In dem nachfolgenden Bericht geht es um zwei Salinen in der Franche-Comté. Beide liegen nur wenige Kilometer auseinander und sie gehören gemeinsam zum UNESCO – Weltkulturerbe.[1]
Mein Interesse an den Salinen ist allerdings nicht in erster Linie die Salzgewinnung, sondern die Architektur der königlichen Saline von Arc- et -Senans. Sie ist ein architektonisches Juwel, entworfen von Claude Nicolas Ledoux. Und der hat nicht nur diese Saline entworfen, sondern gleichzeitig auch darum herum eine ideale Stadt geplant, die zwar nicht gebaut wurde, aber Ausdruck einer „Revolutionsarchitektur“ ist, die Ledoux repräsentiert.
Und Ledoux war – und das macht ihn für mich besonders interessant- auch der Baumeister der Pariser Mauer der Generalpächter, der Mur des Fermiers Généraux, die von 1784 bis 1790 errichtet wurde, um die Zolleinnahmen, die der König verpachtet hatte, zu sichern. Die Durchgänge durch diese Zollmauer, die sogenannten barrières, von denen in Paris noch vier erhalten sind, entwarf Ledoux in klassizistischer Bauweise in Form von Propyläen.
Die Rotonde de la Vilette, eine der erhaltenen Barrieren von Ledoux
Dass nur vier dieser architektonisch bemerkenswerten Barrieren erhalten sind, hängt auch damit zusammen, dass die Mauer der Generalpächter bei der Pariser Bevölkerung verständlicher Weise sehr verhasst war. Von Beaumarchais ist ein berühmter Alexandriner überliefert, der die Unzufriedenheit der Pariser mit dieser Zollmauer zum Ausdruck brachte:
« Le mur murant Paris rend Paris murmurant. »
Und die Pariser haben nicht nur insgeheim über diese Mauer gemurrt, sondern am 11. Juli 1789 und den Tagen danach Barrieren angegriffen, geplündert und zerstört – das Vorspiel des großen Sturms auf die Bastille am 14. Juli.
Historisch und architektonisch ist das also ein spannender Gegenstand. Und ein besonderer Beitrag zur Mauer der Generalpächter und den Barrieren Ledoux` gehört deshalb auch zum Programm künftiger Blog-Beiträge.[2]
Hier nun steht die von Ledoux entworfene Saline und die um sie herum geplante Idealstadt Chaux im Mittelpunkt. Die Saline ist ein von den Ideen der Aufklärung inspiriertes Projekt, das aber nur zur Hälfte realisiert wurde. Nach 1789 erhielt Ledoux, vor allem als Chefarchitekt der umstrittenen Mauer der Generalpächter, keine weiteren Aufträge und musste eher froh sein, nicht unter der Guillotine zu enden. Aber er entwickelte das futuristische Konzept der Stadt Chaux, das noch über 100 Jahre später Architekten inspirierte.
Das erklärt die Zuerkennung des Welterbestatuts für die Saline von Arc et Senans und übrigens auch ihre Aufnahme in eine aktuelle französische Briefmarkenserie zum Thema „Histoire de styles“.
Die Große Saline von Salins-les-Bains
Aber zuerst kurz zur Großen Saline von Salins-les-Bains, die ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und die gewissermaßen der Vorläufer der königlichen Saline von Arc et Senans ist. Ihre Grundlage ist ein großer Salzstock in 250 Metern Tiefe. Da salzhaltiges Wasser über Quellen an die Oberfläche gelangte, wurde das Vorkommen schon im frühen Mittelalter entdeckt und dann systematisch ausgebeutet. Durch Verbesserungen der Bohr- und Fördertechnik wurde die Salzgewinnung immer bedeutender: Im 17. Jahrhundert war Salins-les-Bains der zweitwichtigste Ort der Franche-Comté (nach Besancon) und erwirtschaftete die Hälfte ihrer Einkünfte. Die Sole wurde in riesigen Pfannen erhitzt, bis das Wasser verdampft war und die Salzkristalle abgeschöpft werden konnten. Als Energie dafür diente Holz, ab dem 19. Jahrhundert dann die Kohle.
