Der Bürgerkrieg in Frankreich 1871: Ein Rundgang auf dem Friedhof Père-Lachaise in Paris auf den Spuren der Commune

Der Friedhof Père-Lachaise  ist auf dreifache Weise ein ganz besonderer Erinnerungsort an den „Bürgerkrieg in Frankreich“, die  Pariser Commune von 1871[1]:

  • Hier fanden am Ende der semaine sanglante die letzten Gefechte statt zwischen den fédérés, also den Kämpfern der Commune,  und den Regierungstruppen, den Versaillais.
  • An der mur des fédérés wurden die letzten überlebenden Kämpfer der Commune erschossen und weitere Aufständische verscharrt
  • Und schließlich gibt es auf dem Père -Lachaise zahlreiche Gräber von Kommunarden oder von Personen, deren Leben und Werk bedeutsam für die Commune waren.

In dem nachfolgenden Text sollen einige dieser Erinnerungsorte vorgestellt und Anregungen zu einem historisch orientierten Spaziergang über den Friedhof  gegeben werden. Nirgendwo sonst  ist in dieser Dichte und Intensität ein wichtiges Kapitel der – nicht nur- französischen Geschichte des 19. Jahrhunderts erfahrbar. Der Spaziergang weicht etwas von der Route ab, die von der Mairie de Paris vorgeschlagen  wird. Er ist deutlich konzentrierter- er umfasst 11 „Stationen“ innerhalb des Friedhofs statt 35, aber zu diesen 11 Stationen gehören auch zwei, die auf der Commune-Karte der Mairie nicht berücksichtigt sind: Dies sind eindrucksvolle Zeugen des Triumphs der Gegenrevolution, die meines Erachtens unbedingt auch zu einem Commune-Rundgang gehören: Die Commune ist bis heute eine eher unbekannte und umstrittene Phase der französischen Geschichte. Nicht zuletzt soll der Rundgang auch einen Eindruck von der Größe, Vielfalt und Schönheit des Père-Lachaise vermitteln. Empfehlenswert ist es, sich den von der Mairie de Paris herausgegebenen Plan des Père-Lachaise als „haut lieu de la Commune de Paris“ auszudrucken: Er ist eine gute Grundlage für die Orientierung.

https://api-site.paris.fr/images/103968.pdf

 

Prolog:  Der Rückzug der Kommunarden zum Père -Lachaise

Übersicht des Spaziergangs:

  1. Jules Vallès, der Autor des Insurgé
  2. Charles Delescluze und der Ort der letzten Kämpfe der Commune
  3. Das Grab von Victor Noir: vom politischen zum erotischen Wallfahrtsort
  4. Auguste Blanqui (mit einem Exkurs über Jules Dalou, den Schöpfer der Grabmäler von Noir und Blanqui)
  5. Eugène Pottier, der Autor der „Internationale“
  6. Die Mauer der erschossenen Communarden (le mur des fédérées) und die Gräber von
  • Jean-Baptiste Clément, Autor der Commune-Hymne „Le Temps des Cérises“
  • Valéry Wrobleswsky, Verteidiger der Buttes aux Cailles
  • Paul Lafargue, Schwiegersohn von Karl Marx und Autor von „Das Recht auf Faulheit“
  1. Das Mausoleum von Adolphe Thiers, monumentaler Ausdruck des Triumphs der Gegenrevolution
  2. Das Grabmal der Generäle Lecomte und Clément-Thomas mit der zertretenen Schlange der Commune

Epilog: Das Commune-Denkmal an der äußeren westlichen Friedhofsmauer und das Gemälde „Une rue à Paris en mai 1871 ou La Commune“ de Maximilien Luce im Musée d’Orsay

 

 

Prolog: Der Rückzug der Kommunarden zum Père -Lachaise

Wie kam es dazu, dass gerade auf dem Père Lachaise die letzten Kämpfe  in der semaine sanglante stattfanden? Der Pariser Osten war eine Hochburg der Commune – wie auch schon aller anderen vorausgegangenen Revolutionen. Und das 11. Arrondissement, an das der Père-Lachaise angrenzt, tat sich auch in der Commune besonders hervor: Am 6. April 1871 beispielsweise verbrannten Nationalgardisten an der Place Voltaire in einem demonstrativen Akt vor einer Büste Voltaires zwei  Guillotinen aus dem nahe gelegenen Gefängnis de la Roquette, um damit gegen die Todesstrafe zu demonstrieren.[2] Und nachdem die Communarden das Hôtel de Ville im Zentrum von Paris aufgegeben und in Brand gesteckt hatten, richteten sie  am 24. Mai  in der Mairie des 11. Arrondissements an der Place Voltaire ihr letztes Hauptquartier ein, „ultime cellule de la Commune agonissante.“ (Bourgin).

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Genau 140 Jahre später fand hier – in der Eingangshalle des Rathauses-  eine Feierstunde statt, in der eine Gedenktafel enthüllt wurde: „Nachdem die Commune de Paris das Hôtel de Ville verlassen hatte, tagte sie vom 24. bis zum 26. in diesem Rathaus, von wo aus sie den Widerstand gegen die Versailler Truppen während der letzten Kämpfe der ‚blutigen Woche‘ organisierte“.

Im 11. Arrondissement gab es auch eine der letzten Barrikaden der Commune – es war auch die letzte   der vielen Barrikaden, die im Laufe der vier französischen Revolutionen des „langen 19. Jahrhunderts“ auf dem Faubourg-St-Antoine errichtet wurden. Sie stand an der Einmündung der Rue de Charonne und sollte im Mai 1871  den Vormarsch der Versailler Regierungstruppen in die Rückzugsgebiete der Commune in den östlichen Arbeiter- und Handwerkervierteln verhindern.

Download Barricade Rue de Charonne

Bei der Verteidigung dieser  Barrikade wurde am 25. Mai der aus Ungarn stammende Leo Fränkel, der –u.a. Vertreter der deutschen Sektion der Internationale in Paris und ein führender Vertreter der Commune war, verletzt. Als „Arbeitsminister“ der Commune  hatte Fränkel unter anderem das Nachtarbeitsverbot erlassen. Gerettet wurde er von Elisabeth Dmitrieff, einer russischen Sozialistin und Feministin, die von Karl Marx nach Paris entsandt worden war und dort während der Commune die „Union des Femmes pour la défense de Paris et les soins aux blessés“ gründete. Fränkel und Dmitrieff: Zwei grandiose Gestalten der internationalen Arbeiterbewegung mit abenteuerlichen Lebenswegen, wie sie ein Romanschriftsteller nicht besser hätte erfinden können. An  diese Barrikade an dem Faubourg-St-Antoine erinnert aber immer noch keine Gedenktafel.

Ganz versteckt ist auch ein faszinierendes Relikt der Commune, das Kommunarden bei ihren Rückzugsgefechten auf dem Weg in den Faubourg-St-Antoine und zum Père-Lachaise hinterlassen haben: Es befindet sich in der Jesuitenkirche St. Paul in der Rue St. Antoine (Métro St. Paul). Dort hatten sich offenbar einige Kommunarden in der semaine sanglante verschanzt und in hoffnungsloser Situation in einen Pfleiler der Kirche (1. Pfeiler vom Eingang aus rechts) die Parole „République Française ou la Mort“ geritzt. (Obwohl der Klerus später versucht hat, diese Spur der verteufelten Commune zu beseitigen, ist ihm das –wie man sieht- glücklicherweise nicht ganz gelungen).

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Das Graffiti zeugt von der äußersten Entschlossenheit der Communarden und lässt etwas von der extremen, ja verzweifelten Situation ahnen, in denen sie sich angesichts der Übermacht der anrückenden Versailler Truppen befanden. Für mich ist dies einer der intensivsten Erinnerungsorte der Pariser Commune außerhalb des Père-Lachaise, dem wir uns nun zuwenden.

Der Rundgang:

Der vorgeschlagene Rundgang beginnt an der Porte des Amandiers an der südwestlichen Ecke des Friedhofs, direkt an der Métro-Station Père-Lachaise (Linie 2)

  1. Das Grab von Jules Vallès

Zunächst geht es zum Grab von Jules Vallès. Er war ein führendes Mitglied der Commune, Journalist und Schriftsteller, engagierte sich besonders für eine Erziehungsreform, war Herausgeber der Zeitschrift „Le Cri du peuple“, entschiedener Vertreter der Pressefreiheit,  und er hat in dem autobiographisch gefärbten Roman „L’insurgé“ der Commune ein literarisches Denkmal gesetzt.

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 1885 starb er, nach langem Exil,  in Paris und wurde, von tausenden Menschen begleitet,  auf den Père- Lachaise gebracht und dort bestattet. Als am Grab deutsche Sozialisten einen Kranz niederlegten, kam es zu vereinzelten deutschfeindlichen Reaktionen, die aber schnell mit Sprechchören zur internationalen Solidarität beendet wurden.

Verehrer hat Vallès jedenfalls noch bis heute….

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2016 startete die Mairie  des 11. Arrondissements eine Aktion, den Menschen/Männern, nach denen Straßen  des Arrondissements  benannt sind, ein  Gesicht zu geben. So auch Jules Vallès, dessen  Protrait am Square R. Nordling -vor der Kirche Ste Marguerite – in der Nähe „seiner“ Straße- ausgestellt wurde. Schade allerdings, dass  nicht über ihn mitgeteilt wurde: So hat er für die  Menschen  den Viertels zwar ein Gesicht erhalten, aber leider bleibt er damit wohl für die meisten ein  Unbekannter….

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(66. Division an der Avenue des Peupliers. Nummer 2 auf dem Commune-Plan der Mairie de Paris).

  1. Das Grab von Charles Delescluze und die letzten Kämpfe der Commune (49. Division)

Delescluze war Journalist und sozialistischer Aktivist, der schon in den Revolutionen von 1830 und 1848 eine wichtige Rolle spielte. Vielfach verhaftet und zu Geld- und Haftstrafen (u.a. in Cayenne) verurteilt, engagierte er sich auch wieder in der Commune, deren „Kriegsminister“ er in den letzten  Maiwochen  war. Als solcher beantragte er,  alle in der Hand der Commune befindlichen Geiseln zu erschießen und vor dem Rückzug die öffentlichen Gebäude (Tuilerien-Schloss, Rathaus von Paris, Gebäude des Rechnungshofs, der Légion d’honneur im Hôtel de Salm[3] u.a. ) in Brand zu setzen. Am 25. Mai suchte er den Tod auf einer Barrikade an der place Château d’Eau, weil er, wie er in einem letzten Brief an seine  Schwester schrieb,  unter keinen Umständen „der siegreichen Reaktion als Opfer oder Spielzeug dienen“ wollte:     « Ma bonne sœur. Je ne puis ni ne veux servir de victime et de jouet à la réaction victorieuse… Mais je ne me sens pas le courage de subir une nouvelle défaite après tant d’autres. »  [4] 

Sein Leichnam wurde einen Tag später von den siegreichen Versaillais gefunden und in Montmartre in einem Massengrab verscharrt. Es sollte verhindert werden, dass das Grab von Delescluze zu einer Gedenkstätte oder gar einem Wallfahrtsort werden könnte. 1883 wurde sein Leichnam dann in dem Massengrab identifiziert und  in den Père Lachaise überführt.

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An der Spitze der Grabstele befinden sich -kaum noch identifizierbar- Auszüge aus dem schon zitierten Brief an seine -hier ebenfalls bestattete Schwester Azema, den Delescluze am Vorabend seines selbstgewählten Todes schrieb.

Die Inschrift auf der Grabstelle ist kaum noch entzifferbar, was das offizielle Bulletin municipal der Stadt Paris schon 1913 bemerkte. Sie lautet:

A la mémoire de Charles Delescluze, Commissaire général de la République, 1848 ; Rédacteur en chef du Réveil en 1868 ; Député de Paris à l’Assemblée nationale, 8 février 1871 et de sa sœur Azéma, décédée le 31 oct. 1876, leurs amis.

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Bemerkenswert ist hier, dass die Rolle Delescluzes während der Cummune nicht berücksichtigt ist:  Das ist auch kaum anders zu erwarten, denn als das Grabmal errichtet wurde, war die Commune immer noch geächtet.  Heute gehört sie zwar zum weithin anerkannten historischen Erbe und sie wurde ja auch anlässlich ihres 150. Jahrestags entsprechend gefeiert (siehe den Blogbeitrag zur Commune-Ausstellung „Nous la Commune“ 2021), aber auch dort hat man sich schwer getan, die problematischen Seiten der Commune offen zu thematisieren.

Bezeichnend ist ja auch, dass die Rolle Delescluzes bei der in der Commune umstrittenen  Geiselerschießung und der ebenfalls umstrittenen –zumal militärisch sinnlosen- Inbrandsetzung öffentlicher Gebäude zwar in der deutschen und englischen, nicht aber in der französischen Version des Delescluze-Artikels von Wikipedia erwähnt ist. Ein zusätzlicher Hinweis  darauf, wie delikat auch heute noch der Umgang mit der Commune in Frankreich ist.

(49. Division,  Nr. 6 auf dem Commune- Plan der Mairie  de Paris)

In diesem Bereich des Père Lachaise fanden am 28. Mai 1871 die letzten Kämpfe der semaine sanglante statt. Einschüsse von Kugeln sind noch auf dem Sockel des  Grabes von Charles Nodier zu sehen, das etwas oberhalb und gegenüber dem Grab  von Honoré de Balzac liegt.

