Noch bis zum 15. Januar 2023 präsentiert das musée d’Orsay in Paris eine große Rosa Bonheur-Ausstellung aus Anlass ihres 200. Geburtstages. Rosa Bonheur war eine international gefeierte Tiermalerin, ja sogar die erfolgreichste Malerin des 19. Jahrhunderts. Trotzdem geriet sie nur wenige Jahre nach ihrem Tod 1899 weitgehend in Vergessenheit, weil neue künstlerische Strömungen und Themen über sie und ihr Werk hinwegfegten. Zu ihrer Wiederentdeckung in den letzten Jahren trug sicherlich bei, dass sie als „eine Ikone der weiblichen Emanzipation“ des 19. Jahrhunderts[1] einer aktuellen gesellschaftlichen Strömung entspricht und auch entsprechend vereinnahmt wurde und wird. Die jetzige Ausstellung ermöglicht es, sich anhand von etwa 200 Arbeiten (Gemälde, Grafiken, Plastiken, Fotografien) ein Bild von ihrem Werk zu machen und sie als außerordentliche Künstlerin zu entdecken und zu würdigen.
Ich möchte in dem nachfolgenden Beitrag zunächst vier Portraits vorstellen, die Rosa Bonheur in verschiedenen Phasen ihres Lebens zeigen, danach einige ihrer in der Ausstellung präsentierten Werke, die ich ausgewählt habe, weil sie entscheidende Etappen ihres Lebens markieren, für ihr Werk besonders charakteristisch und bedeutsam sind oder auch einfach nur aus persönlicher Vorliebe.

Auguste François Bonheur, Portrait de Rosa Bonheur 1848[2] Foto: Wolf Jöckel
Dies ist das erste von Rosa Bonheur existierende Portrait, gemalt von ihrem Bruder Auguste François. Schon hier fällt die Entschlossenheit in ihrem Blick auf. Und die Tiere im Hintergrund weisen darauf hin, dass Rosa Bonheur auch Skulpturen von Tieren herstellte- ein besonders geeignetes Mittel, um Proportionen und Anatomie genau zu erfassen.

David d’Angers: Medaillon von Rosa Bonheur, 1854[3]
David d’Angers, vor allem bekannt durch die Skulpturen im Giebelfeld des Pantheons, hat insgesamt etwa 550 Medaillons angefertigt, dazu etwa 100 Büsten. Sein Ziel war es, aus der Menge seiner Zeitgenossen diejenigen auszuwählen, die es wert seien, nach dem Tod weiterzuleben und sie auf diese Weise unsterblich zu machen.[4] Er schuf damit gewissermaßen ein eigenes Pantheon, zu dem auch mehrere Deutsche gehörten, die er bei Studienreisen nach Deutschland und auch in Paris kennengelernt hatte wie Goethe und Ludwig Börne.[5] Und zu den „großen Männern“ seines Pantheons gehörten auch mehrere Frauen -anders als damals noch in der „Ehrenhalle für die großen Männer“: Den Frauenanteil von 10 % bei David d’Angers hat das Pantheon allerdings bis heute noch nicht erreicht…[6] Als David d’Angers das Medaillon Rosa Bonheurs anfertigte, war sie gerade 32 alt und schon eine arrivierte Künstlerin: Ihr monumentales Gemälde Le Marché aux chevaux (Der Pferdemarkt) hatte ihr internationale Anerkennung und Bewunderung eingebracht – und eben auch die außerordentliche Würdigung durch David d’Angers.

Édouard-Louis Dubufe, Portrait von Rosa Bonheur 1857 [7]
Etwas handfestere Motive als David d’Angers hatte der geschäftstüchtige Berater und Kunsthändler Ernest Gambart, als er ein Portrait der von ihm vermarkteten Künstlerin in Auftrag gab. Während ihre großen Werke damals schon überwiegend im Ausland ausgestellt und verbreitet wurden, wurde das Portrait Dubufes in Paris ausgestellt, diente also auch der Präsenz Rosa Bonheurs in Frankreich. Der von Gambart ausgewählte Portraitist war niemand Geringerer als Édouard-Louis Dubufe, ein Modemaler des Zweiten Kaiserreichs und Hofmaler Napoleons III. Dubufe malte Rosa Bonheur mit feierlicher schwarzer Robe und Spitzenkragen, den konzentrierten Blick in die Weite gerichtet, wie ein Feldherr vor einer entscheidenden Schlacht, in der Hand einen Zeichenstift und eine Mappe mit Zeichenblock. Damit wird ihre Bedeutung als Zeichnerin hervorgehoben, und das mit Bedacht. Denn die Zeichnung repräsentierte, wie Leïla Jarbouai, Kuratorin des musée d’Orsay erläutert, die Arbeit und die Wissenschaft, zu der Frauen damals keinen Zugang hatten.
Rosa Bonheur bestand aber darauf, ihr Portrait selbst zu ergänzen und daraus -in zweifacher Hinsicht- ein Doppelportrait zu machen: Ihr Arm mit dem Zeichenstift liegt auf einem von ihr selbst gemalten Cantal-Rind, dem Tier also, mit dessen Bild sie 1848 eine Goldmedaille auf dem Salon erhalten hatte. Und die Rinder hatten es Rosa Bonheur angetan- anders als die Männer: Was das männliche Geschlecht angeht, schrieb sie einmal in einem Brief, „so liebe ich nur die Stiere, die ich male“.[8]
Das gemeinsame Werk von Rosa Bonheur und Dubufe lässt erkennen, wie die Künstlerin sich sah und wie sie gesehen werden wollte: als selbstbewusste, ambitionierte Frau in enger Verbindung mit den Tieren, denen ihr gesamtes Lebenswerk gewidmet war.[9]

Die große Popularität Bonheurs spiegelt sich auch in dieser Parodie, die der Karikaturist Cham von Dubufes Portrait anfertigte. Cham betont die enge Beziehung zwischen Rosa Bonheur und den Tieren: Mensch und Tier, hier ein ziemlich wildes Rind mit eindrucksvollen Hörnern, blicken in die gleiche Richtung. Und Cham spielt mit der lautlichen Nähe von du bœuf und Dubufe und der – allerdings nicht expliziten- doppelten Autorenschaft des Bildes: „Mademoiselle Rosa Bonheur mit Du Buffe … gemalt von du bœuf … Nein mit du bœuf gemalt von Du Buffe.“ [10]

Anna Elizabeth Klumpke, Rosa Bonheur in ihrem Atelier in Thoméry
Dieses Portrait entstand 1898, also kurz vor Rosa Bonheurs Tod.[11] Die Malerin, Anna Elizabeth Klumpke, war in diesem Jahr aus Amerika nach Frankreich gekommen, um ein Portrait der von ihr verehrten Rosa Bonheur anzufertigen. Sie blieb als „le dernier bonheur de Rosa“, als „Rosas letztes Glück“,[12] über deren Tod hinaus als Erbin und Nachlassverwalterin im Château de By bei Fontainebleau, wo Bonheur inmitten ihrer Tiere und der Natur seit 1860 lebte und arbeitete.
Zum Château de By Rosa Bonheurs siehe den Blog-Beitrag: https://paris-blog.org/2022/08/12/das-chateau-de-by-von-rosa-bonheur-ihre-arche-noah-im-wald-von-fontainebleau/
Klumpke hat Rosa Bonheur als Malerin in Ihrem Atelier portraitiert, in der Hand hält sie wohl eine Zeichnung als Vorlage für das entstehende Ölgemälde auf der Staffelei.

