Wimmelbild und Suchspiel: Das offizielle Olympiaplakat Paris 2024.  Was zu sehen ist und was nicht….

Anfang März 2024 präsentierte das Organisationskomitee das offizielle Plakat für die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 in Paris.

Im März wurden die beiden Hälften des Plakats -jeweils kurz und alternierend mit anderer Werbung- auf Plakatwänden der Stadt präsentiert.

Die linke Seite bezieht sich auf die Olympischen Spiele (26. Juli bis 11. August),  die rechte -hier gerade auf der Plakatwand zu sehen- auf die Paralympischen Spiele (28. August bis 8. September). Es handelt sich um eine „poetisch-futuristische Darstellung“ (Libération) mit etwa 40 000 Figuren und 47 Wettbewerben, also, ganz anders als die bisherigen offiziellen Olympiaplakate, um ein echtes Wimmelbild.[1]  

Unschwer zu erkennen ist das olympische Logo, und zwar gleich zweimal: auf der linken, olympischen, wie auf der rechten, paralympischen Seite.

Ganz deutlich in der Mitte des Plakats ist auch das olympische Maskottchen zu erkennen.

Es heißt Phryge, in Anlehnung an die phrygischen Mützen aus der Zeit der Französischen Revolution, denen das Maskottchen nachempfunden ist. Die phrygische Mütze gehört zu den Symbolen der Französischen Republik, auch Marianne trägt eine. So sollen Name und Design des blau-weiß-roten Maskottchens mit seinen Sportschuhen das sportbegeisterte Frankreich und seine Spiele repräsentieren.[2]

Das rote Maskottchen ist passender Weise über dem Obelisken auf der place de la Concorde positioniert, wo der letzte französische König Ludwig XVI. und seine Frau Marie-Antoinette guillotiniert wurden… Soll das an die Köpfe enthaupteter tatsächlicher oder angeblicher Feinde der Republik erinnern, die während der Französischen Revolution auf Piken aufgespießt  und triumphierend durch die Straßen getragen wurden? Wohl kaum! Das würde doch nicht zu dem unbeschwerten olympischen Jahrmarktstreiben des Plakats passen. Honni soit, qui mal y pense… Auf der place de la Concorde ist eine große Zuschauertribüne aufgebaut: Auf dem Platz werden ja mehrere neue olympische Straßensportarten ausgetragen: Breakdance, BMX, Skateboard, 3×3-Basketball 

Die olympische Flamme selbst fehlt noch auf dem Plakat. Denn wo die nach dem Fackellauf durch Frankreich letztendlich aufgestellt werden soll, ist noch nicht bekannt. Thomas Bach, der Präsident des IOC, hat in einem Interview mit Le Monde (19.3.2024) versichert, es werde sich um einen würdigen und bedeutsamen Platz handeln, aber den wolle/könne er noch nicht verraten.  Also ist auf dem Plakat nur eine noch nicht erleuchtete Fackel zu sehen. Sie ist im Hafen von Marseille postiert, wo sie am 8. Mai ankommen und dann einen Parcours durch ganz Frankreich bis nach Paris absolvieren wird.

Über den Hafen und die Fackel fliegt die Patrouille Frankreichs – hier allerdings nur mit 8 statt der obligatorischen 9 Flugzeuge. Es gehört zur Tradtion des französischen Nationalfeiertags, dass am 14. Juli diese Formation die Champs-Élysées überfliegt, die französischen Nationalfarben hinter sich hierziehend. Die gibt es allerdings hier nicht. (Dazu später mehr).

Neben dem Obelisken sind auch andere prominente Bauwerke und Wahrzeichen von Paris zu sehen: Natürlich der Eiffelturm, inmitten des Karussell-ähnlichen Stade de France, des Olympiastadions….

…. darüber der Trocadero-Platz, auf dem die Eröffnungszeremonie der Spiele enden wird.

Mitten auf dem Platz eine hochgereckte Hand mit den olympischen Medaillen.

