Musik und Tanz an der Marne: Au pays des Guinguettes

In dem nachfolgenden Beitrag geht es um die Guinguettes, Tanzlokale im Umland von Paris, und dabei vor allem um die Guinguette auf der Ile du Martin Pêcheur, einer kleinen Insel in der Marne. Sie ist von Paris aus schnell und leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar und lädt an warmen und sonnigen Sonntagnachmittagen zu einem Ausflug ein. Man wird da, neben einer schönen Flusslandschaft,  ein ursprüngliches Stück Frankreich kennenlernen, wie es sonst kaum zu finden ist.

Guinguettes haben eine lange Tradition. Berühmt waren im 18. und 19. Jahrhundert vor allem  die Guinguettes  in Belleville[1], Ménilmontant und Montmartre, die so schöne Namen hatten wie  Au rat goutteux (zur gichtkranken Ratte),  Aux noces de Cana, A la satisfaction, Ile d’amour, La Puce qui saute, Le bal sauvage…. Dort wurde ein ziemlich herber lokaler Weißwein ausgeschenkt, „qu’on ne pourrait vraisemblablement pas tenir pour le meilleur témoignage du génie viticole français!“[2] Dieser Wein , den es heute (sieht man mal von dem kleinen Weinberg in Montmatre und dem noch kleineren im Parc de Belleville ab) nicht mehr gibt, hieß guinget,  und von ihm ist der Name der Weinlokale abgeleitet. Ihre Blüte  verdanken sie  der Zollmauer um Paris, der zwischen 1785 und 1788 errichteten mur des Fermiers généraux: Um die klammen  Finanzen des ancien régime etwas aufzubessern, wurden die nach Paris eingeführten Waren, also auch der Wein,  mit einem Zoll belegt. Das gab den von diesem Zoll verschonten Guinguettes außerhalb der Zollmauern großen Auftrieb, aber auch der vorrevolutionären Stimmung der Pariser Bevölkerung. Ein berühmt gewordener Alexandriner von Beaumarchais brachte das sehr schön zum Ausdruck: « Le mur murant Paris, rend Paris murmurant ».  In den Guinguettes vor den Toren der Stadt versammelten sich am Wochenende die kleinen Leute- es wurde getrunken, gesungen, getanzt,  man erholte sich von den Anstrengungen der Woche, und politisiert wurde natürlich auch, wie entsprechende Polizeiprotokolle zeigen. 1860 wurden im Zuge der Vergrößerung von Paris auch Belleville,  Ménilmontant und Montmartre eingemeindet und gehörten nun zu den von Baron Haussmann neu zugeschnittenen 20 Arrondissements. . Die Guinguettes dort verschwanden allerdings nicht ganz, wie Van Goghs 1886 gemaltes und im Musée d’Orsay ausgestelltes Bild „La Guinguette de Montmartre“ zeigt; (3)

Van_Gogh_-_Gartenlokal_-La_Guinguette-_auf_dem_Montmartre

Aber das eher bedrückend-triste Bild van Goghs macht deutlich, dass die beste Zeit der innerstädtischen Guinguettes nun vorbei war. Dafür begann aber, begünstigt durch neue schnelle Eisenbahn-Verbindungen von und nach Paris, die große Zeit der Guinguettes an Seine und  Marne.

Die Guinguettes an der Seine, angrenzend an den noblen Westen von Paris, zogen vor allem ein bourgeoises Publikum an. Das wird  in Monets Bild  „La Grenoullière“ anschaulich.[4] Monet malte mehrere Versionen dieser bekannte Guinguette mit ihren schwimmenden Pontons, und auch Renoir wählte dieses Motiv aus, vielleicht auch in der Hoffnung, bei einem finanzkräftigen Publikum Abnehmer für die Bilder zu finden.

26658587925_3401894f40 La Grenouilliere

Berühmt war auch das maison Fournaise, auf der „Île des Impressionistes“ 10 km westlich von Paris in der Seine gelegen. Sie wird auch „die Guinguette der Impressionisten“ genannt.[5] Immerhin verkehrten hier Maler/innen wie Claude Monet, Alfred Sisley, Berthe Morisot, Edouard Manet und Camille Pissaro.

