Meditation unter der Kuppel: Die wunderbare aquatische und musikalische Installation in der Rotunde der Bourse de Commerce (Juni bis September 2025)

Die Bourse de Commerce ist ein grandioser Rund- und Kuppelbau, zunächst ein Getreidelager, dann eine Handelsbörse: gewissermaßen ein neuzeitliches Pantheon, das -ganz in der Ideologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts- den Göttern des Kapitalismus und Imperialismus gewidmet war.[1]

Der inzwischen denkmalgeschützte Bau wurde in den 1760-er Jahren errichtet. 1889 diente er neben dem Eiffelturm als französischer Beitrag zur großen Weltausstellung. In den letzten Jahren wurde er von dem japanischen Architekten Tadao Ando unter Bewahrung der historischen Substanz zu einem grandiosen Ausstellungsgebäude umgestaltet. Und das in Nachbarschaft zur Kirche Saint Eustache und zum Centre Pompidou mitten in Paris.  Hausherr des Gebäudes ist der französische Multimillardär Pinault, der von der Stadt Paris das Gebäude auf 50 Jahre gepachtet hat, um dort Teile seiner immensen Sammlung zeitgenössischer Kunst zu präsentieren.

Zentrum und Glanzstück der Bourse de Commerce ist die Rotunde unter der großen Kuppel – der ersten dieser Art in der Geschichte der Architektur, die Anfang des 19. Jahrhunderts über der bis dahin noch offenen Rotunde errichtet wurde.

Eingefasst ist die Kuppel von einem zur Weltausstellung angefertigten 140 Meter langen und 10 Meter hohen Panorama des weltweiten Handels.[2]

Am Bau der Kuppel wirkte übrigens auch in seinen Lehrjahren der aus Köln stammende Jakob Ignaz Hittorff mit, der hier erste Erfahrungen bei der Konstruktion mit Gusseisen und Glas sammeln konnte. Später wurde er zu einem der großen, das Stadtbild von Paris wesentlich mitprägenden Pariser Baumeister.  

Der große runde, von Andos Sichtbetonwänden eingefasste Raum unterhalb der mächtigen Kuppel ist für Ausstellungsmacher eine große Herausforderung, gilt es doch, hier moderne Kunst zu präsentieren, die den hohen Ansprüchen dieses Raumes standhält.

Mit der „traumwandlerischen Installation“[3] von Céleste Boursier-Mougenot ist dies in ganz wunderbarer Weise gelungen.

Der Ausstellungsname „clinamen“ ist angelehnt an die gleichnamige Vorstellung des antiken griechischen Philosophen Epikur (um 341–271 v. Chr.). Für ihn setzte sich die Welt aus kleinsten Teilchen (Atomen) zusammen, die sich im freien Fall durch den leeren Raum bewegen. Und so bewegen sich auch die 111 Porzellanschalen unterschiedlicher Größe auf dem unter der Kuppel  installierten Wasserbecken von 18 m Durchmesser.

Das Wasser wird leicht bewegt, so dass die Schalen langsam in immer neuen Konstellationen über die Wasseroberfläche gleiten, auf der sich die Architektur des Baus spiegelt.

Wenn sie zusammenstoßen, erzeugen sie je nach Größe der beteiligten Schalen und je nach Stärke des Zusammenpralls bzw. der sanften Berührung unterschiedliche Töne. Das passt manchmal zu der klirrenden Kälte, wie sie oben auf dem Deckengemälde dargestellt ist, wenn es um den Handel mit Russland und polaren Regionen geht.

Dann wieder hört man auch die Klänge eines Glockenspiels… Aber am besten überlässt man sich einfach dem Schauspiel der dahingleitenden und klingenden Schalen, den Spiegelungen des Wassers und der Meditation. Die Besucherinnen und Besucher bei unserem morgendlichen Besuch der Installation -noch vor der allgemeinen Eröffnung der Ausstellung- bewahrten jedenfalls eine ehrfurchtsvolle Stille und Ruhe, so dass man ganz ungestört mit seinen Beobachtungen, Gefühlen und Gedanken war.

Hier noch einige weitere visuelle Eindrücke:

Praktische Informationen:

Bourse de Commerce. Pinault Collection.

2, rue de Viarmes   75001 Paris

Rotonde – Rez-de-Chaussée  Céleste Boursier-Mougenot: clinamen

Im Rahmen  der Ausstellung Corps et âmes

Bis 21. September 2025

Öffnungszeiten: Mittwoch bis Montag 11 bis 19 Uhr

Freitags nocturne  bis 21 Uhr

Kartenreservierung (unbedingt empfehlenswert, um lange  Warteschlangen zu vermeiden):

Die speziellen morgendlichen Termine speziell für die Installation in der Rotonde sind leider schon ausgebucht.

Einen akustischen Eindruck von der Installation bietet das Video in: Der Klang der Atome – Substantial Times


[1] https://www.prestigeonline.com/sg/lifestyle/art-plus-design/a-visit-to-the-bourse-de-commerce-pinault-collection/  Alle weiteren Fotos von Frauke und Wolf Jöckel

[2] https://www.pinaultcollection.com/fr/boursedecommerce/restauration-du-panorama-du-commerce

[3] Nana von Thielmann, Der Klang der Atome. 30. Juli 2025

https://substantial-times.com/aktuelles/was-uns-diese-woche-bewegt/video-der-woche/der-klang-der-atome

Zur Bourse de Commerce/Sammlung Pinault siehe auch:

3 Gedanken zu “Meditation unter der Kuppel: Die wunderbare aquatische und musikalische Installation in der Rotunde der Bourse de Commerce (Juni bis September 2025)

  1. Avatar von Unbekannt Anonymous

    Lieber Herr Jöckel,
    Ihre Blogs sind immer wieder anregend und Anlass zu einem Kommentar:
    Die Installation von Céleste Boursier-Mougenot ist ist nicht nur ein sinnreicher Meditationsort, sondern eine visuelle Umsetzung der von dem Botaniker Robert Brown 1827 beobachte Bewegung kleiner Teilchen (Pollen von Clarika pulchella) in einem Wassertropfen, der sog. Brownsche Molekularbewegung in großem Maßstab. Die kleinen Teilchen wurden damals generell als Moleküle bezeichnet. In Wirklichkeit waren es aber – wie 1905 von Albert Einstein beschrieben – die Wärmebewegung der nicht sichtbaren Moleküle der umgebenden Materie (d.h. hier des Wassers), die gegen die Teilchen stießen und sie so bewegten. Diese Theorie wurde mehrfach quantitativ bestätigt. Damit ergab sich aus der brownschen Bewegung der erste beobachtete Hinweis auf die in der molekularen Theorie der Wärme angenommenen allgemeinen Wärmebewegung aller Teilchen und war ein Meilenstein auf dem Weg zum wissenschaftlichen Nachweis der Existenz der Moleküle und damit der Atome.
    Die als Clinamen von den antiken Philosophen Epikur und Lukrez bezeichnete kleinste spontane nicht-voraussagbare Abweichungen der Bewegung der Atome ist das Herzstück der Physik bei Epikur und Lukrez und das Prinzip sowohl der Entstehung der Welten und aller Körper wie der Willensfreiheit und der Lustbewegung. Die Atome tragen ihre Bewegungsursache in sich. Wir können also von einem vitalistischen Charakter der Atome sprechen.
    Genießen wir epikureisch diesen und kommende Beiträge von Ihnen
    Herzlichst Ulrich Schläger

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