Im Rahmen der Veranstaltungen zur Erinnerung an den 13. November 2015 werden bis zum 30. November 2025 24 große Foto- und Texttafeln am Gitter des Pariser Rathauses (rue de Rivoli) gezeigt. Im Mittelpunkt stehen dabei Gegenstände, die in besonderer Weise an die Attentate des 13. November 2015, aber auch an andere terroristische Aktionen der letzten Jahre erinnern.

Ausgerichtet wird die Ausstellung von dem Musée-mémorial du terrorisme (MMT), ein im Aufbau befindliches Museum und eine Gedenkstätte. Es gibt inzwischen eine Vorbereitungsgruppe mit dem ausgewiesenen Historiker Henri Rousso als Vorsitzendem, es gibt ein ausgearbeitetes Konzept, und es gibt schon einen Fundus von 2500 Ausstellungsstücken. Einige davon sind in dieser Ausstellung abgebildet.[1]

Sie werden unter drei thematischen Komplexen zusammengefasst: Die von Terroristen ausgeübte und von den Opfern erlittene Gewalt (la violence), der Widerstand von Gesellschaften gegen diese Gewalt (résistance) und die Art und Weise des Umgangs und der Bewältigung des zugefügten Leids durch die Opfer (résilience).

Ziele des islamistischen Terrors am 13. November waren Terrassen von Cafes und Restaurants im 10. und 11. Arrondissement von Paris, ein Fußballspiel im Stade de France in Saint-Dennis und ein Rockkonzert im Konzertsaal Bataclan. Mit offiziell 132 Todesopfern und vielen zum Teil schwer Verletzten und für ihr Leben Gezeichneten war der 13. November nach dem Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo der zweite des Jahres in Frankreich und nach dem Madrider Zuganschlag vom 11. März 2004 der zweitschwerste Terrorangriff in Europa seit 1945.[2]
Diese Umhängetasche trug ein Konzertbesucher, der das mörderische Attentat überlebte. Auf der Unterseite der Tasche gibt es noch Brandspuren, die an den 13. November 2015 erinnern.

Diese unvollendete Gitarre ist das Werk von Romain Naufle, der im 20. Arrondissement von Paris eine Werkstatt betrieb, in der er Gitarren baute und reparierte.[3] Naufle gehört zu den Opfern des Bataclan-Attentats. Die Gitarre, an der er gerade arbeitete, ist „Zeuge eines plötzlich zerbrochenen Lebens.“

Am 13. November 2015 feierte die aus Tunesien stammende Houda Saadi in dem Café/Restaurant La Belle Époque ihren 35. Geburtstag. Sie arbeitete als Serviererin in dem in der Nähe gelegenen Café des Anges. Die meisten der 21 Opfer des Anschlags waren ihre Geburtstagsgäste, darunter ihre zwei Jahre ältere Schwester Halima, Mutter zweier Kinder, während ihre beiden Brüder Khaled und Bashir verschont blieben. Vergeblich versuchten sie, ihre am Boden liegenden Schwestern am Leben zu erhalten. Diese Schiefertafel stand am 13.11.2015 an dem Café. Die „heures heureuses“ (glücklichen Stunden) kontrastieren auf bedrückende Weise mit dem, was dann geschah. Auf der Schiefertafel sind Kalaschnikow-Einschüsse der Attentäter zu sehen.

Der französische Journalist Nicolas Hénin erhielt diese Zahnbürste von Gefolgsleuten des sogenannten État islamique, die ihn 2013/2014 als Geisel gefangen hielten. Ein Stück des Griffs hatten die Terroristen abgebrochen, um eine Verwendung der Zahnbürste als Waffe zu verhindern.

Dies ist der Sicherheitsgurt des 1989 infolge eines Bombenanschlags in Afrika (Niger) abgestürzten DC-10-Flugzeugs der französischen Fluggesellschaft UTA. Ein Pariser Schwurgericht befand 1999 sechs Libyer für schuldig, das Attentat begangen zu haben. Einer davon war der stellvertretende Geheimdienstchef Libyens, ein Schwager Gaddafis. Die Angeklagten wurden in Abwesenheit verurteilt, weil Libyen sie nicht an Frankreich auslieferte. „Der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy sitzt seit Kurzem hinter Gittern, weil er von 2005 an mit den Verantwortlichen dieses Anschlags einen Verbrecherpakt geschlossen hatte“[4] – ein in der Geschichte der französischen Republik einzigartiger Vorgang. Wegen illegaler Wahlkampffinanzierung mit Geld des damaligen libyschen Machthabers Gaddafi war Sarkozy zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Vor seiner Fahrt ins Gefängnis hatte Präsident Macron seinen Vorgänger im Élysée-Palast un-gebührend verabschiedet. Am 10. 11. hat ein Berufungsgericht entschieden, dass Sarkozy bis zu der von ihm angestrengten Revision das Gefängnis verlassen darf, allerdings nicht als freier Mann, sondern mit gerichtlichen Auflagen. [4a]