Mit solchen Schaufeln wurde das Salz aus den eisernen Pfannen auf das darüber gelegene Gestell geschippt, wo es noch weiter trocknen konnte. Von dort aus wurde es in Loren verladen. Die nächsten Arbeitsgänge waren dann Verpackung und Abtransport.
Blick auf das Siedehaus von Salins-les-Bains
Die Arbeitsbedingungen in dem Siedehaus waren äußerst hart: Es war Schwerstarbeit, dazu war die Arbeit mit dem Salz in großer Hitze äußerst gesundheitsschädlich. Aber, wie uns die Führerin erklärte, aufgrund guter Bezahlung und damals sonst unüblicher sozialen Vergünstigungen habe es nie Mangel an Arbeitskräften gegeben.
Besonders eindrucksvoll ist es, im Rahmen einer Führung in die unterirdische Galerie herabzusteigen. Dort ist eine hydraulisch betriebene Pumpe zu sehen, eine sogenannte Noria, die im 14. Jahrhundert installiert wurde und bis Mitte des 18. Jahrhunderts in Betrieb war. Und vor allem kann man das Gewölbe bewundern, das eher an eine romanische Kirche erinnert als an ein technisches Bauwerk.
Die Große Saline war bis 1962 in Betrieb. Allerdings konnte sie schon im 18. Jahrhundert nicht mehr den wachsenden Bedarf an Salz decken, zumal es immer mehr an einem entscheidenden Rohstoff mangelte, nämlich dem Holz, das in großen Mengen für den Verdampfungsprozess der Sole benötigt wurde. Und das war nun die große Stunde des Claude Nicolas Ledoux.
Ledoux und die königliche Saline von Arc- et -Senans im Jura: Das revolutionäre Projekt eines Architekten des ancien régime.
Claude Nicolas Ledoux, der aus eher ländlichen und kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, ließ sich 1766 in Paris nieder. Dort wurde Madame Du Barry, die Mätresse Ludwigs XV., auf ihn aufmerksam und beauftragte ihn – gegen einige Widerstände- mit dem Bau eines Pavillons für ihr Anwesen in Louveciennes bei Paris.[3] Begünstigt durch diese Förderung wurde Ledoux zu einem renommierten Architekten des ancien régime. Von König Ludwig XVI. wurde er zum Inspektor der Salinen in Lothringen und Burgund ernannt.[4]
Büste von Ledoux in Arc et Senans
Ledoux erkannte bald die Unzulänglichkeiten der Großen Saline: Die schwierigen, Produktionsbedingungen in dem engen Tal des Flüsschens Fourieuse und vor allem der Mangel an verfügbarem Holz, von dem große Mengen für das Sieden des Salzes benötigt wurden. Er schlug deshalb dem König vor, eine neue Saline in Arc- et -Senans zu bauen- ein sehr unkonventioneller Vorschlag, denn in diesen beiden Ackergemeinden gab es keinerlei Salzvorkommen. Aber es gab dort genügend Platz- gewissermaßen die sprichwörtliche grüne Wiese, auf der der Architekt seine Ideen ungehindert verwirklichen konnte; dazu gab es Wind gegen die bei der Salzherstellung entstehenden Dämpfe und vor allem: In der Nähe lag (und liegt immer noch) der große Wald von Chaux, eines der größten Waldgebiete Frankreichs. Es handelte sich um eine königliche Domäne, was für Ludwig XVI. sicherlich eine wesentliche Motivation war, dem Projekt seinen Segen zu geben. Und für Ledoux war es „einfacher, das Wasser auf Reisen zu schicken, als einen Wald Stück für Stück durch die Gegend zu fahren“.[5]
Die Sole (la saumure) der Großen Saline zur neuen Saline von Arc- et -Senans zu leiten, war allerdings trotzdem eine schwierige und aufwändige Angelegenheit. Aufgrund der Topographie war nur ein Transport in Leitungen möglich, die entlang der Flüsschen La Furieuse und La Loue verlegt wurden. Das waren immerhin 21,5 Kilometer.
