La Défense: Die Skulptur, die dem Geschäftsviertel von Paris ihren Namen gab

Jeder Paris-Besucher kennt zumindest die Silhouette von La Défense, dem Geschäfts- und Hochhausviertel von Paris. Es liegt zwar außerhalb von Paris, aber in der großen Ost-West-Achse, die von der rue de Rivoli und dem Louvre über die place de la Concorde, die Champs-Elysées und die place de l‘ Étoile  bis hin zu La Défense auf der anderen Seite der Seine reicht.

Besonders eindrucksvoll ist der Blick vom Arc de Triomphe über die breite Avenue (der immer noch gefeierten) Grande Armée Napoleons auf das Viertel mit der Grande Arche im Zentrum, die aus Anlass des 200. Jahrestages der Französischen Revolution errichtet wurde. Und auch das Viertel ist groß- zumindest von der Ausdehnung her ist es das größte Geschäfts- und Hochhausviertel Europas.

Foto: Wolf Jöckel

Benannt wurde das zwischen den Pariser Vororten Courbevoie und Puteaux gelegene Viertel nach einer Statue, die dort 1883 zu Ehren der Verteidiger von Paris im deutsch-französischen Krieg 1870/1871 errichtet wurde: Deshalb der Name La Défense, die Verteidigung.

Das Bronze-Denkmal steht auf einem niedrigen Podest vor der Hochhausgruppe Cœur Défense im Zentrum von La Défense.

Stolz und hoch erhobenen Hauptes blickt die in die Uniform der Nationalgarde gekleidete Allegorie von Paris auf ihre Stadt, deren Wappen am Fuß der Statue zu sehen ist.

Gerade hier passt auch der darunter eingravierte Pariser Wahlspruch besonders gut: Fluctuat nec mergitur: Das Schiff schwankt, geht aber nicht unter.

Man hat von hier aus, wenn man sich entsprechend positioniert, einen Blick auf die Ost-West-Achse mit dem Arc de Triomphe im Hintergrund auf der einen und der Grande Arche auf der anderen Seite.

Das Denkmal nimmt aber in dem großen Areal nur einen Randplatz ein. Und in dem Plan von La Défense, den man in dem benachbarten Informationsbüro erhält, ist die Statue nicht eingezeichnet. Auch bei den vier vorgeschlagenen themenbezogenen Rundgängen ist sie nicht berücksichtigt. 

Das ist bedauerlich; nicht nur weil sie -gewissermaßen- die Namenspatronin des Viertels ist, sondern auch wegen ihrer interessanten und wechselvollen Geschichte. Die soll nachfolgend erzählt werden:

Dort etwa, wo heute die Skulptur steht, lag zur Zeit des deutsch-französischen Krieges der zur Gemeinde Puteaux gehörende rond-point de Courbevoie, ein Verkehrsknotenpunkt.  1870 wurde er im Zuge der Verteidigung des von deutschen Truppen eingeschlossenen Paris befestigt. Nach dem Scheitern des großen Ausbruchsversuchs bei Champigny-sur-Marne im November/Dezember 1870[1] unternahmen die Franzosen am 19. Januar 1871 einen letzten verzweifelten Durchbruchsversuch nahe dem preußischen Hauptquartier in Versailles. Dabei dienten die Befestigungsanlagen am rond-point de Courbevoie als Durchgangsstation. Der Ausbruch wurde allerdings in der Schlacht von Buzenval zurückgeschlagen: Die Fortführung der Kämpfe erschien damit aussichtslos, so dass die französische Regierung in Waffenstillstandsverhandlungen eintrat.[2]

Der rond-point de Courbevoie ist also für Frankreich eigentlich kein sehr ruhmreicher Ort. Es ist aber kein Zufall, dass gerade dort das Défense-Standbild aufgestellt wurde.  Es ersetzte nämlich gewissermaßen eine Napoleon-Statue, die dort seit 1863 gestanden hatte.

