Vivant Denon, der Kunsträuber Napoleons, und sein Musée Napoléon (Louvre) Teil 2: Die „Raubkampagnen“ Denons in Deutschland: „Soll ich etwa nichts nehmen?“

Dies ist der zweite Teil über Napoleons Kunsträäuber Vivant Denon. Im ersten Teil wurde die große Ausstellung deutscher Raubkunst behandelt, die 1806/1807 im Musée Napoléon stattfand, das im Louvre, dem ehemaligen Königsschluss installiert wurde.

https://paris-blog.org/2021/05/01/vivant-denon-der-kunstrauber-napoleons-und-sein-musee-napoleon-louvre-teil-1-die-grose-ausstellung-deutscher-raubkunst-1806-1807/

Im nachfolgenden zweiten Teil wird gezeigt, wie Vivant Denon bei der Plünderung deutscher Kunstschätze vorging und wo die Schwerpunkte seiner Raubzüge lagen.

1806, im Zuge des Vierten Koalitionskriegs, der mit dem entscheidenden französischen Sieg bei Jena und Auerstedt entschieden war,  beauftragte der inzwischen zum Kaiser gekrönte Napoleon seinen Generaldirektor der Museen Vivant Denon, die Kunst in den neu eroberten deutschen Gebieten zu sichten und die besten Stücke nach Paris zu überführen. Mit einem ähnlichen Auftrag hatten seit 1794 schon mehrere Kommissionen und Kunstkommissare wiederholt  in den linksrheinischen Gebieten Werke der Wissenschaft und Kunst konfisziert- selbst noch nach deren Annexion und Umwandlung in französische  Departements.[1]  Denon wusste also, was er zu tun hatte. Er arbeitete gewissenhaft, stellte akribisch für die übernommenen Werke  Quittungen aus (die er von den bisherigen Eigentümern bzw. deren Bevollmächtigten unterzeichnen ließ), erstellte Inventare und klassifizierte das neu hinzugekommene Kunstgut in ausstellungswürdige Stücke und solche, die in Magazinen aufzubewahren waren (dazu gehörte beispielsweise die Berliner Quadriga). Seine detaillierten Dokumentationen ermöglichten nach der Niederlage Frankreichs ab 1814 aber auch die Rückforderung der enteigneten Kunstwerke.

Man würde allerdings Denon Unrecht tun, ihn  in Schwarz-Weiß-Manier schlicht und einfach als brutalen Kunsträuber zu qualifizieren.  Denon hatte als Diplomat in Neapel und Sankt Petersburg gelebt, war in Venedig, wo er die Bekanntschaft Goethes machte,  als Zeichner und Kupferstecher hervorgetreten,  hatte sich als Sammler und Kunsthändler betätigt und in seiner Jugend anonym eine bis heute berühmte erotisch-libertäre Novelle verfasst, „Nur eine Nacht“. Für Milan Kundera, der sich davon zu seinem Roman „Die Langsamkeit“  inspirieren ließ  „einer der schönsten französischen Prosatexte aus dem 18. Jahrhundert.“ 

Auf diesem „allegorischen Portrait“ (Benjamin Zix 1811) sieht man Denon beim Katalogisieren der (geraubten) Kunstschätze für das Musée Napoléon, mit denen der Raum angefüllt ist.[2] Bei dem Obelisken handelt es sich um den riesigen Obelisken, den Denon auf Wunsch Napoleons auf dem Pont Neuf errichten wollte- da wo bis 1792 die Reiterstatue Heinrichs IV. stand und seit 1818 wieder steht. [2a] Dahinter sieht man die Säule von der place Vendôme, Denons ureigenstes Werk, das hier entsprechend in Szene gesetzt ist.[3] Rechts daneben steht ein Modell des begehbaren Elefanten, der einmal die place de la Bastille zieren sollte.   Und über all  dem wacht Napoleon, dessen Lorbeer-bekränzte Büste links im Bild vor hellem Hintergrund nicht zu übersehen ist.

Im Juni 1798 brach Vivant Denon mit Napoleons Flotte nach Ägypten auf. Er gehörte zu den 160 Gelehrten und Künstlern, die den Feldzug begleiteten, und hatte den Auftrag, ihn zeichnerisch zu dokumentieren.

©  akg-images / VISIOARS

Wie bedeutsam Denons Rolle dabei war, veranschaulicht dieses Bild Mulards, von dem hier der zentrale Ausschnitt wiedergegeben ist: Der General Bonaparte überreicht dem Militärchef von Alexandria einen Säbel eine Szene vom Juli 1798. Direkt neben Bonaparte steht Denon im blauen Mantel mit seinem Zeichenblock. Auf der Grundlage der dort gesammelten Zeichnungen entstand ein zweibändiges Standardwerk über die ägyptische Kunst, das wesentlich zur Ägyptomanie im Frankreich um 1800 beitrug.

Johann Gottfried Schadow, auf dessen Quadriga vom Brandenburger Tor Denon sein –wie Schadow sagte- gieriges Auge geworfen hatte, schrieb über ihn:

„Er hat einen Kunstblick, der einzig ist, den Wert der Originalität, den Meister und das Zeitalter zu erkennen, er ist viel gelehrter, als man allgemein glaubt.“[4]

Pierre-Paul Prud’hon, Portrait des Barons Vivant Denon.  Musée du Louvre[5]

Auf dem Weg nach Berlin, wo er Schadow traf, machte Denon, drei Tage nach dem Sieg von Jena und Auerstedt,  in Weimar Station. Friedrich Müller, der spätere Weimarer Kanzler, berichtet, wie am 17. Oktober ein „ein kleiner, schwärzlicher Mann im schlichten blauen Oberrocke…um ein Einquartierungs-Billet auf das goethesche Haus ‚pour Monsieur Denon‘ bat. … Es lässt sich denken, dass Denon bei Goethe die willkommenste Aufnahme fand. Er erzählte, wie er dem kaiserlichen Hauptquartier überall nachzufolgen angewiesen sei, um nach Maßgabe der Ereignisse Zeichnungen zu Denkmünzen aufzunehmen und sein Urteil über eroberte Kunstschätze und deren Auswahl abzugeben.“[6]

Goethe hatte Denon 1790 in Venedig kennengelernt und freute sich in der Tat in diesen „bedenklichen Tagen“ über das Wiedersehen. In seinen Tagebüchern von 1831 lobt er den französischen Stadtkommandanten, der sich „gegen mich sehr gut benommen“ habe:

„Er quartierte Herrn Denon bei mir ein und machte dadurch die unglücklichen Tage zu frohen Festtagen, indem auch der Genannte wegen früherer Verhältnisse und einem herkömmlichen Zutrauen mich das Lästige des Augenblicks nicht fühlen ließ.“[7]

Seinem Freund Carl Ludwig von Knebel schreibt Goethe kurz nach dem Treffen:

„Habe ich dir schon geschrieben, dass ich einen Besuch von meinem alten Freund Denon hatte, der sich einige Tage bei uns aufhielt? So muss erst ein Gewitter vorbeiziehen, wenn ein Regenbogen erscheinen soll!“[8]

Es ist viel, was Goethe als „Gewitter“ bezeichnen konnte: Die Niederlage der Preußen, in deren Reihen auch sein Herzog als General gedient hat. … Die Gefahr für den Weiterbestand des Herzogtums, zu dessen politischen Repräsentanten er zählte.  … Die Gefahr für sein eigenes Leben, als die Stadt von marodierenden Soldaten durchzogen und verwüstet wurde und möglicherweise nur Christiane Vulpius durch ihr mutiges Dazwischengehen ihm Gut und vielleicht sogar Leben gerettet hat…[9]

Aber dann spricht Goethe im Zusammenhang mit Denon vom „Regenbogen“:  Denon erinnerte ihn an die wunderbare Zeit in Venedig. Und noch während Denons Aufenthalt in Weimar heiratete er Christiane und machte damit aus einem Tag der Schmach einen persönlichen Freudentag.  Und nicht zuletzt:  Denon verzichtete darauf, in Weimar Kunstwerke zu konfiszieren.

Zu diesem Zweck reist er weiter nach Berlin.

Auf dieser Karte von Bénédicte Savoy sind die beiden „Beutezüge“ des „Auges Napoleons“  in den Jahren 1806-1809 eingezeichnet:  Der erste führte ihn 1806/1807 nach Norddeutschland, der zweite 1809 über München nach Wien.[10]

Im Folgenden werde ich mich auf drei Orte beschränken: Berlin, Braunschweig und Kassel. Nicht nur (abgesehen von Platzgründen) deshalb, weil dies Schwerpunkte der „Mission“ Denons  in Deutschland waren, sondern weil dabei, wie ich hoffe, die Praxis der Konfiszierungen exemplarisch deutlich und  anschaulich wird.

Denon und die Quadriga

Am 27. Oktober 1806 zog Napoleon nach der siegreichen Schlacht bei Jena und Auerstedt  in Berlin ein – durch das noch von der Quadriga gekrönte Brandenburger Tor.[11]

Vivant Denon, zuständig für die Sichtung und Konfiszierung der künstlerischen Kriegsbeute, folgte Napoleon auf dem Fuß. Allerdings war er skeptisch. Schon einen Tag nach seiner Ankunft schrieb er an seinen Kaiser:

„Wenn auch Kunstgegenstände unter die Kriegsabgaben aufgenommen werden sollten, wird Preußen in dieser Beziehung nur sehr wenig beisteuern können.“[12]

Allerdings musste Denon Berlin nicht mit ganz leeren Händen verlassen.  Er konfiszierte immerhin 204 überwiegend antike Marmor- und Bronzefiguren, darunter  den betenden Knaben,  Amor und Psyche und die Knöchelspielerin,  die dann in der Ausstellung 1807/1808 im Musée Napoléon präsentiert wurden. Dazu kamen u.a. 538 Gemmen, etwa 12000 historische Münzen, Elfenbeinschnitzereien, Bernsteinobjekte und 123 Bilder aus dem Berliner Schloss und Sanssouci.