Die Rohre wurden unterirdisch verlegt, um einen Diebstahl und ein winterliches Einfrieren der kostbaren saumure zu verhindern. Die Leitungen bestanden zunächst aus innen ausgehöhlten Fichtenstämmen, die ineinander gesteckt wurden. Geht man von der Länge der im Museum von Salins-les-Bains und in Arc -et – Senans ausgestellten Rohre aus, dürften das etwa 5000 Rohre dieser Art gewesen sein. 135 000 Liter Sole liefen täglich durch dieses Leitungssystem, von denen allerdings 30% unterwegs verloren gingen: Durch Lecks in den Leitungen und durch Diebstahl – obwohl die Leitungen ständig überprüft und überwacht wurden.
Im 19. Jahrhundert wurden die Fichtenrohre deshalb durch gußeiserne Rohre ersetzt.[6]
An einigen Stellen wurden kleine Behälter eingebaut, die es ermöglichten, den Zu- und Ablauf der Sole auf ihrem Weg von Salins-les-Bains nach Arc -et -Senans zu kontrollieren.
Die Saline im Überblick
Aus der Vogelperspektive betrachtet fällt die strenge geometrische Form der Anlage und ihre Großzügigkeit auf. Hier konnte Ledoux -zumindest teilweise- seinen Traum verwirklichen, „Rivale des Schöpfers“ zu sein. Die Form der Architektur sollte nach Ledoux „so rein sein wie die, die die Sonne auf ihrem Lauf beschreibt.“[7]
In der Mitte befindet sich das Haus des Direktors, rechts und links davon sind die Produktionsstätten angeordnet. In einem weiten Halbkreis darum herum sind Verwaltungsgebäude, Werkstätten und die Wohnhäuser der Arbeiter gruppiert. Zwischen diesen Gebäuden und der Mauer, die die Anlage umgibt, ist Raum für die Anlage von Gärten. Assoziationen zum antiken Theater liegen da nahe. Dessen Bauprinzipien hat der römische Autor Vitruv beschrieben. Sein mit Illustrationen versehenes Werk wurde 1673 in einer französischen Ausgabe publiziert, die Ledoux ausführlich studiert hat. Und Ledoux hat ja für Besançon, die neue Hauptstadt der Franche-Comté, ein damals revolutionäres Theater entworfen- ohne die üblichen Logen, aber mit Sitzen im Zuschauerraum.[8]
Den ebenfalls theatralischen Eingang zur Saline bildet der Portikus mit seinen mächtigen dorischen Säulen. Das Vorbild des in der Nähe Neapels gelegenen griechischen Tempels von Paestum ist unverkennbar. Der Portikus markiert und symbolisiert mit seiner Grotte aus unbehauenen Steinen den Übergang vom Dunkel ins Licht, vom „Naturzustand“ in die wohl geordnete Welt der Saline.[9]
In den rechts und links angrenzenden Gebäuden waren die Wächter untergebracht, von denen viele benötigt wurden- nicht nur um ein unbefugtes Betreten oder Verlassen der Anlage zu verhindern, sondern vor allem, um die Rohrleitung der Sole von der Großen Saline bis Arc- et – Senans zu überwachen – das kostbare Salz bedurfte besonderen Schutzes.
Deshalb war die gesamte Anlage ja auch von einer hohen Mauer umgeben.
Das dem Eingang gegenüberliegende Gebäude war das Haus des Direktors, das sich denn auch durch seine Mächtigkeit, sein Höhe und seinen besonders kunstvoll gestalteten Portikus von den anderen Gebäuden deutlich abhebt.
Rechts und links des Direktorengebäudes lagen die Siedehäuser, die Produktionsstätten des kostbaren Salzes, während die vier Gebäude rechts und links des Eingangs, Werkstätten und die Wohnungen der Arbeiter beherbergten.
Wohnen und Arbeiten gehörten für Ledoux also zusammen. Man kann das als einen fortschrittlichen Ansatz betrachten, wobei allerdings berücksichtigt werden muss, dass auf diese Weise die Kontrolle über die Arbeiter effizienter war. Denn so waren sie nicht nur zu ihren Arbeitszeiten in der Saline, sondern dauerhaft. Ein Verlassen war nur mit einer ausdrücklichen Genehmigung des Direktors möglich, der das gesamte Geschehen im Auge hatte. Und wenn man manchmal in Veröffentlichungen zu Ledoux lesen kann, sein Ziel sei es gewesen, die Wohnverhältnisse der Arbeiter zu verbessern, womit er seiner Zeit „weit voraus“ gewesen sei, [10] so muss dahinter ein Fragezeichen gesetzt werden.