Dies war eine 4 Meter hohe Statue, gefertigt aus der Bronze von 16 von Napoleon 1805  in der Schlacht von Austerlitz erbeuteten österreichischen und russischen Kanonen. Napoleon war sehr volkstümlich als Soldat dargestellt mit Mantel, Zweispitz und der Hand in der Weste:  als „petit caporal“, wie es im Volksmund hieß. Ursprünglich krönte die Statue die Vendôme- Säule  in Paris.  Napoleon III. beschloss aber, den „petit caporal“ durch eine imperiale, an antiken Vorbildern orientierte Version zu ersetzen. Natürlich war es völlig ausgeschlossen, die bisherige Statue in ein Depot zu verbannen oder gar einzuschmelzen. Als alternativer Standort bot sich der rond-pont de Courbevoie oberhalb der Seine und mit Blick auf Paris an, hatte doch Napoleon I. in seinem Testament verfügt, seine Asche solle „an den Ufern der Seine ruhen“. Und ganz in der Nähe waren ja die sterblichen Überreste des Kaisers nach einer Schifffahrt von Sankt Helena bis in die Seine hinauf angelandet worden, bevor sie in den Invalidendom überführt wurden.[3]  An diesem Platz stand die Statue bis 1871. Damals wurde Paris von deutschen Truppen belagert und es wurde beschlossen, die Statue einem möglichen Zugriff der Preußen zu entziehen. Allerdings versank sie dabei in der Seine. Seit 1912 steht sie im Ehrenhof des Hôtel des Invalides.[4]

Der große Sockel auf dem rond-point de Courbevoie stand damit seit 1871 leer da. Indem dort das Denkmal für die Verteidiger von Paris errichtet wurde, wurde aus dem monarchistischen ein republikanischer Erinnerungsort. Durch ein an die Verteidigung von Paris erinnerndes Denkmal sollte auch nach der blutigen Niederschlagung der Commune und dem nachfolgenden Rachefeldzug der Reaktion ein Zeichen nationaler Einheit gesetzt werden. Auch dafür bot sich gerade dieser Ort besonders an. Denn die ersten Kämpfe zwischen den Truppen der nach Versailles ausgewichenen Regierung, den sogenannten Versaillais, und den Truppen der Commune, den Fédérés, fanden gerade hier statt: In der Schlacht von Courbevoie vom 2. April 1871, die mit einem Sieg der Versaillais und der ersten Erschießung von Kommunarden endete.[5]

Die  Umsetzung des Projekts wurde ermöglicht durch die Wahlen von 1879: Damit endete  die Präsidentschaft des monarchistischen Präsidenten Mac Mahon, und die Republikaner errangen die Mehrheit in der Nationalversammlung. Nun schrieb also die Préfecture de la Seine einen Wettbewerb für eine Skulptur auf dem rond-point de Courbevoie zur Erinnerung an die Verteidiger von Paris aus: Ein prestigeträchtiges Projekt, an dem die bedeutendsten damaligen französischen Bildhauer wie Carrier-Belleuse, Bartholdi, der Schöpfer der New Yorker Freiheitsstatue[6],  Boucher, der Lehrer von Camille Claudel, und auch Auguste Rodin teilnahmen. Der Entwurf von Rodin wurde allerdings nicht berücksichtigt.[7]

Rodins Entwurf, der heute im Pariser Rodin-Museum ausgestellt ist, zeigt einen verletzten Krieger, der von einer geflügelten Siegesgöttin gehalten wird.  Da der Entwurf nicht berücksichtigt wurde, bat die niederländische Regierung 1916 darum, eine Bronzeversion anfertigen zu dürfen, um sie der „glorreichen Stadt Verdun“ zu schenken. So geschah es auch, und die Rodin’sche Version von La Défense steht seit 1920 in Verdun, heute auf der promenade des frères Boulhaut.

© Camille  Florement/Tourisme Grand Verdun[8]

Den Zuschlag erhielt statt dessen der Entwurf von Louis Ernest Barrias. Er steht heute in der Eingangshalle des Petit Palais.

Man kann hier aus nächster Nähe die drei Figuren betrachten, die zusammen die Skulptur bilden: Die republikanische Allegorie der stolzen Stadt Paris und der Kämpfer der Nationalgarde, der zwar am Fuß verletzt ist, aber mit wild entschlossenem Gesichtsausdruck sein Gewehr lädt, um weiterzukämpfen.

Das kleine notdürftig in ein Tuch gehüllte Mädchen am Sockel der Skulptur verkörpert die unter der Blockade an Hunger und Kälte leidende Pariser Bevölkerung.  Das Leid des Krieges war damit zwar präsent, aber betont werden Stolz und Kampfeswille- und dies in einer Zeit, in der der Gedanke der Revanche ein konstituierendes Element nationaler Einheit war.

Am 12. August 1883 wurde das Denkmal feierlich in einem Staatsakt auf dem rond-point de Courbevoie eingeweiht, der damit zum rond-point de la Défense wurde.

