Am 5. Dezember 2025 fand in Washington die Auslosung für die Gruppen der Fußballweltmeisterschaft 2026 statt. Da die Weltmeisterschaft in drei Ländern, den USA, Kanada und Mexiko, ausgetragen wird, waren auch die Präsidentin Mexikos und der kanadische Premierminister nach Washington gekommen, die Statistenrollen einzunehmen hatten. Im Mittelpunkt stand nämlich, wie zu erwarten, Donald Trump. Ihm wurde an diesem Tag auch ein -extra für ihn geschaffener?- Friedenspreis des Internationalen Fußballverbandes FIFA verliehen. Oder besser: Trump, der sich ja der vielen Friedensschlüsse brüstet, die er erreicht habe, verlieh sich die Auszeichnung selbst. Jedenfalls hängte er sich eigenhändig das Band, an dem die Trophäe befestigt war, um den Hals. Und Infantino lächelt in einem Akt der Selbstunterwerfung noch dazu.
Foto: (IMAGO / Schüler / IMAGO / Marc Schueler)[1]
Vielleicht dachte Trump bei seinem eigenhändigen Vorgehen vor allem an seine Frisur, die nicht Schaden nehmen sollte. Aber wie dem auch sei: Der wohl kaum so vorgesehene Akt der Selbstermächtigung/Selbstbeweihräucherung passt hervorragend zu der hochgradig narzisstischen Persönlichkeit des amerikanischen Präsidenten.[2]
Trump hat für sein Verhalten ein Vorbild, das er vielleicht sogar als ebenbürtig anerkennen würde: Napoleon Bonaparte, der sich am 4. Dezember 1804 in der Kathedrale Notre-Dame de Paris selbst zum Kaiser der Franzosen krönte.[3]
Napoleons „Hofmaler“ Jacques Louis David hat diese Szene in einer Zeichnung festgehalten, die derzeit in einer David-Ausstellung im Louvre [4] zu sehen ist:
Foto: Wolf Jöckel
Breitbeinig und in leichter Rückenlage, den rechten Fuß vorgeschoben und mit der linken Hand ein Schwert an sich haltend, setzt sich Napoleon Bonaparte mit der hoch erhobenen rechten Hand selbst die eigens für diesen Anlass angefertigte Krone auf.[5]
Der Pariser Hofjuwelir Marie-Étienne Nitot hatte die Kaierkrone nach antiken und frühmittelalterlichen Vorbildern hergestellt, sah sich Napoleon doch in der Nachfolge der römischen Kaiser und Karls des Großen. Die Krone war bis zum spektakulären Einbruch in den Louvre in der Apollo-Galerie ausgestellt, wurde deshalb auch Krone Karls des Großen/Charlemagne genannt. Allerdings haben die Diebe sie bei ihrer Flucht verloren oder weggeworfen, so dass sie nicht für die Öffentlichkeit verloren ist…
Hinter dem bewaffneten und mit Lorbeerkranz als Held gefeierten Napoleon mit aufgeplustertem Gewand sitzt schmächtig und in sich gekehrt der Papst, als habe er mit dem Geschehen vor ihm nichts zu tun: Zwischen ihm und Napoleon gibt es keine Verbindung von Blicken und Gesten.
