Im ersten Teil des Beitrags über die Schokoladenfabrik Menier standen die außerordentlich formschöne, moderne und repräsentative Architektur der Fabrik und die Anlage der Arbeitersiedlung in Noisiel an der Marne im Mittelpunkt.
Im nachfolgenden Beitrag geht es um die Bauten der Familiendynastie in Paris: Die Stadtvilla (hôtel particulier) des Émile Justin Menier und die seiner Söhne Henri und Gaston Menier im 8. Arrondissement von Paris sowie die Grabkapelle der Familie auf dem Père Lachaise. Die Villen der Meniers befanden sich nicht zufällig alle im Umkreis des Park Monceau: Gerade zu der Zeit, als die Schokoladenfabrik von Noisiel ihre grandiose Expansion vollzog, erhielt der Park seine heutige Form und Noblesse. Als nämlich 1860 das alte Dorf Monceau nach Paris eingemeindet wurde, wurde der weitläufige, am Ende des 18. Jahrhunderts angelegte Park des Philippe Égalité, die folie des duc de Chartres, aufgeteilt: Einen Teil gestaltete der Gartenarchitekt Adolphe Alphand um, der im Zuge der Haussmannschen Stadterneuerung unter Napoleon III. auch andere Parks in Paris neu anlegte.[1] Unter seiner Leitung entstand ein Park, der mit vielen alten und neuen Attraktionen versehen war wie die korinthische Säulenreihe aus einer Anfang des 18. Jahrhunderts zerstörten Kirche von St. Denis, die sogenannte Naumachie…
… oder die von Claude Nicolas Ledoux erbaute Rotonde am nördlichen Parkeingang, die sogenannte Barrière de Chartres, Teil der alten die Stadt umgebenden Zollmauer, der mur des Fermiers généraux.[2]
So entstand « la promenade la plus luxueuse et en mêmetemps la plus élégante de Paris“ wie der Baron Haussmann in seinen Memoiren rühmte; [3] eine promenade, die Claude Monet 1876 zu drei Bildern anregte…[4]
… und eine Parkidylle, in der sich ein halbes Jahrhundert später Kurt Tucholsky von seinem krisengeschüttelten Vaterland ausruhte.[5]:
Kurt Tucholsky: Park Monceau
Hier ist es hübsch. Hier kann ich ruhig träumen.
Hier bin ich Mensch – und nicht nur Zivilist.
Hier darf ich links gehn. Unter grünen Bäumen
sagt keine Tafel, was verboten ist.
Hier ist es hübsch. Hier kann ich ruhig träumen.
Hier bin ich Mensch – und nicht nur Zivilist.
Hier darf ich links gehn. Unter grünen Bäumen
sagt keine Tafel, was verboten ist.
Ein dicker Kullerball liegt auf dem Rasen.
Ein Vogel zupft an einem hellen Blatt.
Ein kleiner Junge gräbt sich in der Nasen
und freut sich, wenn er was gefunden hat.
Es prüfen vier Amerikanerinnen,
ob Cook auch recht hat und hier Bäume stehn.
Paris von außen und Paris von innen:
sie sehen nichts und müssen alles sehn.
Die Kinder lärmen auf den bunten Steinen.
Die Sonne scheint und glitzert auf ein Haus.
Ich sitze still und lasse mich bescheinen
und ruh von meinem Vaterlande aus.
Die andere Hälfte des früheren Parks wurde an die Brüder Pereire verkauft, reiche Bankiers, die damit ein groß angelegtes, spekulatives Immobilienprojekt aufzogen: Nach Malern benannte Straßen wurden angelegt und monumentale vergoldete Zugänge, die selbst einem Schloss des Sonnenkönigs Ehre machen würden.
Die großen Baugrundstücke kaufte vor allem die jüdische Großbourgeoisie des zweiten Kaiserreichs, um dort luxuriöse Stadtpalais zu errichten: Die Rothschilds, Cerrnuschis, Camondos, Ephrussis, aber auch die Meniers.
