Der Saal der Hoquetons im Schloss von Versailles: Le Brun, Le Nôtre und die Fontänen des verschwundenen Labyrinths

Das Schloss von Versailles: Es sind vor allem der Spiegelsaal und die „Grands Appartements“ des Sonnenkönigs im ersten Stockwerk des U-förmigen Hauptgebäudes, des Corps de Logis, die das bevorzugte Ziel der Schloss-Besucher sind. Es gibt aber daneben noch viele andere lohnende Orte in dem Schloss. Einer davon ist der große Saal der Hoquetons, der früheren Palastwache, der im Nordflügel des Hauptgebäudes, unterhalb der Räume Ludwigs XIV. liegt.[1]

Aus zwei Gründen empfiehlt es sich, dem Saal Hoquetons einen Besuch abzustatten: Wegen des außergewöhnlichen Raums und wegen seiner ebenso außergewöhnlichen Ausstellungsstücke.

Zunächst zum Raum:

Bestimmt war er für die Palastgarde, zu deren Uniform eine lederne Weste gehörte, nach der die Gardisten benannt wurden.  Sie waren zur Zeit Ludwigs XIV. für die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Sicherheit im Schloss zuständig. Dies erklärt, dass der Saal direkt unterhalb der „grands appartements“ des Königs und neben der zu ihnen hinaufführenden Großen Gesandtentreppe (escalier des Ambassadeurs) gelegen war. Und beide, die (heute nicht mehr existierende [2]) Treppe und der Saal der Hoquetons, wurden von niemandem Geringerem als dem ersten Hofmaler des Sonnenkönigs (Premier Peintre du Roi) Le Brun ausgestaltet.[3]

Der Funktion und Bedeutung des Ortes entsprechend malte er den Raum mit goldenen Waffen und Trophäen aus.

Ein Elefant, Symbol königlicher Macht, ist auch dabei.[4]

Und das Sonnensymbol darf natürlich auch nicht fehlen:

Und es gibt auch Statuen in trompe l’oeil – Technik wie dieser Herkules

Die Fontänen des Labyrinths

In diesem geradezu festlichen Rahmen sind seit 2022 die noch erhaltenen und restaurierten Fontänen des zu Zeiten Ludwigs XIV, im Schlosspark gelegenen, aber nicht mehr erhaltenen Labyrinths dauerhaft ausgestellt, nachdem sie zuvor in einer Sonderausstellung präsentiert worden waren:

https://paris-blog.org/2023/01/01/der-konig-der-tiere-die-menagerie-und-das-labyrinth-ludwigs-xiv-im-park-von-versailles/ 

Dies ist der offizielle Plan und Führer des Labyrinths aus dem Jahr 1777 von Charles Perrault und Isaac de Benserade. Dort ist auf einer Seite jeweils ein Brunnen abgebildet, auf der dazu gehörigen anderen wird in einem Vierzeiler seine Botschaft zusammengefasst (Benserade).[5] In der Einleitung des Führers werden die Neuartigkeit der Anlage und die große Anzahl und Vielfalt der Brunnen hervorgehoben. Man bezeichne sie als Labyrinth wegen der Vielzahl kleiner Alleen, die so angelegt seien, dass es fast unmöglich sei, sich nicht darin zu verirren: Allerdings auf angenehme Weise. Denn es gäbe es keinen Umweg, der nicht den Blick auf gleich mehrere Brunnen eröffne und neue Überraschungen böte.[6] Dass es eine solche illustrierte Monographie des Labyrinths gab, ist ein Beleg für seine Bedeutung und Einzigartigkeit.

Das Labyrinth lag neben der Orangerie, in direkter Nachbarschaft des Schlosses, war also für die höfische Gesellschaft leicht zu erreichen. Konzipiert wurde es von André le Nôtre, dem von Ludwig XIV. hochgeschätzten und sogar in den Adelsstand erhobenen Hofgärtner. Le Nôtre schuf mit dem Labyrinth von Versailles einen ganz neuen Labyrinth-Typus. Im Gegensatz zur jahrtausendjährigen Tradition hatte das Labyrinth von Versailles kein Zentrum. Der Besucher wird weder bewusst in die Irre geführt und auch nicht auf einen langen, vielleicht ermüdenden Weg, bis er endlich das ersehnte Ziel erreicht hat. Frustration und Langeweile sind ausgeschlossen.  Vielmehr eröffnet das Labyrinth von Versailles die Möglichkeit von Spaziergängen mit verschiedenen Wahlmöglichkeiten, angenehmen und überraschenden Ausblicken und Ausgängen.

In der zeitgenössischen deutschen Version des Labyrinth-Führers liest sich das so:

„Es ist zur gnüge bekannt was massen Franckreich/ und insonderheit der Königliche Hoff in erfindung so mancherley Ergetzlichkeiten/ andere weit übertrifft. (…) Unter diesen allen ist der Königliche Lust-hoff zu Versailles und in selbigen das Labyrinth oder Irr-garten am berühmtesten und preißwürdigsten. (…) Obben genannter Irr-garten ist in einem Walde derart künstlich und lustig angelegt/ daß selbst Dedalus sich darob würde verwundert haben müssen. Die hin und wieder lauffenden Irr-wege/ so von beyden seiten mit grünen und künstlich beschnittenen Hecken besetzet und umgeben sind/ fallen nie verdrießlich/gleich wie in andern Irr-gärten gemeiniglich geschicht; denn man findet keinen eintzigen Kehr- oder verschlossenen weg/ welcher nicht alle augenblicke verschiedene Wasser-künste und Brunnen anweise/ deren jeder absonderlich in Gestalt und Wirckungen auffs künstlichste die sinn- und lehrreichste Fabulen Aesopi ausbildet.“[7]

Insgesamt gab es in dem Labyrinth 39 Brunnen mit über 300 Tierfiguren und am  Eingang die Statuen von  Äsop und Amor: Die hielt in ihrer Hand einen Faden, um damit die Besucher gewissermaßen zu leiten. Nötig war das allerdings aufgrund der Anlage des Labyrinths eher nicht und es bildete sich auch bald ein empfohlener Parcours heraus.

Die Statue von Äsop ist erhalten und in dem Saal ausgestellt.

Entsprechend der Überlieferung ist Äsop kleinwüchsig, bucklig und hässlich dargestellt – im völligen Gegensatz zum antiken Schönheitsideal – das auf der anderen Seite des Saales zu bewundern ist.

