In einem Jahr: Die Olympischen Spiele von Paris!

2024 wird Paris zum dritten Mal nach 1900 und 1924 Austragungsort der Olympischen Sommerspiele sein.

Hemd eines Bademeisters in unserem Pariser Schwimmbad…

Die Ansprüche sind hoch: Immerhin handelt es sich nach den Worten von Staatspräsident Macron um die größte jemals in Frankreich organisierte Veranstaltung.  Ein echtes Volksfest sollen die Spiele werden (une vraie fête populaire), auf das Frankreich stolz sein könne. [1] Entsprechend auch Le Parisien in einem Leitartikel vom 15. April 2023, der sich ein allumfassendes Volksfest wünschte: „une fête populaire et totale“.  Die Olympischen Spiele von 2024, auf die Frankreich seit 100 Jahren warte, sollten sich im kollektiven Gedächtnis einprägen als „die erfolgreichsten Spiele aller Zeiten“.[2]

Spektakuläre Wettkampfstätten

Auch das Organisationskomittee weckt höchste Erwartungen:  Paris sei immerhin nicht eine Stadt wie jede andere und solle während der Spiele mit einem „spectacle total“ in Szene gesetzt werden. Dazu dient vor allem die Auswahl der Wettkampfstätten. Austragungsort vieler Wettkämpfe sind nämlich nicht wie üblich  Sportstadien, sondern „spektakuläre Orte im Herzen der Stadt“. Durch die Wettkampfstätten sollen die Wahrzeichen der Stadt und ihre schönsten Monumente in den Blickpunkt der Wettkämpfer und der Zuschauer vor Ort und an den Fernsehschirmen in aller Welt gerückt werden.[3]

Auf dem Marsfeld, zu Füßen des Eiffelturms, finden die Wettkämpfe im Beach-Volleyball statt.  

Das Grand Palais wird nach mehrjähriger Renovierung mit den Wettkämpfen im Fechten und Taekwondo wieder eröffnet.[4]

Auf der Place de la  Concorde werden Arenen für Straßensportarten wie Skateboard und Breakdance aufgebaut. [5]

Vor der Kulisse des Invalidendoms mit dem Sarg Napoleons findet das Bogenschießen statt. Hier ist auch das Ziel des Marathonlaufs.[6]

Die Champs-Élysées, gerne als „die schönste Avenue der Welt“ gerühmt, werden natürlich -wie ja auch immer zum Abschluss der Tour de France- zusammen mit der place de l’Étoile und dem  Arc de Triomphe – Schauplatz des Straßenradfahrens sein.

Und zu diesem Anlass soll auch der erste Abschnitt einer Neugestaltung der Champs-Elysées, mit dem schönen Namen Réenchanter les Champs-Elysées, abgeschlossen sein.[7]

Zu den spektakulären Wettkampforten der Olympiade werden auch die Seine und der Pont Alexandre III gehören.

An bzw. unter dieser Brücke sind nicht nur Start und Ziel der Triathlon-Wettkämpfe, sondern dort wird auch der Wechsel der drei Disziplinen stattfinden. Die Organisatoren versprechen sich davon „ein atemberaubendes Schauspiel“- vor allem natürlich für die 1000 Zuschauer, die das Glück und das Geld haben, die Wettkämpfe von der auf der Brücke aufgebauten Tribüne aus verfolgen zu können.[8]

Ein würdiger und passender Rahmen für die Reitwettbewerbe und den Modernen Fünfkampf wird  der Schlosspark von Versailles sein. Versailles war ja berühmt für seinen Großen Marstall: Um 1750 gehörten über 2000 Pferde zum königlichen Hof.  

Für die olympischen Spiele wird die von Le Nôtre 1680 geplante allée royale am Ende des Großen Kanals genutzt und ausgebaut werden, die -mit Blick auf das Schloss-  20 000 Zuschauer aufnehmen kann.[9]

Wenn von spektakulären Wettkampforten die Rede ist, dürfen natürlich die zum zweiten Mal bei Olympischen Spielen ausgetragenen Surf-Wettbewerbe nicht fehlen. Die finden nämlich in Tahiti statt![10]

Das gehört zu den überseeischen Departements Frankreichs, die damit auch in die Spiele einbezogen  werden. Und auf Tahiti gibt es die „mythische Welle von Teahupo’o“, die bis zu 6 Meter hoch sein kann und die nach den Vorstellungen der Organisatoren ein „atemberaubendes sportliches Schauspiel“ verspricht.[11]

Eine Eröffnungsfeier wie noch nie

Diese spektakulären Wettkampfstätten werden allerdings noch übertrumpft durch den Ort der Eröffnungszeremonie. Die findet nämlich nicht im Olympiastadion (dem Stade de France) statt, wie das bei allen bisherigen Olympischen Spielen der Fall war, sondern vor allem auf und entlang der Seine.

Auf 140 bis 170 Schiffen sollen über 10 000 Athletinnen, Athleten und Delegationsmitglieder am 26. Juli 2024 sechs Kilometer lang vom Pont d’Austerlitz im Defilee den Fluss hinunterfahren. Am Pont d’Iéna werden die Boote anlanden, und auf der Höhe darüber, dem Trodacéro, wird gegen 23.50 Uhr bei der Schale mit dem olympischen Feuer und mit Blick auf den Eiffelturm der Abschluss der Zeremonie stattfinden. Die Spiele werden dann offiziell durch Staatspräsident Macron eröffnet.[12]

Die olympischen Ringe auf dem Trocadéro (September 2017, anlässlich der Entscheidung für Paris als Austragungsort der Olympischen Spiele 2024) REUTERS/Benoit Tessier/File

Dieser Ablauf ist eine enorme logistische Herausforderung, wie der Präfekt der Region Ile-de-France, Marc Guillaume, kürzlich noch einmal betonte: Wenn das um 20.24 Uhr gestartete erste Schiff – traditionsgemäß mit der griechischen Abordnung besetzt- am Trocadéro ankomme, sei das letzte Schiff, nämlich das mit der Delegation Frankreichs, noch nicht einmal am Pont d’Austerlitz losgefahren: Eine höchst anspruchsvolle und durchaus risikoreiche Veranstaltung.

Würde sich zum Beispiel aufgrund von Störungen oder besonderen meteorologischen Umständen der Start jedes der vorgesehenen Boote auch nur um zwei Minuten verzögern, würde die abschließende Zeremonie bis zum frühen Morgen dauern- ein Fiasco für die Zuschauer vor Ort und an den Fernsehschirmen in aller Welt, vor allem aber für die Athleten, die teilweise schon am nächsten Tag mit den Wettkämpfen beginnen. Man will vorsichtshalber im Juli 2023 schon einmal eine -allerdings etwas abgespeckte- Probeveranstaltung durchführen, um mögliche Schwachstellen aufzuspüren…[13]

Trotz solcher und anderer Risiken haben sich die Organisatoren aber für diese außergewöhnliche Eröffnungszeremonie entschieden.  „Die Stadt wird“, wie es auf der offiziellen Olympia-Website heißt, „zur lebendigen Kulisse für einen außergewöhnlichen Moment. Die verschiedenen Szenen eines totalen Schauspiels zeigen die Monumente, Brücken und kulturellen Einrichtungen, die an der Seine liegen“  und die Teil des UNESCO-Weltkulturerbes „Seineufer“ sind.  Für Tony Estanguet, den Chef des Organisationskomittees, soll das nicht nur ein „grandioses Schauspiel“, sondern sogar das größte spectacle aller Zeiten werden.[14]

                    Animation des Defilees am Pont Neuf

Damit mag er den Mund vielleicht etwas arg voll genommen haben. Aber bei den (zunächst) eingeplanten „mehr als 600 000 Zuschauern“ allein für die Eröffnungsveranstaltung ist unbestreitbar, dass es sich um die „größte Zeremonie“ der Olympia-Geschichte handeln wird.[15] 100 000 Zuschauer sollen dabei auf den Tiefkais direkt am Fluss Platz nehmen. Die dortigen Plätze kosten zwischen 90 und 2700 Euro.[16]  

Auf den Hochkais darüber sollen 500 000 weitere Zuschauer kostenlos das Schauspiel verfolgen können.[17]  Damit ist nicht nur dem Anspruch der Grandiosität Genüge getan, sondern auch dem der „volkstümlichen Spiele“: Denn es ist ein Anspruch gerade auch von Präsident Macron, dass die Pariser bei der Olympiade nicht außen vor bleiben sollen, sondern sich mit ihr identifizieren und an ihr teilhaben können. Enttäuschungen gibt es aber trotzdem: Wer überhaupt zu den per Los ausgewählten Glücklichen gehörte, denen die Chance eines Ticket-Angebots für einen Platz auf den Tiefkais eröffnet wurde, musste schon kurz nach Öffnung der Kartenvergabe feststellen, dass – wenn überhaupt- nur noch Plätze ab 1600 Euro verfügbar waren…[18]

Planziel für Olympia: Frankreich unter den Top 5- Nationen!

Als Staatspräsident Macron im September 2021 die französischen Medaillengewinner der Olympischen Spiele von Tokio im Elysée-Palast empfing, stellte er trocken fest, die Medaillenausbeute entspreche nicht den Erwartungen. Frankreich hatte damals mit 12 Goldmedaillen und 32 Medaillen insgesamt den 8. Platz der Nationenwertung erreicht. Für Macron bei weitem nicht genug: „2024 muss es wesentlich besser werden. Frankreich muss sich dauerhaft unter den Top 5 der olympischen und paralympischen Spiele etablieren.“  Der Erfolg der Spiele werde am Erfolg der französischen Sportler gemessen, „car ça marche comme ça“ (weil es so läuft).[19] 2023 bekräftigte die französische Sport- und Olympia-Ministerin Amélie Oudéa-Castéra dieses Planziel: „Man kennt unseren Anspruch: Es ist ein Platz unter den Top 5 der Nationen.“[20] Zum Vergleich: Deutschland lag damals noch einen Platz hinter Frankreich: zwar mit 37 Medaillen insgesamt etwas besser, allerdings einer entscheidenden Silbermedaille weniger. Aber es ist wohl völlig unvorstellbar, dass Bundespräsident Steinmeier und die für den Sport zuständige Innenministerin Faeser solche Vorgaben gemacht hätten oder machen würden wie ihre französischen Pendants: Die Rolle des Staates ist in Frankreich -und zwar nicht nur im Bereich der Wirtschaft- eine andere als in Deutschland, und die des „republikanischen Monarchen“ an der Spitze Frankreichs sowieso eine völlig andere als die des deutschen Bundespräsidenten…  Bezeichnend ist auch, dass ein Jahr vor den Olympischen Spielen das Thema Medaillenausbeute in den deutschen Medien -soweit ich das sehe- keine Rolle spielt. Ganz anders in Frankreich, wo es in den Medien allgegenwärtig ist: Sogar die den Sport im Allgemeinen kaum berücksichtigende Zeitung Le Monde hat am 23.3.2023 den Medaillen-Ambitionen und -Aussichten Frankreichs ganze zwei Seiten gewidmet![21]

Goldmedaille der Olympischen Spiele Tokio [22]

Inzwischen scheint das Top 5- Ziel Allgemeingut des französischen Selbstverständnisses zu sein. Und die französische Sportpolitik hat dementsprechend auch einiges getan, um die Voraussetzungen zu seiner Erreichung zu schaffen: entsprechende organisatorische Strukturen, die Konzentration auf die Förderung von potentiellen Medaillengewinnern und vor allem natürlich auch erhebliche finanzielle Mittel. Vorbild dabei ist Großbritannien, das nach einem „demütigenden“ Ergebnis 1996 systematisch medaillenträchtige Athleten und Sportarten gefördert hat und seit den Spielen von Peking 2008  fest unter den Top 5- Nationen etabliert ist.[23]

Bei der Beurteilung des französischen Plansolls werden in der Presse immer wieder zwei Olympiaden zum Vergleich herangezogen: Die Spiele von Atlanta 1986, als Frankreich mit 15 Goldmedaillen schon einmal den 5. Platz der Nationenwertung erreichte, und die Spiele von Tokio 2021 mit 10 Goldmedaillen und einem 8. Platz. Dass das politische Medaillen – Ziel erreichbar ist, wird aber immer wieder betont: Auch mit Verweis auf 16 französische Weltmeisterschafts-Gewinner in den olympischen Disziplinen 2022 und 45 Medaillen. Insofern könne man hoffen, in der Medaillenzahl insgesamt (bisher 43 in Peking) und bei den Goldmedaillen (bisher 15 in Atlanta)  in Paris einen zweifachen nationalen olympischen Rekord aufzustellen; oder sogar einen dreifachen: Denn die Ergebnisse von 2022 würden Frankreich sogar- auf Olympia übertragen-  auf den vierten Platz der Nationenwertung hieven.[24]

2017, als Paris zum Austragungsort der Olympischen Spiele nominiert wurde, gab die damalige Sportministerin Laura Flessel sogar sehr ehrgeizige 80 Medaillen als Ziel an. Die Sportzeitung L’Equipe war da 2022 schon deutlich bescheidener mit einer Zielvorgabe von 50 Medaillen.

