Sommer in Paris: Schwimmen im Bassin de la Villette, in der Marne und auf/in der Seine (2017, ergänzt 2023)

Paris im Sommer ist nicht jedermanns Sache: Es ist oft  heiß, manchmal auch drückend heiß und stickig, mit entsprechenden ungesunden Begleiterscheinungen: hohen Ozon- und Feinstaub-Werten; das wirtschaftliche und kulturelle Leben verläuft auf Sparflamme. Oper und Theater machen Sommerpause.  Bei vielen Geschäften sind die Rollgitter heruntergezogen und ein Schild informiert über die –meist mehrwöchige- Dauer des „congé annuelle“.  Wer es sich leisten kann, fährt in Urlaub, viele Pariser  in das  Sommerhaus auf dem Land oder am Meer.

Für die zu Hause Gebliebenen und die Touristen gibt es immerhin ein spezielles Sommerprogramm mit vielen kulturellen Angeboten zum; Beispiel musikalischen Festivals wie dem Jazz-Festival im Parc Floral in Vincennes, gefolgt von dem Festival Classique Au Vert am gleichen Ort, dem Jazz-Festival auf der Esplanade de La Défense, dem Festival Rock  en Seine in der Domaine National du Parc de Saint-Cloud, dem Festival Chopin im Park La Bagatelle und, und, und…. Besonders schön ist, dass hochkarätige Gruppen, die zu sehen bzw. zu hören im Allgemeinen einiges Geld kostet,  teilweise auch kostenlos in Pariser Parks auftreten; beispielsweise im Jardin du Luxembourg  oder im Parc de Belleville im 20. Arrondissement, den wir besonders lieben, weil man von dort aus einen wunderbaren Blick über Paris hat. Man kann sich eigentlich jeden Tag aussuchen, worauf man Lust hat.  Und dann gibt es ja auch noch Paris-Plages!  Zentrum dieser schon traditionellen Einrichtung waren die beiden für die Zeit dieser Veranstaltung für den Autoverkehr gesperrten Stadtautobahnen nördlich und südlich der Seine.

Mit Hilfe von 3000 Tonnen Sand erhielten sie ein entsprechendes Strand-Ambiente mit Liegen, Sonnenschirmen, Bars und Freizeitangeboten. Inzwischen sind die beiden  Schnellstraßen dauerhaft geschlossen, was die Außergewöhnlichkeit von Paris-Plages an diesen Stellen etwas mindert.  Und, „grand choc!“, den Sand gibt es nicht mehr. Aber in gewissser Weise herrscht jetzt während der gesamten schönen Jahreszeit etwas Paris-Plage-Atmosphäre. [1]

Paris Plages August 2012 und Baustelle Voie Pompidou 007

Er  ist  in Verruf geraten, weil er von der Firma Lafargue  geliefert wurde, von der man inzwischen weiß, dass sie dem IS Schutzgelder bezahlte, um ihr in dessen Aktionsradius liegendes syrisches Zementwerke ungestört weiterbetreiben zu können. Die Pariser Stadtverwaltung hat daraufhin die Zusammenarbeit mit  LafargueHolzim, dem „leader mondial du matériel de construction“, abgebrochen. Das Fass zum Überlaufen brachte, dass  dieser weltgrößte Zementproduzent auch noch mit einer Beteiligung an dem Mauerbauprojekt Trumps liebäugelte.[2]

Und es gibt noch einen speziellen neuen Paris-Plage-Standort, nämlich das Bassin de la Villette.

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Schwimmen im Bassin de la Villette

Dort wurde nämlich als absolute Neuheit für Paris-Plages 2017 ein Schwimmbad installiert, das La Baignade,  das vom 15. Juli bis zum 15. September täglich von 11 bis 21 Uhr geöffnet ist.  (2a)

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Jedenfalls soll das so sein, wenn nicht….  Zwar wurden nämlich, wie der Pariser Sportbürgermeister Jean-Francois Martins beteuerte, die Grenzwerte für die bakterielle Belastung des Bassins seit zwei Jahren eingehalten, aber dann musste es doch nach einigen Tagen schon wieder  für den Badebetrieb geschlossen werden…. (Le Parisien, 25.7.) Aber das war immerhin nur vorübergehend und soll, falls es nicht erneut starke Regenfälle gibt, auch so bleiben. Und es soll wohl auch eine Dauereinrichtung für die Sommerzeit der nächsten Jahre werden.

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Insgesamt hat das Schwimmbecken eine Länge von 100 Metern und ist dreigeteilt je nach Tiefe: Ein Planschbecken von 40 cm Tiefe (siehe Foto), ein weiteres von 1,20 Metern Tiefe und für die Schwimmer gibt es ein 50-Meter-Becken, das  2 Meter tief ist und das  selbst bei schönstem Wetter eher mäßig frequentiert ist.

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Bei schönem Wetter ist allerdings der Andrang der Schwimmbadgäste groß, da muss man eventuell am Eingang etwas warten, weil eine Gesamtzahl von jeweils 500 Besuchern nicht überschritten werden soll.

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Dafür wird es abends ruhig, allerdings kann es dann passieren, dass man nicht mehr eingelassen  wird, wenn die Gesamtzahl der Besucher an diesem Tag schon die 2000 erreicht hat. Wenn man aber schon drinnen ist, kann es sein, dass man das große Schwimmbecken ganz  für sich alleine hat….

Es gibt am Rand Duschen, Umkleidekabinen und Toiletten. Und wenn man Glück hat, findet man auch noch einen freien Liegestuhl.

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Insgesamt eine echte Bereicherung des Bade-Angebots der Stadt Paris – und das auch noch kostenlos.

Zum Abschluss von Paris Plages am 3. September 2017 gibt es übrigens noch einmal eine größere Schwimmveranstaltung im Bassin de la Villlette: La fluctuat – eine Anspielung an den Wappenspruch von Paris: Fluctuat nec mergitur. Leider sind wir an diesem Tag nicht in Paris, sonst hätte ich an dem für jedermann offenen Rundkurs über 1,25 km sicherlich teilgenommen.

