Ein Schloss, irgendwo in Mecklenburg, als Gegenstand eines Beitrags auf diesem „Paris- und Frankreich-Blog“: Das hätte ich selbst nicht erwartet, als wir in Ludwigslust eine Pause auf unserem Weg nach Schwerin einlegten. Aber dann wurde schnell deutlich, wie intensiv die Bezüge zu Frankreich und auch zu bisherigen Artikeln in diesem Blog sind:
- Da gibt es den Wunsch eines Mecklenburgischen Herzogs, sich eine Residenz nach Versailler Vorbild zu bauen, wofür er zunächst auch einen französischen Architekten engagierte. Man bezeichnet denn auch gerne Ludwigslust als „Versailles des Nordens“ oder als „mecklenburgisches Versailles“.[1]
- Die Residenz sollte -wie Versailles- architektonischer Ausdruck absoluter Herrschaft sein.
- Es gab -wie in Versailles- aber auch das Problem der Wasserversorgung, weil der Platz diesbezüglich für ein Klein-Versailles nicht geeignet war, was entsprechende wasserbauliche Maßnahmen erforderte.
- Frappierend dann vor allem der Rundgang durch die Räume des Schlosses, in denen Teile der Kunstsammlung der Herzöge ausgestellt sind: Da hat man fast den Eindruck, sich in einem französischen Museum zu befinden: Porzellan aus Sèvres, eine ganze Reihe von Büsten von Houdon, die es mit den Exponaten in „seinem“ Museum in Montpellier durchaus aufnehmen können; desgleichen eine eindrucksvolle Sammlung von Gemälden des Hofmalers Ludwigs XV., Jean-Baptiste Oudry, dem Portraitisten der Tiere in der Menagerie Ludwigs XIV., die es in dieser Menge und Qualität nirgendwo sonst gibt.
- Und dann stößt man darauf, dass Franzosen an den Kunstschätzen der Mecklenburger Herzöge auch Gefallen gefunden haben: Ganz konkret Napoleons Kunsträuber Vivant Denon, der sich da nach Belieben bediente und jede Menge Gemälde für das Musée Napoléon (Louvre) und Preziosen für die Kaiserin Josephine konfiszierte…
Bezüge zu Frankreich und zu bisherigen Blog-Beiträgen gibt es also genug. Aber es gibt auch deutliche Unterschiede: Nicht nur dass es in Ludwigslust kein Schlosstheater gibt, weil das für den pietistischen Schlossherrn Friedrich des Teufels war; auch das in Versailles so beliebte Kartenspiel war in Ludwigslust Tabu. Der wichtigste Unterschied allerdings: Während in Versailles echtes Gold glänzte, war das in Ludwigslust anders. Die Mecklenburger Herzöge befanden sich seit jeher in finanziellen Nöten, ein bisschen Versailles-Glanz wollten sie aber schon haben: Also Pappmaché und Farbe statt Gold, Bronze und andere teuren Materialien. In Ludwigslust ist also nicht alles Gold, was glänzt…
Hier nun im Einzelnen mehr über Ludwigslust und seinen Bezug zu Frankreich:
- Das mecklenburgische Versailles
In der Nähe des Dorfes Klenow südlich von Schwerin mit seinen umfangreichen Wald- und Wildbeständen gab es seit 1735 ein kleines Jagdschloss der Mecklenburgischen Herzöge. 1748 berief Herzog Christian Ludwig II. den französischen Architekten Jean Laurent Legeay als Hofbaumeister. Legay wurde beauftragt, das Jagdschloss fürstlichen Repräsentationsansprüchen entsprechend auszubauen. Es erhielt nun auch einen angemessenen Namen: Ludwigslust. Der englische Reisende Thomas Nugent schrieb 1766 in seiner „Reise durch Deutschland und vorzüglich durch Mecklenburg“, am Schloss gäbe es „nicht die mindeste Pracht“, aber es falle „doch von außen ganz artig in die Augen.“ Allerdings seien das Schloss und seine Zimmer „für die Durchlauchten Herrschaften“ viel zu klein. „Der Herzog wird also an diesem seinen Lieblingsort bald einen prächtigen Palast bauen lassen.“[2] Herzog war inzwischen -seit 1756- Friedrich, der Sohn Christian Ludwigs II. Friedrich hatte pietistische Neigungen und es zog ihn vom weltlichen Schwerin in die Stille und Einsamkeit von Ludwigslust. Für eine dauerhafte Hofhaltung war das Jagdschlösschen allerdings nicht geeignet. Also erhielt Legeay den Auftrag für eine Grundrissgestaltung der künftigen Residenz. Friedrich war als Kronprinz auf seiner Grand Tour durch Deutschland und Europa in Frankreich gewesen und von Versailles tief beeindruckt. Die meisten anderen deutschen Fürstenhäuser hatten ja schon Versailles nachgeeifert, selbst die mecklenburgische Verwandtschaft in Neustrelitz hatte schon eine imposante neue Residenz, da konnte und wollte selbst der sparsam-pietistische Friedrich nicht nachstehen und ein französischer Architekt war genau der Richtige. Legeay war allerdings inzwischen schon in preußische Dienste übergewechselt und von Friedrich dem Großen für die Bauplanung von Potsdam zuständig. Für ein dauerhaftes Engagement in Ludwigslust stand er also nicht zur Verfügung. Also behalf sich Friedrich mit seinem Hofbildhauer Johann Joachim Busch, der schon mit Legay beim Ausbau des Jagdschlosses zusammengearbeitet hatte und auch auf dessen Pläne für die Grundstruktur des Schlossbezirks zurückgreifen konnte: eine deutlich billigere Alternative.

Grundstruktur der auf dem Reißbrett geplanten Residenz Ludwigslust ist die Nord-Süd-Achse, die Schloss (in der Mitte des Kartenausschnitts) und Hofkirche (im Kartenausschnitt unten) verbindet und nach Norden als Hofdamenallee durch den Schlosspark führt.

