Endlich spritzt, sprudelt und dreht er sich wieder:  Der Strawinsky-Brunnen von Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle am Centre Pompidou

Nach 18-monatiger Renovierung präsentiert sich der Strawinsky-Brunnen in Paris zu seinem 40. Geburtstag wieder in seiner vollen farbenfrohen, wassersprühenden Pracht. Der Brunnen besteht aus einer großen rechteckigen Wasserfläche, 33 Meter lang und 17 Meter breit und 16 beweglichen Skulpturen. Er wird deshalb auch Fontaine des Automates genannt.  Die Skulpturen haben alle einen Namen und  eine Verbindung zur Musik im Allgemeinen und zu der Igor Stravinskys im Besonderen.

Am bekanntesten und auffälligsten ist sicherlich die Skulptur des Feuervogels, der sich auf Strawinskys gleichnamiges Ballett bezieht. Es ist ein Werk von Niki de Saint Phalle, die den Brunnen zusammen mit Jean Tinguely gestaltet hat.

Alle Fotos dieses Beitrags, wenn nicht anders angegeben, von Wolf Jöckel

Der Kuss: wohl eine Anspielung an den Kuss der Erde aus dem 1913 in Paris uraufgeführten Ballett Le Sacre du Printemps

Im Gegensatz zu Niki de Saint Phalles farbigen Figuren bestehen die Jean Tinguelys aus  schwarzem Metall.

Hier sein wassersprühender Notenschlüssel

Den Auftrag für den Brunnen erhielt zunächst allein Jean Tinguely. Während der Arbeit bat er aber darum, dass neben seinen dunklen Maschinen auch bunte Skulpturen von Niki de Phalle in das Ensemble aufgenommen werden sollten. Das stieß zunächst auf erheblichen Widerstand seitens der Auftraggeber. Dass schließlich dann doch der Brunnen als Gemeinschaftswerk akzeptiert wurde, war nicht zuletzt der Fürsprache von Madame Pompidou, der Witwe des früheren Staatspräsidenten, zu verdanken. In einem Interview mit dem Beaux-Arts Magazine en 1983 erläuterte Jean Tinguely die Beziehung der dunklen und der bunten Skulpturen: In der Nacht seien es vor allem die bunten Elemente, die beleuchtet würden, das sei dann eine Fontäne Nikis, während seine Maschinen verschwänden, wie Geister wirkten. Tagsüber dagegen sei das Schwarz deutlich zu erkennen, vor allem bei schlechtem Wetter, und dann könne man genau die Einzelheiten der Maschinen sehen. [1]

 Insgesamt ein wunderbares Gesamtkunstwerk an einem ganz besonderen Platz: Zwischen der spätgotischen Kirche Saint Merri aus dem 15. Jahrhundert auf der einen Seite….

…. und der „futuristischen“ Architektur des Centre Pompidou auf der anderen- die allerdings ja doch auch etwas Gemeinsames haben: Dass nämlich stützende bzw. tragende Elemente – bei Saint Merri die Strebebögen und Strebepfeiler, beim Centre Pompidou das stählerne Korsett- deutlich sichtbar sind.

Hier einen solchen Brunnen zu errichten war ein äußerst kühnes Projekt. Man muss sich nur einmal vorstellen, wie es davor hier aussah: „Tot!… triste Einöde, die sich zwischen zwei Bauwerken hindehnt, wovon eines- die Kirche Saint-Merry- der -Geschichte angehört und das andere -das Centre Pompidou eben in sie eingeht… Schmucklos-unpersönliche Betonplatten, gerade noch für Fußball geeignet, geschätzt nur von herumirrenden Kötern.  … Ein völlig leerer Platz also, eine leblose Wüste. Und es war recht unerfreulich, dieses Vakuum tagtäglich vor Augen zu haben!“.[1a]

Wer dies schrieb und wer das Vakuum dieses Platzes tagtäglich vor Augen hatte, war der französische Komponist Pierre Boulez, der erste Direktor des Institut de Recherche et de Coordination Acoustique / Musique(IRCAM), das an diesem Platz seinen Sitz hat. Deshalb wurde dieser auch nach Igor Strawinsky benannt. Pierre Boulez schätzte Strawinsky als Wegbereiter der modernen Musik sehr, und zudem war Strawinsky Paris auch in besonderer Weise verbunden: 1910 reiste er erstmals nach Paris, dort wurden die Ballette  Der Feuervogel (1910) und die Nachfolgewerke Petruschka (1911) und  Le sacre du printemps (1913) uraufgeführt. Von 1920  bis 1940 lebte Strawinsky in Frankreich; 1934 wurde er französischer Staatsbürger.