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An diesem Ort zu baden bzw. zu schwimmen, hat für mich einen besonderen Reiz, denn man befindet sich hier an einem historisch ganz herausragenden Ort: Das Bassin de la Villette geht immerhin zurück auf Napoleon Bonaparte, der am 28. Mai 1802 folgendes Gesetz proklamierte:

«Il sera ouvert un canal de dérivation de la rivière d’Ourcq ; elle sera amenée à Paris, à un bassin près de la Villette.[…]»  (Es wird ein Kanal eröffnet, der Wasser vom Fluss Ourcq abzweigt und Paris zuführt, in ein Bassin bei La Villette.)[3]  Im Invalidendom, der Grabstätte Napoleons, wird der Kanal ausdrücklich unter den Infrastrukturmaßnahmen aufgeführt, die initiiert zu haben sich Napoleon gerühmt hat.[4] Für den Bau des Kanals benötigte man natürlich eine große Zahl von Arbeitskräften – und das ausgerechnet in Kriegszeiten.  Aber nach den Siegen von Austerlitz und Jena/Auerstedt über Österreicher und Preußen gab es ja genug Kriegsgefangene.[5]  Insofern  ist das Bassin de la Villette gewissermaßen ein deutsch-französisches Gemeinschaftswerk der besonderen Art….

Ziel des Kanalbaus war eine Verbesserung der (Trink-)Wasserversorgung der Stadt. Das 700 mal 70 Meter große und zwei Meter tiefe Bassin diente also als Frischwasserreservoir für die Bevölkerung von Paris. Am 2. Dezember 1808 wurde das Bassin eingeweiht „und galt bald  als kleines Venedig von Paris.“[5] Seine mit Alleen  geschmückten  Ufer wurden zu einem bevorzugten Ort der Pariser zum Spazierengehen und zum Ausgehen: In der Umgebung eröffneten einige Guinguettes, also Landgasthöfe, in denen man preiswerten Wein trinken konnte. Denn das Bassin lag bis 1860 außerhalb der Zollmauern von Paris, an denen für die nach Paris eingeführten Grundnahrungsmittel wie Salz und – wir sind in Frankreich- natürlich auch Wein Zoll erhoben wurde.

Ein Rest dieser Paris umgebenden Zollmauer, der mur des fermiers généraux, ist die klassizistische Rotonde  de la Villette, an deren Achse das Bassin ausgerichtet wurde, wie der historische Stich zeigt. Von dieser bei den Parisern verhassten Zollmauer ist nur wenig erhalten. Ein Glück, dass immerhin die Rotonde de la Villette nicht dem Zorn der Bevölkerung und der Spitzhacke zum Opfer gefallen ist. Ihr Aussehen entspricht ja immerhin auch ganz und gar nicht dem, was man von einer Zollstation erwartet, sie bildet mit dem Bassin eine harmonische Einheit und ihr Schöpfer ist der Architekt Claude-Nicolas Ledoux, einer der herausragenden  und einflussreichsten Architekten seiner Zeit.[6]

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Im Zuge der Industriellen Revolution  entwickelte sich das über den Canal St. Martin und den Canal St. Denis an die Seine angeschlossene  Bassin de la Villette zu einem der größten Häfen Frankreichs.[7]

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Der Hafen von La Villette, aufgenommen zwischen 1905 und 1910. Aus einer Informationstafel am Zaun von La Baignade

Ein zweites großes Hafenbecken wurde gebaut, Lagerhallen entstanden, der große Schlachthof von La Villette versorgte die ständig zunehmende Pariser Bevölkerung mit Fleisch. An diese Vergangenheit erinnert heute nur noch wenig: Stattdessen ist das Bassin de la Villette wieder ein Ausflugsziel wie früher einmal: Die Rotonde ist nicht mehr Zollstation, sondern ein Bistro, eine der alten Lagerhallen ist ein Haus für Pop-Konzerte, unter den Baumreihen kann man Boule spielen, am Rand des Kanals picknicken, es gibt rechts und links des Bassins große Kinos, am oberen Rand –am Wasser gelegen- Restaurants…  Und jetzt kann man im Sommer sogar im Bassin schwimmen!

Praktische Informationen:

Métro Stationen Jaurès oder Stalingrad auf den Linien 2, 5 oder 7.   Das Schwimmbecken befindet sich Quai  de la Loire, auf der östlichen Seite des Bassin de la Villette.

 

Schwimmen in der Marne  

Eine –zumal zeitlich nicht auf einen Monat begrenzte- Alternative zum Bad im Bassin de la Villette ist die Marne. Die Marne war ja für bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein beliebter Badeort für Anwohner und Pariser Ausflügler. Auf den letzten 25 Kilometern der Marne bis zu ihrer Mündung in die Seine, also im Einzugsbereich von Paris, gab es bis 1970, als das Baden im Fluss verboten wurde, nicht weniger als 24 offizielle Badegelegenheiten. Das Strandbad in Gournay hieß sogar wegen seiner berühmten blau-weißen Badekabinen „Le Petit Deauville“ oder „Deauville parisien“- immerhin ist es Luftlinie nur 18 Kilometer von Notre Dame entfernt. (7a) Joinville mit seinem Bad war ein besonders beliebtes und sogar in einem populären Lied besungenes Ausflugsziel für die Pariser.  Eine Zeile des Liedes bezieht sich ausdrücklich auf die Schwimmer in der Marne:

„Et dans la Marn‘ y’a des baigneurs“[8]

Joinville Marne Okt 09 004

Auch das Plakat einer Ausstellung im Museum von Nogent-sur-Marne zeigt, wie populär das Baden in der Marne einmal gewesen war:

_tous_a_la_plage Musee Nogent-sur-Marne exp.2002 - Kopie

Offiziell ist das Baden in der Marne zwar immer noch verboten, es wird aber inzwischen geduldet. Das hängt damit zusammen, dass die Qualität des Wassers  sich seit 1970 deutlich verbessert hat und meistens gesundheitlich unbedenklich ist. Lediglich nach starken Regenfällen, wenn die Kanalisation überfordert ist,  sollte man für einige Tage  auf ein Bad im Fluss verzichten.[9]

Die Marne als Bademöglichkeit haben  wir gleich in unserem ersten Pariser Sommer eher durch Zufall entdeckt: Es war ein heißer Tag, wir lagen in einem Café bei der Bibliothèque  Nationale in einem Liegestuhl an der Seine und betrachteten die Schiffe, die vorüber fuhren. Darunter auch kleine Elektro-betriebene Boote  namens Voguéo, die in regelmäßigen Abständen anhielten und Passagiere mitnahmen. (Leider gibt es sie heute nicht mehr,  aber ihre Wiedereinführung wird wohl erwogen). Wohin sie fuhren, wussten wir nicht, aber wir waren neugierig und hatten Zeit. Also ins nächste Boot eingestiegen! Es fuhr die Seine aufwärts- vorbei an Kaianlagen, Betonmischern, Lagerhallen- dann kam die Mündung der Marne mit dem –auch wenig animierend aussehenden- chinesischen Handelszentrum Chinagora- viel Beton mit ein paar aufgesetzten und angeklebten Chinoiserien. Unser Boot fuhr nun in die Marne ein und hielt kurz vor einer Schleuse an: Maisons-Alfort, Endstation.

