Der Skulpturenpark von Chaumont-sur-Loire

Das Schloss von Chaumont-sur-Loire gehört eher nicht zu den „ersten Adressen“ unter den Schlössern der Loire wie Chambord, Villandry, Chenonceau oder Azay-le-Rideau. [1] Es ist gleichwohl ein wunderbarer, hoch über der Loire gelegener Bau.

Gebaut wurde das Schloss um 1500 von der einflussreichen Familie d’Amboise. Das war die Zeit von König Ludwig XII., und darauf verweist dessen Wappen, das gekrönte Stachelschwein, am Eingang des Schlosses.

Eine große Rolle in der Geschichte des Schlosses spielte auch Catharina von Medici, die Frau von König Heinrich II. Sie kaufte das Schloss 1550. Als 1559 ihr Mann starb, wurde sie Regentin Frankreichs. Sie nutzte ihre Macht, von Diane de Poitiers, der von ihr gehassten schönen Geliebten ihres Mannes, die Herausgabe des königlichen Schlosses von Chenonceau zu verlangen. Das hatte Henri II Diane geschenkt. Als „Trostpreis“ erhielt sie dafür immerhin das Schloss von Chaumont-sur-Loire, das seine heutige Gestalt wesentlich ihr verdankt.

1875 kaufte Marie-Charlotte-Constance Say, die reiche Erbin der Zuckerraffinerien Say, das Schloss und wurde durch Heirat eine Prinzessin de Broglie. Die Broglies renovierten und modernisierten ihren Besitz beträchtlich und sie ließen in den 1880-er Jahren den großen Schlosspark anlegen, der heute die besondere Attraktion von Chaumont-sur-Loire ausmacht. Das vor dem Schloss liegende Gelände wurde gekauft, die dort stehenden Häuser abgerissen und das Dorf an das Ufer der Loire verlegt. So war genügend Platz für einen großen Landschaftsgarten. [1a] 1938 übernahm der Staat Schloss und Garten. Inzwischen gehören sie der Region Centre – Val de Loire, unter deren Regie die Anlage zu einem Kunst- und Gartenzentrum entwickelt wurde.

Es gibt vor allem den historischen Park (parc historique), auf dem Plan rechts, die Prés du Gualoup, auf dem Plan links unten, und die Jardins du Festival, auf dem Plan links: In Chaumont-sur-Loire findet jedes Jahr ein Gartenfestival statt (Festival international des jardins), das in diesem Jahr unter dem Motto „Il était une fois au jardin“ steht: Die insgesamt 25 kleinen Gärten des dem Festival gewidmeten Arreals haben also einen Bezug zu Märchen aus aller Welt.

Es ist völlig unmöglich, diese Gärten und dazu noch das Schloss mit seinen Nebengebäuden (vor allem die berühmten Pferdeställe) an einem Tag zu anzusehen. Wir haben deshalb -es ist unser erster Besuch in Chaumont- entschieden, uns auf den sogenannten historischen Garten zu konzentrieren. Dies auch deshalb, weil es in diesem Gartenbereich Skulpturen einer Künstlerin und eines Künstlers gibt, die wir ganz besonders schätzen, nämlich Eva Jospin und Miquel Barceló. Deren Beiträge zum Skulpturenpark von Chaumont-sur-Loire wollten wir unbedingt sehen.

Nachfolgend ein kleiner Rundgang durch den Garten mit Fotos von ausgewählten Skulpturen und dabei natürlich vor allem den ganz besonders eindrucksvollen von Jospin und Barceló.

Nicolas Alquin, Bois révélés. (Grange aux Abeilles)

Christian Lapie, La  constellation du fleuve

Im Hintergrund der homme sauvage von Denis Monfleur

Etwas versteckt in einem Gehölz in der Mitte des historischen Gartens befindet sich die Grotte Chaumont von Miquel Barceló. Wir kennen und schätzen Barceló von unseren Besuchen in der Villa Carmignac auf der Insel Porquerolles.

Dort gehören zwei seiner Werke zum festen Bestand: Ein grandioses Unterwasserpanorama und ein sagenhaftes Ungeheuer am Eingang der Villa. [2]

Barcelós 2024 entstandene Chaumont-Grotte sieht auch eher aus wie das weit aufgerissene Maul eines Ungeheuers, eines riesigen gefräßigen Fisches.

