„Deutschlands schönstes Haus steht an der Seine“:  Das Palais Beauharnais in Paris (Teil 2)

Das Palais Beauharnais in Paris hat eine mehr als 300-jährige Geschichte. Erbaut im Stil eines klassischen Pariser Stadtpalais (hôtel particulier) zu Beginn des 18. Jahrhunderts erlitt es die Verwerfungen der Französischen Revolution, erlebte aber in der napoleonischen Ära seine Blütezeit. Benannt ist es nach Eugène de Beauharnais, dem von Napoleon adoptierten Sohn seiner Frau Josephine, der zeitweise als sein Nachfolger galt, Vizekönig von Italien wurde, mit einer Wittelsbacher Prinzessin verheiratet war und nach dem Sturz Napoleons nach München übersiedelte, wo er auch begraben ist.  Sein Palais verkaufte er an Preußen. Als Sitz der Botschaft Preußens und später Deutschlands wurde das Palais ein bedeutender Ort der deutsch-französischen Beziehungen. Die Brüder Humboldt gingen ein und aus, Bismarck residierte hier 1862 als Botschafter, Herschel Grynspan erschoss 1938  im Palais Beauharnais den Botschaftssekretär vom Rath, was den Nazis als Anlass bzw. Vorwand für das Judenpogrom in der sogenannten Kristallnacht diente. Das nach der Befreiung von Paris 1944 beschlagnahmte Gebäude wurde 1961, im Vorfeld des Elysée-Vertrags, an die Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben. Es ist jetzt die Residenz des deutschen Botschafters und dient repräsentativen Zwecken. In den letzten Jahren wurde das Palais Beauharnais äußerst aufwändig wissenschaftlich dokumentiert und restauriert. Vor allem aufgrund seiner einzigartigen Innenreinrichtung gilt es als Meisterwerk des Empire, des Stils des napoleonischen Zeitalters. Zur Bedeutung des Palais Beauharnais trägt auch bei, dass im  Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und der sich anschließenden Commune mit dem Schloss von Saint-Cloud und dem Tuilerienpalast zwei Haupterinnerungsorte der napoleonischen Zeit zerstört wurden. Darüber hinaus hat sich von den Innenausstattungen, die während des Baubooms nach der Französischen Revolution in Paris entstanden, kaum etwas erhalten. Auch das macht das Palais Beauharnais so einzigartig und kostbar.[1]

Um diesem in mehrfacher Hinsicht so bedeutsamen Bau wenigstens einigermaßen gerecht zu werden, widme ich ihm zwei Berichte auf diesem Blog. Der vorausgegangene erste Teil hat sich mit dem Bau und der Geschichte des Palais beschäftigt:

https://paris-blog.org/2023/04/22/das-palais-beauharnais-in-paris-ein-bedeutender-ort-der-deutsch-franzosischen-beziehungen-und-ein-juwel-des-empire-stils-teil-1-bau-und-geschichte/

Der nun folgende zweite Teil soll exemplarisch die künstlerische Bedeutung und Schönheit des Baus, aber auch die durch ihn vermittelte politische Botschaft anschaulich machen. Das Palais war ja in seiner Blütezeit für den potentiellen Nachfolger Napoleons bestimmt und das kommt auch in seiner Gestaltung deutlich zum Ausdruck.

Das Palais Beauharnais ist ein „Meisterwerk des Empire“, ein ganz einzigartiges Gesamtkunstwerk. Bereits 1806-1807 schrieb der badische Diplomat Carl C. von Berckheim in seinen Briefen aus Paris über das Haus: „Einer der schönsten Paläste von Paris ist das der Ehrenlegion, in der rue de Lille[2], sowie das in derselben Straße gelegene Haus des Vize-Königs von Italien, dessen Ausstattung, die mehr als eine Million achthunderttausend Francs gekostet hat, all das in sich vereint, was guter Geschmack und Geld an Schönem und Ausgesuchtem herstellen können.“[3] Dieser Eloge schloss sich 2006 Michael Moenninger an, der in der ZEIT das Palais Beauharnais als „einzigartiges Prunkstück“ bezeichnete und es kurz und bündig -wie im Titel dieses Beitrags übernommen- zum „schönsten Haus Deutschlands“  erkor.[4]