Das Hôtel Menier
Hat man im Süden des Parks in der avenue Van-Dyck eines der goldenen Tore durchschritten, sieht man auf der linken Seite das hôtel particulier des Émile Justin Menier. Es handelt sich, wie man lesen kann, „zweifellos“ um die außerordentlichste Villa des Parks, „véritable anthologie d’art décoratif“.[6] Bemerkenswert ist zunächst der Zeitpunkt des Baus. Es sind nämlich erst die Jahre 1872 bis 1874, während die Umgestaltung des Parks und die Bebauung seiner Umgebung und vermutlich wohl auch der Kauf eines „Filetstücks“ durch die Meniers schon auf die 1860-er Jahre zurückgeht. Inzwischen war Napoleon III. gestürzt und ins Exil „ab nach Kassel“ expediert worden; Frankreich war zur Republik geworden; die Erschießungskommandos der siegreichen Versailler waren wieder abgezogen, die in dem Park die massenhaften Todesurteile gegen die aufständischen Kommunarden exekutiert hatten; Frankreich war im Vertrag von Frankfurt zu hohen Kriegsentschädigungen verpflichtet worden, die gerne mit den Reparationen des Vertrags von Versailles verglichen werden… Und in dieser Zeit der Umbrüche lassen die Meniers ihr grandioses Palais errichten: Architektur als politisches und ökonomisches Manifest: Auch unter der neuen Republik geht das Leben weiter und rollt auch –gewissermaßen- der Rubel, business as usual…
Bemerkenswert ist auch die Wahl des Architekten: Es ist Henri Parent, der Pariser Hausarchitekt der Meniers. Parent hatte sich im zweiten Kaiserreich Napoleons III. einen Namen gemacht durch die Erneuerung von Adelspalästen der französischen Aristokratie. Er hatte zwar knapp den Wettbewerb um den Neubau der Pariser Oper –zugunsten seines Kollegen Garnier- verloren, dafür aber andere prestigeträchtige Aufträge erhalten wie den Bau eines Palais für die Kunstsammlung Jacquemart-André. Wie dort orientierte sich Parent auch beim hôtel Menier an traditionellen Vorbildern, vor allem dem flämischen Barock.[7]
Das Palais ist inzwischen in Eigentumswohnungen aufgeteilt und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Von der Straße aus kann man immerhin einen Blick in einen Teil des Hofs und auf die dem Hof zugewandte Fassade mit der ausladenden Rotunde werfen. Die repräsentative Freitreppe allerdings kann man von außen nicht sehen.[8]
Auffällig ist schon hier der reiche Fassadenschmuck, den auch die dem Park zugewandte Schauseite aufweist.
Denn anders als in vielen klassischen Pariser Stadtvillen, deren Reichtum sich erst erschließt, wenn man den an einer Straße gelegenen und im Allgemeinen verschlossenen Eingang durchquert hat, ist die Schauseite hier vom Park aus und damit für die Besucher des Parks sichtbar. Der Reichtum der Besitzer wird nicht versteckt, sondern stolz präsentiert. Und der öffentliche Park verleiht dem privaten Besitz zusätzliche Weite und Großzügigkeit, wie ja auch umgekehrt der Park und seine Besucher von der Noblesse der umgebenden Architektur profitieren. Gehörte zu den klassischen hôtels particuliers der eigene, abgeschlossene Garten, so war hier gewissermaßen der öffentliche Park der Garten des hôtel Menier und der anderen an den Park grenzenden Villen.