Foto: Wolf Jöckel (Ausschnitt)
Offensichtlich handelt es sich um das unvollendete Ölgemälde „Pferde in Freiheit“ oder auch „Wilde Pferde auf der Flucht vor einem Feuer“. Neben den Rindern waren Pferde ja auch die Tiere, die Bonheur ganz besonders gerne und mit besonderer Meisterschaft malte, wie ihr berühmtestes Bild, der weiter unten vorgestellte Pferdemarkt eindrucksvoll beweist.
Ausgewählte Werke
Zwei Kaninchen, 1840, Musée des Beaux Arts, Bordeaux[13]

Seit Rosa Bonheur 13 Jahre alt war, erhielt sie von ihrem Vater, dem Maler Raimond Bonheur, Unterricht im Zeichnen und Malen. Zum ersten Mal nahm sie, 19 Jahre alt, am Salon von 1841 teil und machte mit dem Bild der zwei Kaninchen auf sich aufmerksam. Marie Bonin, Autorin einer Biographie über Rosa Bonheur: „Sie war so begabt, dass man sie mit einem Mann verglich. Sie malte so gut wie ein Mann, sagte man damals“.[14] Dass eine junge Frau schon so früh über eine solche virtuose Maltechnik verfügte, wie sie in diesem Bild erkennbar ist, war damals in der Tat völlig außergewöhnlich. Das Motiv des Bildes, zwei Karotten mümmelnde Stall-Kaninchen, und das begrenzte Format (54 x 65 cm) entsprachen allerdings noch dem, was die Zeitgenossen von einer malenden Frau erwarteten.

Labourage nivernais/Pflügen im Nivernais 1849
©Musée d’Orsay, Dist. RMN-Grand Palais / Patrice Schmidt
Nach ihrem Erfolg beim Salon von 1848 erhielt Rosa Bonheur den ehrenvollen Staatsauftrag für ein neues Gemälde, das für das Museum von Lyon vorgesehen war. Rosa Bonheur reiste dafür extra ins Nivernais, um die Landschaft, die Tiere und die Arbeit der Bauern zu studieren. Zurück in ihrem Atelier malte sie dann das Bild, dessen Dimensionen allein schon außergewöhnlich sind: 1,33 mal 2,60 Meter. Bilder solchen Ausmaßes waren damals eher für Historienbilder oder Portraits reserviert. Rosa Bonheur stellte aber die gängige Hierarchie infrage: Sie bewies mit diesem monumentalen Bild, dass auch Tiere, Natur und bäuerliche Arbeit ihre Würde haben; vor allem offensichtlich die Tiere: Denn die nehmen die Mitte des Gemäldes ein: Es sind insgesamt jeweils sechs Ochsen, die vor den Pflug gespannt sind. Und die sind so detailgenau wiedergegeben, dass man sie sogar verschiedenen Rassen zuordnen kann: Es sind vor allem Charolais-Nivernais-Ochsen, aber auch Morvondelle- und Fémeline-Ochsen, die heute ausgestorben sind: Ein eindrucksvolles Beispiel für eine Diversität, die der Standardisierung und Rentabilisierung in der Landwirtschaft zum Opfer gefallen ist.[15] Die Tiere werden gezeigt beim Pflügen des herbstlichen Ackerbodens, dessen Tiefe und Schwere eindrucksvoll gestaltet sind. Man spürt geradezu das langsame Vorankommen und die ungeheure Kraft und Anstrengung, die zum Umpflügen dieses Bodens erforderlich sind. Und im Mittelpunkt des Bildes und seiner beiden sich kreuzenden Diagonalen: Das Auge des Charolais-Nivernais-Rindes und der schmerzliche Blick, den es den Betrachtern zuwirft. Die Menschen spielen dagegen- wie meist bei Rosa Bonheur- nur eine untergeordnete Rolle.[16]

Labourage nivernais (Ausschnitt). Foto: Wolf Jöckel
Dem Bild wurde ein triumphaler Erfolg zuteil, so dass es -entgegen der ursprünglichen Planung- in Paris verblieb: Im musée du Luxembourg, dem damaligen „Pantheon der größten zeitgenössischen Künstler“[17] wurde es ausgestellt, eine außerordentliche Auszeichnung für die 27 Jahre junge Malerin.
Le Marché aux chevaux/ Der Pferdemarkt 1852 /1855
Nach dem großen Erfolg der Labourage nivernais erhielt Rosa Bonheur einen neuen Staatsauftrag- jetzt von dem nach dem Staatsstreich von 1851 zum Kaiser Napoleon III. ausgerufenen Louis Bonaparte. Rosa Bonheur legte dafür Studien für zwei Themen vor: Heuernte in der Auvergne (fenaison en Auvergne) und le marché aux chevaux de Paris. Der Staat entschied sich für die Heuernte, nicht nur weil Rosa Bonheur damals schon eine ausgewiesene Malerin von Rindern war, die bei der Heuernte wieder eine zentrale Rolle spielten, sondern auch deshalb, weil der Staat daran interessiert war, den neuen Kaiser als einen Förderer bäuerlichen Lebens herauszustellen.
Rosa Bonheur ließ aber ihr Pferdemarkt-Projekt nicht fallen, sondern führte es gewissermaßen auf eigenes Risiko mit großer Energie weiter. Auch hier betrieb sie lange Vorstudien, die sie in unzähligen Zeichnungen festhielt: Pferde in verschiedenen Bewegungsformen und anatomischen Details, einzelne Personen und Gruppen.

Ein rittlings sitzender Mann. Vorbereitende Zeichnung für den „Pferdemarkt“. Um 1853 (Foto: Wolf Jöckel, Ausschnitt).