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Von dort aus gab –und gibt es noch- einen schönen Fußweg entlang der Marne, zum Teil auf Bohlen über dem Wasser angelegt. Und dort sahen wir am gegenüber liegenden Ufer auf ein paar betonierten Stufen, die ins Wasser führten, mehrere Leute in der Abendsonne liegen. Und ein Mann plantschte sogar im Wasser herum! Die Aufregung war groß, die Lust, es ihm nachzutun, riesig. Aber ohne Badezeug konnten wir nur neidisch zusehen und enttäuscht zurückfahren, allerdings mit dem festen Vorsatz, am nächsten Tag mit entsprechender Ausrüstung wiederzukommen. Was dann auch geschah. Auf den Betonstufen hatte es sich eine kleine Truppe von Rentnern gemütlich gemacht, die sich offenbar gut kannten. Einige unterhielten sich –möglicherweise wegen Schwerhörigkeit- ziemlich lautstark, einer las Zeitung, eine alte Dame –oben ohne- strickte, andere dösten in der Sonne. Wir wurden interessiert begutachtet und unsere Begrüßung wurde freundlich entgegengenommen. Nun gab es für uns kein Halten mehr: Ab ins Wasser!  Es dauerte nicht lange, bis einer der Männer aufstand, sich kerzengerade und demonstrativ auf einem ins Wasser ragenden Holzbrett aufbaute und mit dem Ruf „Et maintenant la France!“ kopfüber ins Wasser sprang.

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Damit waren wir in die Gemeinde der Marne-Rentner aufgenommen. Fast jeden Tag kamen wir nun zum Sonnen und Baden dorthin zurück gewöhnten uns auch an den allerdings durch eine hohe Lärmschutzmauer abgemilderten Verkehrslärm der parallel verlaufenden Autobahn nach Reims, Metz und Saarbrücken und gehörten nun, ohne dass viel geredet wurde, dazu- spätestens, als die immer strickende alte Dame es nicht mehr für nötig hielt, schnell ein Hemdchen überzuziehen, wenn wir kamen.

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Wir erfuhren allmählich auch, dass die Stufen zu dem ehemaligen Strandbad der Gemeinde Maisons-Alfort gehörten. Der Platz sei ideal, aufgrund der benachbarten Schleuse sei die Strömung gering, man könne hier nach Herzenslust baden und schwimmen. Inzwischen sei das Schwimmen in der Marne  wegen des Schiffsverkehrs und des (angeblich!) dreckigen Wassers verboten- ein entsprechendes großes Verbotsschild am Ufer hatten wir zunächst gar nicht bemerkt- aber sie würden hier seit ihrer Jugend baden und würden es auch weiter tun, selbst wenn ab und zu mal die „Flics“ kämen. Diese Erfahrung machten wir dann auch selbst nach einem Ausflug auf die andere Seite des Flusses: Heftige Ermahnungen: Schild! Gefahr! Nie wieder! Und dann der Trost unserer Schwimmfreunde: Wir sollten das nicht so ernst nehmen! Die tun ja nur ihre Pflicht! Ist uns auch schon passiert …

Inzwischen ist das Verbotsschild übrigens beseitigt worden, die Betonstufen wurden erneuert und mit einem Plastikbelag überzogen.  Die Marne wird ganz offensichtlich darauf vorbereitet, wieder offiziell autorisiertes Badegewässer zu werden. Risiken gibt es allerdings dennoch und weiter: Im letzten Jahr wurde ich einmal –mit Schwimmbrille stromaufwärts kraulend- von einem größeren, von hinten kommenden Frachtschiff fast „überfahren“. Im letzten Moment hörte ich dann doch die lauten Schreie von allen Seiten und kam mit dem Schrecken davon….

Zu erreichen ist das Strandbad an der Marne übrigens ganz einfach mit der Metro-Linie 8, Station École Vétérinaire de Maisons-Alfort. (Sortie Carrefour de la Résistance). Man passiert die Art-Déco- Kolonaden der früheren Destillerie Suze und ist dann in wenigen Schritten an der Marne, der Schleuse und der Fußgängerbrücke.

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Die überquert man und geht den Uferweg entlang bis zum (früheren) Strandbad.  Auf beiden Seiten des Flusses gibt es übrigens  Pontons zum Anlegen von kleinen Schiffen: Wenn die nicht schon belegt sind, kann man sie auch  nutzen: Zum Baden –zumal es hier einen bequemen Einstieg ins Wassser gibt…

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… und natürlich auch zum Picknick

Picknick an der Marne

Schade ist allerdings, dass die Autobahn A 4 direkt an der Marne und dem „Strandbad“ von Maison Alfort entlangführt. Aber dazwischen gibt es immerhin eine hohe Schallschutzmauer, so dass man den Verkehrslärm nur gedämpft wahrnimmt. Und außerdem dürfen wir uns schon gar nicht darüber beklagen. Immerhin ist das die Autobahn nach Deutschland, auf der wir ab und zu auch unterwegs sind.

Schwimmen auf/ in der Seine

Das Baden in der Seine hat eine lange Tradition, auch wenn es immer wieder Einschränkungen gab: Im 18. Jahrhundert ging es dabei um die Sittlichkeit: 1716 ordnete der prévot de Paris an, dass Baden in der Seine nur mit entsprechend  züchtiger Bekleidung erlaubt sei. 1783 wurde das freie Baden in der Seine „pour des raisons de décence“ ganz verboten. Im 19. Jahrhundert war es dann die  zunehmende Verschmutzung des Seine-Wassers, die das freie Baden in der Seine zum Problem machte. Eine Alternative war zunächst die Installation von „piscines flottantes“, die zumindest eine Begegnung mit den ärgsten auf der Seine treibenden Abfällen verhindern konnten:   1889 hatte ein Journalist einmal eine Liste entsprechender Fundstücke zusammengestellt:

«2.021 chiens, 977 chats, 2.257 rats, 507 poulets et canards, 3.066 kilogrammes d’abats de viande, 210 lapins ou lièvres, 10 moutons, 2 poulains, 66 cochons de lait, 5 porcs adultes, 27 oies, 27 dindons, 609 oiseaux divers, 3 renards, 2 veaux, 3 singes, 8 chèvres, 1 serpent, 2 écureuils, 3 porcs épics, 1 perroquet, 130 pigeons ou perdreaux, 3 hérissons, 2 paons, 1 phoque!!!». (9a)

Eine dieser schwimmenden Badeanstalten, in denen man eine unliebsame Begegnung mit solchen Treibgütern nicht fürchten musste, war die am noblen hôtel Lambert auf der Ile de Saint-Louis festgemachte „École de Natation de l’Hôtel Lambert“.