Blick vom Portikus des Schlosses auf das Standbild Friedrichs und über die Kaskade auf die Kirche
Die zuerst gebaute Hofkirche ist imgrunde ein einfacher Saalbau, dem aber eine tempelartige breite Fassade vorgesetzt ist. Ihre Einpassung in die Nord-Süd-Achse ist zwar ein Bruch mit der eigentlich gebotenen Ausrichtung einer Kirche nach Osten. Aber diese Verbindung zwischen Schloss und Kirche ist Ausdruck des Gottesgnadentums, das Friedrich für sich beanspruchte.
Um den Kirchplatz herum entstanden streng symmetrisch angeordnet eingeschossige Fachwerkhäuser mit einheitlichen Grundrissen für Dienerschaft und Handwerker.

Bedienstetenhäuser am Kirchplatz
Etwas gediegener, ja nobler geht es in der Schloßstraße zu, die, wie der Name schon andeutet, zum Schlossplatz hinführt. Die Bebauung ist auch hier symmetrisch gegliedert: Die Straße selbst bildet die Symmetrieachse für die einzelnen Häuser, die für den Hofstaat und den Adel bestimmt waren. Jedes Haus entspricht seinem Gegenüber in Breite, Höhe und Form. Jeweils vier der unverputzten Backsteinhäuser sind unter einem Dach zusammengefasst, daran schließt sich ein freier Platz mit einem einzelnen etwas zurückgesetzten Haus an. Diese Anordnung wiederholt sich mehrmals. Außergewöhnlich ist auch die Straßenbreite von 35 Metern: Damit kann die Ludwigsluster Schloßstraße durchaus mit den Pariser Boulevards mithalten. Der Boulevard Haussmann zum Beispiel hat „nur“ eine Breite von 30-33 Metern!

Wohngebäude am Anfang der Schloßstraße. Im Vordergrund eine Vase des Hofbildhauers Kaplunger auf der Schlossbrücke.
Das Schloss wurde dreigeschossig errichtet mit einem Mezzanin und einer hohen Attika.[3]

Die Hauptfassade des Schlosses mit einem betonten Mittelbau und einem Portikus.
Der Mittelbau auf der Gartenseite springt weit vor und wird eingerahmt von zwei Seitenflügeln. Für den Bau wurde der kostengünstige landestypische Backstein verwendet. Die dekorativen Fassaden sind allerdings mit Sandstein verkleidet, der aus Pirna/Sachsen importiert wurde.

Blick auf das Schloss von der Gartenseite.
Die Schlosskapelle im Erdgeschoss des Mittelbaus wurde später in einen Jagdsaal umgewandelt und dient heute als Café. Blickfang ist ein außergewöhnlicher Leuchter aus Geweihen des nordamerikanischen Weißedelhirsches.

Seine Herkunft ist nicht exakt bestimmbar. „Es ist aber durchaus möglich, dass einzelne Geweihe oder der Leuchter als Geschenk nach Ludwigslust kamen, hatte doch Herzog Friedrich (der sogenannte Fromme W.J.) 3000 mecklenburgische Soldaten für 50 000 Taler an den britischen König, Georg III., verkauft. Nur wenige Soldaten kehrten aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg nach Mecklenburg zurück.“[4]
Es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Die Vermietung bzw. der Verkauf von Landeskindern an England zur Bekämpfung der nach Unabhängigkeit strebenden Amerikaner war damals eine weit verbreitete Praxis von Fürsten deutscher Kleinstaaten, deren Luxusansprüche ihre finanziellen Ressourcen weit überstiegen. Aber selbst mit dem Soldatenhandel war das mecklenburgische Klein-Versailles nicht finanzierbar, zumal nach dem Siebenjährigen Krieg die Staatskassen leer waren. Der Verkauf von Holz und Sand reichte bei weitem nicht. Trotzdem gelang es Friedrich, im Zentrum seines neuen Schlosses einen über zweistöckigen prächtigen „Golden Saal“ einzurichten: Er braucht einen Vergleich mit französischen Pendants nicht zu scheuen.[5] Wie war das möglich?

Des Rätsels Lösung: Papiermaché. Mitte des Jahrhunderts bot Friedrichs Lakai Johann Georg Bachmann an, Papiermaché als Gestaltungsmaterial einzusetzen. Friedrich nahm das gerne auf, und es wurde in Ludwigslust eine entsprechende Manufaktur, die herzogliche Carton-Fabrique, eingerichtet: Mit großen Mengen von Papierschnipseln, die aus den herzoglichen Aktenbeständen bezogen wurden, und Materialien wie Weingeist, Gips, Mehlkleister und Knochenleim gelang die Imitation fast aller Materialien. Die genaue Rezeptur nahm Bachmann mit ins Grab. Und in der Manufaktur wurde durch strenge Kontrollen, Arbeitsteilung und die Androhung von Strafen dafür gesorgt, dass nichts nach draußen drang. Das Geheimnis des Ludwigsluster Cartons wurde also ähnlich gehütet wie das des Porzellans in Meißen oder der Versailler Spiegelgläser in Paris.
Immerhin stellte Papiermaché ein preiswertes Äquivalent für Marmor, Stein, Ton oder Holz dar. Der gesamte Raumschmuck des Goldenen Saals bis hin zu den Wandleuchtern besteht aus diesem Material.

Auch die prächtigen korinthischen Kapitelle im Goldenen Saal -er wird gerade renoviert: Papiermaché. (Foto: Juli 2024 Wolf Jöckel)
Das Motto: Mehr Schein als Sein gilt auch für die Hofkirche. Auch dort wurde Papiermaché reichlich verwendet.

Wandverzierungen….

… Schmuck der herzoglichen Loge und Kassettendecke: alles Papiermaché.
Und das wunderbare Altarbild, mit 350 m2 das größte Europas, besteht aus Papiermaché-Platten.

Bei näherem Hinsehen ist das deutlich zu erkennen:


Dem Maler dieser entzückenden ländlichen Szenerie wurde es allerdings von seinem knauserigen Landesherrn wenig gedankt. So ersetzte er -etwas versteckt- seine Malersignatur durch eine arme Kirchenmaus…

Aber die Verwendung von Papiermaché beschränkte sich nicht nur auf die Ausstattung von Schloss und Kirche. Auch Kopien antiker Statuen wurden in der Carton-Fabrique hergestellt und zum Verkauf angeboten. Besonderer Beliebtheit erfreute sich etwa die Venus Medici nach dem Original in den Uffizien von Florenz.

