Der Maler und Bildhauer Otto Freundlich, ein deutsch-französisches Künstlerschicksal: Eine Ausstellung im Museum Montmartre

Museen wie auch andere öffentliche Einrichtungen sind derzeit in Frankreich bis auf Weiteres (jusqu‘ à nouvel ordre) geschlossen.

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Angesichts der geschlossenen Museen lassen es sich Frieda Kahlo,  das Mädchen mit der Perle Vermeers und die Mona Lisa gut gehen. Ein Bild, geschickt am 1. April von unserer Freundin Monique Bauer aus Bordeaux. Merci!)

Natürlich ist auch das Museum Montmartre geschlossen.

Aktuelle Anmerkung  Juli 2020: Die Ausstellung ist jetzt wieder geöffnet und bis 31. Januar 2021 verlängert.

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Plakat in der Métro-Station Jaurès (aufgenommen am 16. Juli 2020)

Glücklicherweise hatten wir aber die Otto Freundlich-Ausstellung besucht, bevor das Ausgehverbot  verhängt wurde. Ich biete hier also gewissermaßen einen virtuellen Rundgang durch die Ausstellung an. Da sie nach ursprünglicher Planung bis 6. September geöffnet sein soll, gibt es ja vielleicht  doch noch Gelegenheit, sie sich selbst anzusehen.

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Derzeit wird in dem kleinen, sympathischen musée Montmartre in Paris  eine aus mehreren Gründen sehr sehenswerte Ausstellung gezeigt:                                                   Otto Freundlich, la révélation de l’abstraction.[1]

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Das Bild auf dem Ausstellungsplakat ist eine um 1919 entstandene Composition

Otto Freundlich war, worauf der Name der Ausstellung schon hinweist, ein Pionier der abstrakten Kunst.  Aus Pommern stammend reiste er nach Studien in Berlin und München 1908 nach Paris, wurde in Montmartre  Nachbar Picassos  und  gehörte zur künstlerischen Avantgarde seiner Zeit. Bei Kriegsausbruch 1914 kehrte er nach Deutschland zurück, ließ sich aber  1925 endgültig in Paris nieder.  Während im Deutschland der Weimarer Republik  seine Werke von aufgeschlossenen Museumsleitern gekauft und ausgestellt wurden, hatte  der von den Nazis verfemte Künstler nach 1933 große Existenzschwierigkeiten.  Erst 1937 wurde auf Initiative prominenter Künstler und Freunde eines seiner  Werke  für die staatlichen Kunstsammlungen Frankreichs erworben. Im gleichen Jahr verwendeten die Nazis das Bild einer Plastik Freundlichs für das Plakat der Ausstellung „Entarte Kunst“: Als Maler der Abstraktion, als politisch engagierter Künstler und als Jude passte  er perfekt in das Feindbild der Nazis. Denen wird er – versteckt in einem Bauernhof der Pyrenäen und von Nachbarn denunziert-  von der französischen Gendarmerie ausgeliefert und am 9. März 1943 im Vernichtungslager Majdanek umgebracht.

Im nachfolgenden Beitrag geht es zunächst  anhand der Ausstellung im Museum Montmarte um die künstlerische  Bedeutung  Freundlichs und sein Leben im Paris der Avantgarde. Dabei wird auch ein Blick auf die von ihm geschaffenen Glasfenster in der Kirche Sacré Coeur geworfen.

Danach wird es um sein tragisches Schicksal als „feindlicher Ausländer“, als verfolgter Jude und schließlich als Opfer des Holocaust gehen.