Für Claude Onesta, den Chef der französischen Kaderschmiede Agence nationale du sport müssten es allerdings schon 60-70 Medaillen sein, um den 5. Platz zu erklimmen, aber er hielt im März 2023 sogar 107 französische Medaillen für wahrscheinlich! („107 médailles probables“). Wie auch immer… Jedenfalls müssten nach der Prognose von Fabien Canu, dem Direktor des Institut national du sport,  15 bis eher 20 Goldmedaillen dabei sein, um sicher unter die ersten 5 Nationen zu kommen, was er aber für erreichbar hält.[25] Dabei wird gerne auf den motivierenden Heimvorteil verwiesen und es werden französische Goldmedaillen-Favoriten herausgestellt:

Der Zehnkämpfer Kevin Meyer, auf dessen Schultern ein immenser Erwartungsdruck lastet.[26]

Dazu gehören unter anderen und vor allem der Zehnkämpfer Kevin Meyer, Weltrekordhalter, Weltmeister und zweimaliger Silbermedaillengewinner bei Olympischen Spielen…

….der fast schon legendäre Judoka Teddy Riner, Medaillengewinner bei allen Olympiaden seit 2008, davon dreimal Gold, der gerade im Alter von 34 Jahren seinen 11.Weltmeisterschaftstitel gewonnen hat- beste Aussichten also für die Pariser Olympiade, wie Le Parisien vom 14.5. in seiner Eloge schreibt.. [26a]

… und der neue Schwimmsportstar Léon Marchand, der schon als „bester Schwimmer aller Zeiten“ gerühmt wird und dem  gleich mehrere Goldmedaillen zugetraut werden; gewissermaßen als Nachfolger von Michael Phelps-  und der  hatte ja bei den Olympischen Spielen von Peking achtmal das  Siegertreppchen bestiegen…[27]

Beste Voraussetzung also auch in dieser Hinsicht für glanzvolle und erfolgreiche Olympische Spiele von Paris.

Das Emblem der Olympischen und Paralympischen Spiele 24, eine Kombination von Goldmedaille, olympischer Flamme und Marianne, der Personifizierung der Französischen Republik und ihrer Ideale.[28]

Aber was ist, wenn…?  Die Olympischen Spiele als mögliche Bühne für Proteste gegen Macron und die Rentenpolitik

Eigentlich könnten also die Verantwortlichen beruhigt den Olympischen Spielen entgegensehen und sich auf die noch notwendigen Vorbereitungen konzentrieren. Zumal eine große Mehrheit der Franzosen, nämlich 69%, laut einer Umfrage von Anfang 2023 die Abhaltung der Spiele in Paris unterstützt, auch wenn das ein Rückgang von 5 Punkten gegenüber der Umfrage von Oktober 2021 ist, was auch damit zusammenhängen mag, dass eine noch größere Mehrheit die Ticketpreise für zu hoch hält.[29]

Aber es gibt doch auch Anlass zu Sorgenfalten. Denn der Protest gegen die Rentenpolitik Macrons hat sich ja, wie die Demonstrationen am 1. Mai 2023 zeigten, noch nicht gelegt, auch wenn das französische Verfassungsgericht, der Conseil constitutionnel, die Reform gebilligt hat und die Reform damit sozusagen unter Dach und Fach ist.  Schon während der bisherigen Demonstrationen hat sich gezeigt, dass in Teilen der Protestbewegung die Olympischen Spiele als möglicher Hebel des Widerstands gesehen werden und als Bühne für eine öffentlichkeitswirksame Darstellung der colère, der Empörung über das rabiate Vorgehen des Präsidenten, genutzt werden könnten.[30]  

„Paris 2024 wird nicht stattfinden“. Foto vom 6. April 2023, dem 11. Tag der Mobilisierung gegen die Rentenreform.  Le Monde (18. April 2023)

In den sozialen Medien kursiert seit einiger Zeit der Slogan „Pas de retrait, pas de JO“: Wenn also Macron die Reform nicht zurücknehme, werde es keine Olympischen Spiele geben.

Es handelt sich also um einen Aufruf, die Vorbereitungen und den Ablauf der Olympischen Spiele zu stören, weil man damit Macron an einem schwachen Punkt zu treffen hofft.[31] Solche Aufrufe kommen von einzelnen Aktivisten von rechts und links, sie werden auch von Organisationen wie Attac unterstützt. Ob bzw. inwieweit sie befolgt werden, ist derzeit wohl völlig ungewiss. Laurent Berger, der Chef der mitgliederstärksten Gewerkschaft CFDT, hat sich jedenfalls schon deutlich für ruhige Spiele ausgesprochen: Die Spiele sollten ein Fest werden, ein „magischer Moment für alle, die den Sport lieben“. Derartige Drohungen oder Aktionen sollten also unterbleiben. Und die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die die Aktionen gegen die Rentenreform ausdrücklich unterstützte und zunächst auch dem Olympia-Projekt sehr skeptisch gegenüberstand, rief dazu auf, die Spiele nicht als Geisel zu benutzen. Im Umkreis der Regierung erwartet man sogar eine „union sacrée sur les JO“, also die Aussetzung innenpolitischer Auseinandersetzungen während der Olympiade nach dem Vorbild des „geheiligten Bundes“ im Ersten Weltkrieg. Ganz so sicher scheint sich die Regierung aber nicht zu sein und durchaus mögliche Probleme zu befürchten. So will die öffentliche Pariser Verkehrsgesellschaft RATP auf Drängen der Regierung den Bediensteten bei Metro, Bus und RER (S-Bahn) einen Olympia-Bonus gewähren, um Protestaktionen während der Spiele vorzubeugen…  Auch die Beschäftigten der Bahn und der Pariser Flughäfen sollen bedacht werden. Ein Fiasco wie die Absage des Antrittsbesuchs des englischen Königs Charles III soll um jeden Preis verhindert werden.[32]

Das Verkehrssystem: Die Achilles-Ferse der Olympischen Spiele

Bei der Bewerbung um die Olympischen Spiele hatte die Stadt Paris als besonderen Vorzug das Transportsystem herausgestellt: 100% der Besucher würden mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Fahrrad die Sportstätten erreichen können. Dafür wurde ein ehrgeiziges Ausbauprogramm entwickelt mit dem Ziel, die einzelnen Sportstätten und sonstigen olympischen Einrichtungen wie das Pressezentrum oder das olympische Dorf zu verbinden. Das sind immerhin insgesamt 25 Orte, davon 12 in Paris und 13 im Pariser Umland (petite et grande couronne).

Dazu soll/te das überwiegend marode, überalterte und schon im Normalbetrieb völlig überforderte System der öffentlichen Verkehrsmittel so weit ertüchtigt werden, dass es Millionen zusätzlicher Verkehrsteilnehmer bewältigen kann. Gerechnet wird von den für den Transport Verantwortlichen immerhin mit etwa 500 000 Zuschauern, Teilnehmern und Offiziellen, die während der Spiele täglich befördert werden müssen. Die französische Sportministerin geht sogar von 800 000 täglichen Olympia-Verkehrsteilnehmern aus, 600 000 Zuschauern und 200 000 Akkreditierten, also Sportlern, Pressevertretern, Angestellten, freiwilligen Helfern und Offiziellen. Ob dazu die geplante Ausweitung des bestehenden Angebots um 15% ausreichen wird, sei dahingestellt.[33]

Kein Wunder, dass angesichts solcher immenser Herausforderungen die Sorge vor Protestaktionen hoch ist. Dies auch deshalb, weil 2024 eine weitere Öffnung des Verkehrssystems für private Anbieter auf der Tagesordnung steht. Da können Proteste öffentlich Bediensteter, die den Verlust von Privilegien befürchten, nicht ausgeschlossen werden. Möglicherweise wird es deshalb vorsorglich einen Olympia-bedingten Aufschub geben.

Aber selbst wenn die Olympischen Spiele nicht durch Protestaktionen beeinträchtigt werden, ist das Transportsystem die Achilles-Ferse der Spiele. Schon heute ist absehbar, dass die Mammutaufgabe des Transports kaum zufriedenstellend bewältigt werden kann.

Bauarbeiten für die Olympiade am Pariser Nordbahnhof, 3.2.2023 (Photo by JULIEN DE ROSA / AFP) [34]

Vor allem deshalb, weil zwar viel gebaut wird, zahlreiche für die Olympischen Spiele eingeplanten Verkehrsinvestitionen aber nicht rechtzeitig fertig gestellt werden können. Beispielsweise wird die strategisch wichtige Linie 16, die als „offizielle Linie“ der Spiele bezeichnet worden war, nicht verfügbar sein. Sie sollte die nördlich von Paris im Département Seine-Saint-Denis gelegenen Olympia-Orte wie das Olympiastadion, das daneben neu zu errichtende Schwimmstadion und das olympische Dorf miteinander verbinden. Das Centre Aquatique Olympique sollte ein ökologisches Vorzeigeprojekt werden und dem ärmsten und problembeladenen französischen Departement etwas Glanz verleihen. Aber zwei zentrale Sportstätten wie das Olympiastadion (Stade de France) und das Schwimmstadion direkt nebeneinander mussten ein Albtraum für die Verkehrsplaner sein: Schon bei dem Champions-League-Finale am 28. Mai 2022 kam es bei nur 110 000 Besuchern zu massiven Verkehrsproblemen und daraus resultierenden chaotischen Situationen.[35] Deshalb hat man, um das Verkehrssystem durch die Entzerrung von Großwettkampfstätten zu entlasten (und gleichzeitig Kosten zu sparen), die Schwimmwettkämpfe nach Nanterre in den Westen von Paris verlegt. Sie werden dort in der Défense Arena, dem größten Konzertsaal Europas, ausgetragen, in den nun extra Bassins eingebaut werden müssen. Diese Sportstätte ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln relativ gut erreichbar, unter anderem mit der inzwischen voll automatisierten Métro-Linie 1, die als erste Métro-Linie von Paris für die Olympiade von 1900 gebaut wurde…

