Roncesvalles/Roncevaux – Der Mythos lebt … Ein Gastbeitrag von Ortwin Ziemer

Wenn sich in seiner Sprache und seinem kulturellen Erbe die Seele eines Volkes spiegelt, so trifft dies sicherlich ganz besonders auf seine Sagen und Legenden zu, und zwar in ganz speziellem Maße, wenn diese von markanten Orten verkörpert werden. Mythen, zunächst meist mündlich und erst später schriftlich überliefert, verketten erzählerisch bedeutende Ereignisse und Persönlichkeiten und verdichten sich im kollektiven Bewusstsein mehr und mehr zu oft identitätsstiftenden Orientierungspunkten bezüglich der nationalen Vergangenheit. Der eigentliche, ursprüngliche Gegenstand des Mythos wächst dabei meistens über dessen anfängliche Dimension hinaus und fast immer ist der historische Kern nicht mehr eindeutig nachweisbar bzw. nicht mehr klar zu identifizieren. Am Beispiel der Schlacht von Roncesvalles (15. August 778) und des rund zweieinhalb Jahrhunderte später darüber entstandenen Rolandsliedes, das im 19. Jhd. zum französischen Nationalepos wurde, zeigt sich besonders eindrucksvoll, wie stark die Geschichte in solchen Mythen in ideologisierter Form reflektiert wird. Die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des vielleicht berühmtesten Versepos des Mittelalters vor Ort und in ganz Europa gibt noch heute interessante Aufschlüsse über religiöse, politische und geostrategische Vorstellungen, Ideen und Konzepte und den Zeitgeist, sowohl, was die Epoche der zugrundliegenden Ereignisse als auch die Entstehungsperiode des literarischen Werkes selbst betrifft. Gerade in diesem Kontext ist es für die Besucher unserer Tage interessant, welche Spuren davon in der kleinen Pyrenäengemeinde (frz. Roncevaux), die heute auf der spanischen Seite der Grenze in der Provinz Navarra liegt, noch heute sichtbar sind und was sie zu berichten haben.

Wenn man sich heutzutage der kleinen Ortschaft rund um das Kollegiatsstift Santa-Maria-la-Real (frühes 13. Jhd.) nähert, scheint auf den ersten Blick kaum noch etwas daran zu erinnern, dass hier einst eine der denkwürdigsten Schlachten der gesamten Regierungszeit Karls des Großen geschlagen wurde: Nach der erfolglosen Belagerung Saragossas im Rahmen seines Feldzugs gegen die als Mauren oder Sarazenen bezeichneten moslemischen Araber, die damals einen Großteil der iberischen Halbinsel besetzt hielten (Kalifat von Cordoba), hatte der Frankenkönig, der zu diesem Moment wohl gemerkt noch keinen Kaisertitel trug, auf dem Rückzug Pamplona, die Hauptstadt der  – nota bene – christlichen Basken verwüstet. Auf Rache sinnend, legten sich diese daraufhin bei Roncesvalles in einen Hinterhalt, ließen den Hauptteil des Frankenheeres wohlwissend abziehen und metzelten anschließend, aufgrund ihrer Ortskenntnis und zahlenmäßigen Überlegenheit auf der engen Passhöhe klar im Vorteil, die gesamte Nachhut Karls nieder. Dabei fand auch deren Anführer, der Markgraf Roland, den Tod. Mehr ist aus den wenigen Quellen, namentlich der „Vita Caroli Magni“ (ca. 830) von Karls Biograf Einhard, zu der historischen Begebenheit, die dem um 1100 entstandenen altfranzösischen Rolandslied zugrunde liegt, nicht bekannt oder belegt.