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In einem Artikel aus der „Gazette des bains“ von 1845 werden die Vorzüge dieses Bades ausführlich beschrieben: Man könne hier nicht nur baden und von erprobten Meistern Schwimmunterricht erhalten; angeboten würden auch Erfrischungen und ausgesuchte  Speisen; und natürlich stehe  für die Damen, wenn sie das Wasser verlassen  hätten, eine Frisöse bereit, die auch über ein „dépôt de  parfumerie et de ganterie“ verfüge. Die Damen  könnten auch in Begleitung ihres Zimmermädchens kommen. Eine große Rolle spielt in diesem Artikel die Wasserqualität: Das Wasser der Seine habe hier eine hervorragende Qualität, die den Ansprüchen der Hygiene in vollstem Maße gerecht werde: „L’eau de la Seine jouit de ces précieuses qualités à un degré remarquable tant qu’elle n’a  pas reçu le tribut des immondices de la grande ville„. Und die werden danach aufgezählt:  die Abwässerkanäle der Stadt, die Schiffe der Waschfrauen, die Abwässer der Färbereien und der Krankenhäuser und vieles mehr. Das flussaufwärts festgemachte École  de Natation de l’Hôtel Lambert sei aber von alldem nicht betroffen und verfüge unbestreitbar über „la plus belle eau de Paris.“  (9b)

Die Wasserqualität der Seine verschlechterte sich allerdings so sehr,  dass  im gesamten Stadtgebiet das Baden in der Seine aus hygienischen Gründen immer problematischer wurde. 1931 empfahlen die Forscher des Laboratoriums von Val-de-Grâce nicht nur, möglichst mit geschlossenem Mund zu schwimmen und sich nach dem Bad gründlich mit sauberem Wasser zu waschen, sondern sie hielten auch eine Impfung gegen Typhus für angebracht. Kein Wunder also, dass 1923 das Baden im Fluss und in Badeschiffen verboten wurde. 1929 fanden allerdings noch offizielle Schwimmwettkämpfe in der Seine statt – ein nettes Beispiel für einen großzügigen Umgang mit Regeln, auch wenn man sie selbst aufgestellt hat.(9c)

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Dass ein solches Verbot aber nur eine gesundheitlich erforderliche Notmaßnahme und nicht das letzte Wort sein kann, war auch allgemein klar.  Schon 1988 hatte Jacques Chirac, damals Bürgermeister von Paris, angekündigt, man werde in fünf Jahren in der Seine baden können: «Dans cinq ans, on pourra à nouveau se baigner dans la Seine. Et je serai le premier à le faire». Aber daraus wurde nichts, die Wasserqualität war nicht danach.[10] Im Juli 2012 durften im Rahmen des Pariser Triathlons 4500 Teilnehmer am Eiffelturm in die Seine springen, aber das blieb eine Ausnahme: Neben der nicht dauerhaft akzeptablen Wasserqualität war es vor allem die Beeinträchtigung des Schiffsverkehrs, die die zuständigen Behörden veranlassten, weitere Events dieser Art zu verbieten. (10a)

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Die Bemühungen der Association Swim Paris, die mythische „traversée de Paris à la nage“ wiederzubeleben, sind also bisher gescheitert: Geplant waren zwei Parcours zwischen dem Schwimmbad Joséphine Baker im 13. Arrondissements und dem Parc André-Citroën im 15. Arrondissement, wobei gegen eine Teilnehmergebühr jedermann zugelassen wäre.[11] Jetzt hat die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo versprochen, die 1,5 km Schwimmen des  Triatholon-Wettbewerbs  und das 10 km Freiwasserschwimmen der Olympischen Spiele 2024 würden in der Seine stattfinden,  und danach werde auch die Öffentlichkeit in der Seine baden können: „On pourra se baigner dans la Seine après 2024 […] Ce n’est pas une promesse, c’est vraiment un engagement“. Sie werde dann –wenn es ihr Gesundheitszustand erlaube- auch dabei sein; und wir –hoffentlich!- auch….[12]

Im März 2023 habe ich das folgende Plakat an einer Baustelle an  der Seine gefunden: „2024 wird man in der Seine baden können.“ … Man darf gespannt sein…

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Allerdings muss Paris bis zur Eröffnung  eines offiziellen und öffentlichen Schwimmbads in der Seine noch einiges tun, Le Monde spricht von einer wahren Herkules-Arbeit. [13] Die  Kanalisation muss modernisiert werden, die bei heftigem Regen immer noch überläuft und Schmutz in die Seine spült, ebenso die Kläranlagen stromaufwärts. Die zwischen 2010 und 2015 vorgenommenen Untersuchungen des Seine-Wassers ergaben, dass 92% aller Proben nicht den gesundheitlichen Normen entsprachen. Und es gibt eine europäische Direktive, nach der erst dann ein Gewässer zum Baden freigegeben werden darf, wenn in vier aufeinander folgenden Jahren die Wasserqualität unbedenklich war. Das heißt, dass schon ab 2020 hätte das Seine-Wasser Badequalität erreicht haben müssen. Das war allerdings nicht der Fall. 2022, so berichtet die Wochenzeitschrift Marianne,  ist die Wassserqualität der Seine immer noch nicht ausreichend – aufgrund der langen Trockenheit in diesem Jahr eher besonders problematisch…  Die Stadt Paris hofft allerdings auf eine Ausnahmegenehmigung für die Olympischen Spiele …   [14]

(Was mir übrigens, aber das nur in Klammern, nicht klar ist: Wie lassen sich diese olympischen Schwimmwettbewerbe in der Seine mit der starken Strömung vereinbaren? Gegen die werden selbst die Sport-Profis nur schwer ankommen und mit ihr würden wohl die olympischen Rekorde nur so  purzeln. Aber vielleicht ist das ja ein durchaus einkalkulierter Effekt….)

Das Badeschiff Joséphine Baker

Aber  immerhin gibt es ja seit 2006 das dauerhaft installierte Badeschiff Joséphine Baker auf der Seine.

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Das ist festgemacht am Fuß der Bibliothèque François Mitterand im 13. Arrondissement, gegenüber dem Parc Bercy und im Blick auf das wuchtige Finanzministerium

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… und die elegante Passerelle Simone de Beauvoir.