Es sind aber nicht nur die nicht rechtzeitig fertig gestellten Verkehrsinvestitionen, die Probleme bereiten. Auch die bestehende Infrastruktur leidet unter massiven Problemen, die Bewohner und Besucher von Paris zur Genüge kennen: Überlastungen, teilweise urtümliche Züge, marode Einrichtungen, die immer wieder zu Störungen des Verkehrs führen.  Wir vermeiden es deshalb nach Möglichkeit, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen und bewegen uns vorzugshalber mit dem Fahrrad. Aber trotzdem haben wir schon öfters die Erfahrung gemacht- zum Beispiel mit Koffern auf dem Weg vom oder zum Bahnhof, in völlig überfüllten Metro-Wagen eingeklemmt zu sein oder gar nicht erst hineinzukommen…

 Besonders anfällig sind die beiden RER- (S-Bahn-) Linien B und D, die zu den Hauptverkehrsträgern  der Olympischen  Spiele gehören: Schienennetz und rollendes Material sind überaltert, was sich auch bis 2024 nicht nachhaltig ändern wird, wie das renommierte Montaigne-Institut in einem detaillierten Bericht über die Transportprobleme während der Olympischen Spiele schreibt.[36] Einen Vorgeschmack gab es im Sommer 2022, als bei brütender Hitze Züge beider Linien in einem Tunnel stundenlang zum Stehen kamen und evakuiert werden mussten.[37]

Für die Organisation der Spiele ist das eine große Herausforderung. Man ist gezwungen, bei den Planungen die bestehenden Unzulänglichkeiten zu berücksichtigen. Das heißt zum Beispiel, dass -entgegen dem ursprünglichen 100%-Ziel der Bewerbung, nicht nur auf öffentliche Verkehrsmittel, Fahrrad und Fuß gesetzt werden kann, sondern auch Autos und Busse eine große Rolle spielen werden. 1400 Busse sollen für den Transport von Athleten und Offiziellen eingesetzt werden. Für das System von Shuttle-Bussen werden gesonderte Fahrspuren mit einer Länge von 185 Kilometern eingerichtet, die sogenannten voies olympiques.[38] Auch der die Stadt umgebende und fast ständig überlastete Boulevard périphérique, der gerade seinen 50. Geburtstag gefeiert hat, soll eine solche olympische Fahrspur erhalten.

Wenn man bedenkt, wie deutlich und eindrucksvoll die Stadt Paris schon in den letzten Jahren die Fahrspuren für Autos zugunsten von Fußgängern und Fahrradfahrern reduziert hat, kann man sich vielleicht ein wenig ausmalen, was das für den nicht-olympischen Verkehr bedeuten wird. Immerhin finden die Olympischen Spiele zur Ferienzeit statt. Aber viele Pariser und Bewohner des Umlandes werden im nächsten Jahr während der Spiele arbeiten müssen, weil sie für deren Ablauf und den touristischen Massenansturm requiriert werden oder sich dafür zur Verfügung stellen. Und viele Einheimische wollen und sollen ja auch die Wettkämpfe direkt verfolgen können, damit die Spiele nicht ein Fremdkörper in der eigenen Stadt werden, sondern das erhoffte Volksfest. Präsident Macron hat allerdings schon in seiner Rede 500 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele vorsorglich gewarnt: Es sei eine Realität, dass trotz der ausgerufenen Generalmobilmachung „einige unserer Mitbürger“ während der Spiele „ein etwas eingeschränktes Leben haben werden“, was den Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder den Privatverkehr angehe.[39]

Eine besondere und zusätzliche Herausforderung stellen dazu auch noch die Paralympischen Spiele (28. August bis 8. September) dar. Fast 350 000 Teilnehmer und Zuschauer mit eingeschränkter Beweglichkeit werden dazu erwartet. Für sie sind die öffentlichen Verkehrsmittel in Paris kaum geeignet. Selbst für noch einigermaßen bewegliche Menschen ist es ja eine Zumutung, dass an Verkehrsknotenpunkten wie der place de la République keine Rolltreppen, geschweige denn Aufzüge existieren. Wir können davon, wenn wir auf dem Weg von oder nach Paris dort kofferbeladen umsteigen und mehrere Treppen überwinden müssen, ein (trauriges) Lied singen. An einer „normalen“ Metro-Station erwartet man ja schon gar nicht den „Luxus“  alters- oder behindertengemäßer Einrichtungen. Die relativ frühe Entstehungszeit des Pariser Metro-Systems erweist sich hier als Nachteil: Als die Metro gebaut wurde, waren Rolltreppen und Aufzüge noch nicht eine Selbstverständlichkeit. Da kann auch eine Olympiade nicht auf die Schnelle Abhilfe schaffen.

Was kann und wird die Stadt also tun, um auch im Bereich des Transports dem Anspruch behindertengerechter, inklusiver Spiele zu entsprechen?[40]  Sie will die Flotte barrierefreier Taxis erhöhen, die voie olympique des Boulevard périphérique auch für den Transport von behinderten Menschen öffnen und -wie auch immer im Einzelnen- dauerhaft die selbstständigen Bewegungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung verbessern. On verra….

Die unsichere Sicherheitslage

Ein Großereignis wie die Olympischen Spiele birgt selbstverständlich auch erhebliche Sicherheitsrisiken. Die zu erwartende außergewöhnlichen Zusammenballung von Menschen wird für Diebe ein gefundenes Fressen sein. Nicht von ungefähr wird schon bisher in den Metro-Zügen ständig vor Taschendieben gewarnt. Wesentlich bedrohlicher sind aber die terroristischen Gefahren. Man hat ja 2015 gesehen, dass ein großes Sportereignis zum Ziel eines islamistischen Anschlags wurde: Damals fand im Stade de France, das 2024 das Olympiastadion sein wird,  vor rund 80.000 Zuschauern ein Freundschaftsspiel zwischen der französischen und der deutschen Fußballnationalmannschaft statt, bei dem auch der damalige französische Staatspräsident Hollande und der damalige deutsche Außenminister Steinmeier anwesend waren. Glücklicherweise konnte das geplante Eindringen von drei Selbstmordattentätern in das Stadion verhindert werden. So sprengten sich die Attentäter außerhalb des Stadions in die Luft, wobei ein zufällig vorbeikommender Passant getötet wurde. Nicht auszudenken, wenn der Plan der Terroristen -so wie im gleichzeitigen Bataclan-Anschlag- aufgegangen wäre…

Unter Sicherheitsgesichtspunkten stellt die Eröffnungszeremonie ein außergewöhnliches Gefahrenpotential dar. Darüber scheint bei Sicherheitsfachleiten weitgehend Konsens zu bestehen. Sogar der respektable Cour des Comptes hat im Januar 2023 darauf hingewiesen.[41]  Der bekannte Kriminologe Alain Bauer ging sogar so weit, die geplante Zeremonie mit 600 000 Zuschauern als „kriminellen Wahnsinn“ (folie criminelle) zu bezeichnen. Bei dieser Art der Veranstaltung gäbe es nichts, was im Blick auf die Sicherheit von Athleten, Veranstaltern und Öffentlichkeit nicht möglich sei.[42] Das geht von der Schwierigkeit, medizinische Notfalleinsätze durchzuführen, über die Gefahr von Panikattacken bis -natürlich- hin zu möglichen terroristischen Angriffen. Denn ein solches von Milliarden Menschen in aller Welt verfolgtes Ereignis mit einer solch extremen Publikumskonzentration biete sich als Ziel von Anschlägen geradezu an. Nach Einschätzung der Pariser Polizeipräfektur sei da keine absolute Sicherheit zu garantieren, zumal es Anschläge zu Lande, zu Wasser und aus der Luft geben könne. [43] 

Inzwischen hat sich das denkbare Spektrum terroristischer Anschläge gegenüber 2015 ja noch wesentlich erhöht: Sicherheitsfachleute sind besonders beunruhigt über die Möglichkeit von Drohnenangriffen. Der Krieg in der Ukraine zeige, wie leicht Drohnen militärisch ausrüstbar und einsetzbar seien. Das französische Militär will deshalb diese Gefahr besonders im Auge behalten und sich entsprechend darauf vorbereiten. Dies gilt auch für mögliche Angriffe durch Unterwasserdrohnen. [44] 

Eine Maßnahme zur Gefahrenreduzierung wird auch sein, den Zugang zu den kostenfreien Zuschauerplätzen auf den Hochkais der Seine zu reglementieren: Es sollen, anders als zunächst geplant, 17-20 abgegrenzte und gesicherte  Zonen eingerichtet werden, für die Eintrittskarten ausgegeben werden. Es wird also nicht möglich sein, sich frei entlang der Seine zu bewegen.

Und was die Zahl von 600 000 Zuschauern angeht, ist das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen. Da gibt es Forderungen und wohl auch offizielle Überlegungen, die Zahl aus Sicherheitsgründen auf 500 000 oder sogar 400 000 zu reduzieren.[45]

Zur Sicherung allein der Eröffnungsfeier, aber auch für die gesamte Zeit der Spiele, werden mehr als 20 000 private Wachleute benötigt, die es aber derzeit (noch) nicht gibt, zumal sich viel Wachpersonal während der Corona-Krise beruflich anders orientiert hat.

Privates Wachpersonal am Stade de France, dem zukünftigen Olympiastadion. (Franck Fife/AFP)[46]

 Bisher ist es jedenfalls nicht gelungen, mit Hilfe der ausgewählten privaten Sicherheitsfirmen auch nur annähernd die genügende Zahl von Wachleuten zu verpflichten. Die Zeitung Le Monde spricht schon, in Bezug auf die Sicherheit der Spiele,  von einem Ausnahmezustand.  Die Organisatoren versuchen deshalb, unter den Arbeitslosen und Studenten zusätzliches Personal zu finden, das in Schnellkursen ausgebildet und dann „ins kalte Wasser geworfen“ werden soll. Es wird auch überlegt, im frankophonen Ausland auf die Suche zu gehen. Und wenn alle Stricke reißen, wird wohl -wie schon bei den Olympischen Spielen von London- die Armee einspringen müssen.[47]

Die ist allerdings sowie schon seit 2015 im Rahmen der Operation Sentinelle für die Abwehr terroristischer Gefahren mobilisiert.  Die schwerbewaffneten matialischen Armeepatrouillen gehören ja fast schon wie selbstverständlich zum Pariser Stadtbild.[48]

Ein besonders heftig diskutiertes Sicherheits-Thema ist die Video-Überwachung. Sie soll für die Olympischen Spiele ausgeweitet werden, womit die Sicherheit erhöht und das Wachpersonal entlastet werden soll. Inzwischen hat ein speziell für die Olympiade erarbeitetes entsprechendes Gesetz alle parlamentarischen Hürden überwunden. Die ursprünglich geplante biometrische Überwachung, die – wie in China praktiziert- die Identifikation von Personen ermöglicht, wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahren fallen gelassen. Die Erfassung soll allerdings „intelligent“ sein (vidéosurveillance algorithmique), also mit Hilfe der verwendeten Algorithmen (potentielle) Gefahrensituationen wie den Ausbruch eines Feuers, verdächtige Gegenstände oder Publikumsbewegungen automatisch identifizieren. 