Immerhin weisen die Wohnungen der Salinenarbeiter als einzige Lichtöffnung eine an mythologische Brunnenfiguren erinnernde stilisierte Urne auf, aus der Salzlake zu fließen scheint. Und bei den Siedehäusern gab es trotz der dort herrschenden Hitze und der Salzdämpfe – anders als bei der Großen Saline von Salins-les-Bains- keine Schornsteine zur Entlüftung. Damit sollte wohl die Harmonie und Ästhetik der Anlage erhalten werden, zumal Schornsteine auch das Haus des Direktors überragt hätten….
Blick aus einem „Urnenfenster“ der früheren Arbeiterwohnungen
Ledoux stellte sich allerdings das Leben in der Saline als eines vor, wo alles Anlass zur Freude ist, „où tout est jouissance„, wie er auf einer Schautafel des Museums zitiert wird. Aber er betonte auch die Stein gewordene Macht des Direktors, dessen „surveillance“ nichts entgehe. (rien n’échappe). Michel Foucault hat deshalb auch in seinem Buch „Überwachen und Strafen“ die Saline von Arc-et- Senans als einen perfekten Disziplinarapparat bezeichnet:
„Der perfekte Disziplinarapparat wäre derjenige, der es einem einzigen Blick ermöglichte, dauernd alles zu sehen. Ein zentraler Punkt wäre zugleich die Lichtquelle, die alle Dinge erhellt, und der Konvergenzpunkt für alles, was gewusst werden muss: ein vollkommenes Auge der Mitte, dem nichts entginge und auf das alle Blick gerichtet wären. So etwas schwebte Ledoux vor, als er Arc-et-Senans erbaute: im Zentrum der ringförmig angeordneten und nach innen geöffneten Gebäude sollte ein hoher Bau die administrativen Funktionen der Leitung, die polizeilichen Funktionen der Überwachung, die ökonomischen Funktionen der Kontrolle und Erhebung, die religiösen Funktionen der Ermutigung zu Gehormsam und Arbeit auf sich vereinigen; von da würden alle Befehle kommen, da würden alle Tätigkeiten registriert, würden alle Fehler wahrgenommen und beurteilt werden. Und zwar würde sich das alles unmittelbar, dank jener strengen Geometrie vollziehen. Die Vorliebe für kreisförmige Architekturen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte mancherlei Gründe; einer davon war zweifellos der, dass sie eine bestimmte politische Utopie zum Ausdruck brachten.“ (11)
Allerdings war die totale Überwachung, die Foucault dem Konzept der Saline zuschreibt, anders als etwas bei dem Panoptikum Benthams und den entsprechenden Gefängnisbauten (wie der Petite Roquette in Paris (12), nicht real, sondern eher symbolisch. Die Werkstätten und die Wohnungen der Bediensteten waren ja alles andere als transparent. Interessant ist dabei aber, wie Ledoux hier einerseits in eine Ahnenreihe totalitärer Architekturkonzepte und entsprechender Utopien eingereiht wird -Albert Speer beispielsweise hat Ledoux sehr bewundert- dass er andererseits aber auch als Ahnherr sozialistischer Utopisten und einer modernen progressiven Architektur firmiert. In seinem 1933 erschienenen bahnbrechenden Werk „Von Ledoux bis Le Corbusier“ beschreibt Emil Kaufmann Ledoux als revolutionären Architekten, der den Anfang der modernen Architektur markiere und entdeckt ihn damit neu. Für Gruson hat die Verbindung von Wohnen und Arbeiten und die von Ledoux vorgegebene Vermischung von Gemeinschaftseinrichtungen (eine zentrale Feuerstelle/Küche für alle Wohnhäuser) und privaten Bereichen den französischen Sozialreformer Charles Fourier zu seinem Konzept eines Phalanstère, einer Produktions- und Wohngenossenschaft inspiriert. Und bei den Gärten, die zu den Wohnungen der Bediensteten gehörten und ihnen einen Anbau von Obst und Gemüse für den eigenen Bedarf ermöglichten, denkt man natürlich an fortschrittliche Konzepte von Arbeitersiedlungen, wie sie im 19. Jahrhundert in England und auch in Frankreich -wie in der ville ouvrière von Noisiel an der Marne – verwirklicht wurden. (13)
Ein Gartenhaus
Heute gehören die Gärten zu einem Projekt, dem „festival des jardins„: Jedes Jahr werden sie neu gestaltet, wobei jeweils ein bestimmtes Motto vorgegeben wird. Im Jahr 2019 war das aus Anlass des 50. Jahrestages des Woodstock-Festivals das Motto Flower power. Angesprochen werden als Gestalter nicht nur renommierte Gartenarchiteken, sondern auch Studenten von (Fach-)Hochschulen für Gartenbau und Schüler/Innen von fachbezogenen Berufsschulen. Insgesamt werden 12 Gärten entsprechend gestaltet- ein Rundgang lohnt sich also.
