Le musée Carnavalet, das Museum der Pariser Stadtgeschichte, ist wieder eröffnet. Ein erster Rundgang

Photo: Juni 2021

Wie das Plakat verheißt, ist „La vie Parisienne“ mit dem Ende des Corona- Lockdowns zurückgekehrt und damit auch „sein Museum“, das nach gut vierjähriger Renovierungszeit wieder geöffnete Musée Carnavalet.

In dieser Zeit ist viel geschehen:

  • Das Museum ist jetzt viel besucherfreundlicher geworden. Es umfasst ja zwei ehemalige Stadtpalais, das hôtel Carnavalet aus dem 16. (mit späteren Erweiterungen) und das hôtel du Peletier de Saint-Fargeau aus dem 17. Jahrhundert. Die Verbindung zwischen beiden Gebäuden wurde nun verbessert, der Ausstellungsparcours wurde einfacher und übersichtlicher, wozu elegante neue Treppen wesentlich beitragen.
  • Die Ausstellungsräume wurden im wahrsten Sinne entstaubt, zum Teil -prosaisch ausgedrückt- auch etwas entrümpelt- und das war auch wirklich nötig: Die erste Frage eines Pariser Freundes, dem wir von unserem Museumsbesuch erzählten: Ist das Carnavalet immer noch so vollgeräumt? Vielleicht hätte man da noch mehr tun können und müssen (zum Beispiel in der Abteilung über die Französische Revolution), aber den Konservatoren wird es ja so ähnlich gehen wie einem Bücherfreund, der sich -auch wenn die Regale überquellen- nur schwer von Stücken trennen kann, zu denen er doch alle eine persönliche Beziehung hat.
  • Das Museum hat den Anspruch, sich für breite Besucherschichten zu öffnen, speziell auch für Kinder: Etwa 10% der Ausstellungsobjekte sind besonders für sie positioniert und aufbereitet.

Insgesamt sind es 3700 Ausstellungsstücke, mit denen die Geschichte der Stadt illustriert wird. Der Überblick reicht von der Vorgeschichte …..

Reste einer über 4500 Jahre alten neolithischen Piroge aus Bercy (heute 12. Arrondissement)

bis zur Gegenwart…

Überdimensionaler Bleistift, der 2015 auf einer Solidaritätsdemonstration für die von islamistischen Terroristen ermordeten Journalisten der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ mitgeführt wurde.

Dies ist nur eine kleine Auswahl aus den Beständen des Museums, die aber nach der Vorstellung von Valérie Guillaume, der Leiterin des Museums, geeignet sein soll, bei einem ersten Besuch bewältigt zu werden. Ein Museum, so meint sie, müsse an einem Tag entdeckt werden können.[1]  Mit diesem Anspruch ist ein Besucher, der zum ersten Mal dieses Museum besucht, sicherlich überfordert. Realistischer ist es, einen ersten groben Überblick zu gewinnen. Dann kann man sich je nach Zeit und Interesse später die eine oder andere Abteilung oder besonders interessierende Ausstellungstücke noch einmal genauer ansehen.

Hier einige erste Eindrücke. Ich habe für diesen Beitrag Ausstellungsstücke ausgewählt, die ich besonders interessant, wichtig, kurios oder schön finde. Es sind auch viele Stücke dabei, die auf Themen verweisen, die schon Gegenstand dieses Blogs waren. Entsprechende Hinweise/Links finden sich in den jeweiligen Anmerkungen. Insgesamt soll damit ein Überblick über das große und vielfältigeAngebot des Museums entstehen und das Interesse geweckt werden, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen.

Blick aus dem Eingangsbereich in den Ehrenhof (cour d’honneur) des Museums mit der Statue Ludwigs XIV. Sie ist ein Werk von Antoine Coysevox und wurde 1689 für das Rathaus von Paris geschaffen und steht seit 1890 im Ehrenhof des Museums.

Der Rundgang beginnt mit dem sehr einladenden Saal der Firmen- und Werbeschilder (salle des enseignes).

Dort sind zahlreiche alte und besonders kunstvolle Schilder von Restaurants, Geschäften und Werkstätten ausgestellt. Zum Beispiel das Schild mit der schlafenden Katze und der Maus…

Es gehörte zu einer Weinhandlung in der rue Mouffetard

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist dsc00272ccarnavalet-11-kopie.jpg.

Ausgestellt ist auch das heftig umstrittene Bild „Au nègre joyeux“. Seit Ende des 19. Jahrhunderts machte es Reklame für eine Café an der place de Contrescarpe.[2]

2017 wurde es auf Beschluss des Pariser Stadtrats entfernt und hängt nun in einer abseitigen Ecke des Museums. Beigefügt ist eine Informationstafel mit dem Text eines nicht näher bestimmten „comité scientifique“. Danach ist das Bild Ausdruck „rassistischer Stereotype“, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts üblich gewesen seien: Deshalb seine Verbannung aus dem öffentlichen Raum. Es gibt allerdings auch ganz andere, gegenteilige Deutungen des Bildes.  Immerhin zeigt es einen „homme de couleur“ nicht als Diener, sondern als Kunden, der gerade von einer Angestellten des Cafés bedient wird. Aber die Bemühungen der betroffenen Hausgemeinschaft, von Bürgerinitiativen und der mairie des 5. Arrondissements, das Bild mit einer Erläuterung des historischen Kontextes an seinem angestammten Platz zu lassen, waren vergebens.[3] In einem späteren Blog-Beitrag vielleicht mehr zu diesem grotesken Schauspiel politischer correctness.

Bei einem ersten Besuch des Museums wird man dann weitergehen zu den  Galeries d’introduction mit ihren einführenden Informationen und Ausstellungsobjekten zur Geschichte der Stadt Paris und den hôtels Carnavalet und Le Peletier de Saint-Fargeau, die heute als Museum dienen.

Dort gibt es beispielsweise einen großen Plan der Stadt Paris aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts oder diese Eichenholztür des Pariser Rathauses: Die alte wurde 1652 während der Fronde, der Revolte gegen die königliche Herrschaft des jungen Ludwig XIV., zerstört und durch die neue Tür mit den Medusen-Häuptern ersetzt. Sie überlebte den von der Pariser Commune gelegten Brand des Rathauses am 24. Mai 1871.

Überlebt hat den Brand des Rathauses auch die Reiterstatue Statue Heinrichs IV. im cour Henri Quatre, in den man von hier aus einen Blick werfen kann. Es gibt dort auch einige ruhige Sitzplätze.

Die Statue schmückte ursprünglich den Tympanon des Haupteingangs des Pariser Rathauses. Dort ersetzte sie eine 1606 aufgestellte und 1792 zerstörte Vorgängerstatue. Am Hals des Pferdes ist noch die Einschussstelle einer Kugel aus dem semaine sanglante 1871 zu sehen

Man kann dann  die Ausstellungsräume im 1. und 2. Stock besuchen, in denen die Geschichte der Stadt vom 16. bis zum 20. Jahrhundert präsentiert wird. Wir folgen hier aber dem am historischen Ablauf orientierten Rundgang, der mit Objekten zur vorgeschichtlichen, römischen und mittelalterlichen Entwicklung der Stadt beginnt. Sie sind im Keller des hôtel Carnavalet ausgestellt, den man über einen originalen Zugang erreicht.

Hier ein Kapitellfragment aus dem römischen  Lutetia

Modell der dichten mittelalterlichen Bebauung der Île de la Cité rund um Notre-Dame:

Kopf und Hand Abélards aus dem Grabmal von Abélard und Héloise auf dem Friedhof Père Lachaise (1814-1818). Das Gegenstück von Héloise gibt es natürlich auch. Als der Père Lachaise zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingerichtet wurde, überführte man die sterblichen Überreste des mythischen mittelalterlichen Liebespaares dorthin. Wie auch die damals eingerichteten Gräber von Molière und La Fontaine sollten sie dazu dienen, den neuen Friedhof für die Pariser Bourgeoisie attraktiv zu machen. Bei der Gestaltung der Köpfe soll sich der Bildhauer Pierre-Nicolas Beauvallet an den exhumierten Schädeln von Abélard und Héloise orientiert haben.

Der Rundgang geht weiter im ersten Stockwerk des hôtel Carnavalet. Dort wird natürlich  Madame de Sévigné, die berühmte Briefschreiberin, gebührend gewürdigt. Immerhin war sie fast 20 Jahre lang Hausherrin im hôtel Carnavalet.

Hier ihr Portrait (Claude Levèbvre, ca 1665) über dem aus China stammenden Schreibtisch, an dem sie viele ihrer Briefe an die Tochter in der Provence schrieb. Auch die Adresse des Museums erinnert an Madame de Sévigné: 23, rue  de  Sévigné.  Ihr Geburtshaus befindet sich ganz in der Nähe, an der place des Vosges.

Ein altes Straßenschild: Dort wurde 1610 Heinrich IV. von einem religiösen Fanatiker ermordet. An Ort und Stelle ist -an den Arkaden zur Fontaine des Innocents – eine Erinnerungsplakette angebracht. Und in den Boden ist eine Platte eingelassen mit dem Wappen des Königs, das Frankreich und Navarra (sein Herkunftsland mit seinen Geburtsort Pau) verbindet.

Detail eines Paravant aus dem Faubourg Saint-Antoine. Es handelt sich um eine mit einem Imitationslack der Familie Martin (vernis Martin) hergestellte Lackarbeit mit chinesischen Motiven. Diese Lackarbeiten erfreuten sich im 18. Jahrhundert großer Beliebtheit. Der Faubourg Saint-Antoine war bis Mitte des 20. Jahrhunderts das Zentrum der französischen Möbelproduktion. Im Ancien Régime wurden dort von den Kunsttischlern des Viertels, den ébénistes, die exquisiten Möbel des französischen Adels hergestellt. [3a]

Eine besondere Attraktion des Museums sind die sogenannten „period rooms“. Ein Beispiel ist dieser Salon de musique mit Holzvertäfelungen aus einem hôtel particulier, einem Stadtpalais, das im 19. Jahrhundert zerstört wurde.

Im Museum hat auch der prächtige Salon de compagnie des hôtel d’Uzès aus der rue de Montmartre seinen Platz gefunden. Gestaltet wurde er von Claude-Nicolas Ledoux. Es gibt im Museum mehrere Räume, die Ledoux gewidmet sind. Immerhin hat er die neoklassizistische Architektur vor der Französischen Revolution entscheidend mitgeprägt und seine utopischen architektonischen Entwürfe haben großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Architektur gehabt. Ausgestellt sind auch die von ihm entworfene Ausstattung des berühmten Café militaire und Modelle der ebenfalls von ihm entworfenen „Barrieren“ der berüchtigten Zollmauer um Paris. Vier dieser klassizistischen Torhäuser und Zollstationen sind heute noch erhalten.[4]

Ein Schwerpunkt des Museums ist die Abteilung zur Französischen Revolution im zweiten Stock des hôtel du Peletier de Saint-Fargeau.

Dabei werden natürlich auch Rousseau und Voltaire als geistige Väter der Revolution gebührend gewürdigt.

Hier ein Bild des Sarkophags von Jean-Jacques Rousseau, der nach seiner Überführung aus dem Grabmal von Ermanonville am 11. Oktober 1794 vor dem Pantheon aufgebahrt wurde, bevor die sterblichen Überreste – zusammen mit denen Voltaires- im Gewölbe des Pantheons ihre letzte Ruhestätte erhielten. [5]

© Paris Musées / Musée Carnavalet – Histoire de Paris

Ein berühmtes Ausstellungsstück des Museums ist das Gemälde von Jacques-Louis David, das den Ballhausschwur vom 20. Juni 1789 zeigt – hier ein Ausschnitt. Der Ballhausschwur war sozusagen der Gründungsakt der Französischen Revolution: Die im Ballhaus (jeu de paume) von Versailles versammelten Vertreter des Dritten Standes schworen, nicht eher auseinander zu gehen, bevor nicht eine Verfassung verabschiedet worden sei.

Im Zentrum des Bildes steht Bailly, der Bürgermeister von Paris, der gerade den Eid vorspricht. Deutlich hat David die Begeisterung der Abgeordneten in Szene gesetzt, die -mit einer Ausnahme- den Beschluss mit ihrem Eid besiegeln: Er zeigt die große Menge, aber auch einzelne, detailgenau portraitierte Abgeordnete: Das Volk, dessen Souveränität hier beschworen  wird, ist nicht eine anonyme  Masse, sondern es konstituiert sich aus einer Vielzahl von Individuen. Durch die geöffneten Fenster des Ballhauses scheint das Licht (der Aufklärung), und der leichte Vorhang wird von dem frischen Wind bewegt, der durch den Saal und symbolisch auch durch ganz Frankreich weht.[6]

Hier ein Modell der Bastille, hergestellt aus einem Steinquader der abgerissenen Bastille. Schon am 15. Juli 1789, einen Tag nach der Erstürmung der Bastille, erhielt der Unternehmer Pierre-François Palloy den Auftrag, die Bastille abzutragen, womit etwa 800 Arbeiter beschäftigt waren. Während der größte Teil der Steine für Pariser Bauten wiederverwendet wurde, nutzte Palloy einen Teil davon gewinnbringend für die Herstellung von Souvenirs[7] – so wie das später dann ja auch mit Bruchstücken der Berliner Mauer geschah…. Jedes der neuen Départements erhielt ein solches Bastille-Modell.