Allerdings war die Selbstkrönung nicht, wie es manche Napoleon-Legenden suggerieren, eine spontane Handlung, sondern vielmehr zentraler Teil eines in den historischen und internationalen Kontext eingebetteten hochsymbolischen und minutiös orchestrierten Aktes. Es ging darum, Napoleons Kaisertum einerseits als Abkehr von der Ordnung des Ancien Régimes zu darzustellen, andererseits ihm durch die Krönung aber auch einen legitimen Platz in der monarchistisch geprägten europäischen Staatenordnung zu sichern. Weiterhin ging es darum, das Kaiserreich Napoleons einerseits als Bruch mit den terroristischen Auswüchsen der Französischen Revolution zu kennzeichnen, andererseits aber auch Napoleon als Erben der Errungenschaften dieser Revolution zu feiern. Und schließlich sollte und wollte Napoleon nicht ein Kaiser von „Gottes Gnaden“ sein, andererseits aber war ihm aber auch an einem guten Verhältnis zur katholischen Kirche gelegen, mit der er ja schon 1801 ein Konkordat geschlossen hatte. Zu all dem passte die dem Papst in dem Krönungszeremoniell zugewiesene Rolle. Und dazu passte auch der Ort der Zeremonie, nämlich Notre-Dame, auch wenn die damals arg heruntergekommen war: Aber Notre-Dame bot sich als Kompromiss an zwischen dem auch in Erwägung gezogenen republikanischen Marsfeld und dem royalen Reims oder Saint-Denis mit seinen wenige Jahre zuvor zerstörten königlichen Gräbern und Gabmalen. [6]
Es ist also nicht ganz zutreffend, die Selbstkrönung Napoleons als schlichten „Akt des Größenwahns“ abzutun[7]. Für Trumps „Selbstkrönung“ gilt das aber in der Tat: Niemand, auch kein Infantino, kann ihm das Wasser und auch kein Ordensband reichen….
In dem monumentalen Gemälde (6,21 x 9,79 m), das schließlich Jacques- Louis David mit seinen Gehilfen anfertigte und das heute in der Großen Galerie des Louvre hängt, ist die zentrale Krönungsszene allerdings anders dargestellt als auf der vorbereitenden Zeichnung. Da wird nicht Napoleons Selbstkrönung gezeigt, sondern die -historisch weniger aufgeladene- Krönung von Napoleons Frau Josephine durch ihren Mann. Diese Szene sollte Ausdruck der Verbindung unterschiedlicher Elemente der französischen Geschichte sein: Josephine stammte von den Antillen, war aber bei den Parisern beliebt; sie war Witwe eines Adligen des Ancien régime, der republikanischer General wurde, dann aber dem jacobinischen Terror zum Opfer fiel; und nicht zuletzt war Josephine Mutter zweier Kinder, die Bonaparte adoptiert hatte…. [8]
Es war Napoleons Wunsch, dass David die schon gemalte Selbstkrönung Napoleons durch die Krönung Josephines ersetzte. Auf dem das Geschichtsbild der Franzosen prägenden Krönungsbild wollte Napoleon dem Papst, den er doch selbst aus Rom geholt habe, dann doch nicht nur eine Statistenrolle zuweisen. So hebt dieser zur Krönung Josephines denn auch segnend die Hand.
[9] Nachfolgende Bildausschnitte aus: Le Couronnement de l’empereur Napoléon Ier et de l’impératrice Joséphine dans la cathédrale Notre-Dame de Paris, le 2 décembre 1804. – Louvre site des collections https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010065720
Der Dezember-„Supermond“ des Jahres 2025, aufgenommen am 5. Dezember um 8 Uhr an der Métro-Station Voltaire/place Léon Blum im 11. Arrondissement von Paris. Foto: Wolf Jöckel
Der nächste „Supermond“ wird am 24. Dezember 2026 zu sehen sein….
Paris nennt sich -seit der Weltausstellung von 1900- gerne Ville lumière, Stadt des Lichts. Verglichen mit New York war das damals etwas schmeichelhaft: Noch nicht einmal in dem für die Weltausstellung errichteten Grand Palais gab es damals elektrisches Licht. Heute, in der Vorweihnachtszeit, hat der Ausdruck aber seine volle Berechtigung. Da strahlt und leuchtet die ganze Stadt.
Bekannt sind ja die jährlich neuen vorweihnachtlichen Illuminationen der Champs-Élysées, der -so das französische Selbstverständnis- „schönsten Avenue der Welt“.
Aber auch andere, weniger prominente Pariser Straßen zeigen sich in festlicher Beleuchtung:
Auch die meisten Einzelhändler knausern nicht mit der Beleuchtung.
Markthalle des marché d’Aligre im 12. Arrondissement
„Unser“ Metzger in der rue de la Roquette (11. Arrondissement)
Sehr verbreitet ist es auch, die Schaufensterscheiben mit gemalten oder aufgeklebten weihnachtlichen Motiven zu schmücken.
