Le Monde, 4. Juni 2016
An vielen Orten in Frankreich, vor allem aber auch in Deutschland, hatte das Hochwasser katastrophale Ausmaße und Folgen. In Paris ist das- soweit man das bisher weiß- nicht so.
Natürlich führt das Hochwasser zu manchen Beeinträchtigungen: Die Schiffsrundfahrten auf der Seine sind eingestellt, weil selbst die niedrigen bateaux mouches nicht mehr die Brücken passieren können.
Metro-Stationen und eine Linie der Vorort-Bahn RER sind gesperrt. Die läuft in Paris parallel der Seine und das Gleisbett liegt mehrere Meter unter dem Hochwasser-Spiegel des Flusses. Zwar liegen zwischen Fluss und Bahn mehrere Meter und eine dicke Wand, aber durch die rieselt und tröpfelt es überall. Auch wenn das Wasser ständig abgepumpt wird, ist das Risiko für einen Betrieb der Bahn offensichtlich zu groß. Das betrifft leider gerade die RER-Linie C nach Versailles. Da wurde also nichts aus den grands eaux im Park von Versailles, die Freunde aus Deutschland unbedingt sehen wollten. Dafür gab es eben die grands eaux in Paris.
Und zusätzliche Beeinträchtigungen des öffentlichen Nahverkehrs gab es durch ein mouvement social, die Streikbewegung eines Teils der Gewerkschaften gegen die von der Regierung geplante Reform des loi de travail, des Arbeitsgesetzes.
Natürlich stehen die Fußgängerzonen auf den Tiefkais der Seine rive gauche unter Wasser, ebenso. die Voie Pompidou, die Autostraße auf der nördlichen Seine-Seite. Aber die ist am Wochenende sowieso für den Autoverkehr gesperrt, und die Bürgermeisterin von Paris hat angekündigt, dass diese Sperrung generalisiert werden soll.
Dazu waren das Louvre und das Musée d’Orsay zeitweise geschlossen, weil dort die in den Kellern gelagerten Bestände und zum Teil auch die Ausstellungsstücke im Erdgeschoss in Sicherheit gebracht werden mussten. Und dann gibt es auch ganz unerwartete Probleme, selbst da, wo man sie am wenigsten erwartet hätte: Die ja nun wirklich nicht vom Hochwasser bedrohten Türme von Notre Dame waren zeitweise nicht mehr zugänglich, weil die Sromversorgung nicht mehr funktionierte.
Aber das alles ist zu verschmerzen. Zumal das Hochwasser an der Seine eine außerordentliche Touristen-Attraktion ist. So hoch wie jetzt stand das Wasser der Seine seit 1982 nicht mehr.
Auf den Brücken an an den Rändern der Seine drängeln sich die Zuschauer und Fotografen. Interessante Motive gibt es ja mehr als genug.
Ein geradezu obligatorisches Hochwasser-Fotomotiv ist die Statue des Soldaten am Pont de l’Alma, der jede Menge von Schaulustigen anzieht.
Es handelt sich um ein „Überbleibsel“ der ersten Alma-Brücke, die Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut wurde. Diese Brücke hatte zwei Pfeiler, die mit insgesamt vier Statuen verziert waren. Sie repräsentierten vier Regimenter der französischen Armee, die 1854 am Krim-Krieg teilnahmen: Ein Artillerist, ein Zuave, ein Jäger und ein Grenadier. Als die Brücke in den 1970-er Jahren durch eine neue ersetzt wurde, blieb nur das Standbild des Zuaven am alten Platz.
Zuaven waren eingeborene Söldner, die von den Franzosen ab 1830 angeworben wurden, um an der Eroberung Algeriens teilzunehmen. Im Krim-Krieg wurden auch Zuaven-Verbände eingesetzt, die sich in mehreren Kämpfen, so auch in der Schlacht an der Alma, auszeichneten. Insofern ist zu erklären, dass die Zuaven-Statue ihren Platz an der Alma-Brücke behalten hat. Inzwischen ist sie nicht nur ein prominenter Hochwasserindikator, sondern ist sogar Teil der französischen Kultur: In Chansons, Romanen und in den Abenteuern von Tim und Struppi hat er der Zuave seinen Platz. (1)
Das Bild wurde am 5. Juni 2016 nachmittags aufgenommen- das war das Hochwasser schon deutlich zurückgegangen und dem Zuaven stand das Wasser nicht mehr „bis zum Hals“, aber immerhin noch bis über die Knie – und das heißt, dass die berges de la Seine, die Tiefkais, nicht mehr zugänglich sind. (Im Hintergrund kann man übrigens bei genauem Hinsehn die goldene Kuppel der gerade im Bau befindlichen russisch-orthodoxen Kathedrale am Quai Branly erkennen.)