Nicht fehlen darf in dem Museum natürlich die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 (hier ein Ausschnitt). Frankreich versteht sich ja gerne als das „Vaterland der Menschenrechte“. Aber von Anbeginn an gab es immer eine gewisse Diskrepanz zwischen dem hehren Anspruch und einer mehr oder weniger dahinter zurückbleibenden Realität.[8] Nur ein Beispiel: So forderte am 14. September 1791 Olympe de Gouges in ihrer Deklaration  „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ die Gleichstellung von Mann und Frau.  Zwei Wochen davor war die Verfassung der konstitutionellen Monarchie mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte als Präambel proklamiert worden, die -wie auch der spätere Code Napoléon- den Frauen die rechtliche Gleichstellung mit dem Mann verweigerte. Am 3. November 1793 wurde die mutige Vordenkerin der Rechte der Frau von den jakobinischen Machthabern guillotiniert – sie habe vergessen, was sich für ihr Geschlecht ziemt, hieß es.[9] Und auch heute noch gibt es genug Bereiche und Fälle, wo die Beachtung der Menschen- und Bürgerrechte zu wünschen übrig lässt. So wurde Frankreich seit 2012 acht mal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen eines inhumanen bzw. unwürdigen Umgangs mit Asylsuchenden verurteilt.[10] Aber leider fehlt es da in dem Museum an einer beigefügten historischen Einbettung und Problematisierung.

Diese Schreibgarnitur aus der Revolutionszeit trägt die Parole „Frei Leben oder Sterben“ (Vivre Libre ou Mourir), die auch Untertitel des Vieux Cordelier, einer von Camille Desmoulins herausgegebenen Zeitschrift war. Sie bezieht sich auf Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte: Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte. Jeder Bürger kann also frei schreiben, reden und drucken unter Vorbehalt der Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen.

Diese Figur eines Soldaten aus Holz und Metall entstand zwischen 1789 und 1800 und stand vor einem Rekrutierungsbüro für die 1789 in Paris geschaffene und von La Fayette befehligte Nationalgarde.  Es handelte sich um eine Miliz von Freiwilligen, die dazu dienen sollte, im Frieden Ruhe und Ordnung vor Ort zu sichern und im Krieg die reguläre Armee zu unterstützen.

Das sind die Möbel der königlichen Familie während der Gefangenschaft im Tour du Temple an der Rue du Temple im Marais. Das war der -heute nicht mehr existierende-  Rest einer befestigten Anlage  der Tempelritter, die zu Beginn der Französischen Revolution von der Stadt Paris in ein Hochsicherheitsgefängnis umgewandelt worden war.   Am 10. August 1792 stürmten Revolutionäre das Tuilerien-Schloss, in dem die königliche Familie nach der gescheiterten Flucht arrestiert war. Die Zeit bis zur Hinrichtung Ludwigs XVI./Louis Capets  am 21. Januar 1793 verbrachte die Familie im Temple-Gefängnis.

Den Abschied des zum Tode verurteilten Ludwigs XVI. von seiner Familie am 20. Januar 1793 hielt der Maler Jean-Jacques Hauer in diesem im Museum ausgestellten Ölgemälde fest. Es ist auch wegen des Malers bemerkenswert. Der wurde nämlich als Johann Jacob Hauer im rheinhessischen Gau-Algesheim geboren. 1769 ließ sich Hauer in Paris nieder, wo er an der Kunstakademie Schüler von Jacques-Louis David wurde.

Im Sommer 1789 diente Jean Jacques Hauer, wie er sich inzwischen nannte,  als Kommandant im 2. Bataillon der Garde Nationale. 1792 wurde er als Kapitän der Nationalgarde Kommandant des Bataillons der Section des Cordeliers. Der nach dem Cordeliers-Kloster in der Rue de l’École-de-Médecine benannte Club des Cordeliers  zählte mit Georges Danton und Jean Paul Marat zu den radikalen Clubs unter den Revolutionären. Hauer überstand aber als Maler der Revolution und dann der Restauration die Umbrüche seiner Zeit unbeschadet.[11]

Ohrringe „à la guillotine“ mit phrygischer Mütze oben, an denen die Köpfe von Ludwig XVI. und Marie – Antoinette mit umgedrehter Königskrone baumeln (um 1880): Ein delikater Schmuck. Offensichtlich handelt es sich ein „republikanisches“  Ohrgehänge, mit dem die Guillotinierung  von Ludwig XVI. begrüßt wurde.

Natürlich wird auch das Zeitalters Napoleons ausführlich in dem Museum berücksichtigt – um so mehr,  als die Stadt ja wesentlich von seinen Bauten wie dem Arc de Triomphe, der Madeleine, der Rue de Rivoli etc geprägt wurde.

„Le cortège du Sacre de Napoléon I le 2 décembre 1804″ (Der Krönungszug am 2.Dezember 1804 auf dem Pont Neuf auf dem Weg nach Notre-Dame).  Gemälde von Jacques Bertaux (1745-1818). Ausschnitt

Das Bild zeigt die Kutsche mit Napoleon und Josephine bei der Überquerung des Pont Neuf auf dem Weg zur Kathedrale von Notre-Dame de Paris, wo die Krönung zum Kaiser und zur Kaiserin stattfand. Der mit der Initiale N versehene Wagen wurde speziell für diese Zeremonie gebaut. Insgesamt bestand der von Kavallerie gesäumte und begleitete Zug der Hochzeitsgäste aus über 40 luxuriösen Wagen. Die Balkone und Zimmer vor allem in der Nähe von Notre-Dame wurden an Zuschauer vermietet, die nichts von dem grandiosen Schauspiel verpassen wollten.[12]   

Dieses Ölgemälde von Robert Lefèvre zeigt Napoleon in der Uniform eines Obersten der Garde. Das Bild wurde 1809 von der Stadt Paris für den kaiserlichen Salon des Rathauses bestellt. Bemerkenswert ist übrigens, dass die Hand Napoleons auf eine Landkarte deutet, die Europa und Nordafrika abbildet. Immerhin hatte  Napoleon in diesem Jahr nach dem entscheidenden Sieg bei Wagram dem Kaiserreich Österreich den Frieden von Schönbrunn diktiert und damit den 5. Koalitionskrieg beendet. Napoleon wird damit als siegreicher Stratege und Feldherr gefeiert.

Mit einem großen Sprung geht es jetzt weiter zum deutsch-französischen Krieg 1870/71 und der Pariser Commune.

Dies ist ein Ausschnitt aus einem Ölgemälde von Jules Didier und Jacques Gulaud. Es zeigt den Abschied des jungen Kriegsministers Léon Gambetta, der am 7. Oktober 1870  von Montmartre aus mit dem Ballon L’Armand-Barbès das von deutschen Truppen eingeschlossene Paris verlässt, um von Tours und dann von Bordeaux aus den Widerstand zu organisieren. Rechts oben im Bildausschnitt sieht man  übrigens einen Käfig mit Brieftauben, die einen wesentlichen Beitrag zur Nachrichtenübermittlung mit der belagerten Stadt leisteten.  Im November marschierte dann die Loire-Armee Richtung Paris und am 30. November versuchten 70 000 Soldaten aus Paris den Belagerungsring an der Marne zu durchbrechen und sich mit der Loire-Armee zu vereinigen. Dieser Versuch scheiterte allerdings in der Schlacht von Champigny.[13]

Dies sind die Trümmer der Säule auf der place Vendôme. Errichtet wurde sie von Napoleon zur Feier seiner Siege und der „Grande Armée“. Am 16. Mai 1871 wurde die Säule mit der Napoleon-Statue an ihrer Spitze als ein Monument des Militarismus niedergerissen. Der Maler Gustave Courbet wurde dafür verantwortlich gemacht und nach der Niederschlagung der Commune dazu verurteilt, die Kosten für die Wiederaufrichtung zu zahlen. Da er dazu nicht in der Lage war, musste er Frankreich verlassen und den Rest seines Lebens im Schweizer Exil verbringen.[14]

Dieses Gemälde von Victor Darbaud zeigt die von dem Elsässer Bartholdi entworfene Freiheitsstatue, die in den Werkstätten Gaget-Gauthier in der rue de Chazelles in Paris hergestellt wurde. Zunächst wurden Einzelteile angefertigt, die dann neben der Werkstatt vorläufig zusammengefügt wurden. Die über die Dächer der Stadt hinauswachsende Statue wurde zu einem bevorzugten Ausflugsziel der Pariser. „C’est une des curiosités les plus intéressantes de Paris“, schrieb ein Journalist im Juli 1883. Auch Victor Hugo ließ es sich nicht nehmen, der Freiheitsstatue einen Besuch abzustatten und die Treppen in ihrem Inneren hochzusteigen. Er nahm sogar ein kleines Stück der Statue mit  „en souvenir de sa glorieuse visite“, hinterließ dafür aber die starken Worte:   „Das ist der Freiheitsengel, das ist der Aufklärungsriese“. Die fertige Statue wurde dann aber wieder zerlegt, in zweihundert Kisten verpackt und über den Atlantik verschifft.[15] 

Auch zu diesem Bild gibt eine spezielle Informationstafel für Kinder. Das bietet sich wohl auch deshalb an, weil es immerhin in Paris drei -natürlich kleinere- Versionen der Freiheitsstatue gibt…So kann an Vorkenntnisse der Kinder angeknüpft oder ihr Interesse geweckt werden.[16]

Für die glanzvolle Zeit der „belle époque“ steht das Bild von Louis Beroud, von dem hier ein Ausschnitt zu sehen ist.

Gezeigt wird der zentrale Kuppelbau der für die Weltausstellung von 1889 errichteten „galerie des Machines“, die auf dem Champ de Mars zwischen der Ecole militaire und dem  Eiffelturm errichtet wurde, der ebenfalls seine Entstehung der Weltausstellung verdankt.  Der Kuppelbau war kein Ort der Präsentation von Maschinen, sondern zentraler Begegnungsort der ganzen Weltausstellung.  Bewusst wird hier die Diversität des Publikums in Szene gesetzt: Die eleganten Damen und Herren der Bourgeoisie, der Offizier, die in landestypischer Tracht präsentierten Besucher aus den Provinzen und den Kolonien.  Die Konstruktion aus Metall und Glas und die reichlichen Vergoldungen sollen die Modernität und Prosperität Frankreichs vor Augen führen.[17]

 Le Chat Noir (Der schwarze Kater) war von 1881 bis 1897 ein berühmtes Pariser Kabarett in Montmartre.  Es war Ende des 19. Jahrhunderts ein Treffpunkt vieler Chanson- Sänger, Künstler, Schriftsteller und Schauspieler und wurde zu einem Inbegriff der Parise Bohème. Im Musée Carnavalet ist natürlich das berühmte Plakat des Kabaretts von Théophile Alexandre Steinlein zu sehen, ausgestellt ist aber auch das Werbeschild aus Blech, das sich am Eingang befand.

Dies ist eine Spardose der Firma Chocolat Menier, die um 1900 eine der bedeutendsten Schokoladenfabriken der Welt war. Der Sitz der Firma war in Noisiel an der Marne, heute residiert dort Nestle/France – ein außerordentliches, das Loire-Schloss Chenonceau aufgreifende Monument der Industriearchitektur. Der Erfolg der Menier-Schokoladen beruhte ganz wesentlich auch auf der damaligen revolutionären Werbestrategie, zu der auch diese Spardosen gehörten.[18]

Es muss schon eine besondere Bewandtnis mit einem unscheinbaren rohen Stück Kork haben, wenn es im Carnavalet-Museum ausgestellt ist. So ist es auch: Denn es handelt es sich um einen Teil der  „phonetischen Isolation“, die die Wände des Zimmers von Marcel Proust  im ersten Stock des Hauses 102, boulevard Haussmann bedeckte. Dort wohnte der Autor von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von 1907 bis 1919.

Proust hatte etwas ungewöhnliche Arbeitsgewohnheiten: Er stand gegen 13 oder 14 Uhr auf und legte sich bei Morgengrauen schlafen. Die Korkplatten sollten den hochgradig lärmempfindlichen Proust von den  Geräuschen der Straße und der Nachbarn abschotten. Im Carnevalet-Museum ist aber von Proust nicht nur dieses Stück Kork zu sehen, sondern es gibt auch das Bett und weitere seiner Einrichtungsgegenstände.[19]

Hier ein Plakat aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Die Bevölkerung wird aufgefordert, den Wein für die Soldaten, die „poilus“, zu reservieren.