Der besondere Reiz des Palais Beauharnais besteht darin, dass man bei einem Rundgang gewissermaßen nicht aus dem Staunen herauskommt. Es gibt immer neue verschiedenartige Eindrücke, ein Höhepunkt folgt auf den anderen. Man hat die Konzeption des im Empire-Stil umgestalteten Baus, wie wir ihn weitgehend auch heute wieder erleben, als eine der zeitgenössischen Architekturtheorie entsprechende Abfolge von tableaux beschrieben, von Bildern also: So wie in einem Theaterstück die Szenen und Bühnenbilder wechseln, so hier die ganz individuell gestalteten einzelnen Räume, die insgesamt dann aber ein harmonisches Ganzes ergeben. Und so ist es ja auch in den zeitgenössischen Landschaftsparks wie dem von Ermenonville,  wo die Pappelinsel mit dem Grab Rousseaus eines von mehreren tableaux ist, die der Besucher bei seinem Rundgang bewundern kann und die insgesamt ein großes pittoreskes Landschaftsgemälde ergeben.

In Beschreibungen des Palais Beauharnais taucht -ganz in diesem Sinne- immer wieder der Begriff der Inszenierung auf: Inszeniert, ja gefeiert wird mit allen Mitteln der Kunst, mit Farbe, Licht und kostbaren Materialien, der Glanz und die Macht des Empire, und in Szene gesetzt wird der Hausherr Eugène de Beauharnais, der erfolgreiche Feldherr, der Freund der Künste und der Stief- und dann Adoptivsohn des Kaisers und damit auch dessen potentieller Thronfolger.

 Vorhang auf! Der ägyptische Portikus

Die von bzw. für Eugène de Beauharnais vorgenommenen Umbaumaßnahmen bezogen sich vor allem auf den Innenausbau. Eine Ausnahme ist der ägyptische Portikus, der vor den Eingang des Baus gesetzt wurde. Es handelt sich zwar nur um ein in Leichtbauweise aus Holz, Ziegeln und Putz errichtetes Werk:  In der Mitte zwei Papyrossäulen, darüber auf dem Frontgiebel eine geflügelte Sonnenscheibe mit den Uräus-Schlangen, Symbol der Pharaonen. Der Portikus ist damit aber ein eindrucksvolles und in dieser Art einzigartiges Zeugnis der Ägypten-Mode, die nach dem Ägypten-Feldzug Bonapartes in Frankreich Hochkonjunktur hatte. Der Feldzug endete zwar mit einer militärischen  Niederlage, die archäologische Ausbeute und die künstlerischen Auswirkungen waren aber erheblich, weshalb auch gerne von einer Expedition gesprochen wird. Am und im Palais Beauharnais lassen sich die ägytischen Einflüsse hervorragend beobachten und bewundern.

Foto: Frauke Jöckel[5]

Einzigartig ist dieser ägyptische Portikus vor allem insofern, als eine eigentlich geplante monumentale „ägyptische Trilogie“ für das napoleonische Paris nicht realisiert wurde. Die sollte bestehen aus einem Riesen-Obelisken auf dem Pont Neuf,  einer zentralen Pyramide auf dem Friedhof Père Lachaise und einem von Chalgrin entworfenen ägyptischen Tempel auf der Place des Victoires, der immerhin den Portikus des Palais Beauharnais inspirierte.[6]  

Dem deutsch-französischen Pariser Stadtbaumeister Hittorff, der im 19. Jahrhundert das Palais renovierte und modernisierte, war der Portikus allerdings, ungeachtet seiner Einzigartigkeit,  ein die Ästhetik der Fassade störender Dorn im Auge. Nicht nur für die  Kunstgeschichte im Allgemeinen, sondern  auch speziell für die Geschichte des Palais  ist der Portikus allerdings höchst bedeutsam:  Er verweist demonstrativ darauf, dass das Palais nach einer wechselvollen Geschichte nun einen neuen Besitzer, Eugène de Beauharnais, hat, und er bringt zum Ausdruck, dass dieser neue Hausherr als Adjudant Bonapartes an dem Ägypten-Feldzug teilgenommen  hat. Von diesem Feldzug, den Vivant Denon, „der Kunsträuber Napoleons“, begleitete, wurden ja auch zahlreiche archäologische Beutestücke nach Paris gebracht, auch Reliefs der Göttin Mut. Die Figurenreliefs auf den Vorderseiten des Portikus sind Abgüsse entsprechender Originale.[7]

Sie erscheinen gewissermaßen wie Zeremonienmeister, sie begrüßen den Besucher und machen ihm deutlich, dass er nun in eine Kunstwelt eintaucht voller immer neuer Überraschungen, in eine Szenenfolge von tableaux, in ein Theater, in dem der Zuschauer zum Schluss zum Schauspieler wird und sich selbst inszeniert. [8]