Rechts oben der Arc de Triomphe, auf dem gerade im Rahmen der paralympischen Spiele ein Tennisspiel von Rollstuhlfahrern stattfindet und durch den gerade ein Metro-Zug fährt…

… rechts unten das in den letzten Jahren für die Olympischen Spiele aufwändig restaurierte Grand Palais

Links unten der (ebenfalls frei gestaltete) pont Alexandre III., an dem -coûte que coûte-  die Freiwasser-Schwimmwettbewerbe starten sollen und das Triathlon-Schwimmen. Einen Plan B bei zu großer Wasserverschmutzung gibt es jedenfalls nicht ..[3] Auch Ruderboote sind hier zu sehen– obwohl die Ruderwettbewerbe natürlich nicht auf der Seine ausgetragen werden, sondern im Stade nautique von Vaires-sur-Marne. Der pont Alexandre ist übrigens voll mit Menschen, konkret Läufern. Das ist ein Hinweis auf den für den 10. August geplanten Volksmarathon, der genau auf dem Kurs des olympischen Marathons stattfinden wird.[4]

…. links oben der Invalidendom (zu dem später mehr): Also eine kleine Auswahl illustrer Pariser Sehenswürdigkeiten.

Aber es gibt auch kleine, wenn auch kaum weniger bedeutende Sehenswürdigkeiten auf dem Plakat. So links unterhalb des Grand Palais einen der vielen grünen Wallace-Brunnen, die in Paris seit den 1870-er Jahren kostenloses Trinkwasser spenden. Auf dem Plakat ist er allerdings überdimensioniert, damit man ihn auf dem Wimmelbild überhaupt wahrnehmen kann.

Dazu sind  47 olympische und paralympische Sportarten berücksichtigt worden. Hier eine kleine Auswahl:

Das Klettern

Die Reitwettbewerbe. Die  finden im Schlosspark von Versailles statt, der hier durch die charakteristische Parterre-Gestaltung entsprechend angedeutet ist.

Fußball und zwei Fechter im Rollstuhl auf dem Dach des Grand Palais. Die Fechtwettbewerbe der Olympiade werden zwar nicht auf, aber unter der Kuppel dort ausgetragen.

Boxer und Volleyball unter bzw. neben dem Eiffelturm. Der Ring der Boxer hängt übrigens an  Seilen in der Luft, vermutlich ein Hinweis auf die Seile, die den Boxring umgeben.[5]

Auf dem Dach der Metro, die gerade unter dem Arc de Triomphe durchfährt, findet ein Judo-Wettkampf statt. Der Ort passt sehr gut, weil diese Disziplin für Frankreich sehr medaillenträchtig ist…

Die Surfwettbewerbe finden in Tahiti statt, wo es eine „der schönsten und besten Wellen der Welt“ gibt, die hier eindrucksvoll anrollt.[6]

Entworfen hat das Plakat Ugo Gattoni, der seinen Namen, begleitet von einem Maskottchen, auf einer Aussichtsplattform über dem bunten olympischen Jahrmarktstreiben platziert hat. Getragen wird die Plattform übrigens von einer an ihrer phrygischen Mütze erkennbaren Marianne, dem Symbol Frankreichs.[7]

Bekannt geworden ist Gattoni durch seine quadratischen, seidenen und sehr teuren Hermès-Tücher (les carrés d’Hermès) wie zum Beispiel das Tuch Hippopolis, auf dem auch das Hermès-Logo abgebildet ist.

Gattoni hat seine Arbeiten so beschrieben: „ziemlich realistische Darstellungen in einem surrealistischen Universum“. Das gilt für die Hermès-Tücher und auch für das Olympiaplakat. Und immer sind die Darstellungen so vielfältig, dass der Betrachter zum Promenieren und Erkunden eingeladen wird. [8] Das Olympia-Plakat mit seinen Pariser Sehenswürdigkeiten und 47 Sportarten bietet sich geradezu für ein Suchspiel an. Darauf wurde anlässlich seiner Präsentation denn auch öfters hingewiesen. Das Stichwort dazu: Où est Charly? (deutsche Version: Wo ist Walter?)[9] Das ist eine Serie von Heften mit Wimmelbildern, auf denen jeweils ein Weltenbummler namens Charlie/Walter gefunden werden muss. Auf dem Olympia-Plakat wird man den allerdings nicht finden. Aber auf die Suche nach den über das Plakat verteilten acht Maskottchen kann man durchaus gehen.  Und für das Suchspiel Ich seh‘ etwas, was du nicht siehst eignet sich das Plakat ebenfalls- jedenfalls in seiner Version als Poster – die beiden Teile zu je 29 Euro…. Eine farblose Version zum Ausmalen ist auch im Angebot, und ein -vielfach angeregtes- Puzzle wird es sicherlich bald geben.