Denkmal für die Schlacht von Roncesvalles, im Hintergrund die Kollegiatskirche Santa-Maria-la-Real

Mehr als ein Vierteljahrtausend später, zur Entstehungszeit des Epos im späten 11. Jhd., erklären mehrere zeitgeschichtliche Faktoren die Umdeutungen der Schlacht von Roncesvalles bei der Abfassung des Rolandsliedes: Auf fränkischer Seite wurde diese Schlacht wenngleich nicht als Sieg überliefert, so jedoch zu einem christlichen Martyrium stilisiert. Sowohl Karl als auch Roland selbst werden zu christlichen Märtyrern, die beinahe wider besseres Wissen leidend in den Tod gehen (Roland) bzw. dem Unheil fast bewusst seinen Lauf lassen (Karl der Große). Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Motivparallele zwischen den zwölf Paladinen Karls, die die von Roland geführte, fränkische Nachhut begleiten und wie er aufgeopfert werden, und den zwölf christlichen Aposteln, die Jesus Christus auf seinem Leidensweg zur Seite stehen. Karls Feldzug ins islamisch beherrschte Spanien, bei dem er ebenfalls gegen „ungläubige Heiden“ kämpfte, wird auf diese Weise quasi mit dem zeitlich der Entstehung des Epos sehr nahen Ersten Kreuzzug (1096-1099) gleichgesetzt, zu dessen ideologisch-propagandistischer Rechtfertigung und Verbrämung das Werk somit beitrug. Eine auffallende Ähnlichkeit springt vor diesem Hintergrund auch zur Tafelrunde des Sagenkreises um König Artus ins Auge, die ebenfalls zwölf Mitglieder hatte und wie auch das Rolandslied christlich-höfische Ideale propagierte.

In Spanien werden Karl der Große und Roland zur selben Zeit als Akteure der Reconquista dargestellt, der christlichen Rückeroberung der iberischen Halbinsel, deren erste Versuche ebenfalls bereits im 8. Jhd. begannen und die zur Entstehungszeit des Rolandsliedes und bereits seit der Jahrtausendwende vom christlich gebliebenen Nordspanien aus verstärkt vorangetrieben wurde. Das Rolandslied wurde auch dort reichlich rezipiert, was sicherlich auch ganz im Sinne von König Sancho VII. von Navarra, genannt dem Starken, gewesen sein dürfte, der im Bündnis mit Kastilien, Aragon und Portugal in der Schlacht von Las Navas de Tolosa (1212) die Truppen des Almohaden-Kalifen Muhammad an-Nasir besiegte und damit die islamische Vorherrschaft in al-Andalus bereits empfindlich schwächte. Der siegreiche Sancho ließ die bereits zu Beginn des 12. Jhd. erbaute Kollegiatskirche in Roncesvalles zu ihrer bis heute erhaltenen Form ausbauen und liegt dort seit der Überführung seiner Gebeine mehrere Jahre nach seinem Tod im Jahre 1234 prunkvoll begraben.

 Im vergangenen Jahr wurde der 800. Jahrestag der Weihung des Gotteshauses mit Festakt und Sonderausstellung begangen. Noch immer ist im der Klosteranlage angeschlossenen Museum neben anderen legendären Kuriositäten das sog. Schachbrett Karls des Großen zu bewundern, auch wenn es wenig wahrscheinlich ist, dass Karl daran tatsächlich mit dem Verräter Ganelon eine Partie des königlichen Spiels absolviert haben dürfte, als der verzweifelte Hilferuf auf Rolands Olifant an seine Ohren drang.

Aber solche Ausschmückungen sind eben sowohl für die Heldenepen selbst als auch für die entsprechenden Requisiten typisch. Die örtliche Nähe zum 1978 errichteten Denkmal für die Schlacht von Roncesvalles, in Sichtweite vor der Stiftskirche, die das Grabmal Sanchos VII. beherbergt, wirkt da rückblickend fast wie ein verschmitztes Augenzwinkern der Geschichte.

Schließlich spielte der Stoff des Rolandsliedes, ganz in der Tradition der mittelalterlichen Heldenepik der Chansons de geste stehend, gerade auch in den Stationen entlang des Jakobspfades eine wichtige Rolle, wo sie oft zur Erbauung und Unterhaltung der Pilger deklamiert oder auch gesungen wurden.