Auf dieser Federzeichnung von Benjamin Zix vom November 1806 sieht man Denon – in der Mitte stehend-  in dem Medaillen-Kabinett des Berliner Stadtschlosses. „Aus einem Münz- und Medaillenschrank links im Hintergrund hat Denon einen Kasten entnommen –die offene Schublade des Schrankes lässt dies vermuten- und überprüft im Stehen den Inhalt, während Rhode (der Hausverweser des Schlosses W.J.) ihm über die Schulter schaut. Am Tisch vor dem Fenster sitzt Denons Sekretär Perne … und listet offensichtlich die konfiszierten Gegenstände auf, die nach Paris transportiert werden sollten.“ Links sieht man den betenden Knabenaus, rechts Amor und Psyche und im Rücken von Perne auf einem Sockel die mächtige Portraitbüste des großen Kurfürsten, die verschollen ist. „Auf dem rechten Münzschrank oben die bronzene Reiterstatuette Friedrichs II. (wenig später schmückte sie eine Kaminkonsole im Schloss St. Cloud) als Zeichen der Verehrung des Preußenkönigs durch Napoleon.“ [13]

Ein besonderes Beutestück war die Quadriga, die Johann Gottfried Schadow 1793 für das Brandenburger Tor geschaffen hatte. Schadow, der Denon als „sehr lüstern“ bezeichnet, schreibt in seinen Erinnerungen:

„Denon, der sich durch seine Beschreibung von Ägypten einen guten Namen gestiftet hat, den jedoch die französischen Generale ‚notre voleur à la suite de la Grande Armée – unseren Dieb bei der Großen Armee nannten, kam, um die Abnahme der Quadriga vom Brandenburger Tor anzuordnen…“[14]

“Der Pferdedieb von Berlin” – Karikatur auf Napoleons Raub der Quadriga vom Brandenburger Tor. Radierung (um 1813) © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Knud Petersen[15]

Die Quadriga gehörte also auch zu der Kriegsbeute, die über Spree, Havel, Elbe, Nordsee, Rhein und Mosel zu Wasser, dann auf dem Land bis zur Marne und von dort wieder auf dem Schiff nach Paris transportiert wurde – dort allerdings in einem Magazin verschwand. Mit der in Italien konfiszierten venezianischen Quadriga konnte sie doch nicht mithalten…

© RMN Musée du Louvre

Benjamin Zix hat „die Ankunft der in Berlin konfiszierten Werke beim Musée Napoléon“  mit Feder und Tinte festgehalten. In der Mitte im Vordergrund sind (mit etwas Mühe) „Amor und Psyche“ und der „Betende Knabe“ zu erkennen, rechts neben dem Eingang des Museums die Quadriga.[16]

1814 kehrte die Quadriga wieder nach Berlin zurück – vom erfindungsreichen Berliner Volksmund passender Weise „Retour-Kutsche“ getauft. Vielen Dank, Pierre Sommet, für diesen Hinweis! [16a]

Lüsterne Blicke zur Sixtinischen Madonna

Ganz zufrieden war Denon mit seiner Berliner Ausbeute allerdings nicht. Seine Blicke waren nämlich auf Sachsen und dessen reiche Kunstschätze gerichtet. Allerdings hatte das bisher mit Preußen verbündete Sachsen einen Kurswechsel vollzogen und der sächsische Kurfürst wurde dafür von Napoleon zum König erhoben. Aber in einem glücklicherweise überlieferten Brief, den Denon Ende 1806 an Napoleon sandte,  versucht er den Kaiser in fast beschwörendem Ton von einem partiellen Abtransport der Dresdner Gemäldegalerie nach Paris zu überzeugen:

 „Die Geldwerte, die in den Verträgen nie gänzlich ausgezahlt werden, könnten hier durch einige Stücke ergänzt werden, die einen tatsächlichen Wert bekämen, da sie vollständig in den Schatz Ihres Ruhmes Eingang fänden und auf ewig dort verblieben. Auch wenn Ihre Majestät nur wenige Gegenstände fordern würde, so wäre damit doch in jedem Falle ein großer Wert gewonnen. Ein einziges Gemälde von Raffael aus der Sammlung von Dresden ist vom König August mit 9000 Louis bezahlt worden, für Ihre Majestät ist es das Doppelte wert. Die Nacht von Correggio hat mindestens denselben Preis; zwei weitere Correggios und ein Holbein sind vom selben Range. Dieser letztgenannte Maler fehlt Ihrem Museum. Es ist keine Plünderung, die ich Ihrer Majestät vorschlage, wenn ich sie bitte, vier oder sechs Gemälde einer Sammlung zu fordern, die 2000 umfasst, darunter 200 von höchstem Rang, und zu der außerdem Berge von Gold, Diamanten und Perlen gehören.“[17]

Allerdings hatte Denon hier ausnahmsweise  keinen Erfolg. Aus diplomatischen Rücksichten verzichtete Napoleon darauf, die Sixtinische Madonna in sein Pariser Museum zu überführen… Und die „Berge von Gold, Diamanten und Perlen“ blieben auch in Dresden. Ironische Anmerkung:  Vielleicht wären sie allerdings –denkt man an den spektakulären Juwelendiebstahl von 2019-  in Paris sicherer gewesen als im Dresdner Grünen Gewölbe… [18]

Mit Henri Beyle/Stendhal in Wolfenbüttel

Nächste Etappe auf dem Beutezug Denons war das Herzogtum Braunschweig.  Dort gab es die legendäre Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, die im 17. Jahrhundert als größte Bibliothek nördlich der Alpen galt und in der schon Leibnitz und Lessing als Bibliothekare tätig waren. Berühmt war sie vor allem wegen ihrer wertvollen Handschriften. Am Tag vor Weihnachten 1806 besuchte Denon in Begleitung des für das Herzogtum zuständigen General-Intendanten Daru die Bibliothek. „Sie ließen sich die Handschriftenkataloge vorlegen, um sie nach Paris zu senden, damit man dort auswählen konnte. Einige der schönsten Bilderhandschriften nahmen sie jedoch gleich mit.“[19]  Die Fachleute der Bibliothèque impériale in Paris wählten dann treffsicher die wertvollsten Stücke der Bibliothek aus: 318 Handschriften und 37 Bücher aus der Frühzeit des Buchdrucks. Die wurden in Wolfenbüttel beschlagnahmt, und zwar von Henri Beyle, einem jungen Mann im Rang eines „Adjoint provisoire aux commissaires des guerres“ (Kriegskommissarsgehilfe). Er war es  auch, der Anfang 1807 die Beutestücke nach Paris  begleitete.[20]  Dieser junge Mann  wird ab 1817 seine Bücher unter dem Namen Stendhal veröffentlichen….

Beyle war nach der preußischen Niederlage von Jena und Auerstedt zunächst in Berlin tätig.[21]  In der „Friedrichsgasse“ – im Vergleich zu den Pariser Boulevards war die Friedrichstraße  ja tatsächlich eine Gasse- hörte er zum ersten Mal die deutsche Sprache. Sie kam ihm vor wie das „Krächzen von Raben“.  Die Braunschweiger Eindrücke sind vielfältiger. 1808 entsteht ein Text „Voyage à Brunswick“ (Reise nach Braunschweig), der zeigt, dass der Mittzwanziger sich in der Residenz des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel sehr genau umgesehen hat. Was fällt ihm auf? Das Wetter natürlich:  „Die Straßen sind sieben Monate im Jahr schlammig und unpassierbar. Es gibt keinen Frühling.“ Die Deutschen scheinen sich in ihrem halbjährigen Winter aber ganz wohl zu fühlen: „Die Fenster werden während des Winters nie geöffnet, der Ofen stets bis zur Gluthitze geschürt“. Überall in der Öffentlichkeit werden Frauen mit Zärtlichkeiten förmlich überschüttet – ausnahmslos von ihren Gatten allerdings, denn der Respekt vor dem „heiligen Band der Ehe“ gilt unangefochten  –für einen Franzosen (nicht nur) dieser Zeit völlig exotisch. Die Liebkosungen fallen aber „phlegmatisch und kalt“ aus. Das scheint die Frauen jedoch nicht zu stören. Die sind meist „Mutter und sonst nichts“, dazu schwerfällig wie die Kühe. Das kommt vom falschen Essen. Allein das Frühstück! „Diese redlichen Deutschen essen vier oder fünf Butterbrote, trinken dazu zwei große Gläser Bier und danach einen Schnaps. Diese Ernährungsweise macht den agilsten Menschen phlegmatisch.“ Mittags gibt es das beliebte Bier als Suppe, dazu „eine enorme Platte mit Sauerkraut und Würstchen, ein Gericht, das seinerseits die Verdummung fördert. Danach wird noch ein Braten mit einem übelriechenden Kohlrübensalat serviert, während frisches Gemüse nur selten auf den Tisch kommt.“

Kein Wunder, dass  Denon unter diesen Umständen nicht allzu lange in Braunschweig bleiben will. Aber immerhin nutzt er seinen Aufenthalt noch zum Besuch der Gemäldesammlung der Herzöge von Braunschweig in Salzdahlum und des Museums in Braunschweig. Dort wecken immer mehr Stücke sein Interesse, so dass er doch sechs volle Tage mit dem „Ausheben“ beschäftigt ist. Er beschlagnahmt schließlich 278 Gemälde, mehr als doppelt so viele wie in Berlin und Potsdam zusammen, dazu fast 250 alte Zeichnungen, antike Büsten, Bronze- und Marmorfiguren, Emaille-Arbeiten aus Limoges, eine bedeutende Majolika-Sammlung und viele weitere kunsthandwerkliche Arbeiten, die zusammen in 54 Kisten nach Paris verfrachtet werden.

Dass Denon sich in Braunschweig keine Zurückhaltung bei den Konfiszierungen auferlegte, beruht wohl auch darauf, dass Braunschweig in Frankreich ein verhasster Name war: Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel  war  „die treibende Kraft im Krieg der alliierten Mächte und der Emigranten gegen das sich erhebende und erneuernde Frankreich von 1792 gewesen.“ Er hatte den Franzosen in  dem  berüchtigten Manifest des  Herzogs von Braunschweig mit „beispielloser Rache gedroht, wenn sie dem König und dessen Familie etwas antäten.“  Und er war auch  Oberbefehlshaber der preußischen Truppen in der sog. Kanonade von Valmy vom  20. September 1792. Karl Wilhelm Ferdinand war zwar in der Schlacht von Auerstedt tödlich verletzt worden, aber sicherlich werden die Kisten aus Braunschweig in Paris mit besonderer Genugtuung begrüßt worden sein.[22]

Kassel: spät kommt er, doch er kommt….

Nach getaner Arbeit reiste Denon nach Kassel weiter, wo er aber erst zwei Monate nach der Besetzung der Stadt ankam. Da war ihm ein anderer schon zuvorgekommen: Eine Geschichte, die es wert ist, kurz erzählt zu werden[23]: Als Kurfürst Wilhelm von Hessen-Kassel  im September 1806 den heraufziehenden Krieg kommen sah, brachte er sich in Sicherheit, gleichzeitig aber auch –wie er hoffte- die „werthvollsten Kunstschätze seiner herrlichen Kasseler Galerie“: Denn es gab ja schon hinreichend Anzeichen dafür, dass mit siegreichen Franzosen auch die „Kunstsammler“ einrücken würden. So traf er eine Auswahl von 48 Gemälden, die er  zusammen mit dem Staatsschatz in 42 Kisten verstauen und mit Hilfe von Tagelöhnern und Bauern in das nördlich von Kassel gelegene Jagdschloss Sababurg  transportieren ließ. Dort wurden sie in einem ehemaligen Verließ so versteckt und die schmale Tür so vermauert, dass kein Unterschied  zu den umliegenden Steinen zu erkennen war. Der Maurermeister verwendete die gleichen Steine wie in der umliegenden Wand, staubte sie ein und zündete ein Feuer an, um die Fugen zu trocknen und die Steine mit Ruß ›altern‹ zu lassen. Aber alle Mühe war vergebens. Denn der französische Gouverneur General Joseph Lagrange hatte Wind von der Sache bekommen und nach entsprechenden drakonischen Strafandrohungen  von dem Versteck erfahren und die 48 Bilder konfisziert. Vermutlich um sich beim kaiserlichen Hof einzuschmeicheln, ließ er sie nach Mainz transportieren, wo sich gerade Kaiserin Josephine aufhielt. Die begutachtete die 36 dort eingetroffenen Bilder -12 waren auf dem Weg abhanden gekommen – und entschied, dass sie in ihrem Schloss Malmaison ausgestellt werden sollten. Inzwischen war allerdings Denon in Kassel eingetroffen,  hatte durch Einsicht in das Inventar der Gemäldegalerie von der Existenz der besonders wertvollen  Bilder erfahren und wollte auch diese im Musée Napoléon ausgestellt sehen.  Er wandte sich also an seinen Kaiser, aber der entschied sich gegen Denon und für Josephine: „Elle ne seroit pas Impériatrice, si elle agiroit autrement“ – sie wäre keine Kaiserin, wenn sie anders handelte.  Josephine durfte also die Gemälde in ihren Privaträumen behalten- eine eklatante Verletzung des revolutionären Prinzips von der Befreiung der Kunst und des Museumsgedankens. Die Behauptung, kein einziges der in den napoleonischen Kriegen erbeuteten Kunstwerke sei für private Zwecke abgezweigt worden[24], stimmt also, wie auch dieses Beispiel zeigt, nicht. 