Auch öffentliche Gebäude werden aufwändig illuminiert wie hier das Rathaus des 11. Arrondissements:
Am benachbarten Place Léon- Blum hat man sogar einen kleinen weihnachtlichen „forêt urbaine“ geschaffen:
Wirtschaftliche oder ökologische Bedenken gibt es da nicht – der Strom ist in Frankreich vergleichsweise günstig und -nachdem einige wegen Reparaturarbeiten abgeschaltete AKWs wieder am Netz sind- so reichlich, dass man ihn sogar mit stolzem Gewinn ins Ausland -zum Beispiel nach Deutschland- liefern kann…
Es blinkt und glitzert also überall in Paris:
Mit farbigem Licht angestrahlte Fassade der Philharmonie de Paris
Blick von der Fondation Louis Vuitton auf den von tausenden japanischen Lampions beleuchteten jardin d’acclimatation.
Einen besonderen Aufwand bei der vorweihnachtlichen Beleuchtung betreiben die großen Pariser Kaufhäuser. Hier einige Eindrücke von dem Bon Marché, dem Samaritaine, dem Au Printemps und dem Lafayette.
Le Bon Marché
Zuerst geht es zum Le Bon Marché. Immerhin ist es das älteste Kaufhaus von Paris, ja der Welt!
Dass dieses Kaufhaus zu einem Vorbild für spätere Nachfolger und Nachahmer wurde, ist den vielen Neuerungen zu verdanken, die der Gründer des Bon Marché, Aristide Boucicaut, einführte, um Kundschaft anzuziehen.
Dazu gehörten auch die besonderen Schaufensterdekorationen in der Weihnachtszeit. Sie waren auch und vor allem für Kinder gedacht, für die kleine Podeste aufgebaut wurden.
Das damals völlig Neue und Sensationelle dabei war, dass die Schaufensterfiguren beweglich waren. So auch die Hasen, die in diesem Jahr Leitmotiv der Dekoration im Bon Marché sind. Hier sind sie gerade am Stricken.
Und hier reiten sie auf fliegenden Karotten durch die Luft.
Und es wird dann auch gleich für passende Produkte geworben: Karottensuppe, Karottenkonfitüre, Karottensaft. Das passt immerhin.
Aber auch andere Produkte des Hauses werden von Hasen präsentiert: Vielleicht ein kostensparendes Recycling von Osterhasen einer früheren Präsentation?
Le Bon Marché 24, rue de Sèvres, 75007
La Samaritaine
Das Kaufhaus La Samaritaine an der Seine, ein architektonisches Art déco-Juwel, schmückt sich zu Weihnachten eher zurückhaltend.
Ich finde das aber sehr passend, weil so die Schönheit des Gebäudes nicht hinter einer aufwändigen Dekoration verschwindet.
Und ganz oben unter dem gläsernes Dach gibt es ein schönes und im Allgemeinen auch ruhiges Café, in dem man sich etwas von dem Pariser Weihnachtstrubel erholen kann.
La Samaritaine 9 rue de la Monnaie, 75001 Paris.
La Fayette
Die Schaufensterdekorationen des La Fayette fanden wir wenig attraktiv.
Hier wird das Büro des Weihnachtsmanns präsentiert, der die Bestellungen für Geschenke entgegennimmt und registriert.
Aber natürlich lohnt es sich, hoch unter die Kuppel zu fahren, die wie jedes Jahr besonders aufwändig dekoriert ist.
Galeries Lafayette Paris Haussmann 40, Boulevard Haussmann 75009 Paris
Au Printemps
Das benachbarte Kaufhaus Au Printemps hat seine diesjährige Weihnachtsdekoration unter das Motto „Weihnachten in New York“ gestellt.
Das ist recht originell: Hier können Kinder beispielsweise im Foyer des Hauses in ein Auto steigen und sozusagen durch New York fahren.
Auch in den Schaufenstern ist New York Hintergrund der Dekorationen und beweglichen Präsentationen.
Dazu gibt es auch die passende Musik.
Natürlich geht es in erster Linie nicht um Unterhaltung, sondern um Werbung für die Produkte des Hauses: Kinder als zukünftige Kunden…
Hier präsentiert die fesche kleine Maus eine schicke Tasche.