Dies dürfte insbesondere im Pilgerhospiz zu Roncesvalles der Fall gewesen sein, wo in Form des mühevollen Aufstiegs zum Ibañeta-Pass drei der vier wichtigsten Pilgerwege nach Santiago de Compostela seit ca. 1050 vereint die Pyrenäen überqueren. Ein massiver, rohbehauener Gedenkstein mit der schlichten Inschrift „Roldan“ (der spanischen Variante des Namens Roland) und der Jahreszahl der Schlacht (778) grüßt seit 1967 von der einsamen Passhöhe weit ins Land und hält die Erinnerung wach, fern wie ein Mythos …

Biographische Notiz: Ortwin Ziemer arbeitet seit 22 Jahren als Deutschlehrer auf La Réunion und unterrichtet dort vor allem Geschichte und Geografie bilingual in Abibac- und Europaklassen. Seine Interessen gelten dabei vor allem der europäischen Einigung (dabei speziell dem Platz der
Überseegebiete in diesem Prozess) sowie der Rolle des kulturellen Erbes in den deutsch-
französischen Beziehungen, hier nicht zuletzt den oft etwas unerwarteten Hintertreppen der
Geschichte.

Weitere geplante Blog-Beiträge:

Noch immer eine offene Wunde: Die Erinnerung an die Niederschlagung der Demonstrationen vom 17. Oktober 1961 und vom 8. Februar 1962 in Paris

Die Schatzkammer der Scheichs: Die Sammlung Al Thani im Hôtel de la Marine in Paris

Das Pantheon der großen (und der weniger großen) Männer und der wenigen großen Frauen, Teil 2: Der Kult der großen Männer

Das Reiterstandbild Heinrichs IV. auf dem Pont Neuf

Die Tiere des Königs (Les animaux du roi): Eine Ausstellung im Schloss von Versailles

Der Elefant der Bastille

Geht man über den kürzlich neu gestalteten Bastille-Platz, so wird man die verstreut in das Pflaster eingelassenen Symbole entdecken.

Da gibt es Jahreszahlen: 1789, 1830, 1848 und 1871 – also die Daten von Revolutionen, bei denen dieser Platz eine besondere Rolle spielte.

Natürlich gibt es auch ein Bild der Bastille, die hier einmal stand und die dem Platz seinen Namen gegeben hat.

Und dann gibt es auch einen Elefanten.

Einen Elefanten!? Wie kommt der denn auf den Bastille-Platz? Was hat er zu bedeuten?

Hier die interessante und unterhaltsame Geschichte des Bastille-Elefanten:

Entstanden ist der Bastille-Platz 1789, nachdem die Bastille – Festung unmittelbar nach ihrer Erstürmung am 14. Juli 1789 bis auf den letzten Stein niedergelegt worden war. Da war nun ein großer freier Platz, dessen mögliche Nutzung  die Phantasien beflügelte. Natürlich lag es nahe, dort den Jahrestag des 14. Juli zu feiern. Das war zwar noch lange kein Nationalfeiertag, aber schon seit 1790 wurde auf der Place de la Bastille am 14. Juli gefeiert und getanzt – zumal ja den Revolutionären auch das besondere Verdienst zukam, die Bastille in der besten Jahreszeit gestürmt zu haben.

1794, zur Zeit des jacobinischen Terrors,  kam dann eine neue Verwendung hinzu: Da wurde nämlich die Guillotine auf der Place de la Bastille aufgestellt- allerdings schon bald wieder auf die Place de la Nation verlegt: Die durchaus revolutionsfreudigen Bewohner des Faubourg Saint-Antoine hatten sich nämlich über die ständig das Viertel durchquerenden Karren mit den blutigen Körpern der Guillotinierten beklagt. Gerade für die dort ansässigen Handwerker war das wenig verkaufsfördernd. Die Place de la Nation war da geeigneter:  Von dort aus war der Weg zu den Massengräbern in den Gärten des ehemaligen  Klosters Picpus nur sehr kurz… [1]