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Ein Besuch ist besonders im Sommer angeraten, wenn die Überdachung geöffnet ist und man von der erhöhten Terrasse aus den Blick auf die Seine genießen kann.   Allerdings ist dann auch hier der Andrang erheblich, so dass das Schwimmbecken (10 mal 25 m) eher zum Plantschen geeignet ist und weniger zum sportlichen Schwimmen.

In einem vom Figaro publizierten Ranking der Pariser Schwimmbäder, auf dem das Joséphine Baker immerhin auf dem zweiten Platz rangiert, ist das schön und treffend so formuliert:

„Plouf! Fabuleuse verrière et nage  en musique. La taille du bassin, elle, n’empêche malheureusement pas la proximité.  Mais la vue sur la Seine, magique, rattrape tout.“[18]

Im Vergleich mit dem berühmten Berliner Badeschiff auf der Spree in Treptow ist die „Joséphine Baker“ eine eher familienfreundliche Einrichtung.

Also: Für schwimmfreudige Besucher/innen von Paris – alt und jung- als wenigstens einmalige Erfahrung durchaus zu empfehlen!

Praktische Informationen (Stand August 2022): 

Quai François-Mauriac (XIIIe). Tél.: 01 56 61 96 50

Nächste Métro-Stationen: Quai de la Gare und Bibliothèque François Mitterand

Eintrittspreise  (http://www.piscine-baker.fr/fr/tarifs ):

Einzelkarten 4 Euro, reduziert 2,20 Euro

Im Sommer: 6,50 Euro, reduziert 3,20 Euro.

Öffungszeiten: http://www.piscine-baker.fr/horaires.html

Reservierung: https://moncentreaquatique.com/module-inscriptions/activites/

 

Das Badeschiff Annette K 

Inzwischen (2023) gibt es auch noch ein zweites Badeschiff auf der Seine, die Annette K. Benannt ist es nach der australischen Schwimmerin Annette Kellermann  (1886-1975). Sie war von Geburt an behindert: es gelang ihr allerdings mit Hilfe des Schwimmens ihr Leben zu meisterrn. Und sie war auch eine Feministin, die dazu beitrug, den Frauen einen gleichberechtigten Zugang zum Schwimmsport zu eröffnen.

Das Badeschiff verfügt über ein beheiztes 50 Meter-Becken mit Blick auf den Eiffelturm. Es liegt am Port de Javel im 15. Arrondissement von Paris auf der Höhe des Parks André Citroën

Métro ligne 8 – station Balard
Métro ligne 10 – station Javel
RER C – station Pont du Garigliano

Preise und Öffnungszeiten siehe Website:   https://www.annettek.fr/

Im Preis für das Schwimmbad ist offenbar auch die Benutzung von Sauna und Solarium eingeschlossen. Für Kinder unter 12 Jahren und Senioren über 60 gibt es Ermäßigung,.

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Ich war bisher noch nicht dort,  insofern alle Angaben ohne Gewähr.

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Im Hintergrund kann man sogar den  Eiffelturm erkennen. Wenn das nichts ist….

Anmerkungen

[1] https://www.sortiraparis.com/arts-culture/balades/articles/53926-paris-plages-2017-baignade-et-animations-sur-les-berges-sans-sable

[2] http://www.lemonde.fr/proche-orient/article/2016/06/21/comment-le-cimentier-lafarge-a-travaille-avec-l-etat-islamique-en-syrie_4955039_3218.html

http://www.lefigaro.fr/societes/2017/03/29/20005-20170329ARTFIG00152-paris-plages-la-mairie-ne-veut-plus-du-sable-de-lafarge.php

(2a) Weitere Informationen: https://www.sortiraparis.com/images/400/1462/274505–bassin-de-baignade-a-la-villette.jpg  und   https://www.paris.fr/baignadevillette

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Bassin_de_la_Villette

[4] Siehe den Blog-Beitrag: Napoleon in den Invalides. Es lebe der Kaiser (3)

[5] http://www.pbase.com/cpaaulnay/canal_de_lourcq_themes

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Bassin_de_la_Villette

Bild aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Bassin_de_la_Villette

In geplanten weiteren Blogbeiträgen möchte ich hier angeschnittene Themen weiter vertiefen: Die Geschichte und Bedeutung der Guinguettes, die Zollmauer von Paris und ihr Architekt Ledoux, der Canal de l’Ourcq – eine stadtgeographische Fahrradtour…

[7] http://www.histoires-de-paris.fr/bassin-de-villette/

http://www.cargos-paquebots.net/Navigation_fluviale/Canal-Saint_Martin_09-2012/Canal_Saint-Martin-01.htm

Antoine Léger, Le bassin de la Vilette, deux siècles de transformation urbaiane.  http://de.calameo.com/read/004245471850d9b01b0cc

(7a) Jean-Paul Kauffmann, Remonter la Marne. Paris  2013, S. 38

[8] http://www.paroles.net/pierre-roger/paroles-a-joinville-le-pont

[9] http://www.marne-vive.com/se-baigner-en-marne

Jean-Paul Kauffmann berichtete in seinem 2013 erschienenen Buch „Remonter la Marne“, nach Regenfällen würden von der Brücke von Joinville „toutes sortes d’infections“  in die  Marne gespült. „Après l’orage apparaissent à la surface des nappes huileuses sur lesquelles flottent des centaines de poissons morts.“ (S. 28).  Dergleichen haben wir noch nicht beobachten müssen, aber wir meiden auch vorsichtshalber die Marne nach starken Regenfällen.

(9a) Zitiert in: http://www.lefigaro.fr/histoire/archives/2017/08/18/26010-20170818ARTFIG00211-quand-les-parisiens-se-baignaient-dans-la-seine.php

(9b) Bild und Text aus: Paris. Vie et histoire du 4e Arrondissement. Paris 2001, S. 126/127

(9c) Bild aus: Années folles. 100 photos de légende. Paris: Parigramme 2014

[10] http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2016/05/08/01016-20160508ARTFIG00092-nager-dans-la-seine-un-vieux-reve-qui-perdure.php  Dort auch das nachfolgend wiedergegebene Bild des Paris-Triathlons von 2012.  