Der Öffentlichkeit vorgestellt wurde das Plakat im Musée d’Orsay. Die Botschaft: Es handelt sich um ein Kunstwerk, das entsprechend eingeordnet werden soll: Der hochrenommierte Sender France-Culture hat denn auch Hieronymus Bosch und Pieter Bruegel den Älteren als ästhetische Ahnherren des Plakats ausgemacht….[10]

Pieter Bruegel hat ja ein wunderbares Wimmelbild zum Thema Kinderspiele gemalt. Und das hat vielleicht die Zeitschrift Marianne zu folgender satirischer „Richtigstellung“ veranlasst. Danach handelt es sich bei dem verbreiteten Plakat um eine mit künstlicher Intelligenz erstellte Fälschung, die „ein Neffe von Anne Hidalgo beim Spielen mit seinem PC erstellt hatte (…) Um die Software zu starten, gab der Teenager folgende Begriffe ein: „Paris“ / „Olympische Spiele“ / „viel Rosa“ / „Walt Disney“ / „Vergnügungspark“ / „voll inklusiv“ / „wo ist Charlie“ / und schließlich „meiner Tante gefallen“ sowie „dem chinesischen Publikum gefallen“. 42 Sekunden später erhielt der Junge diese schillernde, aber dennoch sehr unterhaltsame virtuelle Kreation, die er über eine Whatsapp-Schleife mit seinen Schulkameraden teilte. Das gefälschte Poster hätte diese private Schleife nie verlassen dürfen, aber durch ein schreckliches Missverständnis konnte es sich unkontrolliert verbreiten.“ [11]

Das Olympiaplakat: Ein Skandal!?

Allerdings gab es auch ganz heftige Reaktionen: „Scandaleux“ urteilte Éric Ciotti, der Vorsitzende der konservativen Republikaner (Les Républicains). Nach Auffassung des Spitzenkandidaten der Partei für die Europawahlen François-Xavier Bellamy werden durch das Plakat Frankreich und seine Geschichte ausgelöscht, seine Wurzeln zerstört. Ins selbe Horn bliesen auch die Vertreter der rechtsradikalen Parteien: Es sei unverzeihlich, „unsere Identität“ unsichtbar zu machen, so einer Vertreter des rechten/rechtsextremen Rassemblement National (RN), und die Spitzenkandidatin der ultrarechten Gruppe Reconquête, Marion Maréchal, ging sogar so weit, den Sinn der Olympischen Spiele in Frankreich anzuzweifeln, wenn sie nur dazu da seien, zu verbergen „was wir sind“.[12]

Was ist es, dass Politiker von rechts und ganz rechts so in Aufruhr versetzt hat? Es ist vor allem ein kleines fehlendes Kreuz auf der Spitze des Invalidendoms:

Manque de drapeau français et de la croix des Invalides... À peine dévoilée  l'affiche des Jeux crée la polémique

Le Figaro 5.3.2025

Dazu Éric Ciotti: Die Kuppel des Invalidendoms sei doch nicht die eines Supermarkts, sondern  einer Kapelle. Indem das Kreuz von seiner Spitze entfernt werde, leugne das offizielle Plakat der Olympischen Spiele die Identität dieses Bauwerks sowie die französische Geschichte. Das sei „scandaleux!“[13]

François-Xavier Bellamy: Sie -also wohl Ugo Gattoni und die Verantwortlichen des Organisationskomittes- seien bereit, die Realität zu verbiegen und damit Frankreich und seine Geschichte zu verleugnen.  Wie könne man vorgeben, ein Land zu lieben, wenn man seine Wurzeln zerstöre?[14]  

Und Gipfel der nationalen Verleugnung und des Skandals: Auf dem ganzen Plakat fehle ausgerechnet die Tricolore, die Nationalfahne.