Jetzt war der Platz wieder frei. Gewissermaßen eine Steilvorlage für Napoleon, den auch städtebaulich hoch ambitionierten Kaiser. Der unterschrieb am 18. Februar 1806 ein Dekret, das die Errichtung eines Triumphbogens zum Ruhm der Grande Armée befahl. Die ersten Pläne wurden erstellt und als Ort zunächst die  Place de  la Bastille in Aussicht genommen: Statt des Symbols des despotischen Ancien Régime jetzt also die Feier der Grande Armée und ihres Feldherrn. Allerdings war die Topographie an dieser Stelle dem Projekt wenig zuträglich. Die Straßen liefen nicht in geometrisch akkurater Form auf den Platz zu, so dass die Architekten die Place de l’Étoile als geeigneteren Standort vorschlugen. Der lag immerhin auch auf der großen Pariser Ost-West-Achse und war von der kaiserlichen Residenz im Palais des Tuilerien aus zu sehen.

Für den Bastille-Platz sah Napoleon nun aber ein anderes Projekt vor, das mindestens ebenso ambitioniert war wie das des großen Arc de Triomphe.  Am 26. Oktober 1808 ließ er seinem Innenminister Emmanuel Crétet einen kaiserlichen Erlass zukommen: Crétet wurde beauftragt, unverzüglich die Planung eines Brunnens auf der Place de la Bastiille zu veranlassen. Dieser Brunnen aus Bronze oder jedem anderen Material solle die Form eines Elefanten mit einem Turm auf dem Rücken haben, wie das „bei den Alten üblich“ gewesen sei. Als Tag der Grundsteinlegung sah Napoleon den  2. Dezember vor, den Jahrestag seiner Krönung, an dem auch die Ankunft des Wassers vom Canal de l’Ourcq gefeiert werden sollte.[2]

Die hier von Napoleon vorgenommene Verknüpfung der Grundsteinlegung des Elefantenbrunnens auf dem Bastille-Platz und der Inbetriebnahme des Canal de l’Ourcq ist Teil eines großen Projekts zur Verbesserung der Wasserversorgung der Stadt und ihrer Bevölkerung. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Wasser ein nur in sehr begrenztem Maße verfügbares kostbares Gut in Paris: Die Pariser hatten damals durchschnittlich nur 15 Liter Wasser zur Verfügung, heutzutage verbraucht ein Franzose achtmal so viel! Um der Wasserknappheit abzuhelfen, verfügte Napoleon schon 1806 den Bau von 15 neuen Brunnen. Den zusätzlichen Wasserverbrauch sollte der Canal de l’Ourcq sicherstellen, der frisches Wasser aus dem Nordosten nach Paris leiten und das Bassin de la Villette alimentieren sollte; ein riesiges, aus zwei Teilen bestehendes Wasserreservoir: Das eine 80 Meter breit und 700 Meter lang, das andere 30 Meter breit und 600 Meter lang!

Der Übergang vom breiten unteren zum schmaleren oberen Bassin de la Villette

Um das große Werk rechtzeitig zum 2. Dezember 1808 fertigzustellen, wurden übrigens auch 300 preußische Kriegsgefangene für den Bau eingesetzt![3]

Und wie von Napoleon gewünscht, konnte der mit der Planung des Brunnens beauftragte Architekt, Jacques Célerier, eine Bronzetafel präsentieren, die in den Grundstein eingelassen werden sollte: Darin wird natürlich „Napoleon der Große“ gebührend gefeiert, „der Kaiser der Franzosen, König von Italien, Protektor des Rheinbundes und immer siegreich“. Und es wird festgehalten, dass auf den Ruinen der Bastille ein öffentlicher Brunnen errichtet werde, dem der Kanal de l’Ourcq das Wasser liefere.[4]

Und warum sollte der Brunnen ausgerechnet in Form eines Elefanten gestaltet sein? Denn dass es ein Elefant sein sollte, bekräftigte Napoleon noch einmal ausdrücklich in einem Dekret vom 9. Februar 1810: Es solle ein Elefant aus Bronze sein,  fondu avec les canons pris sur les Espagnols insurgés, aus dessen Rüssel das Wasser sprudeln solle.[5]