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Im Treppenhaus des Museums: Otto Freundlich war und bleibt ein strahlendes Bild der europäischen Seele (Raoul Ubac)

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Im 1. Stock des Museums: Die Wahrheit,  Grundlage aller unserer künstlerischer Anstrengungen, ist ewig und wird ihre große Bedeutung für die Zukunft der Menschheit behalten. (Otto Freundlich 1940)

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An der Wand rechts Abdruck eines Selbstportraits Freundlichs aus dem Jahr 1923

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Einen hervorgehobenen Platz in der Ausstellung hat das Ölgemälde Composition aus dem Jahr 1911. Es ist das einzige große Gemälde Freundlichs aus der Zeit vor 1914, das erhalten ist. Daneben ist  eine Bleistiftzeichnung aus dem gleichen Jahr ausgestellt: Drei Personen sind dabei, vier anderen beim Aufstehen zu helfen. Nach dem  Ausstellungskatalog  transportiert Freundlich hier eine politische Botschaft: Eine Aufforderung zur Solidarität, um allen Menschen, auch den am meisten Benachteiligten, eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Freundlich habe auf eine „sanfte Revolution“ gehofft, zu der die Kunst auch beitragen sollte. Dieser erhoffte Aufstieg zum Licht sei in dem Ölgemälde mit den Mitteln der Abstraktion dargestellt.[2]

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Gruppe, Bleistiftzeichnung auf Papier 1911

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Eindrucksvoll sind die farbigen Kompositionen der 1920-er Jahre wie die hier abgebildete aus den Jahren 1920-1925. Diese Bild soll vom 2. April bis 23. August 2020 im Musée d’art et d’histoire du Judaïsme im Rahmen der Ausstellung Chagall, Modigliani, Soutine… Paris pour École1905 – 1940 präsentiert werden.

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Kosmischer Regenbogen von 1922  (Pastel sur papier)

Wie hier spielt  die komische Dimension bei Freundlich eine große Rolle. So auch in diesem Exemplar der Grafik-Serie Die Zeichen von 1919/1920.

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Die geometischen Figuren laufen auf ein „kosmisches Auge“, das Freundlich 1920/21 zum Thema eines Gemäldes gemacht hat und das sich auch auf der Komposition findet, die für das Ausstellungsplakat verwendet wurde.

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Neben der Komposition von 1911 ist die „Hommage aux peuples des couleurs“ von 1935 ein weiterer Höhepunkt der Ausstellung. Bei diesem Triptychon  handelt  es sich um den Entwurf für ein geplantes Mosaik. Die unterschiedlichen Farben des Bildes sind eine Feier der Unterschiedlichkeit, aus denen aber ein harmonisches Ganzes  entsteht: Ein monumentales Manifest gegen den faschistischen Rassismus und die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen.

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Die „hommage aux peuples de couleurs“ war Gegenstand einer Subscription namhafter Künstler und Persönlichkeiten anlässlich des 60. Geburtstages von Otto Feundlich im Jahr 1938. Sie erwarben dieses Bild „das man als das repräsentativste seiner Kunst ansieht“ und boten es dem Musée du Jeu de Paume/Musée national d’art moderne  an mit der Bitte, es seiner Bedeutung entsprechend in die Sammlung aufzunehmen und auszustellen.  Sie wiesen dabei auch auf die Anerkennung hin, die Freundlich vor 1933 in Deutschland erfahren habe,  auf seine Verfemung durch die Nazis und auf die schwierige wirtschaftliche Lage des in Paris lebenden Künstlers, der manchmal Schwierigkeiten habe, überhaupt die Farben für seine Bilder zu erwerben. Er verdiene deshalb dringend der Unterstützung.

Unterzeichnet war der Aufruf u.a. von Max Ernst, Alfred Döblin, Hans Arp, Georges Braque, Pablo Picasso, Oskar Kokoschka, Fernand Léger, Wassily Kandinsky, Wilhelm Uhde, Jacques Lipchitz und  dem Ehepaar Delaunay.[3]

Ein Beispiel für die intensiven Freunschaftsbeziehungen Freundlichs zur Pariser Kunstszene ist die nachfolgende Komposition 1937  (Linogravure auf Japanpapier 1937)

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Sie ist mit der Widmung für meinem Freund und Genossen Hans Arp versehen.