Der reiche Fassadenschmuck mit mascarons, Tierköpfen und Vasen ist das Werk des Bildhauers Jules Dalou. Dalou, ein Freund Rodins, war in den letzten Jahren des zweiten Kaiserreichs eJulin von der Aristokratie äußerst geschätzter Bildhauer. Unter anderem war er beteiligt an der Ausstattung des von dem schlesischen Kohlenbaron Guido Henckel von Donnersmarck für seine Geliebte und Frau, die Gräfin Païva, auf den Champs-Elysées errichteten Märchenschlosses.[9] 1871 allerdings wurde er wegen „participation à l’insurrection“ zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt. Er war nämlich Kommandeur einer Einheit der Nationalgarde gewesen und dann, auf Bitten von Courbet, die Aufgabe übernommen, als stellvertretender Direktor des Louvre für die Sicherheit und Unversehrtheit der Bestände des Museums zu sorgen. Dalou konnte aber rechtzeitig nach England fliehen, wo er weiter als Bildhauer arbeiten konnte, bevor er 1879 mit der damals beschlossenen Amnestie für die verurteilten Kommunarden wieder nach Paris zurückkehrte und zum großen Bildhauer der Republik wurde.[10]
Dass der geächtete Dalou von Paris aus beauftragt wurde, den Fassadenschmuck zu entwerfen, ist kaum vorstellbar. Ich vermute also, dass seine Zeichnungen (wie der Entwurf des Baus insgesamt) schon vor der Zeitenwende von 1870/71 entstanden sind. Es erscheint mir aber trotzdem bemerkenswert, dass ein repräsentatives Gebäude wie das der Meniers mit dem Fassadenschmuck eines Geächteten ausgestattet wurde. Ökonomische Gründe können dafür kaum eine Rolle gespielt haben. Ich denke, dass es sich eher um ein politisches Signal handelt: Dass die vom Bürgerkrieg geschlagenen Wunden geheilt werden sollen und die republikanische Familie wieder geeint werde. Aber später mehr zum politischen Engagement des Émile Justin Menier.
Hôtel Henri Menier
Auch zwei der Söhne von Émile Justin Menier, Henri und Gaston, ließen sich repräsentative Stadtpalais in der Umgebung des Park Monceau bauen und engagierten dafür auch Henri Parent, den Architekten ihres Vaters. Für das 1880 errichtete Hôtel Henri Menier orientiere er sich am Stil der französischen Renaissance.
Das Gebäude ist um einen zentralen Hof gruppiert, dessen Fassaden zum Teil ebenfalls im Stil der Neo-Renaissance gestaltet sind, sich zum Teil aber auch an mittelalterlichen Vorbildern orientieren.
Innen gab es eine große repräsentative Treppe und einen Ballsaal mit 12 Metern Deckenhöhe. In einem Teil des Anwesens richtete Henri Menier ein Laboratorium für seine chemischen Versuche ein, was die Anwohner etwas beunruhigte.
Wie beim Hôtel particulier seines Vaters ist die rückwärtige, auch im Stil der Neo-Renaissance gehaltene Fassade des Baus dem Park Monceau zugewandt. Die oberste Etage ist eine spätere Zutat.
Heute ist In dem Gebäude das Conservatoire internationale de musique de Paris untergebracht.[11]
Hôtel Henri Menier
8, rue Alfred de Vigny
75008 Paris
Hôtel Gaston Menier
1878 kaufte Gaston Menier das Stadtpalais des aus dem Elsass stammenden Textilindustriellen Georges Michel Koechlin. Es handelte sich um ein Gebäude mit Fassade aus Backsteinen und Kalksteinquadern, wie das für die französische Renaissance zur Zeit Heinrichs IV. üblich war (siehe die place des Vosges oder die Place Dauphine in Paris).
Passend zum Gebäude der Fassadenschmuck mit dem durchlaufenden Fries….
… und den Greifen über dem Portal.
Das Innere und die den Hof umgebenden Gebäude entsprachen allerdings nicht dem Geschmack und dem Repräsentationsbedürfnis des neuen Besitzers. Also ließt er von Henri Parent erhebliche Veränderungen vornehmen. So wurden die übernommenen Wirtschaftsgebäude abgerissen und durch Neubauten in einer normannisch-maurischen Stilmischung ersetzt.[12]
Dort war Platz für 5 Kutschen, 12 Pferde und darüber für einen großen Theater- und Ballsaal, „le théâtre des folies Ruysdaël“, in dem Komödien und Operetten aufgeführt wurden.
Seit 1953 ist das Gebäude Sitz des „Ordre National des Pharmaciens“.
