Der Garten der tropischen Landwirtschaft (jardin d’agronomie tropicale) im Bois de Vincennes: Ein „romantisches“ Überbleibsel der Kolonialausstellung von 1907

Man kann den Garten der tropischen Landwirtschaft am östlichen Rand des Bois de Vincennes im 12. Arrondissement gut und gerne zu den lieux oubliés, den „vergessenen Orten“ von Paris, rechnen.[1]  Selbst in Murielle Rousseaus kürzlich  im Insel-Verlag  erschienenen umfassenden Buch über die Gärten von Paris ist er nicht berücksichtigt. Aber wenn doch einmal von ihm die Rede ist, fehlt es nicht an Superlativen: Da wird er als der romantischste, der exotischste und der geheimnisvollste der Pariser Gärten bezeichnet.[2]

Der besondere Charakter dieses Gartens ist seiner Geschichte zu verdanken: Entstanden ist er 1899 als  „Garten der tropischen Landwirtschaft“  und 1907 diente er als Ort einer von der Société Française de Colonisation organisierten Kolonialausstellung. Anders als die spektakuläre staatliche Kolonialausstellung im bois de Vincennes von 1931[3] war das eine eher bescheidene Veranstaltung,  die aber immerhin 1,8 Millionen Besucher anzog.[4]  Trotz der etwas abgelegenen Lage der Ausstellung ein immenser Erfolg: Der Kolonialismus hatte damals Konjunktur. 

Im Ersten Weltkrieg diente das Gelände als Lazarett für verwundete Soldaten aus den Kolonien und als Erinnerungsort für diejenigen Soldaten aus den Kolonien, die „für Frankreich“ ihr Leben gelassen hatten. Sogar eine Moschee für die muslimischen Kolonialsoldaten wurde errichtet – die erste Moschee auf dem europäischen Kontinent. Von ihr ist allerdings nichts erhalten.  Nach dem Krieg versank der Garten in einen Dornröschenschlaf: die meisten der Pavillons, die einzelnen Kolonien gewidmet waren,  verfielen; die Natur tat ihr Übriges.

DSC08214 Jardin tropical Vincennes (94) Pavillon de Congo

Die Überreste des kongolesischen Pavillons

DSC08214 Jardin tropical Vincennes Pavillon de MarocDie Ruine des Pavillons von Marokko

Die Stadt Paris beendete diesen Zustand, als sie das Gelände vom Staat übernahm und 2003 als Park öffentlich zugänglich machte.

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Es ist ein abgelegener, stiller Ort, voller Zeugen einer einst gefeierten kolonialen Epoche, deren Frankreich sich jetzt mit eher ambivalenten Gefühlen erinnert: Besonders eindrucksvoll erfahrbar an  den Fragmenten der Skulptur À la gloire de l’expansion coloniale (Zum Ruhm der kolonialen Expansion), die kurz hinter dem Eingang auf der rechten Seite zu sehen sind. 

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Da schwenkt die siegreiche Marianne mit dem Lorbeerkranz  das Banner, der stolze gallische Hahn reckt sich und kräht triumphierend…

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… während die (weiblichen) Vertreterinnen der Kolonien großzügig ihre Reize und die fürs „Mutterland“ bestimmten Früchte ihrer Arbeit präsentieren….

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… devot aufblickend zu einem Frankreich, das seinerseits ebenso großzügig die Segnungen der Zivilisation ausstreut…

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Heute sind das Fragmente, die zum besonderen Reiz und zum symbolischen Wert dieses Parks beitragen.

Empfangen wurde und wird der Besucher des Parks von dem chinesischen Tor, das schon 1906 auf der Kolonialausstellung im Grand Palais präsentiert worden war und dann die Kolonialausstellung von 1907 eröffnete. Auch andere Bauten der Ausstellung von 1906, wie der Pavillon des Kongo,  wurden 1907 wieder im Bois de Vincennes aufgebaut.