Die Erinnerung an die ursprüngliche Bestimmung der Gärten wird allerdings/immerhin auch noch wachgehalten wie die Reihen von Spalierobst zeigen.
Dass wir heute die Saline bewundern können, wäre vor 100 Jahren noch kaum vorstellbar gewesen. 1895 wurde nämlich die Produktion eingestellt, weil sie gegenüber den Salinen am Mittelmeer und am Atlantik nicht mehr konkurrenzfähig war, zumal mit dem billigen Transportmittel der Eisenbahn. Danach verfiel die Anlage zunehmend, sie diente als Steinbuch, 1918 wurde sie durch ein Feuer verwüstet. 1927 kaufte das Departement du Doubs die Anlage und rettete sie so vor dem völligen Verfall. Im Frühjahr 1939 wurden dort Flüchtlinge aus Franko-Spanien untergebracht, vom Kriegsbeginn bis zum Waffenstillstand im Juni 1940 Einrichtungen der französischen Armee, auf die dann bis zum Frühjahr 1941 deutsche Besatzungssoldaten folgten. Danach wurde die ehemalige Saline zu einem Lager für „familles tziganes“ , wie es in dem offiziellen Aushang der Anlage heißt, deren Lebensbedingungen „äußerst hart“ gewesen seien, vor allem auifgrund der fehlenden bzw. völlig unzureichenden sanitären Einrichtungen.[14] Ihnen folgen schließlich im Winter 1944/45 mehr als 1000 deutsche Kriegsgefangene, deren Lebensbedingungen kaum weniger hart gewesen sein dürften. Bilder aus der Nachkriegszeit zeigen eine völlig heruntergekommene verfallene Anlage, die nur mit größter Mühe etwas von dem früheren und heutigen Glanz erahnen lässt. Ab etwa 1960 begann dann eine lange Restaurierung, die schließlich die Anerkennung der Saline als Teil des UNESCO-Weltkulturerbes im Jahr 1982 ermöglichte.[15]
Heute ist die Saline Mittelpunkt eines regen kulturellen Lebens, es ist ein centre du futur, ein Ort des Nachdenkens über die Zukunft unserer Gesellschaften, es beherbergt drei Museen und ein Hotel.
Als Hotelgast ist man zum Beispiel im ehemaligen Haus der Zollpächter untergebracht, deren Bedeutung von der Fassade unterstrichen wird – nach dem Direktorenhaus und dem Eingangs-Portikus gewissermaßen die Nummer drei auf der architektonischen Rangliste: Ein sogenanntes venezianisches Fenster, also ein zentrale, auf zwei Säulen ruhende Arkade. Die Zollpächter waren ja immerhin die Betreiber der Anlage: Wie bei der Zollmauer um Paris hatten sie vom König eine Konzession erhalten, die der Monarchie feste regelmäßige Einahmen sicherten und den Zollpächtern die Gewinne. Also gewissermaßen eine Private Public Partnership vor der Zeit…
Zu der Übernachtung im Hotel gehören auch Eintrittskarten für die Ausstellungen. Und vor allem: Abends hat man die Anlage (fast) ganz für sich alleine und kann in aller Muße die angestrahlten Gebäude und beleuchteten Gärten bewundern. Exquisit!