Hôtel Gaston Menier
4 avenue Ruysdaël
75008 Paris
Das Grab des Émile Justin Menier auf dem Père Lachaise
Das Repräsentationsbedürfnis der Meniers wird nicht nur in den Fabrikbauten von Noisiel und den Stadtpalais rund um den Parc Monceau deutlich, sondern auch auf dem Grab der Familie. Da gibt es zunächst ein bescheidenes, unauffälliges für den Gründer der Firma, Brutus Menier in der 36. Division. Als aber 1881 sein Sohn Émile Justin Menier, starb, erschien der Familie dieses Grab nicht mehr der Bedeutung der Familie und ihres Unternehmens angemessen. Also wurde nach dem Tod Émile Justins ein großes, unübersehbares Mausoleum in der 67. Division des Friedhofs Père Lachaise errichtet- eines der repräsentativsten des Friedhofs. Nach Fertigstellung des Mausoleums wurde 1887 der Leichnam des Émile Justin aus dem Grabmal des Vaters dorthin überführt.[13]
Mit dem Bau des Mausoleums beauftragt wurde der Hausarchitekt der Meniers, Henri Parent, der sich -wie damals in Frankreich üblich- auch dort verewigen ließ.
Über der mit Kakaoblüten verzierten Tür aus Bronze befindet sich eine Marmor-Büste des verstorbenen Fabrikherrn, daneben in von Putten gehaltenen bekränzten Wappenschilden die obligatorischen Ms.
Der Eingang wird eingerahmt von der Allegorie des Handels, die in der linken Hand ein Buch mit der Aufschrift „travail“ /Arbeit hält.
Die Frauengestalt auf der rechten Seite des Eingangs verkörpert die Industrie. In der einen Hand trägt sie eine Palme und einen Efeukranz, in der anderen Hand eine Pergamentrolle mit der (verwitterten) Aufschrift „bienfaisance, instruction“/Wohltätigkeit, Unterrichtung. Damit war der Kern der paternalistischen Ideologie der Meniers auf den Punkt gebracht.
Das sozialreformerische Engagement Meniers
In de Nachrufen der zeitgenössischen Presse waren alle Topoi dieses Paternalismus versammelt: Neben der leidgeprüften Familie betrauere in Noisiel auch noch eine andere große Familie den Verstorbenen. Der sei mitten aus seinem arbeitsreichen Leben und seinen grandiosen Schöpfungen gerissen worden, ein genialer Erfinder, der den Namen Menier zu einem der berühmten Namen Frankreichs gemacht habe. Die Aufbarung des Leichnams in Nosiel sei ein tief beeindruckendes Schauspiel gewesen: Alle Arbeiter, denen er so viel Gutes getan habe, hätten den Sarg begleitet und nicht von ihm ablassen wollen. Die Frauen hätten viele Tränen vergossen. „Monsier Menier war ein wahrer Menschenfreund; er liebte es, auf alle nur mögliche Weise Gutes zu tun.“[14]
Dass Émile Justin Menier hier gerühmt wird – zumal aus Anlass seines Todes- hat durchaus seine Berechtigung. Man muss ja nicht, wie Bernard Marrey in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1984 von einem „idealen Kapitalismus“ sprechen, aber die Arbeiter, die bei den Meniers beschäftigt waren, hatten erhebliche Vergünstigungen: Die kostenlose Schulbildung für die Kinder –noch vor Einführung der Schulpflicht in Frankreich- , die günstigen Siedlungshäuser, die Kantinen für allein stehende Arbeiter, die kostenlose medizinische und auch die materielle Versorgung in Krankheitsfällen sowie die Altersvorsorge in einer Zeit, in der es noch (lange) keine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung in Frankreich gab. Auf der Pariser Weltausstellung von 1867 wurde ausdrücklich die soziale Situation