So zierten also die Lieblingsbilder des Kasseler Kurfürsten die Wände des Schlosses von Malmaison. 1811 waren es allerdings nur noch 20 bis 23, die anderen hatte Josephine wohl verkauft oder verschenkt.

Als Ex-Kaiserin Josephine 1814 verstarb, gab es ein großes Tauziehen um die Bilder. Denon versuchte, jetzt endlich die Gemälde für das Musée Napoléon zu erlangen und natürlich wollte  Kurfürst Wilhelm I. seine Bilder wieder zurückerhalten, wobei er sogar von dem nach Paris gereisten Jacob Grimm,  einem der berühmten Gebrüder Grimm,  -wenn auch eher widerwillig- unterstützt wurde.[25] Es gelang allerdings lediglich, drei später als  „minderwerthig“ erkannte  Stücke“[26] wieder nach Kassel zurückzuholen.   Erfolgreicher war  Zar Alexander I., der von den Erben Josephines  rund zwanzig der in Malmaison ausgestellten Bilder kaufte – 16 davon stammten aus dem auf der Sababurg versteckten Bestand. Sein Interesse an den Bildern war deshalb groß, weil er im Frühjahr 1814 nach der Niederlage Napoleons Josephine kurz vor ihrem Tod  in Malmaison getroffen und die Bildergalerie bewundert hatte.

Und was ist seitdem aus den Bildern geworden?  Bei vielen ist der Verbleib unbekannt. Die meisten aber, deren Verbleib bekannt ist  –nämlich 16- sind heute in der Ermitage in Sankt Petersburg zu sehen. Kurfürst Wilhelm war von dem Deal Alexanders natürlich not amused und beschwerte sich beim Zaren.  Der soll ihm daraufhin angeboten haben, die Gemälde zu dem Preis zurückzukaufen, den er bezahlt hatte- eigentlich ein nobles Angebot des mit einer deutschen Prinzessin verheirateten Zaren, auch wenn es sich bei den Bildern nach heutigen progressiven  Maßstäben  (wie bei den Berliner Benin-Bronzen)  um Hehlerware handelte.  Angeblich aus Stolz schlug Wilhelm aber das Angebot aus, indem er erklären ließ, dass er nicht für sein Eigentum bezahlen würde. So hängen die meisten der nicht verschollenen Kasseler Preziosen bis heute in der Ermitage.

Vivant Denon hat einmal von sich gesagt, er sei „nur der Mann, der zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort war.“[27]  Das trifft im Falle Kassel nicht ganz zu. Aber auch wenn die liebsten Stücke des Kurfürsten schon weg waren: Als Denon in Kassel ankam, blieb für ihn dennoch genug übrig und zu tun. Denn die Landgrafen von Hessen – Kassel hatten –unter anderem durch die Vermietung von Soldaten an kriegführende Verbündete (beispielsweise Großbritannien im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg)  systematisch hochwertige Kunst in ganz Europa aufgekauft. Die Gemälde wurden in einem Mitte des 18. Jahrhunderts in einem eigens dafür errichteten Bau  der Öffentlichkeit zugänglich gemacht- eine damals äußerste fortschrittliche Neuerung- so dass auch hier von einer „revolutionären Befreiung der Kunst“ nicht die Rede sein kann.

Auf dieser Zeichnung von Benjamin Zix sieht man „das Auge Napoleons“ – im Vordergrund stehend-  beim Begutachten und der Konfiszierung in der Kasseler  Gemäldegalerie mit ihren Oberlichtsälen, einer epochemachenden Neuerung.[28]  Denon konfiszierte insgesamt 299 Gemälde mit prominenten Namen: Rembrandt, Franz Hals, van Dyck und andere Flamen und Niederländer, dazu Albrecht Dürer, Lucas Cranach und einige Italiener wie Caravaggio, Tizian, Tintoretto…

Und dann gab es ja noch das Fridericianum mit der landgräflichen Bibliothek und vor allem der Antikensammlung ,  ein Bau, an dem übrigens auch der französische „Revolutionsarchitekt“ Nicolas Ledoux mitgewirkt hatte. [29] Das Fridericianum galt als das erste öffentliche Museum Europas, womit sich der Kunstraub auch hier in seiner ganzen Brutalität und Nacktheit präsentierte.  Der Oberaufseher des Hauses, Ludwig Völkel, musste den „Hauptrequisitor der Kunstwerke“ auf seinem Beutezug begleiten.  Was die überlebensgroßen Statuen in der Antikensammlung angeht, hatte Denon ihm schon vorher erklärt, hier

„… müsse er grausam sein, denn es sei ausdrücklicher Befehl des Kaisers, dass alle antiken Statuen nach Paris gebracht werden sollten. … Er wurde sogar heftig: ‚Was wollen Sie, soll ich etwa nichts nehmen? Nun, so wird ein anderer kommen, der alles abholt.‘ Welche schreckliche, grauenvolle Zeit war das für mich! Alle Säle wurden nach und nach durchgegangen und allenthalten wurde genommen.“[30]

Vivant Denon – in der Bildmitte stehend- beaufsichtigt den Abtransport der Skulpturen aus der Antikensammlung. Eine Zeichnung von Benjamin Zix[31]

Da half auch nichts, dass Kassel damals eine in vielerlei Hinsicht französisch geprägte Stadt war,  architektonisch und städtebaulich im Stil à la française durch die Mitglieder der Hugenottenfamilie du Ry.   Adolph Freiherr von Knigge bezeichnete Kassel als „ein Mittelding zwischen Paris und Berlin“ und bemerkte:  „Hier in Cassell ist alles nach französischem Schnitte. Die Hälfte der Einwohner ist auch wohl von dieser Nation, und der Ton in allen Gesellschaften und am Hofe also gestimmt.“[32]

Aber wie auch hätte das Vivant Denon von seiner Mission abbringen sollen…. Und die war dann doch –entgegen seiner anfänglichen eher bescheidenen Erwartungen- höchst erfolgreich. Im Januar 1807 schrieb er an Napoleon:

„Ich komme aus Kassel, wo ich eine reiche Ernte prächtiger Dinge eingefahren habe. … Alles in allem werde ich eine Ernte gemacht haben, die zwar nicht mit derjenigen von Italien verglichen werden kann, aber weit über dem liegt, was ich von Deutschland erhoffte.“[33]

Erinnerungsorte Vivant Denons in Paris

Es gibt in Paris mehrere Orte, die an Vivant Denon erinnern. Der wichtigste ist natürlich der Louvre. Immerhin hatte Denon –die Gunst Napoleons und der französischen Expansionspolitik nutzend-  den Grundstein  gelegt für  die  internationale Ausstrahlung des Louvre: Er hatte die Ausstellungsflächen vervielfacht, die Lichtverhältnisse durch den Umbau der Räume erheblich verbessert und mit einer klar strukturierten,  effektvollen und besucherfreundlichen  Präsentation von Kunstwerken aus allen Epochen das Musée Napoléon im  Louvre zu dem damals bedeutendsten  Museum der Welt gemacht. Zwar musste er nach der Niederlage Napoleons die Rückgabe zahlreicher Kunstwerke an ihre ursprünglichen Besitzer hinnehmen und trat verbittert als Direktor des Museums zurück. Aber auch mit den verbliebenen Schätzen blieb der Louvre „ein einzigartiger Tempel der Kunst und das absolute Vorbild für viele Museumsgründungen in ganz Europa.[34]  

Allerdings wurde erst im Zweiten Kaiserreich Napoleons III. ein deutliches Zeichen der Erinnerung an Denon gesetzt: Der schon früher geplante Südflügel wurde gebaut und diente nun als Haupteingang des Museums: Sein Name: Pavillon Denon.

Heute betritt man den Louvre im Allgemeinen durch die Glaspyramide des chinesisch-amerikanischen Architekten Ieoh Ming Pei, die 1989 zur Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution fertiggestellt wurde. „Nur wenigen Besuchern dürfte dabei bewusst sein, daß die Pyramide, eines der großen Bauprojekte der Mitterand-Ära, auf einen Mann verweist, ohne den es den Louvre so nicht gegeben hätte: auf den burgundischen Edelmann Vivant Denon“, der Napoleon auf seinem Ägypten-Feldzug als Zeichner begleitete.[35]

Dann gibt es eine Gedenktafel am Haus  7, Quai Voltaire, wo Denon die letzten Jahre seines Lebens verbrachte.

Man hat den alten Denon als einen „viellard heureux“, einen glücklichen Alten,  bezeichnet. Morgens empfing er seine Gäste, abends war er ein gern gesehener interessanter und anregender Gast in den Salons der besseren Gesellschaft. Tagsüber kümmerte er sich vor allem um seine private Sammlung, die neben berühmten Gemälden, ägyptischen und griechischen Stücken auch Kuriositäten enthielt, wie Knochensplitter von Molière und La Fontaine, einen Teil des Schnurrbarts von Heinrich IV. und ein Blatt von der Weide, unter der Napoleon damals noch auf Sankt Helena ruhte.[36]

Das Grabmal Denons auf dem Père Lachaise

Bestattet wurde Denon auf dem Friedhof Père Lachaise (10. Division- schräg gegenüber dem Grabmal Chopins). Ursprünglich hatte ihm der Bildhauer Cartellier einen Bleistift in die rechte Hand gegeben – ein Hinweis auf Denons Rolle als Zeichner, die eine wesentliche Grundlage seines Ruhms war.

Foto: Wolf Jöckel Oktober 2022

Die Beisetzungsfeierlichkeiten waren Anlass zu den dabei üblichen offiziellen Lobreden, die allerdings von einem unvorhergesehenen Zwischenfall begleitet waren: Als der Sarg noch kaum mit Erde bedeckt war, erschien der Maler Jean-Auguste-Dominique Ingres, blickte in das offene Grab und rief aus: „Gut, das ist gut! Da ist er endlich und dort wird er bleiben.“[37]  Manchem Opfer seiner Beutezüge wird er da aus dem Herzen gesprochen haben…

Eingestellt am 5. Mai 2021, dem 200. Jahrestag des Todes Napoleons.