Da sehnen sich manche wohl  zurück nach 1924 und dem damaligen Plakat, als Frankreich im Vollgefühl des Sieges im Ersten Weltkrieg stolz seine Fahne und die in Reih und Glied aufmarschierenden  olympischen Helden  präsentierte.

Im Gegensatz allerdings zu dem, was in manchen Presseartikeln und in den sozialen Medien  verbreitet wurde, hat das IOC keinerlei Vorgaben für das offizielle Olympiaplakat gemacht. Pflicht ist lediglich, dass das offizielle Logo, die Jahreszahl und Ort und Nummer der Olympiade angeben sein müssen. Ansonsten haben das jeweilige Organisationskomitee freie Hand. Und Ugo Gattoni betonte ja ausdrücklich, er habe etwas Episches, Grandioses und Festliches schaffen und nicht die Realität 1 zu 1 wiedergeben wollen.[15] Und da war Gattoni ja auch sonst im Umgang mit den sogenannten heiligsten Gütern der Nation großzügig: Da fährt ja eine Metro nicht nur durch den Arc de Triomphe, sondern damit auch über die Flamme des unbekannten Soldaten, eine Weihestätte der Republik- wobei da merkwürdigerweise der Aufschrei ausblieb…

Und was die Fahne angeht: Es gibt zwar keine offizielle Regel, aber eine Tradition, keine Landesfahne auf dem offiziellen Olympiaplakat abzubilden. Selbst Hitlerdeutschland hatte 1936 darauf verzichtet, das Hakenkreuz auf dem Plakat der Spiele von 1936 in Berlin zu platzieren. Und das Organisationskomitee für die Pariser Spiele konnte immerhin darauf hinweisen, dass der Dreiklang bleu-blanc-rouge der Tricolore durchaus im Plakat vertreten sei- beispielsweise auf der Cocarde der Maskottchen oder auf den Flugzeugen der Patrouille de France.

Und macht man sich auf die Suche, wird man auch an anderen Stellen die Farben der Tricolore finden…

Außerdem sei als nationales Symbol Marianne auf dem Plakat abgebildet.

Auf der von Marianne getragenen Aussichtsplattform sieht man übrigens ein internatonales Publikum, das wohlwollend und begeistert von oben auf das bunte olympische Treiben herabblickt. Die Dame hält in ihrer Hand einen Ball, vermutlich die Weltkugel symbolisierend, auf dem ein Vogel sitzt; vielleicht eine  Friedenstaube: Die Olmpischen Spiele als Veranstaltung des Friedens für die ganze Welt – schön wärs….

Die Kehrseite der Medaille

Dass da alles friedlich-freundlich zugeht und das Fest durch keine Dissonanzen getrübt wird, ist bei einem olympischen Plakat nicht anders zu erwarten und sollte auch kein Kritikpunkt sein.

Dass es aber durchaus eine Fülle von möglichen Problemen rund um die Olympischen Spiele gibt, wird immer deutlicher, je näher sie kommen: Das betrifft vor allem, angesichts eines schon in Normalzeiten völlig überlasteten und teilweise maroden öffentlichen Nahverkehrs, die Bewältigung eines Massenansturms von Olympia-Gästen, und es betrifft die Frage, wie man die Sicherheit der Spiele garantieren kann: ein Problem, das gerade nach dem blutigen IS-Anschlag bei Moskau noch einmal mehr ins öffentliche Bewusstein geraten ist.

Und dann gibt es auch noch den Wunsch der Verantwortlichen, das frohe Fest nicht durch unangenehme Bilder von aufdringlichen Bettlern, heruntergekommenen Obdachlosen, Drogenabhängigen  oder an den Seineufern oder in Parkanlagen kampierenden Flüchtlingen zu stören. Diesen Wunsch -und daraus folgende entsprechende Maßnahmen- gab es auch schon bei anderen Olympischen Spielen- Paris macht da keine Ausnahme. Und die Tendenz, das strahende Bild der ville lumière nicht von am Rand der Gesellschaft -aber nicht immer am Rand der Stadt-  Lebenden verdunkeln zu lassen,  gibt es ja schon seit den Zeiten des Barons Haussmann.

