Bild des Monats September 2025: Bloquons tout!

Diese Parole auf dem Bürgersteig in der Nähe unserer Wohnung war alles, was wir direkt von dem über die sozialen Medien verbreiteten Aufruf zur Totalblockade des Landes mitbekommen haben. Und in der Tat haben sich die durch die Erinnerung an die massenhafte Gelbwesten-Bewegung der Jahre 2018/19 genährten Befürchtungen nicht bewahrheitet. Es gab in Paris zwar eine kurze Blockade des Autobahnrings, des Boulevard Périphérique, und den Versuch einer Blockade des Nordbahnhofs, aber insgesamt wurde das Leben in der Stadt kaum beeinträchtigt.

Weit spürbarer ist allerdings in Frankreich die derzeitige politische Blockade mit einer Serie von Regierungskrisen und -wechseln, wie sie in der 5. Republik de Gaulles bisher unbekannt waren. In einer Karikatur von Le Monde vom 10.9. ist es gerade Macron, der für die politische Blockade des Landes verantwortlich gemacht wird: „Ich habe mich schon der Sache angenommen“ ruft er den Blockierern zu. Das bezieht sich wohl auf die von ihm 2024 verfügte Auflösung der Nationalversammlung mit anschließenden Neuwahlen, die zu einer gegenseitigen Blockade von drei Parteigruppierungen (linksaußen/links, Mitte/rechts, rechtsaußen) führte. Die sind zwar zum Teil wenig homogen, aber einig in ihrem Unwillen bzw. ihrer Unfähigkeit, Kompromisse einzugehen und so für stabile Regierungsverhältnisse zu sorgen. Um die herzustellen, zukünftige massenhafte „Bloquons-tout“-Bewegungen zu verhindern, aber auch um die öffentlichen Finanzen nicht weiter völlig aus dem Ruder laufen zu lassen, wird Macrons Ziehsohn Lecornu wohl einen deutlichen Politikwechsel („rupture“) vollziehen müssen, wie er ihn auch schon angekündigt hat.

Auf dieser Karikatur von Libération (12.9.) probt Lecornu schon mögliche Avancen an die Sozialisten. (Links im Hintergrund der Vorsitzende der Sozialisten Faure und der Fraktionsvorsitzende der Sozialisten in der Nationalversammlung Vallaud)

Die für die Duldung einer Minderheitsregierung durch die Sozialisten erforderlichen Maßnahmen müssten wohl drei Bereiche betreffen:

  • Der Verzicht auf die von Bayrou geplante und unpopuläre Abschaffung von zwei gesetzlichen Feiertagen: den Pfingstmontag und den 8. Mai (Ende des Zweiten Weltkriegs/Sieg über Nazideutschland).
  • Eine Rücknahme der höchst umstrittenen, aus deutscher Sicht aber immer noch komfortablen Rentenreform von 2023
  • Die Einführung einer „Reichensteuer“, wie sie der französische Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman vorgeschlagen hat und wie sie von den Sozialisten gefordert wird: Besteuerung von Vermögen über 100 Millionen Euro, um die zunehmende Spaltung der französischen Gesellschaft zumindest abzuschwächen. Nach aktuellen statistischen Erhebungen ist das Niveau der Ungleichheit in Frankreich gegenwärtig so hoch wie nie in den letzten 30 Jahren. (Le Monde 11.9.) Ein Allheilmittel gegen das von der Regierung Bayrou auf 44 Mrd Euro bezifferten Haushaltsdefizits wäre die taxe Zucman mit geschätzten Einnahmen von 5- 20 Mrd Euro zwar nicht; aber sie würde dem weit verbreiteten und zutreffenden Gefühl steuerlicher Ungerechtigkeit Rechnung tragen: Tendenziell nimmt mit steigendem Vermögen die prozentuale steuerliche Belastung ab, und die von Zucman vorgeschlagene Besteuerung von 2 % würde nach seinen Berechnungen nur weniger als ein Drittel des durchschnittlichen Zuwachses der betroffenen Vermögen in den letzten Jahren betreffen.

Allerdings war gerade die Abschaffung der Vermögenssteuer eine der ersten Maßnahmen Macrons in seiner ersten Amtszeit. Vorsichtige Ansätze zur Einführung eines Solidarbeitrags der in Frankreich sehr präsenten Superreichen, wie sie Lecornu’s Vor-Vorgänger Barnier ins Auge gefasst hatte, waren von Macron blockiert worden. Und gerade die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf im Allgemeinen 64 Jahre war ein zentraler Bestandteil der Innenpolitik Macrons: unklar also, ob er eine weitere Defizite schaffende Demontage dieses zentralen Reformprojekts tolerieren würde…

Für den 18. September ist eine große Streikbewegung in Frankreich angekündigt. Die bezog sich ursprünglich auf Bayrous Pläne zur Senkung des exorbitanten französischen Haushaltsdefizits, wird nun aber als Warnung an eine neue Regierung dienen. Und da wird die Mobilisierung sicherlich deutlich massiver sein als am 10.9. und die Blockaden (Verkehr, Schulen, Krankenhäuser etc) sicherlich deutlich effizienter… „La France en colère“, das zornige Frankreich, wird sich jedenfalls nicht mit der Rolle eines passiven Zuschauers begnügen…

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