Anfang Februar 2018 erhielt der Zuave anlässlich eines erneute Seine-Hochwassers eine Rettungsweste, um auf die Folgen und Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen. Das Wasser stand da ähnlich hoch wie schon 2016. (2)
Zum Vergleich: Bei normalem Wasserstand hat der Zuave trockene Füße….
Und so präsentiert er sich den Bootsfahrern:
Bis über den Hals steht dem braven Zuaven Hollande allerdings das Wasser der Steikbewegung in Frankreich – und das auch noch eine Woche vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaften:
Karikatur von Plantu in der Ausgabe von Le Monde vom 7.6.2016
Aber es gibt auch Möglichkeiten, dem Hochwasser positive Seiten abzugewinnen:
Opfer gab es -soweit man bisher weiß- in Paris nicht. Aber es ist -nach Überzeugung der Umweltministerin Ségolène Royal- nicht ausgeschlossen, dass man noch Opfer entdecken wird. Immerhin gibt es sehr viele Obdachlose (SDF) und Flüchtlinge, die auf den Seinekais ihre Zelte aufgeschlagen haben oder in Verschlägen hausen. Da ist es gut möglich, dass einige von der schnell ansteigenden Flut überrascht wurden – zumal das Ausmaß des Hochwassers und seine Dynamik von den Experten eher unterschätzt wurden.
Aber größere Schäden blieben bei dieser Flut (toi,toi,toi!) aus. Und bei 6,10 Metern Höchststand des Wassers kann man zwar ein außergewöhnliches Naturschauspiel erleben, ohne aber selbst nasse Füße zu bekommen. 1955 stand das Wasser der Seine noch einen Meter höher, 1910 bei dem „Jahrhunderthochwasser“ sogar zweieinhalb Meter höher. Da erreichte es genau 8,62 Meter, so dass große Teile von Paris unter Wasser standen und natürlich auch ein großer Teil der Metro-Schächte. An der Markierung auf der Ile St. Louis kann man sich eine Vorstellung vom Ausmaß der damaligen Katastrophe machen. Jetzt konnte ich an dieser Stelle aus sicherer Höhe den Strudel auf dem überschwemmten Kai fotografieren…
Eine sehr anschauliche Übersicht über die Hochwasserstände der Seine findet sich übrigens am Porte de plaisance de l’Arsenal, kurz bevor es über die Schleuse zur Seine geht.
Die Markierung ganz oben bezeichnet das Jahrhunderthochwasser von 1910. Für die Hochwasser von 2016 und 2018 gibt es noch keine Markierungen – sie würden sich ziemlich weit unten befinden- zwischen den beiden unteren Markierungen… Also gerade im historischen Vergleich kein dramatisches Ereignis. Umso besser.
Außergewöhnlich war allerdings, wie lange es 2018 gedauert hat, bis nach dem Höhepunkt des Pegelstandes Ende Januar wieder ein Normalzustand hergestellt war. Wochenlang waren die beiden Tiefkais der Seine gesperrt und an Seine-Rundfahrten war nicht zu denken. Also vielleicht tatsächlich ein bedenklicher Vorbote dessen, was Paris bei dem weiteren Klimawandel erwartet.
Die nachfolgenden Fotos wurden Ende Februar 2018 aufgenommen. Auf den berges de la Seine, wo jetzt immer noch das Wasser steht, kann man sonst laufen, Rad fahren oder sich in die Sonne legen….
Die Möwen haben es allerdings gut bei dem Hochwasser und die Kormorane offsichtlich auch: Sonst haben wir die im Stadtgebiet von Paris noch nie gesehen. Aber in den seichten Überschwemmungszonen ist ihre Jagd besonders vielversprechend.
Zufrieden sind auch die Angler. Auch sie haben es auf die Fische in den Überschwemmungszogen abgesehen. Allerdings sind sie gegenüber den Kormoranen im Nachteil, denn bei dem kalten Wetter beißen die Fische eher selten an. Den alten Herrn störte das allerdings nicht. Er verbringe hier einen schönen ruhigen Nachmittag und da sei er zufrieden, auch wenn er keinen Fisch zum Abendessen mitbringe…
Und dann gibt es auch, wenn das Hochwasser wieder etwas zurückgegangen ist, ruhige Plätzchen an der Seine, wie hier in der Nähe des Pont Neuf….
Anmerkungen
(1) Zur Bedeutung und Geschichte des Zuaven:
Dieser Artikel des Figaro wurde im Januar 2018 anlässlich des erneuten Seine-Hochwassers noch einmal in aktualisierter Form ins Netz gestellt
(2) http://www.lemonde.fr/climat/article/2018/01/25/inondations-pas-de-repit-la-seine-de-plus-en-plus-haute-a-paris_5246640_1652612.html