Die Stare vor unserem Fenster: deutsch-französische Sichtweisen

Der nachfolgende Eintrag fällt etwas aus dem Rahmen der sonstigen Blog-Beiträge: Es geht um die Stare, die sich  in großen Schwärmen im Frühjahr 2016 in unserem Viertel präsentierten und teilweise ganz grandiose Formationsflüge vorführten. Das allein wäre ja schon Anlassenug für einen Blog-Beitrag unter der Rubrik „Wir in Paris“ gewesen. Aber wenn wir darüber mit französischen Freunden sprachen, wurde auch schnell die ganz unterschiedliche Wahrnehmung  der Stare deutlich. Dabei handelt es sich ganz offensichtlich nicht um eine Zufallsergebnis, sondern es gibt, wie ein Blick in französische und deutsche Texte zum Thema „Stare“ zeigte, auf beiden Seiten des Rheins offenbar verschiedene Einschätzungen, wie die Stare und ihre fliegenden Schwärme   gesehen  werden. Ist das vielleicht Ausdruck einer eher rational-funktionalen  Naturwahrnehmung auf der einen Seite und einer eher emotional-romantischen Sicht der Natur auf der anderen Seite?

Der Beitrag ist identisch mit dem 38. Bericht aus Paris vom Februar 2016. Das darin verwendete Präsens wurde also nicht verändert- obwohl die Stare sich nach einigen Wochen wieder davon gemacht haben – diese Attraktion gibt es also seitdem nicht mehr –vielleicht ja wieder im nächsten Jahr. Wir würden  uns jedenfalls sehr auf ein  Wiedersehen freuen.    

 

Seit wir im neuen Jahr wieder in Paris sind, gibt es bei uns eine besondere Attraktion: die Stare. Die gab es ja schon immer: manchmal saßen welche –wie auch Krähen, Tauben, Elstern und manchmal auch Amseln-  gegenüber auf den beiden hässlichen Antennenmasten, die –leider- zu dem Paris-Panorama gehören, das wir von unserer Wohnung aus haben.

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Gegen Abend –kurz vor Sonnenuntergang- versammeln sich nun aber seit einigen Tagen immer mehr Stare auf den Masten. Da wird es teilweise so eng, dass sie auch die Befestigungsdrähte nutzen – unfreiwillige Rutschbahnen. Für uns aber schön zu beobachten.

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Und wenn auf den beiden Masten überhaupt kein Platz mehr ist, finden die Stare auch reichlich Platz auf dem Ausleger eines Krans, der gerade auf der anderen Seite unseres Immeuble installiert ist und manchmal bis über unser Dach ragt.

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Dort sitzen sie dann auch dicht an dicht und warten darauf, dass „es“ endlich losgeht.

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„Es“- das ist der Flug der Stare, ein Schauspiel, das wir derzeit –fast- allabendlich- von unserer kleinen Terrasse aus beobachten und bewundern können. Manchmal sind es schätzungsweise „nur“ einige Hundert, manchmal riesige Schwärme mit womöglich Tausenden von Exemplaren. Manchmal verdichten sie sich zu schwarzen Wolken, manchmal bilden sie lockere Formationen, die in Wellenbewegungen über den Abendhimmel gleiten,  die sich dann auch wieder plötzlich auflösen und neu formieren.

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Manchmal tauchen sie in die Straßenschluchten und sind dann einige Augenblicke für uns unsichtbar, ab und zu fliegen sie auch direkt über unser Haus, so dass man fast die Luftbewegung zu spüren meint. Ich habe versucht, etwas von dem grandiosen Schauspiel mit meinem kleinen Foto festzuhalten – nicht einfach, aber einen ungefähren Eindruck können die Fotos vielleicht doch vermitteln.

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Bei diesem Schauspiel denke ich oft an die riesigen Fischschwärme, die ich beim Tauchen beobachten konnte: Die kleinen Fische schließen sich oft zu engen Formationen zusammen, um Raubfischen, die es auf sie abgesehen haben, keinen Angriffspunkt zu bieten. Manchmal schießt dann ein Raubfisch in eine solche Formation hinein, um sie zu zersplittern, sodass einzelne in der Panik isolierte Fischchen ihre Beute werden.

