Nach dem Pariser Street-Art – Überblick im ersten Beitrag der kleinen Street-Art-Reihe (open your eyes! Dezember 2017) möchte ich in drei nachfolgenden Beiträgen einige für mich besonders interessante Street-Art-Künstler vorstellen, hier zunächst Mosko, Jeff Aérosol und Jerôme Mesnager. Sie sind in Paris deutlich präsent und sie sind (inzwischen) auch so prominent, dass ihre Werke meist nicht mehr „ephemère“ sind, wie das ja eigentlich typisch für die Street- Art ist. Sie haben eigene websites, vermarkten ihre Arbeiten, sind in Ausstellungen vertreten und werden für Werbezwecke oder die Ausgestaltung des öffentlichen Raums engagiert. Sie sind aus Paris also nicht mehr wegzudenken. Wenn man durch die Stadt geht oder fährt, wird man immer wieder auf ihre Werke stoßen und sich über zufällige Begegnungen mit ihnen freuen. So geht es jedenfalls mir und vielleicht ja auch einigen Leser/innen dieser kleinen Street-Art-Serie, die zu dieser Entdeckerfreude beitragen möchte.
Mosko et associés
Schon seit Jahren haben wir Freude an den exotischen Tieren Moskos, mit denen die Ecole maternelle in der der Rue du Jourdain in Belleville gleich neben dem Haus unserer Freundin Marie-Christine verziert ist.
Rue du Jourdain (20e)
Den gleichen Tiger gibt es übrigens auch beim Kindergarten an der Square Henri-Cadiou im 13. Arrondissement- nur dass er diesmal in andere Richtung läuft und dazu noch auf einem Seil. Eine solche Reproduktion und Variation ist dank der Schablonen-Technik (pochoir), zu deren französischen Pionieren Mosko gehört, einfach herzustellen.
Vor allem sind es Tiger, Giraffe, Zebra und Schmetterlinge, die Mosko et associés mit ihren Schablonen und bunten Farben an die Wände von Schulen, Geschäften und Privathäusern auftragen, wobei das Logo Mosko et associés nie fehlt. Der Name Mosko ist abgeleitet von dem quartier de la Moskova (18. Arrondissement), aus dem die beiden Straßenkünstler Gérard Laux und Michel Allemand stammen.
Im letzten Jahr habe ich während der französischen Sommerferien entdeckt, dass das in dieser Zeit geschlossene Rollgitter des deutsch-französischen Café Titon in der Nähe unserer damaligen Wohnung auch von Mosko gestaltet ist- natürlich mit Tiger. Solche kleinen Entdeckungen freuen mich immer sehr. Street- Art- Künstler erhalten übrigens nach meinen Beobachtungen öfters den Auftrag, Rollgitter zu bemalen: ein kleiner Trost für Gäste oder Kunden, die enttäuscht vor einer geschlossenen Tür stehen.
Oft –und vor allem in den Anfängen seit 1989/1990- brachten Mosko und associés ihre Wandbilder in heruntergekommenen Gegenden vor allem des 18., 19. und 20. Arrondissements an zugemauerten Türen und Fenstern und halb verfallenen Wänden an: Sie verstehen sich als „embellisseurs du cadre de vie“. Schönheit, Freude und Leben sollten dahin gebracht werden, wo es Dreck, Dunkelheit und Ruinen gibt.[1]
Zwei schöne Beispiele dafür sind die Giraffen am foyer de jeunes travailleurs in der rue Daubenton (5. Arrondissement) und der eindrucksvolle Tiger in der rue du Retrait (20. Arrondissement). Mit dem Aufkleber auf der rechten Seite wird übrigens gegen das (inzwischen beendete) Projekt des Baus eines Großflughafens bei Nantes (Notre- Dame-des- Landes) protestiert.
Auch die Giraffen und Schmetterlinge, die wir auf unserem Weg zu den mursv à pêches in Montreuil entdeckt haben, (rue Gaston Monmousseau), bringen etwas Farbe und Leben in ein wenig anheimelndes Viertel.