Literatur:

Aylin Birdem,  1811 „Das Auge Napoléons“ im Lichte seiner Tätigkeit https://transliconog.hypotheses.org/kommentierte-bilder-2/1811-das-auge-napoleons-im-lichte-seiner-taetigkeit

Jean Chatelain, Dominique Vivant Denon et le Louvre de Napoléon. Librairie Académique Perrin 1999

Miriam Cockx, Kunstpolitik Napoleons – Bezüge zur Antike. https://wallraf.mapublishing-lab.uni-koeln.de/kunstraub/kunstschaetze-im-visier/kunstpolitik-napoleons-bezuege-zur-antike/ 

Astrid Fendt, La non-restauration des statues antiques berlinoises à Paris. CeROArt. Revue électronique 2012. https://journals.openedition.org/ceroart/2409?lang=en  

Reinard Kaiser. Der glückliche Kunsträuber. Das Leben des Vivant Denon. München: C.H.Beck 2016

M. de Lanzac de Laborie, Le Musée du Louvre au temps de Napoléon. Revue des Deux Mondes, 6e période, tome 10, 1912, p. 608-643

Philippe Malgouyres, Le Musée Napoléon.  Sammlung Promenades der Réunion des Musées Nationaux.  Paris 1999

Maximiliane Mohr, Das Museum Fridericianum in Kassel.  Diss. Uni Heidelberg 2017  https://books.ub.uni-heidelberg.de/arthistoricum/reader/download/586/586-16-87738-3-10-20200220.pdf

Napoleon und Europa. Traum und Trauma. Kuratiert von Bénédicte Savoy unter Mitarbeit von Yann Potin. Katalog der Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn vom 17.12.2010 bis 25. April 2011. Prestel Verlag 2010

Sigrun Paas/Sabine Mertens (Hrsg), Beutekunst unter Napoleon. Die „französische Schenkung“ an Mainz 1803. Mainz: Verlag Philipp von Zabern 2003

Pierre Rosenberg, Marie-Anne Dupuy (éd.), Dominique-Vivant Denon, L’œil de Napoléon, Ausstellungskatalog Paris 1999 

Bénédicte Savoy, Pillages et restitutions. In: Arts et Sociétés Nummer 60. Herausgegeben vom Centre d’Histoire de Science Po. https://www.sciencespo.fr/artsetsocietes/fr/archives/1209

Bénédicte Savoy,  Kunstraub: Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen; mit einem Katalog der Kunstwerke aus deutschen Sammlungen im Musée Napoléon, Böhlau Verlag, Wien 2011,

Bénédicte Savoy, Die französische Beschlagnahmung von Kunstwerken in Deutschland 1794-1815. In: Sigrun Paas/Sabine Mertens (Hrsg), Beutekunst unter Napoleon.  Die „französische Schenkung“ an Mainz 1803. Mainz: Verlag Philipp von Zabern 2003, S. 137- 144

Ernst Steinmann, Der Kunstraub Napoleons. Hrsg. von Yvonne Dohna mit einem Beitrag von Christoph Roolf: Die Forschungen des Kunsthistorikers Ernst Steinmann zum Napoleonischen Kunstraub.  Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom 2007 Copyright Bibliotheca Hertziana. Kapitel 8.4.: Vivant Denon in Deutschland. http://edoc.biblhertz.it/editionen/steinmann/kunstraub/016%20Steinmann_Kapitel_8_IV.pdf

https://fr.wikisource.org/wiki/Le_Mus%C3%A9e_du_Louvre_au_temps_de_Napol%C3%A9on


Anmerkungen

[1] Siehe Bénédicte Savoy, Die französische Beschlagnahmung von Kunstwerken in Deutschland 1794-1815, S. 138  Von dort habe ich auch den Begriff „Raubkampagnen“ der Kapitelüberschrift übernommen.  Ausführlich zu den Beutezügen: Savoy, Kunstraub, S. 27 ff

Titelbild der Quadriga vom Brandenburger Tor aus dem Wikipedia-Artikel „Quadriga“

[2] Benjamin Zix: „Allegorisches Portrait von Vivant Denon“ (1811).  Bild aus: https://transliconog.hypotheses.org/kommentierte-bilder-2/1811-das-auge-napoleons-im-lichte-seiner-taetigkeit

[2a] Siehe dazu den (geplanten) Beitrag über die Reiterstatue Heinrichs IV. auf dem Pont Neuf.

[3] Siehe dazu den (geplanten) Blog-Beitrag über die Siegessäule auf der place Vendôme

[4] Zit. Kaiser, S. 218  Die Kehrseite war allerdings, dass man Denon, wie es natürlich immer wieder versucht wurde, kaum täuschen konnte….

[5] Bild aus: https://www.napoleon.org/en/history-of-the-two-empires/biographies/denon-dominque-vivant/ 

[6] Zit. bei Kaiser, S. 210/211

[7] Zit. bei Kaiser, S. 211

[8] Zit. bei Kaiser, S. 213

[9] Siehe dazu: Sigrid Damm, Christiane und Goethe. Eine Recherche.FFM/Leipzig 2001, S. 326f

[10] Karte aus: Bénédicte Savoy, Europäischer Kulturtransfer – Die französische Beschlagnahmung von Kunstwerken in Deutschland 1794-1815  In: Sigrun Paas/Sabine Mertens (Hrsg), Beutekunst unter Napoleon, 141  Entsprechend auch in Savoy, Kunstraub, S. 119

[11] Bild aus: https://artsandculture.google.com/asset/einzug-napoleons-an-der-spitze-seiner-truppen-durch-das-brandenburger-tor-nach-der-siegreichen-schlacht-bei-jena-und-auerstedt-berlin-27-oktober-1806/

[12] Zitiert bei Kaiser, S. 213

[13] Zitate aus: Beutekunst unter Napoleon, S. 163. Siehe auch: 1806-1807: DAS »AUGE NAPOLÉONS« IN DER KUNSTKAMMER DES BERLINER SCHLOSSES  Kommentiert von: Sophie Angelov und Miriam Jesske https://transliconog.hypotheses.org/kommentierte-bilder-2/1806-1807-das-auge-napoleons-in-der-kunstkammer-des-berliner-schlosses

[14] Zitiert bei Kaiser, S. 218 und 219

[15] Bild aus: https://blog.smb.museum/der-nackte-kutscher-da-oben-die-quadriga-des-brandenburger-tors/

Siehe dazu auch: 1813 (ca): Napoleons Raub der Berliner Quadriga in der Karikatur. Kommentiert von Andrea Meyer. https://transliconog.hypotheses.org/kommentierte-bilder-2/1813-ca-napoleons-raub-der-berliner-quadriga-in-der-karikatur  Veröffentlicht 8.7.2019

[16] Siehe Kaiser, Abbildung 15. Astrid Fendt gibt als Zeichner  Jacques-François Swebach an.  La non-restauration des statues antiques berlinoises à Paris (openedition.org)

[16a] Siehe Pierre Sommet, Ein Wort und seine Geschichte- Aus dem Buch Wie das Croissant nach Paris kam und die Bulette nach Berlin.  https://madamebaguette.tumblr.com/  

[17]  Zit.nach : Bénédicte Savoy, Unschätzbare Meisterwerke. Der Preis der Kunst im Musée Napoléon. In: Swoboda, G. (Ed.)  Bd. 2., Europäische Museumskulturen um 1800. Wien ; Köln ; Weimar: Böhlau, 2013, S. 412    https://depositonce.tu-berlin.de/bitstream/11303/7673/3/savoy_2013.pdf  und Kaiser, Der glückliche Kunsträuber, S. 221

[18]  Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Dresdner_Juwelendiebstahl

[19] Wolfgang Milde, Stendhal in Wolfenbüttel: Kriegskommissar und Bibliotheksbenutzer. In: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek. Herausgegeben von Paul Raabe. Band 5, FFM: Vittorio Klostermann 1982, S. 163

[20] Kaiser, S. 223; Milde a.a.O. nennt eine geschätzte Zahl von 400 konfiszierten Werken. Siehe zu Wolfenbüttel auch Savoy, Kunstraub, S. 131f

[21] Die nachfolgende Passage weitgehend übernommen aus: Tilmann Krause, Braunschweig bringt die Syphilis. WELT PRINT  23.04.2010  https://www.welt.de/welt_print/kultur/article7298466/Braunschweig-bringt-die-Syphilis.html

[22] Zitierte Passagen aus Kaiser, S. 225. Zur Kanonade von Valmy siehe den Beitrag auf diesem Blog: https://paris-blog.org/2018/06/19/auf-dem-weg-nach-paris-die-muehle-von-valmy-das-fanal-einer-neuen-epoche/

[23] Ich stütze mich hier auf: Anna Franz und Daniel Reupke, Der Lagrange’sche Kunstraub von 1806 in Kassel – historischer Kontext und juristische Aspekte.  http://www.vhghessen.de/inhalt/zhg/ZHG_120/Franz_Reupke_Kunstraub.pdf

[24] „Aucun chef-d’œuvre n’a, en effet, été détourné pour un usage privé“.   https://histoire-image.org/fr/etudes/presence-chevaux-venise-paris-1798-1815

[25] Siehe Bénédicte Savoy, Erzwungener Kulturtransfer. In: Beutekunst unter Napoleon, S. 144: Jacob Grimm beklagte sich 1815 in mehreren Briefen an seinen Bruder Wilhelm, als preußischer und hessischer Reklamationskommissar in Paris wirken zu müssen.

[26] Albert Duncker in einer Arbeit über die Geschichte der  Kasseler Kunstschätze  aus dem Jahr 1883. Zitiert bei Franz/Reupke, S. 98

[27] Zit. bei Kaiser, S. 356

[28] Benjamin Zix, Ausräumung der Kasseler Gemäldegalerie durch die französische Beutekunst-Kommission, Handzeichnung 1807, Bibliothèque nationale, Paris.  Vorne links kniend: Vivant Denon[28]

[29]   Maximiliane Mohr, Das Museum Fridericianum in Kassel.  Diss. Uni Heidelberg 2017, Kapitel 3: Das Museum Fridericianum und Claude-Nicolas Ledoux,  S. 211 ff https://books.ub.uni-heidelberg.de/arthistoricum/reader/download/586/586-16-87738-3-10-20200220.pdf

Zu Ledoux siehe auch die entsprechenden Blog-Beiträge: https://paris-blog.org/2020/06/15/die-mauer-der-generalpaechter-2-die-vier-erhaltenen-barrieren-von-ledoux/ und  https://paris-blog.org/2019/07/14/die-grosse-saline-von-salins-les-bains-und-die-koenigliche-saline-von-arc-et-senans-unesco-weltkulturerbe-im-jura/ 

[30] Zit. bei Kaiser, S. 376 aus:  Ludwig Völkel, Die Beraubung des Museums und der Bibliothek zu Kassel durch die Franzosen.  Dazu auch das Kapitel 4.5.3. : Sammlungsverluste unter französischer Herrschaft in der Arbeit von Maximiliane Mohr.