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Und damit beginnen auch die Fragen, die sich mir stellen, wenn ich die Stare beobachte: Ist denn  ein solcher Schutzmechanismus auch für sie relevant- jedenfalls in einer Stadt, in der es zwar einige Turmfalken gibt, aber doch nicht so viele Fressfeinde wie für die Schwarmfische am Riff. Und warum versammeln sie sich gerade abends vor Sonnenuntergang und vollführen ihren „Himmelstanz“. Was machen die Stare überhaupt im Winter in Paris? Und wo finden sie in einer so eng bebauten Großstadt genügend Futter und ruhige Schlafplätze?

Ich habe also ein bisschen Star-Recherche im Internet betrieben, um vielleicht einige Antworten auf meine Fragen zu erhalten. Denn was ich bisher über Stare weiß, ist reichlich wenig: Öfters haben wir welche in unserem Garten in Oberursel beobachtet, wie sie auf dem „Rasen“ (er besteht überwiegend aus Moos und sogenannten Unkräutern) herumstolzieren und ab und zu mit ihren spitzen Schnäbeln einen Wurm oder irgend ein anderes Futtertier aufpicken. Deshalb sind, wie ich in einem im Internet zugänglichen Naturlexikon gelesen habe, Stare auch „gern gesehene Gäste, wenn sie Schnecken  oder Raupen  erbeuten. Für diesen Dienst sollte man ihnen dann  auch ein paar Beeren oder Kirschen überlassen.“[1] Wir überlassen ihnen –und den Amseln- sogar einen ganzen  Kirschbaum,  weil wir zur Erntezeit gar nicht im Lande sind oder, selbst wenn wir da sind, an die meisten Kirschen ohne gefährliche Kletteraktionen nicht herankommen.

Natürlich haben wir auch schon oft und gerne ihren Gesang gehört.  Und auf diesem Gebiet sind die Stare ganz besonders talentiert: Otto Kleinschmidt charakterisiert ihren Gesang in seinem Buch über die „Singvögel der Heimat“ (Quelle und Meyer 1955, S. 50) so: „Ein Pfeifen, Schnurren, Schnattern und Schmalzen, untermischt mit Flötenlauten und Pfiffen, oft Nachahmungen, dabei ekstatisch zwischendurch mit den Flügeln schlagend.“ Die Stare  können nicht nur andere Vogelstimmen nachahmen, sondern auch alle möglichen sonstigen Geräusche wie Rasenmäher und –nach Wikipedia- neuerdings sogar das Klingeln von Mobiltelefone. Insofern ist verständlich, dass Kleinschmidt die Stare als „Konzertmusikanten“ rühmt und ihnen damit gewissermaßen einen Rang gleich hinter der „Gesangeskönigin“ Nachtigall verleiht.  Als begeisterter Chorsänger hat mir natürlich besonders gut gefallen, dass Starendamen diejenigen Männchen am attraktivsten finden, deren Gesang die meisten Motive enthält und die beim Singen die größte Ausdauer an den Tag legen…

Offenbar ist es nichts Besonderes, dass es auch im Winter in Paris Stare gibt: Sie sind, wie ich jetzt gelernt habe, teilweise sogenannte Standvögel, teilweise Mittelstreckenzieher bzw. Teilzieher, d.h. Teile der jeweiligen Population bleiben auch im Winter in ihrer vertrauten Umgebung, wenn es dort nicht gar zu kalt wird, manche ziehen in wärmere Gefilde. Und wenn dank Klimaveränderung die Winter milde sind wie derzeit immer häufiger, wird sich die Notwendigkeit für die Vögel verringern, die Reise in den unter Umständen gefährlichen Süden anzutreten bzw. -zufliegen. Anscheinend gelten ja Stare in Italien als Leckerbissen- fein gegrillt auf Polenta serviert.[2] Ganz klar ist mir allerdings nicht, wo die Stare in Paris ihre Nächte verbringen und wovon sie im Winter leben. Sie sind ja keine Allesfresser wie Tauben, Krähen und Elstern. Nach einem schon einige Jahre alten Vogel-Atlas von Paris bevorzugen die Stare als Ruheplätze Parks mit altem Baumbestand, den Parc de Montsouris, den Parc der Bercy, den Jardin des Tuileries und vor allem den Garten/Wald im Carée der Bibliothek Nationale (was mich sehr wundert).[3] Aber diese Orte sind relativ weit von uns entfernt und machen es wenig einsichtig, warum die Stare abends gerade hier ihre Flug-Shows präsentieren. Als Erklärung bietet sich da eigentlich nur der nahe gelegene Père Lachaise an, der ja nicht nur ein weiträumiger Friedhof ist, sondern auch ein Naturpark mit altem Baumbestand. Außerdem haben die Vögel da nachts ihre Ruhe und es müsste auch –was ich aber aus Pietät hier nicht näher erläutern  möchte- jahreszeitunabhängig ein reichliches Nahrungsangebot geben. Dass der Père Lachaise in den Bestandsverzeichnissen, die ich im Internet gefunden habe, nicht als Starenquartier genannt ist, könnte übrigens auch eine Erklärung dafür sein, dass wir die Stare bisher noch nicht wahrgenommen haben. Immerhin leben wir jetzt ein gutes Jahr in der neuen Wohnung „mit Aussicht“ und zumindest in den wärmeren Monaten, in denen wir viel Zeit auf unserer kleinen Terrasse verbringen, wären uns die Stare bestimmt aufgefallen, wenn sie da schon dagewesen wären. Vielleicht haben „Standvogel-Stare“ jetzt auch den Friedhof als Quartier gewählt. Und hoffentlich bleiben sie da  auch noch etwas, damit wir noch etwas länger Freude an dem  Schauspiel des „Starenballetts“ haben, wie die abendlichen Flug-Vorführungen gerne genannt werden.