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Die Glasgemälde Otto Feundlichs

1914 arbeitete Otto Freundlich fünf Monate lang in dem Restaurations-Atelier der Kirchenfenster der Kathedrale von Chartres – eine Erfahrung, die ihn, wie er in einem Brief an Karl Schmitt-Rottluff schrieb, für immer geprägt hat.

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Otto Freundlich, Liegende Frau,  Glasgemälde  1924

In eigenen Arbeiten nahm er die leuchtende Farbigkeit der gotischen Glasmalerei  auf.  Im Musée Montmartre sind Beispiele ausgestellt und ebenso in der Kirche Sacré Coeur in der Franz von Assisi geweihten Kapelle.

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Wie sehr die Erfahrung mit den gotischen Glasfenstern von Chartres die Arbeit von Freundlich beeinflusst hat, zeigt sich vor allem in einem 1938 gemalten (und hier nicht ganz vollständig wiedergegebenen)  großformatigen Bild mit dem bezeichnenden Titel Die Fensterrose. Wie in den Glasfenstern die Farben im Licht erstrahlen, so auch hier  und in vielen anderen Arbeiten Freundlichs.

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Die Renoir-Gärten des Museums

Zu dem Museum gehören auch drei Gärten oberhalb des berühmten Weinbergs von Montmartre. Benannt sind sie nach Auguste Renoir, der hier zwischen 1875 und 1877 gelebt und gearbeitet hat.

Anlässlich der Ausstellung ist in einem der Gärten Freundlichs Bronzeplastik Ascension von 1929 ausgestellt, ein Werk, das von Picasso besonders geschätzt wurde. Die Gesetze der Schwerkraft sind hier aufgehoben, die lastenden Formen werden in schwebende Balance überführt – auch dies ein Ausdruck von Freundlichs utopischem Ideal.

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Im Frankfurter Städelmuseum gibt es auch ein Exemplar dieses Werks. [4] Und ein weiteres im Centre Pompidou – prominent aufgestellt direkt am Eingang zur Dauerausstellung.

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Im Garten des musée Montmartre empfiehlt sich  das schöne Café Renoir (mittwochs bis sonntags geöffnet) für eine Ruhepause nach einem Ausstellungsbesuch.

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Otto Freundlich in Montmartre

Man mag, wie der Autor des Artikels in Le Monde, bedauern, dass diese Ausstellung nicht im repräsentativen Musée d’Art Moderne, sondern in dem viel bescheideneren Montmartre-Museum zu sehen ist. Aber das hat durchaus seine Logik: Denn als sich Otto Freundlich 1908 zum ersten Mal in Paris niederließ, hatte er sein erstes Atelier in Montmartre. In seinem Tagebuch von 1931 berichtet er:

Eines Tages traf ich Rodolf Levy im Café du Dôme in Paris. Willst du ein Atelier haben, fragte er mich. Ich kenne eines, dessen Miete schon drei Monate im Voraus bezahlt ist. Es befindet sich in Montmartre. (…) Als ich Levy sagte, dass ich bereit sei, sind er, der Kunstkritiker und –händler Wilhelm Uhde und ich hingefahren, haben das Auto abgestellt und sind dann zu Fuß zur place Ravignan hochgegangen – ein ganz kleiner Platz wie in einer kleinen Stadt. Dort befand sich ein Haus, das ehemalige Bateau-Lavoir (…)  Vor der Tür stand ein junger,  etwas gedrungener Mann mit großen leuchtenden schwarzen Augen in einem Blaumann. Ich weiß nicht mehr, ob es Levy oder Uhde war, der mich ihm vorstellte. ‚Das ist Herr Picasso, Ihr neuer Nachbar‘. Danach murmelten sie ein einfaches ‚au revoir‘, verschwanden und ließen mich allein mit Picasso, der mich umgehend zu einem Glas Wein einlud.“[5]