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Das Tor wurde 1999 durch den Sturm Lothar stark beschädigt. Das Dach ist inzwischen repariert.  Die  auf den zeitgenössischen Postkarten noch sichtbaren geschnitzten Verzierungen warten aber noch auf ihre Restaurierung…

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Der Park

Man kann einen schönen Nachmittag in diesem Park verbringen: Es gibt kleine Wege, einen Wasserlauf mit Teich, Wiesen fürs Picknick und viel Ruhe.

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Allgegenwärtig ist der Bambus als botanische Erinnerung an die exotische Vergangenheit des Parks.

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An sie erinnern auch zahlreiche steinerne Zeugnisse.

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Die Khmer- Brücke

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Die Tonkin-Brücke

Die Pavillons der Kolonien

Die größten und auffälligsten Zeugnisse der Vergangenheit  sind die Pavillons ehemaliger Kolonien, die überall auf dem Gelände zu finden sind. Sie wurden im landestypischen Stil errichtet, um Ausdehnung,  Vielfalt und Reichtum des „empire  français zu veranschaulichen, Erzeugnisse der jeweiligen Kolonie zu präsentieren  und die Sache des Kolonialismus zu verbreiten und zu popularisieren. Wie damals bei solchen Ausstellungen üblich, wurden aber nicht nur Waren, sondern auch Menschen ausgestellt: Um die Pavillons waren insgesamt 5 kleine Dörfer gruppiert, die die Schwerpunkte des französischen Kolonialreichs in Afrika und Südostasien repräsentierten. Die „Dorfbewohner“, Eingeborene aus den entsprechenden Kolonien, waren engagiert worden, „pour parfaire l’animation“. Die Kolonialgesellschaft hatte mit ihnen einen Vertrag abgeschlossen und sie nach Frankreich gebracht, um die Besucher zu unterhalten und ihnen das Leben der Eingeborenen vorzuführen: Tänze, religiöse Riten, die Herstellung von Kunstgewerbe…  Solche „menschlichen Zoos“,  wie man sie ein Jahrhundert später nannte,  gehörten damals zum Repertoire solcher Ausstellungen. [5]

Bei einem Rundgang wird man sicherlich zu dem zentralen Platz der Anlage kommen,  der sogenannten Esplanade du Dinh, die zum indochinesischen Dorf der Anlage gehörte.

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Die große Urne aus Bronze in der Mitte des Platzes ist eine Kopie des Originals aus dem Kaiserpalast von Hué. Sie war ein Jahr zuvor schon auf der Kolonialausstellung von Marseille präsentiert worden: Wie es ja überhaupt damals üblich war, Einrichtungen solcher Ausstellungen kostensparend wiederzuverwenden.      

Auf der anderen Seite des Platzes befindet sich die Maison Cochinchinoise.

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Es steht auf den Fundamenten eines Tempels, „der –wie eine davor aufgestellte Gedenktafel informiert-  von Cochinchine für die Kolonialausstellung von 1907 gestiftet wurde“.

Eine Ruine ist der etwas versteckt gelegene Pavillion der Insel Réunion.

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Die Stadt Paris bemüht sich zwar als Eigentümerin des Geländes, Interessenten und Geldgeber zu finden für die Restaurierung und eine angemessene Verwendung der verfallenen Pavillons, hatte damit aber bisher keinen Erfolg.

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Gut erhalten ist dagegen der Pavillon von Indochina,  der größte des jardin tropical. Nach dem Erwerb des Geländes durch die Stadt Paris wurde er renoviert und dient als  Ausstellungsgebäude.

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Gerade renoviert und erweitert wird  der tunesische Pavillon, der noch in diesem Jahr (2020) wieder eröffnet wird. Er ist vor allem für das Cirad (Centre de coopération internationale en recherche agronomique pour le développement) bestimmt, dessen Campus sich am Rand des jardin tropical befindet.