In Norddeutschland und Dänemark ist dieses Phänomen offenbar ziemlich verbreitet, weil die Stare dort weiträumige Ruheplätze und ein unerschöpfliches Nahrungsangebot haben.  Da sind es  teilweise hunderttausende Stare, die abends sogar die untergehende Sonne verdecken. Dieses einzigartige Naturschauspiel der Sort Sol („Schwarze Sonne“) sollte nach der dänischen Touristenwerbung „jeder wenigstens einmal im Leben erlebt haben“. An der deutsch-dänischen  Grenze, wo sich jedes Jahr bis zu einer Million Stare an ihren Schlafplätzen versammeln, findet schon ein regelrechter „Star-Massentourismus“ statt. „Am Abend kommen zahlreiche Busse mit Schaulustigen, die das Spektakel am Schlafplatz der Stare selber miterleben möchten.“[4]

Ein schönes Video dazu:

http://www.ardmediathek.de/tv/Mittagsmagazin/Starenballett-am-Himmel/Das-Erste/Video?documentId=27013580&bcastId=314636

Bei uns sind es keine hunderttausende Stare, aber dafür haben wir hier in Paris das Naturschauspiel light gewissermaßen frei Haus.

Als Erklärung für das Starenballett werden immer wieder die Raubvögel genannt. Bei Wikipedia zum Beispiel wird angegeben, die Manöver dienten „wohl im Wesentlichen“ dazu „dem angreifenden Greifvogel die Auswahl eines einzelnen Vogels unmöglich zu machen“, also in der Tat eine Analogie zu den Schwarmfischen am Riff.[5]  Dann handelt es sich offenbar um eine angeborene Verhaltensweise, die auch dann und dort noch gilt, wenn Raubvögel eher eine Seltenheit sind. Und auf jeden Fall sind Stare sehr gesellig, gerade was ihre Schlafgewohnheiten angeht. Da sammeln sie sich abends vorm Schlafengehen also schon mal, toben sich nochmals richtig aus, freuen sich ihres Lebens und erfreuen gleichzeitig Zuschauer und Bewunderer wie uns.

Die Freude an den Staren ist aber offenbar nicht ungeteilt. Mehrere Pariser Freunde, denen wir von „unseren“ Staren erzählt haben, sind geradezu erschrocken und haben von der Umweltverschmutzung geredet, die die Stare verursachten. Ihr Vogeldreck würde Autos und Straßen verschmutzen – was mir bisher in Paris aber noch nicht aufgefallen ist. In unserem Viertel jedenfalls sind es eher Hunde und Tauben, die ein unbefangenes Benutzen von Bürgersteigen und Parkbänken unmöglich machen. Diese spontan-negative Beurteilung der Stare hat uns ziemlich überrascht. In den von mir eingesehenen deutschen Internet-Quellen ist der Star eher ein gesanglich hochtalentierter Vogel mit ausgeprägtem Sozialverhalten, ein „Multitalent“, dazu ein Nützling, dem man in seinem  Garten durchaus ein Nistkästchen bauen sollte. In Frankreich erfreut sich der Star aber – auch von ganz offizieller und kompetenter Seite-  offensichtlich nicht einer solchen Wertschätzung: Auf der homepage des altehrwürdigen Jardin des Plantes von Paris wird er so vorgestellt:

BRUYANT, VORACE, VOLANT ET VIVANT EN BANDES NOMBREUSES… IL VAUT DÉCIDÉMENT MIEUX NE PAS AVOIR L’ÉTOURNEAU SANSONNET (STURNUS VULGARIS LINNÉ) POUR VOISIN.