Venus Medici aus Papiermaché, um 1790 [6]
Bachmann gelang es sogar, das Papiermaché wetterfest zu machen. Die 16 Büsten römischer Kaiser im sogenannten Kaisersaal des Schlossparks wurden also auch aus Papiermaché gefertigt. Sie haben dort immerhin 100 Jahre überdauert. Dann wurden die Büsten durch Schmuckvasen ersetzt, die es auch heute noch bzw. wieder gibt.

Johann Dietrich Findorff, „Der Kaisersaal im Park von Ludwigslust“ 1767 (Ausschnitt)[7]
Vorbild des Kaisersaals von Ludwigslust war übrigens ausnahmsweise einmal nicht Versailles, sondern das Galerie-Gebäude von Schloss Herrenhausen bei Hannover. [7a]

Hannover-Herrenhausen Galeriegebäude, Innenansicht der Galerie, Kupferstich, um 1725, gestochen von Joost van Sasse, nach Zeichnung von Johann Jacob Müller
Wasser für Ludwigslust: Kanal und Kaskade
Wie Versailles geht auch Ludwigslust aus einem früheren Jagdschloss hervor. Und wie in Versailles bedeutete diese völlig neue Verwendung auch in Ludwigslust, dass erheblich größere Mengen an Wasser gebraucht wurden: Für eine große Zahl von nun dauerhaft hier ansässigen Menschen und für die Wasserspiele, die zu den unabdingbaren Elementen einer (spät-)barocken Residenz gehörten. Sowohl in Versailles als auch in Ludwigslust fehlte es aber vor Ort an entsprechenden Ressourcen. In Versailles war die Wasserversorgung ein massives Dauerproblem, in Ludwigslust wurde noch vor dem Bau des Schlosses von 1756 bis 1760 ein etwa 28 Kilometer langer Kanal angelegt.

Der Kanal im Schlosspark von Ludwigslust

Hauptattraktion der Wasserspiele ist die am Schlossplatz gelegene große Kaskade aus Granitblöcken. Geschmückt ist sie mit drei Sandstein-Figurengruppen.

In der Mitte rahmen Allegorien der Flussgötter von Stör und Rögnitz, den beiden Flüsschen, die den Kanal speisen, das mecklenburgische Wappen ein.


Das Reh hinter dem Flussgott weist auf den Ursprung von Ludwigslust hin und den Reichtum an Wild in der Gegend, die das Flüsschen durchquert. Das kennt man auch von den entsprechenden Beigaben der Fluss-Skulpturen im Park von Versailles (Parterre d’Eau) – allerdings geht es da nicht um Stör und Rögnitz, sondern um Flüsse wie Seine und Marne, Rhône, Loire und Dordogne…[8]
Das gibt es nicht einmal in Versailles: das „ägyptische“ Friedhofstor…

Ganz ungewöhnlich ist in mancherlei Hinsicht der Gottesacker von Ludwigslust. Zunächst wegen seiner Lage: Friedrich ließ nämlich den Friedhof der Residenz nicht, wie damals üblich, direkt bei der Kirche anlegen, sondern von ihr entfernt, wenn auch durch eine Blickachse mit ihr verbunden. Das hatte gemäß damaliger neuester Reformbestrebungen medizinische/hygienische Gründe. Der Ludwigsluster Friedhof ist damit einer der frühesten „Modellfriedhöfe“ des 18. Jahrhunderts. In Versailles dauerte es dagegen noch ein gutes Jahrzehnt, bis der König in einer „Erklärung über die Bestattungen“ vom 10. März 1776 ein grundsätzliches Verbot von Gräbern in der Nähe von Kirchen und Wohnungen erließ, womit Versailles in Frankreich zu den Vorreitern gehörte. In Paris wurde der großes Friedhof der Innocents erst 1786 geschlossen und erst während der Französischen Revolution wurde die Neuanlage von Friedhöfen extra muros, also außerhalb der Stadtgrenzen, für die Toten der Stadt beschlossen.
Ganz außergewöhnlich war (und ist) aber auch der Eingang zu diesem Friedhof. Er hat nämlich die Form von Pylonen, wie sie als Eingang zu Tempelanlagen im alten Ägypten üblich waren. Damit fiel „ägyptischer Herrscherglanz“ auf die Ludwigsluster Begräbnisstätte, die so mit Kirche und Schloss einen einzigartigen Dreiklang bildet. Und apropos Klang: Die Residenzkirche hatte ja keinen Glockenturm- der hätte zu der klassischen Fassade nicht gepasst. Also hatte Friedrichs Hofbaumeister Busch die findige Idee, die Kirchenglocken im oberen Teil der beiden Pylone zu installieren…

Und wie kam der heimische Steinmetz Busch, zum Hofbaumeister avanciert, zu den ägyptischen Pylonen? So wie er sein architektonisches Wissen aus der einschlägigen französischen Fachliteratur bezog, die Friedrich aus Frankreich mitgebracht hatte, so waren es in diesem Fall aller Wahrscheinlichkeit nach die Reiseberichte eines englischen Gelehrten und eines dänischen Marineoffiziers, die als Anregung dienten. Diese Berichte wurden Mitte des 18. Jahrhunderts mit Skzizzen der Tempelanlagen von Karnak und Luxor publiziert und sicherlich bei Hofe mit großem Interesse aufgenommen. Busch plante sogar, „die neue Kirche in Gestalt einer Pyramide zu erbauen, eine Entwurfsidee, die dann aber als zu gewagt ausgeschlossen wurde. Doch zumindest die Gestaltung des Friedhofs sollte an die Monumentalarchitektur dieses neu entdeckten altägyptischen Totenkultes erinnern.“[8a] Da kann Versailles einmal nicht mithalten: Es gab zwar dort schon früher Bezüge zum alten Ägypten, also noch vor der Ägyptomanie einer Marie Antoinette oder der napoleonischen Ära: zum Beispiel die beiden Sphingen am Parterre du Midi hinter dem Eingang zum Park, und Sphingen gab es auch in Paris, z.B. am Louvre, dem königlichen Schloss. Vielleicht haben auch die als Anregung gedient, mit einfachsten Mitteln, zunächst aus Holz, dann aus Back- und Feldsteinen, einen monumentalen „ägyptischen“ Bau zu errichten und damit wenigstens insofern dem bewunderten und natürlich völlig unerreichbaren Versailles doch Paroli zu bieten…