Napoleon hat sich nicht dazu geäußert, warum er gerade einen Elefanten-Brunnen wünschte. Aber „implizit war die Idee zu diesem Denkmal – im nach-revolutionären Paris entstanden – eine Hommage an die Stärke des französischen Volkes. Der Elefant wird somit als Symbol des siegreichen Volkes gegen die Monarchie aufgefasst“. So verstand es auch Victor Hugo, der in Les Misérables den Bastille-Elefanten als „une sorte de symbole de la force populaire“ bezeichnete. Indem das Brunnenmonument aus den von den Spaniern eroberten Kanonen gegossen werden sollte, wird der Elefant aber auch als Siegesdenkmal und Symbol der Stärke des napoleonischen Heeres verstanden.[6]  Insofern hatte der Elefant eine republikanische Dimension und gleichzeitig sollte er auch- wie anders?- der Glorifizierung Napoleons dienen. Dazu kam aber auch noch eine monarchistische Dimension, was insgesamt genau zu Napoleon passte., der ja seine Herrschaft als Synthese monarchistischer und republikanischer Traditionen verstand.

Die monarchistische Dimension des Elefanten wird im Schloss von Fontainebleau deutlich,  einer Lieblingsresidenz Napoleons. In der dortigen Galerie  François I. ist der Elefant als Symbol königlicher Macht, aber auch der Weisheit dargestellt. [7]

Und 1758 hatte der Ingenieur Jean-Etienne Ribart de Chamoust dem damaligen König, Ludwig XV., vorgeschlagen, die Blickachse der Champs-Élysées durch einen Brunnen in Form eines 60 Meter hohen monumentalen Elefanten abzuschließen,  aus dessen Rüssel Wasser fließen sollte. Im Innern hatte er einen Konzert- und einen Ballsaal und Räume für Staatsbesucher des Königreichs vorgesehen.[8]

Ludwig XV. war allerdings wenig angetan von diesem Projekt – es erinnerte ihn zu sehr an Hannibal und hatte zu wenig Bezug zu seiner eigenen Person- so dass es nicht weiter verfolgt wurde – bis eben Napoleon kam und gewissermaßen einen Tausch vornahm: Der für die Place de la Bastille zunächst vorgesehene Triumphbogen wurde auf der Place  de l’Étoile errichtet und dafür sollte an der Place  de la Bastille ein monumentaler Elefantenbrunnen entstehen.

Für den Feldherrn Napoleon war der Bezug zu Hannibal, der immerhin das römische Weltreich herausgefordert hatte, offenbar nicht anstößig. Und es war auch Vivant Denon, Direktor des musée Napoléon und für die Verschönerung von Paris zuständig, der die Wahl eines Elefanten lebhaft begrüßte. Er hatte ja Napoleon auf seinem Feldzug nach Ägypten  begleitet und der Elefant entsprach der orientalischen Mode, die sich -angefeuert von Denon- nach diesem Feldzug in Frankreich ausbreitete.

Und schließlich gehörte der Elefant auch zu den möglichen Wappentieren, die Napoleon 1804 als Symbol für das Kaiserreich in Erwägung zog. Der gallische Hahn erschien da natürlich als viel zu wenig imperial, „le  coq n’a point de force…“.  Also besser der Löwe, der Elefant oder der Adler, der schließlich das Rennen machte.[9]

Es wurden nun zahlreiche Vorschläge für den projektierten Brunnen gemacht, um sie  dem Kaiser vorzulegen. Hier das „Projekt eines Brunnens für den Bastille-Platz, entworfen von Jean Antoine Alavoine unter der Leitung des Barons Denon.[10]

Im Vergleich zu den beigefügten menschlichen Figuren werden die Dimensionen des Projekts deutlich. Der Elefant sollte 16 Meter lang und 15 Meter hoch sein; das Ensemble, zusammen mit dem Podest und dem Turm auf dem Rücken, sogar 24 Meter hoch.   Architekten schätzten, dass man 177 000 Kilo Bronze benötigen würde, um den  Elefanten herzustellen. Um das  hydraulische System betreiben und warten zu können, war eine Treppe in einem der Elefanten-Füße vorgesehen.