Ihr Kot würde Autokarosserien, die Fassaden von Bauwerken und das städtische Mobiliar beschädigen; der Lärm, den sie (die Kleinschmidt’schen Konzertmusiker) verursachten, könne den Anwohnern schnell auf die Nerven gehen; dazu kämen noch erhebliche Schäden für die Landwirtschaft und sogar  die Luftfahrt: 1996 habe schon einmal ein Starenschwarm in Eindhoven ein Flugzeug zum Absturz gebracht![6]

Ähnlich schlecht kommt der Star (l’etourneau sansonnet) auch im offiziellen Inventaire National du Patrimoine Naturel, also dem Verzeichnis des französischen Naturerbes weg. Die in Frankreich überwinternden Stare seien teilweise Standvögel, teilweise kämen sie zum Überwintern aus den Staaten der ehemaligen UdSSR, vor allem der Ukraine. (Aha!! W.J.) Ihr massenhaftes Auftreten würde zu Boden- und Wasserverschmutzungen führen und den Baumbestand schädigen. Er könne in der Landwirtschaft erhebliche Schäden bei der Aussaat und den Kulturen verursachen. Dazu kämen die Geräuschbelästigungen. Für uns ist das ein etwas erstaunlicher Punkt: Jedenfalls können hier in Paris Menschen ganze Nächte lang bei offenen Fenstern, voll dröhnenden Lautsprechern und wildem Geschrei feiern, ohne dass offenbar Nachbarn sich beschweren, geschweige denn die Polizei gerufen wird.  Bei den Staren  hört aber die sonst übliche Toleranz auf.  Schließlich ist nach dem nationalen französischen  Naturinventar  nicht auszuschließen, dass die Stare auch ein gesundheitliches Risiko für Mensch und Tier bedeuteten. Insofern ist es nur konsequent, dass auf Initiative des Fond National des Calamités Agricoles des Französischen Landwirtschaftsministeriums eine spezielle Arbeitsgruppe zum Thema „Star“ gegründet wurde. Sie habe veranlasst, dass die ländlichen Schlafplätze der Stare Gegenstand von „opérations de destruction“ geworden seien. (Genaueres zu diesen Vernichtungsaktionen wird hier nicht mitgeteilt- laut Wikipedia wurden/werden Gifte und Dynamit verwendet. W.J.) Deshalb seien die Bestände an Staren schon (glücklicherweise! W.J.) deutlich zurückgegangen. Außerdem sei der Star auch auf der Liste der zur Jagd freigegebenen Tiere enthalten.[7]

Da wird also gewissermaßen kein gutes Haar/keine gute Feder am Star gelassen! Inwieweit es sich hier wirklich um eine verallgemeinerbare Unterschiedlichkeit der deutschen und französischen Wahrnehmung handelt, kann ich nicht beurteilen. Immerhin scheint ein Vergleich der deutschen und der französischen Staren-Darstellung bei Wikipedia de und fr das zu bestätigen: In der deutschen Version finden sich insgesamt 9 Zeilen zum Thema „Schäden und Bekämpfung“. In der französischen Version ebenfalls 9 Zeilen zum Thema „Les nuisances provoquées par l’étourneau sansonnet“, also zu den von den Staren verursachten Belästigungen/Schäden. Danach folgt aber noch ein kleiner Abschnitt über die die Bekämpfung des Stars  betreffende Gesetzgebung in verschiedenen Ländern. Schließlich eine ausführliche Darstellung (14 Zeilen) mit einer genauen fünfphasigen „Gebrauchsanweisung“ für die akustische Vertreibung von Staren. Daran  könne sich auch die geplagte Bevölkerung mit casserolles und Musikinstrumenten beteiligen. Und zum typisch französischen Abschluss folgt dann noch ein  Abschnitt über die „Utilisation“ des Stars, zum Beispiel in Form einer „pâté“. Hier wird von einer Jagd mit Schrot abgeraten, sondern die traditionelle Fangart mit Netzen  favorisiert, die in Frankreich noch erlaubt sei.  Das ermögliche „d’en prendre plus d’une centaine à la fois“.[8] So kann man gewissermaßen einen Schädling noch zu einem kulinarischen Nützling verwandeln und die Vogeljagd in den Rang einer in jeder Hinsicht segensreichen Einrichtung erheben. Die Staren-Pastete wird übrigens offenbar im Handel unter dem Namen Pâté de Sansonnets verkauft, die aux myrtes offenbar gerade in Korsika sehr verbreitet ist.