Innen kann man dann diese Tasche von Hermès bewundern: „Constance“ aus Krokodilleder (Varanus Niloticus) für 20. 000 Euro….
Die Kinder freuen sich aber über die lustigen Schaufenstertiere.
Und dann gibt es ja auch hier noch die festliche Kuppel mit Weihnachtsbaum -geschmückt mit New York-Motiven…
… und natürlich die Terrasse mit einer kleinen Eislaufbahn für Kinder und einem wunderbaren Blick über die Stadt.
Printemps Haussmann 64 Boulevard Haussmann, 75009 Paris
Allen Leserinnen und Lesern des Blogs wünschen wir eine gute Vorweihnachtszeit mit vielen hellen Lichtern.
Paris verfügte schon bisher über ganz außerordentliche Orte zur Präsentation moderner/zeitgenössischer Kunst. Man denke nur an das Centre Pompidou, das Musée d’Art moderne de la ville de Paris, und natürlich an die wunderbaren privaten Ausstellungsorte: Die Bourse de Commerce, in der François Pinault „die Werke einer der wichtigsten Sammlungen zeitgenössischer Kunst der Welt“ ausstellt[1], und die Fondation Louis Vuitton von Bernard Arnault, dem Besitzer des Luxuskonzerns LVHM und einem der reichsten Männer der Welt. Der kann es sich auch leisten, dort die bisher umfassendste und schönste Ausstellung der Werke Gerhard Richters zu präsentieren[2].
Jetzt hat Paris seiner „Kulturkrone“ einen weiteren funkelnden Edelstein hinzugefügt: Das Ausstellungsgebäude der Fondation Cartier mitten in Paris, im Zentrum des gesellschaftlichen, künstlerischen, politischen Lebens der Stadt, ja des Landes. Allein die Adresse ist ein Ausrufungszeichen: 2, place du Palais Royal. Es ist ein monumentales, ein ganzes Straßenareal ausfüllendes Bauwerk, an der Pariser Ost-West-Achse rue de Rivoli gelegen, gegenüber dem Louvre, dem Kultusministerium, der Comédie Française und, natürlich, des Palais Royal mit dem Conseil d’État [3].
Der fünfstöckige, 153 Meter lange und bis zu 58 Meter breite Riese aus hellem Kalkstein wurde 1854/55 im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende Weltausstellung aus dem Boden gestampft. Das Hôtel du Louvre bildete mit 1200 Zimmern eine Miniaturstadt und bot seiner kosmopolitischen Klientel neben Wasserklosets auch Luxusboutiquen unter den ringsumlaufenden Arkaden. Eine dieser Boutiquen, die Galeries du Louvre, wuchs sich zum -laut Werbung- ‚größten Warenhaus der Welt‘ aus und verdrängte, inzwischen umfirmiert zu Grands Magasins du Louvre, 1887 gar das Hotel aus den Mauern.[5] Die Grands Magasins du Louvre waren neben dem noch älteren Kaufhaus Bon Marché Vorbild für die späteren großen Kaufhäuser in aller Welt und für Zolas Roman Au bonheur des dames/Das Paradies der Damen.
1978 allerdings musste das Kaufhaus schließen und machte Platz für das Louvre des Antiquaires. Rund 240 Antiquitätenläden boten dort bis 2019 Kunstwerke aus aller Welt zum Verkauf an. 1995 hatte allerdings eine französische Immobiliengesellschaft den Gebäudekomplex erworben. Zunächst war geplant, dort ein Centre commercial der Mode einzurichten, dann hatte Dominique Perrin, Präsident der Fondation Cartier, das Gebäude als idealen Ort für einen neuen Ort für die Ausstellungen seiner Stiftung ausersehen, wobei zunächst nur daran gedacht war, die Hälfte des Gebäudes anzumieten. Dann war es aber Jean Nouvel, der „Hausarchitekt“ der Fondation Cartier, der Perrin davon überzeugte, den gesamten Gebäudekomplex für die Stiftung zu nutzen: Insgesamt sind in das 8500 für Besucher zugängliche Quadratmeter und davon 6500 m2 Ausstellungsfläche, also fast eine Verfünffachung gegenüber des Gebäudes am Boulevard Raspail. [6]
Dafür waren allerdings erhebliche Umbaumaßnahmen erforderlich, mit denen Jean Nouvel beauftragt wurde. Der hatte schon Ende der 1990-er Jahre das erste, noch erheblich kleinere Pariser Ausstellungsgebäude der Stiftung am Boulevard Raspail konzipiert.