Studien von Pferdefüßen. 1850-53 (Foto: Wolf Jöckel)
Dazu kamen auch Entwürfe der gesamten Komposition. Eine (Entwurfs-) Zeichnung in den Dimensionen des späteren Gemäldes wurde erst 2020 zusammengerollt auf dem Speicher des Schlosses von By entdeckt und wird jetzt zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert: Keine ins Detail gehende, sondern eine etwas abstrakte Zeichnung, bei der es nach den Worten von Leïla Jarbouai um Dynamik und Bewegung geht.[18]

Ausschnitt. Foto: Wolf Jöckel
Zur Vorbereitung besuchte Rosa Bonheur auch den Pferdemarkt auf dem Boulevard de l’Hôpital in Paris, nicht weit entfernt vom Krankenhaus La Salpétrière. Um dort als Frau nicht Aufsehen zu erregen und um besser arbeiten zu können, erhielt sie von der Polizeipräfektur die offizielle Genehmigung, bei diesen Besuchen Männerkleidung tragen zu dürfen.
18 Monate arbeitete sie an dem Bild. Die endgültige Version maß 5 mal 2,4 Meter: Eine an sich banale Szene, die aber von ihr fast wie ein Schlachtengemälde konzipiert ist:

Le Marché aux chevaux/ Der Pferdemarkt 1855(© The National Gallery, London, 120 x 254,6 cm)
Die im Kreis herumgeführten Pferde lassen sich kaum bändigen, sie erscheinen „en rébellion“ (Sandra Buratti-Hasan). Auch hier beherrschen die Tiere die Szene, die Menschen sind nur Nebenfiguren in einer großartigen Choreographie. Rosa Bonheur selbst bezeichnete das Gemälde als ihren eigenen „Parthenon-Fries“.[19]
1853 wurde das noch nicht ganz vollendete Bild auf dem Salon in Paris und 1855 auf der Weltausstellung präsentiert. Der Klassiker Vernet und der Romantiker Delacroix erkannten es als Meisterwerk, die Kunstkritik zog Vergleiche zu Géricault und Courbet.

Der Pferdemarkt, Detail (Foto: Wolf Jöckel)
Der Kunstpädagoge des Metropolitan Museums Wayne Thiebaud sieht in dem Gemälde denn auch nicht nur klassische und realistische, sondern auch romantische und impressionistische Elemente.[20]

Der Pferdemarkt, Detail. Im Hintergrund die Kuppel der Salpétrière- Kapelle (Foto: Wolf Jöckel)
Aber trotzdem fand sich zunächst kein Käufer: Rosa Bonheurs Geburtsstadt Bordeaux, der sie das inzwischen fertiggestellte Gemälde für 12 000 Franc anbot, griff nicht zu. Dafür Ernest Gambart, ihr Kunsthändler, der es ein Jahr später für 40 000 Franc erwarb und mit dem Vertrieb der Werke Bonheurs zum Millionär wurde. Er ließ mehrere kleinere Kopien und jede Menge Grafiken des Bildes anfertigen und bediente damit eine immer größere Nachfrage. Rosa Bonheur: „Die Engländer rissen sich um die Grafiken, die man von meinen Bildern machte; die Amerikaner stritten sich um meine Bilder“.[21] In der Tat fand Rosa Bonheur besondere Resonanz im angelsächsischen Raum. Gambart organisierte für sie und das Bild 1856 eine Tournee durch England und Schottland, wo sie gefeiert wurden. Le Marché aux chevaux/The Horse Fair war das erste Bild einer noch lebenden Künstlerin/eines noch lebenden Künstlers, das in der National Gallery in London ausgestellt wurde. Sogar Queen Victoria gab ihr die Ehre und empfing sie. Gekauft wurde das Gemälde von einem amerikanischen Sammler, schließlich von dem Eisenbahn-Magnaten Cornelius Vanderbilt II, der es 1887 dem Metropolitan Museum of Art in New York schenkte, wo es noch heute einen Ehrenplatz einnimmt.
Für die französische Retrospektive wurde dieses Gemälde nicht ausgeliehen, aber zu sehen ist immerhin die -oben abgebildete- um die Hälfte verkleinerte Version. Sie wurde gemeinsam von Rosa Bonheur und ihrer Lebensgefährtin Nathalie Micas, die auch Malerin war, angefertigt und zu Thomas Landseer nach England geschickt, um als Vorlage für die Herstellung einer Grafik zu dienen. Thomas Landseer war Bruder des berühmten Tiermalers Edwin Landseer und er trug mit seinen viel reproduzierten und verbreiteten Grafiken sehr zur Popularisierung der Arbeiten seines jüngeren Bruders und auch Rosa Bonheurs bei. Heute in das Bild in der Londoner National Gallery ausgestellt.
Von ihrer Reise nach England und Schottland brachte Rosa Bonheur eine ganze Reihe Zeichnungen mit, die sie anschließend als Vorlage für Gemälde verwendete.

So entstand auch dieses eindrucksvolle Gemälde: Changement de pâturage (Weidewechsel) Hamburger Kunsthalle 64 x 100 cm[22]
Drei Schäfer überqueren mit ihrem Boot ein Gewässer, auf dem Weg zu einem neuen Weideplatz für die Schafherde. Es sind schottische Blackface-Schafe, eine Rasse, die Rosa Bonheur besonders bewunderte. Die Szene ist mit viel Liebe zum Detail gestaltet, die wollige Struktur des Schafsfells ist mit großer Meisterschaft wiedergegeben, manche Tiere sind geradezu portraitiert. Das Bild strahlt eine große Ruhe aus, Mensch und Tier sind in Harmonie vereint.
Rosa Bonheur konnte in Schottland beobachten, wie Herden auf dem Weg zum Falkirk Tryst, einem der größten Viehmärkte Europas, von Insel zu Insel gerudert wurden.[23] Ihre Bestimmung war also letztendlich das Schlachthaus. Aber das ist ein anderes Kapitel….
Auf ihrer Reise beobachtete Rosa Bonheur auch, wie Highland-Rinder den See von Ballachulish überqueren.

Rosa Bonheur, Bœufs traversant un lac à Ballachulish 1867-1873 124 x 223 cm[24]
Zehn Jahre nach ihrem Aufenthalt in Schottland fertigte Rosa Bonheur diese große Zeichnung an, die eigentlich Grundlage für ein nachfolgendes Gemälde sein sollte, das sie als Fortsetzung des Pferdemarktes betrachtete. Sie beließ es aber schließlich bei der Zeichnung, die sie 1873 ihrem Kunsthändler Ernest Gambart mit den Worten schickte, sie habe dort all das umgesetzt, was ihr möglich sei.[25]

Detail. Foto: Wolf Jöckel

Detail. Foto: Wolf Jöckel
Rosa Bonheur, El Cid- Tête de lion 1879. 95 x 76 cm. Madrid, Museo Nacional del Prado[26]

Der Titel dieses Löwenportraits, El Cid, stammt aus dem Arabischen und bedeutet „Herr“. Und dass es sich hier um einen Herrn bzw. Herrscher, ja den König der Tiere handelt, ist unverkennbar. Um den Löwenkopf gibt es nur ein wenig Himmel und etwas unbestimmte Landschaft. Alles ist auf ihn konzentriert, vor allem auf die Augen, die den Betrachter ruhig, konzentriert und fast von oben herab anblicken. Den Augen maß Rosa Bonheur in ihren Tierbildern besondere Bedeutung beimaß:
„Ich fühlte mich nur inmitten der Tiere wohl, ich studierte mit großer Leidenschaft ihre Verhaltensweisen. Eine Sache, die ich mit besonderem Interesse beobachtete, war der Ausdruck in ihren Blicken: Ist das Auge nicht bei allen lebenden Kreaturen der Spiegel der Seele; kann man nicht da die Wünsche und Gefühle der Lebewesen ablesen, denen die Natur keine andere Mittel gegeben hat, ihre Gedanken auszudrücken?“[27]
Bemerkenswert ist auch hier -wie in allen Tierbildern Rosa Bonheurs- die Präzision der Darstellung. Nie hat sie improvisiert, sondern immer nach der Natur gemalt. Solange sie in Paris lebte, besuchte sie oft den Zoo, und konnte die Löwen dort beobachten. Als sie sich im Schloss von By niederließ, schuf sie dort einen wahren Tierpark, ihre Arche Noah im Wald von Fontainebleau. Dazu gehörten Rehe, Schafe, Wildschweine, Pferde und eben auch Löwen wie ihre Löwin Fatma, von denen sie sich inspirieren ließ.