der Arbeiter von Noisiel begrüßt. Das soziale Engagement Meniers war beeinflusst von den Ideen des im Kaiserreich Napoleons III. einflussreichen Sozialreformers Le Play. Der propagierte in der von ihm gegründeten Société internationale des études pratiques d’économie sociale eine „politique patronale“, deren Ziel die soziale Harmonie zwischen Unternehmer und Arbeitern war. Der Fabrikherr sollte wie ein Vater für seine Arbeiter sorgen, das Unternehmen eine große Familie sein. Émile Menier war Mitglied dieser Gesellschaft und man hat sein Wirken als „parfait exemple de l’économie sociale leplaysienne“ bezeichnet. [15]
Standbild Le Plays im Jardin du Luxembourg in Paris
Menier hat sich als „patron philanthrope“ [16] ganz gezielt in Szene gesetzt. So wie er seine Produkte mit großer Systematik vermarktete, so auch sein Bild in der öffentlichen Wahrnehmung. In Noisiel wurden in den 1870- er Jahren zahlreiche Feste mit den Arbeitern, ihren Frauen und Kindern veranstaltet. Sie sollten ihnen die Gelegenheit geben, ihre Dankbarkeit für das soziale Wirken des Fabrikherrn öffentlich kund zu tun. 1876 fand ein großes Fest mit 650 Mitgliedern der „Menier-Familie“ statt. Dort trat ein 13-jähriges Mädchen auf, das mit lauter Stimm den Dank der Schüler/innen der von Menier gegründeten Schule vortrug:
« Madame et Monsieur Menier, chers bienfaiteurs, Laissez-nous vous remercier pour cette instruction que nous vous devrons et qui rendra plus faciles nos pas dans la vie. Pour les pauvres gens, l’instruction est difficile à acquérir parce qu’elle coûte cher. Eh bien vous avez pris soin de dispenser nos parents de toutes dépenses à ce sujet, vous nous avez tout donné jusqu’au papier, aux plumes, aux crayons. Aussi croyez à notre reconnaissance et soyez sûrs que chaque année nous nous efforcerons de nous rendre dignes de tous les sacrifices que, sans compter, vous avez voulu faire pour nous“ [17]
Zu dem Fest von 1876 waren aber nicht nur die Betriebsangehörigen und ihre Familien eingeladen, sondern auch Abgeordnete der Nationalversammlung, Senatoren, Gemeinderäte und Journalisten – einem davon verdankt man ja auch die Wiedergabe der gerade zitierten Dankesrede. Meniers Selbstinszenierung diente also, das wird daran deutlich, nicht nur dazu, seine Arbeiter an die Firma und ihren Patron zu binden, sondern dahinter stand auch ein politischer Zweck. Die „Opfer“, die der als „Wohltäter“ gerühmte Menier nach den Worten der Schülerin, „ohne Berechnung“ für die Schüler/innen (und insgesamt für die Fabrikangehörigen) brachte, waren doch nicht ganz selbstlos. Menier strebte nämlich in diesen Jahren gezielt eine politische Karriere an, wofür ihm Noisiel gewissermaßen als Basis und Aushängeschild diente. Tatsächlich wurde er auch bei den Wahlen vom 20. Februar 1876 zum Abgeordneten der Nationalversammlung für seinen Wahlkreis Seine-et-Marne gewählt.
Dass ein erfolgreicher Unternehmer sich ganz direkt politisch engagierte, entsprach nicht der verbreiteten Erwartungshaltung, für die die Rolle als Hinterzimmer- oder Salon-Lobbyist angemessen gewesen wäre. Noch erstaunlicher war allerdings, dass sich Menier nicht, wie es von seinem Status und seinem Vermögen zu erwarten gewesen wäre, auf Seiten der politischen Rechten engagierte, sondern ganz im Gegenteil auf Seiten der republikanischen Linken.