Zwei Radio France -Journalisten, die am 2. November 2013 in Mali verschleppt und dann ermordet wurden, waren mit einem solchen Aufnahmegerät ausgestattet. „Es würdigt all diejenigen, die ihr Leben für die Berichterstattung einsetzen.“

Am 16. Oktober 2020 wurde der Lehrer Samuel Paty vor seiner Schule in einem Pariser Vorort auf bestialische Weise ermordet. Paty hatte in seinem Unterricht das vom Lehrplan vorgeschriebene Thema Meinungsfreiheit behandelt und dabei, auf sehr behutsame Weise, die umstrittenen Mohammed-Karikaturen der Satirezeitschrift Charlie-Hebdo verwendet: Die Veröffentlichung dieser Karikaturen war Anlass für zwei islamistische Terroristen, am 7. Januar 2015 in die Redaktionsräume der Zeitschrift einzudringen und elf Menschen zu erschießen. Dass Paty diese Karikaturen fünf Jahre danach als Unterrichtsmaterial verwendete, führte zu einer islamistisch gesteuerten Hetzkampagne und schließlich seiner Ermordung.
Die Abbildung zeigt ein von Schülern entworfenes Gesellschaftsspiel zum Thema Demokratie. Es gewann 2023 einen Preis bei dem von Kollegen Patys zu seiner Erinnerung geschaffenen Wettbewerbs: Die Schule als Ziel islamistischer Einflussnahme und Terrors, aber auch als Ort der Demokratie, der Meinungsfreiheit und des Widerstands gegen blinden, gewalttätigen Fanatismus.

Am 11. Dezember 2018 verübten islamistische Terroristen ein Attentat auf den Weihnachtsmarkt von Straßburg. Ein im Auftrag des État islamique handelnder Terrorist tötete fünf Besucher, 11 wurden verletzt. Das hier abgebildete Gemälde ist das Werk eines Überlebenden. Es veranschaulicht die Bedeutung der Kunst bei der Bewältigung traumatischer Folgen von Attentaten.

Die vielen Augen der Karnevalsmaske symbolisieren Wachsamkeit eines Mädchens, das am 14. Juli 2016, dem französischen Nationalfeiertag, in der Menschenmenge der Promenade des Anglais in Nizza einen 19 Tonnen schweren Lastwagen auf sich und die Mutter hatte zurasen sah – „die ‚Superkraft‘ des aufmerksamen Blicks für die Umgebung hatte beide gerettet.“[5] 86 Menschen wurden aber von dem Lastwagen überrollt und getötet, mehrere hundert zum Teil schwer verletzt.

Diesen Bildteppich haben zwei Künstler geschaffen, die das Attentat in Nizza überlebten. Einer der Künstler stammt aus Chile. Abgebildet ist eine südfranzösische Landschaft, inspiriert von den arpilleras, chilenischen Stickereien, mit denen der Widerstand gegen die Diktatur Pinochets ausgedrückt wurde. . Mit ihrem gemeinsamen Werk ehren die beiden Überlebenden des Attentats die Opfer der chilenischen Militärdiktatur und des islamistischen Terrors. Und sie stellen dieser Gewalt in lebhaften Farben den in den Menschen tief verwurzelten Lebenswillen entgegen.

Dieses Graffiti in den Farben der Tricolore erinnert an den Polizisten Ahmet Merabet, der bei dem Anschlag auf Charlie Hebdo getötet wurde. Die Attentäter töteten ihn, einen praktizierenden Muslim, der bereits verletzt auf dem Gehweg lag, kaltblütig bei ihrer Flucht. Unter dem Hashtag „Je suis Ahmed“- analog zu „Je suis Charlie“- drückten viele Menschen in sozialen Netzwerken ihre Anteilnahme aus. Auch der Street-art-Künstler C 215, bekannt durch zahlreiche Portraits in den Straßen der Stadt, sehr oft auf Kabelverteilerkästen am Straßenrand,[6] hat den Polizisten gewürdigt und Passanten auf sein Schicksal aufmerksam gemacht.

