebirge
Weidete wolliges Vieh und hörnergewaffnete Rinder.
Aber die Reue des Marsyas, den Sonnengott herausgefordert zu haben, und auch die Tränen der Nymphen können Apoll nicht erweichen; ebenso wenig wie die ja doch wohl etwas unlauteren Umstände seines Siegs sein grausames Rachebedürfnis mildern können. Das passt zwar wenig zu einem „Gott der sittlichen Reinheit und Mäßigung“[13], aber auch das ist Apoll! Und auch insofern passen Ludwig XIV. und Apoll gut zusammen.
Brunnen als Machtdemonstration und als Warnung
Der in Versailles abgebildete Apoll ist natürlich der schöne Jüngling von Belvedere, der Gott des Lichts, der morgens zum Lauf um die Welt aufbricht und abends im Kreis ihn umsorgender Nymphen von dem Guten, das er –nach Perrault- der Welt getan, ausruht. Auch wenn es im Park keine Statue des gehäuteten Marsyas gibt: Der Besucher sollte wissen, dass Apoll auch eine andere Seite hat. Und es gibt dementsprechend Brunnen, die zeigen, was Widersachern des Apoll/des Sonnenkönigs widerfährt, die also als Machtdemonstration und als Warnung dienen.
a. Der Brunnen der Latona
Das prominenteste Beispiel dafür ist der wunderbare Brunnen der Latona, der auf der zentralen Achse zwischen Schloss und Grand Canal liegt (Plan Nummer 10). Bezogen auf die Konzeption des Parks ist er also das Pendant zum Apollo-Brunnen und kaum weniger spektakulär gestaltet.
Der Brunnen veranschaulicht die in den Metamorphosen des Ovid wiedergegebene Legende der Göttin Latona, die, wie wir schon in der Marsyas-Geschichte erfahren haben, die Mutter des Apoll ist.[14] Latona/Leto war eine Geliebte des Zeus, der mit ihr Zwillinge zeugte. Sie wurde deshalb von Hera, der eifersüchtigen Gattin des Zeus/Jupiter, auf eine Insel verbannt, wo sie die Zwillinge gebären musste. Mit den Neugeborenen flüchtet sie nach Lykien, wo sie völlig erschöpft die fremde Umgebung erkundet. Dabei trifft sie an einem kleinen See auf Bauern, die Binsen und Schilf sammeln. Wegen der Sommerhitze dem Verdursten nahe, bittet Latona für sich und ihre Kinder höflich und mit vielen guten Gründen um Wasser. Doch nicht nur, dass die Bauern Latona verbieten zu trinken, sie wirbeln sogar den Schlamm vom Grunde des Sees auf, um das Wasser untrinkbar zu machen. Daraufhin bittet sie Jupiter, sie zu rächen, was denn auch geschieht: Er verwandelt die lykischen Bauern in Frösche und Eidechsen, und genau dieser Prozess der Verwandlung ist in der Brunnenanlage gestaltet.
Einige der Figuren sind noch eher Menschen, andere schon eher Frösche.
Die meisten Brunnenfiguren sind aber schon zu Amphibien verwandelt: in Frösche, Schildkröten und Alligatoren.
Die unmenschlich handelnden Bauern müssen von nun an immer als Tiere im schlammigen Wasser leben (auf Schildern am Brunnenrand wird ausdrücklich davor vor der Wasserqualität gewarnt), während sich Latona mit ihren Zwillingen in der Fontäne an reichlich (frischem) Wasser erfreuen kann.[15]
Fotos: Wolf Jöckel
b. Le Bassin du dragon/das Drachen-Bassin
In engem mythologischen Zusammenhang mit dem Latona-Brunnen steht der Drachenbrunnen (Plan des Parks Nummer 26). Der Brunnen zeigt die Schlange/den Drachen Python, die gerade von einem Pfeil des jungen Apoll getroffen wurde.