https://sculptures-jardins.chateauversailles.fr/notice/notice.php?id=207#hn
Auch das gehört zu Ludwigslust: Der Ehrenfriedhof für KZ-Opfer
Es gibt in Ludwigslust aber nicht nur diesen alten Gottesacker mit seinem „ägyptischen“ Eingang, sondern noch eine weitere Grabstätte, und zwar einen Ehrenfriedhof zwischen Kirche und Schloss.

Mahnmal des Ludwigsluster Künstlers Herbert Bartholomäus, 1951 (Wikipedia)
Auf ihm sind 200 Tote des Konzentrationslagers Wöbbelin bei Ludwigslust bestattet. Wöbbelin war ab Februar 1945 ein Außenenlager des KZ Neuengamme und diente ab Mitte April als Auffanglager für Transporte aus anderen Konzentrationslagern. In den zehn Wochen seiner Existenz starben von 5000 Häftlingen aus 25 Nationen etwa 1000 an katastrophalen hygienischen Verhältnissen, Hunger und Krankheiten.

Foto: Wolf Jöckel
Als US-Soldaten am 2. Mai das Lagergelände entdeckten, fanden sie mehr als 500 Tote auf dem Lagergelände. 200 von ihnen sind in einfachen namenlosen Gräbern hier bestattet.

Foto: Wolf Jöckel
Oudrys Galerie der Tiere
Nun aber ins Schloss, und dort zunächst in die Gemäldegalerie. Die gehörte zu einer standesgemäßen Residenz dieser Zeit, also gibt es sie auch in Ludwigslust, und nach erfolgter Renovierung sogar wieder im ursprünglichen Zustand, also mit traditioneller Raumaustattung (natürlich aus Papiermaché) und Aufhängung. [9] Die Mecklenburger Herzöge interessierten sich besonders für holländische/flämische Malerie, die in der Galerie denn auch reichlich vertreten ist.

© Staatliches Museum Schwerin. Foto: Detlev Klose
Den einzigartigen Schwerpunkt der Sammlung bilden aber Werke des französischen Malers Jean-Baptiste Oudry. Oudry war ein international geschätzter Maler zur Zeit Ludwigs XV. Er erhielt Aufträge nicht nur vom französischen König, sondern auch vom russischen Zaren Peter dem Großen und der schwedischen Königin. Vor allem als Maler von Tieren und Jagdszenen hatte er sich einen Namen gemacht hat. Aber auch als Direktor der Teppich-Manufaktur von Beauvais, der er viele Vorlagen lieferte, hatte er großen Einfluss.[10] Das Staatliche Museum Schwerin besitzt „mit 34 Gemälden und 43 Handzeichnungen die umfangreichste Oudry-Kollektion überhaupt.“[11]
Was hat es mit dieser besonderen Beziehung des Schweriner Hofes zu Oudry auf sich? Ludwig XIV. hatte sich im Park von Versailles eine Menagerie mit seltenen Tieren eingerichtet, um auch auf diese Weise seine absolute Macht zu demonstrieren – was dann von anderen Fürsten nachgeahmt wurde. Die Herzöge von Mecklenburg-Schwerin konnten sich aber derart aufwändige Einrichtungen nicht leisten. „Sie taten das Nächstbeste“, und ich zitiere nachfolgend aus dem wunderbaren Buch: Oudrys gemalte Menagerie, „sie kauften Portraits jener Tiere, die in der berühmten Versailler Menagerie gehalten wurden. Dieser Bilder waren zudem ursprünglich als Geschenk für König Ludwig XV. in Auftrag gegeben und von einem berühmten Tiermaler geschaffen worden, der für den französischen König arbeitete und auch in Deutschland bekannt war – Jean-Baptiste Oudry.“ [12]
Oudry hatte eine seit langem bestehende Beziehung zu den Herzögen von Schwerin – Herzog Christian Ludwig kaufte 1732 für sein Jagdschlösschen Ludwigslust die ersten Bilder des französischen Tiermalers. 1738 kam Erbprinz Friedrich zu Mecklenburg, der Erbauer der Residenz Ludwigslust, auf seiner Grand Tour durch Deutschland und Europa selbstverständlich auch nach Paris, wo er Oudry kennenlernte. Danach reiste er nach Angers weiter, wo er ein Jahr lang die dortige Ritterschule besuchte. Danach kam Friedrich wieder nach Paris und blieb auch dort ein Jahr. Oudry zeigte dem jungen Prinzen die Stadt, nahm ihn mit zu Künstlerateliers, zeigte ihm die Sorbonne und die Gobelin-Tapisseriemanufaktur und malte sein offizielles Portrait. Ursprünglich plante Christian Ludwig, dass sein Sohn von dem angesehensten Maler in Paris, Hyacinthe Rigaud, portraitiert werde, dem Portraitisten des Sonnenkönigs. Aber der verlangte zu viel für seine Bilder, während Oudry ein kostengünstigeres Angebot machte. Am 18. Mai 1739 berichtet Friedrich seinem Vater, dass sein Bildnis fertig und „wie alle Leute sagen sehr wohl getroffen“ sei.[13] Friedrich ist, passend zu seiner Ausbildung auf der Ritterschule in Angers, in Ritterrüstung dargestellt.