Dies ist das bisherige Ausstellungsgebäude Boulevard Raspail, „eines der interessantesten Bauwerke Ende des 20. Jahrhunderts,“[7] war für Nouvel sein „monument de Paris“. Es ist ein transparentes Gebäude aus Stahl und Glas, ohne feste Mauern: offen und flexibel für die Bedürfnisse der jeweiligen Ausstellungen. [8] Im Vordergrund eine Libanon-Zeder, 1823 gepflanzt von dem Schriftsteller Chateaubriand, der damals hier wohnte.
Jean Nouvel, inzwischen 80 Jahre alt und ausgezeichnet mit dem Pritzker-Preis, dem „Nobel-Preis der Architektur“, ist den Parisern wohlbekannt als Architekt der Philharmonie, des Institut du Monde Arabe und der extravaganten Duo-Türme am östlichen Stadtrand von Paris.
Das für die Stiftung vorgesehene kolossale Gebäude entsprach nun allerdings ganz und gar nicht seinen Vorstellungen und dem neuen Verwendungszweck des Gebäudes. Es war weder offen, noch transparent, noch flexibel – ihm fehlte also all das, was das alte Ausstellungsgebäude am Boulevard Raspail ausgemacht hatte. Eine große Herausforderung für den Architekten.
Jean Nouvel im Rückblick: „Der Innenraum war sehr dunkel. Es galt, ihm Tiefe zu verleihen, die Höhen zu variieren und die Lichtquellen zu vervielfachen. Wir wollten eine Perspektive schaffen, die es ermöglicht, sich im Raum zu orientieren.“[10]
Nouvel öffnete also unter Bewahrung der Fassade den jetzt lichtdurchfluteten Eingangsbereich hin zur place du Palais Royal, entkernte den Bau, legte einen 85 Meter langen Innenraum frei und konzipierte drei Glaskuppeln über den Innenhöfen mit steuerbarem Lichteinfall und Blick auf das begrünte Dach.
Bilder: Fondation Cartier/Martin Argyroglo
Außerdem schuf er fünf 200 bis 263 Quadratmeter große Plattformen, die sich mit einer für die Besucher sichtbaren Mechanik über eine Höhe von 11 Metern anheben oder absenken lassen.
Man hat deshalb das Gebäude einen „flexiblen Maschinenraum“ genannt.[11] Assoziationen an die Hebebühnen des Theaters liegen nahe, vielleicht hat es aber auch -so Le Monde- Anleihen bei der Militärtechnik gegeben. [12]
Jean Nouvel zu der so ermöglichten Flexiblität der Ausstellungsflächen:
„In diesem Bauwerk, von dem aus dem 19. Jahrhundert nur noch die charakteristische Fassade und einige strukturelle Elemente erhalten sind, befindet man sich in einer industriellen Kathedrale mit seltener Größe und sehr großen Spannweiten. Es strahlt eine sehr starke Kraft aus. Seine fünf Stahlplattformen, deren Beweglichkeit man sehen kann, stehen in völligem Kontrast zur Haussmann’schen Architektur des Äußeren. Es ähnelt einem Super-Theater, in dem man sehr schwere Böden anhebt. Diese Innovation ist nicht nur funktional oder szenografisch. Für mich ist sie architektonisch, in dem Sinne, dass sie dynamisch wird. Die Innovation besteht darin, dass man über alle möglichen Höhenverstellungen und alle diese Lichter mit variabler Intensität bis hin zur völligen Dunkelheit verfügen kann, je nachdem, wie weit die Glasdächer und Seitenfenster geschlossen sind. Die Fondation Cartier wird wahrscheinlich die Institution sein, die die größte Differenzierung ihrer Räume, die meisten Ausstellungsmöglichkeiten und die meisten Blickwinkel bietet. Die Leistungsfähigkeit der Plattformen ermöglicht es, sehr schwere Werke aufzunehmen und sie auf völlig neue Weise aufzuhängen. Hier kann man, indem man das Ausstellungssystem verändert, Dinge tun, die anderswo nicht möglich wären.“[13]
Was die Umbaukosten für das auf Dauer angemietete Gebäude angeht, hüllt sich die Fondation in vornehmes Schweigen. Es sollen aber zwischen 225 und 245 Millionen Euro gewesen sein.[14] Aber anders als bei staatlichen Kultureinrichtungen, selbst sogar dem Louvre auf der anderen Straßenseite, spielt Geld hier wohl keine Rolle. Denn wenn auch der französische Staat unter seiner Schuldenlast ächzt, die französische Luxusindustrie floriert nach wie vor, und Pinault, Arnault und Cartier stellen das auch ostentativ zur Schau. So musste Nouvel nicht kleckern, sondern konnte klotzen.