Rosa Bonheur Barbaro après la chasse/Barbaro nach der Jagd 1858, 96,5 mal 130,2 cm
Philadelphia Museum of Art
Ganz anders als der herrschaftliche Löwe ist dieser Hund dargestellt, dessen Name auf die Wand geschrieben ist. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein armer Hund. Er ist hier nicht der Jäger, der das Wild zu Tode hetzt und zerreißt, sondern Rosa Bonheur malt ihn, wie er von der Jagd erschöpft dasitzt, so eng angekettet, dass er sich noch nicht einmal hinlegen oder den armseligen Knochen am Boden erreichen kann: Ein Bild des Elends. Der Jagdhund ist hier als Opfer dargestellt (Leïla Jarbouai). Besonders eindrucksvoll ist auch hier der Blick: Ein unendlich trauriger, Mitleid-heischender Blick auf seinen Herrn, aber auch auf die Betrachter des Gemäldes, die Rosa Bonheur damit auf die Notwendigkeit des Tierschutzes aufmerksam macht. Sie gehörte zu den ersten Mitgliedern der 1845 gegründeten SPA (Société protectrice des animaux) und illustrierte die 1888 veröffentlichten Lettres d’un chien errant von Louis Moynier, in denen die Misshandlung von Arbeitstieren angeprangert und die Notwendigkeit ihres Schutzes propagiert werden.[28] Im Bild des stolzen Löwenherrschers Cid wie in dem des armseligen Jagdhundes Barbaro geht es, wie in all ihren Tierbildern darum, die Tiere in ihrer Würde zu zeigen oder ihnen die verlorene Würde zurückzugeben.[29]

Rosa Bonheur. L’aigle blessé, der verletzte Adler, (um) 1870, 147,6 mal 114,6, Los Angeles, LACMA[30]
Mit diesem Bild hat es seine besondere Bewandtnis: Der Adler gehörte nicht zu den von Rosa Bonheur bevorzugten Tieren. Ihn zu malen, war schon etwas Besonderes, und dann noch einen im vollen Flug -vielleicht durch einen Schuss- verletzten Adler! Die Vermutung liegt aber nahe, dass das im deutschen-französischen Krieg 1870/71 entstandene Bild sich auf die Niederlage Napoleons III. bezieht, es hier also nur vordergründig um einen verletzten Adler, sondern vielmehr um das verletzte Frankreich, um „nos désastres“ (Rosa Bonheur) geht.[31]
Rosa Bonheur hatte enge Beziehungen zur kaiserlichen Familie im benachbarten Fontainebleau. Der Thronfolger kam gerne ins Schloss von By mit den vielen Tieren, und Kaiserin Eugénie war höchstpersönlich nach Thoméry gekommen, um Rosa Bonheur mit der Ehrenlegion auszuzeichnen.
Während des Krieges öffnete sie das Schloss bzw. den Park für militärische Übungen und ließ für die Armen des Ortes Suppe verteilen. Insofern ist das Bild ein Spiegel des patriotischen Engagements Rosa Bonheurs und ihrer Trauer über die französische Niederlage.[32]
Zu befürchten hatte Rosa Bonheurs durch den Krieg allerdings nichts, denn der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm, der einen Teil der Truppen kommandierte, die Paris belagerten, „hatte Bonheur und ihren Wohnsitz aufgrund ihrer Bekanntheit unter Schutz gestellt.“[33] Das mag vielleicht erstaunlich erscheinen, ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass der anglophile Friedrich Wilhelm mit Victoria, der kunstliebenden ältesten Tochter der Queen Victoria, verheiratet war. Und die hatte ja sogar Rosa Bonheur in London in Privataudienz empfangen. Insofern konnte und musste Friedrich Wilhelm der Schutz der in England so populären Künstlerin ein besonderes Anliegen sein. Friedrich Wilhelm bat sogar Rosa Bonheur, ihn in ihrem Schloss zu empfangen. Die patriotische Malerin entzog sich dem aber, indem sie in den Wald von Fontainebleau auswich.[34]
Rosa Bonheurs amerikanischer Traum
Die letzten 10 Jahre des Lebens von Rosa Bonheur waren bestimmt von dem amerikanischen Traum. Anstoß dazu war die Wild West Show von William F. Cody, genannt Buffalo Bill. Diese Show wurde 1889 nach großen Erfolgen in England sieben Monate lang als Begleitprogramm der Weltausstellung in Neuilly bei Paris präsentiert. Zur Eröffnungsveranstaltung kamen etwa 10 000 Besucher und auch der französische Präsident Carnot. Zur Show gehörten etwa 100 amerikanische Ureinwohner, vor allem Sioux- Indianer, 48 Cowboys, 20 Bisons und Mustangs, 190 Ponies…. Rosa Bonheur verbrachte viele Tage mit der Truppe: Ihr Interesse galt -natürlich- den Tieren, aber auch den „Peaux-Rouges“, den „Rothäuten“: „Ich konnte mir“, so berichtete sie Anna Klumpke, „nach Belieben ihre Zelte ansehen; ich habe an ihrem Alltagsleben teilgenommen; ich habe, so gut ich konnte, mit den Kriegern, ihren Frauen und Kindern gesprochen; Ich habe ihre Bisons, ihre Pferde und Waffen gezeichnet, die mich besonders interessiert haben.“[35]

Migration de bisons , 1897 (111,8 x 188 cm)[36]
Die damals fast ausgerotteten Bisons hatten es Rosa Bonheur besonders angetan. So entstand dieses Ölgemälde, bei dem sie die Bisons in ihrer heimischen Umgebung darstellte, die sie allerdings nur aus Berichten und der Literatur kannte: In Amerika ist sie nie gewesen.