 Hier der letzte Entwurf von Alavoine[11]:

Musée du Louvre, INV23524-recto © RMN-GP Louvre

Allerdings wurde das Dekret Napoleons vom 9. Februar 1810, dass der Elefantenbrunnen spätestens am 2. Dezember 1811, also wieder am Tag seines Krönungsjubiläums, in Betrieb genommen werden sollte[12], nicht erfüllt. Stattdessen wurde der Bildhauer Pierre-Charles Bridan beauftragt, zunächst ein Modell aus Holz und Gips zu erstellen. Dies war der Elefant der Bastille, der von 1814 bis 1846 auf der Ostseite des Platzes stand- etwa im Bereich der heutigen Opéra  Bastille.[13]

Um ihn herum wurde ein riesiger Hangar errichtet, um ihn vor Witterungseinflüssen zu schützen.

Victor Hugo setzte dem provisorischen Elefanten 1862 in seinem Sozialepos Die Elenden ( Les Misérables. 4. Teil, 6. Buch) ) ein literarisches Denkmal und machte ihn zum Wohnort des heroischen Gassenjungen Gavroche. Da heißt es:

„Es war kein Monument, nur ein Modell. Aber auch dieses Modell, diese fabelhafte Skizze, dieser grandiose Leichnam einer Idee Napoleons, den zwei oder drei Winstöße nacheinander erfasst und jedesmal weiter weggetragen hatten, war Geschichte geworden und hatte eine dauernde Gestalt angenommen, so provisorisch es dem Blick erschien. Es war ein vierzig Meter hoher Elefant, aus Balken und Gemäuer erbaut, mit einem Turm auf dem Kreuz, der einem Hause  glich. Irgendein Anstreicher hatte ihn ehedem grün übertüncht, jetzt war er schwarz übermalt durch Unwetter, Regen und Zeit. In diesem verlassenen und nach allen Seiten offenen Winkel des Platzes hoben die breite Stirn des Kolosses, sein Rüssel, seine Stoßzähne, sein Turm, sein ungeheurer Rücken und seine vier säulengleichen Beine sich nachts unter dem Sternenhimmel als überraschende und erschreckende Silhouette ab.“[14]

Dass nach dem Sturz Napoleons die Arbeiten an dem Monument eingestellt wurden, war kaum anders zu erwarten. Die zurückgekehrten Bourbonen hatten andere Pläne mit dem Platz, die aber auch nicht umgesetzt wurden. Und dann kam die Julirevolution von 1830, die Louis Philippe zum „Bürgerkönig“ machte. Louis-Philippe ordnete an, dass auf dem ehemaligen Standort der Bastille ein Monument zur Erinnerung an die Opfer der Juli-Revolution von 1830 zu errichten sei.  Zu Ehren der in den drei Revolutionstagen, den „trois gloirieuses“ Umgekommen wurde die Errichtung der Julisäule mit dem Genius der Freiheit an seiner Spitze beschlossen. Am 28. Juli 1840 fand die feierliche Enthüllung statt. Und gleichzeitig die Überführung der sterblichen Überreste der 1830 getöteten Revolutionäre, die in der Gruft unter der Säule bestattet wurden.[15]

Charles-François Daubigny, Cérémonie de l’inauguration de la colonne de juillet, 1840 (Metropolitan Museum of Art)

Victor Hugo verabscheute  übrigens die Siegessäule der Julirevolution. Der Architekt des Elefanten habe mit Gips Großes geschaffen, dem Architekten des „Ofenrohres“ sei es dagegen gelungen, mit Bronze nur Kleines zustande zu bringen .[16]

