Aus Anlass des 50. Jahrestages von Picassos Tod am 8. April 1973 hat sich das Picasso-Museum in Paris etwas Besonderes, Extravagantes ausgedacht: Es hat dem englischen Designer Paul Smith freie Hand, „carte blanche“, gegeben, die Werke Picassos in neuem Gewand zu präsentieren.
Smith, der für seine farbenfrohe Mode bekannt ist, hat weltweit Geschäfte eröffnet und seine Kollektionen in über 70 Ländern vertrieben, auch Motorrädern und Fahrradtrikots verlieh er sein Design. Für seine Verdienste um die britische Modewelt schlug ihn die Queen im Jahr 2000 zum Ritter. Jetzt hat er zum ersten Mal auch eine Kunstschau gestaltet.
Man wolle Picasso in einem neuen Licht zeigen und ein anderes, jüngeres Publikum anlocken, sagte der 76-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Ausstellungen in weißen Räumen zu präsentieren sei streng und seriös. Die junge Generation sei visuell..[1] In sein buntes Universum hat er nun über 150 Werke des Künstlers getaucht:
Da hängt Picassos „Frühstück im Grünen nach Manet“ (Le Déjeuner sur l’herbe d’après Manet) passend in einem grün ausgemalten Raum. Und die Ziegen werden sich auf dem Grün sicherlich auch wohl fühlen….
Beim sitzenden Akt aus dem Jahr 1906/07, einer Studie für die Demoiselles d’Avignon, nimmt Smith als Wandfarbe die Farbe des Sofas auf.
Und selbstverständlich hängen das Selbstportrait (1901) und La Célestine (1903/04) aus der blauen Phase Picassos vor einem tiefblauen Hintergrund….
Die Wände des dem Stierkampf-Thema gewidmeten Raums sind -wie könnte es anders sein- rot gestrichen. Es handelt sich um eine Lackfarbe, rot „wie frisches Blut“.[2]
Aber natürlich begnügt sich Smith nicht mit monochrom-farbigen Hintergründen, die inzwischen ja in vielen Museen üblich geworden sind.
Es sind vor allem die bunten Streifen, die in Picassos Werken der 1930-er Jahre eine große Rolle spielen und die Paul Smith in seinen Hintergründen aufnimmt. Hier die gelben Streifen im Bild der von Marie-Thérèse Walther inspirierten Lesenden. (La Lecture, 1932)
Die blauen Streifen haben es Picasso und Paul Smith besonders angetan. Sie finden sich nicht nur in den Werken Picassos und an Ausstellungswänden. Picasso posierte auch gerne mit einem blau-weiß gestreiften Pullover, wie in der Ausstellung gezeigte Fotografien von Robert Doisenau zeigen.
Robert Doiseneau, Portrait de Pablo Picasso in seinem Atelier in Vallauris, 1952
Dazu passen dann die darüber aufgehängten Marine-Pullover. Die Verbindung der Farbe Weiß mit etwas Blau ist für Paul Smith Ausdruck der Ruhe: „Es ist die Ruhe des Meeres, der frischen Luft und des Strands.“[3]
Alte Eichenbalken und Smith’sche Streifen im Dachgeschoss des Museums
Streifen sind nicht nur ein wesentliches Moment im Werk Picassos, sondern auch ein Markenzeichen von Paul Smith. Die enge Beziehung zwischen beiden zeigt sich gerade hier und im spielerischen Umgang damit, wie Paul Smith sagt: „Als ich an dem Projekt arbeitete, habe ich gelernt, wie sehr sich Picasso für alles interessierte, dass er spielerisch war wie ein Kind. Das hat man oft auch von mir gesagt, und das hat mich sehr ihm nähergebracht.“
Besonders auffällig präsentiert wird in der Ausstellung Picassos Gemälde seines Sohnes Paul, der die typische Tracht mit dem buntem Rautenmuster eines Harlekins trägt. (Paul en Arlequin, 1924). Nach den Worten von Paul Smith habe er gerade an dem Rautenmuster der Wand besonders intensiv gearbeitet, damit es „nicht perfekt und mechanisch“ werde.
1925 malte Picasso den kleinen Paul im Pierrot-Kostüm (Paul en Pierrot), und auch hier überträgt Paul Smith ein Motiv des Kostüms, die großen Knöpfe, auf die Wand.