Auf diesem Foto sieht man Rosa Bonheur inmitten einiger Mitglieder von Cody’s Truppe. Ganz links im Bild der Häuptling Inyan Mató (Rocky Bear), daneben William F. Cody (Buffalo Bill), zweiter von rechts ist Häuptling Ógle Lúta (Red Shirt).[37]

Ihrer Liebe zu den Büffeln zum Trotz malte Rosa Bonheur -selten genug bei ihr- ein Portrait Buffalo Bill’s – des legendären Cowboys und Büffel-Jägers. Gleichwohl schloss sie Freundschaft mit ihm: Cody besuchte Rosa Bonheur sogar in Thoméry und brachte ihr als Gastgeschenk Accessoires der Indianer mit. Und er beeindruckte Rosa Bonheur, weil er innerhalb von wenigen Stunden drei Wildpferde, die ihr von amerikanischen Verehrern geschenkt worden waren, mit dem Lasso einfing und zähmte.[38] Buffalo Bill, ein Meister des Marketings, nutzte das von Rosa Bonheur angefertigte Portrait weidlich , um für seine Show zu werben.

Auf diesem Plakat sieht man in der Mitte Rosa Bonheur, wie sie Buffalo Bill malt: Die Kunst verleiht dem Ruhm Dauer.[39] Da ist links der alte, abgehalfterte Napoleon abgebildet, dessen Weg „von der Seine … nach Waterloo“ führt, rechts der kraftstrotzende Napoleon der Moderne, dessen -nur siegreiche- Schlachten die Shows in aller Welt sind.[40]
Rosa Bonheur portraitierte aber auch die beiden Häuptlinge der Show als Reiter in festlicher Kleidung und in ihrer heimatlichen Umgebung- einer ebenso festlichen Landschaft gesprenkelt mit blau blühenden Hyazinthen.

Die Wild West Show Buffalo Bills war eine höchst ambivalente Veranstaltung. Sie reiht sich ein in eine ganze Reihe von „menschlichen Zoos“, die in dieser Zeit in Europa präsentiert wurden bis hin zur Vorführung angeblicher Menschenfresser aus der Südsee noch in den 1930-er Jahren.[41] In diesem Sinne spielten auch die Indianer der Show eine Rolle als blutdürstige Wilde, die von Helden wie Buffalo Bill, angeblichen Vertretern einer auf einer höheren Zivilisationsstufe stehenden Rasse, besiegt werden. Auf der anderen Seite aber diente der „Wilde Westen“ der Show in den Klassengesellschaften Europas und in einer Phase entfesselter kapitalistischer Industrialisierungsprozesse auch als Projektionsfläche für die Sehnsucht nach Freiheit.[42] Und die Indianer wurden im Rousseau’schen Sinne als Vertreter eines besseren, ursprünglichen Stadiums der Zivilisation gesehen. Dies war auch die Sicht Rosa Bonheurs. Nach einem Essen mit den beiden Indianerhäuptlingen der Show sagte sie: „Das sind wahre Männer. … Es sind würdige, ernsthafte Männer… Wie sind die heutigen Männer von der Zivilisation degeneriert im Vergleich zu diesen edlen Exemplaren …“ Ähnlich wie Karl May in Deutschland bewunderte sie die Fähigkeit der amerikanischen Ureinwohner, die Natur zu verstehen und im Einklang mit ihr zu leben. Und daraus folgte konsequent auch die Kritik am Kolonialismus der weißen Eroberer: Sie habe „eine wahre Leidenschaft für diese unglückliche Rasse“, und sie beklage, dass diese von den weißen Eroberern zum Untergang bestimmt sei- so wie ja auch die hemmungslos getöteten Bisons.
Das Bild der beiden durch die Prärie reitenden Indianerhäuptlinge ist insofern auch als politische Botschaft zu verstehen: Es ist als ein Plädoyer für das von der amerikanischen Regierung und der Siedlerbewegung infrage gestellte Recht der amerikanischen Ureinwohner auf ihr Land zu verstehen.
Der Wald von Fontainebleau
Rosa Bonheur hat immer in Kontakt mit der Natur gelebt und sich von ihr inspirieren lassen. Das waren vor allem Tiere, aber auch Landschaften, denn ihr war daran gelegen, ihre Tierszenen in eine möglichst naturgetreue Umgebung einzufügen. Seit sie sich 1860 im Schloss von By am Rand des Waldes von Fontainebleau niederließ, beschäftigte sie sich, wie sie ihrer Lebensgefährtin und Biographin Anna Klumpke erläuterte, ständig und leidenschaftlich mit dem Wald, seiner „faune gracieuse“, aber auch seinen Kiefern, Eichen, Buchen und Birken. Jeden Morgen streifte sie in Begleitung ihrer Lieblingshunde mit Zeichenblock und Farbkasten hoch zu Ross oder im Wagen durch den Wald. Nie versäumte sie es, an der Mare aux Fées anzuhalten, wo sie es liebte, eine Zigarre zu rauchen.
Die Mare aux fées, der Feenteich im Wald von Fontainebleau, ist ein malerischer Ort, der zahlreiche Maler, Zeichner und Fotographen inspiriert hat. Sein Name bezieht sich auf Mythen und Legenden, die in der Zeit der Industrialisierung und der Ausbreitung der Städte ihren besonderen Reiz hatten.

Rosa Bonheur, La Mare aux fées à Fontainebleau 28 x 42 cm © Musée d’Orsay, dist. RMN-Grand-Palais / Patrice Schmidt[43]
Hier ein Aquarell des Feenteichs. Kein Medium erlaubt es besser als das Aquarell, das Rosa Bonheur perfekt beherrschte, die Vibration des Lichts und die unmerkliche Bewegung der Luft im Laub der majestätischen Bäume wiederzugeben.[44]

Les Charbonniers (Die Köhler) 1880-1890 49,5 x 64,3 cm Foto: Wolf Jöckel (Ausschnitt)[45]
Bei ihren regelmäßigen Ausflügen in den Wald von Fontainebleau konnte Rosa Bonheur auch die Köhler bei der Herstellung von Holzkohle beobachten. War ein Kohlemeiler einmal angezündet, musste das Feuer ständig beobachtet werden, so dass die Köhler bis zur Fertigstellung der Holzkohle ständig in selbstgebauten Hütten wohnten. Noch heute erinnert die „Route des Charbonniers“ an die Präsenz der Köhler im Wald von Fontainebleau.
Rosa Bonheur hat diese Szene mit Zeichenkohle und weißem Kalk gezeichnet. Auf diese Weise gelingt es ihr, die rauchgeschwängerte Arbeit der Köhler eindrucksvoll festzuhalten. Beide halten einen langen Stock, wahrscheinlich einen Rechen, mit dem sie die rauchende Holzkohle aus dem abgebauten Meiler zum Auskühlen auf dem Boden verteilen.[46]
Vor allem waren es die Tiere, die Rosa Bonheur im Wald von Fontainebleau anzogen und die sie zeichnete und malte: Wildschweine, Füchse, Rehe und Hirsche, wie den als Titelbild dieses Beitrags und als Ausstellungsplakat verwendeten „König des Waldes“.