Das hat schon etwas sympathisch Folkloristisches. Wenn man aber am Pariser Père Lachaise an der langen Mauer mit den nicht enden wollenden Namen der im Krieg Gefallenen vorbeigeht oder auf der Autoroute de l’Est an den vielen Schildern mit Hinweisen auf blutige Schlachten dieses Krieges vorbeifährt,  dann wird direkt erfahrbar, wie schrecklich dieser in Frankreich „La Grande Guerre“ genannte Krieg war und wie tief er noch immer noch in das kollektive Gedächtnis  der Nation eingebrannt ist.[20]

Die „Goldenen Zwanziger“ von Paris werden glanzvoll repräsentiert durch den Ballsaal des hôtel Wendel. Es handelt sich hier nicht um ein Hotel im deutschen Sinne, sondern um das Stadtpalais einer reichen Industriellenfamilie, das am Quai de New York in Paris lag. Die Wandmalereien des katalanischen Künstlers José Maria Sert bedeckten die Decke und Wände des großen Saales, mit Ausnahme der drei Fenster, die sich zur Seine hin öffneten.

Hier ein kleiner Ausschnitt mit der Geburt der Venus aus einer Muschel. Insgesamt ein grandioses Ensemble, das sich seit 1989 im musée Carnalvalet befindet.

Zu der Zeit der Okkupation gibt es einige zeitgenössische Zeitungsausschnitte der offiziellen Vichy-Presse. Sie wurden regelmäßig dem Museum übergeben, um auch dort Propaganda für das Regime und Pétain zu machen. Hier ein Foto von dem Besuch Pétains in Paris am 26. April 1944. Anlass waren die alliierten Bombardements vom 21. April, die -in Vorbereitung der Landung in der Normandie- der Verkehrsinfrastruktur galten, aber auch zahlreiche zivile Opfer forderten. Pétain wurde zunächst in allen Ehren von dem Pariser Kardinal Suhart empfangen und nahm an einer Messe zur Erinnerung an die Opfer teil. Danach hielt er vom Balkon des Pariser Rathauses eine Ansprache an die große dort versammelte Menge.[21]

Natürlich ist hier auch die Vichy-Propaganda am Werk, aber für die alliierten Bombardements von 1943 und 1944 hatte die französische Bevölkerung wenig Verständnis und nach dem Urteil seriöser Historiker hatte Pétain, der Sieger von Verdun, sich bis zuletzt eine erhebliche Popularität bewahrt, die sich gerade bei diesem Besuch von Paris noch einmal zeigte.[22]  Es ist immerhin bemerkenswert, dass das Museum diese gerne übergangene und eher peinliche Episode nicht ausspart, widerspricht sie doch dem weitverbreiteten Mythos vom im Kampf gegen den Besatzer geeinten Frankreich. Jedenfalls ist es bemerkenswert, dass eine große Menschenmenge noch am 26. April 1944 Pétain zujubelte. Genau vier Monate später, am 26. August 1944, jubelte eine große Menschenmenge dann de Gaulle zu, anlässlich der Befreiung von Paris.[23]

Teller zur Erinnerung an die Befreiung von Paris
Schuh in den Farben der alliierten Flaggen. Gestiftet der Stadt Paris von der Schuhmacherei Manoukian „in Erinnerung an die Befreiung von Paris 19-26 August 1944. Vive la France et ses Alliés“

Dieses Gemälde Robert Humblots von 1956 zeigt die Sängerin und Schauspielerin Juliette Gréco anlässlich einer Gala der Union des artistes im selben Jahr. Sie ist eine Ikone des französischen Existentialismus der Nachkriegszeit. 1947 eröffnete sie Le Tabou, einen Keller im Quartier Latin, in dem Cocteau, Gaston Gallimard, François Mauriac, Jean Genet, Simone Signoret, Marlene Dietrich,  Orson Welles, Truman Capote und viele andere verkehrten. Die Texte ihrer ersten Lieder stammten von Jean-Paul Sartre, Jacques Prévert und Raymond Queneau, die Musik von Joseph Kosma, der besonders als Komponist von Filmmusiken erfolgreich war. Gréco erreichte zwar nie die Popularität von Edith Piaf, aber sie verkörpert wie kaum jemand sonst das intellektuelle Frankreich der Nachkriegszeit.

                                     Cartier-Bresson: Brasserie Lipp, Saint-Germain-des-Prés, 1969

Wie wunderbar hat der Fotograf Henri Cartier-Bresson mit diesem Foto den Generationenbruch von 1968/69 im Bild festgehalten! Cartier-Bresson war auch die Eröffnungsausstellung des renovierten  Museums gewidmet: Henri Cartier-Bresson- Revoir Paris (bis 31. Oktober 2021).

Plakate der Revolte von 1968 aus dem Atelier populaire in der von Studenten besetzten Pariser Kunsthochschule[24]

Zwischendurch und/oder zum Abschluss bietet sich eine Ruhepause in den Höfen des hôtel Carnavalet an. Dort wurde ein weitläufiges Café (Les jardins d’Olympe) eingerichtet.

Bild von Veronique Delacroix aus: http://blogpdj.info/2021/10/01/la-reouverture-de-carnavalet/

Bei entsprechender Witterung ist das ein wunderbarer Ort der Ruhe im quirligen Marais.

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist dsc00762-carnavaoet-17-1.jpg.

Es herrscht Selbstbedienung. Sein Essen erhält man in kleinen Blechgefäßen, die mich ein wenig an die Quäkertöpfe der Nachkriegszeit erinnern. Aber zwischen dem, was darin damals und jetzt hier geschmacklich und ästhetisch enthalten war/ist, liegen Welten….  


Anmerkungen

[1] https://twitter.com/ltdla/status/1353676110618308618 In der anlässlich der Neueröffnung herausgegebenen Sonderbeilage von Le Point (Carnavalet. Renaissance d’un musée) ist von 3800 Ausstellungsstücken und 625000 Objekten im Depot die Rede.

[2] Nachfolgendes Bild aus: https://www.leparisien.fr/paris-75/paris-bras-de-fer-autour-de-la-plaque-au-negre-joyeux-31-05-2019-8083749.php

[3] Siehe u.a.: Didier Rykner, Enseigne « Au Nègre Joyeux » : la Mairie de Paris réarrange l’histoire à sa façon.In: La tribune de l’art vom 7.1.2020. Allgemein zu diesem Thema:  Ortwin Ziemer und Séverine Maillot,  Postkolonialer Bildersturm https://dokdoc.eu/politik/5869/postkolonialer-bildersturm/

[3a] Siehe dazu den Blog-Beitrag „Der Faubourg Saint-Antoine, das Viertel des Holzhandwerks“ https://paris-blog.org/2016/04/04/der-faubourg-saint-antoine/

[4] Zu Ledoux siehe auch: https://paris-blog.org/2020/06/01/ledoux-lavoisier-und-die-mauer-der-generalpaechter/ und  https://paris-blog.org/2020/06/15/die-mauer-der-generalpaechter-2-die-vier-erhaltenen-barrieren-von-ledoux/ und https://paris-blog.org/2019/07/14/die-grosse-saline-von-salins-les-bains-und-die-koenigliche-saline-von-arc-et-senans-unesco-weltkulturerbe-im-jura/

[5] Zu Rousseau siehe auch: https://paris-blog.org/2020/09/10/die-rousseau-sammlung-des-museums-jacquemard-andre-im-ehemaligen-koniglichen-kloster-chaalis/v und https://paris-blog.org/2020/09/01/der-park-jean-jacques-rousseau-in-ermenonville-der-erste-landschaftspark-auf-dem-europaeischen-kontinent-und-die-erste-begraebnisstaette-rousseaus/  Dazu auch den geplanten Bericht über den Kult der großen Männer im Pantheon.

[6] https://histoire-image.org/fr/etudes/serment-jeu-paume-20-juin-1789

[7] Siehe:  https://www.paris.fr/pages/5-oeuvres-incontournables-a-decouvrir-au-musee-carnavalet-17279

[8] Siehe z.B.  https://www.lemonde.fr/idees/article/2020/12/03/la-france-peu-coherente-patrie-des-droits-de-l-homme_6062003_3232.html

[9] https://www.deutschlandfunk.de/vor-225-jahren-olympe-de-gouges-tritt-fuer-die-rechte-der.871.de.html?dram:article_id=365657

[10] Siehe zum Beispiel: https://www.lemonde.fr/societe/article/2021/07/22/la-france-condamnee-par-la-cedh-pour-la-retention-d-une-malienne-et-de-son-bebe_6089236_3224.html und https://www.lacimade.org/la-france-condamnee-par-la-cour-europeenne-des-droits-de-lhomme/ und https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/menschenrechte-migranten-frankreich-urteil-europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte

[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Jakob_Hauer

[12] https://www.napoleon.org/jeunes-historiens/napodoc/43085/

Nachfolgendes Napoleon-Portrait aus: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Carnavalet_-_Napol%C3%A9on,_by_Lefevre_01.jpg

[13] Siehe dazu den Blog-Beitrag https://paris-blog.org/2021/07/21/auf-der-a-4-autoroute-de-lest-von-saarbrucken-nach-paris-eine-fahrt-durch-die-deutsch-franzosische-geschichte-teil-2-von-der-voie-sacree-uber-reims-bis-meaux-paris/  Ein spezieller Blog-Beitrag über die Schlacht von Champigny und ihre Rezeption in Frankreich und Deutschland ist geplant.

[14] Mehr zum  Sturz der Vendôme-Säule und der Rolle Courbets auf diesem Blog: https://paris-blog.org/2021/06/14/150-jahre-abriss-der-vendome-saule-durch-die-commune-teil-2-der-fall-der-saule-und-der-fall-courbets/

[15] https://paris-blog.org/2017/02/23/die-freiheitsstatue-von-new-york-und-ihre-schwestern-in-paris-teil-2-die-vaeter-von-miss-liberty/

[16] https://paris-blog.org/2017/03/01/die-freiheitsstatue-von-new-york-und-ihre-schwestern-teil-3-die-freiheitsstatuen-von-paris/

[17] Nicolas Courtin, Le dôme central à l’exposition universelle de 1889. In: L’histoire par l’image, September 2004.   https://histoire-image.org/de/etudes/dome-central-exposition-universelle-1889

[18] Zur Schokoladenfabrik Menier siehe auch: https://paris-blog.org/2019/05/23/le-chocolat-menier-1-die-schokoladenfabrik-in-noisiel-an-der-marne-repraesentative-fabrikarchitektur-und-patriarchalischer-kapitalismus-im-19-jahrhundert/ und https://paris-blog.org/2019/06/01/le-chocolat-menier-2-die-villen-der-familie-im-8-arrondissement-von-paris-und-das-grabmal-auf-dem-pere-lachaise/

[19] Siehe: https://www.liberation.fr/culture/2010/07/30/dans-le-bordel-de-marcel_669289/

[20] Siehe dazu: https://paris-blog.org/2018/11/11/paris-11-november-2018-paris-begeht-den-100-jahrestag-des-waffenstillstands-november-2018/ und https://paris-blog.org/2021/07/09/auf-der-a-4-autoroute-de-lest-von-saarbrucken-nach-paris-eine-fahrt-durch-die-deutsch-franzosische-geschichte-teil-1-von-saarbrucken-uber-verdun-bis-zur-voie-sacree/ und https://paris-blog.org/2021/07/21/auf-der-a-4-autoroute-de-lest-von-saarbrucken-nach-paris-eine-fahrt-durch-die-deutsch-franzosische-geschichte-teil-2-von-der-voie-sacree-uber-reims-bis-meaux-paris/

[21] https://www.youtube.com/watch?v=508EWoNE4fM

[22] Siehe z.B. Jean-Jacques Becker, Pétain. In:  Dictionnaire historique de la vie politique française au XXe siècle.  Paris, PUF, 1995, Seite 787. Zu der Reaktion auf die alliierten Bombardements Frankreichs siehe: Robert O. Paxton, La France de Vichy 1940-1944. Paris: Éditions du Seuil 1973, S. 289

[23] Siehe dazu den Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2019/05/02/napoleon-de-gaulle-und-victor-hugo-notre-dame-die-geschichte-und-das-herz-frankreichs/

[24] Siehe dazu auch: https://paris-blog.org/2018/05/01/50-jahre-mai-1968-plakate-der-revolte-eine-ausstellung-im-musee-des-beaux-arts-in-paris/

Es gibt auch eine französische Übersetzung des Beitrags:

Weitere geplante Beiträge

Champigny-sur-Marne: Die letzte große Schlacht des deutsch-französischen Kriegs 1870/1871 und ein deutsch-französischer Erinnerungsort

Das Reiterstandbild Heinrichs IV. auf dem Pont Neuf

Das Pantheon der großen (und der weniger großen) Männer und der wenigen großen Frauen, Teil 2: Der Kult der großen Männer

Die Große Saline von Salins – les- Bains und die königliche Saline von Arc- et -Senans. (UNESCO-Weltkulturerbe im Jura)

In dem nachfolgenden Bericht geht es um zwei Salinen in der Franche-Comté.  Beide liegen nur wenige Kilometer auseinander und sie gehören gemeinsam  zum UNESCO – Weltkulturerbe.[1]

Mein Interesse an den Salinen  ist allerdings nicht in erster Linie die Salzgewinnung, sondern die Architektur der königlichen Saline von Arc- et -Senans. Sie ist  ein architektonisches Juwel, entworfen von  Claude Nicolas Ledoux. Und der hat nicht nur diese Saline entworfen, sondern gleichzeitig auch darum herum eine ideale Stadt geplant, die zwar nicht gebaut wurde, aber Ausdruck einer „Revolutionsarchitektur“ ist, die Ledoux repräsentiert.