Foto: joeruggiero­_collection (Instagram)

Blick aus dem Vestibül mit der Büste Alexander von Humboldts in das Treppenhaus mit der einen Kranich tragenden Allegorie der Wachsamkeit, aber auch der Treue und Zuverlässigkeit. „Es handelt sich um eines der wenigen Kunstwerke, das aus der Zeit Eugènes im Haus erhalten geblieben ist.“ (Palais, 42)  

Foto: joeruggiero­_collection (Instagram)

Eine völlig neue Szenerie öffnet sich im „Grünen Salon“ mit seinen weißen und vergoldeten Holzvertäfelungen, vor allem aber mit seiner Textilausstattung, einem grün gestreiften Seidendamast, der dem Raum seinen Namen gab. (Palais, 29).  Der Grüne Salon gehörte zu den offiziellen Räumen des Palais und diente als Empfangsraum.

Foto: Antoinebn und allemagnediplo (Instagram)

Zur Einzigartigkeit des Palais Beauharnais und des Grünen Salons tragen auch Gemälde von Hubert Robert bei: Hier ein in die Holzvertäfelung eingelassenes Wandbild aus dem Jahr 1797 mit einem italienisierenden Landschafts- und Ruinenmotiv aus Tivoli. Hubert Robert war ja besonders als „Ruinenmaler“ bekannt und im Ancien Régime, aber auch in den Zeiten des Konsulats beliebt. Eugène Beauharnais übernahm die Bilder beim Kauf des Palais, und es ist inzwischen das einzige hôtel particulier, das noch mit originalen Gemälden Roberts ausgestattet ist.

Auf der weiß gefassten Holzvertäfelung sind geschnitzte und vergoldete Ornamente angebracht. Die Helme auf den Wandvertäfelungen sind nicht die einzigen militärischen Bezüge in diesem Salon:

Mit Helmen sind auch die Fenstergriffe verziert. Und dann der Kamin:

Auf dem Fries des Kamins sind die Bronzeapplikationen von zwei Siegesgöttinnen befestigt, in ihrer Mitte Jupiter, links davon ein Venus-Medaillon, rechts der Kriegsgott Mars mit Helm und Schwert.

…. und daneben Bronzeapplikationen von Adlern, Löwen und sternbesetzten römischen Standarten.

Die Bedeutung dieses Raumes ist damit unverkennbar: Er verweist den hier auf eine Audienz wartenden Besucher auf die militärischen Verdienste Eugènes.

Und dazu gehören natürlich auch die ägyptischen Bezüge, die sich hier wie auch an vielen anderen Stellen des Palais finden. Sie haben -wie die Lotusblätter und -kelche an den Wandvertäfelungen– nicht nur dekorative Funktion, sondern können, wie schon der Portikus, als Hinweis auf Eugènes Verdienste im Ägyptenfeldzug Napoleons verstanden werden.  In diesen Kontext gehört natürlich auch der benachbarte ägyptische Salon mit Portraits von ägyptischen Würdenträgern, mit denen Napoleon auf seinem Feldzug verbündet war.

Der Bezug zu Ägypten  wird auch durch die dominierende  Farbe  des Raums unterstrichen: Es ist das weiche Ocker der „terre d’Egypte“. Und der Bezug zu Eugène wird durch das Portrait des Prinzen ganz  direkt und unmissverständlich hergestellt.

Szenenwechsel: Jetzt kommen wir in den „Roten Salon“, auch Salon Amarante genannt.

„Seinen Namen erhielt der Salon wie schon zur Zeit des Empire von dem dunkelroten, als amarant-farben bekannten Farbton der Wandbespannung aus Wollstoff und der seidenen Fenstervorhänge“ (32). Festlich von Kandelabern beleuchtet wird hier das Portrait von Auguste Amalia, der Tochter des bayerischen Königs und Frau Eugènes. Für sie wurde der Salon in ein Schlafzimmer umgewandelt, als Eugène wegen der sich abzeichnenden Niederlage Napoleons Italien verlassen musste.

Die Aufteilung des Roten Salons entspricht der vieler anderer Räume: Auf einer Seite der Kamin, auf der gegenüberliegenden eine Konsole, in der Mitte ein Tisch mit darüber angebrachtem Kronleuchter. Eine Gleichförmigkeit kann aber trotzdem nicht aufkommen: Nicht nur wegen der Unterschiedlichkeit dieser wiederkehrenden Elemente, sondern vor allem auch wegen der unterschiedlichen Farbgebung der Räume.