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Der Zeitzeuge Prosper Lissagaray schreibt zu den lezten Kämpfen:

„Seit 4 Uhr Nachmittags belagern  die Versailler den Père la Chaise.  Derselbe enthält nur zweihundert Föderierte, entsclossene Leute, aber ohne Disciplin, ohne Umsicht; die Officiere hatten sie nicht dazu bringen können, Schießscharten in die Mauer zu machen. Fünftausend Versailler greifen die Enceinte zugleich von allen Seiten an, während die Artillerie  von der Bastion das Innere durchwühlt. Die Geschütze der Commune haben seit Nachmittg beinah keine Munition mehr. (…) Jetzt beginnt ein verzweifelter Kampf. Hinter den Gräbern  gedeckt, vertheidigen  die Föderierten Schritt für Schritt ihren Zufluchtsort. Man  kämpft grauenvoll Mann an Mann. In den Grüften finden  Gefechte mit blanken Waffen statt. Freund und Feind rollt sterbend in dieselben Gräber. Die früh einbrechende Dunkelheit macht dem Verzweiflungskampf ein Ende.“[5]

Mit dieser letzten Schlacht „des Volks von Paris“ gegen  die von Thiers kommandierten Versailler Truppen wird der Père-Lachaise, wie es auf dem Commune-Plan der Mairie de Paris heißt, „ein Symbol des Kampfs und des Opfers der Kommunarden.“

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Kampf der Fédérés  und der Versaillais auf dem Pére-Lachaise. Gravur von Amédée Daudenarde.      Veröffentlicht in „Le Monde illustré“ vom 24. Juni 1871

 Ein eindrucksvolles Panorama dieser Kämpfe von Henri Félix Emmanuel Philippoteaux ist  im Musée d’art et d’histoire de Saint-Denis zu sehen.

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 Gemalt ist es aus der Perspektive der Föderierten, die trotz ihrer verzweifelten Lage noch die rote Fahne hochhalten. Geschwenkt wird die Fahne übrigens von einer Frau. Eine weitere Frau im Vordergrund versorgt einen Verletzten: Hinweise auf die wichtige Rolle der Frauen in der Commune.  Im Hintergrund sieht man die Stadt Paris mit der Kuppel des Pantheons und den Türmen von Notre Dame. Die Rauchsäulen markieren wohl die Gebäude, die von den Kommunarden auf ihrem Rückzug in Brand gesteckt wurden. Allerdings ist damit nicht- wie bei vielen anderen Darstellungen der 1870-er Jahre- eine Anklage der Commune verbunden, sondern es wird dadurch –wie durch die Rauchwolken der einschlagenden Granaten- die  Heftigkeit der Kämpfe illustriert.  Bei diesem Bild handelt es sich gewissermaßen um eine Antwort auf den Schriftsteller Alphonse  Daudet. Der hatte 1871 eine Geschichte mit dem Titel „La bataille du Père-Lachaise“ veröffentlicht. Auf der ausgezeichneten und höchst empfehlenswerten Internet-Seite „L’histoire par l’image“ findet sich dazu folgende Erläuterung:

Par le truchement du gardien du cimetière, l’écrivain présente son récit comme une démythification : « ― Une bataille ici ? Mais il n’y a jamais eu de bataille. C’est une invention des journaux. » En niant la bataille, le témoin-narrateur nie l’existence de combattants : face aux troupes régulières de Versailles, il n’y aurait eu dans le cimetière qu’un « ramassis » sacrilège d’ivrognes et de femmes de mauvaise vie faisant bombance au milieu des tombes. Avec cette œuvre, Philippoteaux semble contredire les allégations de l’écrivain anticommunard.“[6]

 

  1. Grab von Louis-Auguste Blanqui

Blanqui war ein Theoretiker der sozialistischen Revolution und ein praktischer Revolutionär. Seit der Revolution von 1830 war er eine Leitfigur der sozialistischen Bewegung.  Fast die Hälfte seines Lebens, insgesamt 37 Jahre!- verbrachte er wegen „revolutionärer Umtriebe“ in Gefängnissen. Am spektakulärsten war seine Haft in den „cachots noirs“ auf dem Mont –Saint- Michel, der Mitte des 19. Jahrhunderts als Hochsicherheitstrakt für politische Gefangene diente. Verantwortlich dafür war übrigens Adolphe Thiers, von dem später noch die Rede sein  wird. Er hatte, als Staatssekretär während der Herrschaft des „Bürgerkönigs“ Louis Philippe eine neue Form der Strafe eingeführt, nämlich die Festungshaft. Und eine dieser Festungen war der Mont-Saint-Michel.

Die Haftbedingungen dort –Dunkel- und Einzelhaft, Nahrungsentzug- waren derart katastrophal, dass sich sogar eine Kommission der Nationalversammlung damit beschäftigte. Berichterstatter war übrigens Alexis de Tocqueville. Blanqui unternahm mit seinem Mitgefangenen Armand Barbès einen Fluchtversuch, der aber scheiterte.[7]

Ein  erneuter Aufstandsversuch am 31. Oktober 1870, bei dem kurzzeitig das Hôtel de Ville von Paris besetzt wird  –Vorbote der Commune- scheitert. Blanqui kann untertauchen und wird in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Am 17. März 1871 wird er auf Betreiben von Adolphe Thiers verhaftet, der damit die Commune einer charismatischen Führungsfigur beraubte. Thiers war sich (darin übrigens in voller Übereinstimmung mit Karl Marx) der Bedeutung Blanquis für die sozialen Bewegungen in Frankreich und für den Widerstand der Commune bewusst. Deshalb weigerte er sich, auf das Angebot der Commune einzugehen, die von ihr festgehaltenen Geiseln, darunter den Erzbischof von Paris, freizulassen, wenn im Gegenzug Blanqui freigelassen werde.  Thiers‘ Sekretär kommentierte das zynisch: „Die Geiseln! Pech für sie! Les otages ! Les otages, tant pis pour eux !».   So werden am 24. Mai in dem Gefängnis La Grande Roquette 6 Geiseln der Commune, darunter Erzbischof Darboy, erschossen.[8]

1879 fällt Blanqui unter die Generalamnestie und kehrt nach Paris zurück. Dort gibt er seine Zeitschrift „Ni Dieu ni maître“ heraus. 1881 stirbt er und wird auf dem Père-Lachaise beigesetzt. 100 000 Menschen sollen an seiner Beerdigung teilgenommen haben.

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(91. Division, Nr. 14 auf dem Commune Plan der Mairie de Paris)

Jules Dalou, der große republikanische Bildhauer, erhält nach einer öffentlichen Subskription den Auftrag für die Gestaltung des Grabmals. Er stellte Blanqui auf dem  Totenbett liegend dar, sein Kopf ist nach der  Totenmaske modelliert. „Tout comme pour le gisant de Victor Noir, Dalou a doté Blanqui d’une virilité „généreuse et polie“, source de commentaires infinie.“[9] Zu einem Wallfahrtsort –entsprechend dem Grab von Victor Noir- ist die Grabstätte von Blanqui allerdings nicht geworden. Vielleicht liegt es an dem weniger zugänglichen Platz in einem Seitenweg des Friedhof und an dem Podest, auf dem Blanqui aufgebahrt ist, so dass die entsprechenden anatomischen Besonderheiten weniger ins Auge fallen. Umso deutlicher dafür allerdings die Hand Blanquis- vielleicht ein Hinweis auf die vielen Schriften des Revolutionärs und Theoretikers.

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Exkurs: Dalou, der große republikanische Bildhauer und Schöpfer der Grabmäler von Victor Noir und Blanqui

Bevor es weiter geht zum Grab von Louis-Auguste Blanqui ein paar Worte zu Jules Dalou, dem Schöpfer der beiden Grabmäler von Victor Noir und Blanqui. Dies erscheint auch deshalb angebracht, weil es sich um zwei der bedeutendsten Kunstwerke auf dem Père-Lachaise handelt und weil der Name Dalou untrennbar verbunden ist mit der Pariser Commune und dem Stadtbild von Paris – immerhin hat Dalou u.a. auch die repräsentative Figurengruppe – Der Triumph der Republik– auf der Place de la Nation geschaffen.

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Auguste Rodin : Büste von Jules Dalou (im Musée Rodin in Paris und im Musée de la  piscine in Roubaix)

Dalou war am Vorabend des deutsch-französischen Krieges ein junger, aufstrebender Bildhauer. Von ihm war schon einmal auf diesem Blog die Rede, und zwar in dem Beitrag über das Hôtel Païva, das deutsch-französische Märchenschloss auf den Champs-Élysées, zu dessen Skulpturenschmuck auch Dalou beitrug (Rubrik Stadtviertel Paris, 8. Arrondissement). 1871 wurde Dalou vom « Kultusminister » der Commune, Gustave Courbet, beauftragt, als « administrateur provisoire adjoint » das Louvre vor einem eventuellen Vandalismus zu schützen. Obwohl es sich dabei um eine noble Aufgabe im Sinne des Gemeinwohls handelte, wird Dalou nach der Niederschlagung der Commune bedroht und ins Exil gezwungen. 1874 verurteilt ihn ein Kriegsgericht in Abwesenheit zu lebenslanger Zwangsarbeit. Erst 1879 – im Zuge einer allgemeinen Amnestie-  kann Dalou aus Großbritannien, das ihm Asyl gewährt hatte, nach Frankreich zurückkehren. Sein Wettbewerbsbeitrag für eine monumentale Statue auf der Place de la République wird zwar zurückgewiesen, aber von der Stadtverwaltung für die Place de la Nation ausgewählt, wo sie heute steht. Dalou erhält nun weitere bedeutsame Aufträge, unter anderem für die beiden « politischen Grabmäler »  von Victor Noir und Blanqui auf dem Père-Lachaise. 1902 stirbt Dalou, er ist auf dem  Friedhof Montparnasse begraben.

  1. Das Grab von Victor Noir: vom politischen zum erotischen Wallfahrtsort

Victor Noir war kein Communarde, konnte es auch nicht sein, denn er wurde schon vorher, am 11. Januar 1870, ermordet. Trotzdem gehört sein Gab (Commune- Plan der Mairie de Paris Nummer 17) zu den unverzichtbaren Stationen eines Commune-Rundgangs auf dem Père-Lachaise, und zwar aus mehreren Gründen. Zunächst vor allem wegen der Umstände seines Todes und der darauf folgenden politischen Konsequenzen (9a):

Noir war Journalist und hatte den Auftrag, als Sekundant eines Zeitungsverlegers die Modalitäten von dessen geplantem Duell mit Prinz Pierre Napoleon Bonaparte, einem Verwandten Napoleons und des damaligen Kaisers Napoleon III. auszuhandeln. Dabei kam es zum Streit und Victor Noir wurde von Pierre Napoleon erschossen. An dem Begräbnis nahmen über 100 000 Menschen teil.  Auf dem Commune-Plan der Mairie ist (wohl etwas übertrieben) von 200 000 zum Aufruhr entschlossenen Parisern die Rede: Ein Vorbote der Commune.[10] Die revolutionäre Stimmung wurde noch dadurch verstärkt, dass Pierre Napoleon freigesprochen wurde, was einen Sturm öffentlicher Entrüstung gegen die ungeliebte Monarchie auslöste.

1891 wurde der zum republikanischen Symbol gewordene Leichnam Victor Noirs von Neuilly-sur-Seine, wo er zunächst begraben war, auf den  Père Lachaise umgebettet.  Der Bildhauer Jules Dalou erhielt den Aufrag, eine Grabplastik zu gestalten, die mit den  Mitteln einer öffentlichen Subskription finanziert wurde- ein Gegenmodell zur Finanzierung des Denkmals für die Generäle Lecomte und Clément-Thomas aus öffentlichen Mitteln.

Dalou stellte Victor Noir in der Situation dar, als er –gerade erschossen- rücklings auf dem Boden lag: mit leicht geöffnetem Mund, im Ausgehanzug mit sichtbarem Einschussloch und auf die Seite gerolltem Zylinder.

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Auffällig sind an dem Grabmal die durch vielfache  Berührungen von der Patina ausgenommenen glänzenden Stellen der Bronze-Plastik am Gesicht, an den Füßen und vor allem an der unter der Hose deutlich zu erkennenden Schwellung des Geschlechtsorgans. „Nur der große Zeh des heiligen Petrus im Petersdom glänzt genauso schön durch all die Küsse und all das Gestreichel“, wie Cees Nooteboom schreibt, für den das Grab des Victor Noir das schönste auf dem Père Lachaise ist. (10a)  Der Grund für die glänzenden Stellen:  „La légende veut qu’en frottant le gisant, surtout à l’endroit de son sexe, on retrouve la fécondité ou la virilité.[11]„Tausende von Mädchenhänden und Frauenmündern müssen“ -so noch einmal Nooteboom- hier am Werk gewesen sein, bei dieser letzten Fruchtbarkeitsfigur der westlichen Welt.“

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So wurde seit Ende der 1960-er Jahre das Grabmal von einem politischen Manifest zu einem Symbol der Fruchtbarkeit und zu einem Wallfahrtsort für „sexual worship“, wie es Emelyanova-Griva formuliert. Auch Deutsche haben dazu in gewisser Weise einen  Beitrag geleistet: War das Grab zunächst von einer bronzenen Kette umgeben, wurde diese während der occupation an die Deutschen ausgeliefert: Kanonen statt Kunst.[12] Damit war der Weg frei…  Inzwischen gehört das Grabmal zu den  Kultstätten des Père-Lachaise wie die Gräber von Héloïse und Abelard, Jim Morrison, Oskar Wilde oder wie das immer blumengeschmückte Grab von Allan Kardec, dem französischen Spiritisten, dessen Büste zu berühren angeblich Wünsche wahrwerden lässt….