(10a) http://proregisseur.com/la-seine-et-le-triathlon-de-paris/

[11] http://www.leparisien.fr/hauts-de-seine-92/la-traversee-de-paris-a-la-nage-tombe-a-l-eau-08-08-2012-2117624.php

[12] http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2016/05/08/01016-20160508ARTFIG00092-nager-dans-la-seine-un-vieux-reve-qui-perdure.php

Das Engagement Hidalgos für das Schwimmen in der Seine 2024 hat natürlich auch die Funktion, die Pariser Bevölkerung vom Nutzen der Olympischen Spiele zu überzeugen. Allerdings  gibt es auch kritische Stimmen, die fragen, ob das Seine-Wasser tatsächlich bis 2024 Badequalität erhalten soll, wenn es der Stadt Paris noch nicht einmal gelinge der schlimmen Ratten-Plage Herr zu werden. (http://www.liberation.fr/debats/2017/05/10/il-faut-retirer-paris-de-la-course-folle-aux-jeux-olympiques_1568563)

[13] „ce travail digne d’Hercule“ Aus: Se beigner dans la Seine à Paris, promesse risquée. (Le Monde 16. Mai 2017,  S. 15)

[14] Nager dans la Seine en 2024, un pari osé. In: Le Monde 15./16. August 2017. Sonderbeilage zu Paris 2024: Jeux olympique, le plus dur commence. Zur Situation 2022 siehe:  Marianne  vom 2. August 2022: La mauvaise qualité de la Seine aura-t-elle raison des épreuves aquatiques aux J.O. 2024 ?

[15] In: À Paris. Le magazine de la ville de Paris. printemps 2018, S. 6

[16]  https://www.paris.fr/baignadedaumesnil

[17] http://www.leparisien.fr/paris-75/paris-le-projet-de-baignade-au-lac-daumesnil-tombe-a-l-eau-08-03-2018-7597443.php

[18] http://www.lefigaro.fr/sortir-paris/2015/05/20/30004-20150520ARTFIG00048-les-meilleures-piscines-de-paris.php

Musik und Tanz an der Marne: Au pays des Guinguettes

In dem nachfolgenden Beitrag geht es um die Guinguettes, Tanzlokale im Umland von Paris, und dabei vor allem um die Guinguette auf der Ile du Martin Pêcheur, einer kleinen Insel in der Marne. Sie ist von Paris aus schnell und leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar und lädt an warmen und sonnigen Sonntagnachmittagen zu einem Ausflug ein. Man wird da, neben einer schönen Flusslandschaft,  ein ursprüngliches Stück Frankreich kennenlernen, wie es sonst kaum zu finden ist.

Guinguettes haben eine lange Tradition. Berühmt waren im 18. und 19. Jahrhundert vor allem  die Guinguettes  in Belleville[1], Ménilmontant und Montmartre, die so schöne Namen hatten wie  Au rat goutteux (zur gichtkranken Ratte),  Aux noces de Cana, A la satisfaction, Ile d’amour, La Puce qui saute, Le bal sauvage…. Dort wurde ein ziemlich herber lokaler Weißwein ausgeschenkt, „qu’on ne pourrait vraisemblablement pas tenir pour le meilleur témoignage du génie viticole français!“[2] Dieser Wein , den es heute (sieht man mal von dem kleinen Weinberg in Montmatre und dem noch kleineren im Parc de Belleville ab) nicht mehr gibt, hieß guinget,  und von ihm ist der Name der Weinlokale abgeleitet. Ihre Blüte  verdanken sie  der Zollmauer um Paris, der zwischen 1785 und 1788 errichteten mur des Fermiers généraux: Um die klammen  Finanzen des ancien régime etwas aufzubessern, wurden die nach Paris eingeführten Waren, also auch der Wein,  mit einem Zoll belegt. Das gab den von diesem Zoll verschonten Guinguettes außerhalb der Zollmauern großen Auftrieb, aber auch der vorrevolutionären Stimmung der Pariser Bevölkerung. Ein berühmt gewordener Alexandriner von Beaumarchais brachte das sehr schön zum Ausdruck: « Le mur murant Paris, rend Paris murmurant ».  In den Guinguettes vor den Toren der Stadt versammelten sich am Wochenende die kleinen Leute- es wurde getrunken, gesungen, getanzt,  man erholte sich von den Anstrengungen der Woche, und politisiert wurde natürlich auch, wie entsprechende Polizeiprotokolle zeigen. 1860 wurden im Zuge der Vergrößerung von Paris auch Belleville,  Ménilmontant und Montmartre eingemeindet und gehörten nun zu den von Baron Haussmann neu zugeschnittenen 20 Arrondissements. . Die Guinguettes dort verschwanden allerdings nicht ganz, wie Van Goghs 1886 gemaltes und im Musée d’Orsay ausgestelltes Bild „La Guinguette de Montmartre“ zeigt; (3)

Van_Gogh_-_Gartenlokal_-La_Guinguette-_auf_dem_Montmartre

Aber das eher bedrückend-triste Bild van Goghs macht deutlich, dass die beste Zeit der innerstädtischen Guinguettes nun vorbei war. Dafür begann aber, begünstigt durch neue schnelle Eisenbahn-Verbindungen von und nach Paris, die große Zeit der Guinguettes an Seine und  Marne.

Die Guinguettes an der Seine, angrenzend an den noblen Westen von Paris, zogen vor allem ein bourgeoises Publikum an. Das wird  in Monets Bild  „La Grenoullière“ anschaulich.[4] Monet malte mehrere Versionen dieser bekannte Guinguette mit ihren schwimmenden Pontons, und auch Renoir wählte dieses Motiv aus, vielleicht auch in der Hoffnung, bei einem finanzkräftigen Publikum Abnehmer für die Bilder zu finden.

26658587925_3401894f40 La Grenouilliere

Berühmt war auch das maison Fournaise, auf der „Île des Impressionistes“ 10 km westlich von Paris in der Seine gelegen. Sie wird auch „die Guinguette der Impressionisten“ genannt.[5] Immerhin verkehrten hier Maler/innen wie Claude Monet, Alfred Sisley, Berthe Morisot, Edouard Manet und Camille Pissaro.

Rueil Malmaison003

Jean Renoir malte hier 1881 sein berühmtes Bild  „déjeuner des Canotiers“, worauf  eine große Tafel an der inzwischen teilweise Museum gewordenen „Maison de Fournaise“ mit einer Reproduktion des Bildes hinweist- Teil eines „chemin des Impressionistes“.[6]

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Die Canotiers sind die Ruderer, die nach ihrem von Renoir gemalten Mittagessen sicherlich die feinen Herren mit Zylinder, die man im Hintergrund sieht, und deren Damenbegleitung über die Seine rudern werden. Denn zu einem  unverzichtbaren Teil des Wochenend-Vergnügens in den Guinguettes wurden die Bootsfahrten. Im Gegensatz zu dem aus England stammenden Rudersport ging es dabei aber nicht um sportliche Höchstleistungen. Eine „partie de canot“ war eher eine gesellige Veranstaltung, die auch gute Gelegenheiten für die beiden Geschlechter bot, sich etwas näher zu kommen. Und danach gehörte der Besuch einer guinguette dazu, wo gegessen, getrunken, gesungen und getanzt wurde.