Die Zeitung Libération hat am 22. März den Unerwünschten  (Les Indésirables) der Olympischen Spiele einen mehrseitigen Aufmacher gewidmet. Menschen ohne festen Wohnsitz, ohne legalen Aufenthaltsstatus (sans-papiers), Prostituierte (travailleurs du sexe– sic!) seien  schon teilweise aus Paris entfernt worden, andere unter verstärkter polizeilicher Überwachung. Es gäbe zahlreiche Opfer der von manchen Organisationen so bezeichneten «sozialen Säuberung» (nettoyage sociale).

„Paris verbirgt sein Elend“ (Libération 22.März 2024)

In ihrem Leitartikel schreibt Libération dazu: „Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass vier Monate vor der Eröffnungszeremonie angestrebt wird, alle diejenigen aus Paris und der Region Île-de-France zu entfernen, für die die Straße die letzte Zuflucht ist. Und das sind in diesen Zeiten der Kriege und der wirtschaftlichen Probleme viele. Das führt zu verzweifelten Situationen wie bei der kürzlichen Auflösung des Lagers von Minderjährigen am Ufer der Seine.“[16]   Verzweifelte Situationen auch deshalb, weil es bei vergleichbaren Räumungsaktionen 2023 für die Betroffenen keine längerfristigen alternativen Angebote gab.[17]

Die katholische Hilfsorganisation Secours Catholique de Paris beklagt deshalb, dass der Anspruch der Olympia-Organisatoren, solidarischere, ökologischere und inklusivere Spiele als bisher abzuhalten, nicht eingehalten werde. Die Olympiade werde jedenfalls nicht wie versprochen ein Fest für alle sein.

Es gäbe nämlich noch die vielen „Vergessenen des Festes“, über deren Situation die Organisation eine Informationsbroschüre veröffentlicht hat.[18]

Auch die FAZ hat sich in ihrer Ausgabe vom 27. März des Themas angenommen. Die Paris-Korrespondentin Michaela Wiegel schreibt unter der Überschrift „Die Migranten, die Paris vor Olympia verlassen müssen“:

„Die Regierung hat die Vorstellung zurückgewiesen, dass die Räumungs- und Verlegungsoffensive in Paris im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen steht. Vielmehr würden die Migranten im Namen der nationalen Solidarität in andere Regionen geschleust. (…) Die Hauptstadtregion betreue bereits durchschnittlich 120.000 Menschen in Notunterkünften. Dabei reichen die öffentlichen Aufnahmezentren bei Weitem nicht aus, deshalb werden Hotels zur Unterbringung herangezogen. Doch viele Hotels haben rechtzeitig vor den Olympischen Spielen Eigenbedarf angemeldet. Sie wollen ihre Zimmer lieber lukrativer an Olympia-Besucher vermieten.

Hilfsorganisationen beklagen das Vorgehen der Behörden. Sportlern und Besuchern aus aller Welt solle im Olympia-Sommer ein makelloses Stadtbild vorgeführt werden. ‚Olympia ist ein wunderschöner Lack, der die Armut verbirgt‘, sagte Paul Alauzy für das Aktionsbündnis Die Kehrseite der Medaille.“ (Le Revers de la médaille).

Dies ist ein Zusammenschluss von etwa 80 Hilfsorganisationen, die im Vorfeld der Olympischen Spiele auf die „Vergessenen des Fests“ aufmerksam machen und eine nettoyage sociale verhindern wollen.[19] Zum Beispiel durch Aktionen wie Anfang Februar.

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Da wurden u.a. die Worte Olympische Spiele : „Man ist nicht fertig“ auf den Arc de Triomphe projiziert.[20]

Die Plakate, die dabei hochgehalten wurden, interpretieren auf sarkastische Weise den olympischen Slogan Citius, altius, fortius, communiter. Plus vite, plus haut, plus fort, ensemble. Schneller, höher, stärker, gemeinsam.