Postkarte, um 1900[9]

Bis Ende der 1950-er Jahre stand La Défense dort – auch noch als das Centre des nouvelles industries et technologies -heute in Einkaufszentrum und Hotel- als erstes Gebäude des neuen Viertels im Westen von Paris errichtet wurde.[10]

Prefecture des Hauts-de-Seine, Nanterre, 1971 – Rond-Point de La Defense, 1962

Dann allerdings mussten der rond-point und damit auch die Skulptur in seiner Mitte den jahrelangen Bauarbeiten zur Gestaltung des neuen  Geschäftsviertels weichen. La Défense verschwand buchstäblich in der Versenkung, bis sie 2017 an ihrem heutigen Platz am farbenprächtigen Agam-Brunnen aufgestellt wurde.

Vor der Skulptur ist eine marmorne Informationstafel in den Boden eingelassen.

Unter etwa 100 Bildhauern, darunter Auguste Rodin, gewann Barrias den 1879 ausgerufenen Wettbewerb, um an die Verteidigung von Paris gegenüber den Preußen 1870-71 zu erinnern. Diese bronzene Allegorie befand sich anfangs im Zentrum eines in der Perspektive des Arc de Triomphe gelegenen Kreisels, der heute der Umgestaltung des Viertels zum Opfer gefallen ist. Paris in Gestalt einer die Uniform der Nationalgarde tragenden Frau hält stolz das Banner. Mit dem kleinen Mädchen und dem Soldat zu ihren Füßen verkörpert sie den heldenhaften Widerstand der Stadt Paris. Als einziges Werk des 19. Jahrhunderts auf der Esplanade hat die Skulptur ihren Namen dem Viertel gegeben.


Anmerkungen:

[1] Siehe den Blog-Beitrag https://paris-blog.org/2021/11/25/champigny-sur-marne-die-letzte-grose-schlacht-des-deutsch-franzosischen-krieges-11-und-ein-deutsch-franzosischer-erinnerungsort/

[2] Siehe:  Rainer Kaltenboeck-Karow,  Eingekesselt: Epos zur Tragödie der deutschen Völker. BoD Norderstedt, S. 35/36

[3] http://www.souvenir-francais-92.org/2021/04/la-statue-de-napoleon-a-courbevoie.html

[4] Siehe dazu die Blog-Beiträge zum Hôtel des Invalides und zur Säule auf der place Vendôme: https://paris-blog.org/2017/03/12/napoleon-in-den-invalides-es-lebe-der-kaiser-vive-lempereur-3/ und   https://paris-blog.org/2021/06/02/150-jahre-abriss-der-vendome-saule-durch-die-commune-teil-1-ein-blick-auf-ihre-bewegte-geschichte-vive-lempereur-a-bas-lempereur-auch-ein-beitrag-zum-napoleonjahr-annee-napoleon-20/

[5] Bataille de Courbevoie : définition de Bataille de Courbevoie et synonymes de Bataille de Courbevoie (français) (leparisien.fr)

[6] Zu Bartholdi siehe  den  Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2017/02/23/die-freiheitsstatue-von-new-york-und-ihre-schwestern-in-paris-teil-2-die-vaeter-von-miss-liberty/

[7] Bild und Informationen zu dem Entwurf bei: https://www.musee-rodin.fr/ressources/focus-sur-oeuvre/defense  und Antoinette LE NORMAND-ROMAIN « La Défense de Paris », Histoire par l’image (pdf, 247.2 ko) en ligne

[8] Bild aus: https://www.tourisme-verdun.com/decouverte/post/sculpture-la-defense-de-rodin

[9] Bild aus: https://fr.wikipedia.org/wiki/La_D%C3%A9fense_de_Paris_(groupe_sculpt%C3%A9)#/media/Fichier:Carte_postale_-_Puteaux_-_Monument_de_la_D%C3%A9fense_-_9FI-PUT_84.jpg

[10] https://fr.wikipedia.org/wiki/Centre_des_nouvelles_industries_et_technologies Bild aus: https://www.leparisien.fr/hauts-de-seine-92/puteaux-92800/la-statue-de-la-defense-sort-de-son-trou-06-01-2017-6534642.php

Zum Tod von Sempé: Sein Wandbild im 3. Arrondissement von Paris

Am 11.8.2022 ist der Karikaturist und Zeichner Jean-Jacques Sempé kurz vor seinem 90. Geburtstag gestorben: Für mich Anlass, einen Blick auf zwei -mir besonders liebe- seiner wunderbaren Paris-Zeichnungen zu werfen und dann sein großes Wandbild in der rue Froissard im 3. Arrondissement vorzustellen.