(92. Division, Nr. 17 auf dem Commune-Plan der Mairie)

 

  1. Grabmal von Eugène Pottier, dem Autor der „Internationale“

(96. Division, Nr. 20 auf dem Commune-Plan der Mairie de Paris)

Das Grabmal Eugène Pottiers ist ein aufgeschlagenes Buch.

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Die Aufschrift auf der linken Buchseite (vom Betrachter aus gesehen):
Au Chansonnier
EUGÈNE POTTIER
MEMBRE DE LA COMMUNE
DE PARIS
1816 – 1871 – 1887
SES AMIS & ADMIRATEURS
– 1905 –

Pottier, der schon an der Revolution von 1848 teilgenommen hatte, engagierte sich 1871 in der Commune und nahm an den Kämpfen der Semaine sanglante teil. Nach der Niederschlagung der Commune konnte er nach Großbritannien fliehen, dann in die USA. 1873 wurde er in Abwesenheit zum Tode verurteilt und konnte –wie viele andere Kommunarden- infolge der Amnestie von 1879 nach Paris zurückkehren, wo er 1887 starb.

Die Aufschrift auf der rechten Buchseite:

L’Insurgé.
Jean Misère.
La Toile d’Araignée.
Ce que dit le Pain.
La mort d’un Globe.
L’internationale.

Den Text des ersten auf der rechten Buchseite aufgeführten Liedes hat Pottier zu Beginn der 1880-er Jahre zu Ehren Blanquis und der Kommunarden geschrieben- der Titel ist von dem autobiographischen Roman von Jules Vallès übernommen.

Der Text der „Internationale“ stammt aus den Tagen unmittelbar nach der gewaltsamen Niederschlagung der Pariser Commune. Er bezog sich auf die Internationale Arbeiterassoziation (IAA), den ersten übernationalen Zusammenschluss von verschiedenen, politisch divergierenden Gruppen der Arbeiterbewegung, der 1864 von Karl Marx  initiiert worden war.

Der ursprüngliche französische Text hat sechs Strophen. Die bekannteste und bis heute verbreitete deutschsprachige Nachdichtung schuf Emil Luckard  1910. Seine Version ist an den französischen Originaltext lediglich angelehnt und beschränkt sich auf die sinngemäße, dabei in der Radikalität etwas abgeschwächte und romantisierte Übersetzung der ersten drei Strophen des französischen Liedes.[13]

Wacht auf, Verdammte dieser Erde,

die stets man noch zum Hungern zwingt!

Das Recht wie Glut im Kraterherde

nun mit Macht zum Durchbruch dringt.

Reinen Tisch macht mit dem Bedränger!

Heer der Sklaven, wache auf!

Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger

Alles zu werden, strömt zuhauf!

|: Völker, hört die Signale!

Auf zum letzten Gefecht!

Die Internationale

erkämpft das Menschenrecht. 😐

Es rettet uns kein höh’res Wesen,

kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

Uns aus dem Elend zu erlösen

können wir nur selber tun!

Leeres Wort: des Armen Rechte,

Leeres Wort: des Reichen Pflicht!

Unmündig nennt man uns und Knechte,

duldet die Schmach nun länger nicht!

|: Völker, hört die Signale!

Auf zum letzten Gefecht!

Die Internationale

erkämpft das Menschenrecht.

  1. Le mur des fédérés – die Mauer der erschossenen Kommunarden

Höhepunkt (auch im topographischen Sinn des Wortes)  eines Rundgangs über den Père-Lachaise auf den  Spuren der Commune ist natürlich le Mur des fédérés in der nord-östlichen Ecke des Friedhofs. Am 28. Mai 1871 wurden an dieser Stelle 147 Kommunarden erschossen, die in die Hände der Versaillais gefallen waren. Sie wurden in einem Massengrab verscharrt ebemso wie weitere Kämpfer der Commune, die auf dem Père Lachaise oder schon vorher im Laufe der semaine sanglante getötet worden waren.[14]

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Zeichnung von Alfred Darjou (1832-1874) im Musée Carnavalet in Paris

Wie sehr das brutale Vorgehen der Versaillais in der semaine sanglante viele Zeitgenossen aufwühlte und empörte, wird auch am Beispiel des Malers Edouard Manet deutlich. Edouard Manet hat zwei Lithographien zum Thema Commune angefertigt. Die Lithographie, „Guerre civile“, zeigt einen toten Nationalgardisten bzw. Kommunarden. Der Bezug zu Manets berühmtem Bild des toten Torreros von 1864/65 ist offenkundig. Während aber der im Stierkampf getötete Torero ein rotes Tuch in der Hand hat, ist es bei dem getöteten Kommunarden  ein weißes Tuch: Manet will hier wohl das brutale, rücksichtslose Vorgehen der Versailler Truppen veranschaulichen.

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Eine zweite Lithographie zeigt die Erschießung von Kommunarden, wie sie am Ende der semaine sanglante auf dem  Père-Lachaise stattgefunden hat.  Dabei stand eines der berühmtesten Bilder Manets Pate, nämlich die Erschießung des mexikanischen Kaisers Maximilian.  Manet hat also zwei seiner erfolgreichsten Bilder zum Ausgangspunkt genommen, den Toten der Commune ein Denkmal zu setzen.

Der Platz an der Friedhofsmauer entwickelte sich, trotz aller Verbote, zu einem Wallfahrtsort von Sozialisten aus aller Welt. 1908 wurde für die getöteten Fédérés eine große Erinnerungstafel an die Opfer der „Semaine sanglante“ angebracht. Das Original befindet sich übrigens in den Räumen der Amis de la Commune auf der Butte aux Cailles.

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Jedes Jahr findet seit 1880 am letzten Maiwochenende ein großer Demonstrationszug statt- die sogenannte Montée au Mur des Fédérés, gewissermaßem  eine „pèlerinage laïque“. An ihr nehmen Menschen und Gruppen teil, die sich mit der Commune und ihrem Erbe verbunden fühlen und die darauf hoffen, dass das, was die Kommunarden vom März 1891 vergeblich anstrebten, noch erreicht werden kann: Mitglieder und Anhänger linker Parteien, Gewerkschaftler, Freimaurer.[15]

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Am 24. Mail 1936, wenige Wochen nach dem Sieg des Front Populaire, waren es 600 000 Menschen, an der Spitze die Führer der Sozialisten und Kommunisten, Léon Blum und Maurice Thorez, die an der monté au mur teilnahmen. So viele sind es heute nicht mehr und das Durchschnittsalter der Teilnehmer ist heute wohl auch deutlich höher als damals: Eine eindrucksvolle Demonstration der linken Bewegungen ist die monté au mur aber nach wie vor.

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Gegenüber der Mauer der Föderierten sind mehrere Kommunarden oder für die Commune wichtige Persönlichkeiten bestattet. Auf drei dieser Gräber möchte ich besonders hinweisen:

Das Grabmal von Clément, dem Autor von „Le Temps des Cerises“

Clément war während der Commune Bürgermeister des Montmartre-Arrondissements, aber vor allem  ist er  Autor des Liedes „Le Temps des Cerises“. Es ist ein Liebeslied, schon 1866, zur Zeit Napoleons III. geschrieben und von Anfang an populär. In diesem Lied wird die Liebe in der Zeit der Kirschen besungen:

Quand nous chanterons le temps des cerises

                   Et gai rossignol, et merle moqueur

                   Seront tous en fête.

                   Les belles auront la folie en tête

                   Et les amoureux du soleil au coeur

                   Quand nous chanterons le temps de cerises

                   Sifflera bien mieux le merle moqueur.

Das Lied endet traurig: Die Zeit der Kirschen, der Liebe und Träume,  ist kurz, danach kommen Schmerz und Trauer. Aber trotzdem:

                   J’aimerai toujours le temps des cerises

                   Et le souvenir que je garde au coeur.

Das Lied erhält in der semaine sanglante  auf tragische Weise neue Aktualität. Dem besungenen Liebeslied wird eine politische Dimension verliehen. Es wird zur Hymne der Commune und ihrer Anhänger, während der Blütezeit der Commune,  „au temps des cerises“, aber auch danach, als die Erinnerung an die Commune  -außer sie  war hasserfüllt und abschreckend-  tabuiert war. Clément unterstützte ausdrücklich die poltitische Botschaft des Liedes, indem er es  1885 «à la vaillante citoyenne Louise» widmete, der wachsamen Bürgerin Louise Michel, einer Ikone der Commune.

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Von Wolf Biermann gibt es übrigens eine schöne deutsch-französische Version des Liedes, gesungen nach der Wende vor einem jungen Leipziger Publikum. Mit einer einleitenden Erläuterung, in der er eine Verbindung zwischen dem Paris von 1871 und dem Leipzig von 1989 herstellt.  Auf youtube zu sehen und zu hören! Am besten gleich anklicken! Dauert 6 Minuten:

http://www.youtube.com/watch?v=Rv420VhwUWc

Das Grabmal von Wroblewski, dem Verteidiger der Butte –aux- Cailles

Walery Antoni Wróblewski gehörte zu den Anführern des polnischen Aufstandes gegen das zaristische Russland 1863/64. Nach dessen Niederschlagung emigrierte er nach Frankreich. Während der Commune war er ein Kommandeur der Föderierten und verantwortlich für die Verteidigung des strategisch wichtigen Butte aux Cailles gegen den Vormarsch der Versaillais. Dabei zeichnete er sich besonders aus.[16]

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Nach der Niederschlagung der Commune emigrierte er nach England, wo er sich weiter für die internationale Arbeiterbewegung engagierte. Auch er konnte 1880 nach der allgemeinen Amnestie nach Paris zurückkehren, wo er 1908 starb. Wróblewski gehört zu den vielen internationalen Aktivisten, die sich in der Pariser Commune engagierten und damit die internationale Solidarität der Arbeiter vorlebten.

Das Grab von Wróblewski ist –wie auch das von Chopin auf dem Père-Lachaise- oft mit roten und weißen Blumen geschmückt. Sie verweisen auf die polnische Herkunft von Wróblewski und sind wohl auch ein Zeichen polnisch-französischer Verbundenheit.

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Das Grab von Paul Lafargue, dem  Schwiegersohn von Karl Marx und dem Autor von „Das Recht auf Faulheit“

Der Sozialist Paul Lafargue war der Schwiegersohn von Karl Marx und Autor der 1880 erstmals erschienenen Schrift „Das Recht auf Faulheit“. Darin kritisiert er die „seltsame Arbeitssucht“ seiner Zeitgenossen. Lafargue plädiert stattdessen für eine radikale Reduktion der Lohnarbeit und damit für mehr Muße und Zeit für selbstbestimmte Tätigkeit. Damit knüpft er an den frühen Marx an, der eine Gesellschaft entwarf, die es dem Individuum ermöglichen sollte, „heute dies, morgen jenes zu tun, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe – ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ Solche Ideen wurden später –auch von Sozialisten- als romantischer Utopismus diffamiert und dagegen das Recht auf Arbeit oder gar ein puritanischer Laborismus proklamiert. Lafargues marxistische Apologie des Nichtstuns ist aber immer noch aktuell, stellt er doch die einfache Frage, warum Menschen immer mehr arbeiten sollen, auch wenn ihre Arbeitsleistung durch den ständigen Produktivitätsfortschritt immer größer werde.[17]

In Bordeaux, wo Lafargue 1870 mit seiner Frau lebte, verbreitete er die Ideen der Commune. Nach einem kurzen Besuch in Paris im April 1871 schrieb er begeistert an Karl Marx: „Paris devient invincible“. 1911, im Alter von 69 Jahren, wählte Paul Lafargue zusammen mit seiner Frau den Freitod: Jetzt sei er noch gesund an Geist und Körper, und er wolle nicht erleben, dass das Alter seine geistigen und intellektuellen Fähigkeiten und seinen Willen zerstöre. Fast 20 000 Menschen sind bei der Bestattung auf dem Père – Lachaise zugegen. Die Rede auf den Verstorbenen hält Jean Jaurès.[18]

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Für den Weg zurück bietet sich der Chemin des Chèvres (zwischen der 19. und der 30.und 18. Division und den Chemin Talma (zwischen der 11. und 12. Division)  an. Dieser Weg ist malerisch eingebettet in den Hügel, der zum neueren (rechtwinklig angelegten) Teil des Père-Lachaise hinauf führt. Eine ganze Reihe schöner Art-Déco-Gräber gibt es hier, ebenso wie das spektakuläre Grabmal der russischen  Aristokratin Elisabeth Demidoff.

  1. Das Mausoleum von Thiers (rechts neben der Friedhofskapelle, 55. Division)

Das Mausoleum des 1877 verstorbenen Adolphe Thiers ist leider nicht im Commune-Rundgang der Marie de Paris enthalten. Ich finde das äußerst bedauerlich, weil es, ebenso wie das anschließend betrachtete Grabmal der Generäle Lecomte und Clément-Thomas in sehr eindrucksvoller Weise den Triumph über die verhasste Commune zum Ausdruck bringen. Damit gehören sie meines Erachtens unbedingt zu einem entsprechend thematisch orientierten Rundgang über den Père-Lachaise. Zu übersehen ist das Mausoleum von Thiers ja kaum – es ist „une colossale chapelle“ direkt neben der zentralen Friedhofskapelle.[19] Thiers ist hier mit seiner Frau, Élise Dosne, und seinen beiden Geliebten, der Mutter und der Schwester von Élise [20], bestattet.