Und Ledoux war – und das macht ihn für mich besonders interessant- auch der Baumeister der Pariser Mauer der Generalpächter, der Mur des Fermiers Généraux, die von 1784 bis 1790 errichtet wurde, um die Zolleinnahmen, die der König verpachtet hatte,  zu sichern.  Die Durchgänge durch diese Zollmauer, die sogenannten barrières, von denen in Paris noch vier erhalten sind, entwarf Ledoux in klassizistischer Bauweise in Form von Propyläen.

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Die Rotonde de la Vilette, eine der erhaltenen Barrieren von Ledoux

Dass nur vier dieser architektonisch bemerkenswerten Barrieren erhalten sind, hängt auch damit zusammen, dass die Mauer der Generalpächter bei der Pariser Bevölkerung verständlicher Weise sehr verhasst war. Von Beaumarchais ist ein berühmter Alexandriner überliefert, der die Unzufriedenheit der Pariser mit dieser Zollmauer zum Ausdruck brachte:

« Le mur murant Paris rend Paris murmurant. »

Und die Pariser haben nicht nur insgeheim über diese Mauer gemurrt, sondern am 11. Juli 1789 und den Tagen danach Barrieren angegriffen, geplündert  und zerstört – das Vorspiel des großen Sturms auf die Bastille am 14. Juli.

Historisch und architektonisch ist das also ein spannender Gegenstand. Und ein besonderer Beitrag  zur Mauer der Generalpächter und den Barrieren Ledoux` gehört  deshalb auch zum Programm  künftiger  Blog-Beiträge.[2]

Hier nun steht die von Ledoux entworfene Saline und die um sie herum geplante Idealstadt Chaux im Mittelpunkt. Die Saline ist ein von den Ideen der Aufklärung inspiriertes Projekt, das aber nur zur Hälfte realisiert wurde. Nach 1789 erhielt Ledoux, vor allem als Chefarchitekt der umstrittenen Mauer der Generalpächter, keine weiteren Aufträge und musste eher froh sein, nicht unter der Guillotine zu enden.  Aber er  entwickelte  das futuristische Konzept der Stadt Chaux, das noch über 100 Jahre später Architekten inspirierte.

Das erklärt die Zuerkennung des Welterbestatuts für die Saline von Arc et Senans und übrigens auch ihre  Aufnahme  in eine aktuelle französische Briefmarkenserie  zum Thema „Histoire de styles“.

Briefmarke Arc et Senans (2)

Die Große Saline von Salins-les-Bains

Aber zuerst kurz zur Großen Saline von Salins-les-Bains, die ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und die gewissermaßen der Vorläufer der königlichen Saline von Arc et Senans ist. Ihre Grundlage ist ein großer Salzstock in 250 Metern Tiefe. Da salzhaltiges Wasser über Quellen an die Oberfläche gelangte, wurde das Vorkommen schon im frühen Mittelalter entdeckt und dann systematisch ausgebeutet. Durch Verbesserungen der Bohr- und Fördertechnik wurde die Salzgewinnung immer bedeutender: Im 17. Jahrhundert war Salins-les-Bains der zweitwichtigste Ort der Franche-Comté (nach Besancon) und erwirtschaftete die Hälfte ihrer Einkünfte. Die Sole wurde in riesigen Pfannen erhitzt, bis das Wasser verdampft war und die Salzkristalle abgeschöpft werden konnten. Als Energie dafür diente Holz, ab dem 19. Jahrhundert dann die Kohle.

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Mit solchen Schaufeln wurde das Salz aus den  eisernen Pfannen auf das darüber gelegene Gestell geschippt, wo es noch weiter trocknen konnte. Von dort aus wurde es  in Loren verladen. Die nächsten Arbeitsgänge waren dann Verpackung und Abtransport.

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Blick auf das Siedehaus von Salins-les-Bains

Die Arbeitsbedingungen in dem Siedehaus waren äußerst hart: Es war Schwerstarbeit, dazu war die Arbeit mit dem Salz in großer Hitze äußerst gesundheitsschädlich. Aber, wie uns die Führerin erklärte, aufgrund guter Bezahlung und damals sonst unüblicher sozialen Vergünstigungen habe es nie Mangel an Arbeitskräften gegeben.

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Besonders eindrucksvoll ist es, im Rahmen einer Führung in die unterirdische Galerie herabzusteigen. Dort ist eine hydraulisch betriebene Pumpe zu sehen, eine sogenannte Noria, die im 14. Jahrhundert installiert wurde und bis Mitte des 18. Jahrhunderts in Betrieb war.  Und vor allem kann man das Gewölbe bewundern, das eher an eine romanische Kirche erinnert als an ein technisches Bauwerk.

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Die Große Saline war bis 1962 in Betrieb. Allerdings konnte sie schon im 18. Jahrhundert nicht mehr den wachsenden Bedarf an Salz decken,  zumal es immer mehr an einem entscheidenden Rohstoff mangelte, nämlich dem Holz, das in großen Mengen für  den Verdampfungsprozess der Sole benötigt wurde. Und das war nun die große Stunde des Claude Nicolas Ledoux.

 

Ledoux und die königliche Saline von Arc- et -Senans im Jura:  Das revolutionäre Projekt eines Architekten des ancien régime.

Claude Nicolas Ledoux, der aus eher ländlichen und kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, ließ sich 1766 in Paris nieder. Dort wurde Madame Du Barry, die Mätresse Ludwigs XV., auf ihn aufmerksam und beauftragte ihn – gegen einige Widerstände- mit dem Bau eines Pavillons für ihr Anwesen in Louveciennes bei Paris.[3]  Begünstigt durch diese Förderung wurde Ledoux zu einem renommierten Architekten des ancien régime. Von König Ludwig XVI. wurde er zum Inspektor der Salinen in Lothringen und Burgund ernannt.[4]

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Büste von Ledoux in Arc et Senans

Ledoux erkannte bald  die Unzulänglichkeiten der Großen Saline:  Die schwierigen, Produktionsbedingungen in dem engen Tal des Flüsschens Fourieuse und vor allem der Mangel an verfügbarem Holz, von dem große Mengen für das Sieden des Salzes benötigt wurden.  Er schlug deshalb dem König vor, eine neue Saline in Arc- et -Senans zu bauen- ein sehr unkonventioneller Vorschlag, denn in diesen beiden Ackergemeinden gab es keinerlei Salzvorkommen. Aber es gab dort genügend Platz- gewissermaßen die sprichwörtliche grüne Wiese, auf der der Architekt seine Ideen ungehindert verwirklichen konnte; dazu gab es  Wind gegen die bei der Salzherstellung entstehenden Dämpfe und vor allem: In der Nähe lag (und liegt immer noch) der  große Wald von Chaux, eines der größten Waldgebiete Frankreichs. Es handelte sich um eine königliche Domäne, was für Ludwig XVI. sicherlich eine wesentliche Motivation war, dem Projekt seinen Segen zu geben.   Und für Ledoux war es „einfacher, das Wasser auf Reisen zu schicken, als einen Wald Stück für Stück durch die Gegend zu fahren“.[5]

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Die Sole (la saumure)  der Großen Saline zur neuen Saline von Arc- et -Senans zu leiten, war allerdings trotzdem eine schwierige und aufwändige Angelegenheit. Aufgrund der Topographie war nur ein Transport in Leitungen möglich, die entlang der Flüsschen La Furieuse und La Loue verlegt wurden. Das waren immerhin 21,5 Kilometer.

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Die Rohre wurden unterirdisch verlegt, um einen Diebstahl und ein winterliches Einfrieren der kostbaren saumure zu verhindern. Die Leitungen bestanden zunächst aus innen ausgehöhlten Fichtenstämmen, die ineinander gesteckt wurden.  Geht man von der Länge der im Museum von Salins-les-Bains und in Arc -et – Senans ausgestellten Rohre aus, dürften das etwa 5000 Rohre dieser Art gewesen sein. 135 000 Liter Sole liefen täglich durch dieses Leitungssystem, von denen allerdings 30% unterwegs verloren gingen: Durch Lecks in den Leitungen und durch Diebstahl – obwohl die Leitungen ständig überprüft und überwacht wurden.

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Im 19. Jahrhundert wurden die Fichtenrohre deshalb  durch gußeiserne Rohre ersetzt.[6]

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An einigen Stellen wurden kleine Behälter eingebaut, die es ermöglichten, den Zu- und Ablauf der Sole auf ihrem Weg von Salins-les-Bains nach Arc -et -Senans zu kontrollieren.

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Die Saline im Überblick

Aus der Vogelperspektive betrachtet fällt die  strenge geometrische Form der Anlage  und ihre Großzügigkeit  auf.  Hier konnte Ledoux  -zumindest  teilweise-  seinen Traum verwirklichen,  „Rivale des Schöpfers“ zu sein.  Die Form der Architektur sollte nach Ledoux „so rein sein wie die, die die Sonne auf ihrem Lauf beschreibt.“[7]

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In der Mitte befindet sich das Haus des Direktors, rechts und links davon sind  die Produktionsstätten angeordnet. In einem weiten Halbkreis darum herum sind Verwaltungsgebäude, Werkstätten und die Wohnhäuser der Arbeiter gruppiert. Zwischen diesen Gebäuden und der Mauer, die die Anlage umgibt, ist Raum für die Anlage von Gärten. Assoziationen zum antiken Theater  liegen da nahe. Dessen Bauprinzipien hat der römische Autor Vitruv beschrieben. Sein mit Illustrationen versehenes Werk wurde 1673 in einer französischen Ausgabe publiziert, die Ledoux ausführlich studiert hat. Und Ledoux hat ja für Besançon, die neue Hauptstadt der Franche-Comté, ein damals revolutionäres Theater entworfen- ohne die üblichen Logen, aber mit Sitzen im Zuschauerraum.[8]

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Den ebenfalls theatralischen Eingang zur Saline bildet der Portikus mit seinen mächtigen dorischen Säulen. Das Vorbild des in der Nähe Neapels gelegenen griechischen Tempels von Paestum ist unverkennbar.  Der Portikus markiert und symbolisiert mit seiner Grotte aus unbehauenen Steinen den Übergang vom Dunkel ins Licht, vom  „Naturzustand“ in die wohl geordnete Welt der Saline.[9]

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In den rechts und links angrenzenden Gebäuden waren die Wächter untergebracht, von denen viele benötigt wurden- nicht nur um ein unbefugtes Betreten oder Verlassen der Anlage zu verhindern, sondern vor allem, um die Rohrleitung der Sole von der Großen Saline bis Arc- et – Senans zu überwachen – das kostbare Salz bedurfte besonderen Schutzes.

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Deshalb war die gesamte Anlage ja auch von einer hohen Mauer umgeben.

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Das dem Eingang gegenüberliegende Gebäude war das Haus des Direktors, das sich denn auch durch seine Mächtigkeit, sein Höhe und seinen besonders kunstvoll gestalteten Portikus  von den anderen Gebäuden deutlich abhebt.

Rechts und links des Direktorengebäudes lagen die Siedehäuser, die Produktionsstätten des kostbaren Salzes, während die vier Gebäude  rechts und links des Eingangs,  Werkstätten und  die Wohnungen der Arbeiter beherbergten.

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Wohnen und Arbeiten gehörten für Ledoux also zusammen. Man kann das als einen fortschrittlichen Ansatz betrachten, wobei allerdings berücksichtigt werden muss, dass auf diese Weise die Kontrolle über die Arbeiter effizienter war. Denn so waren sie nicht nur zu ihren Arbeitszeiten in der Saline, sondern dauerhaft. Ein Verlassen war nur mit einer ausdrücklichen Genehmigung des Direktors möglich,  der das gesamte Geschehen im Auge hatte.  Und wenn man manchmal in Veröffentlichungen zu Ledoux  lesen kann, sein Ziel sei es gewesen, die Wohnverhältnisse der Arbeiter  zu verbessern, womit er seiner Zeit „weit voraus“ gewesen sei, [10] so muss dahinter ein Fragezeichen gesetzt werden.

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Immerhin weisen die Wohnungen der Salinenarbeiter als einzige Lichtöffnung eine an mythologische Brunnenfiguren erinnernde stilisierte Urne auf, aus der Salzlake zu fließen scheint.  Und bei den Siedehäusern gab es trotz der dort herrschenden Hitze und der Salzdämpfe – anders als bei der Großen Saline von Salins-les-Bains-  keine Schornsteine zur Entlüftung.  Damit  sollte wohl die Harmonie und Ästhetik der Anlage erhalten werden, zumal Schornsteine auch das Haus des Direktors überragt hätten….  