Deutlich volkstümlicher, ja proletarischer ging es in den Guinguettes an  der östlich von Paris in die Seine  mündenden  Marne zu, die ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. 1859 wurde nämlich der Bahnhof Bastille eingeweiht.  Von hier aus führte eine strategische Bahnstrecke nach Osten, die der schnellen Verlagerung von Truppen an die Ostgrenze dienen sollte.[7] In Friedenszeiten wurde das erste Teilstück der Eisenbahnlinie von Arbeitern aus den Vorstädten in Richtung Paris benutzt, am Wochenende von erholungssuchenden Bewohnern des Pariser Ostens. Das waren, wie Jean-Paul Kauffmann in seinem schönen Marne-Buch schreibt, die classes populaires“, für die das Meer ein unerreichbarer Luxus war“. (7a)   Die fuhren  zu den Guinguettes an die Marne – von daher auch der Name der Züge: „trains de plaisir“.

Ihre Blütezeit hatten diese guinguettes in den 1930-er Jahren, als die Volksfront den bezahlten Urlaub einführte. Da sang  Jean Gabin in dem Film La Belle Équipe von Julien Duvivier (1936) das populäre Lied „Quand on se promène au bord de l’eau“ (7b), das nach den Worten unserer Freundin Marie-Christine „tout le monde en France“ auswendig kennt „ou presque“:

pour gagner des radis
Quand on fait sans entrain
son boulot quotidien
Subi le propriétaire
Le percepteur, la boulangère
et trimbalé sa vie de chien
Le dimanche vivement
qu’on file à Nogent
Alors brusquement
Tout parait charmant

Quand on s’promène au bord de l’eau
Comme tout est beau
Quel renouveau
…….

Ein Stück  der inzwischen längst stillgelegten Bahnstrecke an die Marne wurde übrigens in den 1990-er Jahren  in einen Fußgänger- und Fahrradweg umgewandelt, nachdem der Bahnhof Bastille abgerissen und an seiner Stelle die Opéra Bastille errichtet worden war- eines der prestigeträchtigen Projekte des damaligen französischen Präsidenten François Mitterand.  Es ist die Coulée verte René-Dumont, bis 2014 promenade plantée[8] , über die wir  fast täglich mit dem Fahrrad in „unser“ Schwimmbad am Boulevard periphérique fahren.

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DSC01251 Ausstellung Willy Ronis August 2018 (24)

Erste Station der „trains de plaisir“ an der Marne war Joinville-le-Pont, wo es mehrere Guiguettes gab, zum Beispiel die chez Maxe, wo Willy Ronis 1947 den „Ball unter freiem Himmel“  (un bal en plein air) fotografierte. (8a)

Und dann gab es die  berühmte Guinguette „che Gégène“, die auch in einem ebenso berühmten Lied besungen wurde:

J’suis un p’tit gars plombier zingueur 
J’fais des s’mains de quarant’huit heur’s
Et j’attends qu’les dimanch’s s’amèn’nt
Pour sortir ma jolie Maimain‘ ….

Au bord de l’eau, y’a des pêcheurs 
Et dans la Marn‘ y’a des baigneurs
On voit des gens qui mang’nt pas des moul’s
Ou des frit’s s’ils aimem’nt pas les moul’s
On mange avec les doigts c’est mieux
Y’a qu’les bell’s fill’s qu’on mang‘ des yeux
sous les tonnell’s on mang‘ des glac’s
Et dans la Marne on boit la tass‘

Und der Refrain:

A Joinvill‘ le Pont 
Pon ! Pon !
Tous deux nous irons
Ron ! Ron !
Regarder guincher
Chez chez chez Gégène [9]

 Die Guinguette „chez Gégène“ gibt es  immer noch.  Es ist aber inzwischen  eine Einrichtung, die von ihrer Vergangenheit zehrt – für Nostalgiker der Generation 65 + oder für ahnungslose Touristen, die mit einem Schiff vom Arsenal-Hafen nach Joinville-le-Pont transportiert und bei dem berühmten, traditionsreichen, aber –wie wir meinen- völlig auf Massenbetrieb eingestellten Schuppen abgesetzt werden. In verbreiteten Guinguette-Rankings ist allerdings chez Gégène immer dabei.[10]

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Das an der Allée des Guinguettes gelegene „Chez Gégène“ ist vom RER – Bahnhof Joinville zu Fuß gut zu erreichen.

Joinville Marne Okt 09 003

Man kann  vom Bahnhof  aus aber auch  entlang der Marne zu unserer Lieblings- Guinguette auf der „Île du Martin Pêcheur“ gehen. Der Weg führt am kleinen Hafen von Joinville-le-Pont vorbei, wo man in einem der kleinen Restaurants mit Blick auf die vor Anker liegenden Boote und den Fluss eine schöne Pause machen kann, bevor es zur Eisvogelinsel geht.  (Ihren Namen trägt sie übrigens zu Recht, denn Eisvögel gibt es an der Marne tatsächlich- wir haben jedenfalls schon selbst welche gesehen).

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Die auf der kleinen Marneinsel gelegene Guinguette verdankt ihre Existenz der Renaissance dieser Lokale in den  letzten Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg sah es ja so aus, als habe das letzte Stündlein der Guinguettes geschlagen:  Aufgrund der Wasserverschmutzung und des Schiffsverkehrs war (und ist auch heute  noch) das Baden in Seine und Marne verboten. Und  Tanzen kann man auch mitten in Paris am Ufer der Seine am Quai Saint-Bernard im 13. Arrondissement.

Gleichwohl erlebten in den letzten Jahren die Guinguettes  eine neue Blüte. Besonders rührig ist da die Guinguette auf der Île du Martin Pêcheur. Sonntag nachmittags kann man dort  echte Guinguette-Atmosphäre erleben. Es ist viel Betrieb, es gibt populäre life-Musik, bei dem das von den italienischen Einwanderern im 19. Jahrhundert eingeführte Akkordeon nicht fehlen darf.