Nach dem Grünen und dem Roten Salon und dem ockerfarbigen Ägyptischen Salon wird in der Bibliothek „mit einer im Bühnendekor häufig verwendeten Technik des Trompe l’lœil (…) eine Wandvertäfelung aus Mahagoni und gelbem  Zitronenholz“ vorgetäuscht.  (Palais, 38).  Diese Imitationsmalerei war zu Revolutionszeiten einfach und kostengünstig und deshalb sehr verbreitet.

Foto: antoinebn (Instagram)

Der Bibliothek kommt in der Raumfolge des Erdgeschosses eine zentrale Funktion zu.  In seiner Mittel gelegen, öffnet sich von hier aus der Blick in den Garten und je nach Jahreszeit auch zu dem auf der anderen Seine-Seite gelegenen Tuilerien-Garten, der zu dem 1871 zerstörten königlichen Tuilerien-Schloss gehörte.

Die ungewöhnliche Positionierung der Bibliothek im Zentrum des Erdgeschosses  beruht wohl auf einer persönlichen Entscheidung des bibliophilen Prinzen. „Zeit seines Lebens stand er in engem Kontakt mit zahlreichen Buchhändlern, die ihn mit den neuesten Publikationen versorgten.“ (Meisterwerk, 203)

Dazu gehörten auch die Werke Friedrichs des Großen…

 …  Das Hauptthema der Ikonographie des Raumes ist der Apollo-Mythos, der auf den Besitzer des Hauses verweist.“ (Palais, 36)

Und zu diesem Apollo-Mythos gehört vor allem der Schwan, Begleittier des Gottes der Künste. Apollos Wagen wird von singenden Schwänen gezogen. Hier dient der Schwan aus vergoldeter Bronze als Türbeschlag auf den monumentalen Bücherschränken aus Mahagoni-Holz.  

Auch die apollinische Lyra darf nicht fehlen…

Die Wandleuchter der Bibliothek sind mit Apollo-Masken geschmückt.

Apollo-Bezüge finden sich, nicht nur hier, sondern vor allem auch noch im Musiksalon im ersten Stockwerk: Eugène wird in seinem Palais nicht nur als Feldherr herausgestellt, sondern auch als feinsinniger Freund der Musen: Das ist Teil der Inszenierung.

Danach geht es über die Ehrentreppe an Napoleon vorbei  (Portraitbüste in Marmor von Chaudet) in die erste Etage. Dort befinden sich die repräsentativen Salons, zu denen auch der Musiksalon gehört. Er wurde, wie die Bibliothek, speziell für Eugène eingerichtet, der sich besonders für Gesang und Klavierspiel begeisterte.

Die Wände sind mit lebensgroßen Darstellungen der vier Musen dekoriert. Darunter jeweils die hier schon fast obligatorischen apollinischen Schwäne.

Es sind mit Korallenketten geschmückte Schwanenbüsten, über deren Schultern Blumengirlanden aufliegen. Im Zentrum der Girlanden befindet sich eine Maske, die mit ihren jeweiligen Attributen die Götter Bacchus (Tanz), Minerva (Malerei),  Helios (Literatur) und natürlich -nachfolgend abgebildet-  Apollo (Musik), darstellen. (Meisterwerk, 265)

Sehr elegant auch die Schwanenhälse an den Armlehnen der vergoldeten Sessel[9]

Mit seinen zahlreichen Verweisen auf Apollo „fügt sich der Raum in das ikonographische Konzept des Hauses ein, das den Prinzen Eugène in Analogie zum Musengott der Antike stellt.“[10]

Der bedeutendste Raum der ersten Etage, ja des ganzen Palais ist der Festsaal, der Salon der vier Jahreszeiten. Das ist allein schon an seiner Größe und der zentralen Lage genau im Mittelpunkt der Etage ablesbar. Als einziger Raum des Hauses verfügt er über einen Balkon, von dem aus man einen  Blick über den Garten, auf die Seine, den Tuileriengarten und -zu Zeiten  Eugènes- auch auf das königliche Schloss  der Tuilerien hatte.