 

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Blick aus einem „Urnenfenster“ der früheren Arbeiterwohnungen

Ledoux stellte sich allerdings das Leben in der Saline als eines vor,  wo alles Anlass zur Freude ist, „où tout est jouissance„, wie er auf einer Schautafel des Museums zitiert wird. Aber er betonte auch die Stein gewordene Macht des Direktors, dessen „surveillance“ nichts entgehe. (rien n’échappe).  Michel Foucault hat deshalb auch in seinem Buch „Überwachen und Strafen“ die Saline von Arc-et- Senans als einen perfekten Disziplinarapparat bezeichnet:

Der perfekte Disziplinarapparat wäre derjenige, der es einem einzigen Blick ermöglichte, dauernd  alles zu sehen.  Ein zentraler Punkt wäre zugleich die Lichtquelle, die alle Dinge erhellt, und der Konvergenzpunkt für alles, was gewusst werden muss: ein vollkommenes Auge der Mitte, dem nichts entginge und auf das alle Blick gerichtet wären. So etwas schwebte Ledoux vor, als er Arc-et-Senans erbaute: im Zentrum der ringförmig angeordneten und nach innen geöffneten Gebäude sollte ein hoher Bau die administrativen Funktionen der Leitung, die polizeilichen Funktionen der Überwachung, die ökonomischen Funktionen der Kontrolle und Erhebung, die religiösen Funktionen der Ermutigung zu Gehormsam und Arbeit auf sich vereinigen; von da würden alle Befehle kommen, da würden alle Tätigkeiten registriert, würden alle Fehler wahrgenommen und beurteilt werden. Und zwar würde sich das alles unmittelbar, dank jener strengen Geometrie vollziehen. Die Vorliebe für kreisförmige Architekturen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte mancherlei Gründe; einer davon war zweifellos der, dass sie eine bestimmte politische Utopie zum Ausdruck brachten.“ (11)

Allerdings war die totale Überwachung, die Foucault dem Konzept der Saline zuschreibt, anders als  etwas bei dem Panoptikum Benthams und den entsprechenden Gefängnisbauten (wie der Petite Roquette in Paris  (12), nicht real, sondern eher symbolisch. Die Werkstätten und die  Wohnungen der Bediensteten waren ja alles andere als transparent. Interessant ist dabei aber, wie  Ledoux hier einerseits in eine Ahnenreihe totalitärer Architekturkonzepte und entsprechender Utopien eingereiht wird -Albert Speer beispielsweise hat Ledoux sehr  bewundert- dass er andererseits aber auch als Ahnherr sozialistischer Utopisten und einer modernen progressiven Architektur firmiert.  In seinem 1933 erschienenen bahnbrechenden Werk  „Von Ledoux bis Le Corbusier“ beschreibt  Emil Kaufmann Ledoux als revolutionären Architekten, der den Anfang der modernen Architektur markiere und entdeckt ihn damit neu.  Für Gruson hat die Verbindung von Wohnen und Arbeiten und die von Ledoux  vorgegebene Vermischung von Gemeinschaftseinrichtungen (eine zentrale Feuerstelle/Küche für alle Wohnhäuser) und privaten Bereichen den französischen Sozialreformer Charles Fourier zu seinem Konzept eines Phalanstère, einer  Produktions- und Wohngenossenschaft inspiriert.  Und bei den Gärten, die zu den Wohnungen der Bediensteten gehörten und  ihnen einen Anbau von Obst und Gemüse für den eigenen Bedarf ermöglichten,  denkt man natürlich an fortschrittliche Konzepte von Arbeitersiedlungen,  wie  sie  im 19. Jahrhundert in England und auch in Frankreich -wie in der ville ouvrière von Noisiel an der Marne –  verwirklicht wurden. (13)

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Ein Gartenhaus

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Heute gehören die Gärten zu einem Projekt, dem „festival des jardins„: Jedes Jahr werden sie neu gestaltet, wobei jeweils ein bestimmtes Motto vorgegeben wird. Im Jahr 2019 war das aus Anlass des 50. Jahrestages des Woodstock-Festivals das Motto Flower power. Angesprochen werden als Gestalter nicht nur renommierte Gartenarchiteken, sondern auch Studenten von (Fach-)Hochschulen für Gartenbau und Schüler/Innen von fachbezogenen Berufsschulen. Insgesamt werden 12 Gärten entsprechend gestaltet- ein Rundgang lohnt sich also.

Die Erinnerung an die ursprüngliche Bestimmung der Gärten wird allerdings/immerhin auch noch wachgehalten wie die Reihen von Spalierobst zeigen.

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Dass wir heute die Saline bewundern können, wäre vor 100 Jahren noch kaum vorstellbar gewesen.  1895 wurde nämlich die Produktion eingestellt,  weil sie gegenüber den Salinen am Mittelmeer und am Atlantik nicht mehr konkurrenzfähig war, zumal mit dem billigen Transportmittel der Eisenbahn. Danach verfiel die Anlage zunehmend, sie diente als Steinbuch, 1918 wurde sie durch ein Feuer verwüstet. 1927 kaufte das Departement du Doubs die Anlage und rettete sie so vor dem völligen Verfall.   Im Frühjahr 1939 wurden dort Flüchtlinge aus Franko-Spanien untergebracht, vom Kriegsbeginn bis zum Waffenstillstand im Juni 1940 Einrichtungen der französischen Armee, auf die dann bis zum Frühjahr 1941 deutsche Besatzungssoldaten folgten. Danach wurde die ehemalige Saline zu einem Lager für „familles tziganes“ , wie es in dem offiziellen Aushang der Anlage heißt, deren Lebensbedingungen „äußerst hart“ gewesen seien, vor allem auifgrund der fehlenden bzw. völlig unzureichenden sanitären Einrichtungen.[14]  Ihnen folgen schließlich im Winter 1944/45  mehr als 1000 deutsche Kriegsgefangene, deren Lebensbedingungen kaum weniger hart gewesen sein dürften. Bilder aus der Nachkriegszeit zeigen eine völlig heruntergekommene verfallene Anlage, die nur mit größter Mühe etwas von dem früheren und heutigen Glanz erahnen lässt. Ab etwa 1960 begann dann eine lange Restaurierung, die schließlich die Anerkennung der Saline als Teil des UNESCO-Weltkulturerbes im Jahr 1982 ermöglichte.[15] 

Heute ist die Saline Mittelpunkt eines regen kulturellen Lebens, es ist ein centre du futur, ein Ort des Nachdenkens über die Zukunft unserer Gesellschaften, es beherbergt drei Museen und ein Hotel.

Als Hotelgast  ist man zum Beispiel  im ehemaligen Haus der Zollpächter untergebracht, deren Bedeutung von der Fassade unterstrichen wird – nach dem Direktorenhaus und dem Eingangs-Portikus gewissermaßen die Nummer drei auf der architektonischen Rangliste: Ein sogenanntes venezianisches Fenster, also ein zentrale, auf zwei Säulen ruhende Arkade. Die Zollpächter waren ja immerhin die Betreiber der Anlage: Wie bei der Zollmauer  um Paris hatten sie vom König eine Konzession erhalten, die der Monarchie feste regelmäßige Einahmen sicherten und den Zollpächtern die Gewinne. Also gewissermaßen eine Private Public Partnership vor der Zeit…

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Zu der Übernachtung im Hotel  gehören auch Eintrittskarten für die Ausstellungen. Und vor allem: Abends hat man die Anlage (fast) ganz für sich alleine und kann in aller Muße die angestrahlten Gebäude und beleuchteten Gärten bewundern. Exquisit!

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Das Ledoux-Museum

Zu einem Besuch der Saline gehört natürlich der Besuch der Museen: eines Museums der Geschichte der Salzgewinnung, eines Museums der Geschichte der Saline seit ihrer Schließung und vor allem eines Ledoux-Museums. Es ist nach der Selbstdarstellung das einzige Museum Europas, das ausschließlich einem Architekten gewidmet ist.[16]

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Untergebracht ist es in der ehemaligen Holzwerkstatt und dem Holzlager. Dort wurden die Tonnen hergestellt, in die das Salz gefüllt und in denen es kommerzialisiert wurde. Außerdem gab es in diesem Gebäude auch Räume für die Böttcher und eine Gemeinschaftsküche.

Die Ehre eines speziell ihm gewidmeten Museums  verdankt Ledoux vor allem seinem Architektur- Traktat, von  dem ein erster Teil 1804 veröffentlicht wurde.  Es gilt als theoretisches Hauptwerk der sogenannten Revolutionsarchitektur – ein eher aus der Not geborenes Opus. Denn mit der Französischen Revolution verlor Ledoux aufgrund seiner Stellung im ancien régime und vor allem der Konstruktion der verhassten Zollmauer seine bisherige Lebensgrundlage. Er wurde sogar verhaftet und entging nur knapp der Guillotine.

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Er konnte aber nun auf der Grundlage früherer Zeichnungen das Modell der idealen Stadt Chaux entwerfen, die um die zu einem vollständigen Kreis ergänzte Saline herum gruppiert war.

Arc et Senans Foto von Gilles Abegg, vue perspective de la ville de Chaux

Dazu gehörten Bauten für die Allgemeinheit  wie zum Beispiel -zu dieser Zeit in der Tat revolutionär-  öffentliche Bäder.

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Charakteristisch für die meisten Bauten ist die „sprechende Architektur“, das heißt, dass die Gestaltung der einzelnen Gebäude deren Zweck deutlich macht, wie die folgenden Beispiele zeigen.

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Das Atelier der Köhler, der  charbonniers

 

 

 

pl1-1024x643 Oikema

 

 

Auch bei dem sogenannten „Oikema“ , von dem ich allerdings in dem Museum kein Modell und keine Abbildung entdecken konnte, dürfte  die Funktion wohl eindeutig sein.[17] Offenbar hielt Ledoux auch einen solchen  Bau für erforderlich, um das von ihm angestrebte harmonische Zusammenleben zu gewährleisten.

 

 

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„Sprechend“ ist auch  der Entwurf eines pavillon des cercles,  eines Ateliers der Böttcher. Davon gibt es nicht nur das kleine Modell im Ledoux-Museum, sondern auch ein 1 zu 1- Modell auf der weitläufigen Jura- Raststätte der Autobahn A 39 bei Lons-le-Saunier. So kann man, auch wenn man nicht über den Wald von Chaux und die Weinberge von Arbois fahren und in Arc -et -Senans Halt machen kann oder will, auf dem Weg in den Süden einen kleinen Eindruck von der Revolutionsarchitektur des Claude-Nicolas Ledoux erhalten.

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Das Gebäude ist für Ausstellungen gedacht, war allerdings im Sommer 2019 etwas vernachlässigt und heruntergekommen. Aber auch das passt ja zu Ledoux….

Anmerkungen

[1] http://whc.unesco.org/fr/list/203

[2] Als kleine deutsch-französische Fußnote soll noch angemerkt werden, dass Ledoux  als Contrôleur général des bâtiments der Landgrafschaft Hessen-Kassel den Bau des Fridericianums in Kassel beaufsichtigte…

[3] http://www.pavillondemusiquedubarry.fr/fr/contact.html

[4] Zur Biografie von Ledoux:  http://www.whoswho.de/bio/claude-nicolas-ledoux.html

[5] Zitiert in: https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigliche_Saline_in_Arc-et-Senans

« Il étoit plus facile de faire voyager l’eau que de voiturer une forêt en détail » Zit. Gruson

[6] https://wikimonde.com/article/Saumoduc_de_Salins-les-Bains_%C3%A0_Arc-et-Senans

[7] Ziate aus: https://www.sueddeutsche.de/kultur/bauhausjubilaeum-wie-ein-anfall-von-wuerfelhusten-1.2413082-2  und Luc Gruson a.a.O.

[8]  Siehe dazu Luc Gruson a.a.O. und http://memoirevive.besancon.fr/?id=440.  Aufgrund der streng  halbkreisförmigen Anlage ist die Behauptung, die ich im Internet gefunden habe, unzutreffend- auch wenn sie sich überzeugend anhört:   „Je niedriger der Rang von Angestellten oder Arbeitern ist, desto weiter liegen deren Gebäude vom Direktorenhaus entfernt.“ . https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/lebensmittel/salz/pwiearcetsenansdiekoeniglichesaline100.html

[9] „Ainsi, l’entrée dans la Saline ressemble à un passage dans un autre monde, que Ledoux a voulu parfait.“ (Gruson)

[10] https://www.a-k.sia.ch/de/node/236

(11) Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. suhrkamp taschenbuch 2271  FFM 2016, S. 224/225

(12) Siehe dazu den Blog-Beitrag Wohnen, wo einmal die Guillotine stand. La Grande et la Petite Roquette. https://paris-blog.org/2016/06/14/wohnen-auf-historischem-boden-la-grande-et-la-petite-roquette/

(13) Siehe den Blogbeitrag über die Schokoladenfabrik Menier in Noisiel: https://paris-blog.org/2019/05/23/le-chocolat-menier-1-die-schokoladenfabrik-in-noisiel-an-der-marne-repraesentative-fabrikarchitektur-und-patriarchalischer-kapitalismus-im-19-jahrhundert/

Der utopischen Charakter der Entwürfe von Ledoux wird betont in dem Artikel „Imagined Architecture“ von Devi Norton. https://michaelgimberblog.com/2017/03/10/imagined-architecture/ Dort steht er in einer Reihe von Revolutionsarchitekten, die bis zur russischen Revolution reicht.