Es handelt sich um eine Marmorstatue der Amphitrite, einer für ihre Schönheit bekannten und deshalb auch Aphrodite Pelagia genannten Meeresgottheit.  Die Statue stammt aus dem luxuriösen appartement des Bains des Sonnenkönigs  – wo heute die Räume der Töchter Ludwigs XV. liegen.  Die schöne Amphitrite ist passend eingerahmt von zwei Rad-schlagenden Pfauen, die zwar ihre Köpfe verloren haben, deren Federn aber noch Reste der ursprünglichen Bemalung aufweisen.

Die Pfauen gehören zu den etwa 330 Tierfiguren, die zu Zeiten Ludwigs XIV. zur Ausstattung des Labyrinths und seiner 39 Fontänen gehörten. Sie wurden von verschiedenen Künstlern hergestellt, die darin wetteiferten, sie möglichst lebendig und naturgetreu darzustellen. Als Vorbilder konnten dabei Tiere der ebenfalls im Schlosspark gelegenen Menagerie dienen. Nur noch 37 dieser aus Blei gegossenen und bemalten Tierfiguren sind, oft auch nur in verstümmelter Form, erhalten: 1778 wurde das Labyrinth ersetzt durch den Bosquet de la Reine, der keinerlei Spuren des alten Labyrinths enthält. Seine Unterhaltung war offenbar zu aufwändig und sein Unterhaltungswert wurde wohl auch nicht mehr so sehr geschätzt, dass es einen erheblichen Aufwand gerechtfertigt hätte. 

Wie es schon in dem zeitgenössischen deutschen Führer durch das Labyrinth zu lesen  war, illustrierten die Fontänen meistens Fabeln von Äsop. Und dabei geht es vor allem um Neid, Dummheit, Bosheit, Streit und Kampf. Hier einige Beispiele:

Da gibt es den aggressiven Hahn der Fabel von den sich ständig streitenden Hühnern und dem ausgegrenzten Rebhuhn, auf dem alle herumhacken.  (Fontäne 2).

Da ist der gierige Affe, der wegen seiner „tausend Sprünge“ (Benserade) zum König gewählt wird, sich dann aber vom Fuchs in eine Falle locken lässt. (Fontäne 23)

Hier die zwei auf Ziegenböcken reitenden Affen vom großen Kampf der Landtiere und der Vögel (Fontäne 12)

Und hier der undankbare Wolf von der Fabel Der Wolf und der Kranich (Brunnen 21)….

… und der Fuchs , der mit List den Hahn fangen und dann fressen will, aber von ihm überlistet wird. (Fontäne 3)

Die Fontäne 6 schließlich ist eine Illustration der Fabel vom Adler und dem Fuchs.

Das Nest mit sechs kleinen Adlern ist auf einem Baumstumpf postiert, an den ein Fuchs Feuer legt: Der Adler hatte sich der kleinen Füchse bemächtigt, aus Rache wird der Fuchs die vom brennenden Nest herunterfallenden Adler-Jungen fressen. Dazu der Vierzeiler:

Compères et voisins assez mal assortis / À la tentation tous deux ils succombèrent:/ Car l’aigle du renard enleva les petits/Et le renard mangea les aiglons qui tombèrent.

In einer einfachen Sprache wird hier ein Hobbes’scher Naturzustand illustriert.[8]

Gewalt und Aggressivität sind in den Fontänen des Labyrinths und in den sie erläuternden Vierzeilern Benserades allgegenwärtig. Und während die anderen Bosquets und Fontänen des Parks von der Sonne beschienen sind, lag das Labyrinth im Schatten. Schon 1668 bemerkte ein Besucher, die Hecken seien so eng, dicht und hoch, dass die Sonne nicht hindurchdringe. Auch dies gehört zu der Einzigartigkeit des Labyrinths.

Ganz anders die wohlgeordnete Menagerie im Park von Versailles, wo die verschiedenen Tiere -wenn auch, soweit notwendig, voneinander getrennt- friedlich mit- bzw. nebeneinander lebten. 

Vom zentralen Oktogon aus konnte der König seinen Besuchern ein gesellschaftliches Modell präsentieren, in dem durch die Unterordnung unter die königliche Autorität Kampf und Chaos überwunden sind. Insofern hat man das Labyrinth als eine „anti-Ménagerie“ bezeichnet.[9] Beide, Labyrinth und Menagerie, gehören zusammen und demonstrieren die Macht des Sonnenkönigs, die im Schloss und im Park von Versailles gefeiert wird.

Weitere Blog-Beiträge zu Schloss und Park von Versailles:


Anmerkungen:

[1] Bild aus: https://lestresorsdeversailles.wordpress.com/2020/04/03/la-salle-des-hoquetons/ Alle weiteren Bilder vom Saal der Hoquetons von F. und W. Jöckel

[2] Unter Ludwig XV. musste die Treppe den neu  eingerichteten Räumen für die Töchter des Königs weichen. Eine Nachbildung gibt es in Schloss Herrenchiemsee – ebenso wie eine Nachbildung des Spiegelsaals von Versailles.

[3] Zu Le Brun siehe auch die Blog-Beiträge: https://paris-blog.org/2018/08/01/die-manufacture-des-gobelins-politik-und-kunst/  und https://paris-blog.org/2020/04/20/grosse-maenner-und-frauen-des-marais-eine-ortsbesichtigung-anhand-der-portraits-des-street-art-kuenstlers-c-215-teil-1-grosse-maenner/ (Abschnitt 4)

[4] Zur Bedeutung des Elefanten siehe den Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2022/02/02/der-elefant-der-bastille/

[5] © BNF  Bild aus Absolute Animals: The Royal Menagerie and the Royal Labyrinth at Versailles – Age of Revolutions

[6] https://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/image/858163012/16/LOG_0008/   Siehe auch:  Hervé Brunon, Se perdre agréablement. In: Les carnets de Versailles. Herausgegeben vom Château de Versailles.  Avril/Septembre 2022, S. 15

[7] https://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/image/858163012/12/LOG_0006/

[8] Peter Sahlins, La ménagerie royale et le labyrinthe (1664-1674). In: Les animaux du Roi, S. 46