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Für die Studenten, Lehrkräfte und das Personal des Cirad wird es ein Restaurant geben, das aber auch für Besucher des Gartens geöffnet sein soll. Dazu kommt ein Informationszentrum und vielleicht auch wieder –wie zu Zeiten der Kolonialausstellung- ein maurisches Café.[6]

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Die Gewächshäuser

Wie die verschiedenen Pavillons hatte auch das Gewächshaus von Dahomey die Funktion, während der Kolonialausstellung von 1907 landestypische  Produkte zu präsentieren. Und da das Agrarerzeugnisse  waren, bot sich ein Gewächshaus als besonders passender Ausstellungsort an.

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Das Gewächshaus aus Dahomey wurde für die Weltausstellung 1900 in Paris errichtet und dann 1907 wiederverwendet.

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Eine andere, weit über die Kolonialausstellung hinausreichende Funktion hatten weitere auf dem Gelände installierte und heute verfallene Gewächshäuser.  Sie waren Teil des schon 1899 gegründeten jardin d’agronomie coloniale und  dienten der landwirtschaftlichen Forschung, die auf wesentliche für den Export ins Mutterland bestimmte koloniale Produkte wie Kaffee, Kakao, Baumwolle und Tee konzentriert war. Die  entsprechenden Pflanzen wurden hier weiterentwickelt, um die Produktivität der kolonialen Landwirtschaft zu erhöhen. Die Firma Menier, vor dem ersten Weltkrieg eine der weltweit führenden Schokoladenfabriken,  war hier auch mit einem dem  Kakao  gewidmeten Gewächshaus vertreten.[7]

Das 1984 gegründete Cirad  setzt – als Instrument der Entwicklungszusammenarbeit- die Tradition tropischer Agrarforschung  fort.

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Der Garten als Ort des Gedenkens an die gefallenen Kolonialsoldaten

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Stupa zu Ehren der Soldaten aus Laos und Kambodga

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Gedenktafel für die Vietnamesen, morts pour la France: Wie man sieht, gab es reichlich Gelegenheiten, für Frankreich zu sterben…

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Denkmal für die zwischen 1914 und 1918 gefallenen Soldaten aus Madagaskar

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Denkmäler zur Erinnerung an die Kolonialtruppen und an die schwarzen Soldaten, die für Frankreich gestorben sind.

Praktische Informationen: 

Adresse : 45 bis, avenue de la Belle-Gabrielle – 75012 PARIS

Zufahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln:

RER A  Richtung  Boissy-Saint-Léger – La Varenne bis Station Nogent sur Marne. Danach etwa 10 Minuten Fußweg  

Eine Strecke ist auch als Spaziergang von einer guten Stunde durch den bois de Vincennes empfehlenswert.  Idealer Ausgangspunkt dafür ist das Palais de la Porte Dorée, Zentrum der Kolonialausstellung von 1931.

Am empfehlenswertesten: beide Wege mit dem Fahrrad

täglich geöffnet.

Informationen zu den Öffnungszeiten  sur le site de la ville de Paris.

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Eine Informationstafel mit einem Plan des Parks gibt es am Eingang.  Weitere Informationstafeln zur Geschichte und zu einzelnen Bauten sind überall im Park aufgestellt.

Anmerkungen

[1] https://www.rfi.fr/fr/france/20180820-lieux-oublies-vestiges-expositions-coloniales-bois-vincennes

Entsprechend auch Benjanin Pelletier 2010: C’est un lieu retiré, peu connu, peu fréquenté.   http://gestion-des-risques-interculturels.com/points-de-vue/le-jardin-tropical-de-paris-friche-memorielle-de-la-france-coloniale/

Auch die offizielle Seite des Pariser Tourismus-Büros berücksichtigt in ihrem Beitrag über den Bois de Vincennes den Garten der tropischen Landwirtschaft  nicht. Siehe: https://de.parisinfo.com/paris-entdecken/spaziergange-in-paris/paris-quartier-fur-quartier/sudosten/Bois-de-Vincennes

[2] siehe: http://www.vincennes-tourisme.fr/Decouvrir/Bois-de-Vincennes-et-ses-alentours/Le-Jardin-d-Agronomie-Tropicale  und https://www.leparisien.fr/paris-75/paris-un-pavillon-colonial-restaure-au-jardin-tropical-du-bois-de-vincennes-16-08-2019-8134371.php