[14] Siehe dazu: Alain Gagnieux, Chronique des jours immobiles : L’internement des nomades à Arc-et-Senans (1941-1943), Éditions L’Harmattan, 2011

[15] https://www.museumspass.com/de/museen/saline-royale 

[16] https://www.museumspass.com/de/museen/saline-royale

[17]  Bild aus: http://hiddenarchitecture.net/oikema/

 

Weiterführende Literatur:

Sonia Branca-Rosoff: https://passagedutemps.wordpress.com/2020/03/28/le-reve-de-pierre-de-claude-nicolas-ledoux-1736-1806-la-saline-royale-darc-et-senans/

Alain Chenevez, La saline d’Arc- et- Senans. Paris: Harmattan 2006

Gérard Chouquer et Jean-Claude Daumas (dir.),  Autour de Ledoux:  architecture, ville et utopie. 2008

Richard Copans, Architecture 4. Éd. Par Arte France und Réunions des Musées Nationaux. 2005

Michel Gallet,  Claude-Nicolas Ledoux, 1737-1806, Paris 1980  Siehe:   http://www.persee.fr/docAsPDF/bulmo_0007-473x_1981_num_139_3_6012_t1_0193_0000_3.pdf

Luc Gruson, Claude-Nicolas Ledoux, Architecture visionnaire et utopie sociale. (Überarbeitete Fassung eines Vortrags in Arc- et -Senans vom Oktober 2008 https://docplayer.fr/20788304-Claude-nicolas-ledoux-architecture-visionnaire-et-utopie-sociale.html

Emil Kaufmann, Von Ledoux bis Le Corbusier. Ursprung und Entwicklung der autonomen Architektur. Reprint der Originalausgabe von 1933. Stuttgart 1985

Jean-Pierre Lyonnet, Les Propylées de  Paris 1785-1788: Claude-Nicolas Ledoux, une promenade savante au clair  de lune. 2013

Dominique Massounie:  Arc -et- Senans  La Saline Royale  de Nicolas Ledoux. Éditions du patrimoine 2016

Daniel Rabreau: La Saline royal d’Arc – et – Senans.  Un monument industriel, allégorie des Lumières. Paris 2002  siehe: http://www.persee.fr/doc/bulmo_0007-473x_2003_num_161_3_1238_t1_0272_0000_1

 

 

Weitere geplante Beiträge:

  • Der Hartmannswillerkopf, das französische Nationaldenkmal und das deutsch-französische Historial zum Ersten Weltkrieg
  • „Les enfants de Paris“: Pariser Erinnerungstafeln/plaques commémoratives zur Zeit 1939-1945
  • Die Petite Ceinture, die ehemalige Ringbahn um Paris (1): Kinder und Kohl statt Kohle und Kanonen 
  • Die Petite Ceinture (2): Die „Rückeroberung“ der ehemaligen Ringbahntrasse
  • Aux Belles Poules. Ein ehemaliges Bordell im Quartier Saint Denis

 

 

 

 

Sommer in Paris: Schwimmen im Bassin de la Villette, in der Marne, im Lac Daumesnil und auf/in der Seine

Paris im Sommer ist nicht jedermanns Sache: Es ist oft  heiß, manchmal auch drückend heiß und stickig, mit entsprechenden ungesunden Begleiterscheinungen: hohen Ozon- und Feinstaub-Werten; das wirtschaftliche und kulturelle Leben verläuft auf Sparflamme. Oper und Theater machen Sommerpause.  Bei vielen Geschäften sind die Rollgitter heruntergezogen und ein Schild informiert über die –meist mehrwöchige- Dauer des „congé annuelle“.  Wer es sich leisten kann, fährt in Urlaub, viele Pariser  in das  Sommerhaus auf dem Land oder am Meer.

Für die zu Hause Gebliebenen und die Touristen gibt es immerhin ein spezielles Sommerprogramm mit vielen kulturellen Angeboten zum; Beispiel musikalischen Festivals wie dem Jazz-Festival im Parc Floral in Vincennes, gefolgt von dem Festival Classique Au Vert am gleichen Ort, dem Jazz-Festival auf der Esplanade de La Défense, dem Festival Rock  en Seine in der Domaine National du Parc de Saint-Cloud, dem Festival Chopin im Park La Bagatelle und, und, und…. Besonders schön ist, dass hochkarätige Gruppen, die zu sehen bzw. zu hören im Allgemeinen einiges Geld kostet,  teilweise auch kostenlos in Pariser Parks auftreten; beispielsweise im Jardin du Luxembourg  oder im Parc de Belleville im 20. Arrondissement, den wir besonders lieben, weil man von dort aus einen wunderbaren Blick über Paris hat. Man kann sich eigentlich jeden Tag aussuchen, worauf man Lust hat.  Und dann gibt es ja auch noch Paris-Plages!  Zentrum dieser schon traditionellen Einrichtung waren die beiden für die Zeit dieser Veranstaltung für den Autoverkehr gesperrten Stadtautobahnen nördlich und südlich der Seine.

Mit Hilfe von 3000 Tonnen Sand erhielten sie ein entsprechendes Strand-Ambiente mit Liegen, Sonnenschirmen, Bars und Freizeitangeboten. Inzwischen sind die beiden Autobahnen dauerhaft geschlossen, was die Außergewöhnlichkeit von Paris-Plages an diesen Stellen etwas mindert.  Und, „grand choc!“, den Sand gibt es nicht mehr.[1]

Paris Plages August 2012 und Baustelle Voie Pompidou 007

Er  ist  in Verruf geraten, weil er von der Firma Lafargue  geliefert wurde, von der man inzwischen weiß, dass sie dem IS Schutzgelder bezahlte, um ihr in dessen Aktionsradius liegendes syrisches Zementwerke ungestört weiterbetreiben zu können. Die Pariser Stadtverwaltung hat daraufhin die Zusammenarbeit mit  LafargueHolzim, dem „leader mondial du matériel de construction“, abgebrochen. Das Fass zum Überlaufen brachte, dass  dieser weltgrößte Zementproduzent auch noch mit einer Beteiligung an dem Mauerbauprojekt Trumps liebäugelte.[2]

Dafür hat aber ein dritter Standort von Paris-Plages in diesem Jahr an Attraktivität gewonnen, nämlich das Bassin de la Villette.

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Schwimmen im Bassin de la Villette

Dort wurde nämlich als absolute Neuheit für Paris-Plages 2017 ein Schwimmbad installiert, das La Baignade,  das vom 15. Juli bis zum 15. September täglich von 11 bis 21 Uhr geöffnet ist.  (2a)

DSC00627 Baignade Bassin de la Villette (3)

Jedenfalls soll das so sein, wenn nicht….  Zwar wurden nämlich, wie der Pariser Sportbürgermeister Jean-Francois Martins beteuerte, die Grenzwerte für die bakterielle Belastung des Bassins seit zwei Jahren eingehalten, aber dann musste es doch nach einigen Tagen schon wieder  für den Badebetrieb geschlossen werden…. (Le Parisien, 25.7.) Aber das war immerhin nur vorübergehend und soll, falls es nicht erneut starke Regenfälle gibt, auch so bleiben. Und es soll wohl auch eine Dauereinrichtung für die Sommerzeit der nächsten Jahre werden.

DSC00105 Baignade La Villette August 2017 (6)

Insgesamt hat das Schwimmbecken eine Länge von 100 Metern und ist dreigeteilt je nach Tiefe: Ein Planschbecken von 40 cm Tiefe (siehe Foto), ein weiteres von 1,20 Metern Tiefe und für die Schwimmer gibt es ein 50-Meter-Becken, das  2 Meter tief ist und das  selbst bei schönstem Wetter eher mäßig frequentiert ist.

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Bei schönem Wetter ist allerdings der Andrang der Schwimmbadgäste groß, da muss man eventuell am Eingang etwas warten, weil eine Gesamtzahl von jeweils 500 Besuchern nicht überschritten werden soll.

DSC00627 Baignade Bassin de la Villette (1)

Dafür wird es abends ruhig, allerdings kann es dann passieren, dass man nicht mehr eingelassen  wird, wenn die Gesamtzahl der Besucher an diesem Tag schon die 2000 erreicht hat. Wenn man aber schon drinnen ist, kann es sein, dass man das große Schwimmbecken ganz  für sich alleine hat….

Es gibt am Rand Duschen, Umkleidekabinen und Toiletten. Und wenn man Glück hat, findet man auch noch einen freien Liegestuhl.

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Insgesamt eine echte Bereicherung des Bade-Angebots der Stadt Paris – und das auch noch kostenlos.

Zum Abschluss von Paris Plages am 3. September 2017 gibt es übrigens noch einmal eine größere Schwimmveranstaltung im Bassin de la Villlette: La fluctuat – eine Anspielung an den Wappenspruch von Paris: Fluctuat nec mergitur. Leider sind wir an diesem Tag nicht in Paris, sonst hätte ich an dem für jedermann offenen Rundkurs über 1,25 km sicherlich teilgenommen.

DSC00468 Bassin de la Villette La Fluctuat (2)

An diesem Ort zu baden bzw. zu schwimmen, hat für mich einen besonderen Reiz, denn man befindet sich hier an einem historisch ganz herausragenden Ort: Das Bassin de la Villette geht immerhin zurück auf Napoleon Bonaparte, der am 28. Mai 1802 folgendes Gesetz proklamierte:

«Il sera ouvert un canal de dérivation de la rivière d’Ourcq ; elle sera amenée à Paris, à un bassin près de la Villette.[…]»  (Es wird ein Kanal eröffnet, der Wasser vom Fluss Ourcq abzweigt und Paris zuführt, in ein Bassin bei La Villette.)[3]  Im Invalidendom, der Grabstätte Napoleons, wird der Kanal ausdrücklich unter den Infrastrukturmaßnahmen aufgeführt, die initiiert zu haben sich Napoleon gerühmt hat.[4] Für den Bau des Kanals benötigte man natürlich eine große Zahl von Arbeitskräften – und das ausgerechnet in Kriegszeiten.  Aber nach den Siegen von Austerlitz und Jena/Auerstedt über Österreicher und Preußen gab es ja genug Kriegsgefangene.[5]  Insofern  ist das Bassin de la Villette gewissermaßen ein deutsch-französisches Gemeinschaftswerk der besonderen Art….

Ziel des Kanalbaus war eine Verbesserung der (Trink-)Wasserversorgung der Stadt. Das 700 mal 70 Meter große und zwei Meter tiefe Bassin diente also als Frischwasserreservoir für die Bevölkerung von Paris. Am 2. Dezember 1808 wurde das Bassin eingeweiht „und galt bald  als kleines Venedig von Paris.“[5] Seine mit Alleen  geschmückten  Ufer wurden zu einem bevorzugten Ort der Pariser zum Spazierengehen und zum Ausgehen: In der Umgebung eröffneten einige Guinguettes, also Landgasthöfe, in denen man preiswerten Wein trinken konnte. Denn das Bassin lag bis 1860 außerhalb der Zollmauern von Paris, an denen für die nach Paris eingeführten Grundnahrungsmittel wie Salz und – wir sind in Frankreich- natürlich auch Wein Zoll erhoben wurde.

Ein Rest dieser Paris umgebenden Zollmauer, der mur des fermiers généraux, ist die klassizistische Rotonde  de la Villette, an deren Achse das Bassin ausgerichtet wurde, wie der historische Stich zeigt. Von dieser bei den Parisern verhassten Zollmauer ist nur wenig erhalten. Ein Glück, dass immerhin die Rotonde de la Villette nicht dem Zorn der Bevölkerung und der Spitzhacke zum Opfer gefallen ist. Ihr Aussehen entspricht ja immerhin auch ganz und gar nicht dem, was man von einer Zollstation erwartet, sie bildet mit dem Bassin eine harmonische Einheit und ihr Schöpfer ist der Architekt Claude-Nicolas Ledoux, einer der herausragenden  und einflussreichsten Architekten seiner Zeit.[6]

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Im Zuge der Industriellen Revolution  entwickelte sich das über den Canal St. Martin und den Canal St. Denis an die Seine angeschlossene  Bassin de la Villette zu einem der größten Häfen Frankreichs.[7]

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Der Hafen von La Villette, aufgenommen zwischen 1905 und 1910. Aus einer Informationstafel am Zaun von La Baignade

Ein zweites großes Hafenbecken wurde gebaut, Lagerhallen entstanden, der große Schlachthof von La Villette versorgte die ständig zunehmende Pariser Bevölkerung mit Fleisch. An diese Vergangenheit erinnert heute nur noch wenig: Stattdessen ist das Bassin de la Villette wieder ein Ausflugsziel wie früher einmal: Die Rotonde ist nicht mehr Zollstation, sondern ein Bistro, eine der alten Lagerhallen ist ein Haus für Pop-Konzerte, unter den Baumreihen kann man Boule spielen, am Rand des Kanals picknicken, es gibt rechts und links des Bassins große Kinos, am oberen Rand –am Wasser gelegen- Restaurants…  Und jetzt kann man im Sommer sogar im Bassin schwimmen!