Oudry, Bildnis Erbprinz Friedrich zu Mecklenburg 1739 (Ausschnitt)[14]
1750 kam Friedrich erneut nach Paris, diesmal mit seiner Frau und Schwester. Er besuchte Oudry in seinem Atelier. Dort sah er eine Serie von Tierbildern, die Oudry in der Versailler Menagerie gemalt hatte, die „Menagerie-Serie“, und erreichte, dass ihm sein Vater schließlich das erforderliche Honorar nach Paris überwies. Oudry hatte die großformatigen Bilder im Auftrag des Leibarztes Ludwigs XV., La Peyronie, gemalt. Nach dem Tod Peyronies waren sie im Atelier Oudrys verblieben. [15]
Der Erwerb dieses Tierzyklus beruht wohl auf einer „Kombination aus Geldmangel und bereits bestehender Beziehung zu Oudry. …. Die Tatsache, dass dieser Zyklus anfänglich für den französischen König bestimmt war, machte ihn umso attraktiver. Durch den Kauf der Bilder befriedigten die Herzöge von Schwerin mehrere Bedürfnisse und Ambitionen gleichzeitig: Sie folgtem dem Vorbild des französischen Hofes, indem sie ihre Gemäldegalerie erweiterten; sie förderten den gleichen Maler und stellten die gleichen exotischen Tiere zur Schau. So erzeugten sie fürstlichen Glanz und das für einen Bruchteil der Kosten, die der Besitz seltener lebendiger Tiere verursacht hätte. Natürlich waren gemalte Tiere nicht ganz so wunderbar, aufregend und beeindruckend wie lebende, aber durch Oudrys Gemälde wurden sie lebendig. Seine Tierportraits erlaubten den Herzögen von Mecklenburg, die lange Geschichte der fürstlichen Tiersammlungen fortzuführen, die Macht, kultivierte Bildung und Herrschaft über Natur und Länder symbolisierten.“[16]
Vier dieser Portraits werden nachfolgend vorgestellt.

Foto: Wikipedia
Dass die Tiere in den Gemälden Oudrys lebendig wurden, zeigt das Bild dieses Leoparden, der gerade sein Pendant, eine Leopardin, anfaucht und zu beeindrucken sucht. Oudry gelingt es, die Kraft und Energie des Tieres anschaulich zu machen: Der Schweif, in voller Bewegung, scheint geradezu die Bildfläche zu durchbrechen. In seinen Bildern entsteht eine „intime Nähe zu exotischen, gefährlichen Tieren, die normalerweise durch Zäune, Glasgehege, Wassergräben, Menschenmengen verhindert wird.“ [17] Der gemalte Leopard Oudrys ist sicherlich eindrucksvoller als ein in einem engen Menagerie-Gehege eigesperrtes lebendes (und wohl auch leidendes) Tier.

Foto: Wolf Jöckel
Ganz anders als die wilde Raubkatze portraitiert Oudry die Antilope, die zu den ersten Bildern seiner Menagerie-Serie gehört. Es ist eine in Vorderindien beheimatete Hirschziegenantilope. Ruhig und anmutig schaut sie in die weite Gebirgslandschaft. „Oudrys Darstellung der Antilope entspricht der eines Fürsten, der sich gelassen und selbstverständlich vor seinem Land portraitieren lässt.“[18]

Der Kasuar ist sicherlich der exotischste Vogel der Menagerie, den Oudry portraitierte.[19] Es handelt sich um einen vor allem in Neuguinea verbreiteten Laufvogel, der um 1600 zum ersten Mal von der holländischen Ostindischen Kompanie nach Europa eingeführt wurde. 1671 konnte dann auch der Sonnenkönig eines der seltenen Exemplare den Besuchern seiner Menagerie vorführen.[20] Oudrys Kasuar wurde 1745 im Salon ausgestellt und wie folgt beschreiben.: „Er hat weder Zunge noch Schwanz noch Flügel; er verschlingt ungerührt alles, was man ihm gibt, sogar bis hin zur glühendsten Kohle, er zerschlägt das Bein eines Mannes mit seiner Klaue.“[21] Dass der hauptsächlich von Früchten lebende Kasuar glühendste Kohle verschlingt, ist sicherlich effekthascherischer Unsinn, gefährlich werden kann er mit seinen dolchartigen Krallen aber durchaus.[22] Und so verleiht Oudry dem Vogel durch eine leichte Untersicht „einen monumentalen und auch bedrohlichen Charakter.“[23]