Besonders wichtig und typisch für ihn waren „die vielen Durchblicke,“[15] die der neue Bau ermöglicht. Da gibt es die sieben Meter hohen Rundbogenfenster, die früheren Schaufenster, durch die Passanten Einblicke in die Ausstellung haben und durch die die Ausstellungsbesucher nach draußen sehen können.
Blick nach drinnen: Die Trennung von Innen und Außen ist aufgehoben. Mit den Worten von Jean Nouvel:
„Im Erdgeschoss ist die Fassade entlang der gesamten Länge der Rue de Rivoli und der Rue Saint-Honoré verglast, sodass der Blick von einer Straße zur anderen schweifen kann und Innen und Außen miteinander verschmelzen. Diese Transparenz der Seitenfenster bestärkt das Gefühl, im Herzen von Paris zu sein.“[16]
„Im Herzen von Paris“: rue de Rivoli
Besucher des Louvre auf der gegenüberliegenden Straßenseite
Interessierte Blicke auf das kleine Stück Amazonas im Untergeschoss des Gebäudes.
Beim Rundgang durch die Eröffnungsausstellung fällt auf, wie bedeutend der Anteil außereuropäischer, gerade auch indigener Kunst ist. Sie ist ein Schwerpunkt der Sammlungstätigkeit der Fondation Cartier.[17]
Aus der Bilderserie „Künstler des Gran Chaco“. In diesem Wald im Norden Paraquays, der von völliger Zerstörung bedroht ist, leben die autochtonen Volksstämme Guarani und Nivaclé. Sie machen in ihren Zeichnungen auf die Vielfalt der bedrohten Flora und Fauna aufmerksam.
Sheroanawe Hakihiiwe gehört zur Gemeinschaft der Yamomanis in Venezuela. Mit minimalistischen Methoden stellt er Motive der ihn umgebenden Natur dar. Oben: Der Weg der Ameisen, darunter: Blatt mit Früchten.
Jivya Soma Mashe, Fischnetz (2009). Der Künstler aus dem Stamm der Warlis in Maharashtra/Indien hat eine 4500 alte künstlerische Maltradition neu belebt. Seine Szenen des Ackerbaus, der Ernte, der Tierwelt oder -wie hier- des Fischfangs sind mit Kuhdung und Acrylfarben gemalt.
Es gibt immer wieder neue Perspektiven im Innern zwischen den verschiedenen Ebenen des Gebäudes:
Eine Besuchergruppe am Fuß des Miracéus der Brasilianerin Solange Pessoa: ein in der Luft schwebender Pilz aus Stoffen und Vogelfedern ihrer Heimat.
Ron Mueck, Woman with Shopping (2013). Dahinter der obere Teile des Miracéus.
Foto: Sonia Branca-Rosoff [17a] Links an der Wand Masken aus Holz und Metall von David Hammons. Im Geschoss darunter eine Farbkomposition des Bolivianers Mamani.
Blick in das Foyer mit der Petite Cathédrale von Alessandro Mendini (2002)
Blick auf die für die Eröffnungsausstellung konzipierte dreidimensionale Installation von Sarah Sze, speziell für die Eröffnungsausstellung in der neuen Fondation Cartier im Untergeschoss des Gebäudes aufgebaut.