Vor allem aber ist es die Innendekoration, die den Salon der Vier Jahreszeiten zu einem der schönsten Räume des frühen Empirestils in Europa machen.[11]

Foto: C. Larit/ passementeries Declercq

Besonders ins Auge springt zunächst auch hier die intensive farbliche Gestaltung, die charakteristisch für den Empire-Stil ist und im Palais Beauharnais allein schon durch die entsprechende Benennung von Räumen zum Ausdruck kommt: Grüner Salon, Roter Salon, Kirschsalon. Im Salon der vier Jahreszeiten ist es die Dominanz der Komplementärfarben Blau und Gelb/Orange: Entsprechend dem im Empire in höchster Konsequenz verwirklichten Stilprinzip der Einheitlichkeit haben alle Textilien im Raum die gleiche Farbigkeit – kombiniert mit der entsprechenden Gegenfarbe.[12]

Photo C. Larit / passementeries Declercq

Seinen Namen hat der Raum durch die ihn besonders prägenden überlebensgroßen Darstellungen der vier Jahreszeiten. Deren allegorische Verkörperung war in der Innenausstattung festlicher Räume, aber auch an Fassaden von Stadtpalais durchaus üblich – man denke nur an das Hôtel Carnavalet oder das Hôtel de Sully im Pariser Marais.

Die Darstellungen der vier Jahreszeiten im Palais Beauharnais sind überlebensgroß gemalt, in unterschiedlichen Positionen und mit Attributen entsprechend der von ihnen verkörperten Jahreszeit versehen.

Allen Darstellungen gemeinsam ist aber, dass sie vor einem wolkigen, eher diffusen Hintergrund erscheinen, aus dem sie -wie Theaterfiguren- heraustreten;  so die Allegorie des Herbstes mit einer Fülle von Früchten.

Besonders eindrucksvoll die Darstellung des Winters, der -anders als meist sonst- auch als Frau verkörpert ist. „Vor Frost erstarrt, bedeckt sie schirmend einen Fuß mit dem anderen und zieht die weit umfließende, an ihren Enden schon vereiste und sich in Schneeflocken auflösende Kleidung zum Schutz  vergebens an sich.“[13] Die Kälte ist hier unmittelbar spürbar wie die dem Betrachter zufallenden Früchte des Herbstes. So entsteht eine „Atmosphäre der Illusion“[14], zu der auch die Spiegel und Leuchter beitragen.

Durch die hohen gegenüber angebrachten Spiegel -hier über Kamin und Konsoltisch- und zusammen mit dem zentralen Lüster „erscheint das Licht vielfach gespiegelt in unendlich langen Reihen. Der Raum wird zu einer Inszenierung des Lichts.“[15]

Den Wandabschluss des Raumes bildet ein Fries mächtiger goldener Adler mit ausgebreiteten Schwingen und Girlanden: Die „Zeit der goldenen Adler“ hatte Heine das  Empire genannt, die Zeit „der offiziellen Unsterblichkeit… des pathetischen Materialismus“…[16]

                        Einer der napoleonischen Adler im Salon der vier Jahreszeiten

In der Entwurfszeichnung des Raums waren hier apollinische Lyren vorgesehen, die dann aber durch den kaiserlichen Adler ersetzt wurden.  Ihm untergeordnet sind die apollinischen Schwäne auf den die vier Jahreszeiten einfassenden Pilastern.

„Dies war allerdings eine ungewöhnliche Kombination von Symbolen, die allerdings von den Zeitgenossen leicht zu entziffern waren:  Hier steht der Adler für Kaiser Napoleon, der Schwan (Apollo) für Eugène.  In der Verbindung mit dem Adler verweist der Schwan als Symbol Apollos auf dessen Stellung als Sohn Jupiters von der Göttin Latona. Der Schwan symbolisiert im Kontext des Palais Beauharnais also keinenfalls nur das Symbol von Weiblichkeit und Eleganz, sondern ebenso das besondere Verhältnis von Stiefvater und Adoptivsohn und unterstreicht im ‚Grand Salon‘ Eugènes Stellung im Kaiserreich und seinen Anspruch auf die Thronfolge.“ (Meisterwerk, 240).    Der Dekor erlaubt also „eine politisch-dynastische Lesart“, die wahrscheinlich von Kaiserin Josephine selbst bestimmt wurde. (Palais, 52)

Dazu gehören natürlich die ägyptischen Motive, die auch in diesem Raum  nicht fehlen dürfen : Auch dieser Dekor „bekam im Umfeld Napoleons eine politische  Dimension, die den Anspruch Eugènes auf die Nachfolge  Napoleons unterstrich“. (Meisterwerk, 182).

In der Ornamentik des Raums war sogar schon vorsorglich der Platz für einen Thronsessel ausgespart!