Foto: Wolf Jöckel
Oudrys Portrait eines – heute in freier Wildbahn ausgestorbenen- Atlaslöwen ist mit seiner Größe von 307×258 cm nach dem Rhinozeros „Clara“ vom Schweriner Schloss das zweitgrößte Gemälde der mecklenburgischen Oudry-Sammlung und das größte in Ludwigslust. Um die ungewöhnlichen Maße unterzubringen, benutzte der Maler zwei zusammengenähte Leinwandbahnen. Löwen gehörten schon seit jeher als Symbol der Stärke und des Stolzes zur Grundausstattung adliger Menagerien.[24] Selbstverständlich war für sie auch ein Platz in der Versailler Menagerie eingerichtet. Oudry portraitierte den Löwen als mächtigen Herrscher des Tierreichs und damit gewissermaßen als tierisches Pendant des Selbstbildes eines absoluten Herrschers, dem zu unterwerfen man wohl beraten ist…
Oudry lieferte übrigens nicht nur Tierbilder nach Schwerin bzw. Ludwigslust, sondern er fungierte auch als Agent bei der Bestellung französischer Produkte für die herzogliche Residenz. Dazu gehörten beispielsweise Bücher, Kupferstiche, aber auch Möbel, feines Geschirr, Küchenutensilien, Toilettenartikel und Seidenstrümpfe für die Prinzessin. Sogar eine „chaise percée de commodité“, also ein Nachtstuhl, wurden mit Oudrys Vermittlung nach Mecklenburg expediert. Oudry wurde auch engagiert bei der Beschaffung von Gipsabgüssen antiker Figuren. Das stellte ihn allerdings vor unerwartete Probleme, weil der strenggläubig Protestant Christian Ludwig II. und erst recht sein pietistischer Sohn Friedrich, auch „der Fromme“genannt, keine nackten Statuen zu sehen und erst recht nicht zu kaufen wünschten. Da half es auch nicht, dass Oudry darauf hinwies, König Ludwig XV. habe „immer nur schöne nackte Figuren der Antike zu Studienzwecken … gießen lassen.“ [24a] Herzog Friedrich hätte sich wohl im Grabe umgedreht, wenn er mitbekommen hätte, dass bald nach seinem Tod die -natürlich- nackte Venus in seiner Papiermaché-Manufaktur hergestellt und ein Verkaufsschlager werden würde….
Die Portraitbüsten von Jean-Antoine Houdon
Jean-Antoine Houdon war einer der bedeutendsten Bildhauer des 18. Jahrhunderts, für manche Kenner wie Kornelia von Bersworth-Wallrabe, die langjährige Direktorin der Schweriner Museen, sogar der bedeutendste. Houdon wird gerne als Bildhauer der Aufklärung bezeichnet, weil er eindrucksvolle Standbilder und Büsten der großen Gestalten dieser Zeit wie Voltaire, Diderot und Rousseau schuf. Unser Bild des verschmitzt lächelnden Voltaire, wie wir es etwa aus dem Pantheon oder der Bibliothèque Nationale kennen, wurde von Houdon geprägt. Die Portraitbüsten Houdons waren auch international gefragt –in Russland, wo er eine Büste Katharinas der Großen anfertigte, selbst in den USA, in die er eingeladen wurde, um George Washington zu portraitieren. Auch an deutschen Residenzen war Houdon gefragt; vor allem in Gotha/Thüringen. Dort war Houdon sogar zweimal zu Gast, 1771 und 1773, um über Aufträge zu verhandeln und Mitglieder des herzoglichen Hauses zu porträtieren. Bei dieser Gelegenheit traf natürlich auch die Tochter des Gothaer Herzogs, Louise von Sachen-Gotha- Roda, den Bildhauer.[25] Kein Wunder also, dass sie 1882, inzwischen verheiratet mit dem Mecklenburger Erbprinzen Friedrich Franz, auf dessen Grand Tour nach Holland, England und Frankreich dem Atelier Houdons in Paris einen Besuch abstatteten. Ein Begleiter des Erbprinzenpaar schrieb dazu:
Wir „gingen gemeinsam zu M. de Houdon, dem berühmten Bildhauer , der noch dazu gerade eine hervorragende Statue für die Wandelhalle der neuen Comédie Française vollendet hatte“ (also ganz offensichtlich die berühmte Statue des auf einem Imperatorensessel thronenden Voltaire). „Die Hoheiten sahen dort mehrere Büsten ihnen bekannter Personen und waren derart überrascht über deren Ähnlichkeit, dass sie sich sofort entschlossen, die ihren (Büsten) ebenfalls anfertigen zu lassen.“[26]

Hier links die Büsten der Erbprinzession Louise und rechts des Erbprinzen Friedrich Franz. Bei Gelegenheit dieses Besuches bestellte das Paar auch gleich noch weitere Büsten, so dass das Staatliche Museum Schwerin heute über einen Sammlungsbestand von 15 Portraitbüsten verfügt, „Stücke von höchster Qualität und Seltenheit“, die zwischen 1770 und 1792 angefertigt wurden und „einen repräsentativen Einblick in sein Werk“ geben.[27] Mehrere davon sind in Ludwigslust ausgestellt.

Da gibt es -natürlich- eine Büste des alten Voltaire. Kurz vor dessen Tod am 30. Mai 1878 in einer Modellsitzung geformt und nach Voltaires Tod anhand der von Houdon abgenommenen Totenmaske überarbeitet. Voltaire ist hier mit seinem typischen ironisch-verschmitzten Lächeln mit Perücke dargestellt.
Houdon stellte auch Büsten „klassischer“ Franzosen dar. So die von Molière als jungem Mann – auf dem ersten Bild dieses Abschnitts links hinter dem Erbprinzen- und die des Fabeldichters Jean de la Fontaine.

Aus dem Bildnis de la Fontaines spricht „die Weisheit und Gebrechlichkeit des Alters. … Die bei Houdon übliche Ausbohrung der Iris intensiviert den lebendigen Ausdruck des Dargestellten.“[28] De la Fontaines passt auch insofern gut in die Schweriner Sammlung, weil seine Fabeln von Jean Baptiste Oudry illustriert wurden. Insofern gibt es eine Beziehung zwischen den beiden Schweriner „Schwergewichten“, Oudry und Houdon.

Chr.W.Gluck (Ausschnitt). Foto: Wolf Jöckel
Die (nicht nur für mich) beeindruckendste der Ludwigsluster Büsten Houdons ist die des Komponisten Christoph Willibald Gluck aus dem Jahr 1775. (Im obigen Bild der vier Büsten neben Moliere und zwischen dem Erbprinzenpaar). Es ist auch die, die den Ruhm des jungen Bildhauers begründete. Gluck lebte und wirkte damals in Paris. Er revolutionierte die zeitgenössische Opernpraxis, indem er für eine an den Ideen der Aufklärung orientierte Reform eintrat. 1774 fanden in Paris triumphale (Ur-) aufführungen seiner Opern „Iphigenie in Aulis“ und „Orpheus und Euridike“ statt. „Jean-Antoine Houdon zeigt den enthusiastisch Gefeierten ohne Perücke, mit ungeordnetem Haar und leicht geöffneten Mund in einem kühnen strahlenden Antlitz. Houdon wagt es, die Pockennarben nicht zu vertuschen, sondern sie mittels skizzenhafter Behandlung von Gewandung und Haar unlösbar in den Gesamteindruck einzubinden.“ Die wahrhafte Wiedergabe des Menschen markieren den Triumph der Persönlichkeit über die Konvention:[29] Ein impressionistisch-gegenständliches Bildnis, das man mit Rodin in Verbindung gebracht hat und das Houdon den Rang eines Vorläufers der modernen Plastik verliehen hat.[30]
Die Schweriner Herzöge hatten allerdings nicht genug Geld, um -wie Katharina die Große- ihre Houdon-Plastiken aus Marmor anfertigen zu lassen, oder gar in Bronze gießen zu lassen. Es handelt sich um Versionen in Gips bzw. Terracotta, was allerdings ihrer Qualität keinen Abbruch tut. Auch für die berühmteste Statue Houdons, die sog. Frierende, La Frileuse, reichte das Geld offenbar nicht. Diese Statue ist eigentlich die Allegorie des Winters in einer Reihe der vier Jahreszeiten. Ursprünglich stand neben dem frierenden jungen Mädchen eine vom Frost gesprengte Vase, was aber auch zu anderen Deutungen Anlass gab: Die zerbrochene Vase -wie der zerbrochene Krug bei Kleist- als Symbol der verlorenen Jungfräulichkeit. In späteren Versionen verzichtete Houdon auf die Vase, so dass die Statue ganz unschuldig ihren erotischen Reiz entfalten kann: ein junges Mädchen mit einem um Kopf und Oberkörper geschlungenenTuch nur halbwegs verhüllt: „Schönheit pur“.[31]