Schön ist auch die Bemalung des Eingangs des Restaurants HAΪ KAĬ am Canal Saint Martin (Quai de Jemmapes), einem Zentrum des „hippen Paris“. (2) Danach würde man wohl eher eine exotische Küche erwarten. Angeboten wird hier aber nach eigener Präsentation eine französische haute cuisine mit, so jedenfalls Michelin, „un véritable antre bobo-chic“ im Innern. Und dazu passen die Tiere Moskos wohl auch…
Jef Aérosol
Jean-François Perroy, alias Jef Aérosol (Aérosol= Sprühlack), ist sicherlich einer der bekanntesten Street-Art-Künstler in Paris und „ein Protagonist der urspünglichen französischen pochoir-Bewegung“. 1987 wurde er in der ersten Publikation über diese neue Kunstform berücksichtigt, und in der Urban-Art-Bienale in der Völklinger Hütte 2017 ist/war er gleich mit mehreren Arbeiten vertreten. (3]
Er ist der Schöpfer des Wandbilds an der Place Stravinsky zwischen dem Centre Pompidou und der gotischen Kirche Saint-Merri am Brunnen von Niki de Saint-Phalle und Jean Tinguely: Quel honneur!
Es handelt sich um ein Selbstportrait des Künstlers mit dem Titel „chuuuttt!!!“, ein Auftragswerk des Centre Pompidou und mit seinen 350 qm² eines der größten Wandbilder der Welt.[4]
Aber natürlich ist Jef Aérosol auch an anderen Stellen der Stadt präsent, so in dem Viertel la butte aux cailles (13. Arrondissement), das in ganz besonderer Weise von der street art geprägt ist.
Hier kann man in der Passage du moulin des prés den tanzenden Flötisten sehen (Februar 2019) und an anderer Stelle den Akkordeon spielenden Jungen. Zu beiden passt der schöne Titel in Rot: La musique adoucit les murs. Nicht fehlen darf bei Jef Aérosol der rote Pfeil, sein Markenzeichen. Während die Musik die Wand in der rue de la butte aux cailles schmückt, gehört der Boden darunter den Ratten. Die sehen zwar ganz possierlich aus, sind aber in Paris derzeit eine große Plage. Wir konnten sie schon nachts auf dem Vorplatz von Notre Dame beobachten, als sie sich ungeniert über die dort aufgestellten Abfallsäcke hermachten. Zwar hat jetzt die Stadt Paris eine große „dératification“- Kampagne gestartet, aber der Erfolg scheint keineswegs durchschlagend zu sein.
Den jungen Akkordeonisten sieht man übrigens auch auf einem der bekanntesten Werke Jef Aérosols, der Fassade eines Hauses in Fâches-Thumesnil an der belgischen Grenze.[5) Ein Foto dieser Fassade hat es sogar einmal geschafft, in den –leider inzwischen nicht mehr existierenden- Abreißkalender des Taschen-Verlags aufgenommen zu werden:
Den links unten auf der Fassade zu sehenden sitzenden traurigen Jungen gibt es auch an mehreren Stellen in Paris zu sehen, zum Beispiel in der Rue du Père Teilhard de Chardin (5. Arrondissement) oder in der Passage du Moulin des Prés. Und dann auf dem weiter unten zu sehenden Gemeinschaftsplakat von Mesnager, Jef Aérosol und Mosko in der Rue Biot.[6] Und in der Rue Biot nahe an der Place de Clichy, von der noch weiter unten die Rede ist, gibt es einen sitzenden Mann Jef Aérosols: Die Anbetung der Heiligen Dreifaltigkeit von Pfund, Dollar und Euro.
Jerôme Mesnager
Auch Jerôme Mesnager, der 2018 auf einer Kunstausstellung im Rathaus des 8. Arrondussements als „Pionier der französischen Street-Art“ vorgestellt wurde, hat eine ganz eigene unverkennbare „Handschrift“: Es sind seine weißen Männer, die man vor allem im Osten von Paris findet, am auffälligsten in Ménilmontant, im 19. und 20. Arrondissement.