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Wie beim Monument für die beiden Generäle Lecomte und Clément-Thomas, das wir uns anschließend ansehen,  ist die christliche Symbolik sehr deutlich: das doppelte verschränkte D steht für Deo Domino, den Dank an Gott, den Herrn- das T natürlich für Thiers.   Thiers war ein entschiedener Freund der katholischen Kirche und ihres Einflusses auf das Bildungswesen. Paul Lafargue, dessen Grab auf dem Père-Lachaise schon besucht wurde, zitiert in seiner Schrift „Das Recht auf Faulheit“ eine Erklärung von Thiers vor einem Parlamentsausschuss aus dem Jahr 1849. Darin spricht sich Thiers dafür aus, dass die gesamte Erziehung im Grundschulbereich von der katholischen Kirche übernommen werden solle. Er, Thiers rechne darauf, dass der Klerus „die gute Philosophie“ propagiere, nach der der Mensch zum Leiden geboren sei.[21]  Auch insofern war Thiers  also ein entschiedener Gegner der laizistischen Commune. Vor allem aber war er der Hauptverantwortliche für  das Gemetzel der Versailler Truppen in der semaine sanglante. Thiers gab den Befehl, den Aufstand der Commune mit größter Entschiedenheit und Rücksichtslosigkeit niederzuschlagen.

Auf seinem Grabmal allerdings wird er als Staatsmann gepriesen, der das Vaterland liebte und die Wahrheit verehrte …

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Wie verhasst Thiers bei den Communarden und ihren Anhängern war,  wird auch daran deutlich, dass das noble Hôtel Dosne-Thiers an der Place St Georges, das die reiche Élise in die Ehe einbrachte, eines der symbolträchtigen Gebäude war, das die Commune auf ihrem Rückzug in den Osten  von Paris in Brand setzte. Anlässlich des 100. Jahrestages der Commune 1971 wurde das Grabmal, Symbol des Sieges  der bourgeoisen Republik“ über die“soziale Republik“  stark beschädigt und es soll auch schon öfters mit „inscriptions vengeresses“ wie „Assassin du peuple“ versehen worden sein.[22]  Inzwischen erstrahlt es aber wieder im alten Glanz und man kann, wenn man es betrachtet, an den schönen Satz denken, den Victor Hugo ausgerufen haben soll, als er an dem Grabmal vorbeikam: „Un si grand monument pour un homme aussi petit!“ [23] – eine Anspielung sicherlich nicht nur auf die geringe körperliche Größe von Adolphe Thiers, den Marx als „Zwergmissgeburt“ verhöhnte.

(neben der Kapelle, 55. Division. Auf beiden Plänen der Mairie de Paris  nicht berücksichtigt)

  1. Grabmal für die Generäle Lecomte und Clément-Thomas

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An ebenso prominentem Ort wie das Mausoleum von Thiers und ebenso auffällig präsentiert sich  auf der Nordseite der zentralen Avenue Principale und  kurz vor dem Monument aux morts  ein merkwürdiges Grabmal: Im Zentrum steht eine mächtige Marianne. Trotz entblößter rechter Brust entspricht sie so ganz und gar nicht dem gewohnten Idealbild einer attraktiven Marianne, sondern erinnert eher an manche Darstellungen der wehrhaften Germania aus dem 19. Jahrhundert.

Der Lorbeerkranz in der Hand Mariannes steht für den Triumph der Republik über die verhasste Commune. Sie wird durch eine mehrköpfige Schlange symbolisiert, die von Marianne zertreten wird.

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Oben ist das Grabmal mit einem großen Kreuz dekoriert, womit deutlich gemacht wird, dass die von der Commune verfügte Trennung von Kirche und Staat wieder aufgehoben ist- auch in diesem Punkt war die Commune übrigens ihrer Zeit voraus, denn die strikte Trennung von Kirche und Staat gehört ja seit 1905 zu den fundamentalen Prinzipien der französischen Republik.

Es handelt sich hier um das Grabmal der beiden  Generäle Lecomte und Clément-Thomas, deren Geschichte zu erzählen sich lohnt, denn ihr Tod markiert den Beginn der Commune, deren Entstehung untrennbar verbunden ist mit dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71[24]. Nach dem Sturz des schmählich in Sedan besiegten und kapitulierenden Napoleon III.  war die  im Februar 1871 gewählte und provisorisch in Bordeaux installierte Nationalversammlung bereit, sich den preußischen Friedensbedingungen zu unterwerfen und dem am 28. Februar 1871 zwischen der provisorischen Regierung der Republik unter Adolphe Thiers und dem Deutschen Reich abgeschlossenen Vorfrieden von Versailles zuzustimmen.  Die mehrheitlich republikanische bzw. sozialistische Bevölkerung von Paris war nicht bereit, diese Schmach hinzunehmen, zumal angesichts der preußischen Provokation einer Militärparade auf den Champs-Elysées und rund um den Arc de Triomphe. Immerhin standen in Paris fast 180 000 Nationalgardisten unter Waffen, Freiwilligenverbände, die vorwiegend aus dem Kleinbürgertum und der Arbeiterschaft stammten.[25] Und in Belleville und Montmartre standen 227 Kanonen, die durch eine Subskription der Bevölkerung finanziert und vor den preußischen Truppen in Sicherheit gebracht worden waren. Der Konflikt zwischen Paris und der Nationalversammlung eskalierte, als am 10. März 1871 die Nationalversammlung  einem möglichen „Druck der Straße“  vorbeugen wollte und ihren Umzug nach Versailles beschloss. Dazu beschloss die Nationalversammlung eine Reihe diskriminierender Maßnahmen gegen die Nationalgarde, deren Bataillione sich zu den „fédérés“ zusammenschlossen. Zum Eklat kam es, als Adolphe Thiers, der „chef du pouvoir exécutif de la République française“, am 18. März den General Lecomte beauftragte, sich der Kanonen von Montmartre zu bemächtigen. Das Vorhaben scheiterte aber völlig. Gerade noch rechtzeitig schlägt Louise Michel, die „louve rouge“ der Commune, Alarm.  Die Nationalgardisten und die Bevölkerung von Montmartre  verteidigen „ihre“ Kanonen. Ein Teil der Versailler Truppen verweigert den Befehl, auf die eigenen Landsleute zu schießen und fraternisiert mit den Verteidigern. General Lecomte wird von den Aufständischen gefangen genommen. Am gleichen Tag wird auch der General Clément-Thomas von aufständischen Parisern festgesetzt.  der bei der Niederschlagung der Revolution von 1848 „eine der niederträchtigsten Henkerrollen“ übernommen hatte, wie es Marx in seinem „Bürgerkrieg in Frankreich“ ausdrückte. Mit beiden Generälen wird kurzer Prozess gemacht und sie werden –unter dem Beifall einer „entfesselten Meute“ (Promenades, S. 132) von ihren eigenen Leuten erschossen, auch wenn der  Bürgermeister von Montmartre, der junge Clemenceau, vergeblich versucht das zu verhindern.  Die Gegenrevolution hat nun ihre Märtyrer und Adolphe Thiers seine Legitimation, das aufsässige Paris, die Commune also –mit freundlicher Unterstützung der preußischen Truppen- zu belagern  und dann zu erobern und blutige Rache zu nehmen.

Die Generäle Lecomte und Clément-Thomas erhalten auf dem Père-Lachaise eine kostenlose Grab-Konzession an einem zentralen Platz des Friedhofs und mit einer souscription nationale wird für sie das imposante und triumphale Grabmal errichtet.  Und in Montmartre, wo sie beiden Generäle erschossen wurden (in der heutigen Rue du Chevalier de la Barre) und wo die Kanonen der Nationalgarde stationiert waren, wird  als Zeichen der Sühne für die „horreurs de la Commune“ die Basilique Sacré- Coeur errichtet und der Bau wird auf Beschluss der Nationalversammlung mit staatlichen Mitteln gefördert.[26] Es ist -wie das Grabmal auf dem Père-Lachaise- ein ostentativer gegenrevolutionärer Akt.

Dazu passt die Darstellung der Commue als mehrköpfige Schlage: Für die Dritte Republik waren die Kommunarden ja nichts anderes als „criminels“,  „eine Handvoll von Fanatikern und Spitzbuben“, die Paris zum „Sammelpunkt der Perversitäten der ganzen Welt“ machten- so Jules Favre, der für die Versailler Regierung die Bedingungen des Friedens von Frankfurt mit Bismarck verhandelte.

(Avenue Latérale du Nord, 57. Division. Auf beiden Plänen der Mairie de Paris nicht berücksichtigt).

 

Epilog: Das Commune-Denkmal an der äußeren westlichen  Friedhofsmauer des Père- Lachaise und das Gemälde „Une rue à Paris en mai 1871 ou La Commune“ von  Maximilien Luce im Musée d’Orsay

Das letzte Wort soll aber nicht die triumphierende Gegenrevolution haben! Sondern das Gedenken an die vielfachen  Opfer der Commune. Für sie gibt es ein eindrucksvolles Denkmal auf der anderen Seite des Père- Lachaise, an der äußeren Friedhofsmauer am Square Samuel de Champlain, zwischen den Métro-Stationen Gambetta und Père- Lachaise.

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Georg Stefan Troller weist in „Paris geheim“, auf dieses Denkmal hin  – und das ist auch wirklich der angemessene Platz, denn in unseren anderen Reiseführern  ist dieses Denkmal nicht erwähnt. Schade, denn es handelt sich wirklich um „ein ergreifendes Denkmal“, aus dem Jahr 1909: „Aus der Mauer kaum hervortretend wie Gespenster: ein Arbeiter, ein Pfarrer, ein Soldat, eine Mutter mit Kind. Rundherum Einschüsse. Errichtet aus demselben Stein, gegen den die letzten Kommunarden 1871 … füsiliert wurden.“[27]

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„Das, was wir von der Zukunft fordern, und das, was wir von der Zukunft wollen, ist Gerechtigkeit, es ist nicht  Rache“. Victor Hugo

Maximilien Luce: Une rue à Paris en mai 1871 ou La Commune

Bei früheren Besuchen im Musée d’Orsay war mir dieses Biild noch nicht aufgefallen. Erst als ich mich etwas näher mit der Pariser Commune beschäftigte, entdeckte ich : „Une rue de Paris en mai 1871 ou La Commune“ von Maximilien Luce.[28]  Luce war zusammen mit Seurat und Signac „Gründer“ des Neo-Impressionismus. 1894 wurde er als „gefährlicher Anarchist“ verurteilt und ging nach Belgien ins Exil. Nach seiner Rückkehr war er Präsident der Gesellschaft unabhängiger Künstler, trat aber 1940 –ein Jahr vor seinem Tod- aus Protest gegen die Diskriminierung jüdischer Künstler durch die Vichy-Regierung zurück. Ein bewegtes Leben also und ein eindrucksvolles, zwischen 1903 und 1906 gemaltes Bild.

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Die Toten sind an den roten Hosen-Litzen als Nationalgardisten, also Communarden, zu identifizieren. Dass auch eine Frau dabei ist, weist auf den großen Anteil hin, den Frauen an der Verteidigung von Paris gegen die anrückenden Truppen hatten. Rechts unten sieht man noch einige Pflastersteine, die offenbar für den Bau einer Barrikade bestimmt waren. Die ist aber nicht gezeigt, der Kampf ist vorbei, man sieht nur die tote Stadt und  die Gefallenen- einige der über 20.000, die in der „Semaine sanglante“ dem Wüten der Versailler Truppen zum Opfer fielen. Am 29. Mai telegraphiert Ministerpräsident Thiers, der „Schlächter der Commune“, triumphierend an die Präfekten: „Der Boden ist bedeckt mit ihren Leichen. Dieses schreckliche Schauspiel wird eine Lehre sein“. Luce erinnert an dieses „spectacle affreux“, aber nicht im obszönen Gestus des Triumphators, sondern im Mitgefühl mit den Opfern und den Verlust veranschaulichend, den die Niederschlagung der Commune für die Stadt Paris bedeutete.