Die Zähne des Monsters aber sind wie Stalaktite einer Eiszeithöhle.

Und dazu passt die Zeichnung eines Höhlenlöwen…. Barceló gehörte übrigens der wissenschaftlichen Kommission an, deren Aufgabe es war, nach dem sensationellen Fund der grotte Chauvet-Pont d’Arc (Ardèche) ein originalgetreues Duplikat der Höhle herzustellen.

Nebeneinander: Fisch und Schädel, Leben und Tod. Und der rote Tuchfetzen in den Zähnen des Ungeheuers? Im Begleittext zu der Skulptur wird dazu auf Pieter Lastmans 1621 entstandenes Gemälde Jonas und der Wal verwiesen. [3]

Da entkommt Jonas unversehrt aus dem riesigen Maul des Wals, und höchstens sein blutrotes Tuch bleibt zurück…

Dieser optimistischen Botschaft schien auch das Rotkehlchen zuzuneigen, das sich unerschrocken und neugierig direkt neben dem Höhleneingang auf der Absperrungs-Kordel niedergelassen hatte.

Im Park gibt es immer wieder Ausblicke auf das Schloss. Hier mit Anastazia von Ursula von Rydingsvard im Vordergrund.

Anastazia: Detail

Nikolay Polisky, Les Racines de la Loire

Der freundliche Drache ist aus mehreren hundert alten Weinstöcken zusammengesetzt.

Lionel Sabatté, Chemins croisés. Dahinter eine der Baumhütten (Cabanes dans les arbres) von Tadashin Kaaawamata. Es gibt im Park mehrere Exemplare.

François Méchain, l’Arbre aux Echelles. Méchain hat mehrere Leitern in dem Baum befestigt, die allerdings keinen Kontakt zum Boden haben und sich deshalb auch leicht im Wind bewegen können. Die Installation bezieht sich auf Italo Calvinos Roman Der Baron auf den Bäumen.

Éva Jospins Folie ist für uns ein Höhepunkt des historischen Parks. Ihr im letzten Jahr in der Orangerie von Versailles ausgestelltes Natur- und Architekturpanorama [4] hat uns sehr begeistert, so dass wir auf ihren Beitrag für den Park von Chaumont-sur-Loire besonders gespannt waren.

Hier hat sie ein geheimnisvolles monumentales Werk geschaffen, eine Folie oder fabrique de jardin, wie sie in Landschaftsgärten üblich waren als Blickfang und anregende Stationen auf einem Spaziergang. [5] Ganz untypisch für sie handelt es sich nicht um ein filigranes Werk und zum ersten Mal hat sie hier auch nicht mit ihrem Lieblingsmaterial, dem Karton, gearbeitet, sondern mit massiven Materialien wie dem Beton. Bei der Betrachtung der Außen- und Innenwände drängen sich Assoziationen auf zu den Versteinerungen, die ja gerade im Gebiet der Loire besonders häufig anzutreffen sind.

Der Raum innen wird durch ein Öffnung in der Decke erhellt.

An den Rändern hängen feine wurzelartige Gespinste herab, wie man sie von Jospins Gestaltung der neuen Métro-Station Hôpital-Bicêtre der Pariser Metro-Linie 14 kennt.

Detail der von Eva Jospin gestalteten Außenwand der Metro-Station Hôpital-Bicêtre

Ein Stück Wand des Innenraums der Folie im Park von Chaumont-sur-Loire

Inzwischen ist die Natur dabei, das Bauwerk zu überwuchern und in ihren Besitz zu nehmen. Dabei können sich ganz überraschende Perspektiven ergeben.

Hier kann man sich den Kopf eines grimmig blickenden Tieres vorstellen und darüber einen von Ranken und abgestorbenen Blättern gebildeten Totenkopf.