Die Idee, den tristen Strawinsky-Platz mit einen Brunnen zum Leben zu erwecken, kam Boulez in Basel: Dort gibt es den großen Fassnachts-Brunnen von Jean Tinguely.[2]

Noch einmal Pierre Boulez: „Ach, es sei gestanden: aus einem Brunnen kam der Brunnen, und aus Basel wurde Paris. Hatte man den zauberhaften Brunnen in Basel einmal gesehen, so konnte man sich den Platz hier gar nicht mehr anders vorstellen als belebt von ebensolchen zauberhaften, im Wasser mechanisch angetriebenen Körpern, schwarz und bunt, geometrisch und figürlich.“  Schwarz und bunt: Also ein Gemeinschaftswerk von Jean Tinguely mit seinen schwarzen und seiner Lebensgefährtin Niki de Saint Phalle mit ihren bunten Figuren.

Und dass die beiden gemeinsam Wunderbares hervorbringen konnten, zeigten sie ja am Rande des Waldes von Fontainebleau in Milly- la-Forêt.[3]

Die Cyklop-Fotos stammen aus den Jahren 2010, 2015 und 2021

Dort errichteten sie damals den gewaltigen Cyklopen, ein 22 Meter hohes begehbares Ungetüm aus 350 Tonnen Stahl…

…. einäugig wie der Cyklop aus der Odyssee und bedrohlich, vor allem, wenn sich die rostigen Maschinen mit ohrenbetäubendem Lärm in Bewegung setzen…

… aber gleichzeitig auch blitzend, bunt und verspielt.  Und in der Wasserfläche ganz oben: Ein faszinierendes Spiel reflektierender Farben.

Beste Voraussetzungen also für den gemeinsamen Brunnen auf dem Strawinsky-Platz. Und Tinguely hatte ja  in den Jahren davor schon zahlreiche Wassermaschinen gebaut, auch in Kombination mit Riesen-Nanas seiner Partnerin. [4]

Das für die Weltausstellung 1967 in Monreal angefertigte und danach endgültig in Stockholm aufgestellte  Paradis fantastique von Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle

Auch von Seiten der Stadt Paris waren die Voraussetzungen bestens:  Denn zu Beginn der 1980-er Jahre beschleunigte die Stadt ihre Politik zugunsten monumentaler zeitgenössischer künstlerischer Schöpfungen: Prominente Beispiele dafür sind die Glaspyramide von Ieoh Ming Pei  im Hof des Louvre oder die Säulen Les deux plateaux von Daniel Buren im Ehrenhof des Palais Royal. Dazu passte  durchaus das Projekt des Strawinsky-Brunnens.

Die Herausforderungen waren allerdings gewaltig: Denn der Strawinsky-Platz war ja nichts anderes als ein Dach, unter dem höchst kostspielige und empfindliche Geräte des IRCAM gelagert waren. Auf keinen Fall durften da Geräusche oder gar Wasser eindringen. Die Tragfähigkeit des Daches war also zu berücksichtigen. Das bedeutete: Die Wasserfläche des Brunnens musste in ihrer Höhe begrenzt werden, das verwendete Material in seinem Gewicht: Für die Kunststoff- Figuren Niki de Saint Phalles kein Problem, für die Konstruktionen Tinguelys schon: Stahl wie in Milly-la-Forêt schied aus, stattdessen baute er seine Installationen aus dem leichteren Aluminium….

Bis das endgültige Konzept entwickelt war, wurde eine Vielzahl von Entwürfen hergestellt; für die einzelnen Figuren wie den Feuervogel…

…. oder die Nachtigall, auch eine Fontäne, die sich auf das Werk Strawinskys bezieht, nämlich die Märchenoper Le Rossignol, die 1914 ebenfalls in Paris,  in der Opéra Garnier,  uraufgeführt wurde.

… vor allem aber für die gesamte Anlage: Denn die einzelnen Figuren sollten sich ja aufeinander beziehen, sollten ein harmonisches Ganzes bilden, gewissermaßen ein Wasserballett zu Ehren Strawinskys.

Aber schließlich war es so weit: Am 16. März 1983 war die enflottage de la fontaine, wurde der Brunnen eingeweiht.  