[9] A.a.O., S. 41

Der König der Tiere: Die Menagerie und das Labyrinth Ludwigs XIV. im Park von Versailles

Noch vor der Verlegung seines Hofes nach Versailles im Jahr 1682 richtete Ludwig XIV. zwei unterschiedliche Sammlungen von Tieren im Park des Schlosses ein: Die von tausenden exotischen und heimischen Tieren bevölkerte Ménagerie royale und das mit 333 Tierplastiken bestückte Labyrinth (bosquet du Labyrinthe). Beide entstanden 1663, entworfen von dem Architekten Louis Le Vau (Menagerie) und dem Gartenarchitekten André le Nôtre, die zu dem Dreigestirn der Schöpfer von Versailles gehören. So unterschiedlich und auch räumlich getrennt beide Anlagen sind, sie sind doch aufeinander bezogen: Die Menagerie als geordneter Kosmos friedlich zusammenlebender Tiere, das Labyrinth als Ort des Kampfes, also gewissermaßen als Anti-Menagerie. Sie sind damit Ausdruck der die widerstreitenden Elemente bändigenden und die gesellschaftliche Ordnung garantierenden absoluten Macht, die der junge König nach dem Tod des Kardinals Mazarin für sich beanspruchte. Als Manifestation der Macht des Sonnenkönigs sind sie damit zentraler Bestandteil von Schloss und Park von Versailles.  Beide Anlagen existieren heute nicht mehr. Die Menagerie wurde in der Französischen Revolution zerstört, das Labyrinth 1778 durch einen englischen Garten zu Ehren von Königin Marie Antoinette ersetzt (bosquet de la reine). Es gibt aber Zeichnungen, Gemälde und zeitgenössische Berichte, die eine genaue Kenntnis der damaligen Anlagen ermöglichen. Und 2021/2022 wurde im Schloss von Versailles die Ausstellung Les Animaux du roi präsentiert, in der Menagerie und Labyrinth entsprechend vertreten waren. Diese Ausstellung war Anlass und Anregung für diesen Bericht.

 Die Ménagerie royale: Die Zurschaustellung königlicher Macht

Die Menagerie Ludwigs XIV. im Schlosspark von Versailles war die erste barocke Anlage ihrer Art, und sie war Vorbild späterer höfischer Tierhaltungen:  So für die Menagerie des Schlosses von Chantilly, das einer Nebenlinie der königlichen Bourbonen gehörte[1], und für die Anlage von Schönbrunn bei Wien. Diese ist die einzige erhaltene Menagerie ihrer Art und gilt, 1752 eröffnet, als ältester heute noch bestehender Zoo der Welt.

Erfunden hat Ludwig XIV. die Einrichtung einer Menagerie nicht. Schon im 13. Jahrhundert besaß Friedrich II. von Hohenstauffen, Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, an seinem süditalienischen Hof eine umfangreiche Menagerie, die größte des Mittelalters. Die seltenen Tiere, die von arabischen und äthiopischen Wärtern versorgt wurden, dienten der Prunkentfaltung des Kaisers:  Seine exotische Sammlung von Löwen und Leoparden, Straußen und Fasanen, Kamelen und Affen beeindruckte mächtige Fürsten und reiche Städte. An vielen europäischen Fürstenhöfen gab es Menagerien. Oftmals wurden die dort gehaltenen Raubtiere wie zu Zeiten der Römer aufeinander gehetzt, um die höfische Gesellschaft zu unterhalten. Im königlichen Schloss von Vincennes gab es eine solche Menagerie mit einer angegliederten Arena, die ausschließlich für Tierkämpfe bestimmt war. 1663 wurde dort für Maria Theresia von Spanien, die junge Gemahlin Ludwigs XIV., und den dänischen Königssohn ein Kampf zwischen einem heimischen und einem exotischen Raubtier präsentiert. Es war das gleiche Jahr, in dem das Labyrinth und die Menagerie von Versailles als programmatische Bauwerke des Absolutismus entstanden: Die kämpfenden Tiere, die dort -im Labyrinth-  gezeigt wurden, waren gemalt oder aus Blei, die lebenden Tiere aber gehörten friedfertigen Spezies an, die in aller Muße von der Hofgesellschaft bewundert werden konnten. Peter Sahlins, auf den ich mich in den nachfolgenden Passagen im Wesentlichen beziehe, hat darin einen Paradigmenwechsel gesehen, der in den von Norbert Elias beschriebenen „Prozess der Zivilisation“ vom Mittelalter zur Neuzeit einzuordnen ist. In diesem zivilisatorischen Prozess spielte die höfische Gesellschaft mit ihren festen Regeln, wie sie gerade am Hof Ludwigs XIV. bis ins Detail festgeschrieben waren, eine wesentliche Rolle. So trug der absolute Staat nach seinem Selbstverständnis dazu bei, psychische Strukturen und gesellschaftliche Verhältnisse zu domestizieren und zu einem friedlichen Ausgleich zu bringen und damit den Naturzustand des Menschen zu überwinden, der im Hobbes’schen Verständnis von dem Wolfscharakter des Menschen (homo homini lupus) bestimmt war. Die Menagerie von Versailles demonstriere, so Sahlins,  im friedlichen Neben- und Miteinander der ausgestellten Tiere diesen absolutistischen Anspruch.

Le Vau hat die Anlage als ein symmetrisches Rondell angelegt, in dessen Mitte ein Pavillon mit Kuppeldach stand.  Die Gehege waren fächerförmig um einen Platz herum angeordnet und konnten von dem Salon im ersten Stock des Zentralbaus eingesehen werden. Vielleicht könnte man den Bau insofern als eine Vorform des Panoptikums ansehen, wo die in der Mitte eines architektonischen Ensembles postierte Autorität das gesamte umliegende Geschehen im Blick hatte: So in Ledoux‘ klassizistischer Saline von Arc et Senans oder in den entsprechenden Gefängnisbauten  des 19. Jahrhunderts wie dem Roquette-Gefängnis in Paris.[2]

Pierre Aveline, die höfische Menagerie im Schlosspark von Versailles zur Zeit Ludwigs XIV. (1689)[3]

Die Bedeutung der Anlage wird auch durch ihre Positionierung im Schlosspark unterstrichen. Sie lag am Ende des südlichen Seitenarms des Großen Kanals, genau gegenüber dem Grand Trianon, dem privaten Rückzugsort des Sonnenkönigs.