[31] https://www.mutualart.com/Artwork/Enlevement-des-Sculptures-du-Musee-Casse/DC1F0D9543DD4D49

[32] Maximiliane Mohr, Das Museum Fridericianum in Kassel.  Diss. Uni Heidelberg 2017, S. 200 https://books.ub.uni-heidelberg.de/arthistoricum/reader/download/586/586-16-87738-3-10-20200220.pdf

[33] Zit. bei Savoy, Kunstraub, S. 119

[34] Sigrun Paas, Vernichtung oder Verehrung?- Die Konfiszierung von Kunstwerken in Frankreich zwischen 1789 und 1815. In: Sigrun Paas/Sabine Mertens (Hrsg), Beutekunst unter Napoleon, S. 136

[35] https://www.deutschlandfunk.de/der-kavalier-im-louvre-vivant-denon.700.de.html?dram:article_id=80035

[36] https://www.deutschlandfunk.de/der-kavalier-im-louvre-vivant-denon.700.de.html?dram:article_id=80035

[37] Zitiert bei Chatelain, S. 281

 Weitere Blog-Beiträge mit Bezug zu Napoleon:

Der Arc de Triomphe: Die Verherrlichung Napoleons. (Vive l’empéreur Teil 1)  https://paris-blog.org/2016/11/01/der-arc-de-triomphe-die-verherrlichung-napoleons/

Das Napoleon-Museum auf der Île d’Aix (Vive l’empéreur Teil 2)   https://paris-blog.org/2016/11/16/das-napoleon-museum-auf-der-ile-daix-vive-lempereur-teil-2/

Napoleon in den Invalides (Es lebe der Kaiser!/Vive l’empéreur Teil 3)  https://paris-blog.org/2017/03/12/napoleon-in-den-invalides-es-lebe-der-kaiser-vive-lempereur-3/  

Die Manufacture des Gobelins: Politik und Kunst  (August 2018)  https://paris-blog.org/2018/08/01/die-manufacture-des-gobelins-politik-und-kunst/

Napoleon, de Gaulle und Victor Hugo: Notre Dame, die Geschichte und das Herz Frankreichs  https://paris-blog.org/2019/05/02/napoleon-de-gaulle-und-victor-hugo-notre-dame-die-geschichte-und-das-herz-frankreichs/

150 Jahre Abriss der Vendôme-Säule, Teil 1: Ein Blick auf ihre bewegte Geschichte. Vive l’empereur! À bas l’empereur!)   https://paris-blog.org/2021/06/02/150-jahre-abriss-der-vendome-saule-durch-die-commune-teil-1-ein-blick-auf-ihre-bewegte-geschichte-vive-lempereur-a-bas-lempereur-auch-ein-beitrag-zum-napoleonjahr-annee-napoleon-20/

Vivant Denon, der Kunsträuber Napoleons und sein Musée Napoléon Teil 1: Die große Ausstellung deutscher Raubkunst 1806/1807 https://paris-blog.org/2021/05/01/vivant-denon-der-kunstrauber-napoleons-und-sein-musee-napoleon-louvre-teil-1-die-grose-ausstellung-deutscher-raubkunst-1806-1807/  

Vivant Denon, der Kunsträuber Napoleons und sein Musée Napoléon Teil 2: Die „Raubkampagnen“ Denons in Deutschland: Soll ich etwa nichts nehmen? https://paris-blog.org/2021/05/05/vivant-denon-der-kunstrauber-napoleons-und-sein-musee-napoleon-louvre-teil-2-die-raubkampagnen-denons-in-deutschland-soll-ich-etwa-nichts-nehmen/

Vivant Denon, der Kunsträuber Napoleons, und sein Musée Napoléon (Louvre) Teil 1: Die große Ausstellung deutscher Raubkunst 1806/1807

Der nachfolgende Text versteht sich als Beitrag zum „Napoleon-Jahr“ 2021.  Es geht um „den größten Kunstraub der Neuzeit“, an dem Napoleon einen wesentlichen Anteil hatte.[1] Es ist dies ein Thema,  das zu seiner Zeit viele Leidenschaften geweckt und nicht unerheblich zu dem verhängnisvollen „Franzosenhass“  in Deutschland beigetragen hat. Und es ist ein Thema, das auch eine deutliche aktuelle Dimension hat. Nicht nur deshalb, weil Hitler – in dieser Hinsicht jedenfalls- ein ebenbürtiger Nachfolger Napoleons war und die Wunden von damals immer noch nicht verheilt sind, sondern vor allem auch wegen der aktuellen Debatten um die  Aneignung von Kunstschätzen im Zuge des Kolonialismus: Die Eröffnung des Humboldt Forums mit der zunächst geplanten, inzwischen aber abgesagten Präsentation der sog. Benin-Bronzen im Berliner Schloss hat diesem Thema wieder besondere Aktualität verliehen, und manche heutigen Argumente erinnern sehr an die Stellungnahmen aus der Zeit um 1800…[2]

Schwerpunkt des Beitrags ist der Raub deutscher Kunstwerke, den Vivant Denon im Auftrag Napoleons exekutierte. Ausgehend von der Ausstellung deutscher Raubkunst im Musée Napoléon werden im ersten Teil die Bedeutung der kunsthistorischen Beutezüge Napoleons, die dahinter stehende Rechtfertigungsideologie und die Kritik daran skizziert.

Im zweiten Teil wird an drei Beispielen -Berlin/Potsdam, Braunschweig-Wolfenbüttel und Kassel die Praxis des Denon’schen Kunstraubs konkretisiert. Aber es wird auch die Bedeutung und Persönlichkeit Denons gewürdigt, vor allem die beispielgebende Konzeption seines Museums, auch wenn dies nach Napoleons Waterloo den größten Teil der erbeuteten Kunstwerke wieder abgeben musste. Ein Blick auf drei Erinnerungsorte Denons in Paris bildet den Abschluss des Beitrags.

Die Ausstellung

Dies ist die Titelseite eines mehr als 100 Seiten umfassenden Katalogs von Statuen, Büsten, Reliefs, Bronzen und anderen Altertümern, Gemälden, Zeichnungen und Interessanten Objekten, erobert von der Grande Armée in den Jahren 1806 und 1807, erstellt für die am 14. Oktober 1807, dem ersten Jahrestag der Schlacht von Jena, im Musée Napoléon eröffnete Ausstellung von Beutekunst.  Aufgeführt sind darin –ohne Abbildungen- 710 Objekte, „darunter etwa 80 Marmorskulpturen und –reliefs, 200 kleinere Figuren und andere antike Objekte aus Bronze, Ton und Marmor, 360 Gemälde und 30 Zeichnungen, außerdem Kameen und andere Preziosen sowie einige wertvolle kunsthandwerkliche Arbeiten.“[3]

In dem Katalog sind die Namen der Maler, die im Museum bisher noch gar nicht vertreten waren, mit einer Rosette gekennzeichnet. Zu ihnen gehören Lucas Cranach mit nun 13 Bildern, Canaletto mit 4 Bildern, Martin Schongauer und der Holländern Carel Fabritius.  Dazu kommen u.a. 18 Rembrandts, fünf van Dycks und –allerdings allesamt falsch zugeschrieben- 5 Bilder von Holbein und 4 von Dürer. Es handelte sich dabei um eine Auswahl von etwa 1000 Bildern, die vor allem in Berlin, Potsdam, Kassel und Braunschweig  konfisziert worden waren. [4]

Besonders Aufmerksamkeit fanden die in Deutschland erbeuteten antiken Statuen, die in zwei extra dafür hergerichteten Sälen des Museums ausgestellt wurden. Hier der für diese Ausstellung neu eröffnete und deshalb auch noch nicht vollständig dekorierte  Saal der Diana: In der Mitte ist die Bronzestatue des Betenden Knaben postiert, „ein Meisterwerk des Museums von Berlin“ und eines der prominenten Beutestücke.[5]

© RMN (Musée du Louvre)

Bei diesem Saal handelt es sich um den runden Salon (Salon rond)  bzw. die Apollon-Rotunde des Musée Napoleon. 1659 war sie  von Le Vau, dem Hofarchitekten Ludwigs XIV.,   als Vestibül für dessen Räume errichtet worden, bevor dieser den Louvre verließ und nach Versailles wechselte. Jetzt requirierte Denon diesen Raum für sein Museum und gab ihm anlässlich der Ausstellung auch gleich den passenden Namen: „Salle de la Victoire“ (Siegessaal).   Hier eröffnete Denon die Ausstellung der deutschen Beutekunst.  In der Mitte  ist auf einem Podest die „Knöchelspielerin“ zu erkennen. Sie war Teil der Bildergalerie in Schloss Sanssouci und eine der berühmtesten Antiken aus dem preußischen Besitz, so dass sie natürlich zu den konfiszierten Kunstwerken gehörte.[6]

Rechts davon die Rüstungen von Franz I. und Rudolf von Habsburg auf geschmückten Pferden. Dazwischen ein Haufen Waffen und Trophäen.

Neben den Statuen ist auf der Radierung von Normand/Zix  links oben ein großes Gemälde zu erkennen. Es handelt sich um den „Triumph des Siegers“ aus der Kasseler Kunstsammlung.[7]

Rubens hatte das Bild im Auftrag der Schützengilde von Antwerpen gemalt. Dargestellt ist in allegorischer Form die Bedeutung der Eintracht: die geflügelte Victoria reicht einen Kranz von Eichenlaub dem Sieger, der über Aufruhr, Zwietracht und Barbarei triumphiert.

Hier im Musée Napoléon ist der Kontext ein ganz anderer: Unterhalb des Bildes ist nämlich  eine von dem italienischen Bildhauer Laurenzo Bartolini geschaffene monumentale, 1,55 m hohe Büste Napoleons aufgestellt.

Photo (C) Musée du Louvre, Dist. RMN-Grand Palais / Pierre Philibert

Diese Büste hatte eigentlich ihren Platz über dem Eingang des Museums.  Für die Dauer der Ausstellung wurde sie aber unter dem Bild von Rubens aufgestellt, flankiert  von zwei Victoria-Statuen aus dem Park von Sanssouci.   Als Sieger wird damit der Kaiser präsentiert, und die am Boden liegenden, gefesselten und barbarischen Feinde sind die Deutschen, deren erbeutete  Kunstwerke hier versammelt sind.

Der Sinn dieser dem Herrscherlob dienenden  Inszenierung war eindeutig und von Denon ausdrücklich gewollt. Sie war –nach seinen eigenen Worten-  dazu bestimmt, dass „die Franzosen, indem sie das ruhmreich vom Feinde Erbeutete bewundern, gleichzeitig ihren ehrenden Respekt und ihre Dankbarkeit an den Helden richten können, dem der Sieg die Werke zu Füßen legte.“[8]  Und  bewundern sind also auch hier, wie es in der Louvre-Publikation zum Musée Napoléon heißt, „die Talente Denons als Organisator der Propaganda und als geschickter Höfling“.[9]

Die Ausstellung fand eine große Resonanz. Sie war etwa sechs Monate lang, bis in den März 1808 zu sehen, etwa 12 000 Exemplare des Katalogs wurden verkauft. „Die französische, aber auch die deutsche Presse berichtete ausführlich. Das Morgenblatt für gebildete Stände schrieb über die Wirkung der Gemälde Rembrandts: Die Franzosen sind von der Kühnheit und Kraft des Pinsels ergriffen und gestehen, dass sie bisher noch gar nicht Rembrandt kannten.“ Die Ausstellung beeindruckte aber auch deutsche Besucher, „die nirgendwo in ihrer Heimat eine solche Schau je hätten sehen können.“  Denons Ausstellung trug damit ganz erheblich dazu bei, das Interesse sowohl an den Antiken aus deutschen Sammlungen als auch an der altdeutschen Kunst zu steigern.[10] 

Denn auch die altdeutsche und frühe niederländische Malerei, die bisher in Deutschland eher ein Schattendasein geführt hatten, erhielten  in der Beutekunst-Ausstellung einen gebührenden Platz.  Ein außerordentliches Beispiel dafür ist „Das jüngste Gericht“ des um 1435  in Seligenstadt am Main geborenen und in Brügge tätigen Hans Memling (das damals allerdings Jan van Eyck zuschrieben wurde) – ein grandioses Werk, das wegen seiner Qualität und seiner Beutekunst- Geschichte hier besonders hervorgehoben zu werden verdient.