Allerdings bot der Gips-Elefant in den 1830-er und 1840-er Jahren ein trauriges Bild. Er war abgebröckelt und beschädigt, und wurde nicht von allen Betrachtern so geschätzt wie von Victor Hugo. Der deutsche Paris-Besucher C.G. Frege bezeichnete 1845 den Elefanten als „eines der geschmacklosesten Denkmäler, welche ich je gesehen habe.“ [17]

Der am Rand des Platzes stehende Gipselefant erhielt aber noch einige Jahre nach der Errichtung der Julisäule sein Gnadenbrot. Heinrich Heine kommentierte das auf seine Weise:

Aber die Forträumung des Elefanten erregte große Besorgnisse. Es ging nämlich unter dem Volk das unheimliche Gerücht von einer ungeheuren Anzahl Ratten, die sich im Innern des Elefanten eingenistet hätten, und es sei zu befürchten, daß, wenn man die große Gipsbestie niederreiße, eine Legion von kleinen, aber sehr gefährlichen Scheusalen zum Vorschein käme, die sich über die Faubourgs Saint-Antoine und Saint-Marceau verbreiten würden. Alle Unterröcke zitterten bei dem Gedanken an solche Gefahr, und sogar die Männer ergriff eine unheimliche Furcht vor der Invasion jener langgeschwänzten Gäste. Es wurden dem Magistrate die untertänigsten Vorstellungen gemacht, und infolge derselben vertagte man das Niederreißen des großen Gipselefanten, der seitdem jahrelang auf dem Bastillenplatze ruhig stehenblieb. Sonderbares Land! Wo trotz der allgemeinen Zerstörungssucht sich dennoch manche Dinge erhalten, da man allgemein die schlimmeren Dinge fürchtet, die an ihre Stelle treten könnten![18]

Am 19. Juni 1846 ordnete der Präfekt von Paris den Abriss des baufälligen Gipselefanten an. Mit ihm verschwand ein Wahrzeichen von Paris, an das jetzt wieder die in den Bastille-Platz eingelassenen Elefanten-Platten erinnern….

Verschwunden ist leider auch das schöne Elefanten-Werbeschild 128, rue de Lyon, das sich ganz offensichtlich auf den Bastille-Elefanten bezieht. Das vor etwa 60 Jahren aufgenommene schöne Foto hat mir Jean-Paul Poirier geschickt, dem ich dafür sehr herzlich danke.


Eine automatische Übersetzung ins Französische und Veröffentlichung unter fremdem Namen ist ausdrücklich untersagt! Wolf Jöckel

Anmerkungen

[1] Siehe dazu den Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2016/07/01/der-cimetiere-de-picpus-ein-deutsch-franzoesischer-erinnerungsort/

[2] Wortlaut des Erlasses bei Barbara von Orelli-Messerli, Der Elefant auf der Place de la Bastille: Eine Architektur? In: von Orelli-Messerli, Barbara. Ein Dialog der Künste : Neuinterpretation von Architektur und die Beschreibung in der Literatur der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Petersberg: Michael Imhof Verlag 2020, S. 73-97. Erlass zitiert S. 77

Endgültig fertiggestellt wurde der Kanal allerdings erst 1822, weshalb in diesem Jahr sein 200. Geburtstag gefeiert wird.

[3] https://aufildelourcq.org/histoire/

[4] Wortlaut bei von Orelli-Messerli: Le II Décembre MDCCCVIII, V e année du Règne de Napoléon le Grand, Empereur des Français, Roi d’Italie, Protecteur de la Confédération du Rhin, Toujours Victorieux, Une fontaine publique a été fondée sur les ruines de la Bastille. Le canal de l’Ourcq lui fournit ses eaux après avoir traversé une partie de la grande Cité. La première pierre a été posée par S. Exc. Emmanuel Cretet, […] Jacques Célerier, architecte.