Auf diesem Plan von 1746 ist die Menagerie rot eingerahmt.[4]

So konnte sich Ludwig XIV. bequem -zum Beispiel mit einer der auf dem Kanal stationierten Gondeln- vom Trianon zur Menagerie bringen lassen.

Plan der Menagerie aus dem Jahr 1747[5]

Von Ludwig XIV. im achteckigen Salon der Menagerie zum Souper eingeladen zu werden, war ein ganz besonderes Privileg, das der König nur ausgewählten Gästen zu Teil werden ließ. Das gehörte zu der „machine de gloire“ (Sahlins), um Angehörige des Hofs und auswärtige Würdenträger zu beeindrucken.

Dabei war es durchaus möglich, dass in der Menagerie gehaltene Tiere auf der königlichen Tafel landeten. Denn zu der Menagerie gehörten auch Nutztiere, die für solche Zwecke bestimmt waren wie Hühner, Enten, Truthähne und Elstern. In diesem Nutzteil der Menagerie wurden aber auch Säugetiere für die königliche Tafel vorgehalten wie persische Ziegen, Wildschweine oder Hirsche. Den Großteil der Menagerie beanspruchten allerdings Vögel, die zum Betrachten und Bewundern bestimmt waren.

Das waren zum Beispiel farbenprächtige Pfaue und Fasane, Strauße und Kasuare, dazu Singvögel, Eulen, Adler und viele Arten von Wasservögeln, wie zum Beispiel die Flamingos….[6]

Pieter Boel, Étude d’un flamant rose. Photo: Wolf Jöckel

…. oder Pelikane

Die Pelikane der Menagerie. Im Hintergrund Gänse und Pfaue und der achteckige zentrale Pavillon mit dem umlaufenden Balkon.[7]  Foto: Wolf Jöckel

Eine besondere Attraktion der Menagerie waren die Kraniche: Da vor allem der königliche Kronenkranich, der von Boel und vielen anderen Malern nach ihm portraitiert wurde und als „königlicher Vogel“ galt. [7a]

Boel Pieter (1622/1625-1674). Paris, musée du Louvre.

Die unangefochtenen Stars der Tiersammlung waren „die eleganten und verführerischen Jungfernkraniche“ (Sahlins). 

Auf dieser Studie von Pieter Boel, einem von Ludwig XIV. sehr geschätzten Tiermaler, sind sie zusammen mit einer Trappe in einer geradezu höfischen Szene abgebildet.[8] In ihrem 1669 veröffentlichten, dem König gewidmeten Bericht „La promenade de Versailles“, der ersten publizierten Gesamtdarstellung von Schloss und Park,  hebt Mlle de Scudéry ausdrücklich die Jungfernkraniche wegen ihrer Grazie und Schönheit, „acause de leur bonne grace & de leur beauté“, hervor.[9]

Auch die Anatomen der von Ludwig XIV. gegründeten Akademie der Wissenschaften konnten nicht umhin, vor der Beschreibung ihrer wissenschaftlichen Arbeit an einigen Exemplaren der Menagerie die Demoiselles de Numidie (Jungfernkraniche) zu rühmen. Mit ihren Gesten, ihren Sprüngen, ihrer Art zu schreiten und sich zu bewegen schienen sie den Tanz von „bohémiennes“ (Zigeunerinnen) nachzuahmen. Wenn man sich ihnen nähere, fingen sie an zu tanzen und zu singen – nicht wie andere Tiere, damit man ihnen etwas zu essen hinwerfe, sondern um von den Betrachtern bewundert zu werden.[10] Der zeitgenössische Vergleich der Jungfernkraniche mit Zigeunerinnen ist dabei keineswegs pejorativ. Ganz im Gegenteil: Er ist Teil einer philosophischen Tradition, in der Tiere als Modelle für Tugenden und zivilisiertes Benehmen angesehen wurden, die Bewunderung und Nachahmung verdienten. Während Descartes und seine Adepten in den Tieren von Automatismen gesteuerte Lebewesen sahen, war am Hof von Versailles eine genau entgegengesetzte Denkrichtung bestimmend. Dort wurden den Tieren durchaus Gefühl, Intelligenz, Lernfähigkeit, ja zum Teil sogar Sprache und eine -wenn auch nicht unsterbliche- Seele zugebilligt. Die Menagerie ist nach Sahlins in diesem Zusammenhang zu sehen.[11]

Der Salon des Oktogons

Mlle de Skudéry beschreibt in ihrer „Promenade de Versailles“ das achtseitige große Cabinet im ersten Stockwerk des Zentralbaus der Menagerie, von dessen Umgang aus vergoldetem Gusseisen man einen Blick auf die umliegenden Gehege habe, „remplies de toutes sortes d’oiseaux et d’animaux rares.“ Gemälde der Tiere befänden sich im Cabinet/Salon, als wolle man damit auf das vorbereiten, was man sehen werde, oder um das in Erinnerung zu behalten, was man gesehen  habe.[12]  Ursprünglich waren in dem  Salon 61 Tierbilder von Nicasius Bernaerts ausgestellt, von denen allerdings nur noch 22 erhalten sind.

Der 1620 geborene Bernaerts stammte aus Antwerpen, machte aber zwischen 1660 und seinem Tod im Jahr 1678 in Paris Karriere. Er war Mitglied der königlichen Akademie für Malerei und Skulptur und erhielt prestigeträchtige Aufträge -u.a. für die Schlösser Vaux-le-Vicomte, die Tuilerien und Versailles. Dass der französische Hofmaler Le Brun mit Bernaerts und Pieter Boel zwei ausgewiesene holländische Tiermaler rekrutierte, war kein Zufall: Antwerpen und Amsterdam waren Umschlagplätze des Handels der Ostindischen Kompanie (VOC), wozu auch der Import exotischer Tiere gehörte. Schon 1601 brachte beispielsweise ein Handelsschiff der VOC einen ersten Kasuar nach Amsterdam. Diese vor allem in Indonesien und Neuguinea verbreiteten und bis dahin in Europa unbekannten Tiere waren natürlich wie die anderen exotischen Neuankömmlinge beliebte Motive der Malerei. Pieter Boel malte einen Kasuar -zusammen mit einem weißen Raben- zwischen 1650 und 1675- vielleicht also schon einige Zeit, bevor 1671 der erste „französische“ Kasuar in Versailles eintraf. Es war ein Bild, das wie andere der beiden holländisch-französischen Maler,  dann auch als Vorlage für die Herstellung eines Wandteppichs diente.[13]