„Das jüngste Gericht“ Memlings stammte aus der  Danziger Marienkirche. Denon war dieses Bild so wichtig, dass er auf einem Beutezug in den  Osten Preußens mehrere Tage vor der belagerten Stadt ausharrte und auf ihre Kapitulation wartete, um sich des Bildes bemächtigen zu können –  ein Schicksal, das dem „jüngsten Gericht“ nun schon zum zweiten Mal wiederfuhr. Ursprünglich war es nämlich  von der Medici-Familie in Florenz bei dem Maler in Brügge bestellt worden. Es war als Stiftung einem Kloster vor den Toren von Florenz zugedacht. 1473 wurde das Altarbild auf ein Handelsschiff der Medici-Bank verladen, das über England nach Pisa segeln sollte. Die Galeere wurde allerdings –damals befanden sich England und die Hanse  im Kriegszustand- von einem Danziger Piratenschiff  gekapert und die kostbare Schiffsladung  wurde verteilt. Memlings Weltgericht gelangte so als Schenkung in die Danziger Hauptkirche Sankt Marien.  Die Florentiner wollten das natürlich nicht hinnehmen und es kam zu einem langwierigen Rechtsstreit. Sogar Papst Sixtus IV. wurde eingeschaltet und  verlangte auf Bitten der Florentiner 1477 von Danzig unter Androhung des Kirchenbanns die Rückgabe des Geraubten.  1499 wurde dann endlich der Streit beendet: Im Interesse weiterer guter Handelsbeziehungen mit der Hanse erklärte sich Brügge bereit, dem Florentiner Haus eine Entschädigung zu zahlen.[11]

1807 folgte die erneute Entführung nach Paris und seine Präsentation in der Beutekunst-Ausstellung.  Die Berliner Kunstreporterin Helmina von Chéry besichtigte damals mit den romantischen Malern Ferdinand und Heinrich Olivier das Bild Memlings  und berichtete über die Wirkung:

„‘Das Jüngste Gericht‘ war eben im Museum aufgestellt, die Oliviers führten mich hin; Ferdinand jubelte mit feuchten Augen, seine mühsam unterdrückten Tränen galten dem Raub an Deutschland, der Jubel dem Anblick des alten Meisterwerks.“

Bénédicte Savoy kommentiert: „Der vaterländische Schmerz in einem Auge, die ästhetische Erkenntnis im anderen: Anschaulicher kann man die Wirkung des französischen Raubmuseums auf die deutsche Öffentlichkeit nicht darstellen.“[12]

Nach der Niederlage Napoleons 1815 ließ Generalfeldmarschall Blücher den General Ziethen mit einem Bataillon Pommerscher Landwehr in den Louvre einrücken, um das Bild zurückzuholen. Das hatte durch die Ausstellung im Musée Napoléon erheblich an Ausstrahlung gewonnen: Hier wirkte der in der Kulturtransfer-Forschung  sogenannte Bumerang-Effekt, ein meines Erachtens allerdings nicht ganz zutreffender Ausdruck, weil es sich ja hier um ein Beutestück handelte, das unfreiwillig in die Ferne gelangte. Aber lassen wir das Gemälde selbst sprechen – dem anlässlich seiner Rückkehr aus Paris ein anonymer Schreiber der Berliner Tagespresse folgende Worte in den Mund legte:

„Recht bekannt ward ich erst, als das Kriegsleid eine Menge Menschen (in Paris) zusammendrängte. (…) Ich müsste lügen, wenn ich von dieser Reise nicht großen Nutzen gehabt hätte: erstens bekam ich die Gelegenheit, mich mit anderen Bildern zu messen und ich kam nicht übel dabei weg; zweitens begann man von mir zu forschen. (…) Es war meine eigene Auferstehung, und nun, da ich hier im Vaterlande vor aller Augen trete, verwunderte ich mich, wie anders mich die Menschen sehen. Man versteht mich, und liebt mich, die Menschen sind entzückt von mir.“[13]

Die Odyssee des Bildes war damit aber immer noch nicht beendet:  1945 brachten es russische Truppen von seinem Auslagerungsort in Thüringen nach Leningrad. Elf Jahre später wurde es Danzig zurückerstattet, wo es jetzt im Nationalmuseum ausgestellt ist.

Der Ausstellungsort : Das Musée Napoléon, „une entreprise grandiose“[14]?

Ort der Ausstellung deutscher Beutekunst war das Musée Napoléon. So hieß das am 9. November 1800 offiziell eingeweihte Musée des Antiques im Louvre  seit dem 15. August 1803, dem Geburtstag Bonapartes (und damit auch dem Saint Napoléon, dem Nationalfeiertag des Kaiserreichs):   Ein  Namens- Vorschlag Vivant Denons, dem Generaldirektor der Künste und einem bedingungslosen Verehrer und Gefolgsmann des damaligen Ersten Konsuls und späteren Kaisers.

Bestimmt war das Museum auch als  Ausstellungsort für die auf den Feldzügen Napoleons gewonnenen Kunstwerke. Deren „Erwerb“ und Präsentation in Paris ist im Kontext einer schon kurz nach der Revolution in politischen Kreisen Frankreichs entstandenen Idee zu sehen, die Stadt zum Mittelpunkt der kulturellen Welt und zur neuen „Metropole des Wissens“ zu machen:[15]

„Paris soll die Hauptstadt der Künste werden, die Heimstätte allen menschlichen Wissens, der Hort aller Schätze des Geistes. […] Es muss die Schule des Universums, die Metropole der menschlichen Wissenschaft werden und den Rest der Welt mit der unwiderstehlichen Anziehungskraft der Bildung und des Wissens beherrschen.“ [16] 

Überhöht wurde dieses Ziel durch eine republikanische Befreiungsideologie. „Die Republik hatte ihre Despoten abgeschüttelt, und es galt nun, die benachbarten Nationen und ihr Kulturerbe ebenfalls zu befreien, zielte doch der republikanische Freiheitsbegriff auf Universalität. …. Die Revolution sah sich demnach als ‚universalen Erbberechtigten des Kulturgutes der Menschheit‘ (Edouard Pommier). Ab 1794 gehörte somit die Annektierung von Kunst- und Büchersammlungen zum zentralen Bestandteil der Außenpolitik Frankreichs, mit und ohne Absicherung durch Friedensverträge.“ [17]

Ein eklatantes  Beispiel dafür sind die  Marmorsäulen aus dem Aachener Dom.[18] Die waren 1794 –also noch vor der Zeit Denons- von französischen Truppen aus  der Pfalzkapelle Karls des Großen herausgebrochen und nach Paris gebracht worden: Ein höchst kostspieliges wie kompliziertes Unterfangen, das dazu erhebliche Schäden an den empfindlichen Säulen verursachte. Und während die Säulen in Aachen Teil des genius loci waren,  „erfuhren sie in Paris eine radikale Reduktion auf ihre Materialität“.[19]  Dazu erbeuteten die Franzosen  wertvolle Ausstattungsstücke wie den spätrömischen Proserpina-Sarkophag,  ein singuläres Prunkstück des Doms.  In ihm soll 814 Karl der Große bestattet worden sein, in dem Napoleon immerhin seinen Vorläufer sah. Gleichwohl verschwand der Sarkophag in Paris in einem Depot und wurde nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.[20]

 Von den erbeuteten Säulen wurden acht im Apollo-Salon des Musée Napoléon als Pseudostützen verbaut. In diesem Raum hatte der von den napoleonischen Truppen in Italien erbeutete Apoll von Belvedere inmitten anderer italienischer Beutestücke einen Ehrenplatz. Zwei der Aachener Säulen säumten die Apollo-Statue. Sie waren also auf eine rein dekorative Funktion reduziert und hatten in ihrer Präsenz und Wirkung hinter die Skulptur zurückzutreten. In Aachen aber hatte der französische Raubzug schmerzende und offene Wunden zurückgelassen. 

Hubert Robert, Der Apollo-Saal mit geraubten italienischen Statuen im Louvre. Vor 1806[21]

Nach der endgültigen Niederlage Napoleons 1815 stand natürlich auch die Rückgabe der geraubten Kunstwerke auf der Tagesordnung. Zuständig für die Rückgabe der früher im preußischen Besitz befindlichen Kunstwerke, die „französischerseits geraubt und geplündert worden“,  war ein junger Mann aus Köln, Eberhard von Groote. Er forderte von Denon auch die Rückgabe der Aachener Säulen, was Denon allerdings entsetzte und empörte: Er und der Generalsekretär des Louvre Lavallée  empfanden dieses  Ansinnen als einen Akt des Vandalismus, durch den angeblich die Stabilität des ganzen Louvre- Palasts gefährdet werde.

Das empörte wiederum Groote:

„Ich entgegnete ihnen, ob sie denn nicht auch die Kirche Karls des Großen auf vandalische Weise zerstört hätten, als sie den Sarkophag und die Säulen ausgebrochen, und Lavallée hatte die Unverschämtheit, mir zu erwidern: ‚Oh, ce n’était qu’une église! Vous ne détruirez pas pour cela la maison du Roi!‘  Aber das war ja bloß eine Kirche! Dafür zerstört man doch nicht das Haus des Königs.“  ( Der Begriff Haus des Königs bezieht sich darauf, dass  inzwischen  aus dem Musée Napoléon ein königliches Museum geworden war. W.J.)  

Außerdem war nach Auffassung  Denons und Lavallées Aachen schon hinreichend entschädigt worden durch die Überlassung  eines Portraits des Kaisers und seiner Frau, und zwar auch noch „großartig eingerahmt“ (magifiquement encadré), was aber nur als zusätzliche Unverschämtheit aufgefasst werden konnte.

Die Auseinandersetzung um die –vermutlich aus Ravenna und Rom stammenden- Aachener Säulen erreichte ihren Höhepunkt, als sich Denon direkt an den preußischen König wandte. Der reagierte friedfertig: Selbstverständlich  werde er einer Gefährdung oder gar Zerstörung des Louvre nicht zustimmen und sei bereit, sich mit zehn anderen, nicht verwendeten Säulen zufrieden zu geben. Schließlich stellte sich heraus, dass die Franzosen erheblich mehr Säulen mitgenommen hatten, so dass zuletzt an die dreißig Säulen zurückgegeben werden konnten, ohne dass der Louvre einstürzte….

Den Sarkophag Karls des Großen und eine so hohe Zahl von Säulen aus seiner Kirche zu erbeuten, war ein spektakulärer Akt des Kunstraubs, der allerdings noch bei weitem übertroffen wurde von der  französischen  „Aneignungspolitik“ in Italien. Bonapartes militärischer Eroberungszug durch Italien war auch „ein kunsthistorischer Beutezug ohnegleichen.“[22]  Der citoyen général folgte damit einer Anweisung des Direktoriums vom 7. Mai 1796. Darin wird festgestellt, Italien verdanke der Kunst den größten Teil seines Reichtums und Ruhms. Jetzt sei aber die Zeit gekommen, diese Reichtümer in das Land der Freiheit zu überführen. Das nationale Museum  müsse „alle bedeutendsten Kunstwerke“ aufnehmen. Das Direktorium erwarte also von ihm, die kostbarsten Objekte aufzuspüren und nach Paris zu überführen.[23]  Diesem Auftrag kam Bonaparte in höchst umfassender Weise nach.  Am 9. Thermidor des Jahres VI (27. Juli 1798) wurden in einem spektakulären Triumphzug  nach römischem Vorbild den staunenden Parisern die Werke der Kunst und Wissenschaft vorgeführt, die er aus dem siegreichen Italien-Feldzug mitgeführt hatte.