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Nach dem Mittagessen werden die Tische beiseite geräumt und es wird  kräftig getanzt: Musette-Walzer, Fox, Tango  und Blues. Das Sympathische dabei ist, dass jeder und jede mitmachen kann:  Es sind zwar meistens gemischte Paare, aber es tanzen auch Damen zusammen oder eine Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm, und vor allem: es tanzen Menschen jeden Alters, auch und vor allem ziemlich alte: Einmal haben wir dort einen Herren auf der Tanzfläche getroffen und bewundert: Er war, wie er uns in einer Tanzpause stolz  erklärte, 89 Jahre alt und tanzte sehr beeindruckend und schwungvoll gleich mit zwei Damen. Die waren allerdings deutlich jünger  – so um die siebzig herum…. Fast könnten es ja  die selben Personen -jetzt im fortgeschrittenen  Alter- sein, die Willy Ronis 1947 in der guingette Beau-Rivage in Champigy-sur-Marne aufgenommen hat…

DSC01251 Ausstellung Willy Ronis August 2018 (27)

Die meisten Menschen hier kommen in ihrer Alltagskleidung, aber es gibt auch einige, die sich  etwas herausgeputzt haben: zum Beispiel die Dame mit den  langen, an der Seite aufgeschlitzten Hosen, die  nicht nur chic aussahen, sondern auch gut für das Motorrad geeignet waren, auf dem sie dann mit ihrem Partner nach Hause brauste. Oder die ziemlich alte Dame, auf deren Schultern  die knallroten Träger ihres BH zu sehen waren.  Zum Abschluss (kurz vor 18 Uhr) wird von allen  ein Madison getanzt, ein  ziemlich komplizierter Gemeinschaftstanz, bei dem sich die Tänzer wohlgeordnet neben- und hintereinander aufstellen und dann im Takt die gleichen Schritte machen.  Man merkt dabei, dass die meisten hier heimisch sind, aber auch als unbeholfener Fremder wird man freundlich dazu genommen.

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Auch die Lieder, die gesungen werden, sind den meisten offenbar sehr vertraut und viele werden  laut mitgesungen oder geradezu mitgeschmettert: So bei einem unserer Besuche der Refrain eines Liedes, der mit den Worten „sans chemise et sans pantalon“ endete (ohne Hemd und Hose). Den Kontext habe ich leider nicht verstanden, aber die Begeisterung beim Singen war unverkennbar. (https://www.youtube.com/watch?v=c3UcCTTQyAE)

Zum neuen Erfolg der Guinguettes tragen auch besondere Veranstaltungen bei wie das jährliche Festival des Guinguettes  Anfang Mai oder die Wahl der Miss Guinguette auf der Ile du Martin Pêcheur am 14. Juli jeden Jahres! Eine echte Alternative zur Militärparade auf den Champs Elysées!

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Es gibt  dort auch  „canotiers“,  die flachen, mit einem Band verzierten Strohhüte der Ruderer, die man von den Bildern der Impressionisten kennt.  Heute werden diese Hüte als Souvenirs verkauft und manchmal wohl auch getragen. Die Ruderer und ihre Boote gibt es allerdings hier leider nicht mehr. Aber das kann ja nochc kommen, genau wie das (wieder offiziell erlaubte) Baden in der Marne….

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Dass man allerdings so viele Damen mit Strohhüten sieht wie auf dem nachfolgenden Foto, ist eher  untypisch: Sie hatten sich offensichtlich extra herausgeputzt für ein deutsches Journalisten-Team, das an einem Bericht über die Guinguettes arbeitete.

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Praktische Hinweise:

Die Guinguette auf der Ile du Martin Pêcheur erreicht man am besten mit dem RER der Linie A Richtung Boissy-Saint-Léger.  Man kann direkt nach Champigny-sur-Marne fahren.  (Fahrkarten dorthin gibt es  in jeder Metro-Station von Paris, am besten gleich zweifach für die Rückfahrt). Vom Bahnhof aus  geht es zur Seine, man überquert die Brücke, und von dort sind es  linkerhand der Marne folgend  nur wenige Schritte zur Guinguette.  Empfehlenswert ist es aber,  schon eine Station vorher in Joinville-le-Pont auszusteigen und dann  entlang der Marne bis zur Guinguette zu wandern. (ca  1 Stunde). In Joinville gibt es einen kleinen Hafen mit einigen sympathischen Restaurants/Bars direkt an der Marne. Dort kann man schön in der Sonne sitzen, etwas essen  oder einen Kaffee trinken).

In den RER- und meistens auch den Métro-Stationen gibt es kostenlos eine brauchbare Karte der Gegend: Aus der Serie der detaillierten Ile-de-France- Karten „par secteur“ die Nummer 12: Val-de-Marne.

Öffnungszeit der Guinguette de l’Île du Martin-pêcheur – abgesehen von den Abendveranstaltungen- ist sonntags zwischen 12 und 18.30 Uhr. Am besten kommt man ab etwa 15 Uhr, dann ist das Mittagessen vorbei und es wird getanzt.

Infos: www.guinguette.fr

 Pour en savoir plus: Francis Bauby u.a.: Mémoire de guingettes. Paris 2003.

Anmerkungen

[1] Siehe dazu den Blogbeitrag über Belleville

[2] Guide du Promeneur 20e. Parigramme 1993, S. 30

(3) Bild aus: https://de.wikipedia.org

[4] Bild aus: https://de.wikipedia.org/

[5] http://www.restaurant-fournaise.fr/le-dejeuner-des-canotiers/9-histoire.html

[6] http://www.musee-fournaise.com/

[7] http://www.wikiwand.com/fr/Ligne_de_Paris-Bastille_%C3%A0_Marles-en-Brie

(7a)  Jean-Paul Kauffmann, Remonter la Marne. Paris 2013, S.25

(7b) http://www.parisfaitsoncinema.com/les-classiques/gabin-se-promene-au-bord-de-l-eau-dans-la-belle-equipe.html

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Coul%C3%A9e_verte_Ren%C3%A9-Dumont

(8a)  Bildausschnitt fotografiert auf einer Willy Ronis-Ausstellung in Ménilmontant im August 2018

[9] En savoir plus sur http://www.paroles.net/pierre-roger/paroles-a-joinville-le-pont#lGWX2WiO2EwAR6gS.99

[10][ Z.B. https://www.one-week-in-paris.com/top-guinguettes

https://www.lebonbon.fr/paris/les-tops-spots/guinguette-paris/

http://www.cnewsmatin.fr/loisirs/2014-06-14/paris-le-top-5-des-guinguettes-681638

http://www.lexpress.fr/tendances/voyage/trois-adresses-de-guinguette-sur-les-bords-de-marne_1564762.html

eingestellt August 2017

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