Rosa Bonheur, Le Roi de la forêt (Der König des Waldes) 244,8 x 175cm)
Rosa Bonheur malte dieses Bild 1878. Es zeigt einen majestätischen Hirsch, wie er aus dem Wald kommend an einer Lichtung anhält, Aug in Aug mit dem Betrachter des Bildes. Nach einer unwahrscheinlichen, aber mehrfach von Nahestehenden berichteten Geschichte soll der 10-Ender auch zu den Tieren im Park des Schlosses von By gehört haben. Bei dem unerwünschten Besuch des Kronprinzen Friedrich-Wilhelm am Ende des deutsch-französischen Krieges soll sich der „cerf prussophobe“, der preußenfeindliche Hirsch, aufgebäumt und das Gefolge des Prinzen mit französischem Dreck beschmutzt haben. Balsam auf die dem Nationalstolz zugefügten Wunden.[47]
Vergessen und wiederentdeckt
Bald nach ihrem Tod geriet Rosa Bonheur „in Vergessenheit“ und ihr Werk fiel „in Ungnade“. [48] Das zeichnete sich schon bei der großen Versteigerung von 1900 in Paris ab, die gut 1 Million Francs erbrachte- angesichts der versteigerten 1910 Werke Rosa Bonheurs und ihrer ebenfalls versteigerten Kunstsammlung ein recht bescheidenes Ergebnis – zumal wenn man bedenkt, dass gerade erst 13 Jahre vorher Cornelius Vanderbild II allein den „Pferdemarkt“ für 400 000 Dollar gekauft hatte. Aber dann begann der unaufhaltsame Aufstieg der Avant-garde und einhergehend damit die Verdammung der traditionellen „Kanaille des Erfolgs“, die nach den Worten der Gebrüder Goncourt die damnatio memoriae verdient habe. Die realistische Malweise wurde „von dem Siegeszug des Impressionismus als Bildsprache der Moderne überlagert“. Rosa Bonheurs Werk galt nun als überholt, traditionell, ja kitschig. Dazu kam, dass Rosa Bonheur als Hofmalerin des Zweiten Kaiserreichs Napoleons III. und dann der neureichen Bourgeoisie der Dritten Republik abgestempelt war. Nicht minder schlimm: Sie galt den Gebrüdern Goncourt sogar als jüdische Opportunistin (!), die Paris den Rücken gekehrt habe, um in England und Amerika reich zu werden.[49] Wahr ist daran allerdings, dass Rosa Bonheur seit ihrer Installation in Schloss von By nicht mehr im Pariser Salon ausgestellt hatte. Ihre bedeutenden Werke wurden direkt von ihrem Kunsthändler Gambart aufgekauft und im Ausland ausgestellt. Den „König des Waldes“ beispielsweise präsentierte Gambart zunächst in seinem Heimatland Belgien und dann in England, wo das Gemälde mithilfe massenhaft vertriebener Drucke ähnlich populär gemacht wurde wie zuvor der Pferdemarkt. Ende des Jahrhunderts schrieb ein französischer Kunstkritiker, Rosa Bonheur sei in Frankreich „gestern berühmt“ gewesen, und ein anderer, sie sei eine Frau, die dabei sei, von den (französischen) Zeitgenossen vergessen zu werden. Dazu trug nicht zuletzt auch bei, dass das zu ihrer Zeit äußerst populäre Genre der Tiermalerei zu einem Randbereich der Malerei und des Kunstmarkts wurde.
Die „neue Zeit“ ging über Rosa Bonheurs Werk hinweg: Von dem durch die industrielle Revolution genährten Fortschrittsglauben ist bei ihr nichts zu spüren. In ihren Bildern gibt es keine rauchenden Schornsteine oder dampfenden Eisenbahnen. Eher eine nostalgische Tendenz zur Idealisierung des ländlichen Lebens, wie sie vor allem, aber nicht nur, in Frühwerken zu erkennen ist:

Rosa Bonheur, La Famille heureuse (Die glückliche Familie), um 1840
Wenn Rosa Bonheur also heute als „femme d’avant-garde“ (Fémelat) gefeiert wird, dann eher wegen ihrer unkonventionellen Lebensweise und weniger als Malerin. Und in der Tat steht vielfach immer noch bei der Beschäftigung mit Rosa Bonheur nicht das Werk im Vordergrund, sondern ihre Person.[50]
Und insofern stimmt es auch nicht ganz, dass Rosa Bonheur schon bald nach ihrem Tod völlig „in Vergessenheit“ geriet. Für ihre Person galt das nämlich eher nicht. Denn schon um das Jahr 1900 setzte „in der frühen Homosexuellenbewegung“ eine „lesbische Rezeption Bonheurs ein.“ Sie wurde „als lesbisch angesehen – „man könnte auch sagen vereinnahmt, auch wenn die Quellenlage und vor allem auch Bonheurs eigene Aussagen das nicht eindeutig hergeben. Für Magnus Hirschfeld zum Beispiel („Die Homosexualität des Mannes und des Weibes“, 1914) war Bonheur eine „virile Transvestitin“ (S. 660), an deren Werk man erkennen könne, „wie die der homosexuellen Frau eigentümliche virile Wesenskomponente“ Bonheur „Kraft und Energie“ für ihre künstlerische Ausdrucksweise verliehen habe (S. 508).[51]
Kein Wunder also, dass Feministinnen und Queer-Denker/innen Rosa Bonheur für sich entdeckt haben und reklamieren. Das treibt zum Teil bizarre sprachliche Blüten, wie in dem nachfolgenden Zitat aus der homepage des Liverpooler National Museum. Um das offenbar anstößige „she“ für Rosa Bonheur zu vermeiden, wird für sie die dritte Person Plural verwendet. Das liest sich dann so:
In their relationships, Bonheur referred to themselves as ‘the husband’ and assumed the traditionally male role of ‘breadwinner’. It is clear that they understood their relationships with their consecutive, long-term partners (Nathalie Micas and Anna Klumpke) to be a form of matrimony. Bonheur is sometimes cited as ‘the first lesbian artist’. Today, Bonheur may have identified as a lesbian. Bonheur was also someone who defied gender conventions for the time and saw themselves as occupying a masculine role, so it is also possible that Bonheur may have understood themselves to be trans, non-binary, or genderqueer.[52]
Aber es gibt auch noch einen anderen Aspekt, der eine neue Sicht auf Rosa Bonheur eröffnet: Ihre Tierportraits können nämlich heute vor dem Hintergrund der Umweltkrise und Naturzerstörung neu interpretiert werden. Valérie Bienvenue schreibt dazu im Ausstellungskatalog:
„Die Individualität der von Bonheur gemalten Tiergesichter zu erkennen, ist ein mutiger und essentieller Akt. Sich bewusst mit unseren eigenen Augen darin zu versenken bedeutet, ein anhaltendes Ungleichgewicht wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Der beklagenswerte Zustand unseres Planeten und unsere Beziehung zu anderen Lebewesen zeigen, dass es mit der menschlichen Sonderstellung zu Ende geht. Es ist Zeit den „anderen“ zu wahrzunehmen, wer auch immer es sei. Das ist unvermeidlich. Die genaue Betrachtung der Tierportraits der Künstlerin bieten eine einzigartige Möglichkeit, unser Bewusstsein und unser Verhalten in Richtung einer gemeinsamen besseren Zukunft zu erheben.“[53]
Auf der Umschlagseite des Ausstellungskatalogs wird dieser Gedanke noch einmal herausgestellt: Mehr als jemals im 21. Jahrhundert ermögliche uns die Betrachtung der Kunst Rosa Bonheurs „eine neue Begegnung mit dem Leben“ und könne uns dabei helfen, die Welt lebenswerter zu machen
Unter welchem Blickwinkel auch immer man Rosa Bonheur und ihre Werke betrachtet: Die große Retrospektive im musée d’Orsay bietet eine hervorragende Möglichkeit, die bedeutendste Tiermalerin des 19. Jahrhunderts zu entdecken und zu betrachten, was sie uns vielleicht auch heute noch -oder wieder- zu sagen hat.
Verwendete Literatur
Gérard-Georges Lemaire/Jean-Claude Amiel: Rosa Bonheur. In: dies., Künstler und ihre Häuser. München 2004, S. 86-93
Rosa Bonheur, paroles d’artiste. Lyon 2020
Alina Christin Meiwes, Die Tiermalerin Rosa Bonheur. Künstlerische Strategien und kunsthistorische Einordnung im Kontext der Vermittlung. Baden-Baden 2020 (Diss. Uni Paderborn 2018)
DADA 266 (2022) Themenheft Rosa Bonheur
Armelle Fémelat, Rosa Bonheur. Paris 2022
Armelle Fémelat, Rosa Bonheur, femme d’avant-garde en 8 œuvres exposées à Bordeaux, Juni 2022 https://www.beauxarts.com/expos/rosa-bonheur-femme-davant-garde-en-8-oeuvres-exposees-a-bordeaux
Katalog der Ausstellungen Rosa Bonheur 2022 Bordeaux/Paris. Hrsg. Von Sandra Buratti-Hasan und Leïla Jarbouai. Paris: Flamarion 2022
Rosa Bonheur, dame nature. Film von Gregory Monro TV 5, 09/12/22, disponible jusqu’au 17/04/23 https://www.france.tv/france-5/aux-arts-et-caetera/4356388-rosa-bonheur-dame-nature.html
Anmerkungen
[1] https://www.beauxarts.com/videos/qui-etait-rosa-bonheur-peintre-animaliere-et-icone-du-xixe-siecle/ und https://www.musee-orsay.fr/fr/agenda/expositions/rosa-bonheur-1822-1899
[2] https://musba-bordeaux.opacweb.fr/fr/notice/bx-e-1169-portrait-de-rosa-bonheur-bf5d442a-ef76-4f91-91e0-5d13fb677590
[3] Bild aus: https://www.parismuseescollections.paris.fr/fr/musee-carnavalet/oeuvres/portrait-de-rosa-bonheur-1822-1899-peintre-animalier#infos-principales
[4] Edmond About, Vorwort zu: Les Medaillons de David d’Angers réunis et publiés par son fils. 1867, Seite V https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k1415033/f8.item
[5] Siehe dazu: https://paris-blog.org/2018/07/10/das-grabmal-ludwig-boernes-auf-dem-pere-lachaise-in-paris-eine-hommage-an-den-vorkaempfer-der-deutsch-franzoesischen-verstaendigung/
[6] In der o.g. Zusammenstellung der Medaillons gibt es, soweit meine Durchsicht zutrifft, insgesamt 477 Medaillons, davon sind 49 Frauen gewidmet – 47 alleine, 2 zusammen mit ihrem Mann. Im Pantheon von Paris ruhen -Stand 2022- 75 Männer und lediglich 6 Frauen… Siehe: https://paris-blog.org/2018/04/01/das-pantheon-der-grossen-und-der-weniger-grossen-maenner-und-der-wenigen-grossen-frauen-1-das-pantheon-der-frauen/
[7] Photo : © RMN-Grand Palais (Château de Versailles) / Gérard Blot
https://www.offi.fr/expositions-musees/musee-dorsay-2897/rosa-bonheur-1822-1899-85199.html
[8] « Cher Monsieur, si vous saviez comme je m’intéresse peu à votre sexe… En matière de mâles, je n’aime que les taureaux que je peins ». https://www.arts-in-the-city.com/2022/08/29/le-musee-des-beaux-arts-de-bordeaux-mettre-a-lhonneur-rosa-bonheur-en-2022/
[9] Siehe: Rosa Bonheur, femme d’avant-garde en 8 œuvres exposées à Bordeaux | Beaux Arts und https://www.musba-bordeaux.fr/fr/portrait-de-rosa-bonheur-edouard-louis-dubuffe (sic!)
[10] Cham, Une erreur du livret. In: Promenades à l’exposition. Le Charivari, 15. Juli 1857. Ausstellungskatalog S. 19/20
[11] Bild aus: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Anna_Klumpke_-_Portrait_of_Rosa_Bonheur_(1898).jpg