Dieses Überwachungssystem ist gesetzlich als experimentell definiert und bis Ende 2024 terminiert – damit allerdings nicht auf die Zeit der Spiele begrenzt und auch nicht auf diese beschränkt. Es bezieht sich nämlich ganz allgemein auf Veranstaltungen, „die aufgrund ihres Umfangs oder ihre Umstände besonderen Risiken terroristischer Akte oder schweren Beeinträchtigungen der Sicherheit von Personen“ ausgesetzt sind, wie es im Gesetzestext heißt.[49] Manchen, wie dem republikanischen Rechtsaußen und Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi,  geht diese Regelung der Videoüberwachung nicht weit genug, andere -wie die linken Abgeordneten der NUPES, die gegen das Gesetz stimmten, sehen hier ein Einfallstor für dauerhafte und dann doch noch verschärfte Überwachungsmaßnahmen. Dass die Kosten für die Sicherheit der Spiele in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro im Olympia- Budget nicht berücksichtigt sind, sei nur am Rande noch erwähnt… [50]

Dank Olympia: Baden in der Seine!

Zu den besonderen Attraktionen der Pariser Olympiade gehört die Austragung des Triathlon-Schwimmens und der Freiwasser-Wettbewerbe in der Seine. Das ist geradezu sensationell, denn seit 1923 ist das Schwimmen dort verboten: Die miserable Wasserqualität ließ keine Wahl. 1970 wurde dann auch das Baden in der Marne, dem wichtigsten Nebenfluss der Seine, verboten: eine umweltpolitische Bankrotterklärung.  1988 verkündete dann Jacques Chirac, damals Bürgermeister von Paris, in seiner typischen forschen Kavalleristen-Manier, man werde in fünf Jahren in der Seine baden können:  Dans cinq ans, on pourra à nouveau se baigner dans la Seine. Und er werde dabei der erste sein.[51] Aber daraus wurde nichts. Fast 20 Jahre später fand dann zwar der Schwimmpart des Pariser Triathlons in der Seine statt und 4500 Teilnehmer durften (oder mussten…)  trotz gesundheitlicher Bedenken am Eiffelturm in die Seine springen. Aber das war es dann auch – und es wäre sicherlich auch ohne die Olympischen Spiele noch lange dabei geblieben. Mit der Nominierung von Paris als Olympiaort setzte man sich aber das ehrgeizige Ziel, jetzt endlich vielen schönen Worten Taten folgen zu lassen, das Baden in der Seine möglich zu machen und olympische Schwimmwettbewerbe im Fluss zu veranstalten. In sieben Jahren wurde erreicht, was sonst noch weitere 30 oder 40 Jahre gedauert hätte – so Pierre Rabadan,  der für die Olympischen Spiele zuständige Pariser Dezernent (adjoint à la maire de Paris). Vom Bad in der Seine hätten manche geträumt, viele davon gesprochen, ab 2024 sei es dank Olympiade Realität, twitterte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo und posierte mit einem passenden Zeitschriftencover an der Seine. Und Präsident Macron stellte zufrieden fest, das Baden in Marne und Seine ermöglicht zu haben, werde zu dem bleibenden Erbe der Spiele gehören. [52]  

Die „Rückeroberung der Seine“ war und ist noch ein äußerst anspruchsvolles und aufwändiges Vorhaben. Lange Zeit wurden erhebliche Abwässer ungeklärt in Marne und Seine eingeleitet. Ein besonderes Problem stellten heftige Regengüsse dar, die oft das Abwassersystem überforderten und zum Überlaufen brachten.  Jean-Paul Kauffmann berichtet in seinem 2013 erschienenen Buch „Remonter la Marne“, nach Regenfällen würden von der Brücke von Joinville alle möglichen Krankheitserreger in die  Marne gespült. Dann erschienen ölige Flecken auf der Wasseroberfläche, auf denen hunderte von toten Fischen trieben. Das macht deutlich, wieviel zu tun war und noch ist, um da Abhilfe zu schaffen. 1,4 Milliarden Euro wurden und werden dafür investiert und es gibt auch schon deutliche Erfolge:

Gab es in den 1990-er Jahren nur noch 3 Fischarten in der Seine, so sind es heute 34 oder -folgt man Netflix- sogar 35: Die amerikanische Streaming Plattform dreht nämlich gerade einen Film, in dem es um einen Hai in der Seine geht, der den Triathlon-Wettbewerb 2024 ins Chaos stürzt…[53]  Wenn sich also schon ein Hai in der Seine tummelt…

Der Olympia-Verantwortliche der Stadt Paris kann jedenfalls eine stolze Zwischenbilanz verkünden: Hätten die Olympischen Spiele 2022 zur exakt gleichen Zeit stattgefunden wie 2024, wäre schon damals während 92% der Zeit die Qualität des Seine-Wassers ausreichend oder hervorragend gewesen.[54] Aber natürlich reicht das nicht aus, denn Wettkämpfe können ja nicht einfach verschoben werden, weil gerade ein Starkregen das Wasser verschmutzt hat. Also wird noch weiter intensiv an dem ehrgeizigen Projekt gearbeitet. In Paris trifft man an der Seine an mehreren Orten entsprechenden Baustellen.

„2024 wird man in der Seine baden können“ (Foto: Wolf Jöckel)

Besonders eindrucksvoll ist die Baustelle am Gare d’Austerlitz.[55]

Paris, France, le 12 avril 2023. Construction du bassin d’eau d’Austerlitz. photo : LP / Olivier Corsan

Hier wird ein riesiges Auffangbecken mit einem Durchmesser von 50 Metern, einer Tiefe von 30 Metern und einem Fassungsvermögen von 50 000 m3 gebaut. Es geht darum zu verhindern, dass bei starkem Regen Abwässer in die Seine gelangen. Bei Starkregen wird das verschmutzte Wasser in dem Bassin aufgefangen und von dort nach und nach in Kläranlagen geleitet – ein wichtiger Beitrag zur weiteren Verbesserung der Wasserqualität.[56]

Geplant ist nun, dass auch die Öffentlichkeit ab 2025 davon profitieren kann. Gegenwärtig werden im städtischen Bereich vier mögliche Standorte für Seine-Schwimmbäder geprüft, von denen einer oder zwei 2025 fertiggestellt sein soll/en. Das werden allerdings -wie bisher schon  im Bassin de la Villette- abgegrenzte Bereiche sein: Badnutzung und Schiffsverkehr müssen ja deutlich voneinander getrennt sein und die Strömung des Flusses kann so reduziert werden.  Hier eine Animation, wie das vielleicht einmal aussehen könnte[57]:

Allerdings sind da viele Pariser sehr skeptisch und es muss wohl noch einige Überzeugungsarbeit geleistet werden.[58]

Wir freuen uns aber schon sehr auf das Bad in der Seine und werden -wenn es denn so weit ist- damit auch zu denen gehören, für die die Olympischen Spiele von Paris etwas gebracht haben…


Anmerkungen:

[1] https://www.vie-publique.fr/discours/288763-emmanuel-macron-14032023-jeux-olympiques-et-paralympiques-de-paris-2024

[2] Titelbild: Die olympischen Ringe vor dem Pariser Rathaus. Bild aus: https://netzpolitik.org/2023/olympische-spiele-2024-frankreich-will-intelligente-videoueberwachung-ausweiten/

[3] https://www.paris2024.org/fr/sites-de-competition/ 

[4] Bild aus: https://www.grandpalais.fr/fr/article/jo-2024-le-grand-palais-dans-la-carte-du-paris-olympique

[5] https://www.lesechos.fr/pme-regions/ile-de-france/paris-2024-la-place-de-la-concorde-metamorphosee-pour-les-sports-urbains-1324810

[6] Bild aus: https://www.paris2024.org/fr/site/invalides/

[7] https://www.tf1info.fr/environnement-ecologie/paris-champs-elysees-le-projet-d-anne-hidalgo-pour-2024-2219478.html 

[8] https://presse.paris2024.org/actualites/paris-2024-revele-les-parcours-du-triathlon-et-du-para-triathlon-en-plein-coeur-de-paris-cafb-e0190.html

Bild aus:

https://www.leparisien.fr/jo-paris-2024/triathlon/paris-2024-depart-dans-la-seine-et-arrivee-pont-alexandre-iii-decouvrez-le-parcours-du-triathlon-27-04-2023-ALL4N2HB4VHPROYCLMLIOJFGD4.php

[9] https://www.yvelines-infos.fr/content/uploads/2018/dsc-0048-e1528708716616.jpg

[10] Bild aus: https://www.outremers360.com/bassin-pacifique-appli/paris-2024-les-epreuves-de-surf-a-tahiti-auront-lieu-du-27-au-30-juillet

[11] https://olympics.com/fr/infos/tout-savoir-teahupoo-tahiti-site-olympique-surf-paris-2024 und Tahiti Teahupo’o – Paris 2024

[12] Nachfolgendes Bild aus: https://www.lemonde.fr/sport/article/2023/04/12/jo-de-paris-2024-la-ceremonie-d-ouverture-en-5-questions_6169161_3242.html

[13] Bild aus: https://www.leparisien.fr/jo-paris-2024/paris-2024-le-nombre-de-spectateurs-pour-la-ceremonie-douverture-est-en-train-detre-affine-12-04-2023-

https://www.lemonde.fr/sport/article/2023/04/12/jo-de-paris-2024-la-ceremonie-d-ouverture-en-5-questions_6169161_3242.html

https://www.europe1.fr/societe/jo-2024-risques-terroristes-mouvements-de-foules-le-defi-securitaire-pour-eviter-le-fiasco-4171396

[14]  https://www.paris2024.org/fr/ceremonie/ und

https://twitter.com/TonyEstanguet/@Paris2024

[15] https://www.eurosport.de/olympia/olympische-spiele-paris/2024/paris-eroeffnungsfeier-auf-seine-boote-parade-mit-athleten-athletinnen-plaene-eiffelturm_sto8671317/story.shtml (Am 16. Mai sprach die französische Sportministerin etwas zurückhaltender von „etwa 400 000“ Zuschauern auf den Hochkais: https://www.lemonde.fr/sport/article/2023/05/19/jo-de-paris-2024-autour-de-400-000-personnes-pourront-assister-gratuitement-a-la-ceremonie-d-ouverture_6174010_3242.html)

[16] https://www.evz.de/olympia-2024-tickets-preise-kauf-risiken.html   Tickets zu „astronomischen Preisen“ gibt es aber nicht nur hier. (siehe Le Parisien vom 29.4.2023)

[17] https://www.leparisien.fr/jo-paris-2024/paris-2024-le-nombre-de-spectateurs-pour-la-ceremonie-douverture-est-en-train-detre-affine-12-04-2023-

[18] https://www.huffingtonpost.fr/jo-paris-2024/article/le-prix-des-billets-pour-les-jo-de-paris-2024-decoit-encore-les-fans-de-sport_217762.html

[19] Zit. in: https://www.ouest-france.fr/jeux-olympiques/jo-2024-on-a-identifie-107-medailles-probables-lambition-de-la-france-pour-les-jeux-de-paris-52a1ff0c-c1b3-11ed-aad2-778331a86007  Siehe auch Le Monde vom 23. 3. 2023

[20] Zitiert in Le  Monde vom 23.3.2023: Médailles: le plan de la France pour intégrer le club des cinq.

[21] A.a.O.