Das Ledoux-Museum
Zu einem Besuch der Saline gehört natürlich der Besuch der Museen: eines Museums der Geschichte der Salzgewinnung, eines Museums der Geschichte der Saline seit ihrer Schließung und vor allem eines Ledoux-Museums. Es ist nach der Selbstdarstellung das einzige Museum Europas, das ausschließlich einem Architekten gewidmet ist.[16]
Untergebracht ist es in der ehemaligen Holzwerkstatt und dem Holzlager. Dort wurden die Tonnen hergestellt, in die das Salz gefüllt und in denen es kommerzialisiert wurde. Außerdem gab es in diesem Gebäude auch Räume für die Böttcher und eine Gemeinschaftsküche.
Die Ehre eines speziell ihm gewidmeten Museums verdankt Ledoux vor allem seinem Architektur- Traktat, von dem ein erster Teil 1804 veröffentlicht wurde. Es gilt als theoretisches Hauptwerk der sogenannten Revolutionsarchitektur – ein eher aus der Not geborenes Opus. Denn mit der Französischen Revolution verlor Ledoux aufgrund seiner Stellung im ancien régime und vor allem der Konstruktion der verhassten Zollmauer seine bisherige Lebensgrundlage. Er wurde sogar verhaftet und entging nur knapp der Guillotine.
Er konnte aber nun auf der Grundlage früherer Zeichnungen das Modell der idealen Stadt Chaux entwerfen, die um die zu einem vollständigen Kreis ergänzte Saline herum gruppiert war.
Dazu gehörten Bauten für die Allgemeinheit wie zum Beispiel -zu dieser Zeit in der Tat revolutionär- öffentliche Bäder.
Charakteristisch für die meisten Bauten ist die „sprechende Architektur“, das heißt, dass die Gestaltung der einzelnen Gebäude deren Zweck deutlich macht, wie die folgenden Beispiele zeigen.
Das Atelier der Köhler, der charbonniers
Auch bei dem sogenannten „Oikema“ , von dem ich allerdings in dem Museum kein Modell und keine Abbildung entdecken konnte, dürfte die Funktion wohl eindeutig sein.[17] Offenbar hielt Ledoux auch einen solchen Bau für erforderlich, um das von ihm angestrebte harmonische Zusammenleben zu gewährleisten.
„Sprechend“ ist auch der Entwurf eines pavillon des cercles, eines Ateliers der Böttcher. Davon gibt es nicht nur das kleine Modell im Ledoux-Museum, sondern auch ein 1 zu 1- Modell auf der weitläufigen Jura- Raststätte der Autobahn A 39 bei Lons-le-Saunier. So kann man, auch wenn man nicht über den Wald von Chaux und die Weinberge von Arbois fahren und in Arc -et -Senans Halt machen kann oder will, auf dem Weg in den Süden einen kleinen Eindruck von der Revolutionsarchitektur des Claude-Nicolas Ledoux erhalten.
Das Gebäude ist für Ausstellungen gedacht, war allerdings im Sommer 2019 etwas vernachlässigt und heruntergekommen. Aber auch das passt ja zu Ledoux….
Anmerkungen
[1] http://whc.unesco.org/fr/list/203
[2] Als kleine deutsch-französische Fußnote soll noch angemerkt werden, dass Ledoux als Contrôleur général des bâtiments der Landgrafschaft Hessen-Kassel den Bau des Fridericianums in Kassel beaufsichtigte…
[3] http://www.pavillondemusiquedubarry.fr/fr/contact.html
[4] Zur Biografie von Ledoux: http://www.whoswho.de/bio/claude-nicolas-ledoux.html
[5] Zitiert in: https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigliche_Saline_in_Arc-et-Senans
« Il étoit plus facile de faire voyager l’eau que de voiturer une forêt en détail » Zit. Gruson
[6] https://wikimonde.com/article/Saumoduc_de_Salins-les-Bains_%C3%A0_Arc-et-Senans
[7] Ziate aus: https://www.sueddeutsche.de/kultur/bauhausjubilaeum-wie-ein-anfall-von-wuerfelhusten-1.2413082-2 und Luc Gruson a.a.O.