Praktische Informationen:

Einen kostenlosen Übersichtsplan mit dem Verzeichnis der am  meisten besuchten Gräber  gibt es kostenlos bei der Friedhofsverwaltung (vom Haupteingang –porte principale am Boulevard de  Ménilmontant-  leicht erreichbar über die Avenue Principale, dann rechts abbiegen in die Avenue du Puits. Es gibt den Plan auch im Internet unter:

https://api-site.paJuleis.fr/images/142836.pdf[29]

Im Allgemeinen nur im Internet gibt es auch einen speziellen Plan der Mairie  de Paris zum Père Lachaise als „haut lieu de la Commune“: https://api-site.paris.fr/images/103968.pdf

Öffnungszeiten:

Vom 6. November bis 15. März:

  • Mo bis Fr: 8 h bis 17.30 h
  • Sa: 8.30 bis 17.30h
  • Sonntags und an Feiertagen: 9h bis 18h

Vom 16. März bis 5. November:

  • Mo bis Fr: 8h bis 18h
  • Sa: 8.30h bis 18h
  • Sonntags und an Feiertagen: 9h bis 18h

Zum Weiterlesen:

Les Amis de la Commune de Paris 1871: Histoire de la Commune de Paris. 18 mars- 28 mai 1871 und weitere Broschüren über die Commune (Rolle der Frauen, der Ausländer, der Kunst, der Erziehung etc)

Braire,  Jean: Sur les traces des communards. Guide de la commune dans le Paris d’aujourd’hui

Courbet et la Commune. Katalog der Ausstellung im musée d’Orsay vom 13.3.-11.6.2000. Hrsg. von der Réunion des musées nationaux. Paris 2000

Lissagaray, Prosper: Geschichte der Commune von 1871. Unveränderter Nachdruck der deutschen Übersetzung von 1877. Edition suhrkamp 577. FFM 1971

Philip Nord: Les Impressionistes et la politique. 2009

La mairie du 11e; La Commune, à l’assaut du ciel. Histoire, lieux de mémoire et  figures de la Commune de Paris dans le 11e arrondissement. (Mai 2011)

Karl Marx (als Polemiker in Hochform): Bürgerkrieg in Frankreich: http://www.mlwerke.de/me/me17/me17_319.htm

Rebérioux, Madeleine,  Le Mur des Fédérés : Rouge, “sang craché” . In: Nora (Hrsg): , Les Lieux de mémoire, vol. 1 : La République, Paris, Gallimard

Thoraval, Anne: La Commune de Paris. In: Promenades sur les lieux de l’histoire. Paris 2004, S. 124-139

Troller, Georg Stefan: Paris geheim. Artemis und Winkler Sachbuch 2008

Jules Vallès:  L’insurgé (3. Band einer autobiographischen Roman-Trilogie) Taschenbuch folio classique

Watkins, Peter: La Commune (Paris 1871). (Schwarz-Weiß-Film,  franz/engl. DVD)

Das Pariser Stadtmuseum Carnavalet ist für die Commune weniger ergiebig. Umso mehr das musée d’art et histoire in Saint-Denis. www.musee-saint-denis.fr   Métro Linie 13 Richtung Saint-Denis-Université. Station Porte de Paris, Ausgang 4

Zum 150. Jahrestag der Commune 2021 gibt es natürlich zahlreiche Publikationen und Sendungen: 

Zum Beispiel eine vierteilige Reihe in France Culture:

https://www.franceculture.fr/emissions/le-cours-de-lhistoire/la-commune-150-ans-14-la-commune-un-chantier-transnational

 Anmerkungen

[1] Es war nicht nur Karl Marx, der den Begriff „Bürrgerkrieg“ für die Commune verwendete. Z.B. gibt es eine eindrucksvolle Lithographie von Edouard Manet zur Commune mit dem Titel „guerre civile“:  https://www.histoire-image.org/etudes/repression-commune

[2] Zu den Gefängnissen der Grande und der Petite Roquette und zur dort stationierten Guillotine siehe den Blog-Beitrag: Wohnen auf historischem Boden:  La Grande et la Petite Roquette in der Rubrik Geschichte oder Wir in Paris.

[3] Zum Hôtel de Salm siehe auch den Blog-Beitrag über den Cimetière de Picpus

[4] https://fr.wikipedia.org/wiki/Charles_Delescluze

Bei Lissagary liest sich das so: „Delescluze setzte allein seinen Weg fort. Hier das Schauspiel, wie wir es mit angesehen  haben; möge es der Erinnerung erhalten bleiben! Der alte Geächtete schritt, ohne sich umzusehen, ob ihm Jemand folge, gleichmäßig weiter. Er war das einzige leende Wesen auf der Chaussée. Als er an der Barrikade angekommen war, wendete er sich nach links und erstieg die Pflastersteine. Zum letztenmale  erblickten wir dieses ernste, vom weißen Barte umrahmte Gesicht, das  dem  Tode zugewandt war. Plötzlich verschwand Delescluze. Er war wie vom Blitzstrahl getroffen auf dem Platze von Château d’Eau gefalllen.“ Lissagaray, Geschichte der Commune von 1871, S.342

[5] Lissagaray, Geschichte der Commune von 1871, S. 356

[6] https://www.histoire-image.org/etudes/pere-lachaise-derniers-combats-commune  Hierbei handelt es sich übrigens um eine ganz hervorragende Fundgrube: Bildmaterial zur französischen Geschichte wird vorgestellt und interpretiert.

[7] https://www.histoire-image.org/etudes/armand-barbes-prisonnier-mont-saint-michel-1839-1843

https://de.wikipedia.org/wiki/Louis-Auguste_Blanqui . Hier findet sich übrigens die falsche Information, Blanqui sei  „nach der blutigen Niederschlagung der Kommune …. erneut ins Gefängnis“ gekommen. Dort befand er sich schon vorher.

https://fr.wikipedia.org/wiki/Auguste_Blanqui

zum Mont-Saint-Michel als Staatsgefängnis: http://images.google.de/imgres?imgurl=https%3A%2F%2Fwww.histoire-image.org%2Fsites%2Fdefault%2Ftil1_luce_001f.jpg&imgrefurl=https%3A%2F%2Fwww.histoire-image.org%2Fetudes%2Fecrasement-commune&h=931&w=1400&tbnid=GOTA9-INsTCKLM%3A&docid=lUfYslQKMJUoaM&ei=aA6nV9SzJ-yRgAavnLr4Dw&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=953&page=1&start=0&ndsp=15&ved=0ahUKEwjUh_Gcja_OAhXsCMAKHS-ODv8QMwgcKAAwAA&bih=623&biw=1366

[8] siehe dazu den Blog-Text: Wohnen auf historischem Boden: La Grande et la Petite Roquette. (Rubriken Geschichte und Wir in Paris

[9] http://www.appl-lachaise.net/appl/article.php3?id_article=231

(9a) Ausführlich zu zum Grabmal und seinen geschichtlichen Hintergründen: Michel Dansel, Les lieux de culte au cimetière de Père Lachaise. Paris 1999, S. 172-186

[10] „Le 10 janvier 1870, ses funéraillles réunirent deux cent mille Parisiens, décidés à l’emeute, signe avant-coureur de la Commune.“  https://api-site.paris.fr/images/103968.pdf   Allerdings stimmt das Datum nicht: Noir wurde ja am 11. Januar erschossen und die Beerdigung fand am 12. Januar statt.

(10a) Cees Nooteboom, Eine Totenglocke läutet. In: Susanne Gretter (Hrsg), Paris liegt an der Seine. Bilder einer Stadt. st 2994, FFM 1999, S. 97/98. Dort auch das nachfolgende Zitat von Nooteboom

[11] Sehr lesenswert:  Marina Emelyanova-Griva, La tombe de Victor Noir au cimetière de Père-Lachaise. In: Archives de sciences sociales des réligions, 149, 2010. https://assr.revues.org/21870?lang=en  Auf der Internetseite von „Herodot“ ist das etwas kryptisch formuliert: „On dit que des jeunes filles et des femmes en mal d’amour viennent sur la tombe de Victor Noir caresser certaine protubérance de son gisant dans l’espoir qu’elle leur portera chance.“ https://www.herodote.net/tombes6.php

[12] Ein ähnliches Schicksal erlitten in Paris auch zahlreiche andere Kunstwerke aus Bronze: so wurde ein Teil des  „Triomphe de la République“ von Dalou (s.u.) ausgeliefert, ebenso die Statue von Baudin im Faubourg Saint-Antoine (siehe Blog-Beitrag: Der Faubourg Saint-Antoine, Teil 2: Das Viertel  der Revolutionäre.  Rubrik Stadtviertel Paris, 11. Arrondissement)

[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Internationale

[14] Ici, au pied du mur qui porte leur nom, furent inhumés les “fédérés” retranchn:és dans le cimetière le 27 mai 1871 et tués lors de cet ultime combat. Le 28 mai, au cours de la répression, 147 fédérés y sont exécutés et ensevelis à la hâte. Dans les jours suivants, de nombreux corps provenant des prisons parisiennes ou des dernières barricades sont également mis en terre en bordure de ce mur.“ (Aus dem Plan der Mairie de Paris)

[15] Franck Frégosi: La „montée“ au Mur des Fédérés  du Père-Lachaise. Pèlerinage laïque partisan. In:  Archives des sciences sociales des religions, No  155,  2011  https://assr.revues.org/23359

[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Walery_Antoni_Wr%C3%B3blewski

https://fr.wikipedia.org/wiki/Bataille_de_la_Butte-aux-Cailles

[17] http://www.zeit.de/1967/03/lob-der-faulheit

http://www.laika-verlag.de/mbp/stephan-lessenich-zu-paul-lafargue-das-recht-auf-faulheit

[18] « Sain de corps et d’esprit, je me tue avant que l’impitoyable vieillesse (…) me dépouille de mes forces physiques et intellectuelles, ne paralyse mon énergie et ne brise ma volonté (…) »  Zitiert in: http://www.humanite.fr/tribunes/paul-lafargue-1842-1911-pas-de-dieu-mais-un-maitre%E2%80%A6-46-479033

[19]https://www.landrucimetieres.fr/spip/spip.php?article565

[20] http://www.lepoint.fr/societe/plus-fort-que-hollande-le-president-thiers-et-ses-trois-femmes-02-05-2015-1925729_23.php#xtor=RSS-221

[21] Text von Paul Lafargue: http://www.wildcat-www.de/material/m003lafa.htm

Originalversion der Stellungnahme von Thiers: https://fr.wikipedia.org/wiki/Le_Droit_%C3%A0_la_paresse : „ Je suis prêt à donner au clergé tout l’enseignement primaire. Je demande formellement autre chose que ces instituteurs laïques, dont un trop grand nombre sont détestables ; je veux des Frères, bien qu’autrefois j’aie pu être en défiance contre eux ; je veux rendre toute-puissante l’influence du clergé ; je demande que l’action du curé soit forte, beaucoup plus forte qu’elle ne l’est, parce que je compte beaucoup sur lui pour propager cette bonne philosophie qui apprend à l’homme qu’il est ici pour souffrir.“

[22] Michel Ragon, L’espace de la mort. Essai sur l’architecture, la décoration et l’urbanisme funéraires. Albin Michel 1981

https://books.google.de/books/about/L_Espace_de_la_mort.html?id=a9ZY3Kv0jtYC&redir_esc=y

[23] https://www.landrucimetieres.fr/spip/spip.php?article565

Zum „Sündenregister“  von Thiers gehört –aus deutscher Sicht- unbedingt seine treibende Rolle in der Rheinkrise von 1840, als die französische Regierung forderte, den  Rhein  (in seiner ganzen Länge) zur deutsch-französischen Grenze zu machen- ein wichtiger Beitrag zur Entstehung des deutschen Nationalismus und der sogenannten deutsch-französischen „Erbfeinschaft“.  Ich finde es übrigens bemerkenswert, dass in Frankreich sehr häufig und sicherlich ganz naiv von Deutschland als „outre Rhin“- also dem Land jenseits des Rheins gesprochen wird.

[24] „C’est le début de l’insurrection que l’on appellera la Commune“. http://www.appl-lachaise.net/appl/article.php3?id_article=373

[25] Eine Parallele zur Fortsetzung des Widerstands durch de Gaulle 1940 bietet sich da natürlich an, so z.B. in einer Rede vor der mur des fédérés aus dem Jahr 2007:

La Commune est donc un acte de résistance sociale et patriotique, (…) c’est le peuple en armes qui a mis en déroute les monarchies coalisées contre la révolution. C’est le peuple de Paris qui a voulu continuer le combat plutôt que de pactiser avec l’occupant, c’est le peuple de l’ombre qui a choisi la Résistance, et ce furent les anonymes, les sans-grades qui rejoignirent de Gaulle à Londres“. Zit von Frégosi:  https://assr.revues.org/23359

[26] http://www.paris-tourisme.com/monuments/sacrecoeur/index.html

[27] Troller, S. 295

[28] https://www.histoire-image.org/sites/default/til1_luce_001f.jpg

[29] Bilder und Infos zu  bedeutenden  Gräbern:  http://www.linternaute.com/sortir/monument/cimetiere-pere-lachaise/

Hinweis: 

Dieser Blog-Beitrag wurde von der Internet-Seite Europa verbinden  ( https://europaverbinden.de/)  übernommen und ins Internet eingestellt, was mich natürlich sehr freut.

https://europaverbinden.de/wp-content/uploads/W.J.-Brgerkrieg-in-Frankreich.-Der-P%C2%BFre-Lachaise-ein-Erinnerungsort-der-Commune.pdf

Weitere Blogbeiträge mit Bezug zum Père Lachaise und zur Commune:

Chinatown in Paris (3., 8., 13. und 20. Arrondissement)

Gegenstand dieses Beitrags ist die chinesische „community“ in Paris. Sie ist von ihrer Herkunft, ihrer Geschichte, ihrer Sprache und ihren Wohnvierteln  äußerst vielfältig. Chinesen, zu denen  auch Menschen aus den ehemaligen französischen Kolonien in Südostasien gezählt werden, trifft man vor allem im 3., 13. und 20. Arrondissement an. Besonders sichtbar ist ihre Präsenz bei den Feiern zum chinesischen Neujahrsfest. Aber auch sonst lohnt es sich, Streifzüge durch die chinesischen quartiers zu unternehmen. Dazu will der nachfolgende Beitrag einige Hintergrundinformationen geben und anregen.

Chinatown in Paris? Das mag ziemlich merkwürdig erscheinen. Dass es chinesische Viertel in London, San Francisco oder New York gibt, ist ja bekannt, aber in Paris?

In der Tat: Wenn man den aktuellen Michelin-Führer von Paris (Erscheinungsjahr 2010) aufschlägt und im Stichwortverzeichnis nachschlägt: Fehlanzeige; und bei Ulrich Wickert, der einem immerhin „Alles über Paris“ mitzuteilen verheißt, desgleichen. Dafür gibt’s bei unserem alten „Guide du Routard“ von 1985 das Stichwort „Chinatown“- allerdings in Anführungszeichen. Und einer der 15 soziologischen Stadtrundgänge, die die renommierten Pariser Soziologen Michel Pinçon und Monique Pinçon-Charlot vorschlagen (Paris 2009), hat die Schlagzeile:  Chinatown- ganz ohne Anführungsstriche, so wie ja auch in dem nachfolgenden Bild eines chinesischen Supermarkts.