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Das Bateau-Lavoir war ein ziemlich verwahrlostes Haus in der Rue Ravignac Nr. 13 – heute place Émile Goudeau. Es wurde Waschschiff genannt, weil es den Booten auf der Seine ähnelte,  auf denen die Waschfrauen ihre Arbeit verrichteten. Picasso lebte dort von 1904 bis 1909 und malte dort auch seine ersten kubistischen Werke wie die Demoiselles d’Avignon. Das Atelierhaus Bateau-Lavoir kann daher als Geburtsort des Kubismus bezeichnet werden.[6]  Neben Picasso und Freudlich fanden auch andere Künstler wie Kees van Dongen, Juan Gris, Max Jacob und Amadeo Modigliani hier eine bezahlbare Unterkunft. Und  für sie und andere Vertreter der künstlerischen Avantgarde wie Guillaume Apollinaire, Georges Braque, Henri Matisse und Jean Cocteau war das Haus ein beliebter Treffpunkt.

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Seit dieser ersten Begegnung im Bateau-Lavoir entwickelte sich eine enge künstlerische Beziehung und Freundschaft zwischen Picasso und Otto Freundlich.  So wird Freundlich 1922 Picasso gegen Kritik an dessen Abkehr vom Kubismus verteidigen („Was wollt Ihr von Picasso?“), und Picasso wird Freundlich auf vielfache Weise –auch materiell- seine Solidarität erweisen.[7]

 

Das tragische Ende, „un amour trahi“

1937 wurde in München die Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet,  eine Propagandashow der nationalsozialistischen „Kultur“-politik, in der vor allem Werke von Vertretern der Klassischen Moderne wie Max Beckmann, Otto Dix, Max Ernst, George Grosz, Paul Klee oder Oskar Kokoschka an den Pranger gestellt wurden.

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Für das Titelblatt des Ausstellungsführers verwendeten die Ausstellungsmacher das in verzerrter Perspektive wiedergegebene Bild der Plastik Großer Kopf von Otto Freundlich aus dem Jahr 1912. Die Gipsfigur, die an die Steinköpfe der Osterinsel erinnert, wurde 1930 vom Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg aufgekauft,  1937 von den Nazis beschlagnahmt und in München und anderen Städten als eine der „Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des Nichtkönnens und der Entartung“ (Adolf Ziegler, Präsident der Reichskammer der Bildenden Künste) ausgestellt.

Seitdem sind die Plastik und eine für die Ausstellungstournee  von den Nazis beauftragte Kopie verschollen.

Otto Freundlich entsprach in geradezu idealer Weise dem nationalsozialistischen Feindbild: Als  Jude, als Pionier der abstrakten Kunst und als politisch engagierter Künstler, der jenseits aller Doktrinen an eine bessere Welt glaubte, zu der die Kunst ihren Beitrag leisten sollte. Ein solcher Beitrag war auch seine in den 1920-er Jahren entwickelte Idee einer die Völker verbindenden „Straße der Skulpturen Paris-Moskau“ (französischer Original-Name: „Une voie de la fraternité et solidarité humaine“). Er begriff sie als einen Weg der Brüderlichkeit und der menschlichen Solidarität, sie sollte ein sichtbares Zeichen für die Abkehr von Krieg und menschlicher Gewalt sowie für das friedliche Zusammenleben von unterschiedlichen Nationen sein. Seit den 1970-er Jahren wird diese Idee Freundlichs wieder aufgegriffen und von einem länderübergriefenden Projekt in Teilstücken umgesetzt. Auch Freundlichs heute polnischer Geburtsort Stolp nimmt daran teil.  Ein wunderbares europäisches Projekt! (8)

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Otto Freundlich wählte für sein politisches Denken  1919 selbst den Begriff des „kosmischen Kommunismus“.  Damit überschrieben dann auch das Museum Ludwig in Köln und das Kunstmuseum Basel 2017 die große Retrospektive des Werks von Otto Freundlich.[9]