Als die Menagerie von Versailles gegründet wurde, gab es also in Holland  – anders als in Frankreich- schon längst eine Tradition der Tiermalerei. Und es waren Bernaerts und Boel, die nun auch an ihrem neuen Wirkungskreis eine solche Tradition begründeten. Denn das colbertistische Frankreich hatte keine Probleme mit dem „Import“ ausländischen know-hows, wenn es um Versailles ging. Andere Beispiele sind die Glas- und Luxusmöbelproduktion und … die Bekämpfung der notorischen Rattenplage im königlichen Schloss.[14]

Zur bildlichen Ausstattung des Salons der Menagerie gehörten 7 von Bernaerts gemalte  Friese, die jeweils einer der sieben Abteilungen des Geheges zugeordnet waren.

Hier ein Bild des Hühnerhofs, wobei deutlich ist, dass selbst die zum Verzehr bestimmten Tiere auch ästhetischen Ansprüchen genügen sollten.[15] Dazu kamen Einzelportraits von Tieren wie dem  effektvoll aufgeplusterten Strauß, der sich dann auch auf einem von der Manufacture royal de Beauvais hergestellten Wandteppich wiederfindet.. [16]

Bemerkenswert ist hier übrigens die Bildunterschrift auf dem Rahmen: Ecole française. Nicasius Bernaerts ist hier gewissermaßen schon als Franzose eingemeindet….

Dazu kamen Abbildungen weiterer Tiere, die Bernaerts bald nach dem Bau der Menagerie malte und für die vermutlich die ersten ihrer Bewohner als Modell dienten wie der Damhirsch (Cerf de Gange) oder das Stachelschwein.[17]

Vermutlich war die bildliche Ausstattung des Salons zunächst nur eine einfache Repräsentation der Pensionäre des Menagerie, so wie es Madeleine de  Scudéry in ihrem Bericht beschreibt. Aber sie passte auch zu der symbolischen Botschaft der Anlage: Die Tiere werden fast ausnahmslos im friedlichen Zusammenleben oder in ruhender, den Betrachter interessiert ansehender Form präsentiert. Die Menagerie stellt sich damit als Idealbild harmonischen Zusammenlebens dar. Ein paradiesischer Zustand war das allerdings keinen Falls:  Die Tiere waren ja streng voneinander getrennt, teilweise zum Verzehr bestimmt und nicht zuletzt auch durch das Stutzen von Flügeln in ihrer Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt… Ein „miroir idéal“[18] war die Menagerie also höchstens im absolutistischen Sinne.  

Die Elefanten von Versailles

Natürlich war die Menagerie auch und vor allem dazu bestimmt, den Ruhm des Sonnenkönigs zu mehren. Vögel, auch wenn sie noch so selten waren wie der Kasuar, genügten diesem Anspruch nur bedingt. Das wohl imposanteste Tier, das die Macht eines Herrschers am eindrucksvollsten verkörpern konnte, war der Elefant, bekannt vor allem aufgrund seiner legendären Rolle im Heer Hannibals, kaum aber aus eigener Anschauung. Im europäischen Mittelalter gab es nur drei Elefanten in Europa: Aboul Abbas, der Elefant, den der Kalif Harun-al-Raschid Karl dem Großen geschenkt hatte, der Elefant in der Menagerie Friedrichs II. von Hohenstauffen, ein Geschenk des Sultans al-Kamil[19], und schließlich der Elefant, den der französische König Ludwig IX, der Heilige, vom 7. Kreuzzug mitbrachte und dem englischen König schenkte.

Friedrich II.  nutzte seinen Elefanten auch für Triumphzüge.

Gerade im monarchistischen Selbstverständnis hatte der Elefant eine eminente Bedeutung als Symbol königlicher Macht, aber auch der Weisheit. Das illustriert die Darstellung des Elefanten in der Galerie  François I im Schloss von Fontainebleau. [19a]

Aus dieser Übersicht wird deutlich, dass der Elefant als ein äußerst prestigeträchtiges diplomatisches Geschenk dienen konnte: Es unterstrich gleichermaßen die Bedeutung des Schenkenden wie die Wertschätzung und Bedeutung des Beschenkten. Allein der Transport eines Elefanten nach Europa war eine logistische Meisterleitung des Schenkenden, ebenso wie dann auch seine angemessene Unterhaltung durch den Beschenkten. 

Es war der König von Portugal, der Ludwig XIV. einen Elefanten für die neue Menagerie von Versailles schenkte. Die Könige von Portugal hatten schon vorher mehrere asiatische Elefanten verschenkt (zum Beispiel dem Papst, dem spanischen König und dem Habsburger Kaiser), dieser allerdings stammte aus Afrika, war also – auch wenn es sich um ein Jungtier von vier Jahren handelte- ein besonders imposantes Exemplar. Man weiß nicht, wie dieser Elefant nach Versailles gelangt ist, aber wie aufwändig das gewesen sein muss, kann man aus den Informationen schließen, die es von dem Transport des afrikanischen Elefanten gibt, den die Seeleute von Dieppe 1591 dem französischen König Heinrich IV. schenkten.[20] Für diesen Zweck musste beispielsweise eines der üblichen Schiffe erst umgebaut werden, weil die Höhe der Decks auch für einen jungen Elefanten nicht ausreichte. Und für eine Fahrt nach Europa von etwa 30 Tagen mussten etwa 450 kg Nahrung (Heu, Äste mit Blättern) und 2400 bis 4200 Liter Süßwasser mitgeführt werden, insgesamt 10 – 12 Kubikmeter Ladung. Dazu mussten die Reisebedingungen besonders an die Bedürfnisse des Elefanten angepasst sein, damit er auch in guter Verfassung seinen Bestimmungsort erreichte. Dies gelang auch.  Aber da damals in Frankreich Bürgerkrieg herrschte, schenkte Henri Quatre  den Elefanten dem englischen Königshaus, das das Tier in der königlichen Menagerie im Tower von London der staunenden Öffentlichkeit präsentierte. Vermutlich hat er dort aber nicht lange überlebt: Denn man glaubte in London, einen Elefanten ausreichend zu füttern, wenn man ihm Wein zu trinken gäbe.[21] Auch der Elefant von Versailles erhielt Wein zu trinken -jeden Tag 12 Liter- aber er bekam auch 80 Pfund Brot und weitere Nahrung. So verbrachte er immerhin 13 Jahre in der Menagerie und erfreute und erstaunte in dieser Zeit die Besucher. Im Allgemeinen sei er, so der Tenor der zeitgenössischen Berichte, sehr umgänglich gewesen, habe aber auch einige Besucher verletzt, die sich über ihn lustig gemacht hätten.  Ein junger Mann, der ihm nur zum Schein etwas Futter hingeworfen habe, sei von ihm umgeworfen worden. Ein Maler, der das offene Maul des Elefanten habe malen wollen, der aber an den dafür verwendeten Früchten gespart habe, sei von vom Elefanten so mit Wasser bespritzt worden, dass das Bild unbrauchbar geworden sei- was sicherlich auch als Bestätigung für die am Hof von Versailles übliche Wertschätzung von Tieren kolportiert wurde.[22]