Als Geburtsdatum des „homme blanc“ wird der 16. Januar 1983 genannt. Angeblich habe sich da der damalige Kunststudent Mesnager in angeheitertem Zustand mit seinen Kumpeln nackt ausgezogen, mit weißer Farbe bestrichen und an eine Wand gestellt- das sei der Ursprung seiner Figuren. Wie auch immer: Inzwischen sind sie aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Und als ich einmal nach einem Fahrradunfall das Krankenhaus St. Antoine aufsuchen musste, stellte ich fest, dass die Flure von Mesnager ausgemalt waren und ich habe gehofft, dass ich auch bald wieder so würde herumspringen können wie seine weißen Männer: Immerhin werden sie von ihrem Schöpfer ja auch verstanden als „un symbole de lumière, de force et de paix“.[7] Und gleichzeitig habe ich dort die erste Mesnager-Frau entdeckt – eine, wie ich finde, schöne Variation der sonst doch immer arg stereotypen männlichen Gestalten.
Mesnager hat inzwischen –auch international- Karriere gemacht.Er wird mit eigenen Ausstellungen gewürdigt, beispielsweise 2014 mit einer Ausstellung in einer Galerie im Marais. Die unten rechts abgebildete Druckplatte gefiel uns so gut, dass wir sie gerne gekauft hätten. Aber da waren uns andere schon zuvorgekommen.
Wie das Beispiel des St.Antoine-Krankenhauses schon gezeigt hat, bekommt Mesnager inzwischen offizielle und sicherlich lukrative Aufträge.
Baustelle in der rue Charonne neben dem Palais de la Femme im 11. Arrondissement . Auch am Neubau war Mesnager am Werk
Firmenschild in der noblen Avenue F.D. Roosevelt
Eine besondere Auszeichnung bedeutete es sicherlich auch, dass Mesnager an dem großen Projekt quai 36, der Ausgestaltung der Wand am Bahnsteig 36 des Pariser Gare du Nord teilnehmen konnte. Seinen Beitrag verstand er als hommage an Fritz Lang (Metropolis) und Charly Chaplin (Modern Times): Es geht um die Möglichkeit, die Zeit anzuhalten, in der -gerade auch für einen Bahnhof typischen Hektik- einmal innezuhalten – zum Beispiel auch, um sich die vielen interessanten Street-Art-Arbeiten an dem Bahnsteig 36 anzusehen. (7a)
Eine besonders bekannte Auftragsarbeit von Jerôme Mesnager ist die Gestaltung der Wand eines Schulhofs in der Rue Bouret im 19. Arrondissement.
Die Motive sind passend zu einer Schule gewählt…
… dass auch Georg, der Drachentöter, dabei ist, beruht auf dem Namen der privaten Schule, die nach diesem Heiligen benannt ist.
Aber es gibt auch nach wie vor weiße Männer als ephemere Produkte in der alten Tradition der Street-Art wie hier am Bassin de la Vilette.
Und man muss nicht in eine noble Gelerie im Marais gehen, um „einen Mesnager“ zu kaufen, sondern kann auch schon auf dem populären Marché d’Aligre im 12. Arrondissement fündig werden.
400 Euro wollte der Händler für das weiße Liebespaar haben….
Jerôme Mesnager zu Zeiten von Corona: Dieses Bild veröffentlichte die Zeitung Le Parisien am 21. Dezember 2020 zur Illustration eines Beitrags über die geschlossenen Restaurants…. Eine schöne Gegenüberstellung der traurigen Realität und dem, wie es einmal war und hoffentlich auch bald wieder sein wird….
Diese beiden Bilder habe ich im September 2021 gemacht: Da wird wieder gesprungen und getanzt…. (großformatige Werbeschilder für eine Ausstellung im Faubourg Saint-Honoré.)
Gemeinschaftsarbeiten
Besonders schön finde ich es, dass Jerôme Mesnager auch viel mit anderen Street-Art-Künstlern zusammenarbeitet:
Zum Beispiel an der Place de Contrescarpe mit Seth, den wir schon vom Belvedere von Belleville her kennen….