[22] Bild aus: https://www.rtl.fr/sport/autres-sports/jo-paris-2024-quelles-chances-de-medailles-pour-la-france-7900244717

[23] Siehe Le Monde vom 23.3.2023

[24] https://www.rtl.fr/sport/autres-sports/jo-paris-2024-quelles-chances-de-medailles-pour-la-france-7900244717

und Le Monde vom 23.3.

https://www.lequipe.fr/Tous-sports/Article/Ambition-50-medailles-francaises-aux-jo-2024-de-paris/1364930

[25] https://www.francetvinfo.fr/sports/jo/jo-2024/jo-2024-comment-passer-de-40-a-80-medailles-a-paris-comme-le-souhaite-laura-flessel_2370645.html

https://www.lequipe.fr/Tous-sports/Article/Ambition-50-medailles-francaises-aux-jo-2024-de-paris/1364930

https://www.europe1.fr/sport/jo-paris-2024-la-france-est-elle-dans-les-temps-pour-finir-dans-le-top-5-des-meilleures-nations-4171446

https://www.ouest-france.fr/jeux-olympiques/jo-2024-on-a-identifie-107-medailles-probables-lambition-de-la-france-pour-les-jeux-de-paris-52a1ff0c-c1b3-11ed-aad2-778331a86007

https://www.ouest-france.fr/jeux-olympiques/entretien-marie-jose-perec-je-n-aimerais-pas-etre-a-la-place-de-kevin-mayer-9768b656-79fd-11ed-b26c-0f42c4994801

https://www.lemonde.fr/sport/article/2023/03/22/paris-2024-la-france-a-t-elle-les-moyens-d-integrer-le-top-5-des-medailles-aux-jo_6166465_3242.html

[26] https://www.leparisien.fr/sports/JO/paris-2024/paris-2024-5-athletes-a-suivre-de-tres-pres-28-09-2022-CHNXOFCJYZDEPGLY6J5UXYQ7IE.php Dazu auch: https://www.ouest-france.fr/jeux-olympiques/entretien-marie-jose-perec-je-n-aimerais-pas-etre-a-la-place-de-kevin-mayer-9768b656-79fd-11ed-b26c-0f42c4994801

[26a Bild aus: https://olympics.com/de/video/teddy-riner-top-facts-you-might-not-know-judo-star

[27] https://www.ladepeche.fr/2023/03/14/jo-de-paris-2024-mayer-marchand-agbegnenou-mbappe-quelles-sont-les-plus-grandes-chances-de-medailles-francaises-11061019.php

https://www.eurosport.fr/natation/en-terme-de-qualite-pure-leon-marchand-est-le-meilleur-nageur-de-tous-les-temps_sto9561387/story.shtml

Bild aus: https://www.lejdd.fr/Sport/natation-le-phenomene-leon-marchand-champion-du-monde-du-400-metres-quatre-nages-4118346

[28] https://www.paris2024.org/en/a-single-emblem-for-paris-2024/ und https://www.lemonde.fr/sport/article/2019/10/21/paris-2024-le-nouveau-logo-des-jeux-olympiques-se-devoile_6016373_3242.html

[29] https://www.capital.fr/economie-politique/jo-2024-les-places-jugees-trop-cheres-par-un-grand-nombre-de-francais-1462074

[30] Siehe: https://www.bfmtv.com/economie/economie-social/social/apres-le-49-3-sur-la-reforme-des-retraites-la-colere-est-le-mot-qui-decrit-le-mieux-l-etat-d-esprit-des-francais

[31] https://www.lemonde.fr/sport/article/2023/04/18/paris-2024-les-jeux-olympiques-rattrapes-par-l-opposition-a-emmanuel-macron-et-a-la-reforme-des-retraites_6170018_3242.html

[32] https://www.francesoir.fr/opinions-editos/pas-de-retrait-pas-de-jeux-olympiques-2024

https://www.francetvinfo.fr/les-jeux-olympiques/jo-2024/jo-2024-une-prime-pour-eviter-une-greve-des-transports_5780516.html

https://rmc.bfmtv.com/actualites/societe/transports/pour-eviter-des-greves-la-sncf-veut-inciter-a-travailler-pendant-les-jeux-olympiques-avec-une-prime_AV-202304190434.html

[33] https://www.lemonde.fr/economie/article/2023/03/12/jo-de-paris-2024-l-immense-defi-des-transports_6165202_3234.html

https://www.radiofrance.fr/franceinter/podcasts/l-invite-de-8h20-le-grand-entretien/l-invite-de-8h20-le-grand-entretien-du-mardi-14-mars-2023-7771998

https://actu.fr/ile-de-france/paris_75056/les-jo-de-paris-2024-face-au-defi-de-transporter-7-millions-de-spectateurs_58102397.html

[34]   https://www.lemonde.fr/economie/article/2023/03/12/jo-de-paris-2024-l-immense-defi-des-transports_6165202_3234.html

[35] Der Senatsbericht vom 13. Juli 2022 spricht von einem „fiasco inévitable“. https://www.senat.fr/rap/r21-776/r21-776_mono.html#toc6

[36] https://www.institutmontaigne.org/expressions/jeux-olympiques-et-paralympiques-de-2024-quels-enjeux-pour-les-transports-en-commun-franciliens

[37] Des rames de RER B et D évacuées en pleine canicule à Paris (huffingtonpost.fr)

[38] https://actu.fr/ile-de-france/paris_75056/les-jo-de-paris-2024-face-au-defi-de-transporter-7-millions-de-spectateurs_58102397.html und https://www.institutmontaigne.org/expressions/jeux-olympiques-et-paralympiques-de-2024-quels-enjeux-pour-les-transports-en-commun-franciliens

[39] https://sportetsociete.org/2023/03/15/paris-2024-a-500-jours-des-jeux-le-chef-de-letat-sonne-la-mobilisation-generale/

[40] https://www.paris.fr/pages/paris-2024-pour-des-jeux-inclusifs-et-accessibles-15797

[41] Z.B. https://www.tf1info.fr/sport/jo-2024-la-cour-des-comptes-epingle-des-risques-sur-les-transports-et-la-securite-2244504.html und https://www.20minutes.fr/sport/jo_2024/4027852-20230314-jo-paris-2024-budget-transports-securite-chantier-reste-colossal-500-jours-debut-jeux-olympiques

[42] https://patrickbayeux.com/actualites/alain-bauer-la-ceremonie-douverture-des-jo-de-paris-2024-est-une-folie-criminelle

[43] https://www.lagazettedescommunes.com/815063/jeux-olympiques-2024-lile-de-france-sinquiete-pour-la-securite-de-la-ceremonie-douverture/

[44] https://www.lejdd.fr/societe/jo-2024-les-autorites-francaises-redoutent-des-attaques-par-drone-133832#: Dort auch die nachfolgende Abbildung

Siehe auch: FAZ 2.5.23: „Im Kampf gegen Russland setzt die Ukraine auch auf ziviles Fluggerät. Beladen mit Sprengsätzen kann es zur billigen, tödlichen Waffe werden.“

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ukraine-krieg-zu-besuch-bei-drohnen-piloten-an-der-front-im-donbass-

[45] https://www.lepoint.fr/societe/jo-2024-securite-le-casse-tete-de-la-ceremonie-d-ouverture-14-03-2023-2511963_23.php Siehe auch Anmerkung 15: Inzwischen wird offiziell mit ungefähr 400 000 kostenlosen Plätzen auf den Hochkais gerechnet.

[46] Bild aus: https://www.lemonde.fr/sport/article/2023/04/01/etat-d-urgence-pour-la-securite-des-jeux_6167833_3242.html

[47] https://www.lemonde.fr/sport/article/2023/04/01/etat-d-urgence-pour-la-securite-des-jeux_6167833_3242.html und

https://www.lagazettedescommunes.com/815063/jeux-olympiques-2024-lile-de-france-sinquiete-pour-la-securite-de-la-ceremonie-douverture/ und

https://www.lemonde.fr/societe/article/2023/03/07/paris-2024-pour-assurer-la-securite-durant-les-jeux-le-gouvernement-n-exclut-pas-de-recruter-dans-des-pays-francophones_6164517_3224.html

[48] https://www.lefigaro.fr/actualite-france/2017/02/03/01016-20170203ARTFIG00158-avec-l-operation-sentinelle-7000-militaires-sont-mobilises-en-france.php

[49] Zit. in Le Monde vom 23.3.2023  https://www.lemonde.fr/sport/article/2023/03/23/jo-2024-les-deputes-autorisent-la-videosurveillance-algorithmique-avant-pendant-et-apres-les-jeux_6166681_3242.html

[50] https://www.capital.fr/economie-politique/combien-couteront-vraiment-les-jo-2024-et-qui-mettra-la-main-a-la-poche-1462731

Siehe zum Thema der Videoüberwachung u.a.:

https://www.lefigaro.fr/sports/jeux-olympiques/jo-2024-l-assemblee-adopte-un-article-controverse-sur-la-videosurveillance-algorithmique-20230323

https://www.francetvinfo.fr/les-jeux-olympiques/paris-2024/paris-2024-videosurveillance-scanners-corporels-lutte-contre-le-dopage-genetique-ce-que-contient-la-loi-des-jo-2024-adoptee-par-le-parlement_5766524.html

[51] Zum Schwimmen in Marne, Seine und dem Bassin de l’Ourq siehe den Blog-Beitrag: Sommer in Paris. https://paris-blog.org/2017/08/07/sommer-in-paris-schwimmen-im-bassin-de-la-villette-in-der-marne-und-aufin-der-seine/

http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2016/05/08/01016-20160508ARTFIG00092-nager-dans-la-seine-un-vieux-reve-qui-perdure.php 

[52] Zit. in: https://www.huffingtonpost.fr/sport/article/jo-2024-le-triathlon-commencera-sous-le-pont-alexandre-iii_217190.html und https://sportetsociete.org/2023/03/15/paris-2024-a-500-jours-des-jeux-le-chef-de-letat-sonne-la-mobilisation-generale/

Nachfolgendes Bild: https://twitter.com/Anne_Hidalgo/status/1643598276946542592/photo/1

[53] Le Parisien vom 3.5.2023: Quand un requin perturbe l’épreuve de triathlon dans la Seine

[54] Baignade dans la Seine : nager en plein Paris, « un objectif qui sera atteint » dès 2025 grâce aux JO – Le Parisien und https://www.europe1.fr/societe/seine-la-baignade-autorisee-au-lancement-des-jeux-olympiques-de-paris-2024-4172286

[55] Foto vom 12 avril 2023.  Aus: Le Parisien vom 2.5.2023 

[56] https://www.francetvinfo.fr/les-jeux-olympiques/paris-2024/paris-2024-trois-questions-sur-la-baignade-dans-la-seine-apres-les-jeux-olympiques_5803262.html

und https://fr.euronews.com/2023/04/07/jeux-de-paris-2024-nager-dans-la-seine-lobjectif-numero-1

[57] https://www.rtl.fr/sport/autres-sports/jo-paris-2024-pourra-t-on-vraiment-se-baigner-dans-la-seine-7900245007

[58] https://www.leparisien.fr/jo-paris-2024/jai-limage-dun-fleuve-sale-et-vous-prets-a-vous-baigner-dans-la-seine-apres-les-jo-2024-02-05-2023-NQNYK2TAPZGGZC76DBREIIG7LU.php

„Deutschlands schönstes Haus steht an der Seine“:  Das Palais Beauharnais in Paris (Teil 2)