Python sollte im Auftrag der Göttin Hera/Juno die Geburt der Zwillinge Apoll und Diana/Artemis verhindern. Weil sie gegenüber den zahlreichen Abenteuern ihres Mannes machtlos war, wollte sie eben seine Geliebte treffen. Apoll tötet aber den Drachen und damit die Mächte des Bösen. Wie wichtig dem Sonnenkönig dieser Brunnen war, zeigen seine Lage am Ende der parallel zum Schloss verlaufenden Nord-Süd-Achse und die Höhe der Fontäne: Mit 27 Metern ist sie die höchste aller Fontainen im Park von Versailles. [16] Ludwig XIV. zeigt hier mit großer Drastik, was denen widerfährt, die ihm schaden wollten oder wollen: Die Zeitgenossen verstanden das offenbar als deutlichen Hinweis auf den Sieg des jungen Königs über die gegen ihn rebellierende Fronde.[17]
c. Le bosquet de l’encelade
Dieses Boskett (im Plan des Parks die Nummer 10) geht zurück auf einen Entwurf von Ludwig XIV. selbst, während die Ausführung dem Gartenarchitekten Le Nôtre übertragen wurde. Dass der Sonnenkönig das Schicksal des Giganten Enceladus zum Thema einer Brunnenanlage macht, ist natürlich eine sehr bewusste Entscheidung. Enceladus gehörte nämlich zu einer Gruppe von Giganten, die nach der Überlieferung der griechischen Mythologie versuchten, den Olymp zu stürmen und die Herrschaft der Götter zu beseitigen.
Dieses Unternehmen scheitert allerdings, die Giganten werden getötet. Enceladus kann zwar entkommen, wird aber unter einem Steinehagel begraben, den die Göttin Athena auf ihn schleudert. Im Park von Versailles sieht man ihn schreiend vor Schmerzen, die eine Hand krampfhaft geöffnet, in der anderen hält er noch einen Stein, den er wohl mit letzter Kraft zurückwerfen möchte. Aber gegen die Macht der Götter kann er nichts ausrichten und so ist er dem Untergang geweiht.
Offenbar handelt es sich auch hier nach dem Willen des Sonnenkönigs um eine allegorische Darstellung, die auf seinen Sieg gegen die Fronde anspielt. Wie wichtig Ludwig XIV. auch diese Brunnenanlage war, zeigt sich wieder an der Höhe ihrer Fontäne: Mit 78 Fuß/25,75 Metern ist sie nach der des Drachenbrunnens die zweithöchste des Parks von Versailles. Die beiden Fontänen sind also gewissermaßen zwei unübersehbare Ausrufungszeichen und Warnsignale: Ein Aufbegehren gegen göttliche Autorität und entsprechend auch gegen die des Sonnenkönigs wird mit aller Härte bestraft.[18]
d. Bosquet de l’arc de triomphe oder Bosquet de la France Triomphante
Diese Brunnenanlage hat zwar keinen Bezug zu Apoll und auch keinen anderen mythologischen Hintergrund, verherrlicht dafür aber ganz direkt den Sonnenkönig und seinen militärischen Ruhm. Der Name des Bosketts, im Plan des Parks die Nummer 30, bezieht sich auf einen Triumphbogen, den es hier zu Zeiten Ludwigs XIV. gab. Von der damaligen Anlage ist nur noch ein Brunnen erhalten, dessen Mittel- und Höhepunkt die Personifizierung des über seine Feinde triumphierenden Frankreich bildet. Deshalb wird der Bosquet auch Bosquet de la France Triomphante genannt. [19]
Gefeiert werden hier im Park noch einmal die Siege Ludwigs XIV. über Spanien und das Reich/Habsburg, die ja schon an der Grille d’honneur, rechts und linkes des Eingang in den Ehrenhof des Schlosses, in Stein gemeißelt sind.[20]
Die Besiegten unterhalb des triumphierenden Frankreich sind durch ihre Attribute, Löwe und Adler, als Spanien und das Reich/Österreich bezeichnet.[21]
Sie erinnern an die Gestalten der vier besiegten und gefangenen Feinde – Holland, Brandenburg, das Reich und Spanien- vom Fuß des Standbilds Ludwigs XIV. auf der Place des Victoires in Paris, die sich heute im Louvre befinden.[22]
Auf der untersten Stufe des Brunnens liegt hinter einem Vorhang aus Wasser ein hingestrecktes, mehrköpfiges Ungeheuer, das gewissermaßen kurz davor ist, vom Wagen des triumphierenden Frankreich zermalmt zu werden. Es ereilt damit –so die Botschaft der Anlage- das Schicksal aller Feinde des triumphierenden Sonnekönigs.
Weitere Fontänen in den Bosquets
Natürlich gibt es noch viele andere und ganz vielfältige Fontänen im Schlosspark von Versailles. Es lohnt sich also, in Ruhe herumzugehen und das Gesamtkunstwerk dieses Parks zu betrachten und zu genießen.
Fotos: Wolf Jöckel
Dabei sollte man auch die Anlagen beachten, die neu gestaltet sind – der Park von Versailles soll sich ja –wenn auch sehr behutsam- der neuen Zeit öffnen. Zwei schöne Beispiele für neu gestaltete Brunnenanlagen sind das Bassin du Miroir (Plan Nummer 15) mit seinen computergesteuerten Fontänen….
