11.2.2023: noch eine Rentendemonstration in Paris: Straßenfest und Gewalt

Eigentlich war dieser Demonstrationsbericht nicht geplant. Vor ein paar Tagen gab es ja schon eine Bilderstrecke zu der Rentendemonstration vom 31.1. Die gestrige Demonstration nahm aber, soweit ich das mitbekommen habe, einen ganz anderen Verlauf: Zunächst eine friedliche, teilweise geradezu fröhliche Demonstration mit Luftballons und Musik; dann ein Ausbruch von Gewalt, der mich völlig unvorbereitet traf und den ich aus nächster Nähe miterleben musste; und schließlich die Fortsetzung der Demonstration mit friedlichen Mitteln und die routinierten Aufräumungsarbeiten.

Da kann ich dann doch nicht widerstehen, einige meiner Fotos nachfolgend zusammenzustellen.

Vorspiel: Ein massives Polizeiaufgebot

Diesmal verlief die Demonstrationsroute auf dem „klassischen“ Parcours, dem boulevard Voltaire zwischen place de la République und place de la Nation. Auffällig war die massive Konzentration von Polizeikräften in den Nachbarstraßen.

… hier mit einem typischen Werk des Straßenkünstlers Fred le Chevalier…

Aber auch auf dem boulevard Voltaire waren massive Polizeikräfte aufgeboten: Die Erfahrung mit der gewaltsamen Maidemonstration 2022 auf dem selben Parcours haben dabei sicherlich eine Rolle gespielt.

Hier sind Polizisten auf dem boulevard Voltaire vor „unserer“ Versicherung positiert, die vorsorglich die eisernen Rolläden heruntergelassen hat.

Auch die Bankfilialen auf dem Boulevard Voltaire haben sich vorbereitet und sind besonders bewacht.

Eine friedliche Demonstration, fast wie Karneval

Als ich schließlich an dem martialischen Polizeiaufgebot vorbei zum Demonstrationszug vorgestoßen war, war ich beeindruckt von dem friedlichen Strom der Demonstranten.

Demonstrationsteilnehmer vor dem Rathaus des 11. Arrondissements, place Voltaire/Léon Blum

„Eine andere Welt ist möglich“

Ein Angebot: zwei Lithographien gegen zwei Jahre weniger Arbeit…

Pariser Museen: wir haben keine Minute zu verlieren. Das Personal des Louvre hatte schon mit einer spektakulären Aktion vor dem Revolutionsbild von Delacroix auf sich aufmerksam gemacht, wie das nachfolgende Bild zeigt, das uns eine Pariser Freundin geschickt hat.

Länger arbeiten: Nein!!

Auch diesmal war wieder das Théâtre du Soleil dabei: Mit einer Justitia mit Waage und Schwert und sogar einem klassischen Zitat.

„Lourde est la profération coléreuse des citoyens. Il faut payer le prix de la malédition populaire“.

„Gewaltig ist die lautwerdende Wut der Bürger.

Euch wird der Fluch des Volkes treffen“

Die Rente vor der Arthrose!

Dass die Rente mit 64 den direkten Übergang vom Arbeitsleben in Krankheit (Asthma, Rheuma, Krebs etc) und Tod bedeuten würde, gehört wohl zum Allgemeingut der Rentendemonstrationen.

Bis 67 unterrichten? Die Antwort: statt yes we can! : yes, we canne! (canne ist das französische Wort für Stock)

Die Fabrik, ein Schritt zum Grab. Und passend daneben das Stundenglas….

Es ist besser, in Rente zu gehen, wenn man noch lebt!

Metro- Arbeit- Grab: Eine Abwandlung des klassischen Slogans: Metro- Boulot- dodo (Schlaf) . Als älterer Herr, der seit einigen Jahren sein -natürlich nicht schon mit 64 Jahren begonnenes- Rentnerdasein in vollen Zügen genießt, fühlt man sich da schon fast fehl am Platz…..

Am Ziel der Demonstration, der place de la République, wartet man schon an der Statue von Dalou auf den Demonstrationszug. Im Hintergrund die Säulen eines Durchgangs durch die ehemalige Zollmauer, die Paris bis zur Französischen Revolution umgab.

Der Ausbruch der Gewalt – aber nicht aus ganz heiterem Himmel…

Dass es bei der Demonstration zu einem Ausbruch von Gewalt kommen könnte, kam für mich überraschend, aber doch nicht aus heiterem Himmel. Immerhin hatten wir ja die Scherbenhaufen im boulevard Voltaire nach der Maidemonstration von 2022 gesehen. Ein Warnzeichen war auch der massive Polizeiansatz, den es nach meiner Beobachtung bei der Demonstration vom 31. Januar in diesem Ausmaß überhaupt nicht gegeben hatte. Er konnte darauf hindeuten, dass die Polizei Informationen über die Beteiligung gewaltbereiter Gruppen an der Demonstration hatte.

Und dann gab es diesmal -wie auch schon am 31. Januar- im Vorfeld, am Rande und innerhalb der noch friedlichen Demonstration zahlreiche Hinweise auf potentielle Gewalt.