Es gibt ein Bild, das, wie Andreas Platthaus in seinem Nachruf in der FAZ vom 12.8. schreibt, die Kunst von Sempé auf den Punkt bringt. „eine Ansicht von Saint-Sulpice, nur wenige Fußminuten entfernt von seinem Appartement, aber nicht der monumentalen Kirche mit ihrem weltberühmten Delacroix-Altarbild des mit dem Engel ringenden Jakob, sondern des baumbestandenen Vorplatzes, um den Passanten und Motorradfahrer kreisen – ‚Paris comme elle  faut‘. Und ganz oben überm Häuserrand der Platzbebauung reckt sich auf dem halbmetergroßen Blatt die moderne Tour Montparnasse in den Himmel. Dieses Hochhaus empfand Sempé als Gruß seiner ersten an die zweite Lieblingsstadt, an New York.“[1]

Der Platz, von dem aus diese Perspektive sich öffnet, ist -etwas erhöht- das Café de la Mairie. Dort sitzen wir gerne nach einem Chorkonzert, an dem ich -wie zuletzt ein paar Tage vor dem Tod Sempés- teilnehmen durfte. In diesem Café hatte sich auch der französische Schriftsteller Georges Perec niedergelassen, um ein kleines außergewöhnliches Büchlein über diesen Platz zu schreiben: tentative d’épuisement d’un lieu parisien.  An drei aufeinander folgenden Tagen hatte Perec alles aufgeschrieben, was er beobachtete: gewöhnliche, eigentliche unbedeutende Dinge des täglichen Lebens. Der volle Bus Nummer 96, der vorbei fährt,  ein Mann, der die Kirche verlässt, das Geräusch der vom Wind bewegten Blätter, die Tauben auf dem Platz, zwei kleine Hunde „genre Milou“- (der Hund Tintins) – und so weiter- auf 41 Seiten: „Die tausend unbeachteten kleinen Details, die das Leben in einer großen Stadt ausmachen“, wie es auf dem Klappentext des Buches heißt. Dort wird eine Parallele zu den Beobachtungen Monets an der Kathedrale von Rouen hergestellt: „un regard, une perception humaine, unique, vibrante, impressioniste, variable“.  Passt das nicht auch zu Sempé?[2]

Eine andere Zeichnung mit einem für uns ganz persönlichem Bezug ist diese Ansicht auf die typischen Pariser Zinkdächer mit ihren kleinen tönernen Kaminschloten.[3] Es gibt sogar Bemühungen die „toits de Paris“ in das immaterielle UNESCO-Welterbe aufzunehmen. Sempé wirft aber einen ganz besonderen und für ihn charakteristischen Blick darauf. Da haben es sich zwei auf dem Dach -über einem der typischen Dachfenster, den sogenannten œils de bœuf, gemütlich gemacht und genießen die Sonne… Wäre da nicht die Frau oben in einem der früher für die Hausangestellten  bestimmten  bonne-Zimmer unter dem Dach, die gerade ihr Spülwasser in den  Ausguss schüttet. Und wäre da nicht das Leck in der Dachrinne…. Wie treffend! Wir können davon ein Lied singen: In unserem kleinen Appartement unter den Dächern von Paris haben wir schon zweimal einen Wasserschaden gehabt wegen eines Lecks im Zinkdach. Beim zweiten Mal habe ich den von der Hausverwaltung zur Reparatur engagierten Dachdecker (couvreur-zingueur) etwas entnervt gefragt, ob wir denn nun damit rechnen könnten, von weiteren Wasserschäden verschont zu bleiben. Da zuckte er nur mit seinen Achseln: Wer könne das schon wissen… les toits de Paris…

Aber nun zum Wandbild Sempés in der rue Froissard im 3.  Arrondissement von Paris:

Foto: Wolf Jöckel, September 2022

Als dieses Wandbild entstand -eingeweiht wurde es im Februar 2019- war Sempé schon 86 Jahre alt, also etwas zu alt dafür, ein solches monumentales Wandbild zu erstellen, das bis auf eine Höhe von 10 Meter heranreicht. Die Aufgabe wurde also Jean-Marie Havan übertragen, einem Maler mit 40-jähriger Berufserfahrung.[4] Der erzählt:

„Seit meiner Jugend war ich ein Fan von Sempé. Also war ich glücklich über diesen Auftrag. Meine größte Angst war, es könne ihm nicht gefallen. Ich habe deshalb zuerst lange und ausführlich seine Art zu zeichnen und zu malen studiert und eine ganze Reihe von Kopien der originalen Zeichnung angefertigt, bevor ich mich an die Arbeit gemacht habe.“

Eine besondere Schwierigkeit bestand darin, dass dieses Original 50 mal 30 cm maß, die Mauer aber 4,5 mal 6,5 Meter, die kleine Zeichnung musste also entsprechend vergrößert werden, dabei aber ihren ursprünglichen Charakter bewahren.