Ein besonderer Anziehungspunkt war der Elefant auch für die Maler des Königs. So fertigte Pieter Boel eine Reihe von sehr eindrucksvollen Zeichnungen an.

Pieter Boel, Elefant des Kongo. Ca 1668-1674  © Musée du Louvre[23] 

Nach dem Tod wurde der Elefant aufwändig seziert, eine Prozedur, der sogar der Sonnenkönig selbst die Ehre gab. Als er dazu kam, fragte er nach dem Anatom, dessen Anwesenheit er vermisste. Der kam dann aber -entsprechend aussehend- aus dem Bauch des Elefanten, wo er gerade am Werk war.

Das Skelett des Elefanten befindet sich heute im Pariser Musée national d’Histoire naturelle. Die Stoßzähne sind allerdings nicht original, weil 2013 ein Stoßzahn bei einem Einbruch in das Museum abgesägt und gestohlen worden war.

Hier zwei Füße des Versailler Kongo- Elefanten und der Schatten seines Brustkorbs. Foto: Wolf Jöckel

Zu Zeiten Ludwigs XV. und Ludwigs XVI. gab es dann noch einmal einen Elefanten in der Menagerie von Versailles: Es war ein Geschenk des französischen Gouverneurs im indischen Chandernagor/Chandannagar an den König, um auf diese Weise das Interesse des Hofes für die kommerziellen Interessen der Compagnie française des Indes orientales zu befördern. Der Transport des Elefanten von Ostindien an seinen Bestimmungsort war auch hier ein höchst anspruchsvolles logistisches Unternehmen.  Am 12. Februar 1772 wurde der Elefant auf ein Schiff der Handelskompanie verladen. Mit Zwischenstationen in Pondichéry, in Mauritius und La Réunion erreichte er nach 10 Monaten und der Umfahrung Afrikas am 14. Dezember 1772 den französischen Atlantikhafen Loriot. Nach einer Pause ging es am 21. Juli 1773 zu Fuß weiter in das etwa 500 Kilometer entfernte Versailles, das am 19. August des Jahres erreicht wurde: Insgesamt also eine Reise von 18 Monaten! 9 Jahre lebte der indische Elefant, der den Namen Shanti erhielt, in der Menagerie und war dort die große Attraktion. Sehr ruhig und gelehrig streichelte er mit seinem Rüssel Besucher, die ihm Blätter zum Fressen brachten. Wenn er aus seinem Unterstand ins Freie gelassen wurde, reagierte er mit freudigem Trompeten, mit anderen heftigen Trompetenstößen reklamierte er eine Fütterung, die sich verspätet hatte. Natürlich diente auch für ihn der Wein als Nahrung. Shanti soll sogar in der Lage gewesen sein, mit seinem Rüssel eine Weinflasche zu öffnen. So war er Liebling des  Hofes, bis er bei einem Ausbruch aus seinem Gehege im Grand Canal ertrank. Die Haut des Elefanten wurde allerdings konserviert und 1805 von Napoleon der Universität von Pavia geschenkt- ein bescheidener Ausgleich für die Plünderung italienischer Kunstschätze.  Der Präparator des dortigen Naturkundemuseums stellte mit der Haut eine Dermoplastik her, die für die Ausstellung Les Animaux du Roi nach Versailles ausgeliehen wurde und dort bewundert werden konnte.

Foto: Wolf Jöckel (Ausstellung Versailles)

Der Kampf der Tiere: Das Labyrinth als Gegenstück zur Menagerie

Sahlins hat das Labyrinth von Versailles als eine Art „Gegen-Menagerie“ bezeichnet. Denn während in der Menagerie das friedliche Neben- und Miteinander der dort versammelten Tiere präsentiert wurde, ist das Labyrinth von Terror und Gewalt zwischen den Tieren bestimmt. Entworfen von dem königlichen Gartenarchitekten Le Nôtre war das Labyrinth in den ersten Jahren  nach seiner Entstehung ein traditioneller Ort höfisch-galanter Festivitäten im Zeichen der Liebe. Zwischen 1672 und 1674 wurde das Labyrinth dann an das hydraulische System des Parks angeschlossen und von etwa zwanzig Künstlern mit einem Bildprogramm der Äsop-Fabeln bestückt.  39 Fabeln wurden durch Brunnen und 333 Tierplastiken aus farbig gefasstem Blei symbolisiert.