… und le bosquet de théâtre d’eau, ein spektakuläres Wassertheater, das Ludwig XIV. besonders liebte, das aber solche hydraulischen Anforderungen stellte, dass es unter seinen Nachfolgern wesentlich zurückgestutzt und als eher unscheinbarer bosquet du Rond-Vert weiterbetrieben wurde. 2014 wurde er in neuer Form und mit dem alten Namen wiedereröffnet. (Plan Nr. 42)
Grands Eaux musicales und Grands Eaux nocturnes
Bewundern kann man die Fontänen bei den Grands Eaux musicales. Hier der Ausschnitt eines Werbeplakats – natürlich mit einem Motiv des Apollo-Brunnens.
An den entsprechenden Tagen sind einige Stunden lang die Brunnen und Fontänen in Betrieb und einige der sonst geschlossenen Bosquets sind geöffnet. Dazu gibt es aus Lautsprechern Musik „des plus grands compositeurs baroques, de Lully à Charpentier ou Rameau“, wie es passend zu Versailles auf der offiziellen Website heißt.
Den krönenden Abschluss der grands eaux bilden (allerdings nicht dienstags) die Fontänen des Neptun-Brunnens. Sie werden um 17.20 Uhr 10 Minuten lang in Betrieb genommen.
Die Besucher haben also, wenn die anderen Fontänen um 17 Uhr enden, genügend Zeit, zum Neptun-Brunnen zu gehen und dort gewissermaßen wie in einem Amphitheater erwartungsvoll auf das zehnminütige grandiose Schaupiel zu warten.
Es lohnt sich ganz bestimmt!
An Samstag-Abenden im Sommer werden zusätzlich die grands eaux nocturnes veranstaltet.
Da sind die Fontänen oft farbig illuminiert und den Abschluss bildet ein Feuerwerk über dem Grand Canal hinter dem angestrahlten Apollo-Brunnen.[23]
Wir haben das einmal miterlebt, aber das hat uns auch gereicht, während die grands eaux musicales immer wieder ein Erlebnis sind.
Praktische Informationen:
Die grands eaux musicales finden im Allgemeinen zwischen April und Oktober statt. Die genauen Daten (an Wochenenden und Feiertagen, z.T. auch dienstags), Öffnungszeiten (i.A. 11-12 und 15.30 bis 17 Uhr) und Eintrittspreise (2017: 9,50 Euro) findet man unter:
http://www.chateauversailles-spectacles.fr/les-grandes-eaux-musicales
Eine Vorbestellung von Eintrittskarten ist nicht unbedingt notwendig, weil für die grands eaux spezielle Kassen eingerichtet werden, so dass man sich nicht in die Schlangen der Schlossbesucher einreihen muss.
Sehr empfehlenswert ist es allerdings, wenn man mit Metro/RER aus Paris kommt (RER C Paris – Versailles Château Rive Gauche), schon gleich zwei Tickets pro Person zu kaufen. So vermeidet man bei der Rückfahrt die oft langen Warteschlangen vor den Kassenautomaten bzw. Schaltern im Bahnhof von Versailles.
Wenn man übrigens zum Bassin de Miroir oder zum Bosquet du Théâtre d’Eau kommt, muss man nicht enttäuscht sein, wenn die Fontänen nicht in Betrieb sind: Sie werden während der Öffnungszeiten alle 10 bzw. 15 Minuten für kurze Zeit aktiviert.