Das Palais Beauharnais in Paris hat eine mehr als 300-jährige Geschichte. Erbaut im Stil eines klassischen Pariser Stadtpalais (hôtel particulier) zu Beginn des 18. Jahrhunderts erlitt es die Verwerfungen der Französischen Revolution, erlebte aber in der napoleonischen Ära seine Blütezeit. Benannt ist es nach Eugène de Beauharnais, dem von Napoleon adoptierten Sohn seiner Frau Josephine, der zeitweise als sein Nachfolger galt, Vizekönig von Italien wurde, mit einer Wittelsbacher Prinzessin verheiratet war und nach dem Sturz Napoleons nach München übersiedelte, wo er auch begraben ist.  Sein Palais verkaufte er an Preußen. Als Sitz der Botschaft Preußens und später Deutschlands wurde das Palais ein bedeutender Ort der deutsch-französischen Beziehungen. Die Brüder Humboldt gingen ein und aus, Bismarck residierte hier 1862 als Botschafter, Herschel Grynspan erschoss 1938  im Palais Beauharnais den Botschaftssekretär vom Rath, was den Nazis als Anlass bzw. Vorwand für das Judenpogrom in der sogenannten Kristallnacht diente. Das nach der Befreiung von Paris 1944 beschlagnahmte Gebäude wurde 1961, im Vorfeld des Elysée-Vertrags, an die Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben. Es ist jetzt die Residenz des deutschen Botschafters und dient repräsentativen Zwecken. In den letzten Jahren wurde das Palais Beauharnais äußerst aufwändig wissenschaftlich dokumentiert und restauriert. Vor allem aufgrund seiner einzigartigen Innenreinrichtung gilt es als Meisterwerk des Empire, des Stils des napoleonischen Zeitalters. Zur Bedeutung des Palais Beauharnais trägt auch bei, dass im  Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und der sich anschließenden Commune mit dem Schloss von Saint-Cloud und dem Tuilerienpalast zwei Haupterinnerungsorte der napoleonischen Zeit zerstört wurden. Darüber hinaus hat sich von den Innenausstattungen, die während des Baubooms nach der Französischen Revolution in Paris entstanden, kaum etwas erhalten. Auch das macht das Palais Beauharnais so einzigartig und kostbar.[1]

Um diesem in mehrfacher Hinsicht so bedeutsamen Bau wenigstens einigermaßen gerecht zu werden, widme ich ihm zwei Berichte auf diesem Blog. Der vorausgegangene erste Teil hat sich mit dem Bau und der Geschichte des Palais beschäftigt:

https://paris-blog.org/2023/04/22/das-palais-beauharnais-in-paris-ein-bedeutender-ort-der-deutsch-franzosischen-beziehungen-und-ein-juwel-des-empire-stils-teil-1-bau-und-geschichte/

Der nun folgende zweite Teil soll exemplarisch die künstlerische Bedeutung und Schönheit des Baus, aber auch die durch ihn vermittelte politische Botschaft anschaulich machen. Das Palais war ja in seiner Blütezeit für den potentiellen Nachfolger Napoleons bestimmt und das kommt auch in seiner Gestaltung deutlich zum Ausdruck.

Das Palais Beauharnais ist ein „Meisterwerk des Empire“, ein ganz einzigartiges Gesamtkunstwerk. Bereits 1806-1807 schrieb der badische Diplomat Carl C. von Berckheim in seinen Briefen aus Paris über das Haus: „Einer der schönsten Paläste von Paris ist das der Ehrenlegion, in der rue de Lille[2], sowie das in derselben Straße gelegene Haus des Vize-Königs von Italien, dessen Ausstattung, die mehr als eine Million achthunderttausend Francs gekostet hat, all das in sich vereint, was guter Geschmack und Geld an Schönem und Ausgesuchtem herstellen können.“[3] Dieser Eloge schloss sich 2006 Michael Moenninger an, der in der ZEIT das Palais Beauharnais als „einzigartiges Prunkstück“ bezeichnete und es kurz und bündig -wie im Titel dieses Beitrags übernommen- zum „schönsten Haus Deutschlands“  erkor.[4]

Der besondere Reiz des Palais Beauharnais besteht darin, dass man bei einem Rundgang gewissermaßen nicht aus dem Staunen herauskommt. Es gibt immer neue verschiedenartige Eindrücke, ein Höhepunkt folgt auf den anderen. Man hat die Konzeption des im Empire-Stil umgestalteten Baus, wie wir ihn weitgehend auch heute wieder erleben, als eine der zeitgenössischen Architekturtheorie entsprechende Abfolge von tableaux beschrieben, von Bildern also: So wie in einem Theaterstück die Szenen und Bühnenbilder wechseln, so hier die ganz individuell gestalteten einzelnen Räume, die insgesamt dann aber ein harmonisches Ganzes ergeben. Und so ist es ja auch in den zeitgenössischen Landschaftsparks wie dem von Ermenonville,  wo die Pappelinsel mit dem Grab Rousseaus eines von mehreren tableaux ist, die der Besucher bei seinem Rundgang bewundern kann und die insgesamt ein großes pittoreskes Landschaftsgemälde ergeben.

In Beschreibungen des Palais Beauharnais taucht -ganz in diesem Sinne- immer wieder der Begriff der Inszenierung auf: Inszeniert, ja gefeiert wird mit allen Mitteln der Kunst, mit Farbe, Licht und kostbaren Materialien, der Glanz und die Macht des Empire, und in Szene gesetzt wird der Hausherr Eugène de Beauharnais, der erfolgreiche Feldherr, der Freund der Künste und der Stief- und dann Adoptivsohn des Kaisers und damit auch dessen potentieller Thronfolger.

 Vorhang auf! Der ägyptische Portikus

Die von bzw. für Eugène de Beauharnais vorgenommenen Umbaumaßnahmen bezogen sich vor allem auf den Innenausbau. Eine Ausnahme ist der ägyptische Portikus, der vor den Eingang des Baus gesetzt wurde. Es handelt sich zwar nur um ein in Leichtbauweise aus Holz, Ziegeln und Putz errichtetes Werk:  In der Mitte zwei Papyrossäulen, darüber auf dem Frontgiebel eine geflügelte Sonnenscheibe mit den Uräus-Schlangen, Symbol der Pharaonen. Der Portikus ist damit aber ein eindrucksvolles und in dieser Art einzigartiges Zeugnis der Ägypten-Mode, die nach dem Ägypten-Feldzug Bonapartes in Frankreich Hochkonjunktur hatte. Der Feldzug endete zwar mit einer militärischen  Niederlage, die archäologische Ausbeute und die künstlerischen Auswirkungen waren aber erheblich, weshalb auch gerne von einer Expedition gesprochen wird. Am und im Palais Beauharnais lassen sich die ägytischen Einflüsse hervorragend beobachten und bewundern.

Foto: Frauke Jöckel[5]

Einzigartig ist dieser ägyptische Portikus vor allem insofern, als eine eigentlich geplante monumentale „ägyptische Trilogie“ für das napoleonische Paris nicht realisiert wurde. Die sollte bestehen aus einem Riesen-Obelisken auf dem Pont Neuf,  einer zentralen Pyramide auf dem Friedhof Père Lachaise und einem von Chalgrin entworfenen ägyptischen Tempel auf der Place des Victoires, der immerhin den Portikus des Palais Beauharnais inspirierte.[6]  

Dem deutsch-französischen Pariser Stadtbaumeister Hittorff, der im 19. Jahrhundert das Palais renovierte und modernisierte, war der Portikus allerdings, ungeachtet seiner Einzigartigkeit,  ein die Ästhetik der Fassade störender Dorn im Auge. Nicht nur für die  Kunstgeschichte im Allgemeinen, sondern  auch speziell für die Geschichte des Palais  ist der Portikus allerdings höchst bedeutsam:  Er verweist demonstrativ darauf, dass das Palais nach einer wechselvollen Geschichte nun einen neuen Besitzer, Eugène de Beauharnais, hat, und er bringt zum Ausdruck, dass dieser neue Hausherr als Adjudant Bonapartes an dem Ägypten-Feldzug teilgenommen  hat. Von diesem Feldzug, den Vivant Denon, „der Kunsträuber Napoleons“, begleitete, wurden ja auch zahlreiche archäologische Beutestücke nach Paris gebracht, auch Reliefs der Göttin Mut. Die Figurenreliefs auf den Vorderseiten des Portikus sind Abgüsse entsprechender Originale.[7]

Sie erscheinen gewissermaßen wie Zeremonienmeister, sie begrüßen den Besucher und machen ihm deutlich, dass er nun in eine Kunstwelt eintaucht voller immer neuer Überraschungen, in eine Szenenfolge von tableaux, in ein Theater, in dem der Zuschauer zum Schluss zum Schauspieler wird und sich selbst inszeniert. [8]

Foto: joeruggiero­_collection (Instagram)

Blick aus dem Vestibül mit der Büste Alexander von Humboldts in das Treppenhaus mit der einen Kranich tragenden Allegorie der Wachsamkeit, aber auch der Treue und Zuverlässigkeit. „Es handelt sich um eines der wenigen Kunstwerke, das aus der Zeit Eugènes im Haus erhalten geblieben ist.“ (Palais, 42)  

Foto: joeruggiero­_collection (Instagram)

Eine völlig neue Szenerie öffnet sich im „Grünen Salon“ mit seinen weißen und vergoldeten Holzvertäfelungen, vor allem aber mit seiner Textilausstattung, einem grün gestreiften Seidendamast, der dem Raum seinen Namen gab. (Palais, 29).  Der Grüne Salon gehörte zu den offiziellen Räumen des Palais und diente als Empfangsraum.

Foto: Antoinebn und allemagnediplo (Instagram)

Zur Einzigartigkeit des Palais Beauharnais und des Grünen Salons tragen auch Gemälde von Hubert Robert bei: Hier ein in die Holzvertäfelung eingelassenes Wandbild aus dem Jahr 1797 mit einem italienisierenden Landschafts- und Ruinenmotiv aus Tivoli. Hubert Robert war ja besonders als „Ruinenmaler“ bekannt und im Ancien Régime, aber auch in den Zeiten des Konsulats beliebt. Eugène Beauharnais übernahm die Bilder beim Kauf des Palais, und es ist inzwischen das einzige hôtel particulier, das noch mit originalen Gemälden Roberts ausgestattet ist.

Auf der weiß gefassten Holzvertäfelung sind geschnitzte und vergoldete Ornamente angebracht. Die Helme auf den Wandvertäfelungen sind nicht die einzigen militärischen Bezüge in diesem Salon:

Mit Helmen sind auch die Fenstergriffe verziert. Und dann der Kamin:

Auf dem Fries des Kamins sind die Bronzeapplikationen von zwei Siegesgöttinnen befestigt, in ihrer Mitte Jupiter, links davon ein Venus-Medaillon, rechts der Kriegsgott Mars mit Helm und Schwert.

…. und daneben Bronzeapplikationen von Adlern, Löwen und sternbesetzten römischen Standarten.

Die Bedeutung dieses Raumes ist damit unverkennbar: Er verweist den hier auf eine Audienz wartenden Besucher auf die militärischen Verdienste Eugènes.

Und dazu gehören natürlich auch die ägyptischen Bezüge, die sich hier wie auch an vielen anderen Stellen des Palais finden. Sie haben -wie die Lotusblätter und -kelche an den Wandvertäfelungen– nicht nur dekorative Funktion, sondern können, wie schon der Portikus, als Hinweis auf Eugènes Verdienste im Ägyptenfeldzug Napoleons verstanden werden.  In diesen Kontext gehört natürlich auch der benachbarte ägyptische Salon mit Portraits von ägyptischen Würdenträgern, mit denen Napoleon auf seinem Feldzug verbündet war.