[8] Siehe dazu Luc Gruson a.a.O. und http://memoirevive.besancon.fr/?id=440. Aufgrund der streng halbkreisförmigen Anlage ist die Behauptung, die ich im Internet gefunden habe, unzutreffend- auch wenn sie sich überzeugend anhört: „Je niedriger der Rang von Angestellten oder Arbeitern ist, desto weiter liegen deren Gebäude vom Direktorenhaus entfernt.“ . https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/lebensmittel/salz/pwiearcetsenansdiekoeniglichesaline100.html
[9] „Ainsi, l’entrée dans la Saline ressemble à un passage dans un autre monde, que Ledoux a voulu parfait.“ (Gruson)
[10] https://www.a-k.sia.ch/de/node/236
(11) Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. suhrkamp taschenbuch 2271 FFM 2016, S. 224/225
(12) Siehe dazu den Blog-Beitrag Wohnen, wo einmal die Guillotine stand. La Grande et la Petite Roquette. https://paris-blog.org/2016/06/14/wohnen-auf-historischem-boden-la-grande-et-la-petite-roquette/
(13) Siehe den Blogbeitrag über die Schokoladenfabrik Menier in Noisiel: https://paris-blog.org/2019/05/23/le-chocolat-menier-1-die-schokoladenfabrik-in-noisiel-an-der-marne-repraesentative-fabrikarchitektur-und-patriarchalischer-kapitalismus-im-19-jahrhundert/
Der utopischen Charakter der Entwürfe von Ledoux wird betont in dem Artikel „Imagined Architecture“ von Devi Norton. https://michaelgimberblog.com/2017/03/10/imagined-architecture/ Dort steht er in einer Reihe von Revolutionsarchitekten, die bis zur russischen Revolution reicht.
[14] Siehe dazu: Alain Gagnieux, Chronique des jours immobiles : L’internement des nomades à Arc-et-Senans (1941-1943), Éditions L’Harmattan, 2011
[15] https://www.museumspass.com/de/museen/saline-royale
[16] https://www.museumspass.com/de/museen/saline-royale
[17] Bild aus: http://hiddenarchitecture.net/oikema/
Weiterführende Literatur:
Sonia Branca-Rosoff: https://passagedutemps.wordpress.com/2020/03/28/le-reve-de-pierre-de-claude-nicolas-ledoux-1736-1806-la-saline-royale-darc-et-senans/
Alain Chenevez, La saline d’Arc- et- Senans. Paris: Harmattan 2006
Gérard Chouquer et Jean-Claude Daumas (dir.), Autour de Ledoux: architecture, ville et utopie. 2008
Richard Copans, Architecture 4. Éd. Par Arte France und Réunions des Musées Nationaux. 2005
Michel Gallet, Claude-Nicolas Ledoux, 1737-1806, Paris 1980 Siehe: http://www.persee.fr/docAsPDF/bulmo_0007-473x_1981_num_139_3_6012_t1_0193_0000_3.pdf
Luc Gruson, Claude-Nicolas Ledoux, Architecture visionnaire et utopie sociale. (Überarbeitete Fassung eines Vortrags in Arc- et -Senans vom Oktober 2008 https://docplayer.fr/20788304-Claude-nicolas-ledoux-architecture-visionnaire-et-utopie-sociale.html
Emil Kaufmann, Von Ledoux bis Le Corbusier. Ursprung und Entwicklung der autonomen Architektur. Reprint der Originalausgabe von 1933. Stuttgart 1985
Jean-Pierre Lyonnet, Les Propylées de Paris 1785-1788: Claude-Nicolas Ledoux, une promenade savante au clair de lune. 2013
Dominique Massounie: Arc -et- Senans La Saline Royale de Nicolas Ledoux. Éditions du patrimoine 2016
Daniel Rabreau: La Saline royal d’Arc – et – Senans. Un monument industriel, allégorie des Lumières. Paris 2002 siehe: http://www.persee.fr/doc/bulmo_0007-473x_2003_num_161_3_1238_t1_0272_0000_1
Weitere geplante Beiträge:
- Der Hartmannswillerkopf, das französische Nationaldenkmal und das deutsch-französische Historial zum Ersten Weltkrieg
- „Les enfants de Paris“: Pariser Erinnerungstafeln/plaques commémoratives zur Zeit 1939-1945
- Die Petite Ceinture, die ehemalige Ringbahn um Paris (1): Kinder und Kohl statt Kohle und Kanonen
- Die Petite Ceinture (2): Die „Rückeroberung“ der ehemaligen Ringbahntrasse
- Aux Belles Poules. Ein ehemaliges Bordell im Quartier Saint Denis