Von dem oberen Geschoss kann man das Spiel der Farben und die Bewegung eines an Foucault erinnernden Pendels beobachten.
Auch das U-Boot Panamarenkos aus dem Jahr 1996 befindet sich natürlich im Untergeschoss, wo man es auf Augenhöhe betrachten kann.
Durchblicke: Baumstämme für den Küstenschutz von Saint-Malo von Raymond Haynes und Pierrick Sorin. Zum ersten Mal ausgestellt in der Fondation Cartier Boulevard Raspail 1994. Auch eine Reverenz an Chateaubriand, der in Saint-Malo aufwuchs und später auf dem Gelände der Fondation Boulevard Raspail wohnte.
Und dann gibt es auch noch die Blicke nach oben, zu den Glasdächern über den Innenhöfen, über denen Bäume wachsen…
Der Bau der neuen Fondation Cartier wird als eine architektonische Meisterleistung („une prouesse architecturale“), ja als Wunderwerk („une merveille architecturale“) gerühmt.[18] Marc Zitzmann, der ebenfalls begeisterte Pariser Kulturkorrespondent der FAZ, formulierte sogar etwas salopp, Jean Nouvel hänge mit dem Bau „die Konkurrenz ab“. Dem kann ich aber nicht ganz zustimmen. Frank Gehrys Schiff mit seinen 12 aufgespannten Segeln für die Fondation Louis Vuitton, die aus dem 18. Jahrhundert stammende Getreidebörse, von Tadaō Ando wunderbar für die Pinault-Kunstsammlung umgebaut, und auch das von Renzo Piano, Richard Rogers und Gianfranco Franchini entworfene Centre Pompidou kann auch ein Jean Nouvel nicht so einfach „abhängen“.
In einem Punkt allerdings hat Nouvel Gehry und Ando in der Tat „abgehängt“: Die Ausstellungsfläche der Fondation Cartier ist mit ihren 6500 Quadratmetern deutlich größer als die der Fondation Louis Vuitton (3500 qm2) und der Bourse de Commerce (ca 3000qm2). Hinter dem Centre Pompidou mit seinen ca 7500 Metern Ausstellungsfläche bleibt sie allerdings etwas zurück.
Aber ungeachtet aller Unterschiede und „Wer ist die Schönste im Lande? – Eifersüchteleien: Einen weiteren Edelstein hat Jean Nouvel der Pariser Kunstkrone in der Tat hinzugefügt.
Die Eröffnungsausstellung der Fondation Cartier im neuen Domizil ist überschrieben: Exposition générale.
Das knüpft an die Zeit an, als das Bauwerk die Grands Magasins du Louvre beherbergte, die jährlich eine Exposition Générale des Nouveautés veranstalteten.[19]
In der Exposition générale der Fondation Cartier werden allerdings keine Neuheiten des Sommers gezeigt, wie hier auf dem Plakat des Kaufhauses angekündigt. Präsentiert wird eine „Auswahl ikonischer Werke“ früherer Ausstellungen, „die mehr als vierzig Jahre internationales zeitgenössisches Kunstschaffen nachzeichnet.
An der Schau beteiligt sind unter anderem die brasilianisch-schweizerische Fotografin Claudia Andujar, die kolumbianische Textilkünstlerin Olga de Amaral, der chinesische Konzept- und Performancekünstler Cai Guo-Qiang und der Japaner Jun’ya Ishigami, bekannt für seine Rauminstallationen: ein buntes Bouquet von Kunst, das einen von einer Welt in eine andere versetzt.“ [20]
Empfehlenswert ist, frei durch die Ausstellung zu flanieren. „Der Erkundungsgang macht Spaß: Es geht nach unten und nach oben (…), der Parcours führt über Endlosgänge in Sackgässchen, vom Licht ins Dunkel und vom Lauten ins Leise.“ [21] Das Zusammenspiel von Kunst und Architektur, von Innen und Außen, von einigem Bekannten und vielem Neuen, von ganz unterschiedlichen künstlerischen Medien, von europäischer und außereuropäischer Kunst sind Garanten einer spannenden Entdeckungsreise.