Einladungskarte von Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle für die Eröffnung

Jean Tinguely, Jaques Chriac, damals Bürgermeister von Paris, mit seiner Frau Bernadette und Niki de Saint Phalle bei der Eröffnung des Brunnens. Crédit photo : Marc Verhille / Ville de Paris [5]

Und Pierre Boulez war begeistert: „es sprudel, spritzt und schäumt, dreht sich in Kreisen und Spiralen, taucht ein ins Wasser und lässt im Hochkommen tausend Tropfen stieben, sprüht in gewundenen Strahlen und hohen Bögen in alle Himmelsrichtungen, zaubert im Tanz irisierende Regenbögen zu den leuchtenden Eigenfarben der mechanischen Körper hinzu: sprühendes, überschäumendes Leben, eine Pracht, wonach es diesen Platz schon immer gedrängt hat.“

Pierre Boulez konnte mit Recht begeistert sein. Denn mit dem Strawinsky-Brunnen wird auf ganz wunderbare Weise die Tradition der Wasserkunst fortgesetzt, die in den Brunnen- und Gartenanlagen des 17. und 18. Jahrhunderts triumphierte.  Gerade auch in Paris wurde diese Tradition im 19. Jahrhundert wieder aufgenommen.[6]  Monumentalbrunnen wie die auf der Place de la Concorde hatten die Funktion, wichtige Plätze und Verkehrsknotenpunkte zu markieren – allerdings mit dem traurigen Resultat, dass sie, verkehrsumbraust, für die Menschen kaum noch zugänglich waren und sind. Anders der Strawinsky-Brunnen: Dort gibt es keine Autos, keinen Verkehrslärm, auch kaum wilde Radfahrer; stattdessen aber oft zwischen Brunnen und Centre Pompidou Straßenspektakel mit Akrobatik und Musik, oft zum Mitmachen für alt und jung…

Und der Brunnen lädt dazu ein, zu verweilen, dem Spiel der Farben und des Wassers zuzuschauen, sich auf seinen Rand zu setzen oder in eines der benachbarten Cafés. Er ist also, wie Bürgermeister Chirac bei der Einweihung des Brunnens hervorhob, vom demokratischen Geist beseelt.

Ein Schandfleck des Platzes waren allerdings die traurigen,  geschlossenen Häuserfronten auf einer Längsseite des Platzes. Die wurden dann aber bald von bekannten Künstlern der Street-Art gestaltet.

Den Anfang machte ein Werk von  Jean-François Perroy, alias Jef Aérosol (Aérosol= Sprühlack), einem  der bekanntesten Street-Art-Künstler in Paris,  „ein Protagonist der urspünglichen französischen pochoir-Bewegung“. 

 Es handelt sich um ein  Selbstportrait des Künstlers mit dem Titel „chuuuttt!!!“ (Pssst!!!), ein Auftragswerk des Centre Pompidou. Mit seinen 350 qm² war es lange eines der größten Wandbilder der Welt.

Und zu seinen Füßen die Sirene von Niki de Saint Phalle.[7]

Foto von 2019 aus dem Instagram-Account von Obey[8]

Daneben gibt es seit 2019 ein großes Wandbild von Shepard Fairey alias Obey. In Paris ist er bekannt durch seine Installation unter dem Eiffelturm zur Weltklimakonferenz 2015 und durch seine Beiträge zur open-air-Ausstellung der XXL-Formate im 13. Arrondissement, vor allem seine Aufsehen erregende weinende Marianne.

Foto: Wolf Jöckel September 2022

Obey vermittelt gerne mit seinen Wandbildern und Werken auch politische Botschaften. Das Wandbild am Strawinsky-Brunnen steht unter dem Motto: Knowledge + Action= power.

Fairey schreibt dazu:  The Knowledge + Action mural is inspired by Art Nouveau but with a very currently relevant message. Apathy and ignorance have promoted a decline in civility and quality civic engagement, giving rise to forces who promote fear, division, and nationalism. We all need to understand the importance of both educating ourselves and taking action as we shape the future.[9]

Das Wandbild fordert also die Betrachter dazu auf, das offene Buch der Zukunft durch eine Kombination von Wissen/Erziehung und Aktion zu beschreiben. Es ist eine Auftragsarbeit der Stadt Paris.

Und schließlich gibt es noch ein drittes Werk der Street-Art an dem Strawinsky-Brunnen, nämlich ein monumentales (halbes) Mosaik des Invaders. Der hat hier durchaus seinen legitimen Platz,  bereichert er  doch mit seinen inzwischen weit über 1000 meist kleinen Mosaiken an den Hauswänden von Paris das Bild der Stadt.