Praktische Informationen:

Métro Stationen Jaurès oder Stalingrad auf den Linien 2, 5 oder 7.

Das Schwimmbecken befindet sich Quai  de la Loire, auf der östlichen Seite des Bassin de la Villette.

Auch  2018 gibt es das Bad im Bassin de la  Vilette:  sogar schon einen Monat früher -ab 16. Juni – und bis zum 9. September von 11 bis 21 Uhr. Es stehen 2018 sogar 4 Becken zur Verfügung – ein Planschbecken, das sich besonderer Beliebtheit erfreute, ist dazu gekommen.

 

Schwimmen in der Marne  

Eine –zumal zeitlich nicht auf einen Monat begrenzte- Alternative zum Bad im Bassin de la Villette ist die Marne. Die Marne war ja für bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein beliebter Badeort für Anwohner und Pariser Ausflügler. Auf den letzten 25 Kilometern der Marne bis zu ihrer Mündung in die Seine, also im Einzugsbereich von Paris, gab es bis 1970, als das Baden im Fluss verboten wurde, nicht weniger als 24 offizielle Badegelegenheiten. Das Strandbad in Gournay hieß sogar wegen seiner berühmten blau-weißen Badekabinen „Le Petit Deauville“ oder „Deauville parisien“- immerhin ist es Luftlinie nur 18 Kilometer von Notre Dame entfernt. (7a) Joinville mit seinem Bad war ein besonders beliebtes und sogar in einem populären Lied besungenes Ausflugsziel für die Pariser.  Eine Zeile des Liedes bezieht sich ausdrücklich auf die Schwimmer in der Marne:

„Et dans la Marn‘ y’a des baigneurs“[8]

Joinville Marne Okt 09 004

Auch das Plakat einer Ausstellung im Museum von Nogent-sur-Marne zeigt, wie populär das Baden in der Marne einmal gewesen war:

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Offiziell ist das Baden in der Marne zwar immer noch verboten, es wird aber inzwischen geduldet. Das hängt damit zusammen, dass die Qualität des Wassers  sich seit 1970 deutlich verbessert hat und meistens gesundheitlich unbedenklich ist. Lediglich nach starken Regenfällen, wenn die Kanalisation überfordert ist,  sollte man für einige Tage  auf ein Bad im Fluss verzichten.[9]

Die Marne als Bademöglichkeit haben  wir gleich in unserem ersten Pariser Sommer eher durch Zufall entdeckt: Es war ein heißer Tag, wir lagen in einem Café bei der Bibliothèque  Nationale in einem Liegestuhl an der Seine und betrachteten die Schiffe, die vorüber fuhren. Darunter auch kleine Elektro-betriebene Boote  namens Voguéo, die in regelmäßigen Abständen anhielten und Passagiere mitnahmen. (Leider gibt es sie heute nicht mehr,  aber ihre Wiedereinführung wird wohl erwogen). Wohin sie fuhren, wussten wir nicht, aber wir waren neugierig und hatten Zeit. Also ins nächste Boot eingestiegen! Es fuhr die Seine aufwärts- vorbei an Kaianlagen, Betonmischern, Lagerhallen- dann kam die Mündung der Marne mit dem –auch wenig animierend aussehenden- chinesischen Handelszentrum Chinagora- viel Beton mit ein paar aufgesetzten und angeklebten Chinoiserien. Unser Boot fuhr nun in die Marne ein und hielt kurz vor einer Schleuse an: Maisons-Alfort, Endstation.

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Von dort aus gab –und gibt es noch- einen schönen Fußweg entlang der Marne, zum Teil auf Bohlen über dem Wasser angelegt. Und dort sahen wir am gegenüber liegenden Ufer auf ein paar betonierten Stufen, die ins Wasser führten, mehrere Leute in der Abendsonne liegen. Und ein Mann plantschte sogar im Wasser herum! Die Aufregung war groß, die Lust, es ihm nachzutun, riesig. Aber ohne Badezeug konnten wir nur neidisch zusehen und enttäuscht zurückfahren, allerdings mit dem festen Vorsatz, am nächsten Tag mit entsprechender Ausrüstung wiederzukommen. Was dann auch geschah. Auf den Betonstufen hatte es sich eine kleine Truppe von Rentnern gemütlich gemacht, die sich offenbar gut kannten. Einige unterhielten sich –möglicherweise wegen Schwerhörigkeit- ziemlich lautstark, einer las Zeitung, eine alte Dame –oben ohne- strickte, andere dösten in der Sonne. Wir wurden interessiert begutachtet und unsere Begrüßung wurde freundlich entgegengenommen. Nun gab es für uns kein Halten mehr: Ab ins Wasser!  Es dauerte nicht lange, bis einer der Männer aufstand, sich kerzengerade und demonstrativ auf einem ins Wasser ragenden Holzbrett aufbaute und mit dem Ruf „Et maintenant la France!“ kopfüber ins Wasser sprang.

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Damit waren wir in die Gemeinde der Marne-Rentner aufgenommen. Fast jeden Tag kamen wir nun zum Sonnen und Baden dorthin zurück gewöhnten uns auch an den allerdings durch eine hohe Lärmschutzmauer abgemilderten Verkehrslärm der parallel verlaufenden Autobahn nach Reims, Metz und Saarbrücken und gehörten nun, ohne dass viel geredet wurde, dazu- spätestens, als die immer strickende alte Dame es nicht mehr für nötig hielt, schnell ein Hemdchen überzuziehen, wenn wir kamen.

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Wir erfuhren allmählich auch, dass die Stufen zu dem ehemaligen Strandbad der Gemeinde Maisons-Alfort gehörten. Der Platz sei ideal, aufgrund der benachbarten Schleuse sei die Strömung gering, man könne hier nach Herzenslust baden und schwimmen. Inzwischen sei das Schwimmen in der Marne  wegen des Schiffsverkehrs und des (angeblich!) dreckigen Wassers verboten- ein entsprechendes großes Verbotsschild am Ufer hatten wir zunächst gar nicht bemerkt- aber sie würden hier seit ihrer Jugend baden und würden es auch weiter tun, selbst wenn ab und zu mal die „Flics“ kämen. Diese Erfahrung machten wir dann auch selbst nach einem Ausflug auf die andere Seite des Flusses: Heftige Ermahnungen: Schild! Gefahr! Nie wieder! Und dann der Trost unserer Schwimmfreunde: Wir sollten das nicht so ernst nehmen! Die tun ja nur ihre Pflicht! Ist uns auch schon passiert …

Inzwischen ist das Verbotsschild übrigens beseitigt worden, die Betonstufen wurden erneuert und mit einem Plastikbelag überzogen.  Die Marne wird ganz offensichtlich darauf vorbereitet, wieder offiziell autorisiertes Badegewässer zu werden. Risiken gibt es allerdings dennoch und weiter: Im letzten Jahr wurde ich einmal –mit Schwimmbrille stromaufwärts kraulend- von einem größeren, von hinten kommenden Frachtschiff fast „überfahren“. Im letzten Moment hörte ich dann doch die lauten Schreie von allen Seiten und kam mit dem Schrecken davon….

Zu erreichen ist das Strandbad an der Marne übrigens ganz einfach mit der Metro-Linie 8, Station École Vétérinaire de Maisons-Alfort. (Sortie Carrefour de la Résistance). Man passiert die Art-Déco- Kolonaden der früheren Destillerie Suze und ist dann in wenigen Schritten an der Marne, der Schleuse und der Fußgängerbrücke.

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Die überquert man und geht den Uferweg entlang bis zum (früheren) Strandbad.  Auf beiden Seiten des Flusses gibt es übrigens  Pontons zum Anlegen von kleinen Schiffen: Wenn die nicht schon belegt sind, kann man sie auch  nutzen: Zum Baden –zumal es hier einen bequemen Einstieg ins Wassser gibt…

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… und natürlich auch zum Picknick

Picknick an der Marne

Schade ist allerdings, dass die Autobahn A 4 direkt an der Marne und dem „Strandbad“ von Maison Alfort entlangführt. Aber dazwischen gibt es immerhin eine hohe Schallschutzmauer, so dass man den Verkehrslärm nur gedämpft wahrnimmt. Und außerdem dürfen wir uns schon gar nicht darüber beklagen. Immerhin ist das die Autobahn nach Deutschland, auf der wir ab und zu auch unterwegs sind.

Schwimmen auf/ in der Seine

Das Baden in der Seine hat eine lange Tradition, auch wenn es immer wieder Einschränkungen gab: Im 18. Jahrhundert ging es dabei um die Sittlichkeit: 1716 ordnete der prévot de Paris an, dass Baden in der Seine nur mit entsprechend  züchtiger Bekleidung erlaubt sei. 1783 wurde das freie Baden in der Seine „pour des raisons de décence“ ganz verboten. Im 19. Jahrhundert war es dann die  zunehmende Verschmutzung des Seine-Wassers, die das freie Baden in der Seine zum Problem machte. Eine Alternative war zunächst die Installation von „piscines flottantes“, die zumindest eine Begegnung mit den ärgsten auf der Seine treibenden Abfällen verhindern konnten:   1889 hatte ein Journalist einmal eine Liste entsprechender Fundstücke zusammengestellt:

«2.021 chiens, 977 chats, 2.257 rats, 507 poulets et canards, 3.066 kilogrammes d’abats de viande, 210 lapins ou lièvres, 10 moutons, 2 poulains, 66 cochons de lait, 5 porcs adultes, 27 oies, 27 dindons, 609 oiseaux divers, 3 renards, 2 veaux, 3 singes, 8 chèvres, 1 serpent, 2 écureuils, 3 porcs épics, 1 perroquet, 130 pigeons ou perdreaux, 3 hérissons, 2 paons, 1 phoque!!!». (9a)

Eine dieser schwimmenden Badeanstalten, in denen man eine unliebsame Begegnung mit solchen Treibgütern nicht fürchten musste, war die am noblen hôtel Lambert auf der Ile de Saint-Louis festgemachte „École de Natation de l’Hôtel Lambert“.

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In einem Artikel aus der „Gazette des bains“ von 1845 werden die Vorzüge dieses Bades ausführlich beschrieben: Man könne hier nicht nur baden und von erprobten Meistern Schwimmunterricht erhalten; angeboten würden auch Erfrischungen und ausgesuchte  Speisen; und natürlich stehe  für die Damen, wenn sie das Wasser verlassen  hätten, eine Frisöse bereit, die auch über ein „dépôt de  parfumerie et de ganterie“ verfüge. Die Damen  könnten auch in Begleitung ihres Zimmermädchens kommen. Eine große Rolle spielt in diesem Artikel die Wasserqualität: Das Wasser der Seine habe hier eine hervorragende Qualität, die den Ansprüchen der Hygiene in vollstem Maße gerecht werde: „L’eau de la Seine jouit de ces précieuses qualités à un degré remarquable tant qu’elle n’a  pas reçu le tribut des immondices de la grande ville„. Und die werden danach aufgezählt:  die Abwässerkanäle der Stadt, die Schiffe der Waschfrauen, die Abwässer der Färbereien und der Krankenhäuser und vieles mehr. Das flussaufwärts festgemachte École  de Natation de l’Hôtel Lambert sei aber von alldem nicht betroffen und verfüge unbestreitbar über „la plus belle eau de Paris.“  (9b)

Die Wasserqualität der Seine verschlechterte sich allerdings so sehr,  dass  im gesamten Stadtgebiet das Baden in der Seine aus hygienischen Gründen immer problematischer wurde. 1931 empfahlen die Forscher des Laboratoriums von Val-de-Grâce nicht nur, möglichst mit geschlossenem Mund zu schwimmen und sich nach dem Bad gründlich mit sauberem Wasser zu waschen, sondern sie hielten auch eine Impfung gegen Typhus für angebracht. Kein Wunder also, dass 1923 das Baden im Fluss und in Badeschiffen verboten wurde. 1929 fanden allerdings noch offizielle Schwimmwettkämpfe in der Seine statt – ein nettes Beispiel für einen großzügigen Umgang mit Regeln, auch wenn man sie selbst aufgestellt hat.(9c)