Offizieller Plan und Führer des Labyrinths aus dem Jahr 1777 von Charles Perrault und Isaac de Benserade. Dort ist auf einer Seite jeweils ein Brunnen abgebildet, auf der dazu gehörigen anderen wird in einem Vierzeiler von Benserade seine Botschaft zusammengefasst.[24]

Das Bildprogramm hat verschiedene Dimensionen: Es werden Tugenden wie Bescheidenheit propagiert wie im Brunnen 16. Dort beklagt sich der Pfau, warum er nicht so gut singen kann wie die Nachtigall. Die Antwort der befragten Göttin: „Crois-tu que dans ce monde on puisse tout avoir?“ – glaubst du denn, dass man in dieser Welt alles haben kann?  Mit dem Brunnen 31 wird der Absolutismus gefeiert. Thema ist da die Schlange, die zwar sieben Köpfe hat, aber der anderen mit nur einem Kopf unterlegen ist. Die Botschaft ist eindeutig: „Un chef est absolu, plusieurs ne le sont pas.“  

Vor allem geht es in den Stationen des Labyrinths um Neid, Bosheit, Streit und Kampf. Da gab es den Brunnen 21 zur Fabel vom Wolf und dem Kranich: Der Kranich hatte dem Wolf einen Knochen, an dem der sich verschluckt hatte, aus dem Hals gezogen. Den versprochenen Dank erhält er aber nicht – er solle froh sein, nicht gefressen zu werden.[25]  

Das Thema der Gewalt und Aggressivität ist in dem Labyrinth omnipräsent: In aller Deutlichkeit am Brunnen 6, der die Fabel vom Adler und dem Fuchs illustriert.[26]

Das Nest mit sechs kleinen Adlern ist auf einem Baumstumpf postiert, an den ein Fuchs Feuer legt: Der Adler hatte sich der kleinen Füchse bemächtigt, aus Rache wird der Fuchs die vom brennenden Nest herunterfallenden Adler-Jungen fressen. Dazu der Vierzeiler:

Compères et voisins assez mal assortis,/ À la tentation tous deux ils succombèrent:/ Car l’aigle du renard enleva les petits/Et le renard mangea les aiglons qui tombèrent.

In einer einfachen Sprache wird hier ein Hobbes’scher Naturzustand illustriert (Sahlins).[27]

Auch bei dem bedeutendsten Brunnen des Labyrinths (Nummer 12) geht es um Kampf und zusätzlich um Verrat. Thema ist der Kampf zwischen Landtieren und Vögeln: „guerre des deux costez sanglante & meurtière“. Die auf einem Felsen versammelten Vierfüßler versuchen mit ihren Wasserfontänen die an der Kuppel eines halbrunden Pavillons befestigten Vögel zu treffen. [28]

Im Halbkreis darum gibt es weitere wasserspeiende Tiere wie dieser Ziegenbock, auf dem ein Affe reitet.[29]

Bilder der Ausstellung von Wolf Jöckel

Auch der heulende Wolf gehört ebenso wie der kampfeslustige und rachsüchtige gallische Hahn zu den im Halbrund postierten wasserspeienden Landtieren.

Die etwa 50 aufsteigenden Fontänen formten sich im Inneren des Pavillons zu einem beeindruckenden Gewölbe. Die Fledermaus allerdings, die auf Seiten der Landtiere kämpft, wird zur Strafe von Licht und Sonne ausgeschlossen.  

Die Darstellung der animalischen, wölfischen Natur des Menschen im Labyrinth wurde in der Versailler Ausstellung „Les animaux du roi“ noch durch Bilder des Tiermalers Jean Baptiste Oudry illustriert, die Mitte des 18. Jahrhunderts vom königlichen Hof bestellt worden waren. Es sind Darstellungen von Fabeln de La Fontaines.

Hier die beiden Ziegen, die um den Vorrang kämpfen, zuerst den Bach überqueren zu dürfen und die dann beide von der Brücke stürzen.

Und dies ist die Illustration der berühmten Fabel vom Wolf und dem Schaf. Es steht starr vor Schreck da und ist dem Zähne-fletschenden Wolf hilflos ausgeliefert. Die Botschaft: „La raison du plus fort est toujours la meilleure.“ (Der Stärkere hat immer Recht).

Das Labyrinth ist aber nicht nur eine Welt des Kampfes, des Kriegszustandes,  sondern auch des Schattens. Die Wege des Labyrinths waren von so hohen Hecken eingefasst, dass die Sonnenstrahlen nicht eindringen konnten. Schon 1668 wurde dies in einem zeitgenössischen Bericht festgestellt: „l’épaisseur des arbres empêche que le soleil ne se fasse sentir“.[30]  – ganz anders als sonst im Park, in dem die Sonne, das Symbol des Königs, die Fontänen und Wäldchen beschien.

Die einem zeitgenössischen Labyrinth-Führer entnommene Abbildung des Brunnens 31 mit seiner Illustration der Fabel über die Schlange mit den sieben  Köpfen bereitet die Besucher in aller Deutlichkeit auf einen Ort vor, wo die Sonne nicht scheint.[31]

Menagerie und Labyrinth gehören damit, gerade in ihrer Gegensätzlichkeit, zusammen. [32] Seit 1674 war es üblich, bei einem Rundgang durch den Park von Versailles zunächst das Labyrinth zu besuchen und zum Abschluss die Menagerie. Im Schatten des Labyrinths herrschte der Krieg aller gegen alle, der bellum omnium contra omnes, und es wird in vielfachen Variationen die Wolfsnatur des Menschen präsentiert. Hier weht der Geist Hobbes‘ und des Absolutismus.  Die Menagerie dagegen ist das Modell einer Welt der Harmonie, der gezügelten Leidenschaften, der Schönheit.  Die Zivilisation hat gesiegt und mit ihr und durch ihn der Sonnenkönig. Sein Ruhm erstrahlt auf dem Weg von Dunkel des Labyrinths ins Licht der Menagerie umso heller.

Thema des nachfolgenden Blog-Beitrag ist der Saal der Hoquetons im Schloss von Versailles, wo jetzt die noch erhaltenen Tierfiguren des Labyrinths dauerhaft zu sehen sind.


Weitere Blog-Beiträge zu Versailles:

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Anmerkungen

[1] http://www.noblesseetroyautes.com/exposition-la-menagerie-de-chantilly/  Zum Schloss von Chantilly siehe  auch den Blog-Beitrag https://paris-blog.org/2016/04/09/schloss-und-park-von-chantilly-eine-alternative-zu-versailles/

[2] Zu der Saline von Ledoux siehe den Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2019/07/14/die-grosse-saline-von-salins-les-bains-und-die-koenigliche-saline-von-arc-et-senans-unesco-weltkulturerbe-im-jura/

Zu den nach dem Panoptikum-Modell gebauten Gefängnissen des 19. Jahrhunderts siehe: https://paris-blog.org/2016/06/14/wohnen-auf-historischem-boden-la-grande-et-la-petite-roquette/

[3] Abbildung aus: Peter Sahlins, https://ageofrevolutions.com/2021/07/19/absolute-animals-the-royal-menagerie-and-the-royal-labyrinth-at-versailles/  und   https://de.wikipedia.org/wiki/Menagerie#/media/Datei:Versailles_M2.JPG

[4] Abbildung aus: http://thisisversaillesmadame.blogspot.com/2013/12/the-menagerie.html

[5] Bild aus: https://fr.wikipedia.org/wiki/M%C3%A9nagerie_royale_de_Versailles#/media/Fichier:Plan_de_la_m%C3%A9nagerie_de_Versailles_sous_Louis_XV.jpg

[6] Das Bild aus dem musée des Beaux-Arts in Limoges gehörte zu der Versailler Ausstellung,

[7] Pieter Boel (Zeichnung) und Gérard Scotin (Gravure), Vue latérale de la Ménagerie de Versailles. Siehe dazu: Ausstellungskatalog S. 74. Ausstellungsfoto.