Rueil Malmaison003

Jean Renoir malte hier 1881 sein berühmtes Bild  „déjeuner des Canotiers“, worauf  eine große Tafel an der inzwischen teilweise Museum gewordenen „Maison de Fournaise“ mit einer Reproduktion des Bildes hinweist- Teil eines „chemin des Impressionistes“.[6]

renoir_dejeuner-canotiers

Die Canotiers sind die Ruderer, die nach ihrem von Renoir gemalten Mittagessen sicherlich die feinen Herren mit Zylinder, die man im Hintergrund sieht, und deren Damenbegleitung über die Seine rudern werden. Denn zu einem  unverzichtbaren Teil des Wochenend-Vergnügens in den Guinguettes wurden die Bootsfahrten. Im Gegensatz zu dem aus England stammenden Rudersport ging es dabei aber nicht um sportliche Höchstleistungen. Eine „partie de canot“ war eher eine gesellige Veranstaltung, die auch gute Gelegenheiten für die beiden Geschlechter bot, sich etwas näher zu kommen. Und danach gehörte der Besuch einer guinguette dazu, wo gegessen, getrunken, gesungen und getanzt wurde.

Deutlich volkstümlicher, ja proletarischer ging es in den Guinguettes an  der östlich von Paris in die Seine  mündenden  Marne zu, die ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. 1859 wurde nämlich der Bahnhof Bastille eingeweiht.  Von hier aus führte eine strategische Bahnstrecke nach Osten, die der schnellen Verlagerung von Truppen an die Ostgrenze dienen sollte.[7] In Friedenszeiten wurde das erste Teilstück der Eisenbahnlinie von Arbeitern aus den Vorstädten in Richtung Paris benutzt, am Wochenende von erholungssuchenden Bewohnern des Pariser Ostens. Das waren, wie Jean-Paul Kauffmann in seinem schönen Marne-Buch schreibt, die classes populaires“, für die das Meer ein unerreichbarer Luxus war“. (7a)   Die fuhren  zu den Guinguettes an die Marne – von daher auch der Name der Züge: „trains de plaisir“.

Ihre Blütezeit hatten diese guinguettes in den 1930-er Jahren, als die Volksfront den bezahlten Urlaub einführte. Da sang  Jean Gabin in dem Film La Belle Équipe von Julien Duvivier (1936) das populäre Lied „Quand on se promène au bord de l’eau“ (7b), das nach den Worten unserer Freundin Marie-Christine „tout le monde en France“ auswendig kennt „ou presque“:

pour gagner des radis
Quand on fait sans entrain
son boulot quotidien
Subi le propriétaire
Le percepteur, la boulangère
et trimbalé sa vie de chien
Le dimanche vivement
qu’on file à Nogent
Alors brusquement
Tout parait charmant

Quand on s’promène au bord de l’eau
Comme tout est beau
Quel renouveau
…….

Ein Stück  der inzwischen längst stillgelegten Bahnstrecke an die Marne wurde übrigens in den 1990-er Jahren  in einen Fußgänger- und Fahrradweg umgewandelt, nachdem der Bahnhof Bastille abgerissen und an seiner Stelle die Opéra Bastille errichtet worden war- eines der prestigeträchtigen Projekte des damaligen französischen Präsidenten François Mitterand.  Es ist die Coulée verte René-Dumont, bis 2014 promenade plantée[8] , über die wir  fast täglich mit dem Fahrrad in „unser“ Schwimmbad am Boulevard periphérique fahren.

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DSC01251 Ausstellung Willy Ronis August 2018 (24)

Erste Station der „trains de plaisir“ an der Marne war Joinville-le-Pont, wo es mehrere Guiguettes gab, zum Beispiel die chez Maxe, wo Willy Ronis 1947 den „Ball unter freiem Himmel“  (un bal en plein air) fotografierte. (8a)

Und dann gab es die  berühmte Guinguette „che Gégène“, die auch in einem ebenso berühmten Lied besungen wurde:

J’suis un p’tit gars plombier zingueur 
J’fais des s’mains de quarant’huit heur’s
Et j’attends qu’les dimanch’s s’amèn’nt
Pour sortir ma jolie Maimain‘ ….

Au bord de l’eau, y’a des pêcheurs 
Et dans la Marn‘ y’a des baigneurs
On voit des gens qui mang’nt pas des moul’s
Ou des frit’s s’ils aimem’nt pas les moul’s
On mange avec les doigts c’est mieux
Y’a qu’les bell’s fill’s qu’on mang‘ des yeux
sous les tonnell’s on mang‘ des glac’s
Et dans la Marne on boit la tass‘

Und der Refrain:

A Joinvill‘ le Pont 
Pon ! Pon !
Tous deux nous irons
Ron ! Ron !
Regarder guincher
Chez chez chez Gégène [9]

 Die Guinguette „chez Gégène“ gibt es  immer noch.  Es ist aber inzwischen  eine Einrichtung, die von ihrer Vergangenheit zehrt – für Nostalgiker der Generation 65 + oder für ahnungslose Touristen, die mit einem Schiff vom Arsenal-Hafen nach Joinville-le-Pont transportiert und bei dem berühmten, traditionsreichen, aber –wie wir meinen- völlig auf Massenbetrieb eingestellten Schuppen abgesetzt werden. In verbreiteten Guinguette-Rankings ist allerdings chez Gégène immer dabei.[10]

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Das an der Allée des Guinguettes gelegene „Chez Gégène“ ist vom RER – Bahnhof Joinville zu Fuß gut zu erreichen.