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Also gibt es doch eine Chinatown in Paris, die allerdings, wenn man etwas genauer hinsieht, doch keine „richtige“ Chinatown ist: Denn das, was mit diesem Begriff bezeichnet wird, ist keine Stadt der Chinesen, sondern ein Stadtviertel, in dem viele Asiaten leben: Vietnamesen, Laoten, Kambodschaner, darunter und dazu allerdings auch viele, die aus China stammen. Und es gibt neben dem asiatischen Viertel im 13. Arrondissement, das mit dem Begriff „Chinatown“ gemeint ist, auch einen kleinen chinesischen Bezirk im 3. Arrondissement und selbstverständlich – und wohl am besten bekannt- die Chinesen in Belleville[1]. Und das ist noch nicht alles….

Insgesamt in der Tat  „une communauté multiple[2], was ihre Geschichte, ihre Herkunft und ihre bevorzugten Wohnorte in Paris angeht.

Ich versuche es mal –wie es sich als Historiker gehört- schön der Reihe nach.

Eine kleine chinesische Präsenz gab es in Paris schon seit dem 17. Jahrhundert: Der erste chinesische Student soll dem Sonnenkönig einige chinesische Schriftzeichen und den Gebrauch der Stäbchen beim Essen beigebracht haben. Um 1850 lebten etwa 50 Chinesen in Paris und das erste chinesische Restaurant wurde  eröffnet. Die Weltausstellung von 1900 trug dazu bei, das Interesse an chinesischen Produkten und der chinesischen Küche zu erweitern. Die erste nennenswerte Anzahl von Chinesen kam seit 1912 nach Frankreich. Damals  wurde nämlich zwischen der französischen und der chinesischen Regierung ein Vertrag abgeschlossen, der es jungen Chinesen ermöglichen sollte, in Frankreich kostengünstig ausgebildet zu werden. „Travail et Etudes en France“ hieß das Programm- sozusagen ein Vorläufer der bei heutigen Jugendlichen so beliebten aktuellen „travel and work“-Programme. Die meisten der etwa 2000 „étudiants-ouvriers“ kamen allerdings erst nach dem 1. Weltkrieg. Einer dieser Studenten war der spätere chinesische Ministerpräsident Tschu-En-lai, der zwischen 1922 und 1924 bei Renault in Billancourt arbeitete und in der rue Godefroy Nr. 17 im 13. Arrondissement wohnte- im gleichen Haus, in dem 1922 die französische Sektion der Kommunistischen Partei Chinas gegründet wurde. Tschu-en-lai war Führer des europäischen Zweigs der chinesischen Kommunisten und Mitglied der Gruppe der chinesischen Jungsozialisten von Paris, zu der übrigens auch ein weiterer, später prominenter „travailleur étudiant“ gehörte. [3]

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„Chou en lai 1898-1976 wohnte während seines Aufenthalts in Frankreich in diesem Haus“.

Kurz nachdem ich die Plakette fotografiert hatte, kam übrigens eine Frau vorbei und sah sich aufmerksam an, was ich da gerade aufgenommen hatte- möglicherweise hatte sie die Plakette noch nie beachtet).

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Angebracht wurde die Plakette übrigens 1976 bei einem Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Hua Guofeng in Paris von dem französischen Präsidenten Giscard d’Estaing. Der berichtet davon in seinen Erinnerungen „Le Pouvoir et la Vie“: Er habe bei dieser Gelegenheit seinem chinesischen Gast auch das Zimmer zeigen wollen, in dem Tschou gewohnt habe: „Hurlements de protestation à l’intérieur, poussées par une voix d’homme et une voix de femme, réunis dans la même indignation, et sans doute la même intimité.“ Der Betreiber des Hôtels hatte seine Zimmer offenbar stundenweise vermietet…

Eine ganz andere und viel größere Gruppe von Chinesen kam während des Ersten Weltkriegs nach Frankreich. Um den großen kriegsbedingten Arbeitskräftemangel zu lindern, schloss Frankreich 1915 einen Vertrag mit der chinesischen Regierung, der die Anwerbung von maximal 200 000 chinesischen Arbeitern vorsah. Rekrutierungsbüros wurden in Peking, Shanghai, Hongkong und anderen Städten eingerichtet. Insgesamt kamen 140 000 Chinesen, vor allem aus dem südlich von Shanghai gelegenen Wenzhou, nach Frankreich. Um die Zahl der Angeworbenen zu erhöhen, wurde übrigens auch eine Methode angewendet, die auch in Deutschland zu Zeiten des Absolutismus wohlbekannt war: Junge Leute wurden betrunken gemacht, so dass sie dann einen Vertrag unterschrieben. In China nannte man das offenbar  « shanghaïser ».[4]

Bei einem Ausflug ans Meer stießen wir vor einiger Zeit zufällig in der Nähe der Somme-Mündung auf ein uns sehr merkwürdig erscheinendes Hinweisschild: „Chinesischer Friedhof“. Also kurz entschlossen abgebogen und hingefahren! Zunächst fanden wir in  einem kleinen Dörfchen –Noyelles-sur-mer-  auf dem bescheidenen Dorfplatz zwei chinesische Löwen  bzw. Wächter des Buddha.

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… und dann außerhalb des Ortes den Friedhof mit  Gräbern bzw. Erinnerungstafeln von 884 zwischen 1917 und 1919 gestorbenen chinesischen Arbeitern.

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In Noyelles gab es nämlich im 1. Weltkrieg das „Basislager“ der chinesischen Kriegs-Hilfsarbeiter und für sie speziell auch ein Lazarett. Deshalb gibt es hier den einzigen rein chinesischen Friedhof auf französischem Boden. Unterhalten wird er übrigens von den Engländern, weil die meisten der dort begrabenen Chinesen von den Briten angeworbenen waren, die wie die Franzosen einen Vertrag mit China über die Anwerbung von Arbeitskräften abgeschlossen hatten.  Die Chinesen durften/mussten keine Waffen tragen, wurden aber durchaus an der Front für schwierige Missionen eingesetzt: Bei der Aushebung von Schützengräben, der Bergung von Toten oder der Säuberung eroberten Geländes von Minen. Und als 1917 die schlimme spanische Grippe wütete, setzte man sie auch in der Krankenpflege ein. Entsprechend groß war die Zahl der Opfer.[5]

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Ein Teil der von den Franzosen angeworbenen chinesischen Arbeiter –etwa 3000-  kehrte nicht mehr nach China zurück, sondern blieb in Frankreich bzw. vor allem in Paris : Sie siedelten sich aufgrund der billigen Mieten und der verkehrsgünstigen Lage zunächst um den Gare de Lyon an und  eröffneten Geschäfte und Restaurants:  Es war die erste chinesische „Kolonie“ in Paris, die bald auch weitere Chinesen anzog. Die meisten dieser Chinesen, die im allgemeinen Analphabeten waren, verdienten ihr Geld als „Colporteurs“, das heißt sie boten als fliegende Händler auf den Märkten vor allem Lederwaren an.

Heute erinnert noch eine plaque commemorative in der Rue Chrétien du Troyes no 13 am Gare de Lyon an die chinesischen Arbeiter:

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Von 1916 bis 1918 beteiligten sich 140 000 chinesische Arbeiter in Frankreich an den Kriegsanstrengungen der Alliierten und mehrere Tausende verloren dabei ihr Leben. Nach dem Sieg ließen sich 3000 von ihnen im Bereich des Gare de Lyon nieder und bildeten die erste chinesische Gemeinde“. 

Und seit 1918 gibt es auf dem Vorplatz des Bahnhofs die Statue eines chinesischen Arbeiters, die einmal in der Umgebung des Bahnhofs wohnten. Sie ist ein Werk des chinesischen Künstlers Li Xiao und erinnert an ein wenig bekanntes Kapitel der chinesischen Präsenz in Paris. [5a]

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Heute ist davon nichts mehr zu sehen- eine Konsequenz der Sanierung des Viertels um den Gare de Lyon. Aber dafür gibt es in der Avenue Daumesnil, die am Gare de Lyon vorbeiführt, ein chinesisches Computergeschäft am anderen. Alle spezialisiert auf Laptops, deren Reparatur und entsprechendes Zubehör. In einem dieser Geschäfte war ich auch, als mein letzter Laptop seinen Geist aufgab, und ich wurde dort mit der zu erwartenden chinesischen Höflichkeit und außerdem sehr umgehend und korrekt bedient. In gewisser Weise kommt man sich da vor wie in einer mittelalterlichen Stadt mit ihren Weckmärkten, Seilergassen und Weißgerbergräben.

Auch die Soldaten und Arbeitskräfte aus dem südostasiatischen Kolonialreich, die während des ersten Weltkriegs in Frankreich eingesetzt wurden, waren nach dem allgemeinen Verständnis und Sprachgebrauch „Chinesen“. Insgesamt waren das über 40 000 sogenannte tiralleurs aus Tonking und Annam, die im Allgemeinen an die Front versetzte französische Arbeitskräfte ersetzten und wegen ihres exotischen Aussehens –nicht nur von Kindern- beäugt und bestaunt wurden.[6]

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Das Chinesenviertel im 3. Arrondissement  

Das älteste heute noch existierende Chinesenviertel ist das im 3. Arrondissement  in und um die Rue au Maire (Métro Arts et Métiers). Es waren vor allem Chinesen aus der Gegend um den Hafen von Wenzhou im Süden Chinas, die zwischen den beiden Weltkriegen nach Frankreich kamen Im 3. Arrondissement eröffneten sie kleine Geschäfte, stellten Lederwaren her und verkauften sie, vor allem in der Rue des Gravilliers. Außerdem arbeiteten sie in kleinen Textilwerkstätten, die meist jüdische Besitzer hatten. « L’expansion des Chinois dans le quartier des Arts-et-Métiers date véritablement de la seconde guerre mondiale, précise Marie Holzman. Beaucoup de Juifs ont alors été déportés par les Allemands. Dès qu’un atelier était vide, les Chinois s’installaient »[7]  1997 stellten die Chinesen im Quartier Arts et Métiers 1997 immerhin 27% der Bevölkerung![8]Ce petit Chinatown“ ist allerdings kein Touristenmagnet und nur wenige Auswärtige verirren sich in die kleinen Geschäfte und Restaurants, in denen man freundlich bedient wird – auch wenn man von den manchmal rein chinesischen Aushängen nichts versteht.

Und es gibt einen von außen gut sichtbaren buddhistischen Tempel, in dem man auch einen Tee serviert bekommt.

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Nicht versäumen sollte man es, in der Seitenstraße –Rue Volta Nr. 3- einen Blick auf den dortigen Fachwerkbau zu werfen. Das Haus galt lange als das älteste in Paris, seit 1978 wird es allerdings ins 17. Jahrhundert datiert. Eigentlich war diese Bauweise aus Feuerschutzgründen seit dem 16. Jahrhundert in Paris verboten, was aber nicht verhindern konnte, dass bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts weiter so gebaut wurde. Übrigens ist das bis  heute ein Problem in Frankreich: Kürzlich wurde in Le Monde berichtet, wie viele Gesetze in den letzten Jahren vom französischen Parlament verabschiedet wurden, die aber nicht in Kraft treten können, weil es an den notwendigen Ausführungsbestimmungen der Ministerialbürokratie fehlt.

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Unten gibt es  das Song Heng, ein kleines chinesisches/vietnamesisches Restaurant, das nach Auskunft der davor Wartenden sehr empfehlenswert ist: schnell –wenn man mal reingekommen ist- gut und preiswert!

Die Pagode des Ching Tsai Lao   (8. Arrondissement)      

Allerdings waren es nicht nur arme chinesische Arbeiter und „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus Wenzhou, die sich in dieser Zeit in Paris niederließen. Paris zog auch chinesische Kaufleute an, die sich hier gute Geschäfte versprachen. Einer davon war Ching Tsai Loo. Aus einer reichen Familie von Grundbesitzern, Gelehrten und hohen Beamten stammend, gründete er 1908 eine erste Galerie chinesischer Kunst in Paris.  1928 ließ er in der Nähe der Grands Boulevards ein aus dem 17. Jahrhundert stammendes Wohnhaus im chinesischen Stil umbauen und verkaufte dort chinesische Antiquitäten, die er über seine Niederlassungen in Peking und Shanghai erworben hatte. Außerdem war sein Haus offen für chinesische Landsleute, unter anderem für den – auch aus „gutem Hause“ stammenden- Tschu-En-lai. Ob der kunstsinnige Großkaufmann Ching etwas von den revolutionären Aktivitäten seines Gastes wusste?

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Man traut  kaum seinen Augen, wenn man die Rue de Courcelles hochgeht und plötzlich auf diese chinesische Pagode stößt. Ich war ja schon zig-mal in Paris, aber das hatte ich noch nie gesehen. Eine wunderbare Entdeckung! Und es lohnt sich sehr, das Haus nicht nur von außen zu betrachten.

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Die Erben des Gründers betreiben hier immer noch einen Kunsthandel, und man kann die zum Teil aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammende chinesische Inneneinrichtung und  die erlesenen Kunstwerke der Galerie besichtigen. Außerdem erfährt man auf Informationstafeln Interessantes über das Leben und Wirken von Ching Tsai Loo, eher bekannt unter dem Kürzel C.T. Loo.