Ulrich Schläger hat dies an den  Sacro Bosco des Fürsten Vicino Orsini in Bomarzo erinnert, „wo die Monster auf Schritt und Tritt lauern,  wo Fürchten und Staunen die beherrschenden Gefühle sind, wo die steinernen Figuren, von Moos und Flechten überzogen, im Laufe der Jahrhunderte so vollständig zur Natur zurückkehren, dass sie jetzt aussehen, als wären sie vor Urzeiten gemeinsam mit den Bäumen gewachsen oder aus dem Boden gekrochen. Wo ist man hier? Vielleicht im Kopf eines Verrückten, der den Figuren seiner Albträume eine steinerne Form gegeben hat?  Vieles bleibt trotz komplizierter und weit ausholender  Interpretationen rätselhaft, wie das Leben des Menschen, das ja auch voller  ungelöster Rätsel ist.

TU CH’ENTRI QUI CON MENTE PARTE A PARTE ET DIMMI POI SE TANTE MARAVIGLIE SIEN FATTE PER INGANNO O PUR PER ARTE.

»Du, der du hier eintrittst, betrachte alles  Stück für Stück und sag mir dann, ob so viel Wundersames zur Verwirrung gemacht wurde oder nur für die Kunst?« (Fürst Vicino Orsini)

Und dann ist es auch die Natur selbst, die im Park ihre Kunstwerke schafft…

Nach einer kleinen Mittagspause im Café du Parc werfen wir einen Blick in den Prés du Goualoup.

Die stählernen Bögen von Bernar Venet

Marc Nucera, Bancs Sculptés et Fruits fantastiques

Ein Blickfang sind auch die Pflanzenwände (murs végétaux) des Biologen und Gartenarchitekten Patrick Blanc. Er gilt als der Erfinder solcher Wände und hat sie in Frankreich und besonders in Paris populär gemacht. Die Pflanzenwand der Fondation Cartier und die des Musée du quai Branly in Paris wurden von ihm gestaltet.

Frösche fühlen sich gerade in den Zeiten großer Hitze hier sehr wohl…

Andy Goldsworthy, Cairn. [6] Der aus Steinen zusammengefügte Kegel ruht in den ausgetriebenen Ästen einer abgeschnittenen Platane. Allmählich und immer mehr gehen auch hier Kunstwerk und Natur eine reizvolle Verbindung ein.

Vom nördlichen Rand des historischen Parks, in dem auch Goldworthy’s Cairn steht, hat man schöne Ausblicke ins Tal der Loire.

Dies sind drei auf dem Heck stehende Boote: traditionelle gabarres mit niedrigem Tiefgang zum Transport von Menschen und Waren auf der Loire. Eine Installation von El Anatsui.

Manchmal allerdings ist der Wasserspiegel der Loire so niedrig, dass selbst diese -für touristische Zwecke nachgebauten- speziellen Loire-Boote nur begrenzt fahrtüchtig sind.

Auch das Schloss wird für Ausstellungszwecke genutzt.

Die in den Jahren 1498-1511 errichtete Schlosskapelle wurde in diesem Jahr von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger ausgeschmückt: Les pierres et le printemps (Die Steine und das Frühjahr) nannten sie ihre Installation. Die Fenster der Kapelle stammen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Hier ein Fenster mit der Abbildung eines Schlossturms:

… und zum Abschied ein letzter Blick von der Schlossterrasse auf die Loire…

Praktische Hinweise:

Chaumont-sur-Loire liegt zwischen Amboise und Blois.

Das Schloss, der historische Park und die Pferdeställe sind während des ganzen Jahres zugänglich, die Gärten des Gartenfestivals und die Prés de Goualoup bis zum 2. November 2025.

https://domaine-chaumont.fr/fr/informations-pratiques

Eintrittskarten und Preise: https://billetterie.domaine-chaumont.fr/

Anmerkungen:

[1] Auf der Seite https://loirelovers.fr/de/schonste-schlosser-loire-tal/ ist Chaumont noch nicht einmal unter den 12 schönsten  Schlössern der Loire aufgeführt.