Das Zusammenfügen von Alltagsgegenständen oder das Zusammenkleben von Papierausschnitten (papiers collés) sind typische Techniken Picassos. Smith nimmt das hier auf durch die nebeneinander geklebten unterschiedlichen Tapetenbahnen, die gleichzeitig in ihrer zurückhaltenden Farbigkeit zu dem Bild an der Wand passen. Es handelt sich um das 1917/18 entstandene Portrait von Olga, mit der Picasso seit 1918 verheiratet war, der Mutter des kleinen Paul.
Dies ist kein Picasso, sondern ein Paul Smith: Ausschnitt eines im Stil Picassos bemalten großen hölzernen Kubus, der in dem Raum mit Gemälden Picassos und Braques aus der kubistischen Phase aufgestellt ist. Die Straße soll wohl veranschaulichen, dass der Kubismus nur eine Phase in der langen und vielfältigen Entwicklung Picassos ist…
Picasso, Homme à la guitare, 1911 (Ausschnitt)
Georges Braques, Nature morte à la bouteille, 1910 (Ausschnitt)
An den heimischen Wald der Eule erinnert das Sperrholz der Vitrine, in der sie ausgestellt ist. (Chouette, Vallauris, 30. Dezember 1949)
In dem Raum, in dem Werke Picassos aus den 1950-er Jahren ausgestellt sind, hat Smith große 50-er auf die Wand gemalt. Hier rahmen sie „Jacqueline aux mains croiseées“ aus dem Jahr 1954 ein. Es ist ein Portrait von Jacqueline Roque, der letzten Lebensgefährtin Picassos, die er 1961 heiratete.
Bei den bemalten Tellern, die Picasso in den Jahren 1947 bis 1949 in Vallauris herstellte, hat sich Smith als Umrahmung etwas Besonderes einfallen lassen, nämlich einfache industriell hergestellte Teller- eine durchaus reizvolle Gegenüberstellung.
Drei mit Faunsköpfen bemalte Teller Picassos und drei industriell hergestellte Gebrauchsteller
Dieses Werk Picassos aus dem Jahr 1942 ist seine wohl bekannteste Schöpfung, bei der er Gebrauchsgegenstände verwendete, um daraus ein Kunstwerk zu schaffen. Hier handelt es sich um einen Fahrradsattel und einen Lenker, die Picasso auf einer Müllkippe gefunden haben soll. Und entstanden ist daraus ein Stierkopf (tête de taureau) ….
Und was macht Paul Smith- selbst ein begeisterter Radfahrer- damit? Er stellt dem Picasso’schen Stierkopf eine Serie von Lenkern und Sätteln gegenüber, einer davon durch Form und Farbe besonders hervorgehoben… Das surrealistische Meisterwerk Picassos wird dadurch umso mehr ins rechte Licht gerückt.
Dies alles findet statt in einem klassischen Bauwerk im Marais, dem Hôtel Salé, einem Stadtpalais (hôtel particulier) aus dem 17. Jahrhundert.
Gartenseite des Hôtel Salé/Picasso-Museums © Fabien Campoverde
Nach den auf der Website des Museums zitierten Worten des Kunsthistorikers Bruno Foucart handelt es sich um „das größte, außergewöhnlichste, um nicht zu sagen extravaganteste der große Pariser Stadtpalais des 17. Jahrhunderts“.[4] Sphingen rahmen die Fassade ein. Im oberen Stockwerk mit den repräsentativen Räumen sind die Bewohner und Besucher des Palais fast auf Augenhöhe mit Zeus – ausgewiesen durch Adler und Herrscherstab…
Zentrum und Meisterwerk des Palais ist die große Treppenanlage, die nach dem Vorbild der von Michelangelo entworfenen Treppe der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz errichtet wurde: Durch die vielfältigen Perspektiven und reiche Ornamentik ein „salle de spectacle“.[5] Der breite Aufgang wird von einem hochherrschaftlichen Balkon überragt.
Auf der Rückwand nimmt Picassos Akrobat von 1930 zwischen korinthischen Pilastern einen Ehrenplatz ein. Hier hat Paul Smith auf Eingriffe verzichtet. Seitliche, allein funktionale Treppenaufgänge hat er allerdings etwas farbig eingerahmt….
… und eine Rampe sogar mit einem buntgestreiften Teppichboden belegt.
Auf die Fenster dort sind kleine Figuren gemalt, die vielleicht als Suchspiel für Kinder dienen können.
Ich könnte mir vorstellen, dass Picasso mit der neuen poppigen und auch humorvollen Präsentation seiner Arbeiten durchaus einverstanden gewesen wäre, ja, dass er seine Freude daran gehabt hätte. Denn Humor hatte Picasso, wie in einem Raum mit Blättern aus der Modezeitschrift Vogue vom Mai 1951 gezeigt wird.