Damit schließt sich ein Kreis: Beim Betreten des Palais Beauharnais  wurde der Besucher von der weiblichen Figur mit dem Kranich empfangen, einer Allegorie der Treue und Zuverlässigkeit, „was mit der Stellung Eugènes als Adoptivsohn von Napoleon und den ehrgeizigen Plänen von der Kaiserin Josephine, ihren Sohn als möglichen Thronfolger Napoleons zu sehen, übereinstimmt.“ (Palais, 42).   Hier im Festsaal der vier Jahreszeiten und damit am Ende des offiziellen Durchgangs wird noch einmal demonstrativ die erhoffte Rolle des Prinzen in Szene gesetzt.

Ein weiteres einzigartiges Empire-Ensemble ist das als Gesamtkunstwerk konzipierte Schlafzimmer des Prinzen Eugène mit dem Himmelbett und seinem an die Pariser Commune erinnernden Spiegel. (Siehe Bericht Teil 1).  „Es ist das einzige Beispiel eines am originalen Standort erhaltenen Prunkbettes in einem Pariser Stadtpalast des Empire.“ (Palais, 65)

Foto: Drouot Paris, Instagram

Überlegungen von französischer und deutscher Seite, die Einrichtung des Raumes in ein Pariser Museum oder als Schlafzimmer des Bundeskanzlers oder Bundespräsidenten nach Deutschland zu transferieren, wurden glücklicherweise nicht verwirklicht. (Meisterwerk, 300)

Abschluss und Höhepunkt einer Besichtigung des Palais Beauharnais ist der Besuch des Baderaums. Es ist das einzige erhaltene Bad aus der Zeit des Empire in Paris und ein „kostbares Dokument für eine Inneneinrichtung im Europa der Zeit um 1805. (Meisterwerk, 303)

Dazu gehört der mit seltenen Marmorsorten eingelegte Fußboden. Er zeigt nach römischem Vorbild die vom Stier entführte Europa, in den Seitenfeldern Delphine.

Foto: allemagnediplo (Instagram)

Das Bad ist mit einem Grundriss von 3,48 zu 2,80 m  sehr klein, aufgrund der raffiniert angebrachten Spiegel entsteht aber die Illusion von sich endlos wiederholenden Bildern. Wer in diesen Raum eintritt, wird damit Teil der Inszenierung und gewissermaßen selbst zum Hauptdarsteller.[17]

Foto: Instagram

Angrenzend an das Badezimmer liegt das Türkische Boudoir, das als Ruheraum diente und ebenfalls zum privaten Teil der repräsentativen  Wohnung des Prinzen Eugène gehörte. „Neben einem Divan im Alkoven bilden vier Sitzhocker und ein Konsoltisch die originale Ausstattung des Boudoirs, die in der Einfachheit ihrer Konstruktion den Eindruck von Bühnenmobiliar  vermitteln.“ (Palais, 69)

Schon vor der Revolution gab es in Frankreich eine Vorliebe für orientalisierende Boudoirs, die nach dem Ägyptenfeldzug Napoleons besonders befördert wurde. „Das Türkische Boudoir im Palais Beauharnais ist dabei in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Zunächst handelt es sich heute um das einzige erhaltene Beispiel der Orientmode aus den Jahren um 1804 in Paris. Darüber hinaus wurde das Thema des Orients hier mit einer intensiven Farbigkeit, stilisierten Blumendarstellungen und dem gemalten Fries unter der Decke neu interpretiert.“ (Meisterwerk, 311)

Der Fries unter der Decke stellt den Weg eines jungen Mädchens von ihrem Elternhaus in den Harem eines Paschas dar.

Hier wird sie auf dem Marktplatz verkauft.

                           Und hier eine Haremsszene mit ‚exotisch-pikantem Reiz‘ (Meisterwerk, 311)

Dieses orientalische Ambiente hat gerade im Hôtel Beauharnais eine besondere Bedeutung. Denn Eugène hatte während des Ägyptenfeldzugs „weitreichende Eindrücke über die Sitten und Bräuche im Orient sammeln können und im Rahmen einer militärischen Suchaktion in Kairo selbst einen Harem besucht. Daher ist es wohl einer der frühesten orientalischen Räume, dessen Auftraggeber sich auf eine persönlich erlebte Erfahrung im Orient berufen konnte.“ (Meisterwerk, 311)

Und insofern schließt sich auch hier ein Kreis: Man betritt des Palais Beauharnais durch den ägyptischen Portikus und man beendet den Rundgang mit dem Besuch des orientalischen Boudoirs.