Mit der nationalsozialistischen Denunziation von 1937 hatte Otto Freundlich endgültig sein Vaterland verloren, wie er in einem Brief an seinen Malerfreund Braque schrieb. Den bat er unter diesen Umständen, ihm dabei behilflich zu sein, die französische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Braque unterstützte ihn zwar, aber die französische Staatsbürgerschaft blieb Freundlich verwehrt: Erstes Kapitel einer „amour trahi“, einer verratenen Liebe des Künstles zu Frankreich.[10)

Das zweite Kapitel folgte nach Kriegsbeginn 1939:  wurde  Freundlich –wie Walter Benjamin und andere antifaschistische Deutsche- als feindlicher Ausländer im Sportstadion Colombe  interniert. Diese Internierung war also nicht  das Werk von Vichy, wie es in der Verlagswerbung für das Buch über „die amour trahi“ Freundlichs zu Frankreich heißt, sondern das des demokratischen Frankreichs der vielgerühmten Dritten Republik! (11)   Danach begann mit einer kurzen Unterbrechung  ein Irrweg durch mehrere Internierungslager (Blois, Francillon-par-Villebarou, Marolles, Fossé, Cepoy). Versuche, nach Amerika zu emigrieren, scheiterten. Im Juni 1940 wurde er entlassen und fand  Unterkunft in einem Hotel im Pyrenäendorf Saint-Paul-de Fenouillet in der „freien“, von Vichy verwalteten Zone Frankreichs. Er stand zwar dort unter polizeilicher Kontrolle, arbeitete aber  den Umständen entsprechend „tant bien que mal“ weiter.  Dort schloss sich ihm  auch Jeanne Kosnick-Kloss/ Hannah Freundlich an, seit 1930 seine Lebensgefährtin. Sie war auch Malerin  und begleitete und bestärkte  ihn auf seinem künstlerischen Weg.  

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Es ist ein Rätsel, trotzdem will ich fest und friedlich meinem Schicksal entgegensehen, wie ich das immer gemacht habe (Otto Freundlich 1940)  Darunter das Portrait Otto Freundlichs von August Sander (um 1925)

In seinem Pyrenäen-Exil  rekonstruierte Otto Freundlich –in kleinerem Format- frühere Bilder, die von den Nazis vernichtet worden waren wie 1941 die Komposition mit drei Figuren von 1911

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Composition de trois figures (1911/1941

In einem Brief an Picasso vom Mai 1941 bat er seinen Freund um Unterstützung bei der Erhaltung seines Pariser Ateliers „während unserer Abwesenheit“.

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Picasso, der in dem  von den Deutschen besetzten Paris relativ unbehelligt weiterarbeiten konnte,  bezahlte daraufhin die Miete für das Atelier, um die dort aufbewahrten Werke seines Freundes zu bewahren. Das gelang immerhin.

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Fotografie des Ateliers von Willy Maywald aus dem Jahr 1948

Im Dezember 1942 versuchte Otto Freundlich  den laufenden Deportationen von Juden durch Rückzug in das Nachbardorf Saint-Martin-de Fenouillet   zu entkommen, wo ihn eine Bauernfamilie versteckte. Als im Februar 1943 nach einem Anschlag auf deutsche Offiziere eine verstärkte Verhaftungsaktion durch die französische Polizei begann, wurde Otto Freundlich von einem Dorfnachbarn als Jude denunziert  und am 23. Februar 1943 von der französischen Gendarmerie  verhaftet –  letztes Kapitel der amour trahi.   Nach einem Zwischenaufenthalt im Lager Gurs wurde er im März 1943 vom Sammellager Drancy  bei Paris aus als Nr. 33 des Konvois  50  ins Vernichtungslager Majdanek deportiert und ermordet. (12)

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Otto Freundlichs Name auf der Mauer der Namen im Mémorial de la Shoah: 