Da hatte man in Schwerin eine geniale Idee: Nur drei Jahre nachdem Houdon von der Statue einen Bronzeabguss gefertigt hatte (1787), wurde die Figur in das Sortiment der Ludwigsluster Cartonfabrik aufgenommen, was auch in dem in adligen Kreisen weit verbreiteten Intelligenzblatt des Luxus und der Moden annonciert wurde: „Eine weibl. Nackte Fig. So aus dem Bade kömt“. Dank der verwandtschaftlichen Beziehung der Mecklenburger Herzöge gelangten auch Papiermaché-Versionen der Frierenden nach Weimar und Gotha, aber auch in Frankreich, Holland und den USA gibt es entsprechende Exemplare…[32]
Auch in Mecklenburg: Der napoleonische Kunstraub

In der Ludwigsluster Gemäldegalerie hängt auch ein Bild des niederländischen Malers Abraham Hondius aus dem Jahr 1670: Hunde jagen einen Schwan aus seinem Nest. Niederländische Malerei war in der Gemäldesammlung der Schweriner Herzöge reichlich vertreten. Friedrichs Vater und Friedrich selbst hatten nämlich auf ihrer Grand Tour, die auch eine Einkaufstour für Kunst war, in Holland große Bestände niederländischer Gemälde erworben. [33] Auf die hatte es Vivant Denon, der Kunsträuber Napoleons, besonders abgesehen, als er im März 1807, kurz nach der preußischen Niederlage bei Schwerin und der Besetzung der Stadt durch französischen Truppen, die Bestände der herzoglichen Kunstsammlung besichtigte. Und er wurde fündig: Insgesamt 209 Gemälde, über 106 kunsthandwerkliche Objekte, dazu chinesische Vasen und Manuskripte wählte er aus, die nach Frankreich überführt wurden; für das im Louvre eingerichtete musée Napoléon und andere Museen; aber auch die anspruchsvolle Kaiserin Joséphine, „S.M. l’Imperatrice“ wurde bedacht. Zum Beispiel wählte Denon kostbare Elfenbeinschnitzereien für sie aus. Am Jahrestag der preußischen Niederlage von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 wurde im Musée Napoléon (dem späteren Louvre-Museum) eine große Ausstellung der Raubkunst eröffnet, damit „die Franzosen, indem sie das ruhmreich vom Feinde Erbeutete bewundern, gleichzeitig ihren ehrenden Respekt und ihre Dankbarkeiit an den Helden richten können, dem der Sieg die Werke zu Füße legte.“[34] Von den 209 erbeuteten Schweriner Gemälden wurden etwa 70 bei dieser Ausstellung präsentiert. Nach der Niederlage Napoleons mussten die konfiszierten Werke weitgehend wieder zurückgegeben werden, auch das entzückende Gemälde Hondius‘.