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C.T.Loo -eigentlich Lu Huan Wen- stammt aus bescheidenen Verhältnissen.  Als Koch der  reichen chinesischen Familie Zhang folgt er dieser 1902 nach Paris, als sein Arbeitgeber Zhang Jinjiang an die Botschaft in Paris berufen wird. Zhang eröffnet dort auch an der place de la Madeleine ein Geschäft für chinesische Waren, die damals sehr in Mode waren, wo Loo nun arbeitet. Rasch entdeckt er, dass mit chinesischen Waren grandiose Geschäfte zu machen sind: Eine Vase aus Porzellan kann in Paris zum 10 000-fachen ihren Einkaufwertes verkauft werden! Loo macht sich also rasch selbstständig, eröffnet ein erstes Geschäft in Paris, es folgen weitere in London, Shanghai und in der 5th avenue in New York. Loo ist nun der weltweit erfolgreichste und  bekannteste Händler chinesischer Kunst. Mit der Gründung der Volksrepublik China versiegt der Nachschub von chinesischer Kunst und man wirft ihm heute in China vor, für den Ausverkauf chinesicher Kunst mitverantwortlich zu sein. Andererseits kann man ihm auch zugute halten, dass auf diese Weise  viele Kunstschätze vor dem Wüten der Kulturrevolutionäre gerettet wurden.

Praktischer Hinweis: 48 rue de Courcelles, 75008 Paris (Métro Courcelles oder besser St Philippe du Roule)  dienstags bis samstags zwischen 14 und 18 Uhr

Zu C.T.Loo siehe die Biographie von Geraldine Lenain, Monsieur Loo. éd. Philippe Picquier 2013 und den Artikel in Le Monde vom 2. April 2019: Le Musée Guimet sur les traces du mystérieux C.T. Loo (culture, S. 21) anläßlich der Übergabe von Dokumenten aus dem Besitz der Universität von New York an das Pariser Museum.

Das chinesische Viertel in Belleville   

Nach der kommunistischen Machtübernahme  im Jahr 1949 wurde die Auswanderung von Chinesen offiziell untersagt. Erst Anfang der 1980-er Jahre wurden die Ausreisekontrollen lockerer und es waren nun wieder –wie schon in den 1920-er Jahren Chinesen aus Wenhzou, die  -teilweise illegal- nach Frankreich kamen und vor allem in kleinen Textilbetrieben  arbeiteten.  So entstand die „Chinatown“ von Belleville.[9]

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Die Herkunft vieler  Geschäftsinhaber aus Wen Zhou ist  kaum zu übersehen.

Das  Wenzhou in der Rue Belleville Nummer 24 soll übrigens „der beste Chinese der Stadt“ sein.[10]

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Zu den Einwanderern aus Wen Zhou kamen dann auch noch Flüchtlinge aus dem ehemaligen französischen Indochina, die überwiegend zu den dortigen chinesischen Minderheiten gehörten.  Allerdings ist Belleville alles andere als ein reines Chinesenviertel:  Es ist ein altes Arbeiterviertel von Paris mit einer langen Tradition der Aufnahme und Integration von Fremden: Von Franzosen aus armen Provinzen wie der Auvergne, die sich im 19. Jahrhundert in Paris ein besseres Leben erhofften; von Elsässern/Franzosen, die nach der Annexion von Elsass-Lothringen 1871 durch das Deutsche Reich dort nicht länger leben wollten; von Juden aus Mittel- und Osteuropa auf der Flucht vor Pogromen und dann vor dem Nationalsozialismus. Und nach dem Krieg kamen dazu auch schwarzafrikanische und  vor allem nordafrikanische  Einwanderer.

Belleville wird gerne als Beispiel für ein erfolgreiches Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft, Hautfarbe und Religion angeführt. Es gibt allerdings durchaus auch Probleme des „vivre ensemble“ in Belleville – auch solche, die die Menschen mit chinesischen bzw. südostasiatischen Ursprungs betreffen.  Dazu gehören die expansive chinesische Präsenz in dem Viertel, die Kriminalität, als deren bevorzugte  Opfer sich gerade Chinesen betrachten, und die chinesische Prostitution. Entsprechende Informationen gibt es in dem Blog-Beitrag über  Belleville vom Juli 2016.

Ein Spaziergang durch das „chinesische Belleville“ kann an der Métro-Station Pyrénées beginnen (Linie 11)  und die Rue de Belleville hinunterführen bis zur Station Belleville (Linien 11 und 2). Dabei sollte man  öfters Blicke in die Seitenstraßen rechts und links werfen (incl. Bd de la Vilette und Bd de Belleville) und ggf. kleine Abstecher machen. Ein Einkauf in einem der chinesischen Supermärkte ist ebenfalls äußerst empfehlenswert.

Und natürlich auch ein Imbiss in einem der kleinen  chinesischen Restaurants an der Rue de Belleville oder auch im noblen Président, an der Ecke zwischen dem Bd de Belleville und der Rue  du Faubourg du Temple an der Métro-Station Belleville. Der Président ist eine Institution in Belville, seine Treppe à la Cannes ist legendär, „un vrai festival de Cannes à lui seul“, sein Ruf wurde vor Jahren durch einen Besuch Mitterands verbreitet. In der Mitte des großen Saals steht noch zwischen riesigen Aquarien und vergoldeten Drachen der Sessel, auf dem Mitterand bei seinem Besuch gesessen haben soll und der inzwischen den Status einer Reliquie innehat.[11]

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(aus Le Monde vom 31.1.2014)

Ein schöner Abschluss eines Rundgangs  ist übrigens der  Besuch bei der Association de l’Union des Indochinois en France in der Rue du Buisson St. Louis/Einmündung der Rue Civiale. Man wird dort sehr freundlich empfangen und kann sich die buddhistischen Altäre ansehen.

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Auf einem stehen in einem Glas Holzstäbchen, mit denen es folgende Bewandtnis hat:  Wenn man eine Frage/ein Problem hat, kann man sich ein Holzstäbchen nehmen, auf dem jeweils eine bestimmte Nummer aufgedruckt ist. Dann holt man sich aus dem Wandkasten ein Orakelkärtchen, das der gezogenen Nummer entspricht und findet dort –hoffentlich- die passende/erhoffte Antwort.

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Dem Altarraum angeschlossen ist auch ein äußerst spartanisch eingerichteter Klassenraum, in dem Kinder des Chinesenviertels am Wochenende chinesisch lesen und schreiben lernen, um so den Kontakt mit ihrer heimatlichen Kultur nicht zu verlieren.

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„Chinatown“  im 13. Arrondissement

Eine „multikulturelle“ Solidaritäts- Demonstration für die Chinesen des Viertels, wie es sie in Belleville gab,  wäre wohl in der „eigentlichen“ Pariser Chinatown im 13. Arrondissement kaum möglich und auch kaum erforderlich. In diesem alten/ehemaligen Arbeiterviertel von Paris haben sich vor allem seit den 1970-er Jahren viele Asiaten niedergelassen. Wie viele es genau sind, ist kaum exakt zu ermitteln. Georg Stefan Troller spricht von  35 – 40000 Asiaten meist chinesischer Herkunft oder Abstammung, die dort leben und die wahrscheinlich die größte Chinatown Europas bildeten (Paris geheim, S. 225). Nach Costa-Lascoux/Yu-Sion, die sich auf die offizielle Statistik von 1990 beziehen, sind es dagegen lediglich genau 5086 Personen im 13.Arrondissement, die zu diesem Zeitpunkt die chinesische Nationalität oder die eines der drei Länder  Indochinas hatten. Diese Unterschiede hängen sicherlich damit zusammen, dass die gewiss auch vorhandenen illegalen Einwanderer hier natürlich nicht mitgerechnet sind, die  inzwischen eingebürgerte Migranten ebenso wenig- und gerade bei den Südostasiaten ist der Anteil derer, die die französische Staatbürgerschaft anstreben und erhalten, besonders hoch. (Paris-XIIIe, S.27/28).  Wie auch immer: Selbst  Chinesen, die hier leben, sprechen von dem „quartier chinois du 13ème arrondissement“ und fügen dann noch –wenn auch in Klammern an:  „Le Chinatown parisien“ (Amicale des Teochew).

Dass der Begriff „Chinatown“ auch keine Kreation des Pariser Tourismus-Marketings ist, wird schnell deutlich. Sehr pittoresk ist diese Chinatown nämlich ganz und gar nicht – architektonisch jedenfalls verweist –soweit ich das gesehen habe-neben dem Tempel, zu dem wir noch kommen,  nur ein einziges Gebäude ganz bewusst und ostentativ auf den besonderen Charakter des Viertels: Und zwar ausgerechnet die Filiale von Mc Donalds in der Avenue de Choisy.

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Die lackierten Enten gibt’s allerdings bei Mc Donalds (noch) nicht!

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Ansonsten stehen aber im Zentrum der „Chinatown“ völlig gesichtslose Hochhäuser, die seit den 1960-er Jahren auf dem  Gelände der stillegelegten Autofabrik Panhard & Lavassor –einem der ältesten Autohersteller der Welt- errichtet wurden, an den heute fast nichts mehr erinnert.

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Es handelt sich um ein von den städtebaulichen Theorien Le Corbusiers inspiriertes Projekt: Ein Hochhausviertel mit dem schönen Namen Olympiades, weil die Hochhäuser –aus welchen Gründen auch immer- die Namen von Olympia-Städten tragen.

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Vorgesehen waren Sozialwohnungen (HLM- Habitations à loyer modéré), etwas  anspruchsvollere Wohnungen für den Mittelstand, vor allem aber Wohnungen für junge, gutverdienende Freiberufler und höhere Angestellte. Diese wollte man vor allem durch ein breites Angebot an Geschäften, Freizeitangeboten und schulischen und kulturellen Einrichtungen  anziehen. Allerdings erwies sich diese Hoffnung  als trügerisch. Die Besserverdienenden, die man vor allem im Auge hatte, wollten nicht in einer Umgebung im Stil der  HLM-Siedlungen im tristen banlieue wohnen.

In die freistehenden Wohnräume zogen vor allem seit dem Fall von Saigon 1975 Südostasiaten –oft chinesischer Herkunft- ein, die vor der Machübernahme der Kommunisten geflohen waren. Dazu kamen nach 1979 weitere –ebenfalls oft chinesisch-stämmige- Vietnamesen, Laoten und Kambodschaner als Folge chinesisch-vietnamesischen Krieges – oft „boat people“ ohne finanzielle Mittel. Um die hohen Mieten in den  Olympiades-Türmen  zu bezahlen, wurden die Wohnungen meist völlig überbelegt, oft  von mehreren Familien. Und es wurde dort nicht nur gewohnt, sondern auch gearbeitet: vor allem in kleinen Familien-Betrieben der Textil-Herstellung, wobei da wohl, was Arbeitsbedingungen, Steuern und Sozialabgaben angeht, die rechtlichen Rahmenbedingungen gerade in den ersten Jahren zum Teil unbeachtet blieben.  Und das Geld, eine Wohnung zu kaufen oder zu mieten und das Startkapital für ein Geschäft oder einen kleinen Betrieb erhielten die mittellosen Neuankömmlinge nicht durch eine „klassische Bank“, sondern durch die sogenannte „tontine chinoise“,  ein ganz traditionelles chinesisches System der Geldbeschaffung –das auf gegenseitigem Vertrauen und persönlichen Beziehungsgeflechten beruht. Den Ruf von „Chinatown“ förderte das alles nicht. In etwas maliziös gemeinten Bezeichnungen wie „chinesisches Dreieck“ oder „triangle de Choisy“ kommt das zum Ausdruck.[12] (Gemeint ist damit das Dreieck zwischen den Avenuen d’Ivry, Choisy und der Rue de Tolbiac, wozu auch noch das Olympiades-Gelände kommt. Und die Grenzen zwischen „ville européene“ und „ville chinois“ sind sowie fließend. Und wenn dieses Viertel –und vor allem die Olympiades-Betonwüste-  architektonisch eher abschreckend wirken mag: Ein Rundgang, so wie er hier von dem Soziologenpaar Michel Pinçon und Monique Pinçon-Charlot vorgeschlagen wird, lohnt sich auf jeden Fall. (Paris, S.130ff).

Zwischen dem Ausgangspunkt, der Metrostation Porte d’Ivry und dem Endpunkt, dem Supermarkt Tang Frères, gibt es eine Menge zu entdecken und man bekommt einen Eindruck von der Vielfalt der Menschen, die hier zusammen leben. „ Le quartier chinois de Paris, connu de nom, méconnu en réalité, est une expérience à vivre. Les couleurs, les odeurs: tout donne l’impression d’être à des milliers de kilomètres de la capitale parisienne…. l’on se surprend à se sentir comme un touriste dans sa propre ville.“[13]

 Dass man in einer anderen Welt ist, merkt man schon sehr schnell, nachdem man die Metrostation verlassen hat: Am Zeitungskiosk gibt es chinesische Zeitungen –einige werden von Peking, andere von Taipeh unterstützt- man findet chinesische bzw. ostasiatische Geschäfte jeder Art: Reisebüros, Versicherungen, Immobilienbüros, Reinigungen, Kunsthandwerk, Lebensmittelläden, Video-Clubs, Reinigungen, Restaurants, Frisöre, Schönheitssalons…

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Alle Aushänge auf chinesisch – oder in anderen ostasiatischen Sprachen;  manchmal kann man mit Mühe kleingedruckte –und oft unvollständige-  französische Übersetzungen finden– so in einem Reisekatalog der Compagnie Franco Asiatique de Voyage, die im „Chinesenviertel“ zwei Niederlassungen unterhält und offenbar für dessen Bewohner Reisen vor allem in die alte Heimat anbietet.