Ein besonderes Anliegen war für ihn eine umfassende Reform des noch aus dem ersten Kaiserreich Napoleons stammenden Steuersystems, das er für ungerecht und wirtschaftlich verfehlt hielt. Die arbeitende Bevölkerung –und damit natürlich auch oder vor allem die Unternehmer- sollte entlastet, dafür aber sollten der Kapitalbesitz und damit die von den Romanen Balzacs so bekannte Spezies der Spekulanten und der von ihren Kapitalerträgen lebenden Rentiers besteuert werden. Als engagierter Republikaner vertrat Menier auch das Prinzip der Laizität, das ja, wie im ersten Teil des Beitrags gezeigt wurde, auch in der Konzeption der cité ouvrière von Noisiel deutlich wird, wo die Kirche nicht im Zentrum steht, sondern an den Rand der Siedlung platziert war. Bemerkenswert ist auch seine pazifistische Devise: Si vis pacem, para pacem (18) – also die Umkehr der klassischen römischen Devise: Si vis pacem, para bellum bzw. des Si vis bellum, para bellum, also der insgeheimen Devise all derer, die die –wie anders als kriegerische?- Rückgewinnung des 1871 verlorenen Elsass-Lothringens erstrebten und ideologisch, politisch und materiell vorbereiteten. Und bemerkenswert ist auch das Engagement Meniers für eine Amnestie für die verurteilten und für die ins Ausland geflüchteten Mitglieder und Sympathisanten der Commune, womit er sich ja immerhin in bester Gesellschaft -beispielsweise der Victor Hugos- befand. Immerhin konnte er ein Jahr vor seinem Tod die nach mehreren vergeblichen Anläufen am 11. Juli 1880 von der Nationalversammlung verabschiedete Amnestie für die Kommunarden noch miterleben. Insofern seien ihm sein Denkmal auf dem zentralen Platz der Arbeitersiedlung von Noisiel und sein Mausoleum auf dem Père Lachaise gegönnt….
Anmerkungen
[1] So auch den Park Buttes-Chaumont. Siehe dazu den Blogbeitrag über „Neues Leben auf alten Steinbrüchen“ https://paris-blog.org/2017/05/01/neues-leben-auf-alten-steinbruechen-der-park-buttes-chaumont-und-das-quartier-de-la-mouzaia/
[2] Zu dieser Zollmauer und dem Architekten Ledoux ist ein weiterer Blog-Beitrag geplant.
[3] https://www.napoleon.org/magazine/lieux/parc-monceau-paris/
[4] Bild aus: https://commons.wikimedia.org
[5] Unter dem Pseudonym Theobald Tiger in der Weltbühne vom 15.5. 1924
[6] http://artetpatrimoinepharmaceutique.fr/Qui-sommes-nous/p69/La-Famille-Menier-au-Parc-Monceau
[7] Siehe: Guide du promeneur 8e arrondissement, Philippe Sorel, Parigramme, 1995.
[8] Rechtes Bild aus: http://www.paris-promeneurs.com/Patrimoine-ancien/L-hotel-Menier
[9]Siehe den Blog-Beitrag: Das Hôtel Païva, ein deutsch-französisches Märchenschloss auf den Champs-Elysées. https://paris-blog.org/2016/04/16/das-hotel-paiva-ein-deutsch-franzoesisches-maerchenschloss-auf-den-champs-elysees/
[10] Siehe den Blog-Beitrag: Bürgerkrieg in Frankreich. Ein Rundgang auf dem Friedhof Père Lachaise auf den Spuren der Commune. https://paris-blog.org/2016/08/13/der-buergerkrieg-in-frankreich-1871-ein-rundgang-auf-dem-friedhof-pere-lachaise-in-paris-auf-den-spuren-der-commune/
[11] http://www.paristoric.com/index.php/paris-d-hier/hotels-particuliers/hotels-particuliers-tous/2846-l-hotel-d-henri-menier
Bild aus: http://www.paris-promeneurs.com/Patrimoine-ancien/L-hotel-Henri-Menier-Conservatoire
[12] Bild aus:: http://paris-promeneurs.com/Patrimoine-ancien/L-hotel-Gaston-Menier-Ordre
[13] https://www.tombes-sepultures.com/crbst_1543.html
und entsprechend: http://pone.lateb.pagesperso-orange.fr/pere-lachaise.htm