Ein Objekt der Raubkunst war übrigens auch Oudrys oben abgebildetes Portrait des Erbprinzen Friedrich. Es „gelangte 1806 unter Napoleon nach Frankreich“, wie es im Schweriner Katalog der Werke Oudrys und Houdons in einer Fußnote rücksichtsvoll umschrieben wird. Als einziges Schweriner Beutekunst- Gemälde kehrte es 1815 nicht wieder nach Schwerin zurück und befindet sich noch heute im Louvre. Im aktuellen Katalog des Pariser Museums wird angegeben, das Bild sei „1755 auf der Nachlassauktion Oudrys in Paris“ erworben worden…[35]
Literatur
Jean-Baptiste Oudry/Jean-Antoine Houdon. Vermächtnis der Aufklärung. Sammlung Staatliches Museum Schwerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 26. Mai bis zum 20. August 2000
Kornelia von Berwordt-Wallrabe (Hrsg), Oudrys gemalt Menagerie. Portraits von exotischen Tieren im Europa des 18. Jahrhunderts. Staatliches Museum Schwerin/Deutscher Kunstverlag 2008
Eva Firzlaff, Barockes Kunstwerk Schloss Ludwigslust. Paradebeispiel für Papiermaché. https://www.deutschlandfunk.de/barockes-kunstwerk-schloss-ludwigslust-paradebeispiel-fuer-100.html
Thorsten Knuth, Kunstraub/Raubkunst. Fälle der Provenienzforschung in den Schweriner Museen. 2014Staatliches Museum Schwerin/Ludwigslust/Güstrow
Jörg-Peter Krohn, Schloss Ludwigslust. Großer DKV-Kunstführer. Berlin/München 2016
Norbert Leithold „Ludwigsluster Papiermaché“ Tauchaer Verlag, Leipzig 2024
Hilke Maunder, So viel Frankreich steckt in Schwerin. https://meinfrankreich.com/schwerin/ Dies ist eines der interessanten und kurzweiligen 26 Städteportraits aus: So viel Frankreich steckt in Deutschland. Magenta-Verlag Kempen 2020. [36]
Christiane Rossner, Kaum zu glauben: alles Pappe! Schloss Ludwigslust hat sich ein prachtvolles Denkmal aus Papiermaché gesetzt. In: Monumente April/2012 https://www.monumente-online.de/de/ausgaben/2012/2/kaum-zu-glauben-alles-pappe.php
Anmerkungen
[1]Siehe zum Beispiel: https://de.storiamundi.com/98/schloss-ludwigslust-das-versailles-des-nordens
https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwigslust
https://www.magazin-forum.de/de/das-mecklenburgische-versailles
„Das kleine Versailles des Nordens“: https://museen.de/museum-schloss-ludwigslust.html
[2] Zit. Krohn, Schloss Ludwigslust, S. 7
[3] Nachfolgendes Bild aus: https://www.magazin-forum.de/de/das-mecklenburgische-versailles
[4] Krohn, Schloss Ludwigslust, S. 30
[5] https://gutshaeuser.de/de/schloesser/schloss_ludwigslust
[6] Bild aus: Staatliches Museum Schwerin, Schloss Ludwigslust. 1997, S. 43
[7] Die Grafik gehört zu einer Sammlung von acht Abbildungen aus dem Park von Ludwigslust. Ursprüngliche Beschriftung: Der Keyser Saal, in den Holtz von Ludwigslust. La Salle des Empereurs, dans le Bois de Ludwigslust. https://nat.museum-digital.de/object/833703?navlang=de
Bild aus: https://www.svz.de/lokales/ludwigslust/artikel/zwischen-steinerner-bruecke-und-moench-40327339
[7a] Ich danke Herrn Ulrich Schläger für diesen Hinweis und für die Zusendung der Herrenhausen-Abbildung. Er bezieht sich dabei auf die Arbeit von Ellen Suchezky »Die Abguss-Sammlungen von Düsseldorf und Göttingen im 18. Jahrhundert – Zur Rezeption antiker Kunst zwischen Absolutismus und Aufklärung«; de Gryter, Berlin/Bosten, 2019; hier S. 219 ff, insbes. S. 222 & 223.
[8] https://www.histoires-de-paris.fr/statues-fleuves-versailles/
[8a] Aus der neben dem Friedhofseingang angebrachten Informationstafel. Dort auch die Radierung von Findorff, die den 1765 errichteten ersten hölzernen Bau zeigt.
[9] https://www.ndr.de/ratgeber/reise/mecklenburg/Schloss-Ludwigslust-Eine-Reise-ins-Barock,ludwigslust163.html
[10] Siehe https://www.getty.edu/art/collection/person/103JYQ
[11] Staatliches Museum Schwerin, Schloss Ludwigslust. 1997, S. 38
[12] Oudrys gemalte Menagerie, S. 71
[13] Zit. Aus: Jean-Baptiste Oudry/Jean Antoine Houdon. Vermächtnis der Aufklärung, S. 32
[14] Aus: Jean-Baptiste Oudry/Jean Antoine Houdon. Vermächtnis der Aufklärung, S. 32
[15] Siehe: Krohn, Schloss Ludwigslust, S. 50
[16] Oudys gemalte Menagerie, S. 73
[17] Oudry/Houdon, Vermächtnis der Aufklärung, S. 123
[18] Oudry/Houdon, Vermächtnis der Aufklärung, S. 140
[19] https://www.meisterdrucke.fr/fine-art-prints/Jean-Baptiste-Oudry/544486/Casoar.html
[20] Siehe: https://paris-blog.org/2023/01/01/der-konig-der-tiere-die-menagerie-und-das-labyrinth-ludwigs-xiv-im-park-von-versailles/
[21] Zit. Oudry/Houdon, Vermächtnis der Aufklärung, S.144
[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Kasuare
[23] Oudry/Houdon, Vermächtnis der Aufklärung, S. 144
[24] Oudrys gemalte Menagerie, Tafel 12
[24a] Zitiert Oudry/Houdon, Vermächtnis der Aufklärung
[25] Thüringer Landesmuseum Heidecksburg, Jean Antoine Houdon: Louise von Mecklenburg-Schwerin, geb. Herzogin von Sachsen-Gotha. 1782 https://nat.museum-digital.de/object/15310?navlang=de
[26] Zit. Vermächtnis der Aufklärung, S. 191 Nachfolgendes Bild: https://www.pinterest.de/pin/93660867237446432/
[27] (Krohn, Schloss LudwWir igslust, S. 51)
[28] Oudry/Houdon, Vermächtnis der Aufklärung, S. 188
[29] Oudry/Houdon, Vermächtnis der Aufklärung, S. 174
[30] Günter Baumann, Der Aufklärer Jean-Antoine Houdon als Vorläufer der modernen Plastik – Eine kleine Bücherschau https://www.portalkunstgeschichte.de/meldung/der_aufklaerer_jean_antoine_houd-3445.html
Rodin war ein großer Bewunderer der Portraitkunst Houdons. Siehe: https://www.musee-rodin.fr/ressources/processus-de-creation/portraits-sculptes
[31] Bild aus: https://www.portalkunstgeschichte.de/meldung/der_aufklaerer_jean_antoine_houd-3445.html
Zitat aus: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Houdon_Frileuse_Ludwigslust.jpg
[32] Oudry/Houdon, Vermächtnis der Aufklärung, S. 200
[33] Everhard Korthals Altes, The Art Tour of Friedrich of Mecklenburg-Schwerin. Netherlands Quarterly for the History of Art. 31,3 (2004/2005, S. 216ff
[34] Zit. Kunstraub/Raubkunst, S. 50
[35] Oudry/Houdon, Vermächtnis der Aufklärung, Fußnote 5, S. 33
[36] Dazu eine kleine aktuelle Ergänzung: Maunder schreibt in ihrem Beitrag über Schwerin: „Zu den wenigen Franzosen, die in Schwerin leben, gehört Pierre Congard. Der Bretone, der 1993 Brest gegen Schwerin tauschte, begeistert seitdem die Mecklenburger für den asiatischen Kampfsport Aikido.“ Inzwischen hat das Schweriner Staatsstheater sogar eine französische Operndirektorin, Judith Lebiez! Vive l’amitié franco-allemande!
Danke fuer diesen erstaunlichen Ausflug in den Norden. Verblueffend
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