Aufnahme Boulevard Richard-Lenoir, 11ième Arrondissement Juni 2025

Ahmet Merabet soll auch in dem geplanten Museum gewürdigt werden. Dessen Schicksal ist allerdings derzeit höchst ungewiss. Es wurde zwar schon viel Geld für die Vorbereitungen investiert, auch ein Standort in der Nähe des Mont Valérien war ausgewählt, ein unter Denkmalschutz stehender Schulkomplex aus den 1930-er Jahren, der auch von den Opferverbänden als ideal angesehen wurde.[7] Dann aber hat die Regierung Barnier aus Budgetgründen das Projekt getoppt. Allerdings hat es auch Bedenken gegen den Standort gegeben, werden auf dem Mont Valérien doch die Opfer der Résistance geehrt; und es gibt auch Bedenken, unter einer „Inflation der Erinnerungsorte“ könnten andere Einrichtungen leiden.
Gerade noch rechtzeitig vor den großen Gedenkveranstaltungen des 13. November wurde aber ein neuer Standort für das Museum bekannt gegeben: Der nicht genutzte Teil einer ehemaligen Kaserne im 13. Arrondissement von Paris. Es ist zwar ein Platz mit deutlich weniger Ausstrahlung als der ursprünglich vorgesehene Standort, aber auf diese Weise soll die Hälfte des geplanten Budgets eingespart werden- und immerhin können sich die Verantwortlichen damit trösten, dass das von Präsident Macron sehr unterstützte Projekt nicht beerdigt wird.
Das ist sehr zu begrüßen, weil sonst, um Gothes Faust zu zitieren, ein großer Aufwand schmählich vertan worden wäre, sondern vor allem auch, weil es sich um ein höchst bedeutsames und innovatives Vorhaben handelt. „Das MMT stellt ein intellektuell aufregendes Modell dar, das zum Teil Neuland betritt. Es wird Gerichtszeichnungen, Bekennerschreiben, Kunstobjekte, Abhörmittel und Mordwaffen sammeln, wissenschaftliche wie konservatorische, pädagogische und therapeutische Funktionen erfüllen, die Vergangenheit, aber auch die Gegenwart beleuchten.“ [8]
Spätestens 2030 soll das neue Museum eröffnet werden.[9]
Anmerkungen:
[1] Alle Fotos des Beitrags von Wolf Jöckel
Zitate ohne Beleg sind der Legende der ausgestellten Fotos übernommen.
[2] Marc Zitzmann, Weiter Blick auf den Terrorismus. Frankreichj gedenkt der Opfer der islamistischen Attentate von 2015. Ein Museum soll der Erinnerung Dauer verleihen, sein Ansatz ist international und innovativ. Doch noch ringt die Politik um Finanzierung und Standort des neuen Ausstellungshauses. In: FAZ vom 6. November 2025
[3] https://actu.fr/normandie/reveillon_61348/attentats-a-paris-un-enfant-de-reveillon-tue-au-bataclan_6598146.html
[4] Mark Zitzmann, a.a.O.
[4a] Le Parisien vom 10.11.2025 Nicolas Sarkozy incarcéré : la demande de libération acceptée, l’ex-président placé sous contrôle judiciaire
[5] Mark Zitzmann a.a.O.
[6] Siehe z.B. die Blog-Beiträge:
[7] https://www.lemonde.fr/societe/article/2025/07/30/le-musee-memorial-du-terrorisme-toujours-menace-six-ans-de-travail-plusieurs-millions-depenses-et-un-lieu-laisse-a-l-abandon_6625404_3224.html
[8] Marc Zitzmann, a.a.O.
[9] 5. November: https://www.lefigaro.fr/culture/le-musee-memorial-du-terrorisme-finalement-situe-dans-une-ancienne-caserne-de-paris-20251106 und https://www.telerama.fr/debats-reportages/le-musee-memorial-du-terrorisme-ouvrira-bien-a-paris-a-l-horizon-2030-7028153.php
Toller Blog. Verwende Euere Berichte häufig für meine Paris-Vorlesung an der Frankfurter Goethe-Uni. Danke, Rainer
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Das freut mich natürlich sehr. merci! Wolf
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