Die Mur des Noms besteht aus insgesamt drei Mauern aus Steinen von Jerusalem, auf denen die Namen von 76 000 Juden, darunter 11 400 Kindern, eingraviert sind, die „im Rahmen des  nationalsozialistischen Plans der Vernichtung der europäischen Juden Juden mit Unterstützung der Regierung von Vichy“ deportiert wurden. Die meisten Menschen,  deren Name auf diesen Mauern verzeichnet ist, wurden zwischen 1942 und 1944 in Auschwitz-Birkenau ermordet, die anderen in Sobibor,  wo Otto Freundich am 9. März 1943 ermordet wurde, in Majdanek und im Rahmen eines Konvois in die baltischen Staaten.  (Aus der Information des Museums Montmartre über das Begleitprogramm zur Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Mémorial de la Shoah)

Es gibt auch einen Grabstein mit dem Namen Otto Freundlichs. Er befindet sich auf dem Friedhof von Auvers-sur-Oise in unmittelbarer Nachbarschaft des Grabs der Brüder van Gogh. Es ist der Grabstein für Jeanne Kossnick-Kloss. 1958, nachdem endlich die Ehe mit Heinrich Kossnick geschieden worden war, wurde ihre langjährige Beziehung zu Otto Freundlich anerkannt und sie durfte nun auch seinen Namen tragen.    (13)

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Der künstlerische Nachlass von Otto Freundlich befindet sich heute im Museum von Pontoise bei Paris. Das wird derzeit renoviert – eine gute Gelegenheit, die vom Museum Montmartre genutzt wurde. Da auch Bauarbeiten derzeit in Frankreich unterbrochen sind, kann es gut sein, dass die Renovierungsarbeiten in Pontoise sich verzögern und dass deshalb auch die Ausstellung noch über den 7. September 2020  hinaus zu sehen sein wird….   (siehe Anmerkung oben vom Juli 2020: In der Tat wurde die Ausstellung verlängert, und zwar bis 31. Januar 2021).

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Aufnahme vom 15.Juli 2020: Für die bis Januar verlängerte Ausstellung wird derzeit intensiv geworben. Der so verfemte und von den Nazis ermordete Otto Freundlich hat es wahrlich verdient, dass seine Bilder jetzt so gewürdigt werden! Eingestellt am 1. 4. 2020

Nachsatz vom Juli 2021:

Mit der Würdigung des Werkes von Otto Freundlich hat man sich auch im Deutschland der Nachkriegszeit schwer getan. Das wird in der Ausstellung „Dokumenta. Politik und Kunst“ deutlich, die 2021 im Deutschen Historischen Museum in Berlin gezeigt wird. Nach Auffassung der verantwortlichen Kuratorin der Ausstellung, Julia Voss, wurden in der Dokumenta I von 1955 ganz bewusst von den Nazis verfolgte und umgebrachte jüdische Künstler, die zunächst sogar auf Vorauswahllisten gestanden hatten, nicht gezeigt. Dazu gehörte auch Otto Freundlich. Verantwortlicher künstlerischer Leiter bei  der Vorbereitung der Dokumenta I war Werner Haftmann. Der war sehr früh in die NSDAP und die SA eingetreten und wurde nach dem Krieg in Italien als Kriegsverbrecher gesucht. 1954 schrieb Haftmann in seinem Buch „Malerei im 20. Jahrhundert“:  „nicht ein einziger der deutschen modernen Maler war Jude.“  Damit sprach er jüdischen Künstlern jeden künstlerisch-ästhetischen Rang ab. Und es war dann auch nur konsequent, dass Otto Freundlich und andere verfolgte jüdische Maler bei der Dokumenta I nicht berücksichtigt wurden. (14)

Anmerkungen

[1] Musée de Montmartre  12, rue Cortot, 18. Arrondissement. Bis 6. September 2020/inzwischen verlängert bis 31.1.2021)

Das Beitragsbild ist ein in der Ausstellung präsentiertes Glasgemälde Otto Freundlichs

Einen ausführlichen schönen Beitrag zu der Ausstellung gibt es inzwischen auch auf dem Blog von Hilke Maunders: https://meinfrankreich.com/otto-freundlich/

[2] Ausstellungskatalog: Composition (1911) et ‚le miracle de l’art‘. S. 23ff

[3] Der Aufruf ist auch Teil der Ausstellung.