Schneller um die notleidende Bevölkerung aus der Île-de-France zu entfernen.  Foto: Frauke Jöckel. Seineufer. März 2024

„Um alle Nationen hier zu empfangen, mussten alle ausgeschlossen werden, die schon da waren.“

Auch an berühmten Pariser Sehenswürdigkeiten wurden von dem Kollektiv Plakate aufgehangen. „Olympische Spiele 2024: Offene Grenzen für die Reichen, soziale Säuberung für die Armen“, steht darauf.[21]

„Höher bei der Ausbeutung der Arbeiter und Arbeiterinnen ohne offiziellen Aufenthalts-Status“. Foto: Frauke Jöckel

Auf dem olympische Plakat Gattonis gibt es ebenfalls den olympischen Slogan citius, altius,fortius, communiter, wenn auch nicht auf den ersten Blick zu erkennen: auf dem Sprungbrett, auf dem ein junger Mann mit einer Taube auf einem ausgestreckten Arm dabei ist, sich in das olympische Gewimmel zu stürzen. (Rechts oben übrigens der grüne Wallace-Brunnen)

Es ist zu hoffen, dass die Pariser Olympiade die fröhlichen, bunten und friedlichen Spiele bieten kann, die das Plakat verheißt. Und vielleicht kann der öffentliche Druck doch dazu beitragen, dass die Situation der oubliés de la fête stärker ins Bewusstsein der Verantwortlichen rückt und schließlich zu einer Verbesserung der Situation der Betroffenen beiträgt. Immerhin lässt es sich Frankreich einiges kosten, damit während der olympischen Spiele sozial eitel Sonnenschein herrscht: Die öffentlich Bediensteten erhalten zum Beispiel besondere Olympia-Prämien: Nicht auszudenken, wenn etwa die Bediensteten der Nahverkehrsgesellschaft RATP während der Spiele die Arbeit niederlegten. Aber auch ein eklatanter Widerspruch zwischen dem Anspruch solidarischer, ökologischer und inklusiver Spiele und einer „sozialen Säuberung“ würde einen dunklen Schatten auf die Spiele werfen.


Anmerkungen

[1] https://www.liberation.fr/sports/jeux-olympiques/jo-2024-paris-saffiche-en-mode-poetico-futuriste-20240304_GX6HSQTPEJCUDMK2C5Y4S4JF4I/  und https://www.radiofrance.fr/franceculture/l-origine-de-l-esthetique-de-l-affiche-des-jo-de-paris-2024-4077326 : Hier wird sogar das deutsche Wort „Wimmelbild“ verwendet, um den Charakter des Olympia-Plakats zu beschreiben.

Gesamtansicht des Plakats: https://medias.paris2024.org/uploads/2024/02/Paris2024-Contenus-Affiche_Officielle-2.jpg Die nachfolgenden Detailbilder des Plakats sind teilweise Ausschnitte aus dieser Internet-Seite oder es sind Aufnahmen, die ich mit einiger Mühe an den den Plakatwänden gemacht habe. Deshalb zum Beispiel auch die Spiegelung umliegender Gebäude bei dem Foto mit der olympischen Fackel.

[2] Bild aus: https://shop2.olympics.com/de/paris-2024/paris-2024-olympics-plush-mascot-24cm/t-3477660852+p-5670692888164+z-9-1924114719

[3] https://www.leparisien.fr/jo-paris-2024/natation/le-plan-b-cest-de-nager-dans-la-seine-pourquoi-les-organisateurs-restent-confiants-pour-les-jo-de-paris-06-08-2023-7DD4567RZZAM5GOREK4EA7RWJU.php und

https://www.eurosport.fr/jeux-olympiques/paris-2024/2024/paris-2024-pas-de-plan-b-pour-les-epreuves-des-jeux-olympiques-dans-la-seine_sto10060374/story.shtml

[4] https://www.lefigaro.fr/fig-data/jo-paris-2024-quinze-curiosites-et-details-insolites-a-decouvrir-sur-l-affiche-officielle-20240304/

[5] https://www.lefigaro.fr/fig-data/jo-paris-2024-quinze-curiosites-et-details-insolites-a-decouvrir-sur-l-affiche-officielle-20240304/

[6] https://olympics.com/de/paris-2024/veranstaltungsorte/teahupo-o-tahiti

[7] https://www.lefigaro.fr/fig-data/jo-paris-2024-quinze-curiosites-et-details-insolites-a-decouvrir-sur-l-affiche-officielle-20240304/

[8] „Des dessins assez réalistes, d’un univers surréaliste”. Zitiert in: Ugo Gattoni, scenariste onirique. In: Website von The Socialite Family

 und  https://www.juliahountou.com/blog/2020/5/22/ugo-gattoni  Dieser Seite ist auch das Bild entnommen.