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Zwischen dem Ausgangspunkt, der Metrostation Porte d’Ivry und dem Endpunkt, dem Supermarkt Tang Frères, gibt es eine Menge zu entdecken und man bekommt einen Eindruck von der Vielfalt der Menschen, die hier zusammen leben. „ Le quartier chinois de Paris, connu de nom, méconnu en réalité, est une expérience à vivre. Les couleurs, les odeurs: tout donne l’impression d’être à des milliers de kilomètres de la capitale parisienne…. l’on se surprend à se sentir comme un touriste dans sa propre ville.“[14]

Zwei Orte sollte man bei seinem Rundgang durch das chinesische Viertel unbedingt ansteuern: den buddhistischen Tempel auf der Ostseite des Olympiades-Geländes und den Supermarkt der Tang-Brüder:

Dieser 1989 entstandene buddhistische Tempel ist eine Einrichtung der „Amicale des Teochew en France“.

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 Die Teochew oder –wie sie nach der Aussprache auch bezeichnet werden: Chaozhou- stammen aus der im Süden Chinas gelegenen Provinz Guangdong. Vor 1975 war ihre Zahl in Frankreich völlig unbedeutend. Heute bilden sie die größte Gruppe unter den Chinesen in Paris und alle großen chinesischen Händler der Hauptstadt gehören zu ihnen. Dieser Wohlstand wird auch an dem Tempel sichtbar. Liegt der zweite Tempel der Olympiades unter dem Beton-Boden des Geländes und versteckt neben der Zufahrt zur Tiefgarage (Rue de Disque/Avenue d’Ivry- siehe Plan), so ist der Tempel der Teochew kaum zu verfehlen: Hinweisschilder verweisen auf ihn und seine Architektur hebt ihn aus  dem betongrauen Einheitsbrei der darum herumstehenden Hochhäuser und Einkaufszentren heraus. Besucher werden freundlich empfangen und es gibt auch ein Informationsblatt zum Tempel und der Amicale des Teochew.

Die Vereinigung bietet eine Vielzahl von pädagogischen, künstlerischen, sportlichen und religiösen Aktivitäten an. Ziel ist es vor allem, die landsmannschaftliche Verbundenheit und die Traditionen der Teochew in Frankreich zu bewahren und Neuankömmlinge dabei zu unterstützen, in Frankreich Fuß zu fassen.  Im Tempel beeindrucken vor allem die 18 „wilden Kerle“ an beiden Seiten. In Wirklichkeit sind das aber so etwas wie buddhistische Heilige, sogenannte „Luohans“ oder „arhats“: Sie haben übermenschliche Kräfte, mit denen sie das Wohlergehen der Menschen fördern und Gutes für sie tun. Jeder hat seine speziellen Aufgaben, meist an ihren Attributen erkennbar:   einer zum Beispiel jagt den Tiger, ein anderer bringt die Löwen zum Lachen, und ein weiterer der  18 zähmt den Drachen- ich nehme an, dass das der abgebildete Luohan ist.

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Zum Abschluss des Rundgangs sollte man unbedingt in den Supermarkt der Tang Frères gehen. Und dafür gibt es viele gute Gründe:

Dieser Supermarkt ist der größte ostasiatische Markt in Paris. Besonders an den Wochenenden kommen Ostasiaten aus dem ganzen Großraum von Paris zum Einkaufen hierher.  Allein schon hindurchzugehen und sich die Produkte und die Menschen anzusehen ist ein Abenteuer.                                                                                                                     Die Geschichte der Tang frères ist eine wunderbare ostasiatisch-französische Erfolgsgeschichte.

Die Brüder Khambou und Bounmy Rattanavan verließen 1975 ihr Heimatland Laos, emigrierten nach Paris und gründeten dort 1976 eine Export-/Importfirma mit dem Namen Tang-Frères. Inzwischen ist das –laut Wikipedia- „the biggest Asian supermarket chain west of China“. Umsatz  2009: 174 Millionen €! Erreicht wurde dies u.a. durch eine breite Diversifizierung. Es gibt nicht nur Tang- Supermärkte, sondern auch Tang- China-Imbiss-Stuben –etwas übertrieben Tang Gourmet benannt- , z.B. am Place d’Italie und –natürlich- in der Rue de Belleville. Außerdem importiert und produziert das Unternehmen chinesische DVDs,  ist im TV-Geschäft aktiv und hat zahlreiche lukrative Alleinvertriebsrechte: unter anderem für Danone-Produkte in China und in Frankreich für das Tsingtao-Bier (gegründet 1903, wie stolz auf den Dosen vermerkt wird, und zwar von deutschen Braumeistern in der damaligen Kolonie Tsingtao, was allerdings nicht auf den Dosen steht. Damals hatte das Bier allerdings noch einen anderen Namen: Es hieß „Germania“[15]).

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Einer der beiden Tang-Brüder äußerte sich in einem Gespräch mit Time Europe vom 26. Juni 2000 folgendermaßen zum Verhältnis von Identität und Integration:

„The problems [of integration into France] are mainly problems of communication. At first, the Chinese community made the mistake of remaining closed. They didn’t communicate. But now there’s a second generation that’s been to school here, and it’s opening up more. I think it would be a shame for my children to lose their Chinese culture. Europe needs young people with a dual culture. When you’ve known war and poverty, it makes you stronger. When you’ve got a strong sense of family, you want your kids to succeed. So you keep an eye on them and make sure they study hard. When parents attach importance to their children’s studies and offer encouragement, the children can only succeed.”[16]

Diese Verbindung von Traditionsbewahrung, Integration in die neue Heimat, Familiensinn- bzw. weiter gefasst: landsmannschaflicher Verbundenheit, Lernwillen und Aufstiegsbewusstsein scheint mir, soweit ich das beurteilen kann, typisch zu sein für die Chinesen/Südostasiaten in der Pariser „Chinatown“. Und es ist ja sicherlich auch kein Zufall, dass in dem kurzen Statement zweimal die Begriffe „study“ und „succeed“ verwendet werden: Wenn –wie auch jetzt wieder anlässlich der PISA-Ergebnisse- auch in Frankreich von den schulischen Problemen der Kinder mit „Migrationshintergrund“ gesprochen wird: Die Kinder aus der „Chinatown“ sind damit sicherlich nicht gemeint.  Costa-Lascoux/Yu-Sion heben in ihrer Arbeit über das 13. Arrondissement ausdrücklich die von allen Seiten bestätigte  Motivation,  Arbeitsqualität und den schulischen Erfolg der Schüler/innen asiatischer Herkunft hervor- und dies, obwohl zu Hause i.a. nicht französisch gesprochen würde und die Eltern die Sprache ihrer neuen Heimat oft auch nur sehr unvollkommen beherrschten. Die Schule sei für sie aber gewissermaßen „heilig“.  „Wenn ich nur asiatische Schüler hätte“, wird z.B. der Kollege einer Schule im 13. Arrondissement zitiert, „könnte ich abends früher und wesentlich weniger erschöpft nach Hause gehen“ (S.120). Die asiatischen Schüler sind also in vielfacher Hinsicht „des élèves modèles“ (S.119). Und dazu passt ja übrigens auch, dass das „außer Konkurrenz“ teilnehmende Shanghai bei der letzten PISA-Untersuchung weltweiter Spitzenreiter geworden ist.

Das chinesische Neujahrsfest

Jedes Jahr gibt es zum chinesischen Neujahrsfest den traditionellen Umzug durch das 13. Arrondissement. Hier wird einerseits das Traditionsbewusstsein der Asiaten deutlich, aber auch ihr Wunsch, sich nach außen zu öffnen und darzustellen. Der Umzug mit seinen spektakulären Drachen- und Löwentänzen, der mehrere Stunden dauert, ist ein Anziehungspunkt für die chinesischen Gemeinden der Ile-de-France, aber auch für viele alteingesessene Pariser und Touristen. Aufgrund der traditionellen, farbenfrohen Kostüme, der Böller und der „Motivwagen“ kommt man sich ein wenig vor wie auf unseren Faschingsumzügen, und die Veranstalter sprechen ja auch selbst von einem „Carnaval du nouvel an chinois“.

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Während es bei uns die verschiedenen Karnelvals- und sonstigen Vereine sind, die die einzelnen Wagen und „Nummern“ gestalten, sind es hier meistens die Vereinigungen von Chinesen aus verschiedenen Gegenden ihrer Heimat:  Die „Association amicale des Cantonais“,  die „Association de la Communauté de Hainan  en France“, die „Association des Panyu en France“…  Manche der Namen, die auf den jeweils vorangetragenen bestickten Transparenten erschienen,  hatte ich noch nie gehört, aber neben mir stand bei meinem letzten Besuch des Neujahrsfests ein freundlicher junger „Asiate“, der mir eine kleine Nachhilfestunde in chinesischer Geographie gab.

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Dieser Umzug zum chinesischen Neujahrsfest ist ein eindrucksvoller und anschaulicher Ausdruck der Bedeutung der „Asiaten“ in Frankreich.

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Und dabei ist dieser Umzug im 13. Arrondissement nur ein Teil der Festivitäten, die es zum chinesischen Neujahrsfest in Paris gibt. Auch die chinesischen Gemeinden im 3. und 20. Arrondissement veranstalten Umzüge, vor dem Rathaus des 11. Arrondissement und an  vielen anderen Stellen werden Löwentänze aufgeführt, es gibt oft auch Konzerte mit traditioneller chinesischer Musik, wie –hier zu sehen- im Festsaal des Rathauses  des 13. Arrondissements.

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Und überall sind die Rathäuser, in deren Bezirken eine größere chinesische Gemeinde lebt, und die „chinesischen Straßen“ und Geschäfte mit den glücksbringenden roten Lampions geschmückt.

Mairie 3e 016

Das Rathaus des 3. Arrondissement

Gerade das chinesische Neujahrsfest ist also ein schöner Anlass, einen Eindruck von der Vielfalt,  Bedeutung und Vitalität des „chinesischen Paris zu gewinnen.

Pour en savoir plus:

Costa-Lascoux, Jacqueline und Live Yu-Sion: Paris-XIIIe, lumières d’Asie. Paris 1995

Marie Holzman, Chinois de Paris (1989).

Loizeau, Emmanuelle: Le 3e Arrondissement. Itinéraires d’histoire et d’architecture. Paris 2000

Pinçon, Michel und Pinçon-Charlot, Monique: Chinatown, un ghetto chinois à Paris? In: Paris. Quinze promenades sociologiques. Paris 2009, S. 130-156

Führungen durch das ”chinesische Belleville”:  Donatien Schramm Tel. 06.30.75.47.22 cffc75@yahoo.fr (samstags 14.30)

Anmerkungen:

[1]  siehe dazu den Blog-Beitrag über Belleville vom Juli 2016

[2] http://www2.cnrs.fr/presse/thema/600.htmImprimer

[3] Zur Geschichte der chinesischen Präsenz in Frankreich/Paris siehe den kleinen Text von Donatien Schramm: http://www.chine-france.com/wp-content/uploads/2013/07/LA-PRESENCE-CHINOISE-EN-FRANCE.pdf

Schramm ist Président de l’Association Chinois de France – Français de Chine

[4] http://lagrandeguerre.blog.lemonde.fr/2013/12/26/les-travailleurs-chinois-de-la-premiere-guerre-mondiale-22/ und Schramm (a.a.O.)  Dazu auch : Ma Li, Travailleurs chinois dans la première guerre mondiale (2012)

[5] www.tao-yin.com/wai-jia/cimetiere_noyelles.htm

[5a] siehe z.B. https://blogs.mediapart.fr/freddy-mulongo/blog/040321/paris-gare-de-lyon-la-remarquable-sculpture-de-chinois-de-li-xiao-ciao 

[6] Manon Pignon, 1914-1918. Paris dans la Grande Guerre. Paris, Parigrmme 2014

[7] http://lagrandeguerre.blog.lemonde.fr/2013/12/26/les-travailleurs-chinois-de-la-premiere-guerre-mondiale-22/

[8] Loizeau, S. 54- eine neuere Statistik habe ich nicht.

[9]http://www2.cnrs.fr/presse/thema/600.htmImprimer. Siehe dazu auch den Blog-Beitrag über Belleville (20. Arrondissement) vom Juni 2016

[10] http://www.weltenbummlermag.de/paris-naschkatzen

[11] http://www.lemonde.fr/societe/article/2014/01/31/l-or-retrouve-du-restaurant-le-president-symbole-de-la-mue-chinoise-de-belleville_4357852_3224.html

http://www.evous.fr/Restaurant-Le-President,1128405.html#2jBLTGVD7cJ5VqxL.99

http://www.leparisien.fr/espace-premium/actu/comment-vote-13-04-2012-1952538.php

[12] Costa-Lacoux/Yu-Sion, 148

[13] http://www.decouvrir-paris.fr/2010/04/le-quartier-chinois-toute-lasie-a-paris/

[14] http://www.decouvrir-paris.fr/2010/04/le-quartier-chinois-toute-lasie-a-paris/

[15] http://www.chine-france.com/wp-content/uploads/2013/07/LA-PRESENCE-CHINOISE-EN-FRANCE.pdf

[16] http://www.time.com/time/europe/specials/immigration/voices_tang.html

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