[12] https://www.liberation.fr/arts/2020/07/24/anna-klumpke-le-dernier-bonheur-de-rosa_1795151/
[13] Bild aus: https://www.meisterdrucke.de/kunstdrucke/Rosa-Bonheur/1029998/Kaninchen.-Gem%C3%A4lde-von-Rosa-Bonheur-(1822-1899).html
[14] Zit.in: https://www.radiofrance.fr/franceculture/rosa-bonheur-une-artiste-de-genie-tombee-dans-l-oubli-6362270
[15] Armelle Fémelat, Rosa Bonheur. Paris 2022, S. 40. Siehe auch die Erläuterung des Gemäldes im von Musée d’Orsay herausgegebenen Faltblatt zur Ausstellung.
[16] https://www.beauxarts.com/grand-format/rosa-bonheur-en-2-minutes/
[17] Sandra Buratti-Hasan, Ko-Kuratorin der Ausstellung. Zit. in: https://www.beauxarts.com/grand-format/rosa-bonheur-en-2-minutes/
[18] Leila Jarbouai, Rosa Bonheur, dessiner le vivant. In: Ausstellungskatalog, S. 162. Siehe auch: https://www.beauxarts.com/grand-format/rosa-bonheur-en-2-minutes/ und https://www.musee-orsay.fr/fr/agenda/expositions/rosa-bonheur-1822-1899
[19] https://artuk.org/discover/stories/ten-reasons-to-love-rosa-bonheur
[20] https://www.youtube.com/watch?v=-ZwZSKaG-FM&t=64s
[21] Rosa Bonheur, Paroles d’artistes, S. 14
[22] https://fr.wikipedia.org/wiki/Fichier:Rosa_Bonheur_-_Changement_de_p%C3%A2turages.jpg
[23] Armelle Fémellat, Rosa Bonheur, S. 68
[24] Bild aus: https://www.musee-orsay.fr/fr/oeuvres/boeufs-traversant-un-lac-devant-ballachulish-ecosse-78022
[25] Siehe dazu auch: Rosa Bonheur, femme d’avant-garde en 8 œuvres exposées à Bordeaux | Beaux Arts
[26] ©Photographic Archive Museo Nacional del Prado[26]
[27] Paroles des Artistes. Rosa Bonheur, S. 28. Dazu auch: Avec Rosa Bonheur, les animaux ont une âme (radiofrance.fr)
[28] Rosa Bonheur, femme d’avant-garde en 8 œuvres exposées à Bordeaux
[29] https://www.musba-bordeaux.fr/fr/article/rosa-bonheur-barbaro-apres-la-chasse
[30] https://fr.wikipedia.org/wiki/Fichier:The_Wounded_Eagle_LACMA_M.78.37.jpg
[31] Rosa Bonheur, Paroles d’artistes, S. 34
[32] Siehe: Maïlys Celeux-Lanval, Dans la ménagerie de Rosa. In: DADA No 266, 2022, S. 15
[33] Meiwes, Die Tiermalerin Rosa Bonheur, S. 26
[34] Es gehört zu den tragischen Momenten der deutschen Geschichte, dass Kronprinz Friedrich Wilhelm, der 1888 als Friedrich III. deutscher Kaiser wurde, nach nur 99 Tagen seinem Krebsleiden erlag. Hätte der anglophile und (gemäßigt) liberale Friedrich, ein Gegner Bismarcks, länger regieren können, wäre vielleicht die deutsche -und europäische- Geschichte anders verlaufen. Seine Witwe Victoria, auch Kaiserin Friedrich genannt, träumte von einem besseren Deutschland, verließ das Berlin Wilhelms II. und zog sich auf ihren Witwensitz in Königstein im Taunus zurück, wo sie sich als Liebhaberin und Förderin der Künste hervortat. Siehe: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/ausstellung-in-kronberg-kaiserin-friedrich-und-kunst-18403178.html
[35] Anna Klumpke, Rosa Bonheur, sa vie, son œuvre. Paris 1908, S. 36. Zit. im Ausstellungskatalog, S. 226
[36] Bild aus: https://www.gazette-drouot.com/en/article/art-market-overview-3A-rosa-bonheur-a-winning-bicentenary-3F/33305 Abbildung auch im Ausstellungskatalog S. 234
[37] Bild aus: https://www.leparisien.fr/seine-et-marne-77/estime-a-425-000-euros-le-costume-de-chef-indien-offert-par-buffalo-bill-a-rosa-bonheur-restera-en-seine-et-marne-21-08-2021-QDRS5F3WMVBSHBIEK6QM42VUTU.php Bild auch im Ausstellungskatalog S. 224. Originalfoto: https://www.metmuseum.org/art/collection/search/270016
[38] Fémelat, Rosa Bonheur, S. 148
[39] L’art perpétue la renommée : Rosa Bonheur peignant Buffalo Bill
1889 Buffalo Bill Center of the West, Cody. Abbildung auch im Ausstellungskatalog S. 230
[40] Siehe: https://www.musba-bordeaux.fr/fr/article/rosa-bonheur-lart-perpetue-la-renommee-rosa-bonheur-peignant-buffalo-bill-paris-1889
[41] Siehe dazu den Blog-Beitrag: Die Kolonialausstellung von 1931 (Teil 2): Der „menschliche Zoo“ im Jardin d’acclimatation und der Tausch von „teutonischen Krokodilen“ und „Menschenfressern“ zwischen Paris und Frankfurt https://paris-blog.org/2017/06/01/die-kolonialausstellung-von-1931-teil-2-der-menschliche-zoo-im-jardin-dacclimatisation-und-der-tausch-von-teutonischen-krokodilen-und-men-sche/ Unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen die Indianer, auch die beiden Häuptlinge, für die Show engagiert wurden, konnte ich nicht herausfinden. Bei früheren Shows in Amerika hatte Cody sogar den berühmten Häuptling Sitting Bull als Stargast gewinnen können. Allerdings unter Vorspiegelung falscher Tatsachen: „William Cody war es gelungen, auch berühmte indianische Häuptlinge wie den einst gefürchteten Sitting Bull als Mitwirkende zu engagieren. 1885 nahm dieser in der Wild-West-Show von Buffalo Bill in den USA und in Kanada als Statist teil. Ihm war dabei wegen mangelnder Englischkenntnisse und Vorspiegelung falscher Tatsachen nicht bewusst, dass es sich lediglich um eine Show handelte. Vielmehr glaubte er, auf diesem Wege (er hielt Ansprachen in Lakota) über die Verbrechen der Weißen an den Indianern aufklären zu können, und erhoffte sich davon ein Umdenken. Die Teilnahme an Buffalo Bills Europatournee lehnte er 1887 ab.“ Justina Schreiber, „Buffalo Bill’s Wild West Show“ in München. 25.9.2016 https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/land-und-leute/buffalo-bill-in-muenchen-schreiber100.html
[42] Zur Rezeption der Wild West Show Buffalo Bills siehe: Robert W. Rydell und Rob Kroes, Buffalo Bill’s Wild West in Europe. https://press.uchicago.edu/Misc/Chicago/732428.html
[43] Bild aus: https://www.musee-orsay.fr/fr/articles/rosa-bonheur-la-mare-aux-fees-fontainebleau-200942 Abbildung auch im Ausstellungskatalog S. 156
[44] Rosa Bonheur, femme d’avant-garde en 8 œuvres exposées à Bordeaux | Beaux Arts
[45] Abbildung im Ausstellungskatalog S. 160 und in: https://www.getty.edu/art/collection/object/109ME3
[46] https://www.getty.edu/art/collection/object/109ME3
[47] Dazu und zum Folgenden: Alexandra Morrison, Le Roi de la forêt et la célébrité paradoxale de Rosa Bonheur. In: Ausstellungskatalog, S. 215f
[48] Fémelat, Rosa Bonheur, S. 6
[49] Jutta Ströter-Bender im Vorwort zu Meiwes, Die Tiermalerin Rosa Bonheur, S. VII und Annie-Paule Quinsac, La réception de Rosa Bonheur depuis les années 1970. In: Ausstellungskatalog Roa Bonheur, S.72
[50] Annie-Paule Quinsac, La réception de Rosa Bonheur depuis les années 1970. In: Ausstellungskatalog Rosa Bonheur, S. 68
[51] Zitiert in Erwin in het panhuis, Queere Kunstgeschichte. Wie lesbisch kann Tiermalerei sein? Queer.de 2022 https://www.queer.de/detail.php?article_id=41445
[52] Alex Patterson, The life of Rosa Bonheur (Part of the LGBTQ+ History series) https://www.liverpoolmuseums.org.uk/stories/life-of-rosa-bonheur
[53] Valérie Bienvenue, Questions de regards. L’art de Rosa Bonheur au prisme des études animales. Ausstellungskatalog, S. 130