Und an der Längsseite gegenüber gibt es mehrere Cafés, von denen aus man in Ruhe die Wandbilder, vor allem aber die Wasserspiele beobachten kann…

Der Elefant

Die sich drehende wasserspritzende Schlange

Zum Leben gehört auch der Tod:  Er ist im Werk Strawinskys präsent ebenso wie in dem von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely. Also hat er auch hier seinen Platz.

Die Klanginstallationen Ircam circus

Anlässlich der Restaurierung des Brunnens hat das IRCAM  zwei Klangkreationen  in Verbindung mit den farbenfrohen Skulpturen des Brunnens und dem Künstlerpaar Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely  geschaffen. In der ersten erzählt Hélène Frappart, begleitet von Musik,  sieben Geschichten zu ausgewählten Fontänen des Brunnens; die zweite ist eine elektronische Musik zu Ehren der beiden Künstler.

Die Werke sind zugänglich mit Hilfe eines QR-Codes, der auch neben dem Brunnen am IRCAM befestigt ist, und über Ircam Circus.

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Das nachfolgende Gedicht hat Jean Tinguely 1982 Madame Pompidou geschickt: Die Vision eines wunderbaren Brunnens, der einmal auf einem Platz in Paris sprudeln werde: Eine Vision, die Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle mit dem Strawinsky-Brunnen am Centre Pompidou Wirklichkeit werden ließen. Der Autor des Gedichts, Robert Desnos (1900-1945), war in der französischen Résistance engagiert, wurde 1944 verhaftet und starb einen Monat nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Theresienstadt an Typhus.

La Prophétie von Robert Desnos

D’une place de Paris jaillira une si claire fontaine
Que le sang des vierges et les ruisseaux des glaciers
Près d’elle paraîtront opaques.
Les étoiles sortiront en essaim de leurs ruches lointaines
Et s’aggloméreront pour se mirer dans ses eaux près de la Tour Saint-Jacques.

D’une place de Paris jaillira une si claire fontaine
Qu’on viendra s’y baigner, en cachette, dès l’aurore.
Sainte Opportune et ses lavandières seront ses marraines
Et ses eaux couleront vers le sud venant du nord.

Un grand marronnier rouge fleurit à la place
Où coulera la fontaine future,
Peut-être dans mon grand âge
Entendrai-je son murmure ;

Or le chant est si doux de la claire fontaine
Qu’il baigne déjà mes yeux et mon cœur.
Ce sera le plus bel affluent de la Seine,
Le gage le plus sûr des printemps à venir, de leurs oiseaux et de leurs fleurs.


Anmerkungen

[1] https://www.paris.fr/pages/la-fontaine-stravinsky-retrouve-son-eclat-decouvrez-ses-secrets-24204

[1a] Pierre Boulez, Vorwort zu: Jean Tinguely, Niki de Saint-Phalle, Strawinsky-Brunnen Paris. Bern: Benteli-Verlag 1983

[2] https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Tinguely-Brunnen_%28Basel%29?uselang=de#/media/File:Basel2004_img_3157.jpg

[3] https://paris-blog.org/2016/04/11/milly-la-foret-jean-cocteau-niki-de-saint-phalle-und-jean-tinguely/

[4] Nachfolgendes Bild aus: https://www.schirn.de/magazin/kontext/2023/niki_de_saint_phalle/einmal_um_die_welt_mit_niki_de_saint_phalle/

[5] Bild aus: https://www.paris.fr/pages/la-fontaine-stravinsky-retrouve-son-eclat-decouvrez-ses-secrets-24204?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=s44

[6] Franz Meyer, Wasseraktion und Wasserspektakel. Zur Vorgeschichte der Pariser ‚Fontaine‘. In: Jean Tinguely, Niki de Saint-Phalle, Strawinsky-Brunnen Paris, S. 13/14

[7] Nach https://actu.fr/ile-de-france/paris_75056/limage-une-nouvelle-oeuvre-geante-peinte-par-street-artiste-obey-coeur-paris_25641544.html handelt es sich um ein Portrait von Salvador Dali

[8] Bild aus: https://www.instagram.com/p/BzB74oglKW_/?utm_source=ig_embed&ig_rid=9453f39b-eec2-4b76-850f-f7074d44a663

[9] Zit aus Faireys Instagram-Seite in:  https://actu.fr/ile-de-france/paris_75056/limage-une-nouvelle-oeuvre-geante-peinte-par-street-artiste-obey-coeur-paris_25641544.html

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