Der Bezug zu Ägypten  wird auch durch die dominierende  Farbe  des Raums unterstrichen: Es ist das weiche Ocker der „terre d’Egypte“. Und der Bezug zu Eugène wird durch das Portrait des Prinzen ganz  direkt und unmissverständlich hergestellt.

Szenenwechsel: Jetzt kommen wir in den „Roten Salon“, auch Salon Amarante genannt.

„Seinen Namen erhielt der Salon wie schon zur Zeit des Empire von dem dunkelroten, als amarant-farben bekannten Farbton der Wandbespannung aus Wollstoff und der seidenen Fenstervorhänge“ (32). Festlich von Kandelabern beleuchtet wird hier das Portrait von Auguste Amalia, der Tochter des bayerischen Königs und Frau Eugènes. Für sie wurde der Salon in ein Schlafzimmer umgewandelt, als Eugène wegen der sich abzeichnenden Niederlage Napoleons Italien verlassen musste.

Die Aufteilung des Roten Salons entspricht der vieler anderer Räume: Auf einer Seite der Kamin, auf der gegenüberliegenden eine Konsole, in der Mitte ein Tisch mit darüber angebrachtem Kronleuchter. Eine Gleichförmigkeit kann aber trotzdem nicht aufkommen: Nicht nur wegen der Unterschiedlichkeit dieser wiederkehrenden Elemente, sondern vor allem auch wegen der unterschiedlichen Farbgebung der Räume.

Nach dem Grünen und dem Roten Salon und dem ockerfarbigen Ägyptischen Salon wird in der Bibliothek „mit einer im Bühnendekor häufig verwendeten Technik des Trompe l’lœil (…) eine Wandvertäfelung aus Mahagoni und gelbem  Zitronenholz“ vorgetäuscht.  (Palais, 38).  Diese Imitationsmalerei war zu Revolutionszeiten einfach und kostengünstig und deshalb sehr verbreitet.

Foto: antoinebn (Instagram)

Der Bibliothek kommt in der Raumfolge des Erdgeschosses eine zentrale Funktion zu.  In seiner Mittel gelegen, öffnet sich von hier aus der Blick in den Garten und je nach Jahreszeit auch zu dem auf der anderen Seine-Seite gelegenen Tuilerien-Garten, der zu dem 1871 zerstörten königlichen Tuilerien-Schloss gehörte.

Die ungewöhnliche Positionierung der Bibliothek im Zentrum des Erdgeschosses  beruht wohl auf einer persönlichen Entscheidung des bibliophilen Prinzen. „Zeit seines Lebens stand er in engem Kontakt mit zahlreichen Buchhändlern, die ihn mit den neuesten Publikationen versorgten.“ (Meisterwerk, 203)

Dazu gehörten auch die Werke Friedrichs des Großen…

 …  Das Hauptthema der Ikonographie des Raumes ist der Apollo-Mythos, der auf den Besitzer des Hauses verweist.“ (Palais, 36)

Und zu diesem Apollo-Mythos gehört vor allem der Schwan, Begleittier des Gottes der Künste. Apollos Wagen wird von singenden Schwänen gezogen. Hier dient der Schwan aus vergoldeter Bronze als Türbeschlag auf den monumentalen Bücherschränken aus Mahagoni-Holz.  

Auch die apollinische Lyra darf nicht fehlen…

Die Wandleuchter der Bibliothek sind mit Apollo-Masken geschmückt.

Apollo-Bezüge finden sich, nicht nur hier, sondern vor allem auch noch im Musiksalon im ersten Stockwerk: Eugène wird in seinem Palais nicht nur als Feldherr herausgestellt, sondern auch als feinsinniger Freund der Musen: Das ist Teil der Inszenierung.

Danach geht es über die Ehrentreppe an Napoleon vorbei  (Portraitbüste in Marmor von Chaudet) in die erste Etage. Dort befinden sich die repräsentativen Salons, zu denen auch der Musiksalon gehört. Er wurde, wie die Bibliothek, speziell für Eugène eingerichtet, der sich besonders für Gesang und Klavierspiel begeisterte.

Die Wände sind mit lebensgroßen Darstellungen der vier Musen dekoriert. Darunter jeweils die hier schon fast obligatorischen apollinischen Schwäne.

Es sind mit Korallenketten geschmückte Schwanenbüsten, über deren Schultern Blumengirlanden aufliegen. Im Zentrum der Girlanden befindet sich eine Maske, die mit ihren jeweiligen Attributen die Götter Bacchus (Tanz), Minerva (Malerei),  Helios (Literatur) und natürlich -nachfolgend abgebildet-  Apollo (Musik), darstellen. (Meisterwerk, 265)

Sehr elegant auch die Schwanenhälse an den Armlehnen der vergoldeten Sessel[9]

Mit seinen zahlreichen Verweisen auf Apollo „fügt sich der Raum in das ikonographische Konzept des Hauses ein, das den Prinzen Eugène in Analogie zum Musengott der Antike stellt.“[10]

Der bedeutendste Raum der ersten Etage, ja des ganzen Palais ist der Festsaal, der Salon der vier Jahreszeiten. Das ist allein schon an seiner Größe und der zentralen Lage genau im Mittelpunkt der Etage ablesbar. Als einziger Raum des Hauses verfügt er über einen Balkon, von dem aus man einen  Blick über den Garten, auf die Seine, den Tuileriengarten und -zu Zeiten  Eugènes- auch auf das königliche Schloss  der Tuilerien hatte.

Vor allem aber ist es die Innendekoration, die den Salon der Vier Jahreszeiten zu einem der schönsten Räume des frühen Empirestils in Europa machen.[11]

Foto: C. Larit/ passementeries Declercq

Besonders ins Auge springt zunächst auch hier die intensive farbliche Gestaltung, die charakteristisch für den Empire-Stil ist und im Palais Beauharnais allein schon durch die entsprechende Benennung von Räumen zum Ausdruck kommt: Grüner Salon, Roter Salon, Kirschsalon. Im Salon der vier Jahreszeiten ist es die Dominanz der Komplementärfarben Blau und Gelb/Orange: Entsprechend dem im Empire in höchster Konsequenz verwirklichten Stilprinzip der Einheitlichkeit haben alle Textilien im Raum die gleiche Farbigkeit – kombiniert mit der entsprechenden Gegenfarbe.[12]

Photo C. Larit / passementeries Declercq

Seinen Namen hat der Raum durch die ihn besonders prägenden überlebensgroßen Darstellungen der vier Jahreszeiten. Deren allegorische Verkörperung war in der Innenausstattung festlicher Räume, aber auch an Fassaden von Stadtpalais durchaus üblich – man denke nur an das Hôtel Carnavalet oder das Hôtel de Sully im Pariser Marais.

Die Darstellungen der vier Jahreszeiten im Palais Beauharnais sind überlebensgroß gemalt, in unterschiedlichen Positionen und mit Attributen entsprechend der von ihnen verkörperten Jahreszeit versehen.

Allen Darstellungen gemeinsam ist aber, dass sie vor einem wolkigen, eher diffusen Hintergrund erscheinen, aus dem sie -wie Theaterfiguren- heraustreten;  so die Allegorie des Herbstes mit einer Fülle von Früchten.

Besonders eindrucksvoll die Darstellung des Winters, der -anders als meist sonst- auch als Frau verkörpert ist. „Vor Frost erstarrt, bedeckt sie schirmend einen Fuß mit dem anderen und zieht die weit umfließende, an ihren Enden schon vereiste und sich in Schneeflocken auflösende Kleidung zum Schutz  vergebens an sich.“[13] Die Kälte ist hier unmittelbar spürbar wie die dem Betrachter zufallenden Früchte des Herbstes. So entsteht eine „Atmosphäre der Illusion“[14], zu der auch die Spiegel und Leuchter beitragen.

Durch die hohen gegenüber angebrachten Spiegel -hier über Kamin und Konsoltisch- und zusammen mit dem zentralen Lüster „erscheint das Licht vielfach gespiegelt in unendlich langen Reihen. Der Raum wird zu einer Inszenierung des Lichts.“[15]

Den Wandabschluss des Raumes bildet ein Fries mächtiger goldener Adler mit ausgebreiteten Schwingen und Girlanden: Die „Zeit der goldenen Adler“ hatte Heine das  Empire genannt, die Zeit „der offiziellen Unsterblichkeit… des pathetischen Materialismus“…[16]

                        Einer der napoleonischen Adler im Salon der vier Jahreszeiten

In der Entwurfszeichnung des Raums waren hier apollinische Lyren vorgesehen, die dann aber durch den kaiserlichen Adler ersetzt wurden.  Ihm untergeordnet sind die apollinischen Schwäne auf den die vier Jahreszeiten einfassenden Pilastern.

„Dies war allerdings eine ungewöhnliche Kombination von Symbolen, die allerdings von den Zeitgenossen leicht zu entziffern waren:  Hier steht der Adler für Kaiser Napoleon, der Schwan (Apollo) für Eugène.  In der Verbindung mit dem Adler verweist der Schwan als Symbol Apollos auf dessen Stellung als Sohn Jupiters von der Göttin Latona. Der Schwan symbolisiert im Kontext des Palais Beauharnais also keinenfalls nur das Symbol von Weiblichkeit und Eleganz, sondern ebenso das besondere Verhältnis von Stiefvater und Adoptivsohn und unterstreicht im ‚Grand Salon‘ Eugènes Stellung im Kaiserreich und seinen Anspruch auf die Thronfolge.“ (Meisterwerk, 240).    Der Dekor erlaubt also „eine politisch-dynastische Lesart“, die wahrscheinlich von Kaiserin Josephine selbst bestimmt wurde. (Palais, 52)

Dazu gehören natürlich die ägyptischen Motive, die auch in diesem Raum  nicht fehlen dürfen : Auch dieser Dekor „bekam im Umfeld Napoleons eine politische  Dimension, die den Anspruch Eugènes auf die Nachfolge  Napoleons unterstrich“. (Meisterwerk, 182).

In der Ornamentik des Raums war sogar schon vorsorglich der Platz für einen Thronsessel ausgespart!

Damit schließt sich ein Kreis: Beim Betreten des Palais Beauharnais  wurde der Besucher von der weiblichen Figur mit dem Kranich empfangen, einer Allegorie der Treue und Zuverlässigkeit, „was mit der Stellung Eugènes als Adoptivsohn von Napoleon und den ehrgeizigen Plänen von der Kaiserin Josephine, ihren Sohn als möglichen Thronfolger Napoleons zu sehen, übereinstimmt.“ (Palais, 42).   Hier im Festsaal der vier Jahreszeiten und damit am Ende des offiziellen Durchgangs wird noch einmal demonstrativ die erhoffte Rolle des Prinzen in Szene gesetzt.

Ein weiteres einzigartiges Empire-Ensemble ist das als Gesamtkunstwerk konzipierte Schlafzimmer des Prinzen Eugène mit dem Himmelbett und seinem an die Pariser Commune erinnernden Spiegel. (Siehe Bericht Teil 1).  „Es ist das einzige Beispiel eines am originalen Standort erhaltenen Prunkbettes in einem Pariser Stadtpalast des Empire.“ (Palais, 65)

Foto: Drouot Paris, Instagram

Überlegungen von französischer und deutscher Seite, die Einrichtung des Raumes in ein Pariser Museum oder als Schlafzimmer des Bundeskanzlers oder Bundespräsidenten nach Deutschland zu transferieren, wurden glücklicherweise nicht verwirklicht. (Meisterwerk, 300)

Abschluss und Höhepunkt einer Besichtigung des Palais Beauharnais ist der Besuch des Baderaums. Es ist das einzige erhaltene Bad aus der Zeit des Empire in Paris und ein „kostbares Dokument für eine Inneneinrichtung im Europa der Zeit um 1805. (Meisterwerk, 303)

Dazu gehört der mit seltenen Marmorsorten eingelegte Fußboden. Er zeigt nach römischem Vorbild die vom Stier entführte Europa, in den Seitenfeldern Delphine.