[14] Zitiert in: https://www.cairn.info/revue-politix-2008-4-page-9.htm (M. Menier fut un vrai philanthrope ; il aimait à faire le bien sous toutes ses formes)
[15] https://www.cairn.info/revue-politix-2008-4-page-9.htm
Das nachfolgende Bild aus: https://travelswithmaryellen.wordpress.com/2014/10/08/paris-lovely-luxembourg-garden/statue-of-pierre-guillaume-frederic-le-play-in-jardin-du-luxembourg-in-paris-france/
[16] http://www.agglo-pvm.fr/cite-ouvriere-menier/
[17] Zitiert von Delalande, Émile-Justin Menier, un chocolatier en République. https://www.cairn.info/revue-politix-2008-4-page-9.htm#
(18) zitiert bei Marrey, S. 38
Zum Weiterlesen:
Usine Menier, l’empire du chocolat. Aus: Détours en France, 40 lieux à visiter pour redécouvrir le patrimoine, 2012 https://www.detoursenfrance.fr/patrimoine/patrimoine-industriel/usine-menier-lempire-du-chocolat-3794
Nicolas Delalande, Émile-Justin Menier, un chocolatier en République. Les controverses sur la légitimité de la compétence politique d’un industriel dans la France des années 1870 In: Politix 2008/4 (n° 84), Seiten 9 bis 33 https://www.cairn.info/revue-politix-2008-4-page-9.htm#
Saga Menier http://www.prodimarques.com/sagas_marques/menier/menier.php
Bernard Marrey, Un capitalisme idéal. Paris 1984. https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k33218888/f30.image.texteImage
Weitere Blogbeiträge mit Bezug zum Père Lachaise:
- Paris begeht den 100. Jahrestag des Waffenstillstands vom 11. November 1918 (Das Monument aux Morts an der Friedhofsmauer des Père Lachaise) https://paris-blog.org/2018/11/11/paris-11-november-2018-paris-begeht-den-100-jahrestag-des-waffenstillstands-november-2018/
- Das Grabmal Ludwig Börnes auf dem Père Lachaise in Paris: Eine hommage an den Vorkämpfer der deutsch-französischen Verständigung https://paris-blog.org/2018/07/10/das-grabmal-ludwig-boernes-auf-dem-pere-lachaise-in-paris-eine-hommage-an-den-vorkaempfer-der-deutsch-franzoesischen-verstaendigung/
- Hector Guimard in Paris (2): Die Synagoge in der rue Pavée und das Grabmal auf dem Père Lachaise https://paris-blog.org/2018/03/01/hector-guimard-in-paris-2-die-synagoge-in-der-rue-pavee-4-arrondissement-und-das-grabmal-auf-dem-pere-lachaise-20-arrondissement/
- Die Erinnerung an Sklavenhandel und Sklaverei: Der schwierige Umgang mit einem düsteren Kapitel der französischen Vergangenheit (Das Grabmal des Generals Gobert von David d’Angers) https://paris-blog.org/2017/11/01/der-schwierige-umgang-mit-einem-duesteren-kapitel-der-franzoesischen-vergangenheit-die-erinnerung-an-sklavenhandel-und-sklaverei/
- Der Bürgerkrieg in Frankreich. Ein Rundgang auf dem Friedhof Père Lachaise auf den Spuren der Commune. https://paris-blog.org/2016/08/13/der-buergerkrieg-in-frankreich-1871-ein-rundgang-auf-dem-friedhof-pere-lachaise-in-paris-auf-den-spuren-der-commune/
- Pariser Erinnerungsorte an den Holocaust: Der Friedhof Père Lachaise (Die Denkmäler für die Opfer der nationalsozialistischen Konzentrationslager): https://paris-blog.org/2020/01/27/pariser-erinnerungsorte-an-den-holocaust-der-friedhof-pere-lachaise/
Weitere geplante Beiträge:
- Aux Belles Poules. Ein früheres Bordell im Quartier Saint Denis
- Die Petite Ceinture, die ehemalige Ringbahn um Paris (1): Kinder und Kohl statt Kohle und Kanonen
- Die Petite Ceinture (2): Die „Rückeroberung“ der ehemaligen Ringbahntrasse
- „Les enfants de Paris“: Pariser Erinnerungstafeln/plaques commémoratives zur Zeit 1939-1945
- La Butte aux Cailles, ein kleinstädtisches Idyll in Paris