[3] Siehe dazu den Blog-Beitrag  https://paris-blog.org/2017/05/10/das-palais-de-la-porte-doree-und-die-kolonialausstellung-von-1931/

[4] http://www.expositions-universelles.fr/1907-vincennes.html  Zu den Kolonialausstellungen siehe auch: Sylvain Ageorges, Sur les traces des expositions universelles, Paris,1855 – 1937. Éditions Parigrammes  2006

[5] Siehe: Sylvain Ageorges, L’exposition coloniale de 1907. http://www.expositions-universelles.fr/1907-vincennes.html

Zu den „menschlichen Zoos“ siehe auch den Blog-Beitrag über die Kolonialausstellung von 1931. 1931 war -anders als 1907- die Ausstellung von Menschen übrigens nicht mehr Teil des offiziellen Programms- sie wurde „ausgelagert“ in den bois de Boulogne.

Zu den zoos humains zeigte ARTE am 5. September einen eindrucksvollen Film: Sauvages- au cœur des zoos humains.  Deutsche Version:  „Die Wilden“ in den Menschenzoos. Frankreich 2017 https://www.arte.tv/de/videos/067797-000-A/die-wilden-in-den-menschenzoos/    (Siehe dazu auch Le Monde vom 5.9.2020, S. 24: Les victimes des zoos humains, ces oubliés de l’histoire. ‚Sauvages‘ décortique le racisme pseudoscientifique à l’origine de cette pratique qui persista jusqu’au 1939)

[6] https://www.leparisien.fr/paris-75/paris-un-pavillon-colonial-restaure-au-jardin-tropical-du-bois-de-vincennes-16-08-2019-8134371.php  und

https://www.leparisien.fr/val-de-marne-94/au-coeur-du-bois-de-vincennes-le-pavillon-colonial-de-la-tunisie-retrouve-sa-superbe-13-07-2020-8352090.php (dort auch das Bild mit dem Blick aus dem Fenster)

[7] siehe den Blog-Beitrag über die Schokoladenfabrik Menier an der Marne:  https://paris-blog.org/2019/05/23/le-chocolat-menier-1-die-schokoladenfabrik-in-noisiel-an-der-marne-repraesentative-fabrikarchitektur-und-patriarchalischer-kapitalismus-im-19-jahrhundert/

Weitere Blogbeiträge mit Bezug zum französischen Kolonialismus:

Die Erinnerung an Sklavenhandel und Sklaverei: Der schwierige Umgang mit einem düsteren Kapitel der französischen Vergangenheit  https://paris-blog.org/2017/11/01/der-schwierige-umgang-mit-einem-duesteren-kapitel-der-franzoesischen-vergangenheit-die-erinnerung-an-sklavenhandel-und-sklaverei/

Das Palais de la Porte Dorée und die Kolonialausstellung von 1931 https://paris-blog.org/2017/05/10/das-palais-de-la-porte-doree-und-die-kolonialausstellung-von-1931/

Die Kolonialausstellung von 1931 (Teil 2): Der „menschliche Zoo“ im Jardin d’acclimatation und der Tausch von „teutonischen Krokodilen“ und  „Menschenfressern“  zwischen Paris und Frankfurt  https://paris- blog.org/?s=Die+Kolonialausstellung+von+1931+%28Teil+2%29+

Die Malerei des französischen Kolonialismus: https://paris-blog.org/2018/11/01/die-malerei-des-franzoesischen-kolonialismus-eine-ausstellung-im-musee-branly-in-paris/  

Die Résidence Lucien Paye in der Cité universitaire  (ursprünglich Maison de la France d’outre-mer) siehe: https://paris-blog.org/2017/01/02/die-cite-internationale-universitaire-in-paris-ein-ort-des-friedens-und-der-voelkerverstaendigung/

Die neue Dauerausstellung des Pariser Immigrationsmuseums https://paris-blog.org/2024/01/25/das-museum-fur-einwanderungsgeschichte-in-paris-die-neue-dauerausstellung/