Picasso machte sich einen Spaß daraus, Fotos der Zeitschrift mit der Tuschfeder etwas zu verändern. So werden aus Modefotos teilweise groteske Bilder.
Die von der Modezeitschrift vermittelte bourgeoise „heile Welt“ wird so konterkariert.
Sehr gerne fügt Picasso kleine phantastische Figuren hinzu, eine Mischung aus Teufelchen und Faun.
Dieser nähert sich aufdringlich und handgreiflich der jungen Dame im Hochzeitskleid an heiligem Ort…
Hier zeigt Picasso -natürlich wieder im blau-weißen Pullover- im September 1952 in Vallauris dem Fotografen Robert Doisneau die Seite 33 der Ausgabe Mai 1951 von Vogue. Das war für ihn ganz offensichtlich eine wichtige Facette seines Werks.
Insgesamt eine völlig unfeierliche Ausstellung „voll Humor und Frische“ (Le Figaro), wie man sie zum 50. Jahrestag des Todes von Picasso nicht unbedingt an diesem Ort hätte erwarten können. Unbedingt empfehlenswert!
[1] https://www.derstandard.de/story/2000144250988/designer-paul-smith-gestaltet-picasso-schau-in-paris
[2] Valérie Duponchelle und Anne-Sophie von Claer, Le coup d’éclat de Paul Smith au musée Picasso. In: Le Figaro,3. März 2023
[3] Interview mit Le Figaro: „Ich suis par natureun optimiste“. Le Figaro vom 3. März 2023
Alle Zitate von Paul Smith in diesem Beitrag sind diesem Interview entnommen,
[4] https://www.museepicassoparis.fr/fr/lhotel-sale
[5] a.a.O.
Praktische Informationen
Die Ausstellung Célébration Picasso ist bis 27. August 2023 zu sehen.
Musée National Picasso-Paris
5 rue de Thorigny, Paris 3. Arrondissement
Von 10:30 bis 18 Uhr. Samstag und Sonntag und während der Schulferien von 9.30 bis 18 Uhr. Montag geschlossen.
Reservierung: https://parisjetaime.com/billets/musee-national-picasso-paris-visite-libre-m9000596
Im Jubiläumsjahr gibt es eine Vielzahl internationaler Picasso- Ausstellungen.. Darunter auch auch eine im Centre Pompidou in Paris:
Picasso. 2023 Zeichnungen (18.10.2023–22.1.2024)
Nach Einschätzung der Süddeutschen Zeitung wird diese Ausstellung sogar wohl „wichtigstes Ereignis im Jubiläumsjahr“ sein.
.
Herzlich bedanken möchte ich mich für die immer wieder spanndenen
Beiträge und Berichte über diese wunderschöne Stadt. Ende März waren wir
mal wieder für eine Woche da – haben aber diese Ausstellung verpasst, da
wir so vieles andere „auf dem Zettel“ hatten: das Musee des Arts
Forains , das aber leider nur für Gruppen zugänglich war (als Ersatz
waren wir dann im Filmmuseum in Bercy) und ein Konzert im „Chope des
Puces“ im Kreis einer großen Familie von Django Reinhard-Freundinnen und
Freunden. Und ein Besuch des Hauses der Kommunistischen Partei, in dem
(leider) gerade eine Ausstellung vorbereitet wurde. Und in den Wirren
der Proteste haben wir dann das Picassomuseum aus den Augen verloren.
Wir lesen Ihre Anregungen immer wieder mit großem Interesse, und
vielleicht machen wir im Sommer auf dem Weg in die Normandie doch noch
einen Zwischenstopp, um Picasso in diesem tollen Rahmen zu erleben.
Danke nochmal!
Ein frohes Osterfest wünschen
Susanne Andres und Gerd-Peter Hoogen
PS. Wie feiern eigentlich Franzosen das Osterfest – auch mit gutem Essen?
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Vielen Dank für den freundlichen Kommentar.
Was das Osterfest angeht: Natürlich gehört bei Franzosen das Essen auch dazu: Traditionell die Lammkeule (gigot) mit Bohnen…. Und am Montag werden dann im Garten die Ostereier gesucht – was in Paris allerdings kaum möglich ist…. Aber viele Pariser haben ja ein Häuschen auf dem Land… Auch Ihnen ein schönes Osterfest. Wolf Jöckel
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