Foto: allemagnediplo (Instagram)

Das Bad ist mit einem Grundriss von 3,48 zu 2,80 m  sehr klein, aufgrund der raffiniert angebrachten Spiegel entsteht aber die Illusion von sich endlos wiederholenden Bildern. Wer in diesen Raum eintritt, wird damit Teil der Inszenierung und gewissermaßen selbst zum Hauptdarsteller.[17]

Foto: Instagram

Angrenzend an das Badezimmer liegt das Türkische Boudoir, das als Ruheraum diente und ebenfalls zum privaten Teil der repräsentativen  Wohnung des Prinzen Eugène gehörte. „Neben einem Divan im Alkoven bilden vier Sitzhocker und ein Konsoltisch die originale Ausstattung des Boudoirs, die in der Einfachheit ihrer Konstruktion den Eindruck von Bühnenmobiliar  vermitteln.“ (Palais, 69)

Schon vor der Revolution gab es in Frankreich eine Vorliebe für orientalisierende Boudoirs, die nach dem Ägyptenfeldzug Napoleons besonders befördert wurde. „Das Türkische Boudoir im Palais Beauharnais ist dabei in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Zunächst handelt es sich heute um das einzige erhaltene Beispiel der Orientmode aus den Jahren um 1804 in Paris. Darüber hinaus wurde das Thema des Orients hier mit einer intensiven Farbigkeit, stilisierten Blumendarstellungen und dem gemalten Fries unter der Decke neu interpretiert.“ (Meisterwerk, 311)

Der Fries unter der Decke stellt den Weg eines jungen Mädchens von ihrem Elternhaus in den Harem eines Paschas dar.

Hier wird sie auf dem Marktplatz verkauft.

                           Und hier eine Haremsszene mit ‚exotisch-pikantem Reiz‘ (Meisterwerk, 311)

Dieses orientalische Ambiente hat gerade im Hôtel Beauharnais eine besondere Bedeutung. Denn Eugène hatte während des Ägyptenfeldzugs „weitreichende Eindrücke über die Sitten und Bräuche im Orient sammeln können und im Rahmen einer militärischen Suchaktion in Kairo selbst einen Harem besucht. Daher ist es wohl einer der frühesten orientalischen Räume, dessen Auftraggeber sich auf eine persönlich erlebte Erfahrung im Orient berufen konnte.“ (Meisterwerk, 311)

Und insofern schließt sich auch hier ein Kreis: Man betritt des Palais Beauharnais durch den ägyptischen Portikus und man beendet den Rundgang mit dem Besuch des orientalischen Boudoirs.

Und damit fällt auch der Vorhang nach einer dreifachen glanzvollen Inszenierung:

  • einer Inszenierung von Räumen, von unterschiedlichen Bildern (tableaux), mit Hilfe von Licht und Farben, von kostbaren Stoffen und Materialien, von antiken und ägyptischen Motiven.
  • einer Inszenierung von Glanz und Größe, von der Macht des napoleonischen Reichs,  das dabei war, ganz Europa zu erobern. Dazu passt  auch der Raub Europas als Zentralmotiv in dem Badezimmer des Palais.
  • und schließlich eine Inszenierung des Hausherrn, Eugène von Beauharnais, der in drei Rollen präsentiert wird: als apollinischer  Musenfreund, als tapferer Soldat und Teilnehmer am Ägyptenfeldzug Bonapartes und als treuer Adoptivsohn Napoleons und damit als dessen potentieller kaiserlicher Nachfolger.

Besichtigung

Zweimal monatlich (außer Juli und August) gibt es ganz hervorragende Führungen durch das Palais, die im Allgemeinen von Francoise de Guilhermier-Jacquot, conférencière des Musées Nationaux, durchgeführt werden.

Reservierung unter:  https://service2.diplo.de/rktermin/extern/choose_category.do?locationCode=pari&realmId=425&categoryId=680&request_locale=fr

Dank

Wir danken Herrn Achim Holzenberger, dem früheren Leiter der Abteilung Presse/Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Botschaft, dass er uns die Möglichkeit für Fotoaufnahmen gegeben hat und uns dabei geduldig begleitete.

Verwendete Literatur

Jörg Ebeling, Ulrich Leben (Hg.), Ein Meisterwerk des Empire. Das Palais Beauharnais in Paris, Residenz des deutschen Botschafters. Tübingen: Wasmuth Verlag 2016.  Zitiert unter: Meisterwerk  (Siehe dazu: Ein Meisterwerk des Empire. Das Palais Beauharnais | DFK Paris (dfk-paris.org)

Jörg Ebeling und Ulrich Leben, Das Palais Beauharnais, die Residenz des deutschen Botschafters. Les Éditions du Palais 2022.  Zitiert unter: Palais

Jörg Ebeling, Die vier Jahreszeiten. https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/6289/1/Ebeling_Die_Vier_Jahreszeiten_2016.pdf  Originalveröffentlichung in: Bachtler, Monika ; Lindhorst, Susanne (Hrsgg.): Förderprojekte der Rudolf-August Oetker Stiftung 2013 bis 2015, München 2016, S. 150-151

Caroline van Eck/Miguel John Versluys, The Hôtel de Beauharnais in Paris: Egypt, Greece, Rome, and the Dynamics of Stylistic Transformation. In:  Katharine T. von Stackelberg (ed.)Elizabeth Macaulay-Lewis (ed.)  Housing the New Romans: Architectural Reception and Classical Style in the Modern World. Oxford University Press 2017. Zitiert  als:  Van Eck https://www.academia.edu/35255162/The_H%C3%B4tel_de_Beauharnais_in_Paris_Egypt_Greece_Rome_and_the_Dynamics_of_Stylistic_Transformation

Thomas W. Gaethgens, Ulrich Leben und Jörg Ebeling, Palais Beauharnais in Paris- zur historischen Ausstattung. In: Bau und Raum Jahrbuch 2004. Herausgegeben vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S. 82-91

Karl Hammer: Hôtel Beauharnais Paris. (Beihefte der Francia 13). München und Zürich:  Artemis  1983,  (Online: Hôtel Beauharnais Paris (perspectivia.net)

Claus von Kameke,  Palais Beauharnais. Die Residenz des deutschen Botschafters in Paris. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1968

Klaus-Henning von Krosigk, Der Garten des Palais Beauharnais. In: Bau und Raum Jahrbuch 2004. Herausgegeben vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S. 92- 95

Michael Moenninger,  Imperiale Wehmut.  Botschaften renovieren, Plätze ausgraben: Warum die Franzosen das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris so schätzen. DIE ZEIT, 10/2006 vom 2. März 2006

David Peyrat, A Paris, dans les secrets de l‘hôtel de Beauharnais, joyau unique du style Empire. Geo,  27/04/2022  https://www.geo.fr/histoire/a-paris-dans-les-secrets-de-lhotel-de-beauharnais-joyau-unique-du-style-empire-209533

Es gibt auch eine schöne Karambolage-Sendung über die Geschichte des Palais Beauharnais

auf youtube:  https://www.youtube.com/watch?v=M21uywo4k80


Anmerkungen

[1] Jörg Ebeling, Wissenschaftliche Bearbeitung des Palais Beauharnais   Wissenschaftliche Bearbeitung des Palais Beauharnais: Max Weber Stiftung

[2] Das ist das ehemalige Hôtel de Salm, in dem Eugène de Beauharnais zur Miete gewohnt hatte,  bevor er „sein“ hôtel  in der rue  de Lille erwarb.

[3] Zitiert in Ebeling/Leben, Das Palais Beauharnais, S. 9 Bei dem erwähnten Palais der Ehrenlegion in der rue de Lille handelt es sich um das Hôtel de  Salm, das nach der Guillotinierung des deutschen Prinzen von Salm in den  letzten  Tagen des jacobinischen  Terrors von Napoleon zum Sitz  der neu  geschaffenen Ehrenlegion umgewidmet wurde. Siehe dazu den  Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2016/07/01/der-cimetiere-de-picpus-ein-deutsch-franzoesischer-erinnerungsort/

[4] Michael Moenninger, DIE ZEIT 10/2006 vom 2. März 2006

[5] Alle Fotos dieses Beitrags -wenn nicht anders angegeben- von Frauke  und Wolf Jöckel.

[6] Siehe:

 Marie Beleyme, Le projekt de Bongniard (1813). In: Père-Lachaise 1804-1824. 7.5.2016  Le projet de Brongniart (1813) | Père-Lachaise: 1804-1824 (perelachaisehistoire.fr)

https://www.parismuseescollections.paris.fr/es/node/173314#infos-principales und

https://www.parismuseescollections.paris.fr/fr/musee-carnavalet/oeuvres/projet-d-obelisque-a-elever-sur-le-pont-neuf#infos-principales  Der Obelisk sollte an der Stelle errichtet werden, an der bis zu seiner Niederlegung in der Franzöischen Revolution das Reiterstandbild Henri Quatres stand. Das wurde dann nach dem Sturz Napoleons wieder errichtet. Mehr dazu in einem demnächst auf diesem Blog erscheinenden Beitrag über das Reiterstandbild auf dem Pont Neuf.

[7] Bei der Zuschreibung der Reliefs folge ich Ebeling/Leben, Meisterwerk des Empire, S. 23. Hammes sieht in ihnen dagegen „ägyptische Phantasiegottheiten“ (S. 62), von Eck/Versluys halten die Mut-Zuschreibung für ungesichert, und vermuten eher, dass  es sich weniger um eine ganz bestimmte Gottheit handelt, sondern eher um „Egypt in more general terms.“       

[8] Siehe van Eck:  „The Hôtel de Beauharnais thus operates as an immersive space, and the portico indicates this very clearly. Based on a the temple portico such as the one at Denderah, it acts (…) as a gateway that signals that the viewer is entering a fictional space…“  und „The sticks held by the two goddesses add to the ceremonial character of the portico; it is as if they are servants with torches inviting you in.“

[9] Foto: Instagram

[10] Meisterwerk des Empire, S. 268  Bild aus: http://passementeriedp.canalblog.com/archives/2019/10/28/37745729.html 

[11] Siehe den Abschnitt „Salon der Vier Jahreszeiten“ in Ebeling/Leben, Ein Meisterwerk des Empire, S. 240f und  Sidonie Lemeux Fraitot, Die malerische Ausstattung des  Palais Beauharnais, a.a.O., S. 89 f.

[12] Bild aus: http://passementeriedp.canalblog.com/archives/2019/10/28/37745729.html 

[13] Hammer, S. 83

[14] Van Eck. S.  67/68

[15] Hans Ottomeyer, Le Style Empire. Ideale Methoden und Ziele europäischer Innenarchitektur (1800-1814). In: Meisterwerk des Empire, S. 69/70

[16] Zitiert von Hans Ottomeyer in: Meisterwerk des Empire, S. 74

[17] Van Eck spricht von einem „illusionistic space“ und dem “ user of the room as the main actor“ (S.68) Nachfolgendes Foto aus Instagram