Auf dieser weit verbreiteten Radierung von 1798[24] ist eine Prozession von drei-bis vierfach bespannten Fuhrwerken zu sehen, die auf dem Marsfeld im Kreis herumgeführt werden.  „Ein Ballon steigt in den – wie immer – ungetrübten Himmel. Zwei lebende Löwen in einem mit Laubwerk geschmückten Käfig, die vier Pferde von San Marco  in Venedig, vier Dromedare auf eigenen Beinen, vor allem aber unzählige Holzkisten, deren grandioser Inhalt nur durch Inschriften angedeutet ist, ziehen im Bildvordergrund gerade am Betrachter vorbei. Auf einem hier nicht zu sehenden Banner ist zu lesen: Griechenland hat sie (die Kunstwerke, W.J.)  abgetreten, Rom hat sie verloren. Ihr Schicksal hat zweimal gewechselt, jetzt nie mehr. Und Zuschauer riefen begeistert: Rom ist nicht mehr in Rom, Rom ist in Paris! [25] Der Kreis, den die Wagen bilden, wird am entgegengesetzten Ende der Arena durch einen riesigen Säulenumgang geschlossen, den sogenannten Vaterlandsaltar. Im Zentrum des Amphitheaters sitzt, überlebensgroß und auf hohem Sockel, eine von zeitgenössischen Beobachtern als Personifikation der Freiheit identifizierte Statue.“ Dies ist Ausdruck  der Rechtfertigungsdoktrin für den Kunstraub:  des patrimoine libéré, des befreiten Kulturerbes. Danach müssten „die Künste und Wissenschaften als Früchte der Freiheit im Lande der Freiheit ihre natürliche Heimstätte haben“,  also in Frankreich. [26]

Photo (C) RMN-Grand Palais (Sèvres – Manufacture et musée nationaux) / Martine Beck-Coppola[27

Hier ein Detail einer Vase von Antoine Béranger aus dem Jahr 1813, auf der der Zug der erbeuteten Kunstwerke aus Italien dargestellt ist. Links die Venus von Medici aus den Uffizien, rechts die Laokoon-Gruppe aus den vatikanischen Sammlungen.

Gerade der italienische Kunstraub wurde von Kunstfreunden heftig kritisiert. Das berühmteste Beispiel sind „Die Antiken in Paris“ von Friedrich Schiller – immerhin seit 1792 Ehrenbürger Frankreichs:

Was der Griechen Kunst erschaffen,

Mag der Franke mit den Waffen

Führen nach der Seine Strand,

Und in prangenden Museen

Zeig‘ er seine Siegstrophäen

dem erstaunten Vaterland!

Ewig werden sie ihm schweigen

Nie von den Gestellen steigen

In des Lebens frischen Reihn.

Der allein besitzt die Musen,

Der sie trägt im warmen Busen;

Dem Vandalen sind sie Stein.[28]

Auch in Frankreich selbst  gab es schon früh  Kritik an dem systematischen Kunstraub Napoleons. Quatremère de Quincy, einer der bedeutenden Kunsttheoretiker des 18. Jahrhunderts, setzte sich in seinen „Lettres à Miranda“, publiziert 1796,  mit den ausufernden Kunstplünderungen in  Italien auseinander. Quincy bemängelte die Zerstörung des natürlichen Museums Rom. Damit wendete er sich gegen die allgegenwärtigen Bestrebungen, aus Paris ein zweites Rom zu machen.  Paris werde nie in der Lage sein, den Rang Roms zu erringen, auch nicht indem es die römischen Kunstwerke raube.  Italien sei ein „muséum général“,  die Stadt Rom ein Freilichtmuseum. Hier könne der Bildungsprozess in idealer Weise vollzogen werden.[29]

Das war aber in Frankreich eher eine Außenseiterposition. Repräsentativer ist dagegen die Position von Vivant Denon. Der bekannte sich offen zu den Beutestücken, die dank der Eroberungen Napoleons, für ihn „der Held unserer Zeit“, nach Paris gelangten und das von ihm geleitete Museum bereicherten.   In einem Vortrag vor Mitgliedern des Institut de France machte er 1803 aus seiner Begeisterung keinen Hehl:

 „Hundert Kisten sind geöffnet worden, und kein Unfall, kein einziger Bruch hat unser Glück beim Erwerb so erlesener Schätze getrübt. Ein Stern, welcher der unsere geworden ist, waltete über allen Ereignissen, die mit diesen Sendungen zusammenhängen.

Gleichzeitig mit allen erdenklichen Arten von Ruhm befasst, hat der Held unserer Zeit inmitten der Wirren des Krieges von unseren Feinden die Trophäen des Friedens gefordert und über ihre Erhaltung  gewacht.

Tausende Schriften, auf seinen Befehl übersandt, haben unsere Bibliotheken bereichert; Gemälde ohne Zahl, Reliefs, seltene, kostbare Portraits, Vasen, Säulen, Grabmäler, Kolosse, ganze Felsen, denen der Mensch eine Form verliehen hat, haben feindliche Länder und Meere durchquert, haben Gebirge überwunden, sind unsere Flüsse und Kanäle aufwärtsgewandert und bis in unsere Säle gelangt, eine reiche Beute, die sich nun dort zu ewigen Denkmälern türmt.“ [30]

Das Musée Napoléon war in seiner Zeit einzigartig: Einzigartig, wegen der Fülle und Qualität der ausgestellten Kunstwerke; einzigartig, weil es die Geschichte der europäischen Kunst systematisch und mit  pädagogischem Anspruch  darstellte und einzigartig schließlich auch wegen der effektvollen und besucherfreundlichen Präsentation. „Die hohen Besucherzahlen und die Tatsache, dass Paris zu einem touristischen Zentrum von ausländischen Besuchern wurde, belegen die Attraktion. Das Musée Napoléon begründete gleichsam den Aufstieg der französischen Hauptstadt zu einer kulturellen Metropole im 19. Jahrhundert.“[31]    

Die von Denon beanspruchte  Ewigkeit war den meisten der erbeuteten Kunstwerke in Paris allerdings  nicht beschieden. 1814 waren die Siegermächte zunächst zwar noch äußerst zurückhaltend: Das restaurierte Frankreich wurde ja nicht als Feind betrachtet und König Ludwig XVIII. sollte nicht geschwächt werden. So begnügte sich Preußen beispielsweise mit der Rückgabe der Berliner Quadriga.  1815, nach  den unseligen 100 Tagen und der endgültigen Niederlage Napoleons, war das anders: Die meisten der erbeuteten Kunstwerke mussten nun an ihre früheren Besitzer zurückgegeben werden. Dies war  „la mort du musée Naploéon“. (Chatelain).   Denn bei all seiner Einzigartigkeit: Das Musée Napoléon war ein Museum der Raubkunst, „le fruit de la Victoire“, und deshalb konnte es keine Institution auf Dauer werden.[32]  Dieser Geburtsfehler des Louvre scheint aber auch heute noch bei manchen die Begeisterung über das Werk Denons nicht zu schmälern. 1999 schrieb Pierre Rosenberg, Mitglied der Académie française und damaliger  président-directeur des Louvre über Denon: „Er war der Herr dieses grandiosen Unternehmens, des Napoleon-Museums, das für einige Jahre die Meisterwerke aus ganz Europa versammelte“.[33] Kein Wort davon, dass dieses Unternehmen seine Außerordentlichkeit  dem größten Kunstraub der Neuzeit verdankte…

Der nachfolgende zweite Teil des Beitrags über Denon und den Kunstraub Napoleons:

Teil 2:  Die „Raubkampagnen“ Denons in Deutschland:  „Soll ich etwa nichts nehmen?“

https://paris-blog.org/2021/05/05/vivant-denon-der-kunstrauber-napoleons-und-sein-musee-napoleon-louvre-teil-2-die-raubkampagnen-denons-in-deutschland-soll-ich-etwa-nichts-nehmen/  


Anmerkungen

[1] Das Prädikat „der größte Kunstraub der Neuzeit“ für die seit 1794 erbeuteten Kunstwerke stammt von Bénédicte Savoy, der in Paris und Berlin lehrenden Kunsthistorikerin, die die wohl exzellenteste Kennerin des Themas ist.  Von ihr habe ich auch den Begriff „Raubmuseum“ für das Musée Napoléon/Louvre übernommen. (Savoy, Die französische Beschlagnahmung von Kunstwerken in Deutschland 1794-1814)

[2] Siehe: „Die Depots sind voll“. Spiegel-Gespräch mit der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy über koloniale Beute in deutschen Sammlungen, alte und neu Lügen von Museumsleitungen und darüber, weshalb es sich Berlin nicht erlauben kann, die Benin-Bronzen im wiederaufgebauten Stadtschoss auszustellen. In Der Spiegel vom 20.3.2021, S. 42 ff.

Yusuf M. Tugar (Botschafter Nigerias in Deutschland),  Afrikas Kulturschätze müssen zurückkehren. Seit fünfzig Jahren fordert Nigeria die Restitution der geraubten Benin-Bronzen. Jetzt ist es Zeit für konkretes Handeln. In: FAZ vom 1.4.2021, S. 13

Julia Voss, Und der Kampf geht weiter. Jahrzehntelang geschah nichts in der Diskussion um die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter. Dann geriet auf einmal etwas in Bewegung. Vor allem die Recherchen von Bénédicte Savoy und Dan Hicks haben für neue Wucht gesorgt. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 11.4.2021

Ganz aktuell: Süddeutsche Zeitung vom 29. April 2021: Durchbruch bei den Benin-Bronzen: Erste Rückgaben im kommenden Jahr. Am 30. April hat die Tagesschau der geplanten Rückgabe von Benin- Bronzen einen eigenen Beitrag gewidmet.

Es sollen danach also Benin-Bronzen aus Berliner Museumsbesitz an Nigeria zurückgegeben werden. Unklar ist wohl noch, welche und wieviele (oder alle?) der 440 Bronzen zurückgegeben werden sollen. Man darf gespannt sein, ob andere Institutionen –wie etwa das noch viel direkter betroffene „Brutish Museum“ (Hicks) und auch der Louvre- entsprechend handeln werden. 

Siehe auch: Bénédicte Savoy, Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage. München 2021

[3] Kaiser, Der glückliche Kunsträuber242/243. Malgouyres gibt als Zahl der in dem Katalog aufgeführten Gemälde 368 an. (S. 44)

[4] Kaiser, Der glückliche Kunsträuber242/243 und Malgouyres, Le Musée Napoléon

[5] https://ovm.art.uiowa.edu/decaso/fullrecord?accno=DEC-07615  Es handelt sich, wie auch die nachfolgende Abbildung, um eine Umrissradierung von Charles Normand, die nach einer Zeichnung von Benjamin Zix, dem für Vivant Denon und Napoleon arbeitenden Zeichner, ausgeführt wurde. Beide Stiche wurden nach der Ausstellungseröffnung weit verbreitet, variiert und ergänzt. Siehe Savoy, Kunstraub, S. 345-347

[6] Bild aus: https://artsandculture.google.com/asset/die-kn%C3%B6chelspielerin/CwHxY9rsQCNCxg?hl=de

Siehe auch: Annetta Alexandridis/ Astrid Fendt,  Knöchelspielendes Mädchen mit Porträtkopf Berlin, Staatliche Museen. https://arachne.uni-koeln.de/arachne/index.php?view[layout]=objekt_item&search[constraints][objekt][searchSeriennummer]=2203

[7] Bild aus: https://datenbank.museum-kassel.de/33906/ 

[8] Zitiert bei Savoy, Kunstraub, S. 349

[9] Malgouyres, S. 37

[10] Kaiser, S. 243

[11] Das gekaperte Altarbild – Hans Memlings Danziger Altarbild.  http://syndrome-de-stendhal.blogspot.com/2019/05/das-gekaperte-weltgericht-hans-memlings.html  (24. Mai 2019) Dort auch die beiden nachfolgenden  Abbildungen von Bildausschnitten.  Zur Geschichte des Bildes siehe auch: https://pomorskie.travel/de/-/hans-memling-sad-ostateczny- 

[12] Savoy, Die französische Beschlagnahmung von Kunstwerken in Deutschland 1794-1814, S.139/140. Dort auch das Zitat von Helmina von Chéry.