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Und auf der Internetseite von chasse Passion“ werden Rezepte auch für andere Zubereitungen ausgetauscht:  Heureusement qu’il y a la chasse pour se faire plaisir !![9]

Das geringe Verständnis französischer Freunde für unseren Staren-Enthusiasmus erinnerte uns an eine ähnliche Erfahrung vor einigen Jahren. Da hatten wir bei einem Fahrrad-Ausflug entlang des Canal de l’Ourcq im Nordosten von Paris mitten im Kanal ein putziges Tier gesehen, das –wie ein Zeitungsleser auf dem Toten Meer- im träge fließenden Wasser entspannt auf dem Rücken lag und mit seinen kleinen Pfoten irgendein Stück Stängel oder Ast hielt, an dem es nagte. Wir beobachteten es einen Moment, wollten dann gerne ein Foto machen, aber dann tauchte  das Tierchen ab und war verschwunden. Wir wussten nicht, worum es sich handelte; für einen Biber war es etwas zu klein, außerdem passte die Umgebung – der kanalisierte Ourcq- ganz und gar nicht zu einem Biberrevier.

Als wir dann französischen Freunden von unserer Entdeckung erzählten, war schnell klar, dass es sich um einen ragondin gehandelt hatte, einen Nutria, dem wir seitdem öfters begegnet sind: In der Yerres beim Landgut des Malers Caillebotte, in der Yvette im Süden von Paris und in der Marne in der Nähe unseres Badeplatzes.

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Die Reaktionen von Franzosen waren dabei immer ähnlich: Mon dieu! Un ragondin! Die zerstören doch die Uferbefestigungen und richten nur Schäden an!

Ganz anders in Deutschland: Als da vor zwei Jahren ein Nutria an unserem Oberurseler Maasgrundweiher auftauchte, war er schnell zu einer Attraktion geworden und wurde mit Karotten und Apfelstückchen verwöhnt- was ihn aber nicht davon abhielt, dann doch woandershin zu wandern. Vielleicht an die Nidda, einen kleinen Nebenfluss des Mains. Dort gibt es inzwischen kleine Nutria-Kolonien, die sich ebenfalls großer Beliebtheit erfreuen. Zu den diesjährigen Weihnachtsgeschenke für unsere erwachsenen Kinder gehörte auch ein Besuch bei den Nidda-Nutrias, die sich glücklicherweise dann auch in beträchtlicher Anzahl zeigten und bewundern und füttern ließen.

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Von einer deutschen  Freundin, die einen  Schüleraustausch mit Niort organisiert, wurde ich übrigens darauf aufmerksam gemacht,  dass die Nutrias im nahe gelegenen Marais poitevin nicht nur gejagt, sondern  -wie die Stare- auch zu Pastete verarbeitet werden. Und kürzlich fanden  wir dann auch auf der Ile d’Oléron ein großes Schild, das ausdrücklich für diese „Delikatesse“ warb. Auf einen  Versuch habe ich es allerdings nicht ankommen lassen….

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Die unterschiedlichen französischen und deutschen Reaktionen auf Star und Nutria könnten auch damit zusammenhängen, welche Rolle die Natur in der deutschen und französischen Kultur und Wahrnehmung spielt: In Frankreich eine eher rationalere, von Kosten und Nutzen geprägte Sicht, in Deutschland eine eher emotionale, besonders ausgeprägt und historisch gewachsen am Mythos vom „deutschen Wald“ abzulesen- geistesgeschichtlich übrigens ein Gegenbild zur französischen Urbanität….