[4] Siehe: Joachim Heusinger von Waldegg: Otto Freundlich. Ascension. Frankfurt a. M.:  Fischer Verlag, 1987

[5] Der Auszug aus dem Tagebuch ist in der Ausstellung abgedruckt. (freie) Übersetzung von mir. Wilhelm Uhde,  ein damals in Paris lebender deutscher Kunsthändler, gehörte zu den „Entdeckern“ und frühen Förderern Picassos und –nach Verlagswerbung- auch von Braque, Séraphine und des Zöllners Rousseau.  Siehe Wilhelm Uhde, Von Bismarck zu Picasso. Erinnerungen und Bekenntnisse. Zürich 2010

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Bateau-Lavoir

[7] Siehe: Freundlich et Picasso, histoire d’une amitié artistique. In:  Austellungskatalog, S. 29ff

(8) siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fe_des_Friedens_(Kunstprojekt)      Bild aus: https://www.sr.de/sr/home/der_sr/kommunikation/aktuell/20190809_pm_leo_kornbrust_kuenstler100~_print-1.html

Es gibt einen Dokumentarfilm von Gabi Heleen Bollinger über das Projekt: Das geht nur langsam (2011):  http://www.leokornbrust.de/sites/kornbrust_dokumentarfilm.php 11

Zu dem Projekt gehört auch  die deutsch-französische Skulpturenlandschaft, die der saarländische Bildhauer Paul Schneider von 1986 bis 1992 mit 34 Bildhauerinnen und Bildhauern aus 16 Ländern auf den Höhen des Merziger Saargaus gestaltete. https://magazin-forum.de/node/20174#article

[9] https://info.arte.tv/de/otto-freundlich-der-glaube-eine-besser-welt

https://www.museum-ludwig.de/de/ausstellungen/rueckblick/2017/otto-freundlich-kosmischer-kommunismus.html

[10] Ein Abdruck des Briefes ist Teil der Ausstellung.   Der Begriff der „amour trahi“ ist dem Titel folgender Publikation entnommen: Mettay/Maillet, Otto Freundlich et la France, un amour trahi. 2004

(11)  „L’artiste juif allemand aimait la France, celle de l’effervescence créatrice des annés Montmartre. Mais Vichy l’interne puis le déporte. Amour trahi.“  (https://www.amazon.de/Otto-Freundlich-France-amour-trahi/dp/2908476398)

(12) Es finden sich in der Literatur unterschiedliche Angaben, in welchem Vernichtungslager Freundlich ermordet wurde: Sobibor und Majdanek.  Ich verwende anders als der Ausstellungskatalog den Namen Majdanek, der sich auch auf den beiden in diesem Beitrag abgebildeten Fotos findet, auf denen der Todesort Freundlichs genannt ist.

(13) Foto von Elke Wetzig aus Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=58189430

(14) Siehe den Leserbrief von Professor Dr. Hans-Jürgen Hellwig in der FAZ vom 2. Juli 2021 und den ARD-Fernsehbeitrag über die Berliner Ausstellung: https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/videos/ttt-20062021-ausstellung-documenta-video-100.html

Literatur

Auststellungskatalog: Otto Freundlich 1878-1943. La révélation de l’abstraction. Zweisprachig französisch und englisch. Musée de Montmartre. Éditions Hazan 2020

Philippe Dagen, Otto Freundlich, aventurier de la couleur. Le Musée Montmartre rend hommage à l’artiste allemand, pionnier de l’abstraction, déporté et assassiné au camp de Sobibor. Le Monde, 10. März 2020

Klaus Hammer, Otto Freundlichs „Kosmischer Kommunismus“. Das Blättchen vom 19. Juni 2017

https://retrospektiven.wordpress.com/2017/02/27/otto-freundlich-kosmischer-kommunismus-im-museum-ludwig-koeln/