Jean-Marie Havan bei der Arbeit auf dem vierstöckigen Gerüst [5]

Eine andere  Schwierigkeit bestand darin, dass es sich bei  dem Original um ein Aquarell  handelte und Havan versuchen musste, auch diese Technik auf die Hauswand zu übertragen. Dazu kam, dass diese  Wand nicht ganz glatt war, was entsprechende Anpassungen erforderlich machte.

200 Stunden arbeitete Havan an seinem Werk. Sempé hat ihn dabei besucht. Er sei zufrieden gewesen gewesen und und habe dem Bild seinen Segen gegeben, so dass es auch mit seinem Signum versehen werden konnte.

Foto: Wolf Jöckel, September 2022

Dass Sempé gerade dieses Motiv für das Pariser Wandbild ausgewählt hat, ist sicherlich seiner großen Leidenschaft, dem Fahrradfahren, zu verdanken. In seinem Leben und Werk spielt das Fahrrad ja eine bedeutende Rolle.  Für Sempé war das Fahrradfahren „ein einfaches Mittel, frei zu sein. Du nimmst deine Hände vom Lenker und kannst fahren, wohin du willst.“[6]

Freiheit auf dem Fahrrad: Sempé-Münze von 2014

Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, hat dieses Thema bei der Einweihung des Wandbildes natürlich gerne aufgenommen, will sie doch -mit einer bei französischen Politikern verbreiteten Großmäuligkeit- Paris zur „capitale mondiale du vélo“, zur „Welthauptstadt des Fahrrads“, machen. In ihrer Rede betonte sie deshalb auch die Rolle des Fahrrads für die Stadt Paris, wo die Abhängigkeit vom Auto geringer sei als anderswo, und sie rühmte dann auch gleich ihre (in der Tat beeindruckende) Bilanz bei der Schaffung von Fahrradwegen in der Stadt.[7]

Aber es geht bei der Zeichnung/dem Wandbild ja nicht einfach nur um ein Lob des Fahrradfahrens, sondern es geht auch um (fehlende) Kommunikation: Die Fahrradfahrerin und der Fahrradfahrer fahren aneinander vorbei. Sie fahren zwar aus unterschiedlichen Richtungen kommend genau aufeinander zu, aber dann biegt der jeweilige Weg ab, sie sehen sich nicht an, fahren in entgegengesetzter Richtung weiter… Das ist Sempé…

Foto: Wolf Jöckel, 14. September 2022

Und das ist sein petit Nicolas, sein kleiner Nick. Der wurde -vermutlich von Jean-Marie Havan- nach dem Tod Sempés dem Wandbild hinzugefügt und weint seinem Schöpfer eine Träne nach. Eine schönere und anrührendere Würdigung Sempés kann es kaum geben.


Anmerkungen:

[1]Andreas Platthaus, Frankreich für die ganze Welt. Er liebte das Leben, und weil er das zeichnete, wurde er zurückgeliebt: Zum Tod des Jahrhundertcartoonisten Jean-Jacques Sempé. In: FAZ vom 12.8.2022

 Bild aus: https://www.mutualart.com/Artwork/Saint-Sulpice/0161015D6CDF81B7

[2] https://paris-blog.org/2017/07/22/die-kirche-saint-sulpice-in-paris-teil-2-der-gnomon-der-kampf-mit-dem-engel-von-delacroix-und-das-cafe-de-la-mairie/

[3] Siehe dazu den Blog-Beitrag Über den Dächern von Paris: Blicke von unserer Terrasse. https://paris-blog.org/2016/03/31/sonnenuntergang-in-paris/

[4] https://jeanmarie-havan.com/  Dort gibt es auch einen kleinen Film über die Entstehung des Wandbildes von Sempé

[5] Dieses und das nachfolgende Bild aus: https://www.paris.fr/pages/une-fresque-de-sempe-dans-le-3e-arrondissement-6490

[6] Zitiert bei: https://www.paris.fr/pages/une-fresque-de-sempe-dans-le-3e-arrondissement-6490

[7] https://www.lemonde.fr/m-le-mag/article/2019/02/28/l-inauguration-d-une-fresque-sempe-croquee-a-la-maniere-du-dessinateur_5429510_4500055.html