[1a] Bei Wikipedia.de liest sich das so:  „Das Ehepaar trieb großen Aufwand, um die Schlossanlage umfassend zu restaurieren und einen Abglanz höfischen Lebens zu schaffen. Auch das Dorf profitierte davon: 1882 wurde die Kirche wieder aufgebaut, und die Bewohner erhielten große Schenkungen.“ (!) https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Chaumont (8.9.2025)

[2] Zu den Ausstellungen in der Villa Carmignac (und Miquel Barceló) siehe auch: https://paris-blog.org/2021/08/01/la-mer-imaginaire-die-jahresausstellung-2021-in-der-villa-carmignac-auf-porquerolles/

[3] Billd aus: https://en.wikipedia.org/wiki/Pieter_Lastman#/media/File:Pieter_Lastman_-_Jonah_and_the_Whale_-_Google_Art_Project.jpg

[4] https://paris-blog.org/2024/08/30/versailles-ein-natur-und-architekturpanorama-eva-jospins-in-der-orangerie-von-versailles/

[5] Siehe dazu den Blog-Beitrag über den Park von Ermenoville, den ersten Landschaftsgarten auf dem europäischen Kontinent: https://paris-blog.org/2020/09/01/der-park-jean-jacques-rousseau-in-ermenonville-der-erste-landschaftspark-auf-dem-europaeischen-kontinent-und-die-erste-begraebnisstaette-rousseaus/

[6] Das schottisch-gälische Wort cairn bezeichnet auf den Britischen Inseln einen meist aus dem Neolithikum stammenden und meist aus Bruchsteinen zusammengesetzten künstlichen Hügel. Das entsprechende bretonische Wort carn (Steinmal) hat dem Ort Carnac seinen Namen gegeben.

6 Gedanken zu “Der Skulpturenpark von Chaumont-sur-Loire

  1. Avatar von Unbekannt Anonymous

    Ulrich Schläger:

    Erinnerung an den  Sacro Bosco des Fürsten Vicino Orsini in Bomarzo, wo die Monster auf Schritt und Tritt lauern,  wo Fürchten und Staunen die beherrschenden Gefühle sind, wo die steinernen Figuren, von Moos und Flechten überzogen, im Laufe der Jahrhunderte so vollständig zur Natur zurückkehren, dass sie jetzt aussehen, als wären sie vor Urzeiten gemeinsam mit den Bäumen gewachsen oder aus dem Boden gekrochen. Wo ist man hier? Vielleicht im Kopf eines Verrückten, der den Figuren seiner Albträume eine steinerne Form gegeben hat?  Vieles bleibt trotz komplizierter und weit ausholender  Interpretationen rätselhaft, wie das Leben des Menschen, das ja auch voller  ungelöster Rätsel ist.

    TU CH’ENTRI QUI CON MENTE PARTE A PARTE ET DIMMI POI SE TANTE

    MARAVIGLIE SIEN FATTE PER INGANNO O PUR PER ARTE.

    »Du, der du hier eintrittst, betrachte alles  Stück für Stück und sag mir dann, ob so viel Wundersames zur Verwirrung gemacht wurde oder nur für die Kunst?«

    Fürst Vicino Orsini

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  2. Avatar von Unbekannt Anonymous

    Anmerkung zum Stachelschwein: 1394 gründete Louis de Valois, duc d’Orléans zur Geburt seines Sohnes Charles de Valois, duc d’Orléans den Orden vom Stachel-schwein (Ordre du Porc-Épic), einen weltlichen Adels- und Ritterorden. Die Wahl des Stachelschweins beruhte auf einem zoologischen Irrglauben: Seit der Antike (Plinius d.Ä.) meinte man, dass das Stachelschwein durch seine Stacheln nicht nur nahe Fressfeinde abwehren könne, sondern diese auch auf entfernte Gegner abschießen könne. Darauf geht die Devise des Ordens vom Stachelschwein zurück: „Cominus et eminus“ (ungefähr: „Von nah und von fern“) ist ein Ausdruck der Wehrhaftigkeit und verweist sinnbildlich auf die Fähigkeiten des Stachelschweins im Fern- wie im Nahkampf. Zum Ende des 15. Jahrhunderts wählte der Sohn von Charles de Valois, der als Ludwig XII. den französischen Thron bestieg, das Stachelschwein zu seinem Wappentier und Cominus et eminus zu seiner Devise als Ausdruck seiner Wehrhaftigkeit.

    Ulrich Schläger

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