[5] Wortlaut des Dekrets: https://www.napoleon.org/jeunes-historiens/napodoc/monuments-napoleoniens-le-mysterieux-elephant-de-la-place-de-la-bastille/  Entsprechend wurde ja auch die Colonne Venôme aus der Bronze erbeuteter Kanonen gefertigt.

[6] https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/183960/1/Barbara_von_Orelli-Messerli%2C_der_Elefant_auf_der_Place_de_la_Bastille.pdf   

[7]  Bild aus: https://fr.wikipedia.org/wiki/%C3%89l%C3%A9phant_de_la_Bastille#/media/Fichier:Fontainebleau_interior_francois_I_gallery_02.JPG Siehe auch: https://www.amischateaufontainebleau.org/wp-content/uploads/2011/01/D02_Galerie_F11.pdf

[8] http://www.paris-arc-de-triomphe.fr/Explorer/Genese-et-premiere-pierre  Bild des von Chamoust projektierten Elefanten aus: https://en.wikipedia.org/wiki/Charles_Ribart

[9] https://www.napoleon.org/jeunes-historiens/napodoc/monuments-napoleoniens-le-mysterieux-elephant-de-la-place-de-la-bastille/

[10] Bild aus: https://www.researchgate.net/figure/English-version-for-German-version-see-below-Jean-Antoine-Alavoine-Dominique-Vivant_fig1_339198307

[11] Bild aus: https://www.napoleon.org/jeunes-historiens/napodoc/monuments-napoleoniens-le-mysterieux-elephant-de-la-place-de-la-bastille/  Dort sind auch weitere Entwürfe für den Elefanten-Brunnen abgebildet.

[12] „Les mesures seront prises de manière que cet éléphant soit terminé et découvert au plus tard le 2 décembre 1811.“

[13]https://de.wikipedia.org/wiki/Elefant_der_Bastille

 Bild aus: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Model_of_the_Elephant_for_the_Place_de_la_Bastille,_1831.jpg

[14] Zitiert in: Uwe Schutz, Paris. Literarische Spaziergänge. Insel taschenbuch 2884. Frankfurt/Leipzig 2003, S. 213

[15] Bild aus: https://fr.wikipedia.org/wiki/Fichier:Charles-Fran%C3%A7ois_Daubigny,_C%C3%A9r%C3%A9monie_de_l%27inauguration_de_la_colonne_de_juillet,_1840.jpg

[16] Quoi qu’il en soit, pour revenir à la place de la Bastille, l’architecte de l’éléphant avec du plâtre était parvenu à faire du grand ; l’architecte du tuyau de poêle a réussi à faire du petit avec du bronze. Victor Hugo, Les Miserables. Zit bei Barbara von Orelli-Messerli, S. 75 https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/183960/1/Barbara_von_Orelli-Messerli%2C_der_Elefant_auf_der_Place_de_la_Bastille.pdf

[17] C.G. Frege, Genrebilder aus Paris im Sommer 1844. Leipzig 1845. Zitiert von: Hans-Jürgen Lüsebrink/Rolf Reichardt: Die Bastille. Zur Symbolgeschichte von Herrschaft und Freiheit. Fischer Taschenbuch Verlag FFM 1990, S. 189

[18] Heinrich Heine, Lutetia, Zweiter Teil, Abschnitt L. Paris 29. Juli 1842. In: Heinrich Heine, Sämtliche Werke Bd XII. München: Kindler 1964, S. 31

Literatur

Achim Hölter, „Un monument manqué“- Der Elefant auf der Place de la Bastille. In: Heine-Jahrbuch 2000, S. 135-164

Hans-Jürgen Lüsebrink/Rolf Reichardt: Die Bastille. Zur Symbolgeschichte von Herrschaft und Freiheit. Fischer Taschenbuch Verlag FFM 1990

Barbara von Orelli-Messerli, Der Elefant auf der Place de la Bastille: Eine Architektur? In: von Orelli-Messerli, Barbara. Ein Dialog der Künste : Neuinterpretation von Architektur und die Beschreibung in der Literatur der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Petersberg: Michael Imhof Verlag 2020, S. 73-97.

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