[7a] Kronenkranich: https://presse.chateauversailles.fr/expositions/expositions-au-chateau/les-animaux-du-roi/  und https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/ausstellung-les-animaux-du-roi-in-versailles-tiere-am-hof-17703770.html siehe auch Ausstellungskatalog S. 135

[8] Bild aus: https://.com/2021/07/19/absolute-animals-the-royal-menagerie-and-the-royal-labyrinth-at-versailles/

[9] Madeleine de Scudéry, La promenade de Versailles, S. 96 https://books.google.de/books?id=l1tfAAAAcAAJ&printsec=frontcover&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false

[10] Mémoires pour une histoire naturelle des animaux (Paris: Imprimérie Royale, 1676), S. 157.  Zitiert von Sahlin, Ausstellungskatalog S. 44

[11] Siehe dazu auch: Nicolas Milovanovic, Versailles contre les animaux-machines. Ausstellungskatalog, S. 33ff und Pressedossier der Ausstellung. Herunterzuladen unter: Les animaux du Roi | Château de Versailles (chateauversailles.fr)  Eingesehen am 22.2.2022

[12] Madeleine de Scudéry, a.a.O., S. 94/95. Dieser Abschnitt ist vor allem auf folgenden Text gestützt: Vincent Delieuvin, Nicasius Bernaerts, Portraitist des animaux de Versailles. In: Ausstellungskatalog, S. 20-27

[13] Zu dem Kasuar von Boel und weiteren Abbildungen des Vogels siehe den Ausstellungskatalog S. 108/109 und S. 94

[14] Zur Glas- und Möbelproduktion für Versailles siehe den Blog-Beitrag: Der Faubourg Saint-Antoine (1): Das Viertel des Holzhandwerks  https://paris-blog.org/2016/04/04/der-faubourg-saint-antoine/  

Zur Rattenplage, zu deren Bekämpfung „ein deutscher Jude“ engagiert wurde, siehe das entsprechende Kapitel bei William Ritchey Newton, Hinter den Fassaden von Versailles.  Mätressen, Flöhe und Intrigen am Hof des Sonnenkönigs. Berlin: Ullstein 2010 (Die Ratten von Versailles, S. 178f)

[15] Bild aus: https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010059337

[16]   © Musées de la ville de Montbéliard  https://www.arts-in-the-city.com/2021/10/20/les-animaux-du-roi-exposes-au-chateau-de-versailles/  Wandteppich Verdure à l‘autruche

[17] Damhirsch:  https://musees.ville-senlis.fr/Collections/Explorer-les-collections/OEuvres-commentees-musee-de-la-Venerie/Nicasius-BERNAERTS-Cerf-du-Gange

Stachelschwein: https://img.wikioo.org/ADC/Art.nsf/O/AQSNYH/$File/Nicasius-Bernaerts-PORC-EPIC.jpg

[18] Den Ausdruck -allerdings mit Fragezeichen versehen- verwendet Delieuvin in seinem Artikel über Nicasius Bernaerts. Ausstellungskatalog S. 24

[19] Siehe: https://www.klosterlorch.de/wissenswert-amuesant/persoenlichkeiten/kaiser-friedrich-ii  Die nachfolgende Abbildung ist dieser Seite entnommen. Zu der Darstellung von Elefanten im Mittelalter siehe auch: L’éléphant au Moyen-Âge, entre réalisme et fantaisie – L’expo qui ne trompe pas ! (wordpress.com)

[19a] Zur symbolischen  Bedeutung des Elefanten siehe den Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2022/02/02/der-elefant-der-bastille/

[20] Siehe: Marie-Pascale Colace/ Christophe Maneuvrier,  L’éléphant africain offert à Henri IV par des marins de Dieppe (1591)  In:  Annales de Normandie 2018/2 (68e année), S.  61 – 76  https://www.cairn.info/revue-annales-de-normandie-2018-2-page-61.htm

[21] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Tower-Menagerie

[22] Zu den Elefanten von Versailles: Philippe Candegabe und Edoardo Razetti, Les deux éléphants de Versailles. In: Ausstellungskatalog, S. 50-54; Außerdem Ausstellungskatalog S. 84-88

[23] Bild aus: https://www.arts-in-the-city.com/2021/10/20/les-animaux-du-roi-exposes-au-chateau-de-versailles/

[24] © BNF  Bild aus Absolute Animals: The Royal Menagerie and the Royal Labyrinth at Versailles – Age of Revolutions

[25]https://en.wikipedia.org/wiki/The_labyrinth_of_Versailles#/media/File:BELLAMY(1768)_p298_THE_LABYRINTH_OF_VERSAILLES_(26).jpg

[26] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fable_6_-_L%E2%80%99aigle_%26_le_Renard_-_Perrault,_Benserade_-_Le_Labyrinthe_de_Versailles_-_page_59.png

[27] Siehe Ausstellungskatalog S. 46 und 248

[28] Fable XII : Le Combat des Animaux terrestres et des Oyseaux. CC0 Paris Musées / Petit Palais  https://www.petitpalais.paris.fr/oeuvre/le-labyrinthe-de-versailles  s.auch Ausstellungskatalog, S. 249

[29]

[30] Zitiert im Ausstellungskatalog S. 46

[31] Schlange mit mehreren Köpfen im Labyrinth von Versailles. BNF. Abbildung aus: https://ageofrevolutions.com/2021/07/19/absolute-animals-the-royal-menagerie-and-the-royal-labyrinth-at-versailles/

[32] Zu dieser abschließenden Wertung siehe Sahlins, Absolute animals und  Ausstellungskatalog S. 46/48