Weitere Beiträge mit Bezug zu Ludwig XIV.:
- Le Potager du Roi in Versailles, der Obst- und Gemüsegarten Ludwigs XIV. https://paris-blog.org/2016/04/12/le-potager-du-roi-in-versailles-der-obst-und-gemuesegarten-ludwigs-xiv/
- Die Fontänen im Park von Versailles (2): Ausdruck absolutistischen Größenwahns https://paris-blog.org/2019/04/01/die-fontaenen-von-versailles-2-ausdruck-absolutistischen-groessenwahns/
- Die Manufacture des Gobelins: Politik und Kunst (August 2018) https://paris-blog.org/2018/08/01/die-manufacture-des-gobelins-politik-und-kunst/
- Napoleon in den Invalides https://paris-blog.org/2017/03/12/napoleon-in-den-invalides-es-lebe-der-kaiser-vive-lempereur-3/
Anmerkungen:
[1] http://www.n-tv.de/panorama/Kassel-will-Welterbe-sein-article596745.html
[2] Hans Sedlmayr: Allegorie und Architektur. In: Martin Warnke (Hrsg.): Politische Architektur in Europa vom Mittelalter bis heute. Repräsentation und Gemeinschaft. Köln: DuMont 1984. S. 157-174
Wiedergeben bei: http://www.thomasgransow.de/Paris/Versailles.htm
[3] Zitat und Bild aus: http://plume-dhistoire.fr/louis-xiv-et-la-danse-expression-du-regne/
(3a) Jacques Levron, La cour de Versailles aux XVIIe et XVIIIe siècles. Paris: Hachette 1999, S. 40
[4] Der Baulehre entsprechend müsste im Zentrum des Schlosses auf der stilleren Parkseite eigentlich das Schlafzimmer des Königs liegen. In Versailles befindet es sich aber zwar ebenfalls im Zentrum, aber auf der Hofseite. Es muss, wie Sedlmayr a.a.O. erläutert, wie die Apsis einer christlichen Kirche nach Osten ausgerichtet sein. „um die Beziehung zur aufgehenden Sonne architektonisch darzustellen.“
[5] Siehe: Uwe Schultz, Der Herrscher von Versailles: Ludwig XIV. und seine Zeit. München: C.H.Beck, S. 197
[6] Siehe den Artikel über Winckelmann als Begründer der Klassischen Archeologie in Monumente 8/2017, S. 8ff. Am Rande sei außerdem vermerkt, dass es –man kann schon sagen: natürlich- auch mehrere Apollo-Statuen in Versailles gibt, darunter zwei Nachbildungen des Apoll von Belvedere. Siehe: https://andrelenotre.com/statues-dapollon-jardins-de-versailles/
[7] http://www.louvre.fr/oeuvre-notices/les-chevaux-d-apollon-panses-par-les-tritons
[8] http://www.chateauversailles.fr/decouvrir/domaine/jardins/bosquets#bosquets-nord
Über Robert siehe: http://www.tagesspiegel.de/kultur/retrospektive-von-hubert-robert-im-louvre-sehen-und-traeumen/13566056.html
[9] Ein Video über die Restaurierung: https://www.youtube.com/watch?v=0sYBH3RZ0L8
[10] https://andrelenotre.com/10062-2/
[11] Zit in Jan von Flocken, Als Frankreichs Armeen Deutschland verwüsteten. Die Welt, 24.7.2015 https://www.welt.de/geschichte/article144374056/Als-Frankreichs-Armeen-Deutschland-verwuesteten.html
[12] Ovid, Metamorphosen, 382-400 http://www.gottwein.de/Lat/ov/met06de.php
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Apollon
[14] http://www.gottwein.de/Lat/ov/met06de.php
[15] https://de.wikipedia.org/wiki/Lykische_Bauern
http://www.chateauversailles.fr/decouvrir/domaine/jardins/bassins-fontaines#le-bassin-de-latone
[16] http://www.chateauversailles.fr/decouvrir/domaine/jardins/bassins-fontaines#le-bassin-du-dragon
http://www.lankaart.org/article-versailles-bassin-du-dragon-86685949.html
[17] http://720plan.ovh.net/~jardinsd/Statues/Dragon/Pages/Dragon-00.htm
[18] https://fr.wikipedia.org/wiki/Bosquet_de_l%27Encelade
https://andrelenotre.com/bosquet-de-lencelade-jardins-de-versailles/
[19] Bild aus: http://ghislaine-photos.com/blog/2014/09/10/2014-02-versailles
[20] http://www.sculpturesversailles.fr/html/5b/selection/page_notice-ok.php?Ident=E&myPos=1&idEns=1576
https://fr.wikipedia.org/wiki/Grille_d%27honneur_(Versailles)
[21] Bild aus: http://www.chateauversailles.fr/decouvrir/domaine/jardins/bosquets#bosquets-sud
[22] http://www.louvre.fr/oeuvre-notices/quatre-captifs-dits-aussi-quatre-nations-vaincues-l-espagne-l-empire-le-brandebourg-e
[23] http://www.chateauversailles-spectacles.fr/les-grandes-eaux-nocturnes
Bei dem Bild handelt es sich um ein Werbeplakat für die Veranstaltung
Pingback: Die Manufacture des Gobelins: Politik und Kunst – Paris und Frankreich Blog
Pingback: Die Fontänen von Versailles (2): Ausdruck absolutistischen Größenwahns – Paris und Frankreich Blog