Und damit fällt auch der Vorhang nach einer dreifachen glanzvollen Inszenierung:

  • einer Inszenierung von Räumen, von unterschiedlichen Bildern (tableaux), mit Hilfe von Licht und Farben, von kostbaren Stoffen und Materialien, von antiken und ägyptischen Motiven.
  • einer Inszenierung von Glanz und Größe, von der Macht des napoleonischen Reichs,  das dabei war, ganz Europa zu erobern. Dazu passt  auch der Raub Europas als Zentralmotiv in dem Badezimmer des Palais.
  • und schließlich eine Inszenierung des Hausherrn, Eugène von Beauharnais, der in drei Rollen präsentiert wird: als apollinischer  Musenfreund, als tapferer Soldat und Teilnehmer am Ägyptenfeldzug Bonapartes und als treuer Adoptivsohn Napoleons und damit als dessen potentieller kaiserlicher Nachfolger.

Besichtigung

Zweimal monatlich (außer Juli und August) gibt es ganz hervorragende Führungen durch das Palais, die im Allgemeinen von Francoise de Guilhermier-Jacquot, conférencière des Musées Nationaux, durchgeführt werden.

Reservierung unter:  https://service2.diplo.de/rktermin/extern/choose_category.do?locationCode=pari&realmId=425&categoryId=680&request_locale=fr

Dank

Wir danken Herrn Achim Holzenberger, dem früheren Leiter der Abteilung Presse/Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Botschaft, dass er uns die Möglichkeit für Fotoaufnahmen gegeben hat und uns dabei geduldig begleitete.

Verwendete Literatur

Jörg Ebeling, Ulrich Leben (Hg.), Ein Meisterwerk des Empire. Das Palais Beauharnais in Paris, Residenz des deutschen Botschafters. Tübingen: Wasmuth Verlag 2016.  Zitiert unter: Meisterwerk  (Siehe dazu: Ein Meisterwerk des Empire. Das Palais Beauharnais | DFK Paris (dfk-paris.org)

Jörg Ebeling und Ulrich Leben, Das Palais Beauharnais, die Residenz des deutschen Botschafters. Les Éditions du Palais 2022.  Zitiert unter: Palais

Jörg Ebeling, Die vier Jahreszeiten. https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/6289/1/Ebeling_Die_Vier_Jahreszeiten_2016.pdf  Originalveröffentlichung in: Bachtler, Monika ; Lindhorst, Susanne (Hrsgg.): Förderprojekte der Rudolf-August Oetker Stiftung 2013 bis 2015, München 2016, S. 150-151

Caroline van Eck/Miguel John Versluys, The Hôtel de Beauharnais in Paris: Egypt, Greece, Rome, and the Dynamics of Stylistic Transformation. In:  Katharine T. von Stackelberg (ed.)Elizabeth Macaulay-Lewis (ed.)  Housing the New Romans: Architectural Reception and Classical Style in the Modern World. Oxford University Press 2017. Zitiert  als:  Van Eck https://www.academia.edu/35255162/The_H%C3%B4tel_de_Beauharnais_in_Paris_Egypt_Greece_Rome_and_the_Dynamics_of_Stylistic_Transformation

Thomas W. Gaethgens, Ulrich Leben und Jörg Ebeling, Palais Beauharnais in Paris- zur historischen Ausstattung. In: Bau und Raum Jahrbuch 2004. Herausgegeben vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S. 82-91

Karl Hammer: Hôtel Beauharnais Paris. (Beihefte der Francia 13). München und Zürich:  Artemis  1983,  (Online: Hôtel Beauharnais Paris (perspectivia.net)

Claus von Kameke,  Palais Beauharnais. Die Residenz des deutschen Botschafters in Paris. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1968

Klaus-Henning von Krosigk, Der Garten des Palais Beauharnais. In: Bau und Raum Jahrbuch 2004. Herausgegeben vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S. 92- 95

Michael Moenninger,  Imperiale Wehmut.  Botschaften renovieren, Plätze ausgraben: Warum die Franzosen das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris so schätzen. DIE ZEIT, 10/2006 vom 2. März 2006

David Peyrat, A Paris, dans les secrets de l‘hôtel de Beauharnais, joyau unique du style Empire. Geo,  27/04/2022  https://www.geo.fr/histoire/a-paris-dans-les-secrets-de-lhotel-de-beauharnais-joyau-unique-du-style-empire-209533

Es gibt auch eine schöne Karambolage-Sendung über die Geschichte des Palais Beauharnais

auf youtube:  https://www.youtube.com/watch?v=M21uywo4k80


Anmerkungen

[1] Jörg Ebeling, Wissenschaftliche Bearbeitung des Palais Beauharnais   Wissenschaftliche Bearbeitung des Palais Beauharnais: Max Weber Stiftung

[2] Das ist das ehemalige Hôtel de Salm, in dem Eugène de Beauharnais zur Miete gewohnt hatte,  bevor er „sein“ hôtel  in der rue  de Lille erwarb.