[13] Savoy, Die französische Beschlagnahmung, S. 143

[14] Diese Bezeichnung stammt von dem Vorwort Pierre Rosenbergs, dem ehemaligen Louvre-Direktor, zu dem Buch von Philippe Malgouyres.

[15] https://wallraf.mapublishing-lab.uni-koeln.de/kunstraub/kunstschaetze-im-visier/kunstpolitik-napoleons-bezuege-zur-antike 

[16] Zitiert aus:  Bénédicte Savoy: Objekte der Begierde: Napoleon und der Europäische Kunst- und Gedächtnisraub, in: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn (Hg.): Napoleon und Europa. Traum und Trauma, München u.a. 2010, 261-273, hier: 261 und  Cockx, Kunstpolitik Napoleons. https://wallraf.mapublishing-lab.uni-koeln.de/kunstraub/kunstschaetze-im-visier/kunstpolitik-napoleons-bezuege-zur-antike /       

[17] Yann Potin, Kunstbeute und Archivraub. Einige Überlegungen zur napoleonischen Konfiszierung von Kulturgütern in Europa. In: Napoleon und Europa, S. 93 Siehe auch: Laura Valentini, „Befreites Kulturerbe“?  Köln und der Kunstraub während der französischen Besatzung 1794 – 1815. Masterarbeit Universität zu Köln 2017

[18] Jean Chatelain, S. 232f und entsprechend Kaiser, S. 312f (Die Aachener Säulen), der sich offenbar auf Chatelain stützt.  Siehe auch:  Lydia Konnegen: Die antiken Säulen des Aachener Domes und ihr Schicksal in der Französischen Zeit. In: Karlsverein-Dombauverein (Hrsg.): Schriftenreihe des Karlsverein-Dombauvereins. Band 18: Der Aachener Dom in Französischer Zeit 1794 bis 1815. Aachen: Thouet 2016,

[19] Konnegen, a.a.O., S. 40

[20] Bild aus: https://www.aachener-domschatz.de/proserpinasarkophag/  Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Aachener_Dom 

[21] Bild aus: https://www.kunst-fuer-alle.de/deutsch/kunst/kuenstler/kunstdruck/hubert-robert/6726/1/141389/der-apollo-saal-im-louvre/index.htm

[22] Der Kunsthistoriker Adriano La Regina Zit. in: https://www.deutschlandfunkkultur.de/napoleons-beutezug-in-italien.1013.de

[23] http://wikimonde.com/article/Spoliations_napol%C3%A9oniennes

[24] Arrivée du butin des campagnes d’Italie à Paris au titre d“Entrée triomphale des monuments des sciences et Arts en France.“ Auber, vol. 3, planche 136, 1802. / Collection complète des tableaux historiques de la Révolution française, tome 2. Pierre Didot l’aîné, Paris. Bild aus: https://fr.wikipedia.org/wiki/Spoliations_napol%C3%A9oniennes#/media/Fichier:Fete_monument_volees_napoleon.jpg

[25] „La Grèce les céda, Rome les a perdus/leur sort changeau deux fois, in ne changera plus“. Zit. Malgouyres, S. 6

[26] Bénédicte Savoy 1798: Napoleonischer Triumphzug mit Beutekunst | Translocations. Ikonographie (hypotheses.org) und Dies, Die französische Beschlagnahmung von Kunstwerken, S. 138

[27] Bildquelle: https://www.photo.rmn.fr/archive/09-583929-2C6NU0KN7OEC.html

[28] Zit. bei Savoy, Kunstraub, S. 223. Dort auch mehr zum historischen Umfeld dieser Kritik

[29] Sonja Kobold Der Louvre: Bildungsinstitution und Musentempel, S. 92/93 Diss. Uni München https://edoc.ub.uni-muenchen.de/7635/1/Kobold_Sonja.pdf  Zur Kritik von Quatremère de Quinzy siehe auch: Marie-Alix Laporte. Les saisies d’œuvres d’art durant le Triennio révolutionnaire : réactions française et italienne. Histoire. 2008  https://dumas.ccsd.cnrs.fr/file/index/docid/297319/filename/Laporte_Les_saisies_d_uvres_d_art_durant_le_Triennio_revolutionnaire.pdf

[30] zit. Kaiser, S. 179

[31] Thomas Gaethgens, Das Musée Napoléon und seine Bedeutung für die europäische Kunstgeschichte. In: Sigrun Paas/Sabine Mertens (Hrsg), Beutekunst unter Napoleon, S. 184

[32] Chatelin, Denon, S. 214 und Gaethgens, a.a.O., S. 185

[33] Vorwort zu Malgouyres, Le Musée Napoléon.  Die Tendenz, den Kunstraub Napoleons zu verschweigen oder kleinzureden, gibt es auch an anderer Stelle. In dem Buch von Alain Pigard über das „Friedenswerk Napoleons“ findet sich beispielsweise unter dem Stichwort „Louvre“ auch eine Passage über die „schönsten Stücke aus den päpstlichen Sammlungen und aus Venedig“. Die seien in den Verträgen von Tolentino und Campo-Formio Frankreich zugesprochen worden. Die Besiegten hätten es nämlich vorgezogen, die fälligen Kriegsentschädigungen mit Kunst statt mit Geld zu bezahlen…    – eine Wahl, die die Besiegten allerdings in Wirklichkeit gar nicht hatten.

Literatur

Aylin Birdem,  1811 „Das Auge Napoléons“ im Lichte seiner Tätigkeit https://transliconog.hypotheses.org/kommentierte-bilder-2/1811-das-auge-napoleons-im-lichte-seiner-taetigkeit

Jean Chatelain, Dominique Vivant Denon et le Louvre de Napoléon. Librairie Académique Perrin 1999

Miriam Cockx, Kunstpolitik Napoleons – Bezüge zur Antike. https://wallraf.mapublishing-lab.uni-koeln.de/kunstraub/kunstschaetze-im-visier/kunstpolitik-napoleons-bezuege-zur-antike/ 

Astrid Fendt, La non-restauration des statues antiques berlinoises à Paris. CeROArt. Revue électronique 2012. https://journals.openedition.org/ceroart/2409?lang=en  

Reinard Kaiser. Der glückliche Kunsträuber. Das Leben des Vivant Denon. München: C.H.Beck 2016

M. de Lanzac de Laborie, Le Musée du Louvre au temps de Napoléon. Revue des Deux Mondes, 6e période, tome 10, 1912, p. 608-643

Philippe Malgouyres, Le Musée Napoléon.  Sammlung Promenades der Réunion des Musées Nationaux.  Paris 1999

Maximiliane Mohr, Das Museum Fridericianum in Kassel.  Diss. Uni Heidelberg 2017  https://books.ub.uni-heidelberg.de/arthistoricum/reader/download/586/586-16-87738-3-10-20200220.pdf

Napoleon und Europa. Traum und Trauma. Kuratiert von Bénédicte Savoy unter Mitarbeit von Yann Potin. Katalog der Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn vom 17.12.2010 bis 25. April 2011. Prestel Verlag 2010

Pierre Rosenberg, Marie-Anne Dupuy (éd.), Dominique-Vivant Denon, L’œil de Napoléon, Ausstellungskatalog Paris 1999 

Sigrun Paas/Sabine Mertens (Hrsg), Beutekunst unter Napoleon. Die „französische Schenkung“ an Mainz 1803. Mainz: Verlag Philipp von Zabern 2003

Bénédicte Savoy, Pillages et restitutions. In: Arts et Sociétés Nummer 60. Herausgegeben vom Centre d’Histoire de Science Po. https://www.sciencespo.fr/artsetsocietes/fr/archives/1209

Bénédicte Savoy,  Kunstraub: Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen; mit einem Katalog der Kunstwerke aus deutschen Sammlungen im Musée Napoléon, Böhlau Verlag, Wien 2011,

Bénédicte Savoy, Die französische Beschlagnahmung von Kunstwerken in Deutschland 1794-1815. In: Sigrun Paas/Sabine Mertens (Hrsg), Beutekunst unter Napoleon.  Die „französische Schenkung“ an Mainz 1803. Mainz: Verlag Philipp von Zabern 2003, S. 137- 144

Bénédicte Savoy, „Á qui rendre? 1815. Année zéro. L’Europe à l’heure des restitutions d’œuvres d’art“ . Vorlesung im Collège de France am 22. März 2019   https://www.college-de-france.fr/site/benedicte-savoy/course-2019-03-22-11h00.htm

Ernst Steinmann, Der Kunstraub Napoleons. Hrsg. von Yvonne Dohna mit einem Beitrag von Christoph Roolf: Die Forschungen des Kunsthistorikers Ernst Steinmann zum Napoleonischen Kunstraub.  Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom 2007 Copyright Bibliotheca Hertziana. Kapitel 8.4.: Vivant Denon in Deutschland. http://edoc.biblhertz.it/editionen/steinmann/kunstraub/016%20Steinmann_Kapitel_8_IV.pdf

https://fr.wikisource.org/wiki/Le_Mus%C3%A9e_du_Louvre_au_temps_de_Napol%C3%A9on

 Weitere Blog-Beiträge mit Bezug zu Napoleon:

Der Arc de Triomphe: Die Verherrlichung Napoleons. Vive l’empéreur Teil 1  https://paris-blog.org/2016/11/01/der-arc-de-triomphe-die-verherrlichung-napoleons/

Das Napoleon-Museum auf der Île d’Aix (Vive l’empéreur Teil 2)   https://paris-blog.org/2016/11/16/das-napoleon-museum-auf-der-ile-daix-vive-lempereur-teil-2/

Napoleon in den Invalides: Es lebe der Kaiser!  Teil 3  https://paris-blog.org/2017/03/12/napoleon-in-den-invalides-es-lebe-der-kaiser-vive-lempereur-3/  

Die Manufacture des Gobelins: Politik und Kunst  (August 2018)  https://paris-blog.org/2018/08/01/die-manufacture-des-gobelins-politik-und-kunst/

Napoleon, de Gaulle und Victor Hugo: Notre Dame, die Geschichte und das Herz Frankreichs  https://paris-blog.org/2019/05/02/napoleon-de-gaulle-und-victor-hugo-notre-dame-die-geschichte-und-das-herz-frankreichs/

Vivant Denon, der Kunsträuber Napoleons und sein Musée Napoléon Teil 2: Die Raubkampagnen Denons in Deutschland: Soll ich etwa nichts nehmen? https://paris-blog.org/2021/05/05/vivant-denon-der-kunstrauber-napoleons-und-sein-musee-napoleon-louvre-teil-2-die-raubkampagnen-denons-in-deutschland-soll-ich-etwa-nichts-nehmen/  

 

Geplante weitere Beiträge:

  • Vivant Denon, der Kunsträuber Napoleons, und sein Musée Napoléon. Teil 2: Die Raubkampagnen Denons in Deutschland: „Soll ich etwa nichts nehmen?“
  • 150 Jahre nach dem Abriss der Vendôme-Säule durch die Pariser Commune: Ein Blick auf ihre bewegte Geschichte
  • Das Pantheon der großen (und weniger großen) Männer und der wenigen großen Frauen (2): Der Kult der „grands hommes“
  • Die Reiterstatue Heinrichs IV. auf dem Pont-Neuf
  • Auf der A4/Autoroute de l’Est von Saarbrücken nach Paris. Eine Fahrt durch die deutsch-französische Geschichte