Seit einigen Tagen machen sich die Stare übrigens rar. Als wir kürzlich Besuch aus Deutschland erwarteten und den Freunden schon stolz das „Starenbalett“ angekündigt hatten, war nur eine kleine Gruppe kurz zu sehen, dann waren sie sogar tagelang ganz verschwunden. Heute segelten (wenigstens) mehrere laut kreischende Möven über das Haus und ein paar Stare ließen sich gegen Abend auf dem Antennenmast gegenüber nieder, aber für eine Flugvorführung waren das zu wenige. Wie schade! Wir vermissen sie richtig. Aber vielleicht gehört es ja gerade zu dem Reiz eines solchen Naturschauspiels, dass es nicht alltäglich und nicht berechenbar ist….

Au revoir!!!

Und zum Schluss noch eine kleine Aufgabe zum Raten/Schätzen: Ungefähr wie viele Stare sieht man auf dem nachfolgenden Bild – das nur den kleinen Teil eines großen Starenschwarms- abbildet?

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Anmerkungen:

[1] http://www.natur-lexikon.com/Texte/thk/001/00004/THK00004.html

[2] http://www.n-tv.de/archiv/Jagdsaison-in-Italien-article82816.html

http://diepresse.com/home/panorama/welt/406486/Jagd-auf-Singvogel_Zart-gegrillt-und-auf-Polenta?_vl_backlink=/home/panorama/welt/index.do

[3]  Oiseaux nicheurs de Paris : un atlas urbain : Auteur Collectif, Editeur : Delachaux et Niestlé,  Paru en 04/2010.   ca 750

http://www.lesoiseauxdeparis.com/etourneau-sansonnet-starling-paris.php

[4] http://www.visitdenmark.de/de/daenemark/suedjuetland/naturwunder-schwarze-sonne-erleben

http://www.kommandoergaarden.dk/de/erlebnisse-auf-romobr/und-umgebung/romo/zugvoegel

http://www.brodowski-fotografie.de/beobachtungen/star.html

[5]  https://de.wikipedia.org/wiki/Star_(Art)

s.a. http://www.vogelwarte.ch/de/voegel/voegel-der-schweiz/star.html

[6] http://www.jardindesplantes.net/fr/jardin/hotes-jardin/oiseaux/etourneau-sansonnet:

[7] https://inpn.mnhn.fr/espece/cd_nom/4516/tab/fiche

[8] https://fr.wikipedia.org/wiki/%C3%89tourneau_sansonnet

[9]  http://www.paniercorse.com/produit/pate-de-sansonnet-au-myrte-402

http://www.chassepassion.net/le-forum/26/5568

6 Gedanken zu “Die Stare vor unserem Fenster: deutsch-französische Sichtweisen

  1. Anonymous

    Klasse! Auf der Suche nach Informationen über Vögel in Paris stieß ich auf diesen Blog. Und sehe: Da tut sich einiges Interessantes auf!
    Jac

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    1. Allerdings haben wir in den letzten Jahren nicht mehr so große Mengen und eindrucksvolle Formationen von Staren gesehen… selbst die Spatzen machen sich ja inzwischen rar… Dafür gibt es jetzt Sittiche (perruches) u.a. auf dem Père Lachaise….

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  2. Helga Morel

    Lieber Wolf, es ist jedesmal eine Freude, Deine Berichte zu lesen. Ich gestehe, dass ich sie aus-drucke und sie fuer meine Freunde ins Gaestezimmer lege.

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  3. Walldorfs@t-online.de

    Lieber Wolf, mit großer Freude und Interesse habe ich deinen Starenbericht gelesen, mal was ganz anderes. Du fragst zu einem Bild nach der geschätzten Anzahl der Stare, mein Tipp 324. Ich hoffe, du weißt die genaue Zahl?! Winfried ist seit gestern für eine Woche in Kurzzeitpflege. Ich fahre heute in meine alte Heimat an den Niederrhein, Radeln, Lesen, Malen (?), Spaziergänge, Familie besuchen. Ich wohne in einem kleinen Dorfhotel , kenne die Wirtsleute gut und deren leckere Küche. ringsum Wiesen, Felder , Kühe und die Rur mit Radwanderweg nach Holland entlang der Ruf. Das Wetter wird wie ich es mag, eher frisch,. vermutlich feucht on oben und unten wegen des Starkregens gestern. Und die Natur ist herrlich im Maas,-Schwalm-Nette-Gebiet, ideal für Vögel!!! Stare??? Ich werde berichten. Herzliche Grüße auch an Frauke, Mo

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