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Dass ein solches Verbot aber nur eine gesundheitlich erforderliche Notmaßnahme und nicht das letzte Wort sein kann, war auch allgemein klar.  Schon 1988 hatte Jacques Chirac, damals Bürgermeister von Paris, angekündigt, man werde in fünf Jahren in der Seine baden können: «Dans cinq ans, on pourra à nouveau se baigner dans la Seine. Et je serai le premier à le faire». Aber daraus wurde nichts, die Wasserqualität war nicht danach.[10] Im Juli 2012 durften im Rahmen des Pariser Triathlons 4500 Teilnehmer am Eiffelturm in die Seine springen, aber das blieb eine Ausnahme: Neben der nicht dauerhaft akzeptablen Wasserqualität war es vor allem die Beeinträchtigung des Schiffsverkehrs, die die zuständigen Behörden veranlassten, weitere Events dieser Art zu verbieten. (10a)

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Die Bemühungen der Association Swim Paris, die mythische „traversée de Paris à la nage“ wiederzubeleben, sind also bisher gescheitert: Geplant waren zwei Parcours zwischen dem Schwimmbad Joséphine Baker im 13. Arrondissements und dem Parc André-Citroën im 15. Arrondissement, wobei gegen eine Teilnehmergebühr jedermann zugelassen wäre.[11] Jetzt hat die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo versprochen, die 1,5 km Schwimmen des  Triatholon-Wettbewerbs  und das 10 km Freiwasserschwimmen der Olympischen Spiele 2024 würden in der Seine stattfinden,  und danach werde auch die Öffentlichkeit in der Seine baden können: „On pourra se baigner dans la Seine après 2024 […] Ce n’est pas une promesse, c’est vraiment un engagement“. Sie werde dann –wenn es ihr Gesundheitszustand erlaube- auch dabei sein; und wir –hoffentlich!- auch….[12]

Im März 2023 habe ich das folgende Plakat an einer Baustelle an  der Seine gefunden: „2024 wird man in der Seine baden können.“ … Man darf gespannt sein…

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Allerdings muss Paris bis zur Eröffnung  eines offiziellen und öffentlichen Schwimmbads in der Seine noch einiges tun, Le Monde spricht von einer wahren Herkules-Arbeit. [13] Die  Kanalisation muss modernisiert werden, die bei heftigem Regen immer noch überläuft und Schmutz in die Seine spült, ebenso die Kläranlagen stromaufwärts. Die zwischen 2010 und 2015 vorgenommenen Untersuchungen des Seine-Wassers ergaben, dass 92% aller Proben nicht den gesundheitlichen Normen entsprachen. Und es gibt eine europäische Direktive, nach der erst dann ein Gewässer zum Baden freigegeben werden darf, wenn in vier aufeinander folgenden Jahren die Wasserqualität unbedenklich war. Das heißt, dass schon ab 2020 hätte das Seine-Wasser Badequalität erreicht haben müssen. Das war allerdings nicht der Fall. 2022, so berichtet die Wochenzeitschrift Marianne,  ist die Wassserqualität der Seine immer noch nicht ausreichend – aufgrund der langen Trockenheit in diesem Jahr eher besonders problematisch…  Die Stadt Paris hofft allerdings auf eine Ausnahmegenehmigung für die Olympischen Spiele …   [14]

(Was mir übrigens, aber das nur in Klammern, nicht klar ist: Wie lassen sich diese olympischen Schwimmwettbewerbe in der Seine mit der starken Strömung vereinbaren? Gegen die werden selbst die Sport-Profis nur schwer ankommen und mit ihr würden wohl die olympischen Rekorde nur so  purzeln. Aber vielleicht ist das ja ein durchaus einkalkulierter Effekt….)

Bis dahin wird man sich also weiter mit (provisorischen) Alternativen begnügen müssen. Die gab es (z.B. 2010) schon im Rahmen von Paris-Plages, und zwar in Gestalt  einer zünftig ausgestatteten  blau-weißen Badeanstalt auf dem Gelände der Voie Pompidou, die allerdings aufgrund ihrer bescheidenen Ausmaße und des großen Andrangs kaum zum Schwimmen geeignet war.

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Baden im Lac Daumesnil: ein Fiasco

Als eine Möglichkeit zum Baden im freien Wasser schon vor 2024 wurde im Februar 2018 von der Stadtverwaltung angekündigt, im lac Daumesnil im Bois de Vincennes (12. Arrondissement) ab 2019 eine Bademöglichkeit zu schaffen: „Der lac Daumesnil wird bald zum Baden geöffnet.“ [15] Es wurden dazu auch schon detaillierte Angaben gemacht:

3 Bereiche sollten eingerichtet werden:

  • einer mit einer Fläche von 2.600 m² und einer Wassertiefe von 30-60 cm
  • ein weitere mit einer Fläche von 2.200 m² und einer Wassertiefe zwischen 30 cm und 1,50 m ;
  • und schließlich ein Bereich für Schwimmer von 3.200 m²  mit einer Wassertiefe von 2,50.

„Le lac Daumesnil sera un lieu gratuit, populaire, familial et écologique“, verkündete der für Sport und Tourismus zuständige Pariser Stadtrat. [16]

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Aber schon kurz danach kam das böse Erwachen. Das Projekt, eines der großen Wahlversprechen von Bürgermeisterin Anne Hidalgo, fiel gewissermaßen ins Wasser. Es scheiterte am Widerstand von Umweltschützern und Grünen, die darin eine massive Beeinträchtigung dieses Naherholungs- und Naturschutzgebiets am Rande von Paris sahen. Ein böser und ärgerlicher Rückschlag für Frau Hidalgo und für Badefreunde. [17]

Natürlich hat die Pariser Stadtverwaltung versprochen, das Projekt werde trotzdem weiterverfolgt – nach dem Motto: aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Aber ob wir das Baden im See noch erleben werden, erscheint mir doch sehr ungewiss.

Das Badeschiff Joséphine Baker

Aber  wenigstens gibt es ja seit 2006 das dauerhaft installierte Badeschiff Joséphine Baker auf der Seine.

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Das ist festgemacht am Fuß der Bibliothèque François Mitterand im 13. Arrondissement, gegenüber dem Parc Bercy und im Blick auf das wuchtige Finanzministerium

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… und die elegante Passerelle Simone de Beauvoir.

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Ein Besuch ist besonders im Sommer angeraten, wenn die Überdachung geöffnet ist und man von der erhöhten Terrasse aus den Blick auf die Seine genießen kann.   Allerdings ist dann auch hier der Andrang erheblich, so dass das Schwimmbecken (10 mal 25 m) eher zum Plantschen geeignet ist und weniger zum sportlichen Schwimmen.

In einem vom Figaro publizierten Ranking der Pariser Schwimmbäder, auf dem das Joséphine Baker immerhin auf dem zweiten Platz rangiert, ist das schön und treffend so formuliert:

„Plouf! Fabuleuse verrière et nage  en musique. La taille du bassin, elle, n’empêche malheureusement pas la proximité.  Mais la vue sur la Seine, magique, rattrape tout.“[18]

Im Vergleich mit dem berühmten Berliner Badeschiff auf der Spree in Treptow ist die „Joséphine Baker“ eine eher familienfreundliche Einrichtung.

Also: Für schwimmfreudige Besucher/innen von Paris – alt und jung- als wenigstens einmalige Erfahrung durchaus zu empfehlen!

Praktische Informationen (Stand August 2022): 

Quai François-Mauriac (XIIIe). Tél.: 01 56 61 96 50

Nächste Métro-Stationen: Quai de la Gare und Bibliothèque François Mitterand

Eintrittspreise  (http://www.piscine-baker.fr/fr/tarifs ):

Einzelkarten 4 Euro, reduziert 2,20 Euro

Im Sommer: 6,50 Euro, reduziert 3,20 Euro.

Öffungszeiten: http://www.piscine-baker.fr/horaires.html

Montag von  07h00 bis  08h30 und von 13h00 bis 20h00

Dienstag von  07h00 bis 08h30 und von 13h00 bis 20h00

Mittwoch von  07h00 bis 08h30 und von  13h00 bis  20h00

Donnerstag von 07h00 bis 09h00 und von 13h00 bis 23h00

Freitag von 07h00 bis 08h30 und von  13h00 bis 20h00

Samstag von  11h00 bis 19h00

Sonntag von 11h00 bis 19h00

Reservierung: https://moncentreaquatique.com/module-inscriptions/activites/

 

Anmerkungen

[1] https://www.sortiraparis.com/arts-culture/balades/articles/53926-paris-plages-2017-baignade-et-animations-sur-les-berges-sans-sable

[2] http://www.lemonde.fr/proche-orient/article/2016/06/21/comment-le-cimentier-lafarge-a-travaille-avec-l-etat-islamique-en-syrie_4955039_3218.html

http://www.lefigaro.fr/societes/2017/03/29/20005-20170329ARTFIG00152-paris-plages-la-mairie-ne-veut-plus-du-sable-de-lafarge.php

(2a) Weitere Informationen: https://www.sortiraparis.com/images/400/1462/274505–bassin-de-baignade-a-la-villette.jpg  und   https://www.paris.fr/baignadevillette

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Bassin_de_la_Villette

[4] Siehe den Blog-Beitrag: Napoleon in den Invalides. Es lebe der Kaiser (3)

[5] http://www.pbase.com/cpaaulnay/canal_de_lourcq_themes

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Bassin_de_la_Villette

Bild aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Bassin_de_la_Villette

In geplanten weiteren Blogbeiträgen möchte ich hier angeschnittene Themen weiter vertiefen: Die Geschichte und Bedeutung der Guinguettes, die Zollmauer von Paris und ihr Architekt Ledoux, der Canal de l’Ourcq – eine stadtgeographische Fahrradtour…

[7] http://www.histoires-de-paris.fr/bassin-de-villette/

http://www.cargos-paquebots.net/Navigation_fluviale/Canal-Saint_Martin_09-2012/Canal_Saint-Martin-01.htm

Antoine Léger, Le bassin de la Vilette, deux siècles de transformation urbaiane.  http://de.calameo.com/read/004245471850d9b01b0cc

(7a) Jean-Paul Kauffmann, Remonter la Marne. Paris  2013, S. 38

[8] http://www.paroles.net/pierre-roger/paroles-a-joinville-le-pont

[9] http://www.marne-vive.com/se-baigner-en-marne

Jean-Paul Kauffmann berichtete in seinem 2013 erschienenen Buch „Remonter la Marne“, nach Regenfällen würden von der Brücke von Joinville „toutes sortes d’infections“  in die  Marne gespült. „Après l’orage apparaissent à la surface des nappes huileuses sur lesquelles flottent des centaines de poissons morts.“ (S. 28).  Dergleichen haben wir noch nicht beobachten müssen, aber wir meiden auch vorsichtshalber die Marne nach starken Regenfällen.

(9a) Zitiert in: http://www.lefigaro.fr/histoire/archives/2017/08/18/26010-20170818ARTFIG00211-quand-les-parisiens-se-baignaient-dans-la-seine.php

(9b) Bild und Text aus: Paris. Vie et histoire du 4e Arrondissement. Paris 2001, S. 126/127

(9c) Bild aus: Années folles. 100 photos de légende. Paris: Parigramme 2014

[10] http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2016/05/08/01016-20160508ARTFIG00092-nager-dans-la-seine-un-vieux-reve-qui-perdure.php  Dort auch das nachfolgend wiedergegebene Bild des Paris-Triathlons von 2012.  

(10a) http://proregisseur.com/la-seine-et-le-triathlon-de-paris/

[11] http://www.leparisien.fr/hauts-de-seine-92/la-traversee-de-paris-a-la-nage-tombe-a-l-eau-08-08-2012-2117624.php

[12] http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2016/05/08/01016-20160508ARTFIG00092-nager-dans-la-seine-un-vieux-reve-qui-perdure.php

Das Engagement Hidalgos für das Schwimmen in der Seine 2024 hat natürlich auch die Funktion, die Pariser Bevölkerung vom Nutzen der Olympischen Spiele zu überzeugen. Allerdings  gibt es auch kritische Stimmen, die fragen, ob das Seine-Wasser tatsächlich bis 2024 Badequalität erhalten soll, wenn es der Stadt Paris noch nicht einmal gelinge der schlimmen Ratten-Plage Herr zu werden. (http://www.liberation.fr/debats/2017/05/10/il-faut-retirer-paris-de-la-course-folle-aux-jeux-olympiques_1568563)

[13] „ce travail digne d’Hercule“ Aus: Se beigner dans la Seine à Paris, promesse risquée. (Le Monde 16. Mai 2017,  S. 15)

[14] Nager dans la Seine en 2024, un pari osé. In: Le Monde 15./16. August 2017. Sonderbeilage zu Paris 2024: Jeux olympique, le plus dur commence. Zur Situation 2022 siehe:  Marianne  vom 2. August 2022: La mauvaise qualité de la Seine aura-t-elle raison des épreuves aquatiques aux J.O. 2024 ?

[15] In: À Paris. Le magazine de la ville de Paris. printemps 2018, S. 6

[16]  https://www.paris.fr/baignadedaumesnil

[17] http://www.leparisien.fr/paris-75/paris-le-projet-de-baignade-au-lac-daumesnil-tombe-a-l-eau-08-03-2018-7597443.php

[18] http://www.lefigaro.fr/sortir-paris/2015/05/20/30004-20150520ARTFIG00048-les-meilleures-piscines-de-paris.php