Joinville Marne Okt 09 003

Man kann  vom Bahnhof  aus aber auch  entlang der Marne zu unserer Lieblings- Guinguette auf der „Île du Martin Pêcheur“ gehen. Der Weg führt am kleinen Hafen von Joinville-le-Pont vorbei, wo man in einem der kleinen Restaurants mit Blick auf die vor Anker liegenden Boote und den Fluss eine schöne Pause machen kann, bevor es zur Eisvogelinsel geht.  (Ihren Namen trägt sie übrigens zu Recht, denn Eisvögel gibt es an der Marne tatsächlich- wir haben jedenfalls schon selbst welche gesehen).

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Die auf der kleinen Marneinsel gelegene Guinguette verdankt ihre Existenz der Renaissance dieser Lokale in den  letzten Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg sah es ja so aus, als habe das letzte Stündlein der Guinguettes geschlagen:  Aufgrund der Wasserverschmutzung und des Schiffsverkehrs war (und ist auch heute  noch) das Baden in Seine und Marne verboten. Und  Tanzen kann man auch mitten in Paris am Ufer der Seine am Quai Saint-Bernard im 13. Arrondissement.

Gleichwohl erlebten in den letzten Jahren die Guinguettes  eine neue Blüte. Besonders rührig ist da die Guinguette auf der Île du Martin Pêcheur. Sonntag nachmittags kann man dort  echte Guinguette-Atmosphäre erleben. Es ist viel Betrieb, es gibt populäre life-Musik, bei dem das von den italienischen Einwanderern im 19. Jahrhundert eingeführte Akkordeon nicht fehlen darf.

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Nach dem Mittagessen werden die Tische beiseite geräumt und es wird  kräftig getanzt: Musette-Walzer, Fox, Tango  und Blues. Das Sympathische dabei ist, dass jeder und jede mitmachen kann:  Es sind zwar meistens gemischte Paare, aber es tanzen auch Damen zusammen oder eine Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm, und vor allem: es tanzen Menschen jeden Alters, auch und vor allem ziemlich alte: Einmal haben wir dort einen Herren auf der Tanzfläche getroffen und bewundert: Er war, wie er uns in einer Tanzpause stolz  erklärte, 89 Jahre alt und tanzte sehr beeindruckend und schwungvoll gleich mit zwei Damen. Die waren allerdings deutlich jünger  – so um die siebzig herum…. Fast könnten es ja  die selben Personen -jetzt im fortgeschrittenen  Alter- sein, die Willy Ronis 1947 in der guingette Beau-Rivage in Champigy-sur-Marne aufgenommen hat…

DSC01251 Ausstellung Willy Ronis August 2018 (27)

Die meisten Menschen hier kommen in ihrer Alltagskleidung, aber es gibt auch einige, die sich  etwas herausgeputzt haben: zum Beispiel die Dame mit den  langen, an der Seite aufgeschlitzten Hosen, die  nicht nur chic aussahen, sondern auch gut für das Motorrad geeignet waren, auf dem sie dann mit ihrem Partner nach Hause brauste. Oder die ziemlich alte Dame, auf deren Schultern  die knallroten Träger ihres BH zu sehen waren.  Zum Abschluss (kurz vor 18 Uhr) wird von allen  ein Madison getanzt, ein  ziemlich komplizierter Gemeinschaftstanz, bei dem sich die Tänzer wohlgeordnet neben- und hintereinander aufstellen und dann im Takt die gleichen Schritte machen.  Man merkt dabei, dass die meisten hier heimisch sind, aber auch als unbeholfener Fremder wird man freundlich dazu genommen.