[3] Zitiert in Ebeling/Leben, Das Palais Beauharnais, S. 9 Bei dem erwähnten Palais der Ehrenlegion in der rue de Lille handelt es sich um das Hôtel de  Salm, das nach der Guillotinierung des deutschen Prinzen von Salm in den  letzten  Tagen des jacobinischen  Terrors von Napoleon zum Sitz  der neu  geschaffenen Ehrenlegion umgewidmet wurde. Siehe dazu den  Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2016/07/01/der-cimetiere-de-picpus-ein-deutsch-franzoesischer-erinnerungsort/

[4] Michael Moenninger, DIE ZEIT 10/2006 vom 2. März 2006

[5] Alle Fotos dieses Beitrags -wenn nicht anders angegeben- von Frauke  und Wolf Jöckel.

[6] Siehe:

 Marie Beleyme, Le projekt de Bongniard (1813). In: Père-Lachaise 1804-1824. 7.5.2016  Le projet de Brongniart (1813) | Père-Lachaise: 1804-1824 (perelachaisehistoire.fr)

https://www.parismuseescollections.paris.fr/es/node/173314#infos-principales und

https://www.parismuseescollections.paris.fr/fr/musee-carnavalet/oeuvres/projet-d-obelisque-a-elever-sur-le-pont-neuf#infos-principales  Der Obelisk sollte an der Stelle errichtet werden, an der bis zu seiner Niederlegung in der Franzöischen Revolution das Reiterstandbild Henri Quatres stand. Das wurde dann nach dem Sturz Napoleons wieder errichtet. Mehr dazu in einem demnächst auf diesem Blog erscheinenden Beitrag über das Reiterstandbild auf dem Pont Neuf.

[7] Bei der Zuschreibung der Reliefs folge ich Ebeling/Leben, Meisterwerk des Empire, S. 23. Hammes sieht in ihnen dagegen „ägyptische Phantasiegottheiten“ (S. 62), von Eck/Versluys halten die Mut-Zuschreibung für ungesichert, und vermuten eher, dass  es sich weniger um eine ganz bestimmte Gottheit handelt, sondern eher um „Egypt in more general terms.“       

[8] Siehe van Eck:  „The Hôtel de Beauharnais thus operates as an immersive space, and the portico indicates this very clearly. Based on a the temple portico such as the one at Denderah, it acts (…) as a gateway that signals that the viewer is entering a fictional space…“  und „The sticks held by the two goddesses add to the ceremonial character of the portico; it is as if they are servants with torches inviting you in.“

[9] Foto: Instagram

[10] Meisterwerk des Empire, S. 268  Bild aus: http://passementeriedp.canalblog.com/archives/2019/10/28/37745729.html 

[11] Siehe den Abschnitt „Salon der Vier Jahreszeiten“ in Ebeling/Leben, Ein Meisterwerk des Empire, S. 240f und  Sidonie Lemeux Fraitot, Die malerische Ausstattung des  Palais Beauharnais, a.a.O., S. 89 f.

[12] Bild aus: http://passementeriedp.canalblog.com/archives/2019/10/28/37745729.html 

[13] Hammer, S. 83

[14] Van Eck. S.  67/68

[15] Hans Ottomeyer, Le Style Empire. Ideale Methoden und Ziele europäischer Innenarchitektur (1800-1814). In: Meisterwerk des Empire, S. 69/70

[16] Zitiert von Hans Ottomeyer in: Meisterwerk des Empire, S. 74

[17] Van Eck spricht von einem „illusionistic space“ und dem “ user of the room as the main actor“ (S.68) Nachfolgendes Foto aus Instagram

2 Gedanken zu “„Deutschlands schönstes Haus steht an der Seine“:  Das Palais Beauharnais in Paris (Teil 2)

  1. Arne

    Cher Wolf,

    Merci beaucoup pour tes récits bien documentés ! Cela augmente notre impatience, en septembre nous serons à nouveau à Paris pour quelques semaines. Nous verrons si nous pouvons obtenir un rendez-vous pour visiter l’hôtel Beauharnaise.
    Merci encore pour la belle visite guidée du Père-Lachaise l’année dernière !

    Tous nos vœux et nos meilleures salutations,

    Arne

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