… oder mit dem auch aus Belleville bekannten Nemo –unverkennbar mit dem roten Regenschirm und dem Koffer- im 5. Arrondissement…
und mit Mosko und Jeff Aerosol, wie hier in der Rue Biot an der Placy Clichy- einmal an einer Hauswand und dann auf einem Transparent an der gegenüber liegenden music-hall L’Européen.[8]
Im nächsten Beitrag zur Pariser Street-Art wird es dann um den Invader gehen, einen der ersten und bekannteten Vertreter der Szene, hat er doch in den Straßen von Paris schon über 1000 seiner Produktionen angebracht…
Anmerkungen:
[1] https://www.urbacolors.com/fr/artist/mosko-et-associes
[3] https://fr.wikipedia.org/wiki/Jef_A%C3%A9rosol Der deutsche Wikipedia-Artikel über Jef Aérosol ist ausgesprochen dürftig.
Website von Jef Aérosol: https://www.jefaerosol.com/ Dort auch Link zu einem Interview, das france inter mit ihm geführt hat.
Nicolas Devil, Marie-Pierre Massé, Josiane Pinet, vite fait bien fait. Éditions alternatives 1987
[4] http://www.artistikrezo.com/201105246779/actualites/street-art/chuuutttt-by-jef-aerosol-place-stravinski.html
[5] https://www.flickr.com/photos/jefaerosol/albums/72157615765606580
[6] https://murmuresdemurs.wordpress.com/category/artistes/i-j/jef-aerosol-i-j-artistes/page/2/
[7] https://fr.wikipedia.org/wiki/J%C3%A9r%C3%B4me_Mesnager
siehe auch: http://www.parisladouce.com/2013/11/street-art-promenade-sur-les-pas-de.html
(7a) http://jeromemesnager.com/quai-36-gare-du-nord/
[8] https://www.flickr.com/photos/jefaerosol/albums/72157600611794569 https://lapartmanquante.wordpress.com/2013/03/18/street-art-du-cote-de-la-place-de-clichy/
Weitere Beiträge zur Street – Art in Paris auf diesem Blog:
- Open your eyes, Street-Art in Paris 1, Einführung und Überblick (Dezember 2017) https://paris-blog.org/2017/12/01/open-your-eyes-street-art-in-paris-1/
- Jeff Aerosol, Jerôme Mesnager und Mosko (Street-Art in Paris 2) https://paris-blog.org/2018/06/01/street-art-in-paris-2-mosko-jef-aerosol-und-jerome-mesnager/
- Der Invader (Street-Art in Paris 3) https://paris-blog.org/2018/10/01/street-art-in-paris-3-der-invader/
- Monsieur Chat, Miss Tic und Fred le Chevalier (Street-Art in Paris 4) https://paris-blog.org/2019/02/01/street-art-in-paris-4-monsieur-chat-miss-tic-und-fred-le-chevalier/
- Gare du Nord, Quai 36 (Street-Art in Paris 5) : https://paris-blog.org/2020/04/08/street-art-in-paris-5-gare-du-nord-quai-36/
Zur Street-Art siehe auch die Beiträge zu folgenden Stadtvierteln:
- Das multikulturelle, aufsässige und kreative Belleville: Modell oder Mythos? https://paris-blog.org/2016/07/18/das-multikulturelle-aufsaessige-und-kreative-belleville-modell-oder-mythos/
- La Goutte d’Or https://paris-blog.org/2016/05/30/la-goutte-dor-oder-klein-afrika-in-paris/
- La Butte aux Cailles https://paris-blog.org/2019/07/01/la-butte-aux-cailles-ein-kleinstaedtisches-idyll-in-paris/
- Das Marais (1): https://paris-blog.org/2020/04/20/grosse-maenner-und-frauen-des-marais-eine-ortsbesichtigung-anhand-der-portraits-des-street-art-kuenstlers-c-215-teil-1-grosse-maenner/
- Das Marais (2): https://paris-blog.org/2020/05/10/grosse-maenner-und-frauen-des-marais-eine-ortsbesichtigung-anhand-der-portraits-des-street-art-kuenstlers-c-215-teil-2-grosse-frauen/
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