Darman (gemeint ist damit sicherlich der Innenminister Darmanin) auf den Scheiterhaufen. Boulevard Voltaire

So auch die brennenden oder umstürzenden Polizeiautos an Wänden des Viertels:

Parole auf dem Sockel der Juli-Säule: Gemeint ist damit der in den Demonstrationszügen gerne mit Ludwig XIV. verglichene Präsident Macron

Ein unmissverständliches Wortspiel: Borne ist die französische Ministerpräsidentin…

Ein blutunterlaufener Macron: Sie sollen nur kommen!

Ein Aufruf zur Zerstörung

Der Kopf Macrons auf einem zur Pike umfunktionierten Mast. Das erinnert an die während der Französischen Revolution aufgespießten Köpfe von Adligen…. Da fielen mir auch schon die vielen schwarzen Mützen und Kappen in meiner Umgebung auf.

In der Nähe stieg Rauch auf, was nicht Gutes verhieß.

Dann zerbarsten auch schon die ersten -nicht verrammelten- Fensterscheiben

Der „schwarze Block“ hatte die Demonstration übernommen….

Abfallbehälterr wurden angezündet und ein unvorsichtiger Weise noch im boulevard geparkter Kleinwegen unter lautstarken Anfeuerungsrufen umgestürzt. Es gab auch Pfiffe, aber ob es sich dabei um Missfallenskundgebungen handelte, konnte ich nicht feststellen.

Ich wunderte mich etwas, warum es so lange dauerte, bis die doch so stark mobilisierte Polizei eingriff.

Aber schließlich dann doch. Und es gab nun auch plötzlich schwarze Schilder, die ich vorher nicht gesehen hatte: Die Straße wird nicht zurückweichen

Glascontainer wurden umgestürzt und die Flaschen als Munition gegen die anrückende Polizei, aber auch gegen friedliche Demonstranten eingesetzt. Die Polizei antwortete mit Tränengas…

Ein netter Mensch reichte mir ein Fläschen für die Augen – vielleicht war es sogar einer vom schwarzen Block, der etwas Mitleid mit dem älteren Herrn hatte, der da unfreiwillig in ihre Mitte geraten war….

Ich war jedenfalls heilfroh, dass ich mich schließlich aus dem Gewühl und den wild umherfliegenden Glasflaschen befreien konnte.

Blick von unserer sicheren Terrasse aus….

Nachlese

Die Demonstration ging dann aber offenbar noch weiter und auf der Place de la République fand die vorgesehene Abschlusskundgebung statt. Ich habe aber darauf verzichtet, dort hinzugehen.

Einen Blick auf den benachbarten boulevard Voltaire habe ich dann aber doch geworfen.

„Das Volk hungert nach Revolte“

Die Demonstration geht weiter….

Es gibt zu viele Ziele auf diesem Weg

Eine zerstörte Bushaltestelle

..Direkt nach den letzten Demonstranten rücken schon die Reinigungskolonnen an.

Und nebenan sitzen auch schon wieder die Leute in den Bars und profitieren von der happy hour mit den herabgesetzten Preisen.

In den Abendnachrichten von France 2 TV wird nach dem Aufmacher, einem ausführlichen Bericht über das Rugby-Spiel zwischen Frankreich und Irland (der ersten französischen Niederlage seit längerer Zeit!), auch über die Demonstrationen gegen die Rentenreform berichtet. Der Gewaltausbruch wird gewissermaßen in einem Nebensatz erwähnt: Eine ganz normale Demonstration eben…

Eingestellt am 12.2.2023

4 Gedanken zu “11.2.2023: noch eine Rentendemonstration in Paris: Straßenfest und Gewalt

  1. Doris Stein

    … irgendwie wirkt das, als hätten die Franzosen einfach Spaß an
    Prügeleien mit der Polizei. Es erinnert mich an Szenen, wenn Vito einen
    Baukötzchen-Turm umschmeißt mit wildem Geschrei …

    Ich freu mich derweil über sonnige friedliche Vorfrühlingstage in
    Frankfurt – werde aber am Freitag in Berlin auf die
    Ukraine-Demonstration gehen – die höchstwahrscheinlich unspektakulärer
    sein wird, aber hoffentlich sehr sehr sehr groß.

    Herzlichst

    Doris

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  2. Jürgen Scheller

    Cher collègue,
    Danke für diese Impressionen aus Paris, das für insgesamt 7 Jahre unsere zweite Heimat war. Ich bin vor einiger Zeit im zarten Alter von 66 Jahren in den Ruhestand getreten und verstehe Frankreich nur teilweise! Sympathie habe ich für alle, die sich in den Fabriken und bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten die Knochen ruinieren. Aber weniger Sympathien habe ich für den Büromenschen mit leichterer Tätigkeit, der durchaus ein wenig länger das Rentensystem alimentieren könnte. In Österreich hat man das durch eine sog. Hackler-Regelung (Schwerarbeiter) gelöst. Auch bei uns gibt es ähnliche Ansätze. Dass man nicht mit Abschlägen in die Rente gehen will, kann ich angesichts der hohen Lebenshaltungskosten verstehen. Aber lösbar wäre dieses Dilemma schon durch eine intelligente Regelung im Ererb von „Pensionierungspunkten“ unter Berücksichtigung der jeweiligen Tätigkeiten; damit würde man auch die Erwerbsdauer entsprechend korrigieren können, wenn ein Schwerarbeiter stärker gewichtete Punkte erreicht als etwa ein Mitarbeiter einer Versicherung (im Innendienst). „Mais comment rassembler un peuple qui connait déjà 365 sortes de fromages?“ (Charles de Gaulle)

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