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Auch die Lieder, die gesungen werden, sind den meisten offenbar sehr vertraut und viele werden  laut mitgesungen oder geradezu mitgeschmettert: So bei einem unserer Besuche der Refrain eines Liedes, der mit den Worten „sans chemise et sans pantalon“ endete (ohne Hemd und Hose). Den Kontext habe ich leider nicht verstanden, aber die Begeisterung beim Singen war unverkennbar. (https://www.youtube.com/watch?v=c3UcCTTQyAE)

Zum neuen Erfolg der Guinguettes tragen auch besondere Veranstaltungen bei wie das jährliche Festival des Guinguettes  Anfang Mai oder die Wahl der Miss Guinguette auf der Ile du Martin Pêcheur am 14. Juli jeden Jahres! Eine echte Alternative zur Militärparade auf den Champs Elysées!

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Es gibt  dort auch  „canotiers“,  die flachen, mit einem Band verzierten Strohhüte der Ruderer, die man von den Bildern der Impressionisten kennt.  Heute werden diese Hüte als Souvenirs verkauft und manchmal wohl auch getragen. Die Ruderer und ihre Boote gibt es allerdings hier leider nicht mehr. Aber das kann ja nochc kommen, genau wie das (wieder offiziell erlaubte) Baden in der Marne….

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Dass man allerdings so viele Damen mit Strohhüten sieht wie auf dem nachfolgenden Foto, ist eher  untypisch: Sie hatten sich offensichtlich extra herausgeputzt für ein deutsches Journalisten-Team, das an einem Bericht über die Guinguettes arbeitete.

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Praktische Hinweise:

Die Guinguette auf der Ile du Martin Pêcheur erreicht man am besten mit dem RER der Linie A Richtung Boissy-Saint-Léger.  Man kann direkt nach Champigny-sur-Marne fahren.  (Fahrkarten dorthin gibt es  in jeder Metro-Station von Paris, am besten gleich zweifach für die Rückfahrt). Vom Bahnhof aus  geht es zur Seine, man überquert die Brücke, und von dort sind es  linkerhand der Marne folgend  nur wenige Schritte zur Guinguette.  Empfehlenswert ist es aber,  schon eine Station vorher in Joinville-le-Pont auszusteigen und dann  entlang der Marne bis zur Guinguette zu wandern. (ca  1 Stunde). In Joinville gibt es einen kleinen Hafen mit einigen sympathischen Restaurants/Bars direkt an der Marne. Dort kann man schön in der Sonne sitzen, etwas essen  oder einen Kaffee trinken).

In den RER- und meistens auch den Métro-Stationen gibt es kostenlos eine brauchbare Karte der Gegend: Aus der Serie der detaillierten Ile-de-France- Karten „par secteur“ die Nummer 12: Val-de-Marne.

Öffnungszeit der Guinguette de l’Île du Martin-pêcheur – abgesehen von den Abendveranstaltungen- ist sonntags zwischen 12 und 18.30 Uhr. Am besten kommt man ab etwa 15 Uhr, dann ist das Mittagessen vorbei und es wird getanzt.

Infos: www.guinguette.fr

 Pour en savoir plus: Francis Bauby u.a.: Mémoire de guingettes. Paris 2003.

Anmerkungen

[1] Siehe dazu den Blogbeitrag über Belleville

[2] Guide du Promeneur 20e. Parigramme 1993, S. 30

(3) Bild aus: https://de.wikipedia.org

[4] Bild aus: https://de.wikipedia.org/

[5] http://www.restaurant-fournaise.fr/le-dejeuner-des-canotiers/9-histoire.html

[6] http://www.musee-fournaise.com/

[7] http://www.wikiwand.com/fr/Ligne_de_Paris-Bastille_%C3%A0_Marles-en-Brie

(7a)  Jean-Paul Kauffmann, Remonter la Marne. Paris 2013, S.25

(7b) http://www.parisfaitsoncinema.com/les-classiques/gabin-se-promene-au-bord-de-l-eau-dans-la-belle-equipe.html

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Coul%C3%A9e_verte_Ren%C3%A9-Dumont

(8a)  Bildausschnitt fotografiert auf einer Willy Ronis-Ausstellung in Ménilmontant im August 2018

[9] En savoir plus sur http://www.paroles.net/pierre-roger/paroles-a-joinville-le-pont#lGWX2WiO2EwAR6gS.99

[10][ Z.B. https://www.one-week-in-paris.com/top-guinguettes

https://www.lebonbon.fr/paris/les-tops-spots/guinguette-paris/

http://www.cnewsmatin.fr/loisirs/2014-06-14/paris-le-top-5-des-guinguettes-681638

http://www.lexpress.fr/tendances/voyage/trois-adresses-de-guinguette-sur-les-bords-de-marne_1564762.html

eingestellt August 2017

Weitere geplante Beiträge:

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  • Street-Art in Paris (2): Der Invader
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