[9] Zum Beispiel: https://www.huffingtonpost.fr/jo-paris-2024/article/jo-de-paris-2024-les-affiches-officielles-sont-dignes-d-un-ou-est-charlie-avec-des-mascottes-cachees_230483.html

https://www.leparisien.fr/jo-paris-2024/jo-paris-2024-des-mascottes-a-trouver-facon-ou-est-charlie-decouvrez-laffiche-officielle-des-jeux-04-03-2024-3RKBNF2ROVHI7COGBN3TKTMN7A.php

[10] L’origine de l’esthétique de l’affiche des JO de Paris 2024 (radiofrance.fr)

[11] https://www.marianne.net/societe/vous-trouvez-l-affiche-officielle-des-jo-de-paris-cata-nous-aussi-retour-sur-une-terrible-erreur

[12] https://www.huffingtonpost.fr/politique/article/affiche-des-jo-2024-la-droite-et-l-extreme-droite-s-insurgent-contre-la-disparition-d-une-croix_230771.html

[13] https://twitter.com/ECiotti/status/1764971665451073645?

[14] https://twitter.com/fxbellamy/status/1764961702242595162

[15] Zu der Polemik und der Gegenkritik siehe: https://www.liberation.fr/checknews/pourquoi-la-croix-des-invalides-et-le-drapeau-francais-ne-figurent-pas-sur-laffiche-des-jo-de-paris-20240306_IJWOVJZAUNDTFFJIWKOSJTHKAM/  und

https://www.lepoint.fr/sport/polemique-sur-l-affiche-des-jo-l-artiste-explique-pourquoi-il-a-supprime-la-croix-des-invalides-06-03-2024-2554348_26.php#11

[16] Éditorial von Alexandra Schwartzbrod, Inclusifs, vraiment?

[17] https://www.lemonde.fr/sport/article/2024/03/13/paris-2024-a-l-approche-des-jeux-les-associations-de-lutte-contre-la-pauvrete-craignent-un-nettoyage-social_6221713_3242.html

Bild aus: fr.news.yahoo.com

[18] https://drive.google.com/…/1d_CmqzQGe0…/view

Bild aus: https://www.facebook.com/photo/?fbid=812525414247672&set=a.638007431699472

[19] https://lereversdelamedaille.fr/

[20] Bilder der Aktion aus: https://www.20minutes.fr/paris/4074624-20240205-jo-paris-2024-collectif-enflamme-arc-triomphe-denoncer-sort-abris

[21] FAZ 27.3.2024 a.a.O.

Zu den Olympischen Spielen in Paris siehe auch den Blog-Beitrag:

4 Gedanken zu “Wimmelbild und Suchspiel: Das offizielle Olympiaplakat Paris 2024.  Was zu sehen ist und was nicht….

  1. Anonymous

    Klasseartikel! Eine Frage: Was sollen eigentlich diese altrosafarbenen, überall hervorquellenden Schwadenwolken sein?
    Danke für eine Interpretationshilfe!!!

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    1. Anonymous

      Ulrich Schläger

      „Für die Zeit der Olympischen Sommerspiele in Berlin wurde die Stadt „aufgeräumt“: Obdachlose, Roma und Sinti wurden von den Nazis in die äußeren Randgebiete der Stadt verbannt. Judenfeindliche Schilder wurden abgehängt und entsprechende Ausdrücke verboten. Deutschland sollte der ausländischen Presse „sauber“ erscheinen. […] Carl Diem, der Generalsekretär des „Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen“, hatte die Idee, eine brennende Fackel vom griechischen Olympia von Läufern durch ganz Europa bis nach Berlin tragen zu lassen.“ (Zitat: WDR ZeitZeichen. 20.12.2020). Der Plan ging auf, wie auch in Sotschi und Peking. Das olympische Komitee hatte schon damals kein Rückgrad und daran hat sich nichts geändert, zumal es immer wieder willige Helfer findet. Danke für den hervorragend recherchierten Beitag.

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